Regenerierung von Innenstädten unter Schrumpfungsbedingungen. Evaluation eines Städtewettbewerbs und Analyse dessen Rolle für Klein- und ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
supported by Geogr. Helv., 76, 233–248, 2021 https://doi.org/10.5194/gh-76-233-2021 © Author(s) 2021. This work is distributed under the Creative Commons Attribution 4.0 License. Regenerierung von Innenstädten unter Schrumpfungsbedingungen. Evaluation eines Städtewettbewerbs und Analyse dessen Rolle für Klein- und Mittelstädte in Sachsen Katrin Schade, Susan Radisch, Marcus Hübscher, and Johannes Ringel Institut für Stadtentwicklung und Bauwirtschaft, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Universität Leipzig, 04109 Leipzig, Deutschland Correspondence: Katrin Schade (katrin.schade@uni-leipzig.de) Received: 19 August 2020 – Revised: 26 March 2021 – Accepted: 19 April 2021 – Published: 31 May 2021 Kurzfassung. Many East German cities face long-term shrinking processes, which contribute to declining city centers. This is particularly noticeable in small and medium-sized cities with low human and financial resources. A funding program that helps to regenerate inner cities is the regional city competition „Ab in die Mitte! Die City-Offensive Sachsen“ (AMS) in Saxony, organized as a public-private partnership. This study aims to (1) research AMS concerning its factors of success and obstacles, (2) analyze its role for small and medium-sized cities and, (3) give recommendations to improve AMS. The low-threshold of participation mainly encourages small and medium-sized cities to take part. AMS strengthens exchange and knowledge transfer and promotes endogenous planning strategies. The city competition offers low funding possibilities; therefore, it can only serve as an incentive system. AMS should improve transparency within the evaluation process and, realign its concept to future urban development strategies. 1 Regenerierung von Innenstädten unter lich größere Handelsketten leisten; zudem sind diese mit ih- Schrumpfungsbedingungen ren internationalen Strukturen besser auf Digitalisierung und damit die Gleichzeitigkeit von stationärem und digitalem Ge- Globale Transformationsprozesse haben entscheidenden schäft eingestellt als kleine, lokal verankerte Betriebe (Step- Einfluss auf die Stadtentwicklung. Prozesse wie Klimawan- per, 2015: 99). Mit der Zunahme von Einzelhandelsketten del (Klimaanpassungs- und -schutzmaßnahmen, nachhalti- und dem Rückgang des inhabergeführten Einzelhandels liegt ge Mobilität), der Einsatz neuer Technologien (Digitalisie- die Austauschbarkeit europäischer Innenstädte auf der Hand rung, KI) und sich wandelnde gesellschaftliche Rahmen- (Kunzmann, 2012: 163). Eine stärkere, veränderte Form der bedingungen (Konsumverhalten, Work-Life-Balance) erfor- Nutzungsmischung wird seitens verschiedenster institutio- dern komplexe und umfassende Anpassungsstrategien der neller, unternehmerischer, privater wie städtischer Akteure Städte (Sousa et al., 2020; Rink und Haase, 2018; Dietrich gefordert (Sperle, 2011: 124). et al., 2014). Öffentliche Austragungsorte dieser Transfor- Als seien diese Herausforderungen nicht komplex ge- mationsprozesse sind insbesondere die Zentren europäischer nug, gestalten sich die Auswirkungen in Städten unter Städte. Der Einzelhandel als Leitfunktion der Innenstädte ge- Schrumpfungsbedingungen noch problematischer. Schrump- rät zunehmend unter Druck (Korzer et al., 2020: 207). Grün- fende Klein- und Mittelstädte haben aufgrund räumlicher de sind unter anderem der immer größer werdende Umsatz- Disparitäten (ländlich-periphere Räume vs. Verdichtungsräu- anteil des Onlinehandels und die gleichzeitig erschwerten me), sozioökonomischer (Abwanderung durch Arbeitsplatz- Bedingungen für den inhabergeführten, stationären Einzel- verluste) und soziodemographischer Veränderungen (Demo- handel. Die hohen Mieten können sich nahezu ausschließ- graphischer Wandel, starke Suburbanisierungstendenzen und Published by Copernicus Publications for the Geographisch-Ethnographische Gesellschaft Zürich & Association Suisse de Géographie.
234 K. Schade et al.: Regenerierung von Innenstädten unter Schrumpfungsbedingungen dabei fehlender Bezug zur Innenstadt) sowie geringer per- Damit will diese Studie einerseits einen Beitrag zur Evaluati- soneller wie finanzieller Ressourcen noch größere Verlus- on als Methodik leisten, bei der qualitative Methoden bisher te in den Innenstädten zu verzeichnen (Ries, 2018; Bojarra- nur partiell zum Einsatz kamen (von Kardorff und Schön- Becker et al., 2017; BBSR, 2012). Viele dieser Städte befin- berger, 2020: 140). Andererseits wird die Klein- und Mittel- den sich in einem Zustand von Existenzsicherung und Kon- stadtforschung in den Blick genommen, die in den vergange- solidierung ihres Finanzhaushaltes statt von zukunftsgerich- nen Jahrzehnten zunächst vernachlässigt wurde und seit ei- teter, strategischer Stadtplanung. Für eigene Projekte und In- nigen Jahren eine Renaissance erfährt (Altrock et al., 2020; vestitionen in die Innenstadtentwicklung fehlen finanzielle Harfst und Wirth, 2014). Mittel, dementsprechend stark sind Klein- und Mittelstäd- Die Studie bedient sich einer mehrstufigen Methodik, wel- te von Förderinstrumenten abhängig, beispielsweise im Rah- che neben kartographischen Methoden zu den 450 Projekten men der Städtebauförderung (Wiesner, 2018: 48). Jedoch ste- auch 40 qualitative, leitfadengestützte Experteninterviews hen dem meist hohen administrativen Aufwand einer Be- einbindet. Außerdem wurden Vor-Ort-Begehungen in Ver- werbung zur Förderung die knappen personellen Ressour- bindung mit 19 qualitativen Interviews mit lokalen Akteuren cen der Städte gegenüber (Schneider et al., 2018: 10). Es be- durchgeführt. Zunächst wird jedoch in Abschnitt 2 die Si- darf daher eines kontinuierlichen Monitorings von Förderin- tuation von Innenstädten in Sachsen beleuchtet. Der Fokus strumenten in der Stadtentwicklung (ex-post), weil nicht je- dieser Betrachtung liegt auf Klein- und Mittelstädten, weil de Förderstrategie (für Klein- und Mittelstädte) wirksam zu diese Stadtgrößen aktuell am stärksten von Schrumpfungs- sein scheint (Busch et al., 2018: 276). Ziel muss es sein, be- prozessen betroffen sind und spezifischen Herausforderun- stehende Instrumente zu optimieren (Diller, 2018: 296), um gen obliegen. Außerdem bilden sie die Mehrzahl der teil- sie auch auf die Bedarfe von Klein- und Mittelstädten zuzu- nehmenden Städte an AMS. Daran anschließend wird AMS schneiden. vorgestellt und in die bestehende Förderkulisse eingeordnet Ein Beispiel für eine Fördermaßnahme zur Regenerierung (Abschnitt 3). Der vierte Abschnitt beleuchtet die gewählte von Innenstädten, der es gelingt, eine Vielzahl von Klein- Methodik mit dem Ansatz der Evaluation. Abschnitt 5 be- und Mittelstädten einzubinden, ist der Wettbewerb „Ab in die schreibt die Ergebnisse der Studie und diskutiert die Rolle Mitte! Die City-Offensive Sachsen“ (AMS). Die von einer von AMS für Klein- und Mittelstädte sowie Erfolgsfakto- Public-private-Partnership organisierte, in Form eines Städ- ren und Hemmnisse aus Akteursperspektive. Der letzte