Erklärung der katholischen Kardinäle und Bischöfe zum bevorstehenden G8-Gipfel 2007

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Erklärung der katholischen Kardinäle und Bischöfe zum
bevorstehenden G8-Gipfel 2007

Verantwortung für menschliche Entwicklung und globale Solidarität
wahrnehmen

Wir, katholische Kardinäle und Bischöfe aus Nord und Süd, sind nach Europa gekommen
mit einem Appell an die Regierungen der "Gruppe der Acht" (Kanada, Frankreich,
Deutschland, Italien, Russland, Großbritannien und die USA), die sich derzeit auf ihr
alljährliches Gipfeltreffen vorbereiten. Nicht zum ersten Mal tragen wir unsere
Forderungen in Bezug auf Entwicklung und Armutsbekämpfung vor dem G8-Gipfel vor.
Bereits 1999 reisten wir nach Köln und abermals 2005 nach Edinburgh, als die G8-
Staaten wichtige Zusagen zur Entwicklungszusammenarbeit formulierten.
Gemeinsam mit den Bischöfen in unseren Heimatregionen, den Gläubigen in unseren
Gemeinden, den Millionen Männern, Frauen und Kindern unterschiedlicher
Glaubensrichtungen und aller Altersstufen, sind wir zutiefst besorgt über unsere
zunehmend gespaltene Welt. Enttäuscht vermissen wir den Fortschritt seitens der G8-
Länder im Hinblick auf die Ziele, die sie sich selber vor zwei Jahren in Gleneagles gesetzt
haben. Und uns beunruhigt, dass die G8-Staaten ihre Entwicklungshilfeversprechen nicht
werden einhalten können, wenn sie nicht sofortige Korrekturmaßnahmen zu deren
Umsetzung vornehmen. Wir befinden uns genau in der Halbzeit zwischen dem Jahr 2000
- als mit der UN-Millenniumserklärung die "Millennium Development Goals" verabschiedet
wurden - und 2015, dem Jahr, in dem sie umgesetzt sein sollen. Uns ist allzu bewusst,
dass viele Länder dem Zeitplan um Jahre hinterherhinken. Allein eine umgehende
Bereitstellung von finanziellen Mitteln und ein erneuerter Einsatz auf Seiten der Geber-
wie der Empfängerländer können diese fatale Tendenz brechen.
2003 mahnte Papst Johannes Paul II anlässlich des Weltfriedenstags: "Wenn alle
übernommenen Verpflichtungen eingehalten werden müssen, so ist mit besonderer Sorge
auf die Erfüllung der gegenüber den Armen übernommenen Verpflichtungen Wert zu
legen. Denn ihnen gegenüber wäre die unterlassene Einhaltung von Versprechen, die sie
als lebenswichtig empfinden, besonders frustrierend. So gesehen stellt die unterlassene
Erfüllung der Verpflichtungen zugunsten der Entwicklungsländer ein ernstes moralisches
Problem dar und rückt die Ungerechtigkeit der in der Welt bestehenden Ungleichheiten
noch stärker ins Licht. Die von der Armut verursachten Leiden erfahren durch den
Vertrauensverlust eine dramatische Steigerung. In letzter Konsequenz geht jegliche
Hoffnung verloren. Bestehendes Vertrauen ist in den internationalen Beziehungen ein
soziales Kapital von fundamentalem Wert."
Es gäbe in Bezug auf Entwicklung eine Fülle wichtiger Themen anzusprechen – z.B. die
Rolle von Geldtransfers als Quelle der Entwicklungsfinanzierung, ausländische
Direktinvestitionen, geistige Eigentumsrechte und der unzureichende Fortschritt im
Bereich des Welthandels aufgrund etablierter Interessen in den USA und der EU. Wir
möchten uns hier jedoch auf eine begrenzte Anzahl von Bereichen ins Licht beschränken,
in denen - den nötigen politischen Willen vorausgesetzt - die G8-Staaten jetzt wirklich
etwas bewirken können.
Immer noch müssen wir mit ansehen, wie Kinder infolge Unterernährung und
mangelndem Zugang zur Basisgesundheitsversorgung sterben. Wir sehen, wie Familien
auseinander gerissen werden, weil Mütter und Väter außerstande sind im Heimatland für
