Erste Lehren aus der Hochwasserkatastrophe - Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zukunftsfähig und krisenfest gestalten - Annalena ...

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Erste Lehren aus der
Hochwasserkatastrophe
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
zukunftsfähig und krisenfest gestalten
Die Starkregenfälle und das Hochwasser der vergange-         vorangegangenen Extremereignissen wie Waldbränden
nen Tage in Teilen Deutschlands mit mindestens 170           oder auch in der COVID-19-Pandemie sichtbar und haben
Toten – viele Menschen werden noch vermisst – ist            in der aktuellen Lage noch mal an Brisanz gewonnen.
eine der schlimmsten Naturkatastrophen der deutschen         Dabei muss es unser gemeinsamer Anspruch sein, die
Geschichte. Häuser sind in den Fluten verschwunden und       Stärke unserer föderalen Struktur zu nutzen und zugleich
Straßen, Bahngleise und Brücken zerstört. Ganze Existen-     die überregionale Zusammenarbeit zu stärken. So stellen
zen der Menschen vor Ort sind vernichtet. Die Versorgung     wir sicher, dass die richtige Hilfe am richtigen Ort zur
mit Trinkwasser und Strom ist in einigen Regionen zu-        richtigen Zeit ankommt. Nur so können Menschen besser
sammengebrochen. Es wird Jahre dauern, bis alle Häuser,      geschützt, Schäden begrenzt und unsere Infrastruktur
Kitas, Klärwerke, die vielen zerstörten Gebäude wieder       bewahrt werden.
aufgebaut, die mehr als 600 km zerstörten Bahngleise re-
pariert und Brücken sowie Straßen wieder instandgesetzt      Dazu gehört:
sind. Erste Schätzungen von Expert*innen gehen von
Schäden durch die Hochwasser-Katastrophe von mehre-
ren Milliarden Euro aus. Deshalb braucht es jetzt schnelle   1. Zusammenarbeit im föderalen
und unbürokratische Hilfen für die Betroffenen und für
den kommunalen Wiederaufbau in enger Abstimmung              Katastrophenschutz stärken –
zwischen Bund und Ländern.
                                                             Zentralstelle beim Bundesamt für
Beeindruckend ist, wie Hilfsorganisationen, Helferinnen
und Helfer sofort anpackten und unterstützen. Ihnen          Bevölkerungsschutz schaffen
allen gilt ein besonderer Dank.
                                                             Katastrophenschutz ist in Deutschland laut Grundgesetz
In den betroffenen Regionen sind lokal extreme Regen-        zuallererst Aufgabe der Bundesländer. Das ist historisch
mengen von bis zu 250 Liter pro Quadratmeter in kürzes-      gewachsen und auch sinnvoll, da die Behörden und Or-
ter Zeit gefallen. Das Wasser hat kleine Bäche in reißende   ganisationen vor Ort im Katastrophenschutzfall regionale
Ströme verwandelt und ganze Ortsteile verwüstet. Die         Besonderheiten am besten kennen und handlungs- und
Katastrophe reiht sich in eine Folge von klimabedingten      leistungsfähig sind. Das Rückgrat dieser föderalen Struk-
Naturkatastrophen ein, die wir in den vergangenen Jah-       tur bilden die überwiegend ehrenamtlichen Mitglieder
ren in Deutschland und Europa erlebt haben: Die Klima-       der Hilfsorganisationen. Durch den dezentralen Aufbau
krise wird uns mehr und extremere Unwetter bringen,          unseres Hilfeleistungssystems ist auch sichergestellt,
häufigere und langanhaltende Dürrephasen, Waldbrände,        dass Hilfe schnell in allen Teilen des Landes verfügbar
Starkregenereignisse und Überschwemmungen. Die Er-           ist. Der Bund trägt in Deutschland die Verantwortung
eignisse machen deutlich, dass wir die Menschen und          für den Zivilschutz im Verteidigungsfall und kann auf
unsere Städte, Dörfer und Infrastrukturen vor solchen        Anfrage der Länder mit seinen Fähigkeiten die Länder im
Extremwettern besser schützen müssen.                        Katastrophenfall unterstützen.