Ab- tewettbewerbs ausgerichtete Initiative spiegelt einerseits die schnitt fasst die Ergebnisse zusammen und diskutiert inhaltli- steigende Bedeutung privater Unternehmen in der Stadtent- che sowie konzeptionelle Handlungsempfehlungen für AMS. wicklung wider (Kleine-König, 2018: 4). Andererseits för- dert AMS vor allem Projekte, die Austauschbeziehungen zwischen Bürgern, Multiplikatoren und Institutionen hervor- 2 Herausforderungen für Innenstädte von Klein- und bringen (Ab in die Mitte, 2020). Dies entspricht der in dieser Mittelstädten in Sachsen Studie verstandenen Form von „Regenerierung“ als Prozess, die neben einer physisch-materiellen bzw. städtebaulichen Wachstum und Schrumpfung sind in Deutschland ungleich Form eine immateriell-kommunikative Ausrichtung nachhal- verteilt (Abb. 2). Auch wenn sich Schrumpfungs- und tiger Stadtplanung unter Einbeziehung vielfältiger Akteure Wachstumsprozesse nicht ausschließlich in eine Ost-West- verfolgt (Bürkner et al., 2005: 7). Logik einordnen lassen, so fallen die ostdeutschen Bundes- AMS richtet sich an Städte aller Größenklassen und unter- länder dennoch durch eine höhere Anzahl an schrumpfenden stützt Projekte in den Bereichen Einzelhandel, öffentlicher Regionen und eine zum Teil stärkere Schrumpfungsintensität Raum sowie Kultur und Freizeit (Ab in die Mitte, 2020). auf (BBSR, 2015: 6). Außerdem zeigt sich, dass Schrump- Trotz der Langfristigkeit (seit 2004 ununterbrochen durch- fungsprozesse bei kleineren Städten stärker ausgeprägt sind, geführt) und der insgesamt hohen Anzahl teilnehmender Pro- insbesondere, wenn sie weiter entfernt vom nächstgrößeren jekte (n = 450) wurde AMS bisher keiner umfassenden wis- Zentrum liegen (BBSR, 2018). Das Siedlungssystem Ost- senschaftlichen Untersuchung unterzogen. Ziel des vorlie- deutschlands ist weiträumiger, Städte unterschiedlicher Grö- genden Beitrages ist es deshalb, die Fördermaßnahme AMS ßen sind weiter voneinander entfernt, und Klein- und Mit- ex-post zu evaluieren. Die Evaluation dient der Beantwor- telstädte sind in der Regel kleiner als in der alten Bundesre- tung folgender Forschungsfragen: publik. Aus raumplanerischer Perspektive beginnt Forschung zu ostdeutschen Mittelstädten beispielsweise schon bei Städ- – Welche Erfolgsfaktoren und Hemmnisse ergeben sich ten mit einer Größe von 15 000 Einwohnern und reicht bis im Wettbewerbsprozess aus Akteursperspektive? zu einer Größe von 100 000 Einwohnern, während westdeut- – Welche Rolle spielt AMS für die Beteiligung von Klein- sche Mittelstädte sich zwischen 50 000 und 250 000 Einwoh- und Mittelstädten? nern bewegen (Lindner, 2010: 37). Diese Sonderrolle ostdeutscher Städtelandschaften äußert – Wie sehen konkrete Handlungsempfehlungen zur Ver- sich auch auf kleinräumiger Ebene wie den Innenstädten, de- besserung des Wettbewerbsprozesses aus? ren Herausforderungen zurückzuführen sind auf eine histori- Geogr. Helv., 76, 233–248, 2021 https://doi.org/10.5194/gh-76-233-2021
K. Schade et al.: Regenerierung von Innenstädten unter Schrumpfungsbedingungen 235 len Entwicklung des Bundeslandes und den zuvor beschrie- benen Transformationsprozessen herleiten. Sachsen tritt ei- nerseits als ostdeutsches Flächenland mit einer relativ großen Anzahl an Klein- und Mittelstädten und sogar der höchs- ten Bevölkerungsdichte hervor, welche höher als der EU- Durchschnitt ist und sich nahe dem bundesdeutschen Mittel- wert befindet (Sächsische Staatskanzlei, 2020: 5). Anderer- seits ist Sachsen zwischen 1991 und 2018 das Bundesland mit dem viertstärksten Bevölkerungsrückgang (−13, 6 %; Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, 2020: 6). Dadurch kommt es zu einer hohen Ausprägung und Wahr- nehmung des Funktionsverlustes der Innenstädte. Viele der sächsischen Städte kämpfen mit ähnlichen Herausforderun- gen der Schrumpfung und konkurrieren um Arbeitsplätze und wirtschaftliche Entwicklung in den Innenstädten. Das hat besonderen Einfluss auf die Stadt- sowie Raumentwick- lungspolitik in Sachsen, was dazu führt, dass sich unter- Abb. 1. Die Bedeutung von Klein- und Mittelstädten in Deutsch- land. Eigene Darstellung. Datengrundlage: BBSR (2012). schiedlichste Akteure mit diesen Herausforderungen ausein- andersetzen und Maßnahmen innerhalb von Stadtplanungs- strategien diskutieren. Zur Regenerierung (ostdeutscher) Innenstädte sind zwei sche, regionsspezifische Entwicklung nach der Wende sowie Strategien von Bedeutung. Erstens sollten Politik und Stadt- globale Transformationsprozesse. verwaltung die Innen- vor der Außenentwicklung fördern Die Sanierung ostdeutscher Innenstädte seit 1990 verzö- (Meinel et al., 2013: 4). Zweitens benötigen betroffene Städ- gerte sich aufgrund von ungeklärten Eigentumsverhältnis- te innovative Konzepte, die unter Einbeziehung der Bevölke- sen und fehlendem Eigenkapital der privaten Hausbesitzer. rung entwickelt werden und sich mit der Frage beschäftigen, Verstärkt wurden stagnierende innerstädtische Investitionen wie der Leerstand in der Mitte gefüllt werden kann (ARL, durch staatliche Förderungen von Neuerschließungen und - 2020: 2). Durch die Einbindung der Bürgerschaft steigt das bebauungen von Flächen am Stadtrand (Suburbanisierung Verantwortungsbewusstsein für die eigene Kommune sowie bzw. Deurbanisierung; von Beyme, 2001: 155–166; Weith der Qualitätsanspruch und die Motivation zur Entwicklung und Strauß, 2017: 127–128). Die damit verbundene struktu- der Innenstadt (Hartwig, 2014: 3). Es ist das Ziel zahlreicher relle Schwächung von Kernstädten wird in der Wissenschaft öffentlicher Förderinstrumente, ebendiese Entwicklungspro- als Donut-Effekt bezeichnet und meint damit eine Verödung zesse zu initiieren und zu unterstützen (Wiesner, 2018: 54). der Innenstädte (Michaeli, 2017). Die Bestandsimmobilien Die Entstehung des Städtewettbewerbs „Ab in die Mitte! Die in der Innenstadt finden keine Käufer, während am Stadtrand City-Offensive“ (AM) in Deutschland und dessen besondere neu gebaut wird (Nagel, 2018: 22). Durch Alterung der in Rolle im Bundesland Sachsen ist vor dem Hintergrund der Innenstädten lebenden Bewohner und eine monofunktiona- beschriebenen, spezifischen Herausforderungen naheliegend le Siedlungserweiterung mit Ausbildung eigener Subzentren und verdeutlicht die Rolle der Förderinstrumente in diesem an den Stadträndern entleeren sich identitätsprägende Innen- Entwicklungsprozess. städte, und Handelsflächen werden unattraktiv für Gewerbe- treibende (Dünkel et al., 2019: 109). Durch den daraus re- sultierenden Verfall entstehen ein schlechtes Image und ei- 3 Beschreibung und Einordnung des ne sinkende Bereitschaft potentieller Bewohner, in betroffe- Städtewettbewerbs AMS ne Innenstädte zu ziehen. Eine entscheidende Folge dieser Entwicklung ist, dass die für eine Kernstadt typische Bün- Wettbewerbsverfahren haben sich seit den 1990er Jahren zu delung von öffentlichen Einrichtungen, Handel und Gastro- einem der gängigsten Mittel etabliert, um Ressourcen für nomie heute in vielen Klein- und Mittelstädten nur noch mi- die Stadtentwicklung zu verteilen (Taylor et al., 2001: 45). nimal vorhanden ist. Der Einzelhandel als Impulsgeber für Neoliberale Logiken und der Wandel vom hierarchisch orga- lebendige Innenstädte funktioniert nicht mehr in dieser Rol- nisierten Steuerungsstaat zum „enabling state“ (Gilbert und le (Mensing, 2019: 192). Dies geht neben Suburbanisierung Gilbert, 1989) stellen den Kontext dieser Entwicklung dar. auch auf globale Transformationsprozesse wie die Bedeu- Trotz der Popularität städtischer Wettbewerbe beobachten tungszunahme des Onlinehandels zurück (Abschnitt 1; Scha- Cowley und Joss (2020: 1), dass Wettbewerbsverfahren in de et al., 2018: 147). der Forschung nicht ausreichend untersucht werden. Die besondere Situation der Innenstädte, speziell der Fördermaßnahmen mit Stadtentwicklungsbezug sind Klein- und Mittelstädte Sachsens, lässt sich aus der regiona- durch ihre Vielfalt in Bezug auf Form und Fokus ge- https://doi.org/10.5194/gh-76-233-2021 Geogr. Helv., 76, 233–248, 2021