ihre Kinder zu sorgen und so auf der verzweifelten Suche nach lebensnotwendigen
Einkommen zu illegalen Auswanderern ohne Papiere werden. Wir sehen, wie Kleinbauern
und Fischer hilflos zusehen müssen, wie ihr Grund und Boden verwüstet, ihre Wälder
gefällt und durch Brandrodung zerstört oder ihre Fischereigründe durch Fischereiflotten
im industriellen Maßstab leer gefischt werden. Wir sehen, wie die wuchernden Slums der
Mega-Städte Verzweiflung, Gewalttaten und soziale Unruhen erzeugen. Wir sehen, wie
ganze Gemeinwesen um wirtschaftlicher Vorteile willen vertrieben werden.
Auf der anderen Seiten sehen wir Regionen mit einem Wirtschaftswachstum in
Rekordraten und multinationale Konzerne, die jeglicher Kontrolle nationaler
Gesetzgebungen entzogen sind, und sich zu einflussreichen Akteuren in der
internationalen Gemeinschaft entwickelt haben. Wir sehen, wie neben Wohlstand und
materiellen Segnungen abgrundtiefe Armut herrscht. Während die Zahl der Millionäre und
Milliardäre in manchen Teilen der Welt rasch zunimmt, bleibt die Anzahl extrem armer
Menschen gleichwohl unerschütterlich hoch. Wir sehen ebenfalls eine gigantische Kluft
zwischen den Militärausgaben in Höhe von 824 Mrd. US-Dollar im Jahr 2006 und der
globalen Entwicklungshilfe in Höhe von bescheidenen 75 Mrd. US-Dollar.
Als Kirchenführer glauben wir dass "Gott die Erde mit allem, was sie enthält, zum
Nutzen aller Menschen und Völker bestimmt hat; darum müssen diese geschaffenen
Güter in einem billigen Verhältnis allen zustatten kommen; dabei hat die Gerechtigkeit
die Führung, Hand in Hand geht mit ihr die Liebe." (2. Vatikanisches Konzil, Pastorale
Konstitution Kirche in der Welt von heute "Gaudium et Spes", Nr. 69)
Aus dieser Perspektive stellen wir das vorherrschende Modell des Wirtschaftswachstums
in Frage, das keine Rücksicht auf die allgemeinen Güter und das Wohlergehen der
Menschen - denen es eigentlich dienen und zugute kommen sollte. Orientiert sich
Wirtschaftswachstum nicht an wohl durchdachten, durch klar definierte ethische Werte
geleiteten politischen Entscheidungen, werden wir eine zunehmend polarisierte Welt
erleben, eine in "Globalisierungsgewinner" und "Globalisierungsverlierer" gespaltene
Menschheit. Unsere Überlegungen führen uns dazu, ein Modell des Wirtschaftswachstums
und der Globalisierung einzufordern, das die Solidarität mit einschließt, die auf
gegenseitigem Respekt und wechselseitiger Unterstützung fußt. Der Klimawandel führt
uns nur allzu deutlich vor Augen, wie zerbrechlich unsere Umwelt, wie bedroht die
Entwicklung und das menschliche Leben durch unkontrolliertes Wirtschaftswachstum
nach einem "business-as-usual-Prinzip" tatsächlich sind.
Wir appellieren an die G8-Staats- und Regierungschefs, die Weltwirtschaft in eine
umfassende humane und ökologisch nachhaltige Entwicklung basierend auf globaler
Gerechtigkeit und Solidarität zu führen. Die G8-Staaten haben zwar kein Mandat für eine
globale Regierungsführung. Ihre Entscheidungen haben indes weit reichende
Konsequenzen für das Leben von Millionen Menschen in anderen Teilen der Welt. Nehmen
Sie Ihre Verantwortung ernst. Heute, einen Monat vor dem Treffen der Staats- und
Regierungschefs der G8 in Heiligendamm, besteht insbesondere in folgenden Bereichen
dringender Handlungsbedarf:

1. Entwicklungshilfe: Versprechen halten und neue Ressourcen erkunden
Auf lange Sicht sollten alle Länder imstande sein, mit ihren eigenen Mitteln
auszukommen. Bis es jedoch so weit ist, bedarf es auf absehbare Zeit weiterhin externer
Entwicklungshilfe für die Bekämpfung der Armut und den Ausgleich gravierender globaler
Ungleichheiten. Unsere Forderungen lauten deshalb:

   •   Die G8-Länder müssen ihre Versprechen zur Entwicklungsfinanzierung halten.
       Diejenigen Länder, denen dies bislang nicht gelungen ist, sollten sich verpflichten,
       bis 2015 eine ODA-Quote von 0,7 Prozent ihres Bruttosozialproduktes zu
       erreichen. Um die Entwicklungshilfe voraussagbar zu machen, sollten alle G8-
       Länder einen klaren Zeitplan für jährliche Steigerungen zum Erreichen der Quoten
       von 0,51 bis 2010 und 0,7 bis 2015 vorlegen.
   •   Getreu dem Monterrey-Konsens sollten Schuldenerlasse nicht mit ODA-Leistungen
       verrechnet werden. Die G8-Länder müssen jetzt dringende Maßnahmen ergreifen,
       wenn sie den drohenden Rückgang der ODA-Leistungen infolge der
       Schuldenerlasse der vergangenen Jahre (HIPC, Irak, Nigeria) ausgleichen wollen.
       Tatsächlich darf die Schuldenfrage nicht mit der Entwicklungshilfe verknüpft
       werden.
   •   Die G8-Länder müssen ferner Maßnahmen zur Bereitstellung zusätzlicher Mittel für
       die Entwicklung einleiten, soll die Armutsbekämpfung kein leeres Versprechen
       bleiben. Sie sollten internationale Steuern erwägen und einführen, um die
       benötigten Mittel aufzustocken und gleichzeitig für die verletzlichen
       Entwicklungsländer einen Ausgleich der durch globale Ungleichheiten
       entstehenden Schäden zu schaffen (z.B. Abgabe auf Flugtickets, Kerosin- und
       Devisentransaktionssteuer).
   •   Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass Hilfe etwas bewirkt, und dass die Bürger
       in den G8-Staaten sich in hohem Maße engagieren. Aber zweifellos könnte die
       Hilfe weit mehr bewirken. Deshalb sind die G8-Länder gefordert, die Qualität ihrer
       Hilfeleistungen zu verbessern. Sie sollten verstärkt die Entwicklung nationaler
       Strategien zur Armutsbekämpfung mit breiter Beteiligung von Parlamenten und
       Zivilgesellschaft unterstützen. Ihren Leistungen sollten sie diese Strategien
       zugrunde legen und auf jegliche wirtschaftspolitischen Konzepte verzichten, die
       nicht ausdrücklich darin verankert sind.

2. Verantwortliche Kreditvergabe und -aufnahme für nachhaltige Entwicklung
Entschuldungsinitiativen wie die HIPC-Initiative und die MDRI haben den Spielraum der
Empfängerländer für sozial- und armutsrelevante Ausgaben und Investitionen erweitert.
Dies ist ein willkommener Beitrag zu der so dringlichen Armutsbekämpfung. In vielen
Ländern ist die Verschuldung jedoch noch lange nicht auf ein tragfähiges Niveau
reduziert. Weiter gehende Kreditvergabe und Schuldentragfähigkeit erfordern vermehrte
Anstrengungen auf der Grundlage verstärkter gemeinsamer Verantwortung seitens der
Gläubiger- und Schuldnerländer, um neue Schuldenfallen zu vermeiden, insbesondere:

   •   sollten die G8-Länder Leitlinien erlassen, um Kredite, die für die Entwicklung
       förderlich sind, abzugrenzen von solchen, die das nicht sind . Kreditgeber, die
       dagegen verstoßen, müssten bei nicht entwicklungsgebundenen Krediten Verluste
       hinnehmen. Bei bestehenden Kreditforderungen sollten unabhängige Prüfungen
       zur Feststellung der Rechtsgrundlage entsprechender Forderungen vereinbart und
       unterstützt werden.
•   Die G8-Länder sollten eine unabhängige Schuldentragfähigkeitsanalyse fordern
       und fördern, die den Finanzierungsbedarf für die Millenniumsentwicklungsziele und
       die sozialen, politischen und ökonomischen Gegebenheiten des verschuldeten
       Landes angemessen berücksichtigt.
   •   Die G8-Länder sollten die öffentliche Kontrolle weiter gehender Kreditaufnahme in
       Entwicklungsländern unterstützen. Alle nötigen Informationen über die
       Aushandlung, Aufnahme und Rückzahlung staatlicher Darlehen und Kredite an
       Entwicklungsländer sollten frühzeitig öffentlich bekannt gegeben werden.
   •   Die G8-Länder müssen eine grundlegende Reform des internationalen Systems
       zur Bewältigung der Schuldenkrisen vorantreiben. Das bisherige System hat sich
       als untauglich zur Umsetzung nachhaltiger Lösungen und zur Vermeidung
       unverantwortlicher Kreditvergabe erwiesen. Die neuen Instrumente müssen auf
       Fairness und Transparenz und auf gemeinsamer Verantwortung von Gläubigern
       und Schuldnern aufbauen.