Neben Klimaanpassungsmaßnahmen müssen der Ka-                Doch es ist an der Zeit, diese Strukturen mit Blick auf
tastrophenschutz und die Katastrophenhilfe für solche        große Naturkatastrophen, Unglücksfälle und besondere
überregionalen Ereignisse für die Zukunft besser aus-        Lagen, die das gesamte Bundesgebiet betreffen oder
gestaltet werden. Es ist jetzt Aufgabe von Bund, Ländern     bundesländer- und regionenübergreifend sind, weiter-
und Kommunen, die Schwachstellen zu analysieren und          zuentwickeln. Der Grundsatz für die Zusammenarbeit
daraus zu lernen. Denn diese wurden teils bereits bei        zwischen Bund, Ländern und Kommunen muss die De-
Autorinnenpapier Annalena Baerbock, Dr. Irene Mihalic
26.07.2021                                                                                                             1
zentralität bei starker Koordinierung sein. Dazu muss das    tende Meldeverfahren und insbesondere den Ausbau
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophen-           des gemeinsamen Lagezentrums von Bund und Ländern
hilfe (BBK) mit einer Zentralstellenkompetenz für den        (GMLZ) zu einem gemeinsamen, ständigen Krisenstab der
Bevölkerungsschutz zur Unterstützung der Länder aus-         nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr respektive des Be-
gestattet werden, neben einer erheblichen personellen        völkerungsschutzes.
Aufstockung. Ähnliches gibt es beispielsweise im polizei-
lichen Bereich mit dem Bundeskriminalamt (BKA). Dies         Die operativen Fähigkeiten des Technischen Hilfswerks
bedarf einer Änderung im Grundgesetz.                        (THW) wollen wir mit dem BBK besser verzahnen und zu-
                                                             sammenführen. Des Weiteren wollen wir die Fähigkeiten
Wir wollen, dass der Bund in bestimmten Lagen besonde-       der Hilfsorganisationen und weiterer Partner der nicht-
ren Ausmaßes koordinierende Aufgaben übernimmt und           polizeilichen Gefahrenabwehr mit denen des THW stärker
den Informationsfluss steuert. Das BBK muss dann z. B.       verzahnen und an das BBK und das GMLZ anbinden.
auch Bewertungen und Handlungsempfehlungen an die
Länder geben dürfen. Hierzu müssen auf Bundesebene           Durch den Bund beschaffte bzw. betriebene Einsatzmittel
alle Informationen über Fähigkeiten, Ressourcen sowie        wie etwa die Zivilschutzhubschrauber oder andere am
Entwicklungen zusammenlaufen und fortlaufende Lage-          Boden gebundene Einsatzmittel sollen in Organisation,
bilder erstellt werden. Dabei ist es notwendig, dass Län-    Steuerung und Verfügbarkeit im Einsatzfall stärker an das
der und Kommunen zukünftig nicht mehr freiwillig, son-       BBK angebunden und an neue Herausforderungen wie
dern verpflichtend Informationen an den Bund melden.         etwa die Ausstattung von Rettungshubschraubern mit
Hierzu zählen z. B. Informationen über die Verfügbarkeit     Rettungswinden angepasst werden. Dazu werden wir die
von Einsatzmittel der Feuerwehren mit Standortinforma-       Zuweisungsverfügung dieser Einsatzmittel an die Länder
tionen, die Verfügbarkeit von Intensivbetten, Unterbrin-     weiterentwickeln.
gungskapazitäten, der Status der kritischen Infrastruktur
oder die Bereitschaft von Hubschraubern oder anderer         Ein besonderes Augenmerk muss auf den Schutz kri-
Spezialkapazitäten der Bundeswehr und des Gesundheits-       tischer Infrastruktur (KRITIS) gelegt werden, um die
sektors. Durch diese bessere Koordinierung können Fähig-     Versorgung der Menschen auch in einer Krise weiterhin
keiten und Ressourcen schnellstmöglich an dem Ort zur        sicherstellen zu können. Dafür muss neben dem Schutz
Verfügung stehen, an dem sie benötigt werden. So werden      vor Cyber-Angriffen der physische Schutz als gemein-
auch die Hilfsorganisationen entlastet. Dabei ist wichtig,   same Aufgabe von Betreibern kritischer Infrastrukturen
dass die Daten fortlaufend aktualisiert und nach Möglich-    stärker in den Fokus rücken. Durch ein KRITIS-Dachge-
keit live und tagesaktuell abgerufen werden können.          setz können vorsorgende Maßnahmen bei den Betreibern
                                                             gestärkt, eine Basis für das gemeinsame Handeln von
Bund und Länder müssen gemeinsam dafür Sorge tragen,         privaten und staatlichen Betreibern in der Krise gelegt
dass diese Struktur auf der Landesebene gespiegelt wird.     und so die Versorgungssicherheit der Menschen direkt
Dazu bedarf es der Einrichtung entsprechender Landes-        erhöht werden.
