Etymologie und historische Semantik - Eine aktuelle Bestandsaufnahme dargestellt am neuhochdeutschen Adjektiv "weise" - UNIPUB
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Etymologie und historische Semantik Eine aktuelle Bestandsaufnahme dargestellt am neuhochdeutschen Adjektiv "weise" Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts (MA) an der Karl-Franzens-Universität Graz vorgelegt von Elisabeth Ruth TRAMMER, BSc am Institut für Sprachwissenschaft Begutachter(in): Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr.phil. Ralph VOLLMANN und Ass.-Prof. Mag. Dr.phil. Michaela ZINKO Graz, 2021
Vorwort Die Idee zur vorliegenden Arbeit entstand aus einem Sonntag nachmittäglichen Gespräch mit meiner Mutter heraus, bei welchem wir, wie so oft, über Gott und die Welt philosophier- ten. Ich danke Ihr für die inspirierenden Gespräche und die ungeteilte Aufmerksamkeit, die sie mir dabei schenkt. Meiner lieben Schwester und meinem allerliebsten Stefan danke ich für das wertschätzende Feedback im Zuge des Korrekturlesens. Weiters danke ich Herrn Prof. Vollmann und Frau Prof. Zinko für die gute fachliche, sowie zwischenmenschlich angenehme Betreuung meiner Masterarbeit. Hinweis im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in der vorliegenden Masterarbeit auf eine ge- schlechtsspezifische Differenzierung verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung stets für beide Geschlechter. 2
Kurzzusammenfassung Die Etymologie beschäftigt sich primär mit der lautlichen Entwicklung und Rekonstruktion von Wörtern. Um die Inhaltsebene von Wörtern und deren semantischen Wandel zu erfor- schen wendet die historische Semantik verschiedene Methoden der semantischen Analy- se an. Um die semantische Bedeutung des nhd. Adjektivs weise und des span. Adjektivs sabio zu bestimmen und auf ihren Bedeutungswandel hin zu untersuchen wurde Sprachmaterial aus aktuellen und etymologischen Wörterbüchern des Deutschen und Spanischen, sowie Onlinequellen, Kookkurrenzdatenbanken und Thesauren lexikalisch semantisch, merk- malsemantisch sowie praktisch semantisch untersucht. Darauf folgte die Analyse der se- mantischen und syntagmatischen Relationen der Lexeme. Aufbauend auf diese, wurden semantische Felder für beide Adjektive erstellt, beide Lexeme aus frame-semantischer Sicht untersucht und ein Vergleich derselben angestellt. Das Ziel der Studie lag darin, folgende Arbeitshypothese zu verifizieren: Die Bedeutung von Wörtern ist wandelbar, kann nur mittels diachroner und synchroner Methoden erfasst werden und ist von soziokulturellen Veränderungen abhängig. Beide Lexeme waren ursprünglich stark von Werten der römisch-katholischen Kirche ge- prägt. Diese Prägungen wichen weitgehend intellektuell-wissenschaftlichen Bedeutungsas- pekten, welche sich im Deutschen in Adjektiven wie klug, gescheit, clever, gebildet, belesen, smart wider finden. Nhd. weise wird kaum noch aktiv verwendet, ein reduktiver Bedeutungs- wandel ist feststellbar. Die Bedeutungsstruktur von span. sabio verlagerte sich dagegen stärker zu seinem schon ursprünglich vorhandenen, intellektuell-praktischen Bedeutungsaspekt, und ist bis heute im Sinne von geschickt, qualifiziert, clever gebräuchlich. Für beide Wörter haben sich die Bedeutungsaspekte langfristiges Denken sowie Erfahrung & Wissen gehalten. 3
Inhalt Vorwort Kurzzusammenfassung Einleitung 1.Theoretische Grundlagen ................................................................................ 7 1.1. Etymologie ..........................................................................................7 1.2. Historische Semantik ......................................................................... 8 1.3. Bedeutung ....................................................................................... 10 1.4. Bedeutungswandel........................................................................... 12 2. Überblick über Material und Methode.............................................................15 2.1. Material ............................................................................................ 15 2.2. Methode.............................................................................................15 2.2.1. Lexikalische Semantik.........................................................16 2.2.2. Merkmalsemantik................................................................17 2.2.3. Praktische Semantik............................................................18 2.2.4. Semantische Relationen.....................................................18 2.2.5. Syntagmatische Relationen................................................21 2.2.6. Wortfelder............................................................................22 2.2.7. Netzwerke und Frames.......................................................23 3. Das Adjektiv weise im Deutschen................................................................... 26 3.1. Lexikalische Semantik ..................................................................... 26 3.2. Merkmalsemantik ............................................................................ 27 3.3. Praktische Semantik......................................................................... 29 3.4. Semantische Relationen ..................................................................30 3.5. Syntagmatische Relationen...............................................................33 3.6. Wortfelder ........................................................................................ 