236 K. Schade et al.: Regenerierung von Innenstädten unter Schrumpfungsbedingungen Abb. 2. Wachsende und schrumpfende Städte und Gemeinden in Deutschland, Wanderungssaldo 2011–2016. Eigene Darstellung, Daten- grundlage: BBSR (2018). kennzeichnet. Das Ringen um den Austragungsort der mente der klassischen Städtebauförderung in Deutschland er- Olympischen Spiele gilt hierbei als höchster Preis im inter- fuhren bereits eine wissenschaftliche Begleitung, während nationalen Wettbewerb (Gold und Gold, 2008: 300). Auch andere Programme meist weniger Betrachtung erfahren (sie- auf anderen Ebenen werden unterschiedlichste Formate he z.B. Blume et al., 2004). durchgeführt, wie beispielsweise die „Kulturhauptstadt Der Wettbewerb „Ab in die Mitte! Die City-Offensive“ in Europas“ der Europäischen Union (Bıçakçı, 2012). In Deutschland steht im Kontrast zu den genannten klassischen Deutschland bestehen nationale Programme wie „Aktive Programmen. Er entstand 1999 in Nordrhein-Westfalen und Stadt- und Ortsteilzentren“, „Stadtumbau“ oder „Städ- wurde kurz darauf auch in Hessen und Niedersachsen (2003), tebaulicher Denkmalschutz“ (Böhme et al., 2018: 218), Sachsen (2004) sowie Berlin (2005) aufgegriffen (Ferger- deren Ziel der Abbau räumlicher Disparitäten ist (Wiesner, Heiter und Mandac, 2011: 302). Übergeordnetes Ziel von 2018: 39–57). Diese nationalen Programme stellen das „Ab in die Mitte! Die City-Offensive“ ist es, die Attraktivität endogene Potenzial und die Selbstmotivation der Regionen der Innenstädte in Deutschland zu erhöhen, um Erlebnisqua- in den Fokus. Auf regionaler Ebene sind zum Beispiel die lität und Verweildauer zu steigern. Die konkrete Ausgestal- „Regionale“ in Nordrhein-Westfalen (MHKBG, 2021) und tung von „Ab in die Mitte! Die City-Offensive“ ist in den je- „Ab in die Mitte! Die City-Offensive“ zu nennen. weiligen Bundesländern unterschiedlich. In Sachsen sind die So unterschiedlich diese Programme sind, folgen sie den- Hauptsponsoren das Sächsische Staatsministerium für Wirt- noch der Antragslogik. Städte oder Gemeinden formulieren schaft, Arbeit und Verkehr sowie seit 2020 das Sächsische einen Antrag und erhalten anschließend ggf. Finanzhilfen. Staatsministerium für Regionalentwicklung, die drei säch- Wie viele erfolgreiche Bewerbungen es gibt bzw. welchen sischen Industrie- und Handelskammern (sIHK), die säch- Umfang die Unterstützungen haben, hängt dabei sehr stark sischen Volksbanken Raiffeisenbanken, die Edeka Grund- ab von den Spezifika des jeweiligen Wettbewerbs. Die Ele- stücksgesellschaft Nordbayern-Sachsen-Thüringen, die MK Geogr. Helv., 76, 233–248, 2021 https://doi.org/10.5194/gh-76-233-2021
K. Schade et al.: Regenerierung von Innenstädten unter Schrumpfungsbedingungen 237 Illumination Handels GmbH sowie die w3work – Agentur 4 Methodik für Online Marketing. Der Wettbewerb wird unter einem jährlich wechselnden Motto ausgerufen und durch den so- Die Evaluation als Methode ist in der Stadtentwicklung stark genannten Initiativkreis organisiert. Dieser besteht aus Spon- verankert, vor allem bei der Beurteilung der Effekte von För- soren und Unterstützern, darunter der Freistaat Sachsen, die derprogrammen (Bornhorst, 2014: 796). Grundsätzlich wird sIHK und diverse sächsische Unternehmen, die neben Preis- unter Evaluation sowohl der Prozess als auch das Resultat geldern auch Sachpreise einbringen. Daneben unterstützen einer Bewertung verstanden (von Kardorff und Schönber- Hochschuleinrichtungen mit begleitender Forschung (Uni- ger, 2020: 139). Die Herausforderung ist hierbei, dass Evalu- versität Leipzig, HTWK Leipzig, TU Bergakademie Frei- ierende unterschiedlichsten Anforderungen gerecht werden berg). Zudem organisiert der Initiativkreis den Ablauf des ge- müssen. Plausibilität wird zwar als grundlegende Maxime samten Wettbewerbs, inklusive Eröffnungs- und Abschluss- verwendet, um Reliabilität und Validität zu wahren. Der Be- veranstaltung nebst Workshops für teilnehmende oder in- griff an sich ist jedoch in diesem Kontext noch nicht wei- teressierte Städte. Teilnahmeberechtigt sind Städte und Ge- ter definiert und führt zu Intransparenz (Kleinoscheg, 2020: meinden im Freistaat Sachsen. Auch private und institutio- 372). Es verwundert deshalb nicht, dass Evaluationen zum nelle Gemeinschaften können Projektinitiatoren und -träger Teil als „rudimentär“ (Jacoby, 2009: 1) gelten und mit me- sein, was dem Netzwerkgedanken von AMS entspricht. Ei- thodischen Schwächen behaftet sind. Da es keine standardi- ne Zustimmung bzw. Mitwirkung der Stadt muss allerdings sierte Herangehensweise für Evaluationen gibt, erscheint die nachgewiesen werden. Die eingereichten Beiträge werden Herleitung und Begründung der Methodenwahl im Einzelfall von einer Expertenjury mit Vertretern aus Wissenschaft, umso wichtiger (von Kardorff und Schönberger, 2020: 140). Wirtschaft und Politik bewertet. Das Preisgeld (EUR 110 000 Die hier vorgestellte Evaluation basiert auf einer zwei- für 2019) und die Sachpreise (z.B. Technik und Hardware für stufigen Herangehensweise. Ziel ist es, Fallstudien für die städtische Außenbeleuchtung) werden unter mehreren Preis- tieferführende Untersuchung zu ermitteln, die eine möglichst trägern aufgeteilt (Ab in die Mitte, 2020). große Bandbreite an Projektthemen im Wettbewerb abbilden, Bislang wurde „Ab in die Mitte! Die City-Offensive“ in um so Erfolgsfaktoren und Hemmnisse abzuleiten. den jeweiligen Bundesländern mit unterschiedlichem Aus- Arbeitsbaustein I ist durch eine quantitative, auf sekundär- maß wissenschaftlich begleitet und analysiert. So bestehen statistischen Daten basierenden Analyse gekennzeichnet. einerseits wissenschaftliche Beiträge, welche den Stellen- – Aus der Gesamtheit von 450 Teilnahmen an AMS zwi- wert des Städtewettbewerbs zur Förderung des Stadtmar- schen 2004 und 2018 wurden zunächst die 80 Projekte ketings und der Innenstadt hervorheben (siehe z.B. Hauff, ausgewählt, deren Umsetzung entweder ganz oder teil- 2003: 43; Kuron, 2002: 28; Strubel, 2019: 224). Anderer- weise erfolgte. seits wurden Fallstudien erarbeitet, die konkrete Teilnehmer- projekte analysieren und diese hinsichtlich unterschiedlicher – Im nächsten Schritt wurden diese nach dem Umset- Aspekte evaluieren (z.B. Einberger, 2015; Slawinski, 2011). zungsgrad und der Verfügbarkeit der Ansprechpartner Der Städtewettbewerb in Sachsen