katastrophenschutzstellen. Nur so kann sichergestellt
werden, dass Informationen aus den Kommunen zügig
die Landes- und Bundesebene erreichen und umgekehrt.         2. Nationale-Resilienz-Strategie
Dazu wird es u.a. flächendeckend wirkungsvolle Landes-
gesetze zum Katastrophenschutz, Katastrophenschutz-          Katastrophen nationaler Tragweite sind ressortübergrei-
bedarfspläne und ein organisatorisches und technisches       fende Lagen, die eine ressortübergreifende Steuerung
Ineinandergreifen von Krisenstabs- und Leitstellen-Arbeit    benötigen. Dabei können die Anforderungen und be-
geben müssen. Nur durch einen linearen Führungsaufbau,       nötigten Bedarfe so unterschiedlich wie die denkbaren
einheitliche Software, klare Zuständigkeiten und not-        Szenarien sein. Eine Pandemie ist in erster Linie eine
wendige Doppelungen bzw. Rückfallebenen kann Über-           Herausforderung für den Bereich der Öffentlichen Ge-
lastung und Überforderung wichtiger lokaler Strukturen       sundheitsversorgung. Sie fordert aber auch ein enges Zu-
vorgebeugt werden.                                           sammenspiel mit den Organisationen des Katastrophen-
                                                             schutzes. Naturkatastrophen können großflächig KRITIS,
Valide Lageinformationen sind im Bevölkerungsschutz          wie z. B. die Stromversorgung, außer Funktion setzen. Die
essentiell und entscheiden oft über den Erfolg der Maß-      Wiederherstellung erfordert ein enges Zusammenspiel
nahmen. Wir wollen, dass diese allen jederzeit zur Ver-      von Privatwirtschaft und Katastrophenschutz. In der Fol-
fügung stehen: durch die Vereinheitlichung von Schnitt-      ge können u.a. Lieferketten unterbrochen werden und die
stellen und Software, Digitalisierung analoger Strukturen,   Lebensmittelversorgung gefährdet sein. Die Klimakrise
Standardisierung notwendiger Kennzahlen und verpflich-       droht diese Gefahren weiter zu verschärfen.
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Darüber hinaus stellen sogenannte hybride Gefahren, die      durch die Bundesnetzagentur und ggf. auch eine gesetz-
äußere Sicherheit schwierig machen, eine große Gefahr        liche Verpflichtung im Gesetz über den Zivilschutz und
für unsere Gesellschaft dar. Das „Sendai Rahmenwerk“ zur     die Katastrophenhilfe des Bundes (ZSKG) für die Betrei-
Katastrophenvorsorge der Vereinten Nationen beschreibt       ber, die diesen Dienst zur Verfügung stellen.
die Notwendigkeit der Katstrophenvorsorge mit der Ziel-
setzung der Steigerung der Resilienz gegenüber Katastro-
phen. Deutschland hat sich zur Umsetzung des Rahmen-         4. Stärkung der Frühwarnsysteme
werks verpflichtet. Das BBK hat gemeinsam mit vielen
Akteuren erste Schritte zur Umsetzung unternommen.           und Krisenforschung
Wir wollen, dass eine Nationale-Resilienz-Strategie das      Auch wenn manche Wetterphänomene wie Starkregen-
Dach für alle Aktivitäten zur Katastrophenvorsorge und       ereignisse verhältnismäßig schwierig vorherzusehen
Erhöhung der Resilienz der Bevölkerung in Deutschland        sind, weil sie häufig sehr kurzfristig und lokal auftreten,
wird. Dazu müssen wir eine umfassende, ressortüber-          braucht es hier weitere Forschung und ein engmaschiges
greifende Nationale-Resilienz-Strategie entwickeln, die      Monitoring von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen.