39 3.7. Netzwerke und Frames ....................................................................43 3.8. Etymologie.........................................................................................46 4. Das Adjektiv sabio im Spanischen .................................................................52 4.1. Lexikalische Semantik ......................................................................52 4.2. Merkmalsemantik .............................................................................53 4.3. Praktische Semantik .........................................................................54 4.4. Semantische Relationen ..................................................................57 4.5. Syntagmatische Relationen...............................................................60 4.6. Wortfelder .........................................................................................64 4.7. Netzwerke und Frames ....................................................................64 4.8. Etymologie ........................................................................................66 5. Ergebnisse aus dem Vergleich weise und sabio..............................................69 6. Conlcusio........................................................................................................72 Glossar................................................................................................................75 Literatur ............................................................................................................. 76 4
Einleitung Was bedeutet weise? Wie kann man die Bedeutung von Wörtern untersuchen? Die Etymo- logie ermöglicht uns das Zurückverfolgen eines Wortes auf seinen Ursprung. Bedeutungen von Wörtern sind jedoch keine starren Größen, sondern veränderbar und unterliegen wie alle Bereiche der Sprache ständigen Wandelerscheinungen. Wie also verändern sich Wörter, was sind die zugrundeliegenden Einflussfaktoren für Be- deutungswandel und wie kann man diesen untersuchen? Diesen Fragen soll in der vorliegenden Arbeit nachgegangen werden. Die unterschied- lichen Herangehensweisen an und die unterschiedlichen Untersuchungsmethoden von Bedeutungsveränderungen sollen am Beispiel der Adjektive weise und sabio exemplifiziert werden. Anschließend wird ein Vergleich der beiden Adjektive versucht. Die Sprachen Deutsch und Spanisch wurden ausgewählt, da sie einerseits beide europäische Sprachen sind, andererseits jedoch auch ausreichend verschiedene Hintergründe aufweisen. Hintergrund für die Bearbeitung dieses Themas stellen die Etymologie, historische und allgemeine Semantik sowie die Sprachtypologie dar. Materialgrundlage bilden die synchro- nen und etymologischen Wörterbücher zum Deutschen und Spanischen, die in Kapitel 2 dargestellt werden. Zur semantischen Analyse werden verschiedene Methoden aus der strukturalistischen und kognitiven Linguistik eingesetzt. Damit soll eine semantische Be- schreibung des Adjektivs weise und des spanischen Adjektivs sabio ermöglicht und Verän- derungen in der Inhaltsstruktur aufgezeigt werden. Die zugrundeliegenden Arbeitshypothesen lauten: 1. Die Bedeutung von Wörtern ist vielschichtig und wandelbar. Sie kann nur unter Be- zugnahme auf ihren Kontext vollständig erschlossen werden und ist selbst dann noch gewissermaßen subjektiv und individuell. 2. Um die Bedeutung (und den Bedeutungswandel) von Wörtern erfassen zu können, müssen sowohl diachrone als auch synchrone Untersuchungen durchgeführt wer- den. 3. Bedeutungswandel ist stark von soziokulturellen Veränderungen abhängig. Das wird auch deutlich, wenn man Bedeutungswandel sprachübergreifend betrachtet. Soziokulturelle Gegebenheiten spiegeln sich im Wortschatz wider. Daraus ergeben sich folgende Fragen: 1. Lassen sich die Ergebnisse, die aus dem Material aufgrund der verschiedenen Un- tersuchungsmethoden gewonnen werden können, mit den Ergebnissen der Etymo- logie vergleichen? 2. Lassen sich soziokulturelle Entwicklungen bzw. Unterschiede in Österreich vs. Spa- nien anhand der Bedeutungsverengungen bzw. Bedeutungserweiterungen von wei- se vs. sabio feststellen? 5
3. Gibt es Parallelen bzw. Unterschiede in den semantischen Entwicklungen zwi- schen dem deutschen und dem spanischen Adjektiv, die durch außersprachliche Veränderungen bedingt sind? Erst nach der Darstellung der semantischen Einzeluntersuchungen und Analysen des Ad- jektivs weise im Deutschen und des Adjektivs sabio im Spanischen, können die Ergebnisse der beiden Analysen zusammengefasst und verglichen werden. Parallele und unterschied- liche Entwicklungen sollen somit festgestellt werden. Dieser Vergleich soll es ermöglichen, über das sprachliche Material hinaus außersprachliche Veränderungen, die sich im Wort - schatz niederschlagen, exemplarisch darzustellen. 6
1. Theoretische Grundlagen Im Folgenden werden die Begriffe Etymologie und historische Semantik voneinander ab- gegrenzt. Weiters folgt eine Erläuterung zum Terminus Bedeutung und dem Begriff des Bedeutungswandels. 1.1. Etymologie Das Ziel der Etymologie besteht darin, lexikalische Einheiten einer Sprache auf ihren Ursprung zurückzuführen und die Bedeutung, die Geschichte und die Entwicklung zu beschreiben (vgl. Polomé 1990: 415). Der Begriff Etymologie stammt aus dem Altgriechischen etymología und ist definiert als die Wissenschaft von der Herkunft und der Geschichte von Wörtern und ihren Bedeutungen. Bestehend aus den Bestandteilen étymos „wahr, echt, wirklich“ und lógos „Wort“ bedeutet der Begriff so viel wie die Erklärung der einem Wort innewohnenden Wahrheit. Im Deut- schen wird der Begriff Wortherkunft synonym verwendet (vgl. Zeilfelder 2012: 28; Ziegler 2012: 339; Zinko 2006: 3). Zeilfelder definiert Etymologie als „durch den Sprachvergleich gewonnene voreinzelsprachliche Rekonstruktion der nichtbezeugten Epoche“ und grenzt diese damit klar von der Wortgeschichte als „Untersuchung der einzelsprachlich bezeugten Entwicklung eines Wortes“ ab (Zeilfelder 2012: 28). Mithilfe von sprachinternen und sprachübergreifenden Vergleichen und Analysen sol- len sprachliche Entwicklungen rekonstruiert und Bedeutungswandel untersucht werden. Am Anfang etymologischer Arbeit steht die lautliche Untersuchung und die lautliche