wurde diesbezüglich nur in sortiert. Betrachtet wurde hierbei nur der Zeitraum von Ausschnitten kurz nach seiner Entstehung beleuchtet (Weid- 2004 bis 2010. Dies hat einerseits den Grund, dass mög- ner und Dornbusch, 2006). Seitdem mangelt es an einer um- lichst vollständig umgesetzte Projekte analysiert wer- fassenden Gesamtbetrachtung. den sollen. Damit wird dem Ansatz einer summativen Als Herausforderung für ein Monitoring von Förderin- Ex-post-Untersuchung gefolgt (Wiechmann und Beier, strumenten mit Stadtentwicklungsbezug wird beschrieben, 2004: 388). Andererseits steht die Nachhaltigkeit die- dass aufgrund der heterogenen Ausgangslage und komple- ser Projekte im Mittelpunkt, sodass eine gewisse zeit- xen Prozesse bisher kaum gemeinsame Grundverständnis- liche Distanz zwischen Projektende und Zeitpunkt der se bestehen. Jedoch nimmt die Bedeutung der Projekte- Befragung eingehalten werden muss. Darüber hinaus valuation wegen knapper werdender finanzieller Mittel zu wurden maximal zwei Projekte pro Stadt berücksichtigt, (Göddecke-Stellmann, 2007: 99). Auch in der Bundesregie- um möglichst viele unterschiedliche Standorte betrach- rung steigt das Bewusstsein für vergleichbare Monitoringan- ten zu können. sätze (BMVBS, 2011). Die Erfassung von Effekten öffentli- cher Förderung ist jedoch komplex, da sie schwer zu isolie- – Mit den aus der Auswahl resultierenden 40 Projek- ren sind bzw. unscharf zwischen Anstoß-, Kausalitäts- und ten wurde je ein kurzes Telefoninterview (ca. 30 min) Mitnahmeeffekten unterschieden werden kann (Lessat et al., mit beteiligten Akteuren der Stadtverwaltungen geführt. 1996: 5). Aus diesem Grund wählt die vorliegende Untersu- Um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten, kam dabei chung einen sowohl quantitativen als auch qualitativen Zu- ein Interviewleitfaden zum Einsatz (Helfferich, 2011: gang, um aus Akteursperspektive Wirkungsketten zu identi- 40), der unter anderem die Aspekte Projektausrichtung, fizieren und AMS zu evaluieren. kooperierende Partner, akquirierte Mittel, Funktionali- tät sowie touristische Effekte beinhaltet. Basierend auf den Aussagen der Akteure wird die Intensität der Pro- https://doi.org/10.5194/gh-76-233-2021 Geogr. Helv., 76, 233–248, 2021
238 K. Schade et al.: Regenerierung von Innenstädten unter Schrumpfungsbedingungen jekteffekte in fünf Stufen bewertet. Aus der Bewertung Teilnehmerstädte. Noch nicht oder selten teilnehmende der vier Einzeleffekte (1. städtebauliche/funktionale Ef- Kommunen werden hingegen vernachlässigt oder sind unter- fekte, 2. Folgeinvestitionen, 3. Kooperation der Projekt- repräsentiert, obwohl von Interesse ist, was mögliche Hemm- partner, 4. Touristische Effekte) ergibt sich jeweils eine nisse für eine Nicht-Teilnahme sind. Dementsprechend kann Bewertung des Gesamteffekts. Letzterem gegenüberge- die Studie nur den Anspruch erheben, aus Teilnehmerper- stellt wird der eingeschätzte Gesamtumfang des Projek- spektive die Faktoren für Erfolg bzw. Misserfolg im Wett- tes, um die erzielten Effekte besser einordnen zu kön- bewerb abzubilden. Andererseits wurden mit Hilfe der qua- nen. Abbildung 3 visualisiert diese Ergebnisse mithil- litativen Interviews die Perspektiven von Projektteilnehmern fe einer Entscheidungsmatrix, welche sich aus den vier untersucht. Die so generierten Erzählungen sind dementspre- Einzelkriterien zusammensetzt. In dieser Matrix haben chend stark subjektiv gefärbt, was zu Verzerrungen in der solche Projekte erfolgreich abgeschnitten, die im Ver- Bewertung der jeweiligen AMS-Projekte führen kann. Das gleich zu ihrem Umfang einen großen Gesamteffekt er- Ziel dieser Studie ist jedoch die Analyse ebendieser inter- zielen konnten. nen Sichtweisen, um Erfolgsfaktoren und Hemmnisse in der Teilnahme am AMS-Wettbewerb nachzuvollziehen. Höhere In Arbeitsbaustein II findet eine weitere Filterung der 40 Objektivität und Vergleichbarkeit wurde nach Möglichkeit ausgewählten Projekte statt. mit dem Führen von mindestens zwei Interviews mit unter- – Dabei werden zunächst die vier Projekte selektiert, de- schiedlichen Akteuren je Stadt angestrebt. nen in den vier genannten Kriterien (Abb. 3) jeweils die größten Effekte zugeschrieben werden. 5 Akteursperspektiven: Ergebnisse der Kartierung und qualitativen Interviews – Anschließend werden drei Projekte ausgewählt, die im Vergleich die größten Gesamteffekte erzielen. Auf Basis der Entscheidungsmatrix und der qualitativen In- – Zuletzt erfolgt eine Auswahl von drei Projekten, bei de- haltsanalyse beschreibt dieser Abschnitt die räumliche Ver- nen interne Konflikte bestehen und die deshalb zu kei- teilung aller AMS-Projekte im Zeitraum von 2004 bis 2018 ner erfolgreichen Umsetzung führten. und die Rolle von AMS für Klein- und Mittelstädte (5.1) so- wie Erfolgsfaktoren (5.2) und Hemmnisse (5.3) des Städte- Für diese zehn Projekte erfolgt eine tiefergehende qualitative wettbewerbs aus Akteursperspektive. Untersuchung mit Vor-Ort-Begehungen und mehreren leitfa- dengestützten Interviews mit lokalen Akteuren. Je nach Ver- 5.1 Räumliche Verteilung und Rolle von AMS für Klein- fügbarkeit der Ansprechpartner wurden vor Ort ein bis drei und Mittelstädte weiterführende Interviews mit beteiligten Vereinen, Privat- personen oder weiteren involvierten Mitarbeitern der Stadt Wie in Abb. 4 erkennbar, beteiligen sich zwischen 2004 und geführt (insgesamt 19 Interviews). Die Methode des Exper- 2018 Städte aller Größenklassen an AMS. Die Größe der teninterviews (Hernández Sempieri et al., 2010: 418) ermög- Teilnehmer reicht dabei von Großstädten mit über 500 000 licht es hierbei, Erzählanreize mit Hilfe von Schlüsselfragen Einwohnern bis hin zu Gemeinden mit unter 5000 Einwoh- zu setzen (Gill et al., 2008: 291), ohne dabei das eigentliche nern. Somit lassen die Wettbewerbsmodalitäten grundsätz- Ziel der Befragung aus den Augen zu verlieren. Gleichzeitig lich eine Beteiligung jeden Stadttyps zu. Auffällig ist je- gewährleisten die offenen Leitfragen dem Interviewer, fle- doch, dass 84 % aller teilnehmenden Kommunen Klein- und xibel auf Aspekte einzugehen, welche möglicherweise noch Mittelstädte sind, wobei diese lediglich 37 % aller politisch nicht vor dem Interview beachtet wurden (Helfferich, 2011: selbstständigen Gemeinden in Sachsen darstellen (Statisti- 179). Das methodische Ziel ist es, Meinungen, Erfahrungen sches Landesamt des Freistaates Sachsen, 2020). Darüber und Denklogiken nachzuzeichnen (Flick, 2004). Die Aus- hinaus lassen sich regionale Unterschiede bezüglich der Häu- wertung des Arbeitsbausteins II erfolgt in Form einer qua- figkeiten der Teilnahmen identifizieren. Zwar gibt es grund- litativen Inhaltsanalyse (Kuckartz, 2018) mittels MAXQDA, sätzlich Teilnehmer in jeder Region Sachsens. Die höchste bei welchem unter Einbezug von Codes ein Kategoriensys- räumliche Konzentration lässt sich jedoch in Südwestsach- tem aufgebaut wird (Gläser und Laudel, 2010: 197). sen ausmachen (vgl. Abb. 4). Der direkte Vergleich zwischen Mit dieser Herangehensweise sollen Erfolgsfaktoren und dem Anteil an allen sächsischen Gemeinden und dem An- Hemmnisse aus Akteursperspektive herausgefiltert werden teil an Teilnehmerstädten an AMS zeigt zudem, dass die Re- und damit ein Beitrag für die zukünftige Ausgestaltung des gion Leipzig-Nordsachsen und Dresden-Oberes Elbtal hö- Wettbewerbs AMS geleistet werden. Gleichzeitig können here Teilnahmequoten erzielen, als ihr Anteil an Gemein- mithilfe der Erkenntnisse aus den Interviews Rückschlüsse den in Sachsen beträgt. Obwohl Ostsachsen 26,3 % aller auf die Rolle von AMS für sächsische Klein- und Mittelstäd- sächsischen Gemeinden stellt, umfasst die Region lediglich te gezogen werden. 15,4 % aller AMS-Städte (vgl. Tab. 1). Die Annahme, dass Die vorgestellte Methodik ist aus mindestens zwei Grün- eine hohe Teilnahmequote an AMS mit der Intensität der den limitiert. Einerseits konzentriert sie sich lediglich auf Schrumpfungsprozesse in den jeweiligen Regionen zusam- Geogr. Helv., 76, 233–248, 2021 https://doi.org/10.5194/gh-76-233-2021