diesem Anspruch gerecht wird. Die Erarbeitung und Zu-        Dazu wollen wir die Unwetter-Forschung beim Deutschen
sammenführung der Strategie muss ressortübergreifend         Wetterdienst (DWD) stärken, um lokale und kleinräumi-
gebündelt werden und die Länder mit einbeziehen.             ge Vorhersagen von Wetterereignissen besser treffen zu
                                                             können. Außerdem möchten wir die Forschung für zivile
                                                             Sicherheit stärker mit der Klimaforschung verschränken,
3. Verbesserung der Warnsysteme                              um die Ergebnisse in die Katastrophenszenarien der zu-
                                                             ständigen Behörden einfließen zu lassen. Zusätzlich muss
im Bevölkerungsschutz                                        die Weiterentwicklung der Mess- und Beobachtungs-
                                                             infrastruktur und der Datenauswertung auch in neuen,
In Katastrophenfällen ist eine frühzeitige und vielfältige   interdisziplinären Modellverbünden auf Dauer sicherge-
Kommunikation eines der entscheidenden Kriterien, um         stellt werden. In einem ersten Schritt sollen für die Klima-
Menschen zu schützen und Schäden zu verringern. Eine         und Klimafolgenforschung 100 Millionen Euro zusätzlich
moderne Krisenkommunikation muss unterschiedliche            bereitgestellt werden. Die Forschungsprojekte sollen zum
Medienkanäle nutzen, um sicherzustellen, dass alle Be-       Ziel haben, die Ergebnisse der Modellierungen sobald wie
völkerungsgruppen erreicht werden. Dazu gehört auch,         möglich in die Hochwasserschutzplanungen und Katast-
dass die Informationen verständlich aufbereitet sind und     rophenschutzpläne vor Ort einfließen zu lassen.
klare Handlungsempfehlungen enthalten. Die Warnungen
müssen so gestaltet werden, dass sie besonders vulne-        In Regionen mit einem hohen Risiko für Extremwetterer-
rable Gruppen wie beispielsweise ältere Menschen oder        eignisse wie Hochwasser oder Tornados können Freiwil-
Personen mit Behinderungen erreichen. Zusammen mit           lige im Sinne des lokalen Selbstschutzes das Monitoring
den Ländern wollen wir eine gesetzliche Grundlage für        von Hochwassermeldungen und Unwetterwarnungen des
die Schaffung eines Hilfe- und Evakuierungsregisters         DWD als Teil der Feuerwehren oder Wasserwehren über-
schaffen, mit dem im Katastrophenfall besonders hilfs-       nehmen, um so frühzeitig mögliche Einsätze vorzuberei-
bedürftige Menschen schnell unterstützt oder gerettet        ten. Spezielle Wasserwehren, oft als Teil der Feuerwehren,
werden können. Essenziell ist auch die Schaffung eines       werden in einigen Regionen, u.a. in Thüringen und in
flächendeckenden Netzes von verschiedenen und lagean-        Sachsen-Anhalt, seit einiger Zeit erprobt. Wir regen an,
gepassten Kommunikationskanälen, die von Sirenen über        deren Erfahrungen in einem länderweiten Modellprojekt
den Weckruf bis hin zu digitalen Plattformen wie z. B. der   aufzugreifen und als Teil des Hochwasserschutzes
Warn-App „NINA“ für umfangreiche Hinweise reichen so-        zu verstetigen.
wie eines Ausbaus des Modularen Warnsystems (MoWas)
des BBK. Zusätzlich zu den bestehenden Warnwegen
braucht es ein robustes und niedrigschwelliges System
für Notfallnachrichten durch Cell Broadcasting. In vielen
Ländern wie Griechenland, Italien, Rumänien oder Israel
wird dieses System in Katastrophenfällen erfolgreich
genutzt. Mit Cell Broadcasting erreicht man alle Emp-
fänger in einer Funkzelle – man braucht nicht mal ein
Smartphone dafür. Ein normales Handy reicht aus. Dazu
braucht es auf Bundesebene schnell eine Anordnung
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26.07.2021                                                                                                             3