sowie morphologische Rekonstruktion von Wörtern, da es wenig sinnvoll ist, über semantische Zusammenhänge zwischen Wörtern nachzudenken, solange ihre lautliche und morpholo- gische Zusammengehörigkeit nicht geklärt ist. Auf die lautliche Analyse folgt die semanti- sche Untersuchung, also die Darstellung des Bedeutungswandels und der semantischen Veränderungen, wobei die Etymologie ihren Fokus deutlich auf das Gebiet der lautlichen und formalen Rekonstruktion legt (vgl. Zeilfelder 2012: 30; Zinko 2006: 2-3). Betrachtet man die Verwendung des zusammengesetzten Wortes Etymologie im Griechi- schen, das erstmals im 1. Jahrhundert v. Chr. belegt ist, stellt man fest, dass sich bereits Philosophen wie Heraklit und Platon etwa 500 v. Chr. mit den Ursprüngen von Wörtern und der Richtigkeit ihrer Verwendung beschäftigten. Damals standen sich zwei einander konträre Strömungen gegenüber. Eine der beiden Strömungen vertrat die Annahme, alle Wörter besäßen von Natur aus ihre Bedeutung und bedürfen keiner Definition. Dem ge- genüber stand die These, dass die lautliche Gestalt von Wörtern willkürlich durch den Menschen festgelegt ist und somit keine direkten Rückschlüsse von der Form eines Wor- tes, also dem Ausdruck auf seine Bedeutung gezogen werden können. Bis heute gilt die Etymologie als Teilbereich der vergleichenden Sprachwissenschaft und ist klar von der wissenschaftlich nicht fundierten Volksetymologie, deren Annahmen oft nur auf vagen Mutmaßungen, oberflächlichen Ähnlichkeiten und scheinbaren Verwandtschaftsbeziehun- gen basieren, abzugrenzen (vgl. Trier 1981: 9-11). 7
Beim Versuch, die etymologische Herangehensweise hinsichtlich ihrer Methodik einzuord- nen, zeigt sich das Problem der Ambivalenz zwischen Synchronie und Diachronie. Die dia- chrone, historisch oder prozessural ausgelegte Betrachtungsweise untersucht Sprache in Hinblick auf ihre zeitliche Entwicklung. Der etymologische Teilbereich der Wortgeschichte lässt sich hierin durchaus einordnen. Ein weiterer Hauptbereich der Etymologie untersucht die Wortentstehung, wie also „in ei- ner konkreten Situation, bei einem konkreten Bedarf, aus bestimmten vorhandenen Mitteln ein neues Wort gebildet wird“ (Seebold 1981: 55). Dieser Teilbereich ist der idiosynchro - nen, auf ein einheitliches Sprachsystem beruhenden Betrachtungsweise zuzuordnen. Bezüglich der Arten der Wortbildung muss also zwischen systematischen Einheiten, welche idiosynchron, also ohne historischen Hintergrund entstehen, und lexikalischen Ein- heiten, welche Lexikalisierungsprozesse einschließen, und somit einen diachronen Entste- hungshintergrund mit sich bringen, unterschieden werden (vgl. Seebold 1981: 58). Eine lautliche Struktur wird erst dann zu einer lexikalischen Einheit, einem Wort, wenn es „als Bezeichnung von etwas ganz Bestimmten in der Sprache gespeichert ist und nicht mehr als voll systematische Kombination, als unmittelbarer Reflex eines Sinneseindrucks“ fun- giert (Seebold 1981: 58). Zusammenfassend kann die Etymologie somit als Lehre der Her- kunft und Geschichte von Wörtern definiert werden. Pfister beschreibt einen grundsätzlichen Unterschied zwischen indogermanischer und romanischer Etymologie. Neben der Untersuchung des formalen Materials eines Wortes, dem signifiant des sprachlichen Zeichens, versuchen Indogermanisten auch den signifié zur Zeit der Wortschöpfung zu ergründen. Es soll also auch die ursprüngliche Bedeutung eines Lautkörpers erforscht werden. Romanisten richten ihren Fokus hingegen nicht so sehr auf den Ursprung eines Wortes, sondern untersuchen genetische Zusammenhänge eines Wortes häufig bis hin zu einer bestimmten, vergangenen Epoche, meist die lateini- sche Sprachstufe (vgl. Pfister 1980: 20). „Romanistische Etymologen begnügen sich nor- malerweise mit dem lateinischen Etymon oder der entsprechenden Substrat- oder Super- stratbasis und dringen nicht bis zu den indogermanischen Wurzeln vor.“ (Pfister 1980: 21). 1.2. Historische Semantik Aus der Forschungstradition der Etymologie entwickelte sich die historische Semantik zu- erst als Hilfswissenschaft und später als eigenständige Wissenschaft heraus (vgl. Busse 2005: 1308). Die Disziplin erhielt zunächst die Bezeichnung Semasiologie und kann etwa auf das Jahr 1825 datiert werden. Ihre Anfänge nahm die historische Semantik mit der Forderung des Altphilologen Karl Reisig, Bedeutungen von Wörtern ihrer inneren Ordnung nach in Wörterbüchern anzuführen, also geordnet nach ihren historischen Entwicklungen und Zusammenhängen. Den ersten Aufschwung der historischen Semantik gab es in den Jahren 1880 bis 1900. Wegweisende historisch-semantische Theoretiker dieser Zeit wa- ren Michel Bréal und Hermann Paul. Ihre Forschungen bestanden unter anderem in der Entwicklung einer Typologie von Arten des Bedeutungswandels, wie bspw. der Bedeu- tungsverengung, Bedeutungserweiterung, Metapher, Metonymie, Euphemismus und wei- teren Erscheinungen (vgl. Fritz 1998: 88-89). 8
Der Aufgabenbereich der historischen Semantik liegt in der Erforschung der Geschichte der Bedeutung von Wörtern (vgl. Fritz 1998: 4). Sie beschäftigt sich mit dem Bedeutungs - wandel von Wörtern in Hinblick auf ihre zeitliche Tiefe und lässt sich somit der diachronen Betrachtungsweise von Wörtern zuordnen. Auch auf Fragen bezüglich allgemeiner sprach- licher Verfahren, den Prinzipien und Mechanismen, welche semantischen Entwicklungs- prozessen zugrunde liegen, versucht die historische Semantik Antworten zu geben (vgl. Fritz 1998: 4). Im Unterschied zu aktuell praktizierten Untersuchungen im Bereich der his- torischen Semantik folgen die Grundlagen früherer Untersuchungen einem psychologisch- historischen Grundkonzept und ihre Erkenntnisse beruhten überwiegend auf Einzelfallstu- dien (vgl. Blank 2001: 15). Jost Trier leitete Mitte des 19. Jhd. einen Paradigmenwechsel hin zur strukturellen Semantik ein, welcher sich auf den theoretischen Grundlagen