K. Schade et al.: Regenerierung von Innenstädten unter Schrumpfungsbedingungen 239 Abb. 3. Ausschnitt der Entscheidungsmatrix. Eigene Darstellung. menhängt, kann dabei nicht bestätigt werden. So weisen die gung dieser Stadttypen bei AMS lässt darauf schließen, dass Oberlausitz und Südwestsachsen einen vergleichbaren Be- die Wettbewerbsbedingungen von Vorteil für Klein- und Mit- völkerungsrückgang und gleichzeitig unterschiedliche Teil- telstädte sind. Kleinere Städte verfügen i. d. R. über enge nahmeintensitäten an AMS auf. Netzwerke und direkte Kontakte unter städtischen Akteuren, Die Bedeutung von AMS ist je nach Stadtgröße verschie- was die Abstimmung im Wettbewerb, in den einzelnen Pro- den, wenngleich alle Stadttypen sich beteiligen. Besonders jektphasen, von der Initiierung bis zur Umsetzung erleichtert Klein- und Mittelstädte profitieren von dieser Form des Wett- (Franke et al., 2020: 28). Zudem bleiben die Ausstrahlungs- bewerbs. Im Allgemeinen nehmen die Befragten in diesen effekte in Großstädten im Vergleich geringer, was insbeson- Städten es als schwieriger wahr, Erfolge in städtebaulichen dere auf den geringen finanziellen Spielraum der Förderung Wettbewerben zu verzeichnen. Die dennoch hohe Beteili- und den Umfang der Projekte im Vergleich anderer großstäd- https://doi.org/10.5194/gh-76-233-2021 Geogr. Helv., 76, 233–248, 2021
240 K. Schade et al.: Regenerierung von Innenstädten unter Schrumpfungsbedingungen Tabelle 1. Regionen in Sachsen und ihre Anteile an sächsischen Gemeinden und Projektbeteiligungen bei AMS. Eigene Berechnung. Da- tengrundlage: Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen (2020) und Ab in die Mitte Sachsen (AMS) (2020). Regionen Einwohner Bevölkerungs- Fläche Bevölker- Anzahl Anteil an allen Teilnehmer- Anteil an AMS [EW] entwicklung [km2 ] ungsdichte Gemeinden Gemeinden städte AMS Teilnehmer- 1990–2015 [%] [EW/km2 ] Sachsens [%] städten [%] Südwestsachsen 1 436 445 −21,6 6528 220 183 43,7 59 45,4 Leipzig-Nordsachsen 1 043 293 −5,4 3978 262 61 14,6 27 20,8 Dresden-Oberes Elbtal 1 042 425 −3,5 3437 303 65 15,5 24 18,5 Ostsachsen 553 663 −25,1 4507 123 110 26,3 20 15,4 tischer Projekte zurückzuführen ist. Dementsprechend ist die sind ein verlässlicher Partner“. Somit profitieren die Städ- mediale und gesellschaftliche Anerkennung des Wettbewerb- te von der Teilnahme am Wettbewerb, während gleichzei- serfolgs in Klein- und Mittelstädten vergleichsweise höher tig AMS von motivierten Städten gestärkt wird. Die Orga- einzuschätzen und führt zur Motivation einer Wiederbewer- nisation von AMS als Public-private-Partnership scheint zu bung bei AMS (Lobeck et al., 2009: 269). dieser Bindung entscheidend beizutragen, wenn Städte sich als Partner bezeichnen. Die vielfältigen Akteure von AMS selbst ermöglichen eine breite Kommunikation auf Augen- 5.2 Erfolgsfaktoren höhe. Dies steht im Gegensatz zur Hierarchie, die nationale Die Erkenntnisse über Erfolgsfaktoren von AMS beziehen Förderprogramme mit sich bringen, und trägt zu einer posi- sich in erster Linie auf Argumente für die Teilnahmemotiva- tiven Kommunikation der Städte über den Wettbewerb bei. tion. Zunächst bietet die Teilnahme an AMS einen finanziel- Das ist ein Hinweis auf gelingende Governance zwischen len Anreiz, denn einige Städte können ihre Projekte nur mit- AMS und den städtischen Akteuren (Nuñes, 2017; Hospers, hilfe von Preisgeldern realisieren. Die Finanzmittel können, 2017). Es entsteht aber auch eine Verbindung der Städte, da gemessen an dem zum Teil hohen Aufwand, in den Phasen der Wettbewerb die Kommunikation der Städte untereinan- der Projektinitiierung (Akteursansprache), Projektentwick- der ermöglicht. Die durch das Jahr vom Initiativkreis organi- lung (Einbettung in Stadtplanungsstrategien, konzeptioneller sierten Veranstaltungen sind eine intensiv genutzte Plattform Rahmen, Kooperationen) und Projektumsetzung eher mit ei- für sowohl teilnehmende als auch lediglich interessierte Städ- ner Aufwandsentschädigung verglichen werden. Dafür kön- te. Die Städte tauschen sich über aktuelle Herausforderungen nen mehrere Städte Preisgelder gewinnen, was die Beteili- aus und erhalten Hilfestellungen bei der Bewältigung der An- gung wiederum attraktiver macht. Zudem können Preisgelder forderungen an die AMS-Teilnahme. Die Mehrheit der eva- aus AMS mit Städtebaufördermitteln kombiniert werden, um luierten Städte steht vor ähnlichen Herausforderungen und beispielsweise ein Anschlussprojekt zu finanzieren. In diesen sieht durch AMS die Möglichkeit, voneinander zu lernen und Fällen hält sich auch der Aufwand für AMS in Grenzen, da zu profitieren. Ein Stadtvertreter einer Mittelstadt erklärte, ein Grundkonzept bereits vorliegt. Nicht selten gelingt da- er sei „sehr interessiert (daran), was andere Städte einrei- durch sowohl die städtebauliche Sanierung als auch die In- chen, weil im Endeffekt kämpfen wir um dasselbe Problem vestition in weiche Standortfaktoren wie die Wiederbelebung und es gibt kein größeres Lob, als wenn man abgekupfert eines Geschäftes in der Innenstadt. wird, weil’s eine gute Idee ist“. Die Aussage verdeutlicht, Neben der Ansprache weicher Standortfaktoren erreicht wie bedeutend die Ausführung eines offenen bzw. transpa- AMS auch eine Bindung der teilnehmenden Städte an den renten Wettbewerbes ist. Diese Ausrichtung von AMS ent- Wettbewerb. Dafür spricht laut einiger Interviewpartner die spricht damit einer endogenen Planungsstrategie auf regio- Rolle von AMS bei der Identitätsbildung der Städte. Al- naler Ebene (Gärtner und Brandt, 2020: 256; Kamleithner, leinstellungsmerkmale können kreativ entwickelt, etabliert 2009: 38; Foißner, 2000: 300). und möglicherweise in Folgeprojekten weiterverfolgt wer- Aufgrund der Verschneidungsmöglichkeiten mit anderen den. Die Bindung der Akteure an AMS lässt sich womög- Förderprojekten können Projektideen innerhalb bereits vor- lich durch den emotionalen Charakter eines Städtewettbe- handener Themenfelder entwickelt und auf das jeweilige werbs, den Vergleich der Städte untereinander und den damit Wettbewerbsthema von AMS abgestimmt werden. Der Bür- im Zusammenhang stehenden Ehrgeiz erklären. Viele teil- germeister einer Kleinstadt erklärt, dass es die Projektideen nehmende Städte fühlen sich sogar gegenüber AMS verant- häufig sogar schon vor der Themenauslobung durch AMS wortlich und nehmen regelmäßig daran teil, um den Wettbe- gegeben hat, aber „AMS war der Impuls, eine richtige Aufga- werb zu stärken. Ein Stadtvertreter einer Mittelstadt in Sach- benstellung draus zu machen“. Zu dieser Möglichkeit, Pro- sen äußerte: „(. . . ) und deshalb jedes Jahr die Beteiligung, jekte „aus der Schublade“ zu nutzen, trägt auch die breite the- um einfach auch zu zeigen, um mal was zurückzugeben die- matische Ausrichtung von AMS bei. Dies ermöglicht einer- sem Wettbewerb, dieser Initiative (AMS), und zu sagen: Wir seits, dass sich zahlreiche Städte mit unterschiedlichen und Geogr. Helv., 76, 233–248, 2021 https://doi.org/10.5194/gh-76-233-2021