Ehrenamtliches Engagement wollen wir auch auf digitale
5. Ehrenamt im Katastrophenschutz                           Bereiche ausweiten und z. B. ein Cyber-Hilfswerk einrichten.

stärken und Spontanhelfer*innen                             Zudem möchten wir Spontanhelfer*innen besser in die
                                                            professionellen Strukturen einbinden. Dafür braucht es
besser einbinden                                            eine bundesweite Plattform, die Hilfe nach Bedarf und
                                                            Fähigkeit koordiniert. Ein solches „Bundes-Freiwilligen-
Die rund 1,8 Millionen ehrenamtlichen Mitglieder der        Kontakt-Zentrum“ bündelt dann sowohl personelle Res-
Blaulichtorganisationen bilden mit ihrem freiwilligen       sourcen als auch die Verfügbarkeit von Spezialmaschinen
Engagement das Rückgrat des Bevölkerungsschutzes und        und ordnet diese regional zu, wo sie gebraucht werden.
der Katastrophenhilfe und damit eine wichtige Säule der     Dazu zählt schweres Gerät wie Traktoren von Landwirten,
Inneren Sicherheit in Deutschland. Damit sind mehr als      Baumaschinen von Unternehmer*innen, oder Fähigkeiten
90 Prozent der Einsatzkräfte in diesem Bereich ehren-       von Handwerker*innen oder Gesundheitspersonal.
amtlich tätig. Dieser wichtige Beitrag für unsere Gesell-
schaft braucht mehr Anerkennung, die über die aktuelle      In Großbritannien gibt es dies etwa mit den „Volunteer
Katastrophe hinausgeht.                                     Reception Centres“ und einer App zur Koordination von
                                                            Freiwilligen.
Wir brauchen deshalb ein Ehrenamtskonzept für die
Blaulichtorganisationen, welches das Ehrenamt fördert,
Barrieren abbaut und Anerkennung ausdrückt. Um dem          6. Notfallseelsorge stärken und
Nachwuchsmangel bei den Hilfsorganisationen entge-
genzuwirken, müssen Werbemaßnahmen für ein Enga-            den Helfenden helfen
gement auch durch den Bund mit unterstützt und neue
Formen eines Miteinanders von Ehrenamt und Teilzeit-        Bei Katastrophen mit vielen Opfern kommt es nicht nur
Hauptamt entwickelt werden. Zudem muss das Ehrenamt         auf deren medizinische Versorgung, sondern auch auf die
an Schulen und Hochschulen Bestandteil und Gegen-           psychosoziale und seelsorgerische Krisenintervention an.
stand des Unterrichts bzw. Bildungsangebots sein.           Die Notfallseelsorge muss durch eine bessere Koordinie-
                                                            rung ihrer Einsätze vor Ort gestärkt werden. Auch hier
Zusammen mit den Ländern wollen wir die Regelungen          müssen die Helfenden für die Zeit des Einsatzes flächen-
in den Katastrophen- und Brandschutzgesetzen der Län-       deckend vom Beruf freigestellt werden. Aber nicht nur
der dahingehend harmonisieren und ausbauen, dass die        die Opfer und deren Angehörige brauchen in der Zeit der
Sonderurlaube und Freistellungen von Freiwilligen (auch     Krise psychosoziale Unterstützung. Auch die Hilfe für die
in Hilfsorganisationen) zum ehrenamtlichen Einsatz bun-     Helfenden selbst muss weiter gestärkt werden und darf
desweit unbürokratisch, schnell und bei Lohnfortzahlung     auch nach dem Ende des Einsatzes nicht aus dem Blick
ermöglicht werden. Kein Ehrenamtlicher sollte das Enga-     geraten. Zusammen mit den Ländern wollen wir eine
gement für die Gesellschaft vor dem Arbeitgeber ver-        flächendeckende gesetzliche Regelungslage von Versor-
stecken müssen oder Nachteile erfahren. Ein Arbeitgeber,    gungsansprüchen und Zuständigkeiten in der psychoso-
der freiwilliges Engagement unterstützt, darf ebenfalls     zialen Notfallversorgung schaffen.