Ferdi- nand de Saussures stützte. Er führte erstmals den Begriff des Wortfeldes ein und postu- lierte, dass eine Wortfeldanalyse auch den synchronen Aspekt mit einschließen muss (vgl. Blank 2001: 15). Im Alltag begegnen wir diesem Forschungsgegenstand, wenn neue Verwendungswei- sen von Wörtern auftreten und wir deren Bedeutung durch die momentane Gesprächssitu- ation erschließen bzw. diese sich durch einen anderen, neuen Kontext verändert. Derarti - ge Beobachtungen bilden die Grundlage für eine allgemeinere Beschäftigung mit den Fra- gen nach der geschichtlichen Entwicklung von Wörtern und damit für die historische Se- mantik als wissenschaftliche Disziplin (vgl. Fritz 1998: 3). Die historische Semantik um- fasst verschiedene Theorien der Bedeutungslehre, wie etwa die Schlagwortforschung und Begriffsgeschichte, die kognitive versus handlungstheoretische Semantik, die diachrone strukturelle Semantik sowie die Grammatikalisierungstheorie (vgl. Fritz 1998: 88-103). Die Grammatikalisierungstheorie beschreibt die „vielfache Motivation der Sprachzei- chen, ihre Multifunktionalität und ihren Status des Übergangs“ (Vollmann 2014: 131). Der Prozess der Grammatikalisierung beschreibt die Entwicklung eines Lexems hin zu einem Funktionswort bzw. Affix durch eine immer stärker werdende stereotype Verwendung in bestimmten Kontexten. Der semantische Wert eines Wortes geht dabei immer mehr verlo- ren, im Gegenzug gewinnt es an funktionalem Wert und wird letztendlich zu einem Funkti- onswort oder Morphem (vgl. Vollmann 2014: 131). In Grammatikalisierungsprozessen zeigt sich deutlich, wie SprecherInnen „auf mög- lichst ökonomische Art neuen Gebrauch von alten Mitteln machen“ und somit auch eine Art Bedeutungswandel im Sinne von Funktionsübernahme vollzogen wird (Fritz 1998: 5). Ausgehend von anfangs (rein) lexikalischen Elementen bekommen Wörter einen immer stärker werdenden funktionalen Charakter und entwickeln sich hin zu funktionalen Ele - menten, morphologisch und syntaktisch relevanten Funktionsträgern, wie beispielsweise an der Entwicklung des englischen Verbs will „wollen“ hin zum Futur-Indikator sichtbar wird (vgl. Bybee, Perkins & Pagliuca, 1994: 16, 17, 24). Im Deutschen zeigt das Beispiel während die Entwicklung des Partizip Präsens des heutzutage kaum mehr gebräuchlichen Verbs „währen“ hin zu einer adjektivischen Verwendungsweise „die immerwährende Neu- tralität“, einer Verwendung als temporale Konjunktion (z.B. „Während Hans aß, las Maria die Zeitung.“) oder adversiven Verwendung (z.B. „Während Maria Zeitunglesen liebt, ver- abscheut Hans alles Gedruckte.“) (Vollmann 2014: 131). 9
Im Gegensatz zur Etymologie beschäftigt sich die historische Semantik primär mit der Er - forschung des Bedeutungswandels von Begriffen. Ihr Hauptaugenmerk liegt also auf den Phänomenen der Inhaltsebene von Begriffen. Die Etymologie rückt hingegen klar die Er- forschung des Lautwandels und der Rekonstruierung des zugrundeliegenden Ursprungs- wortes, also der Ausdrucksebene eines Begriffes in den Vordergrund. Etymologie und his- torische Semantik überschneiden sich also durchaus in einigen Bereichen, finden jedoch andere Forschungszugänge, welche sich aus verschiedenen Fragestellungen herausbil- den. Die zentralen Fragen der historischen Semantik lauten folgendermaßen: 1. Wie nutzen die Sprecher einer Sprache das vorhandene Bedeutungspotential sprachlicher Ausdrücke dazu, erfolgreich zu kommunizieren, also beispielsweise neue Gedanken auszudrücken, bekannte Gedanken besonders treffend auszudrü- cken und auf ihre Kommunikationspartner geschickt Einfluß [sic] zu nehmen? 2. Welche Folgen hat diese Praxis für die Entwicklung der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke (d.h. der Wörter und Wortgruppen)? (Fritz 1998: 4) Zugang der historischen Semantik nach Gerd Fritz ist also die Untersuchung des Bedeu- tungswandels, welche eine synchrone Untersuchung mit einschließt. Der Zugang von Ety- mologen liegt hingegen vielmehr im Erforschen der Urform von Wörtern und hat somit ei - nen sehr stark diachronen Charakter (vgl. Zinko 2006: 2-3). 1.3. Bedeutung Zentraler Gegenstand der Semantik ist die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke. Bezüglich der genauen Definition des Terminus Bedeutung herrscht jedoch Unstimmigkeit. Einigerma- ßen einig sind sich Forscher jedoch über die grundlegende Annahme, dass Bedeutung sich auf das Gemeinte in einer Äußerung bezieht, das worauf man referiert. Die Beziehungen zwischen einem Ausdruck, seiner Bedeutung und dem Referenten können mithilfe des se- miotischen Dreiecks in Abb. 01 veranschaulicht werden (vgl. Löbner 2015: 29; Ogden & Ri- chards: 1923: 11). Abb. 01: Semiotisches Dreieck für den Gebrauch von Inhaltswörtern (Löbner 2015: 29). 10
Das Wort ist nicht direkt mit seiner Denotation bzw. dem Referenten verknüpft, sondern nur indirekt über die Verknüpfung mit seiner Bedeutung. Ein Wort trägt also eine Bedeu- tung, welche den Referenten beschreibt. In ähnlicher Weise lässt sich das Modell auch auf Satzebene anwenden. Analog zu Inhaltswörtern kann die Denotation eines Satzes als die „Menge aller seiner potenziellen Referenzsituationen“ bzw. „die Menge aller Situationen, auf die der Satz zutreffen würde“ definiert werden (Löbner 2015: 30). Anstelle der für die Beschreibung von Wörtern verwendeten Bezeichnung Denotation tritt auf Satzebene der Begriff der sogenannten Wahrheitsbedingungen. Diese sind definiert als allgemeine Bedin- gungen, unter welchen ein Satz wahr ist (vgl. Löbner 2015: 29). „Wenn man die Wahr- heitsbedingungen eines Satzes kennt, weiß man, auf welche Art von Situationen der Satz referieren kann“ (Löbner 2015: 31). In Abb. 02 wird die Anwendung des semiotischen Drei- ecks auf Satzebene dargestellt. Abb. 02: Das semiotische Dreieck für Sätze (Löbner 2015: 31). Die Darstellung zeigt, dass die deskriptive Bedeutung eines Satzes seine Proposition, also