K. Schade et al.: Regenerierung von Innenstädten unter Schrumpfungsbedingungen 241 Abb. 4. Teilnehmende Städte und Gemeinden am Wettbewerb AMS in Sachsen. Eigene Darstellung. kreativen Projektideen beteiligen. Andererseits gewährleis- 5.3 Hemmnisse und Kritik tet es, dass Städte ihre Projektskizzen für AMS auf konkrete lokale Handlungsbedarfe anpassen. Diese Aussage verdeut- Abgesehen von den identifizierten Erfolgsfaktoren werden licht auch, dass die Anforderungen zur Teilnahme an AMS von den Befragten auch Kritikpunkte angesprochen. Die durchaus niedrigschwellig und umsetzbar sind, was von vie- meisten Projekte können allein durch die Preisgelder nicht len Interviewpartnern bestätigt wird. Ein weiterer Erfolgsfak- finanziert werden und es sind häufig noch weitere Förder- tor der Wettbewerbsbeteiligung sind städtebauliche Begleit- gelder für eine Umsetzung notwendig. Dies zeigt, dass die effekte, die sich zum Beispiel auf die Belebung der unmittel- nicht nur mögliche, sondern teilweise zwingende Verschnei- baren Nachbarschaft oder das Profitieren von Nutzungsüber- dung mit anderen Fördermöglichkeiten auch Risiken birgt. schneidungen und Synergieeffekten beziehen. Ein Ansprech- AMS ist deshalb als ein anreizgebendes Förderinstrument zu partner eines Kulturvereins einer Mittelstadt in Sachsen (vgl. betrachten, welches eher den Prozess der Ideenfindung un- Abb. 5) kann sich erinnern: „Als wir letztes Jahr das Open- terstützt und eine erste Phase der Projektumsetzung mit För- Air hier hatten, das war eine schöne Geschichte! Da hab’ dergeldern initiiert. In dieser Phase obliegt es den Städten, ich dann die Leute vom Management und von der Band ins weitere Fördermittel zu akquirieren und so die Nachhaltig- Hotel gefahren und da saß der ganze Biergarten noch voll keit der Projekte zu garantieren. nach dem Konzert (. . . )“. Diese Aussage verweist auf die In der Projektumsetzungsphase ergeben sich für einige In- Funktion von AMS zur Regenerierung von Innenstädten, im terviewpartner Interessenkonflikte, die sich zum einen zwi- Sinne einer zweiseitigen, d.h. materiellen (städtebaulichen) schen der Bevölkerung und der Stadt und zum anderen auch und immateriellen (funktionalen) Verbesserung (Bürkner et zwischen am Projekt beteiligten Akteuren ergeben. Ein An- al., 2005: 7), und stellt damit eine wertvolle Ergänzung zur sprechpartner eines beteiligten Vereins beschreibt die man- Städtebauförderung dar. gelnde kommunale Unterstützung als Hürde, welche den Er- folg des betreffenden Projektes maßgeblich beeinträchtigt hat. Interessanterweise ergeben sich zwischen AMS und den Städten sowie bei den Städten untereinander Verbesserungen https://doi.org/10.5194/gh-76-233-2021 Geogr. Helv., 76, 233–248, 2021
242 K. Schade et al.: Regenerierung von Innenstädten unter Schrumpfungsbedingungen Abb. 5. Ehemalige Bastion und umgestaltete Kulturbastion vor und nach Wettbewerbsbeteiligung an AMS. Fotografien: Uwe Narkunat (links) und Marcus Hübscher (rechts). hinsichtlich der Kommunikation und Bindung, während es men (Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen 2020). innerhalb der Städte zu Interessenkonflikten kommt. Diese Das würde bedeuten, zukünftig auch Kleinstadt-spezifische Konflikte könnten auf mögliche Ungleichgewichte der Part- Themen anzusprechen, da diese Städte aufgrund ihrer Größe ner zurückzuführen sein, welche auf hierarchischen Struktu- in aller Regel nicht über eine zu regenerierende Innenstadt ren beruhen (Bernt, 2009: 762). Das wurde in dieser Studie verfügen. Im Rahmen der theoretischen Ansätze um Quar- nicht näher untersucht, bietet aber einen interessanten An- tiersforschung und „Place-Konzepte“ (Vogelpohl, 2014) soll- knüpfungspunkt für weitere Forschung. te sich die Frage nach einer neuen Betrachtungsweise gestellt werden – von einer reinen Zentrums- hin zu einer Quartiers- betrachtung und somit einer möglichen Erweiterung der för- 6 Handlungsempfehlungen und derbaren Stadträume, wie es die Neue Leipzig Charta 2020 Schlussfolgerungen: Ideen für den zukünftigen aufgreift (Eurocities 2020). Diese Überlegung wird im Rah- Wettbewerb men konzeptioneller Ansätze (Abschnitt 6.2) noch einmal aufgegriffen. Basierend auf den beschriebenen Erkenntnissen in Ab- Aktuell findet AMS jährlich statt. Es ist zu prüfen, inwie- schnitt 5 beinhaltet dieser Abschnitt inhaltliche Handlungs- fern ein zweijähriger Wettbewerbsrhythmus zu besseren Ide- empfehlungen (Abschnitt 6.1) und konzeptionelle Ansätze en führt, da Projekte tiefer durchdacht und eingebettet wer- (Abschnitt 6.2) für die zukünftige Wettbewerbsgestaltung. den können und darüber hinaus mehr Zeit zur Interaktion innerhalb der Städte, mit anderen Städten und dem AMS- 6.1 Inhaltliche Handlungsempfehlungen für AMS Initiativkreis besteht. In diesem Zusammenhang ist die Rolle der Initiative als Prozessbegleiter zu stärken. Dies kann durch Eines der übergeordneten Ziele von AMS ist es, möglichst eine Intensivierung der Workshops (Häufigkeit in verschie- hohe Teilnehmerzahlen zu generieren. Hierbei zeigte die denen Wettbewerbsphasen) geschehen, was zwar mit einem räumliche Analyse im vorangestellten Abschnitt, dass die höheren Aufwand für alle beteiligten Akteure verknüpft wä- sächsischen Regionen mit unterschiedlicher Intensität an re, jedoch auch den kommunikativen Charakter des Wettbe- AMS teilnehmen. So ist zunächst die Frage zu stellen, wes- werbs stärken könnte. Städte könnten sich so nicht nur über halb derart ausgeprägte regionale Ungleichheiten in Bezug fertiggestellte Konzepte austauschen, sondern auch über den auf die Teilnahme bestehen. Anschließend müssen Strategi- Prozess der Ideenfindung. Ebendiese Funktion von AMS als en zur besseren Ansprache von Regionen entwickelt werden, Impulsgeber und Bindeglied kann noch deutlicher herausge- welche bisher weniger aktiv im Wettbewerb waren. Dies ist arbeitet und als Marketingansatz eingesetzt werden. insbesondere im Fall der Oberlausitz relevant, da die Region Bislang ist AMS so ausgestaltet, dass die reine Projektidee seit 1990 mehr als ein Viertel seiner Einwohner verloren hat bewertet wird. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass eine und damit stärker als alle anderen Teile Sachsens von Ab- Realisierung der eingereichten Vorhaben nach dem Wettbe- wanderung betroffen ist. werb den jeweiligen Städten überlassen ist und eine Nicht- Kleinere Gemeinden bis 5000 Einwohner bilden zwar Umsetzung entsprechend nicht sanktioniert wird. Es findet 62 % aller Regionen in Sachsen, stellen jedoch nur 13 % al- lediglich ein regelmäßiger Austausch zwischen einem Initia- ler Teilnehmerstädte in AMS dar. Der Wettbewerb muss sich tivkreismitglied und der jeweiligen Stadt statt, um einer zeit- deshalb grundsätzlich die Frage stellen, ob er auch für klei- nahen Umsetzung Nachdruck zu verleihen und ggf. Unter- nere Gemeinden attraktiver werden sollte, da diese immer- stützung bei auftretenden Problemen zu leisten. Indem eine hin über ein Viertel der sächsischen Bevölkerung einneh- Geogr. Helv., 76, 233–248, 2021 https://doi.org/10.5194/gh-76-233-2021