keine Nachteile erfahren. Eine Rahmengesetzgebung zur
Helfer*innenfreistellung und Erstattung sollte im Rah-      Die Koordinierungsstelle „NOAH“ zur Nachsorge, Opfer-
men der Innenministerkonferenz (IMK) erarbeitet werden.      und Angehörigenhilfe beim BBK wollen wir weiterentwi-
                                                            ckeln und für Katastrophen besonderen Ausmaßes im In-
Eine Anerkennung der ehrenamtlichen Arbeit kann auch        land nutzbar machen, die bisher nur für deutsche Staats-
mit vielen kleinen, aber wertschätzenden Maßnahmen          angehörige bei Katastrophen im Ausland gelten. Dadurch
ausgedrückt werden. Eine bundesweit gültige Ehrenamts-      können Menschen in Krisenlagen geschulte Beratung
karte kann Vergünstigungen für öffentliche Einrichtungen    erfahren und kommunale Stellen entlastet werden.
vorsehen oder im Ehrenamt erlernte Fähigkeiten können
in Beruf, Ausbildung oder Studium anerkannt werden.

Ein wichtiger Bestandteil der Wertschätzung ist zudem,
dass Ausrüstung, Ausstattung und Liegenschaften
jederzeit auf dem neuesten Stand sind. Den Sanierungs-
bedarf bei den Liegenschaften des THW wollen wir
entschieden angehen.
Autorinnenpapier Annalena Baerbock, Dr. Irene Mihalic
26.07.2021                                                                                                            4
führende Fahrzeuge beschafft werden. Die Notfallver-
7. Europäische Zusammenarbeit                                  sorgung mit Trinkwasser, Funkmasten und Strom muss
                                                               ausgebaut werden.
stärken und gemeinsame Flugstaffel
                                                               Die Veränderung der Katastrophenszenarien bedarf
aufbauen                                                       neben der veränderten Ausstattung auch eine angepasste
                                                               Ausbildung der haupt- und ehrenamtlichen Kräfte.
Katastrophen machen nicht an Ländergrenzen halt.
Große Schadenslagen können schnell mehrere Staaten
betreffen oder einzelne Länder überfordern. So auch im         9. Stärkere Betrachtung von
aktuellen Fall, wo Regionen in Belgien oder Österreich
ebenfalls stark betroffen sind. Die Europäische Kommis-        Krisenszenarien und Durchführung
sion hat aus diesem Grund den Aufbau gemeinsamer
europäischer Reserven, der „rescEU“, initiiert, die zunächst   von ressort- und ebenenüber­
von der Bundesregierung ablehnend betrachtet wur-
den. Die europäischen Reserven halten unter anderem            greifende Übungen
Löschflugzeuge zur Bekämpfung von Vegetationsbrän-
den, Rettungshubschrauber zur Notfallversorgung oder           Die Herausforderungen im Katastrophenschutz unter-
auch Hochleistungspumpen für Überschwemmungen vor.             liegen einer ständigen Veränderung, dennoch lassen sich
Die gegenseitige Unterstützung im Katastrophenfall ist         Trends erkennen und potenzielle Risiken sind bekannt.
nicht nur gelebte Solidarität innerhalb der europäischen       Das BBK erstellt jährliche Risikoanalysen, die bisher
Wertegemeinschaft, sondern ist am Ende auch für die            wenig Einfluss auf die praktische Arbeit in den Ländern
Mitgliedsstaaten günstiger, als wenn jedes Land eigene         und Kommunen finden. Auf der anderen Seite sind die
und umfassende Spezialressourcen vorhält. Die Reserve          operativen Fähigkeiten in den Kommunen kaum auf Lan-
bildet vor allem die Möglichkeit, bei besonders schweren       des- und Bundesebene bekannt. Zuletzt gibt es wenige
Schadenslagen die betroffenen Staaten bestmöglich              gemeinsame Übungen, die alle Ebenen umfassen. Die
zu unterstützen.                                               Länder- und Ressortübergreifende Krisenmanagement-
                                                               übung (LÜKEX) bildet zwar einen großen Mehrwert für
Wir wollen, dass der europäische Katastrophenschutz­           die Betrachtung möglicher Szenarien und Abläufe, der
mechanismus und die europäische Reserve „rescEU“               operative Mehrwert ist aufgrund der Konzeption als
weiter ausgebaut werden und Deutschland eine aktive            Übung der aufgerufenen Krisenstäbe, ohne operative Ein-
Rolle bei der Weiterentwicklung einnimmt sowie zusätz-         heiten, jedoch gering.
liche Ressourcen einbringt. Wir wollen außerdem, dass
die länderübergreifende Zusammenarbeit durch Übungen           Wir wollen, dass gemeinsame und ressortübergreifende
verschiedener Nationen gestärkt wird.                          sowie risikobasierte Übungen von Bund, Ländern und
                                                               Kommunen regelmäßig stattfinden und Erkenntnisse aus
                                                               den Übungen implementiert werden. Dazu gehört ggf.