ein Konzept für die potenziellen Referenzsituationen, ist. Die Proposition wiederum deter- miniert die Wahrheitsbedingungen des Satzes (vgl. Löbner 2015: 31). Vertreter des Strukturalismus „suchen die Bedeutung eines Ausdrucks durch seine Relati- onen im Netz der Bedeutungen verwandter Ausdrücke oder durch Zerlegung in kleinste semantische Einheiten“ (Hoffmann 2000: 613). Referenzsemantiker stellen den Weltbezug der Sprache in den Vordergrund und argumentieren: „Man kennt die Bedeutung eines Sat- zes, wenn man weiß, wie die Welt aussieht, in der er wahr ist“ (Hoffmann 2000: 613). Be- deutung lässt sich auch durch Fragen nach Synonymie und Ambiguität, oder aber auch durch seinen Gebrauch in Sprachspielen erläutern. Weiters geben syntagmatische und paradigmatische Relationen zu sinnverwandten Begriffen Aufschluss über die Bedeutung eines Wortes. Beispielsweise können die Wochentagsbezeichnungen in die Leerstelle des Syntagmas, also der zusammengesetzten Einheit, „heute ist ___“ eingesetzt werden. Im daraus resultierenden Paradigma von Wochentagsbezeichnungen können Bedeutungsbe- ziehungen zwischen den einzelnen Bezeichnungen bestimmt werden (vgl. Löbner 2015: 271, 269). Teilweise wird die Bedeutung auch als mentales Konzept interpretiert. Dem liegt der kogniti- ve Vorgang der Kategorisierung von Sinneseindrücken zugrunde. Diese Kategorisierung 11
erfordert eine mentale Repräsentation der Kategorien (vgl. Löbner 2015: 321). Zur Art und Weise, wie Kategorien mental repräsentiert sind, besteht unter anderem die Theorie, dass eine „Kategorie in unserem kognitiven System durch ein Konzept für ihre Mitglieder, eine mentale Beschreibung eines solchen Mitglieds, repräsentiert ist“ (Löbner 2015: 321). Die Kategorie HUND ist demnach durch unser mentales Konzept von ›Hund‹ repräsentiert. Dieses mentale Konzept entsteht aufgrund von Beschreibungen, die wir auf Basis unserer Wahrnehmung zu einem Objekt gewinnen. Diese Beschreibungen können Eigenschaften und Beschaffenheiten wie bspw. die Form, Größe, Geruch, Farbe etc. des Objektes betref- fen und werden mit unseren bereits bestehenden Konzepten zu einer Sache abgeglichen. Wenn die wahrgenommenen Informationen mit unserem Konzept ›Hund‹ übereinstimmen, wird das Objekt als Hund kategorisiert. Dabei wird angenommen, dass nur ein Bruchteil unserer Konzepte sprachlich ausgedrückt werden kann (vgl. Löbner 2015: 321). Die Frage danach, ob es überhaupt etwas wie Bedeutung als außersprachliche, sprachunabhängige Größe gibt, beschäftigt die Philosophie bis heute (vgl. Hoffmann 2000: 613-614). 1.4. Bedeutungswandel Bedeutungswandel besteht nach Trier in der Strukturänderung eines lexikalischen Sys- tems von einem synchronen Stadium einer Sprache zum nächsten Stadium. Daraus ergab sich eine Weiterentwicklung der Methodik von der Analyse von Einzelwortschicksalen hin zu einem Vergleich zwischen Wortfeldern über einen bestimmten Zeitraum. Trier verwendete seine Methoden um die verschiedenen Stadien der Bedeutungsentwicklungen von Wör- tern im Althochdeutschen zum Mittelhochdeutschen zu analysieren. Er untersuchte unter anderem das Feld der intellektuellen Adjektive und deren Substantive auf ihren Bedeu- tungsgehalt hin. Das lateinische Pendant zu weise, gelehrt sah er in sapiens und prudens. Die Gegenstücke im Englischen lauteten unter anderem wise, intelligent, clever, cunning (vgl. Fritz 2012: 120-121). Die von Trier verfolgte Methode beschäftigte sich auch mit der Ersetzbarkeit von Wörtern in einem Satz durch andere und dem damit mehr oder weniger verbundenen Bedeutungs- wandel. Sein Fokus der semantischen Untersuchung liegt somit auf den paradigmatischen Relationen von Wörtern. Eine weitere Möglichkeit der semantischen Forschung liegt in der Untersuchung von syntagmatischen Relationen von Wörtern mithilfe von Kookkurenzana- lysen bestimmter Wörter, worauf in der konkreten Analyse von weise und sabio näher ein- gegangen wird (vgl. Fritz 2012: 121). Es bestehen mehrere Definitionen bzw. Formen des Bedeutungswandels. Als innovativen Bedeutungswandel beschreibt man „die Entstehung einer neuen Bedeutung mit voll aus- geprägten Bedeutungsebenen bei einem Wort neben der alten“ (Blank 1997: 113). Es ent - steht also eine neue, weitere Bedeutung eines Wortes neben der ursprünglichen, bereits bestehenden Bedeutung eines Wortes. Dabei kommt es zu einer Mehrdeutigkeit, wobei die polysemen Wortbedeutungen eines Lexems miteinander in Relation stehen (vgl. Blank 1997: 103). Dem gegenüber steht der reduktive Bedeutungswandel, welcher sich durch den Wegfall ei- ner vollausgeprägten Bedeutung auszeichnet (vgl Blank 1997: 113). Ullmann unterschei- 12
det hierbei zwischen „Bezeichnungsübertragung (d.h. eine vorhandene Bedeutung erhält eine neue Bezeichnung, die dann zwei Bedeutungen ausdrückt)“ und „Bedeutungsübertra- gung (eine Bezeichnung erhält eine zweite (dritte etc.) Bedeutung)“ (Ullmann 1957: 223, 235). Die Bezeichnungsübertragung erfolgt aufgrund von Similarität und Kontinguität des Inhalts eines Wortes. Die Bedeutungsübertragung hingegen wird durch die Similarität und Kontinguität des Ausdrucks eines Wortes hervorgerufen (vgl. Blank 1997: 40; Ullmann 1957: 223, 235). Beide Prozesse werden in Abb. 03 grafisch dargestellt. Abb. 03: Bedeutungswandel nach Ullmann (1957: 223, 235). Eine weitere Form des Bedeutungswandels beschreibt Werth mit der Veränderung ein und derselben Bedeutung eines Wortes. Wie in Abb. 04 illustriert, kommt es in diesem Fall nicht zur Polysemie des jeweiligen Lexems, sondern zu einer Überführung einer semanti- schen Struktur und ihrer lexikalischen Repräsentation in eine neue semantische Struktur. Gründe hierfür können sprachlicher oder soziohistorischer Natur sein (vgl. Blank 1997: 104; Werth 1974: 379). Abb. 04: Bedeutungswandel nach Werth (1974: 379). 13