K. Schade et al.: Regenerierung von Innenstädten unter Schrumpfungsbedingungen 243 Tabelle 2. Anzahl der Preisträger und umgesetzter AMS-Projekte cher bereits durch den Teilnahmeprozess Beziehungen zwi- im Zeitraum 2004–2017. Eigene Berechnung, Datengrundlage: schen Städten entstehen. Dieser Austausch sollte jedoch über IHK zu Leipzig (2017). den Wettbewerb hinaus gestärkt werden. Die Kommunika- tion ist nicht nur in der Phase der Projektinitiierung wert- AMS-Projekte Anzahl Anteil an allen voll, sondern auch in der Umsetzungsphase. Daraus könnten AMS-Projekten [%] interkommunale Kooperationen entstehen, welche zwischen Gesamt 424 Klein- und Mittelstädten bisher wenig Beachtung finden. De- davon Preisträger 139 33 ren Verstetigung, in Form einer Kooperation von gleich star- davon umgesetzt 77 18,5 ken „Kleinen“, sollte unterstützt werden (Ries, 2018: 35). davon teilweise umgesetzt 74 17,5 Zur Förderung kleinerer Städte und Regionen sind weiterfüh- davon nicht umgesetzt 273 64 rende Netzwerke auch hinsichtlich gemeinsamer Projekte im Sinne einer Regional Governance interessant, beispielswei- se bei der gemeinsamen Einbindung von Akteuren aus zwei stärkere Verbindlichkeit von Städten in Bezug auf die Umset- Städten bzw. angrenzenden Regionen (Knipperts, 2017: 13). zung bei einer Teilnahme an AMS eingefordert wird, könn- Aus Sicht von AMS müsste dazu eine konzeptionelle An- te die Anzahl tatsächlich umgesetzter Projekte noch erhöht passung der Wettbewerbsbestimmungen erfolgen, da bisher werden. Im Zeitraum zwischen 2004 und 2017 wurden von keine Kooperationen zwischen Städten bzw. Städten und Re- insgesamt 424 eingereichten Projekten 74 teilweise (17,5 %) gionen gefördert werden können. und 77 vollständig (18,5 %) umgesetzt (Tab. 2). In der Sum- Hinsichtlich der Kreativität der Projekte bietet AMS den me entspricht dies einem Anteil von 36 %, was knapp über Rahmen für ein „out of the box“-Denken (Proaktiver Tea- der tatsächlichen Förderquote von 32,8 % liegt. Dies zeigt, meinsatz und „out of the box“ – Denken) (Boyd und Gold- dass ein kleinerer Anteil von Teilnehmern die jeweiligen berg, 2019: 17). Damit ist die Möglichkeit verbunden, krea- Projekte umsetzt, obwohl sie nicht finanziell gefördert wer- tive Projekte umzusetzen, die in der strategischen Stadtpla- den konnten. Taylor et al. (2001: 61) beobachten, wie für nung kaum vorgesehen sind. Die Empfehlung zum „proakti- einige Teilnehmer eine erfolglose Teilnahme an einem sol- ven“ Teameinsatz bzw. „bottom-up“-Ansatz (Freiling, 2019: chen Wettbewerb gleichzeitig negative Auswirkungen haben 30) bezieht sich zum Beispiel auf neue Potenziale wie die In- kann, wie bspw. Resignation oder Schuldzuweisungen un- spiration durch neue Akteure und die Motivation dieser, sich tereinander. Umso wichtiger ist es deshalb, die Perspektive aktiv zu beteiligen und dadurch kreativer zu denken und mit- dieser Städte stärker in den Blick zu nehmen, was Potenzial gestalten zu können (Eigeninitiative). Diesbezüglich scheint für weitere Forschung bietet. es ratsam, die Stadtbevölkerung an der Projektgestaltung teil- Einige Interviewpartner äußerten Kritik an der intranspa- haben zu lassen (Partizipation der Stadtbevölkerung). Viele renten Auswahl von Preisträgern. Die Transparenz und Ver- Städte arbeiten bereits eng mit der Bevölkerung zusammen, ständlichkeit des Wettbewerbsprozesses sind daher zu erhö- indem sie zum Beispiel kreative Workshops anbieten oder hen. Die genauen Vorstellungen über die einzureichenden Online-Umfragen durchführen. Auch Schulklassen wurden Projektbeiträge sollten knapp und übersichtlich formuliert vor allem in Kleinstädten mit in die Ideenentwicklung einge- und den Städten öffentlich zugänglich zur Verfügung ge- bunden. In Teilen könnte die vielfältige Akteurseinbindung stellt werden. Für AMS kann dies beispielsweise durch ei- von AMS noch deutlicher eingefordert werden. ne Checkliste mit konkreten Projektanforderungen auf der Der Projektgedanke bei AMS birgt Chancen im Sinne ei- Homepage erreicht werden. Daraus sollte erkennbar werden, ner schnellen Umsetzbarkeit. Gleichzeitig ergeben sich aber worauf insbesondere bei der Ideenfindung geachtet werden auch Risiken, beispielsweise durch eine fehlende Einbettung soll, wie zum Beispiel der Bezug zu Stadtplanungsstrategi- in lokale Stadtplanungsstrategien (Prozessprojekte) (BMI, en, der Anspruch von Kreativität und Nachhaltigkeit sowie 2020: 14). Eine bloße Reaktion auf globale Transformations- der Realitätsbezug hinsichtlich der Finanzierung. prozesse (z.B. Digitalisierung in Form von Apps für den lo- kalen Einzelhandel) ist nicht immer hilfreich. Was nützen lo- 6.2 Konzeptionelle Ansätze kale Handels-Apps, wenn der lokale Handel vor Ort kaum noch existent ist? Die lokalen Strukturen, Anforderungen Im folgenden Teil werden konzeptionelle Ansätze für AMS und Bedürfnisse vor Ort zu kennen und sich mit ihnen aus- diskutiert und auf Übertragbarkeit geprüft (ein Bezug zur einanderzusetzen, ist ebenso wichtig. Um zukünftig positive Abb. 6 wird mit Schlagwörtern der Handlungsempfehlungen Effekte für Innenstädte zu erzielen, ist es ratsam, langfris- jeweils in Klammern im Fließtext hergestellt). Für teilneh- tige Strategien zur regelmäßigen Teilnahme am Wettbewerb mende Städte bietet AMS eine Förderung, die durch zwei AMS zu formulieren und als Stadt nicht nur projektbezogen, Mechanismen Wirksamkeit erzielt. So werden erstens her- sondern konzeptionell zu denken. Eine Möglichkeit ist die ausragende Projektideen dotiert, wodurch deren Umsetzung Einbettung von Projektideen in Stadtentwicklungskonzepte. gefördert wird. Zweitens ist AMS auch als Kommunika- In der Ideenfindungsphase sollte stets die Frage beantwortet tionsplattform (Gedankenaustausch) zu verstehen, bei wel- werden, wie die eigene Stadt auch nach der Wettbewerbsbe- https://doi.org/10.5194/gh-76-233-2021 Geogr. Helv., 76, 233–248, 2021