8. Technik und Fähigkeiten den                                 auch eine Stärkung der Krisenzentren und Leitstellen von
                                                               Bund, Ländern und Kommunen. Ein Transfer von Wissen
veränderten Lagen anpassen                                     und Risikobewertungen muss zwischen den Ebenen
                                                               gefördert und ausgebaut werden. Auf dieser Grundlage
Die Zunahme an Extremwettereignissen bedarf einer              sind ebenfalls Schutzkonzepte für Gefahrenlagen und
Anpassung der Technik und Fähigkeiten des Katstrophen-         gefährdete Regionen zu erstellen. Zudem sollte das BBK
schutzes. Im besonderen Maße stellen die Starkregen-           niedrigschwellig Informationen und Bildungsangebote
ereignisse sowie die Dürreperioden und Hitzewellen eine        für Bürger*innen zu Prävention und Verhalten während
Gefahr dar, die fortlaufende Anpassungen des Katastro-         einer Gefahrenlage bereitstellen.
phenschutzes erfordern. Die in den vergangenen Jahren
angestoßenen Investitionen des Bundes in das THW
sowie in die ergänzende Ausstattung des Katastrophen-          10. Notfallreserven stärken
schutzes müssen fortgeschrieben und angepasst werden.
Dazu gehört insbesondere eine Stärkung der Luftrettung         Wir brauchen eine stärkere Notfallbevorratung von
in Verantwortung des Bundes sowie die Beschaffung von          Gütern, die in der Krise knapp sind und gebraucht wer-
Löschflugzeugen oder entsprechenden Hubschraubern.             den. Die COVID-19-Krise hat uns auf dramatische Weise
Darüber hinaus müssen mehr geländefähige und wasser-           gezeigt, dass Schutzausrüstung nicht in ausreichendem
Autorinnenpapier Annalena Baerbock, Dr. Irene Mihalic
26.07.2021                                                                                                              5
Maße vorhanden war. Der Bund hat inzwischen auf diese       Darüber hinaus ist systematisch zu prüfen, für welche Gü-
Situation reagiert und die für den Verteidigungsfall vor-   ter eine Notfallbevorratung notwendig ist oder ob andere
gesehene Sanitätsmittelbevorratung um entsprechende         Vorsorgemaßnahmen getroffen werden müssen, um in
Komponenten erweitert sowie eine Nationale Reserve          großflächigen oder langanhaltenden Katastrophenlagen
Gesundheitsschutz auf den Weg gebracht. Eine umfassen-      eine Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Dabei
de Vorhaltung von Reserven kennen wir in Deutschland        muss sichergestellt werden, dass die strategischen Re-
aktuell vor allem aus dem Bereich der Versorgung mit        serven und Bevorratungen in der Krise unter verschiede-
Lebensmitteln, die im Rahmen des Ernährungssicherstel-      nen Szenarien auch dort verfügbar sind, wo sie benötigt
lungs- und Vorsorge-Gesetz geregelt ist.                    werden.

Außerdem müssen die Kapazitäten zur medizinischen
Versorgung, Notunterbringung und Verpflegung von
Menschen weiter ausgebaut werden. Dazu wollen wir ein
Gesundheitsversorgungssicherstellungs-Gesetz auf den
Weg bringen, das in einer Krise die stationäre und am-
bulante Gesundheitsversorgung und die Versorgung mit
Medizinprodukten, Medikamenten und Schutzausrüstung
sicherstellt, analog zu anderen elementaren Versorgungs-
gütern wie Lebensmitteln.

Autorinnenpapier Annalena Baerbock, Dr. Irene Mihalic
26.07.2021                                                                                                         6
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