Kurt Baldinger definiert den Bedeutungswandel als „kontinuierliche […] Verlagerung der Kontexte” eines Wortes (Baldinger 1993: 6). „Bedeutungswandel beginne mit dem Auf- kommen eines neuen Kontextes, in dem ein Wort verwendet werden kann, und ende bei einer kompletten Verschiebung dieser Kontexte, was im Extremfalle zu so unterschiedli- chen Bedeutungen wie lt. capello 'Kapuze des heiligen Martin' und dt. Kapelle 'Musikgrup - pe' führe.“ (Blank 1997: 105). In Abb. 05 wird der Prozess des Bedeutungswandels ausge- hend von der ursprünglichen Bedeutung eines Wortes hin zu seiner neuen Bedeutung dar- gestellt. Abb. 05: Bedeutungswandel nach Baldinger (1993: 6; Blank 1997: 105) Baldinger vertritt im Vergleich zu Ullmann und Werth eine monosemische Sichtweise, nach welcher ein Wort generell nur eine Bedeutung haben kann. Da jedoch die verschie- denen Kontextvarianten eines Wortes über einen längeren Zeitraum koexistieren, kann auch hier von mehreren Bedeutungen eines Lexems ausgegangen werden. Häufig tritt da- bei eine der beiden über einen gewissen Zeitraum in den Vordergrund, wohingegen die andere seltener wird und schließlich verschwindet (vgl. Blank 1997: 105). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die allgemeine Definition von Be- deutungswandel als „das Hervorbringen einer neuen Bedeutung im Verhältnis zur vorhan - denen“ (Blank 1997: 105) als grundlegende Arbeitshypothese genommen werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass „Die Betrachtung des lexikalischen Bedeutungswandels [..] einzubetten [ist] in einen wissenschaftlichen Zusammenhang, der von der Mikroskopie des historischen Einzelphänomens bis zur Makroskopie des anthropologisch begründba- ren kognitiven und pragmatischen Verfahrens reicht“ (Lebsanft & Gleßgen 2004: 1-2). 14
2. Überblick über Material und Methode Im Folgenden wird ein Überblick über die, der Untersuchung zugrundeliegenden Materiali- en und der darauf angewandten Methoden gegeben. 2.1. Material Das für die semantischen Untersuchungen und etymologischen Auswertungen benötigte Wort- und Sprachmaterial wurde auf Grundlage diverser Wörterbücher und Onlinequellen gewonnen. Für das Deutsche wurden folgende Quellen herangezogen: • Wörterbücher ◦ Deutsches Wörterbuch von Grimm ◦ Ursprung der Wörter. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Mackensen ◦ Grammatisch kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart von Adelung ◦ Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes von Trier ◦ Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache von Duden • Online-Quellen ◦ Duden online • Weitere Quellen ◦ Kookkurrenzdatenbank CCDB des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim ◦ Thesaurus des Textverarbeitungsprogrammes Word Für das Spanische wurden folgende Quellen herangezogen: • Wörterbücher ◦ Breve diccionario etimológico de la lengua castellana von Corominas ◦ Etymologisches Wörterbuch der romanischen Sprachen von Diez ◦ Lateinisch romanisches Wörterbuch von Meyer-Lübke ◦ Diccionario de la Lengua Española von Real Academia Española ◦ Spanisch-Deutsches Taschenwörterbuch von Langenscheidt • Online-Quellen ◦ Spanisch-Englisches Wörterbuch SpanishDict ◦ Spanisch-Deutsches Wörterbuch Langenscheidt ◦ Latein-Deutsches Wörterbuch Langenscheidt • Weitere Quellen ◦ Thesaurus des Textverarbeitungsprogrammes Word 2.2. Methode Zur semantischen Analyse werden verschiedene Methoden aus der strukturalistischen und kognitiven Linguistik eingesetzt. Mithilfe dieser Analysemethoden soll eine semantische Beschreibung der Adjektive weise und ebenso des Adjektivs sabio ermöglicht und Verände- rungen in der Inhaltsstruktur aufgezeigt werden. Die Anordnung der einzelnen Analyseme- 15
thoden folgt einem logischen Aufbau. Die lexikalische Semantik, in welcher das Lexem an sich untersucht wird, bildet die Grundlage der semantischen Auseinandersetzung mit dem Begriff weise. Darauf folgt in der Merkmalsemantik das Herauslösen einzelner semanti- scher Merkmale aus dem Lexem weise. Als nächster Schritt wird in der praktischen Se- mantik der Gebrauch und die Verwendung des Lexems untersucht, woraufhin anschlie - ßend die semantischen Relationen des Adjektivs weise untersucht werden. Aus der Analy- se der semantischen und syntagmatischen Relationen ergibt sich wiederum die Untersu- chung des gesamten Wortfeldes und Sinnbezirkes, in welches das Wort weise eingebettet ist. Da Erkenntnisse aus der kognitiven Linguistik zeigen, dass der Mensch nicht nur in Wortfeldern denkt, werden diese verlassen und das Lexem weise schließlich innerhalb ei- nes größeren Rahmens von assoziativ verknüpften Frames untersucht. 2.2.1. Lexikalische Semantik Die lexikalische Semantik ist eine der wichtigsten Gegenstände der linguistischen Seman- tik und wurde unter anderem zum Verfassen von Wörterbüchern eingesetzt (vgl. Busse 2009: 93). Im Gegensatz zu anderen Bereichen der semantischen Forschung, wie etwa die Untersuchung semantischer Relationen zwischen Wörtern und Wortschatzbereichen, die Satzsemantik oder Textsemantik, beschäftigt sich die lexikalische Semantik mit der Bedeutung des einzelnen Wortes. Untersucht werden denotative Bedeutungsmerkmale un- ter weitgehendem Ausschluss konnotativer Bedeutunsgmerkmale, sozial-stilistischer Merkmale, rein situations- und kontextbedingter Bedeutungsmerkmale, sowie semanti- scher Relationen. Häufig werden auch satzsemantische Merkmale und Verwendungs- bedingungen nicht in die lexikalisch semantische Untersuchung miteinbezogen. Die Unter- suchung der lexikalischen Bedeutung als linguistisches Konstrukt schließt zudem die gram- matische Bedeutung, welche durch Flexionsmerkmale gekennzeichnet werden kann, aus (vgl. Busse 2009: 94). Untersucht wird also die weitgehend isolierte, wörtliche Bedeutung eines Ausdrucks wie sie etwa in Wörterbüchern aufgelistet ist. Ergebnisse lexikalischer Untersuchungen kön- nen somit schwerpunktmäßig ausgewählte Aspekte eines Ausdrucks erfassen. Nicht aber können sie die “Gesamtheit