3. Gute Regierungsführung und Korruptionsbekämpfung
Armut geht Hand in Hand mit schlechter Regierungsführung. Und schlechte
Regierungsführung öffnet der Korruption Tür und Tor. Der missbräuchliche Umgang mit
dem Vermögen eines Landes (externe und einheimische Ressourcen) erzeugt und
verstärkt Armut - infolge von persönlichem Profitstreben oder von Unfähigkeit (wobei
Letztere oftmals aus Ersterem folgt). Da Korruption kein lediglich nationales Problem,
sondern international verwurzelt ist, muss sie auf beiden Ebenen bekämpft werden.
Deshalb sollten:

   •   die G8-Länder Maßnahmen zur Stärkung der Rechenschaftspflicht der
       Regierenden in Entwicklungsländern gegenüber ihren demokratischen
       Wählerschaften vorantreiben. Sie sollten Parlamente und Zivilgesellschaften von
       Entwicklungsländern systematisch in den politischen Dialog sowie in Bewertung
       des Regierungshandelns, Kreditaufnahmeverhandlungen und konsultative
       Gruppenveranstaltungen mit einbinden.
   •   Die G8-Länder sollten Transparenz und den freien Zugang zu Informationen über
       die Zahlungsströme in Entwicklungsländer, insbesondere Entwicklungshilfe und
       private Mittel für sensible Bereiche (z.B. durch Unterstützung der Extractive
       Industries Transparency Initiative - EITI) sicherstellen. Sie sollten unabhängige
       Prüfungen staatlicher Mittel einfordern und ihren Beitrag zum Aufbau der
       benötigten Kapazitäten und Institutionen leisten.
   •   Die G8-Länder sollten zielführende Maßnahmen zur Bekämpfung von Korruption
       seitens ihrer Bürger und der in ihrem Staatsgebiet ansässigen Unternehmen und
       Institutionen einleiten. Sie sollten Privatpersonen und Betriebe verfolgen und
       bestrafen, die sich der Korruption in Entwicklungsländern schuldig machen. Sie
       sollten gemeinsam internationale Übereinkünfte gegen Korruption, insbesondere
       die UN-Konvention gegen Korruption, ratifizieren und umsetzen.
   •   Die G8-Länder sollten durch gesetzliche und institutionelle Vorgaben unterbinden,
       dass durch Korruption in Entwicklungsländern erlangte Mittel in Steueroasen
       verschoben werden können (Geldwäsche). Sie sollten die gebotenen gesetzlichen
       und institutionellen Vorkehrungen treffen, um die vollständige Rückführung
       gestohlener Gelder von Entwicklungsländern zu unterstützen.
Als Bürger wie als Kirchenführer sind wir uns bewusst, dass uns und unseren
Regierungen ein Teil der Verantwortung zukommt. Wir bekennen uns zu unserer
Verantwortung für die Förderung wahrer menschlicher Entwicklung und globaler
Solidarität. Gleiches erwarten wir aber auch von denjenigen, die in den reichen Ländern
die politische und wirtschaftliche Macht innehaben. Die meisten Bürger der Erde eint die
Vision von einer vereinten und prosperierenden Menschheit, die in Harmonie
zusammenlebt. Viele Menschen sind entschlossen, für die Realisierung dieser Vision zu
arbeiten. Aber es müssen alle, insbesondere die Mächtigen, ihren Teil dazu beitragen. Die
Welt kann nicht warten.
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