244 K. Schade et al.: Regenerierung von Innenstädten unter Schrumpfungsbedingungen Abb. 6. Handlungsempfehlungen für Städte und Gemeinden zur Teilnahme an AMS. Eigene Darstellung. teiligung von einem Projekt profitieren (Realitätsbezug) und lung. Eine von Suburbanisierungsprozessen bestimmte Stadt ein Weitblick diesbezüglich entwickelt werden kann. mit einem Zuzug neuer Bewohner befindet sich in der Re- Identitätsstiftende Projekte können von großer Bedeutung gel in einer Findungsphase; alte Identitäten und neue Le- für die Innenstadtentwicklung sein und werden im internatio- bensrealitäten stehen sich mitunter konträr gegenüber. Der nalen Diskurs als „city branding“ oder innerhalb von „Narra- enge Fokus von AMS auf Innenstädte und die damit ver- tiven der Stadtentwicklung“ diskutiert (Identitäten) (Evans, bundene Schaffung einer gemeinsamen Identität schränken 2003; Dastgerdi und De Luca, 2019; Willinger, 2019: 104). die Handlungsspielräume und beteiligten Akteure ein. Da- Solche Projekte wurden auch in AMS in einigen, meist her ist von Projektinitiierungen mit dem reinen Gedanken Klein- und Mittelstädten initiiert. Durch die Teilnahme an der Schaffung gemeinsamer Identitäten eher abzuraten. Da- AMS werden Alleinstellungsmerkmale entworfen, in deren mit ist auch ein Hinweis auf die Fokussierung des Wettbe- Kontext Folgeprojekte entwickelt werden können. Die Su- werbs AMS verbunden. Zukünftig könnte über den engen che nach einer gemeinsamen Identität birgt jedoch auch Un- Rahmen der Innenstadt hinausgedacht werden, die durch ih- sicherheiten, insbesondere in Hinblick auf die räumliche La- re vielfältigen Nutzungsanforderungen und zum Teil dichte ge und entsprechende Konsequenzen für die Stadtentwick- Bebauung nicht immer über den Platz und die Ausstattung Geogr. Helv., 76, 233–248, 2021 https://doi.org/10.5194/gh-76-233-2021
K. Schade et al.: Regenerierung von Innenstädten unter Schrumpfungsbedingungen 245 im Sinne von Freiflächen verfügt, den Städte im Suburbani- Deutschland – eine Bestandsaufnahme, Band 10, Selbst- sierungsprozess benötigen. Gemeinsame Projekte in diesen verlag des BBSR, Bonn, Deutschland, online aufrufbar: Stadtteilen können zur Schaffung gesellschaftlichen Zusam- https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/ menhalts beitragen. Bei AMS werden entsprechende Projek- analysen-bau-stadt-raum/ausgaben/Bd10.html (zuletzt abgeru- te in anderen Stadtteilen ohnehin bereits in die Projektbegut- fen: 20 Mai 2021), 2012. BBSR (Bundesamt für Bau-, Stadt- und Raumforschnung): Wach- achtung aufgenommen. Aber auch die Belebung der Innen- sen oder Schrumpfen?, BBSR-Analysen KOMPAKT 12/2015, städte wird, gerade vor dem Hintergrund aktueller Entwick- Bonn, Deutschland, online aufrufbar: https://www.bbsr.bund. lungen (Corona-Pandemie, Zuwanderung), einer besonderen de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/analysen-kompakt/2015/DL_ Anstrengung bedürfen. Das betrifft häufiger die weichen als 12_2015.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (zuletzt abgerufen: harten Standortfaktoren, denn die städtebauliche Situation 20 Mai 2021), 2015. der Innenstädte hat sich seit Initiierung von Förderinstrumen- BBSR (Bundesamt für Bau-, Stadt- und Raumforschnung): ten wie AMS in Sachsen und anderen Regionen deutlich er- Wachsen und Schrumpfen von Städten und Gemeinden im holt. Letztlich erscheint das Denken in Quartieren, die die bundesweiten Vergleich, online aufrufbar: https://www.bbsr. Innenstadt einschließen und deren besondere Funktion als bund.de/BBSR/DE/Raumbeobachtung/Raumabgrenzungen/ Treffpunkt der vielfältigen Stadtgesellschaft über alle Quar- deutschland/gemeinden/wachsend-schrumpfend-gemeinden/ tiere hinweg berücksichtigen, vor diesem Hintergrund zu- begleitinformation.pdf?_blob=publicationFile&v=8 (zuletzt abgerufen: 20 Mai 2021), Bonn, Deutschland, 2018. künftiger Stadtplanungsstrategien und -instrumente im Sinne Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung (Hrsg.): der Neuen Leipzig Charta 2020 mit dem Fokus auf Gemein- Vielfalt der Einheit. Wo Deutschland nach 30 Jahren wohl auch für andere Förderinstrumente sinnvoll (Eurocities, zusammengewachsen ist. Berlin, online aufrufbar: https: 2020). //www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Neue-Laender/ studie-vielfalt-der-einheit.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (zuletzt abgerufen: 26 Mai 2021), 2020. Datenverfügbarkeit. Das der Studie zugrundeliegende Interview- Bernt, M.: Partnerships of Demolition: The Governance of Urban material kann beim korrespondierenden Autor Katrin Schade auf Renewal in East Germany’s Shrinking Cities, Int. J. Urban Re- Anfrage eingesehen werden. gional, 33, 754–769, 2009. Bıçakçı, A. B.: Branding the city through culture: Istanbul, Euro- pean Capital of Culture 2010, International Journal of Human Autorenmitwirkung. KS, SR und JR haben die Studie konzipiert. Sciences, 9, 1–14, online aufrufbar: https://j-humansciences. SR führte die empirische Untersuchung durch. Die Auswertung com/ojs/index.php/IJHS/article/view/2065 (zuletzt abgerufen: übernahm SR mit Unterstützung von KS und MH. Das Manuskript 20 Mai 2021), 2012. wurde von KS, SR und MH verfasst mit Beiträgen von JR. Blume, L., Geppert, K., und Gornig, M.: Anstoßwirkungen öffent- licher Mittel in der Städtebauförderung. Kurzexpertise im Auf- trag des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung, DIW Interessenkonflikt. Die Autor*innen erklären, dass kein Interes- Berlin: Politikberatung Kompakt 2, Berlin, Deutschland, on- senkonflikt besteht. line aufrufbar: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/ diw_01.c.42608.de/diwkompakt_2004-002.pdf (zuletzt abgeru- fen: 20 Mai 2021), 2004. BMI (Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat) Begutachtung. This paper was edited by Nadine Marquardt and (2020): Städtebauförderung 2020. Informationen zu den För- reviewed by three anonymous referees. derprogrammen, online aufrufbar: https://www.bmi.bund. de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/bauen/ staedtebaufoerde-rung-2020.pdf?blob=publicationFile&v=2 Literatur (zuletzt abgerufen: 4 March 2021), 2020. BMVBS (Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtent- Ab in die Mitte Sachsen: https://www.abindiemitte-sachsen.de/, zu- wicklung): Evaluierung der Städtebauförderung. Kommunale letzt abgerufen: 8 Mai 2020. Arbeitshilfe, Berlin, Deutschland, 52 Seiten, online aufrufbar: Altrock, U., Kurth. D., Kunze, R., Schmidt, H., und Schmitt, G. https://www.staedtebaufoerderung.info/StBauF/SharedDocs/ (Hrsg.): Stadterneuerung in Klein- und Mittelstädten, Jahrbuch Publikationen/StBauF/EvaluierungArbeitshilfe.pdf?blob= Stadterneuerung, Springer VS Verlag, Wiesbaden, Deutschland, publicationFile&v=1 (zuletzt abgerufen: 20 Mai 2021), 2011. https://doi.org/10.1007/978-3-658-30231-3, 2020. Bojarra-Becker, E., Franke, T., und zur Nedden, M.: Herausforde- ARL (Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz- rungen von Klein- und Mittelstädten. Fokus: Schrumpfung und Gemeinschaft): Zukunft der (Stadt-)Zentren ohne Handel? Peripherisierung. Herausgeber: Deutsches Institut für Urbanis- Neue Impulse und Nutzungen für Zentren mit Zukunft. Posi- tik (difu), Berlin, Deutschland, 1–39, online aufrufbar: https: tionspapier aus der ARL 116, Hannover, Deutschland, online //repository.difu.de/jspui/handle/difu/240280 (zuletzt abgerufen: aufrufbar: https://shop.arl-net.de/media/direct/pdf/pospapier/ 20 Mai 2021), 2017. pospapier_116.pdf (zuletzt abgerufen: 20 Mai 2021), 2020. Boyd, D. und Goldenberg, J.: Die Kreativität versteckt sich Inside BBSR (Bundesamt für Bau-, Stadt- und Raumforschnung): the box, in: Inside the Box, Herausgeber: Boyd, D. und Golden- Analysen Bau.Stadt.Raum: Klein- und Mittelstädte in https://doi.org/10.5194/gh-76-233-2021 Geogr. Helv., 76, 233–248, 2021
Sie können auch lesen