der Fülle an Bedeutungsnuancen aller Verwendungsmöglich- keiten einer Wortform wiedergeben” (Busse 2009: 94). Die lexikalische Bedeutungsbe- schreibung stellt somit nur eine verkürzte Form der vollständigen Bedeutung eines Wortes dar (vgl. Busse 2009: 100). Auf nicht-wörtliche, übertragene Bedeutungen in einem Satz wie Unser Jubilar saß am Kopf der Tafel wird Kopf etwa nicht als Körperteil verstanden werden. Auf derart metaphorische Wortbedeutungen wird in der lexikalischen Semantik nicht eingegangen. Auch bei einem Satz wie Jan stieg aufs Rad wird man normalerweise annehmen, dass das Rad für ein Fahr- rad steht und Jan sich nicht etwa auf einen Reifen gestellt hat. Diese Art der Wortverwen- dung, bei der ein Teil für das Ganze steht, wird Metonymie genannt. Die hier naheliegende Unterscheidung zwischen wörtlicher, metaphorischer und metonymischer Bedeutung ist jedoch nicht immer so eindeutig (vgl. Busse 2009: 100). 16
2.2.2. Merkmalsemantik Wo in der lexikalischen Semantik ein Wort als kleinster selbständiger Bedeutungsträger gilt, ist die Bedeutung eines Wortes nach merkmalsemantischer Auffassung als ein Bündel von mehreren, einzelnen Bedeutungsmerkmalen zu verstehen. Als maßgeblicher Begrün- der des Strukturalismus gilt Ferdinand De Saussure, welcher mit dem bilateralen Zeichen- begriff ein einzelnes sprachliches Zeichen bestehend aus Ausdruck (signifiant) und Be- deutung (signifié) versteht (vgl. Busse 2009: 42). Die Bedeutung ist nach Saussure abhän- gig von seinem Wert bzw. seiner Stellung im Sprachsystem, also seinen Beziehungen bzw. Sinnrelationen zu anderen Wörtern. André Martinet erweiterte Saussures Annahmen um die Theorie der double articulation, welche besagt, dass sprachliche Zeichen in zwei Ebenen gegliedert sind. So wie ein Wort auf lautlicher Ebene phonologisch gegliedert wer - den kann, lässt es sich nun auch hinsichtlich seiner semantischen Gliederung auf Inhalts- ebene in kleinste semantische Merkmale und deren Relationen zueinander gliedern (vgl. Busse 2009: 43). Die Merkmalsemantik postuliert also nicht nur die Zerlegbarkeit sprachli- cher Zeichen in kleinere Bestandteile (Analysierbarkeitspostulat), sondern auch, dass dies restfrei möglich sei (Exhaustivitätsprinzip). Die strukturalistische Merkmalsemantik wirft je- doch mehrere Fragen auf. Zum einen ist der Status semantischer Merkmale nicht vollstän - dig geklärt – die Wahl der semantischen Merkmale, nach denen ein Wort analysiert wer- den soll, ist weitgehend willkürlich. Zum anderen lassen sich Wortbedeutungen natürlicher Sprachen nicht restfrei durch Merkmalsaufzählungen beschreiben. Vielmehr handelt es sich bei einer Merkmalanalyse um eine Paraphrasierung von Lexemen (vgl. Busse 2009: 48). In der Abb. 06 folgt ein Beispiel einer typischen Merkmalsmatrix. Merkmale +/- belebt +/- menschlich +/- erwachsen +/- männlich +/- verheiratet Mann + + + + + Frau + + + - + Fräulein + + + - - Items Mädchen + + - - - Junge + + - + - Junggeselle + + - + - Abb. 06: Merkmalsmatrix als Bedeutungsumschreibung (vgl. Busse 2009: 44) Diese semantischen Merkmale wie hier „+/- belebt“, „+/- menschlich“, „+/- erwachsen“, „+/- männlich“, „+/- verheiratet“ stammen aus unserem Weltwissen. Dabei sind sie inhärent an die Konzepte „Mann“, „Frau“, „Fräulein“, „Mädchen“, „Junge“, „Junggeselle“ gebunden, da sie im Frame (siehe Kapitel 2.2.7.) als konzeptuell kontig erkannt sind (vgl. Mutz 2004: 59). 17
2.2.3. Praktische Semantik Die Praktische Semantik legt ihren Schwerpunkt auf den Gebrauch und die Verwendung von Wörtern im Kontext. Sie geht dabei nicht von einer einheitlichen Bedeutung eines Zei- chens in einer Sprache aus. Verständigungsprobleme basieren insofern darauf, als dass Wörter in verschiedenen Situationen und Kontexten unterschiedlich verwendet werden können (vgl. Busse 2009: 61-62). Die Praktische Semantik nimmt an, dass zur Beschreibung der Bedeutung eines sprachli- chen Zeichens, sein Zusammenhang innerhalb einer sozialen Lebensform berücksichtigt werden muss. Weiters müssen die für seinen Gebrauch zugrundeliegenden Regeln unter - sucht werden (vgl. Busse 2009: 62). Diese Regeln für die Verwendung eines Ausdrucks können als Konventionen von sozialen Gruppen über die Verwendung sprachlicher Zei- chen verstanden werden. Sie sind also gebunden an den sozialen Gebrauch von Wörtern (vgl. Busse: 65, 67). Die praktische Semantik erlaubt zwar die Erläuterung von Wortbedeu- tungen durch paraphrasierende Bedeutungsbeschreibungen, hebt jedoch hervor, dass die- se Beschreibungen nicht mit der Bedeutung an sich gleichgesetzt werden können. Jede Be- schreibung einer Bedeutung ist demnach immer ein Ausschnitt von vielfältigen, möglichen Verwendungsvarianten (vgl. Busse 2009: 66). 2.2.4. Semantische Relationen Die linguistische Zeichentheorie besagt, dass ein sprachliches Zeichen eine Relation zwi- schen Ausdrucks- und Inhaltsseite in sich trägt. Aber auch untereinander stehen Wörter in Relation. Beziehungen zwischen Wörtern können in syntagmatische und paradigmatische Re- lationen unterteilt werden, wobei auf die syntagmatischen Relationen im nächsten Unterka- pitel eingegangen wird. Das Wissen über die Beziehungen zwischen Wörtern bildet einen wichtigen Bestandteil unseres wortbezogenen Wissens (vgl. Busse 2009: 102-103). Paradigmatische Relationen beziehen sich auf assoziative Beziehungen zwischen Wörtern, wie in der folgenden Abb. 07 exemplarisch dargestellt wird. 18
Abb. 07: Paradigmatische und syntagmatische Beziehungen (Ulrich 1972: 98-99). Solche assoziativen, paradigmatischen Bedeutungsrelationen können beispielsweise Be- ziehungen der Bedeutungsverschiedenheit, wie Polysemie, der Bedeutungsidentität, wie der Synonymie und Homonymie, und der Bedeutungshierarchie, wie Hyperonymie bzw. Hyponymie, sowie auch des Bedeutungsgegensatzes, der sogenannten Antonymie sein. Auch die Begriffe Heteronymie, Homographie, Homophonie, Denotation und Konnotation werden an dieser Stelle behandelt (vgl. Busse 2009: 102-105). Polysemie ist die Mehrdeutigkeit eines Wortes. So kann beispielsweise das Wort Schule mehrere unterschiedliche Bedeutungen tragen: Die Schule fällt Fritzchen nicht leicht. → Schule als Bildungseinrichtung Fritzchen geht in die Schule. → Schule als Institution Die Schule muss reformiert werden. → Schule als Bildungssystem Die Schule muss renoviert werden. → Schule als Gebäude (vgl. Busse 2009: 95, 104) Von Homonymen spricht man, wenn die Bedeutungen einer Wortform stark unterschiedlich sind und den Eindruck erwecken, semantisch nicht miteinander verbunden zu sein. Bei- spiele hierfür sind etwa das Schloss als Gebäude oder Schließmechanismus und die Bank als Geldinstitut oder Sitzgelegenheit (vgl. Busse 2009: 104). Zwei Formen der Homonymie sind Homographie und Homophonie. Homographe sind Wörter, welche gleich geschrieben werden, sich jedoch in der Aus- sprache und Bedeutung unterscheiden. Homophone sind definiert als Wörter, welche die gleiche Aussprache wie andere haben, sich jedoch hinsichtlich ihrer Bedeutung unter- scheiden (vgl. Wikipedia 2020: 1). In Abb. 08 werden Homographie bei Heterophonie und Homophonie bei Heterographie als Subkategorien von Homonymie veranschaulicht (vgl. Ga- briel & Meisenburg 2007: 172). 19
Abb. 08: Homographie und Homophonie als Subkategorien von Homonymie. (Wikipedia 2020: 1) Synonymie bezeichnet die Bedeutungsidentität zweier Wörter. Die Existenz strikter Synony- mie, definiert als absolute Bedeutungsgleichheit zweier Begriffe, ist umstritten. Partiell sy- nonyme Begriffe, definiert als annähernd oder teilweise gleichbedeutende Begriffe sind hingegen durchaus häufig. Typische Beispiele hierfür sind etwa Zahnarzt und Dentist oder auch die Begriffe Metzger, Fleischer, Schlachter. Aus variations- und soziolinguistischer Sicht könnte man für das erste Beispiel jedoch einwenden, dass es sich um eine Differenz zwi - schen Gemeinsprache und Fachsprache handelt. Im zweiten Fall könnte man argumentie - ren, dass es sich um eine Differenz hinsichtlich sprachlicher Varietäten handle. Synonyme Bezeichnungen sind somit immer auch „über ihre denotative Bedeutung hinaus soziolektal markiert“ (Busse 2009: 104). So können Wörter wie Gemahlin, Gattin, Ehefrau, Frau, Alte zwar aus einer sehr abstrakten logisch-semantischen Betrachtungsweise ident bezüglich ihrer Referenz verstanden werden, sie werden jedoch wohl kaum synonym verwendet. Zu- dem spricht auch das strikte Vorherrschen des Ökonomieprinzips, welches das Ziel ver- folgt mit so wenig wie möglich, so viel wie nötig auszusagen, gegen eine echte Funktions- identität eines Wortes (vgl. Busse 2009: 104). Maßgeblich für unser lexikalisches Wissen sind die semantischen Beziehungen der Über- bzw. Unterordnung. Ein Hyperonym bezeichnet den Oberbegriff eines Wortes, das Hyponym hingegen den Unterbegriff. Kohyponyme werden Vertreter einer Hierarchieebene genannt. So bildet Lebewesen das Hyperonym zu Tier, dieses wiederum zu Pferd, welches wiederum den Kohyponymen Schimmel, Rappe, Fuchs, Hengst, Stute, Fohlen übergeordnet ist. Die genannten Kohyponyme befinden sich zwar auf der gleichen Ebene der Begriffshierar- 20
chie, beziehen sich jedoch auf unterschiedliche semantische Kriterien (vgl. Busse 2009: 105). Häufig handelt es sich bei vermeintlichen Hyperonymen in Wirklichkeit um Kollektiva, welche allgemein primitiver und auch entwicklungschronologisch früher erworben werden (vgl. Mihatsch 2004: 46). Die Antonymie beschreibt verschiedene Relationen des Bedeutungsgegensatzes. Diese kön- nen in Beziehungen der Kontradiktion, Komplementarität, Kontrarität und Konversion unter- schieden werden. Die Kontradiktion beschreibt den gegenseitigen Ausschluss zweier Wör- ter ohne ein Mittleres, wie etwa bei tot und lebendig. Komplementarität stellt eine weniger strikte Form des Bedeutungsgegensatzes dar, wobei auch hier ein Sachverhalt in zwei Teile geteilt wird, wie etwa bei roh und gekocht. Die Kontrarität oder skalare Antonymie be- schreibt die Beziehung zweier Wörter, welche gegensätzliche Pole darstellen, die durch ei- nen Mittelbereich und Zwischenstufen miteinander verbunden sind. Beispiele für skalare Antonymie wären: heiß – (warm – lau) – kalt naß – (feucht – klamm) – trocken groß – (mittelgroß) – klein (vgl. Busse 2009: 106) Die Heteronymie oder Inkompatibilität beschreibt die Beziehung zweier Wörter, welche sich gegenseitig ausschließen, jedoch einen gemeinsamen Bedeutungsbereich abdecken, wie etwa den Bedeutungsbereich der Wochentage oder Farbadjektive (vgl. Busse 2009: 107). Auch Denotation und Konnotation eines Wortes stehen in Beziehung zueinander. Die Deno- tation bezeichnet die kontext- und situationsunabhängige, begriffliche Grundbedeutung ei- nes Ausdrucks. Die Konnotation wird hingegen als sekundäre Bedeutung eines Ausdrucks betrachtet und erweitert die Grundbedeutung eines Lexems um kulturelle Assoziationen. Häufig ändern sich Konnotationen eines Ausdrucks, während die Grundbedeutung unver- ändert bleibt. Konnotationen können als Assoziationen betrachtet werden, „welche sich nicht wie die Bedeutung mit dem Wort selbst verknüpfen, sondern mit der zugehörigen kul- turellen Kategorie [...], das heißt den real existierenden Exemplaren innerhalb der Denota- tion des Wortes.“ (Löbner 2015: 43). Das Wissen über semantische Relationen ist ein wichtiger Bestandteil unseres wortbezo- genen Wissen und ermöglicht eine umfassende Analyse von Wortbedeutungen (vgl. Bus- se 2009: 103). 2.2.5. Syntagmatische Relationen Unter syntagmatischen Relationen versteht man Relationen, welche „zwischen den einzel- nen Zeichen in einer Zeichenkette bestehen“ (Busse 2009: 102). So stehen beispielsweise Wörter in einem Satz in einer syntagmatischen Relation zueinander. Der Großteil syntag- matischer Beziehungen sind syntaktischer Art, wie zum Beispiel die Kongruenz hinsichtlich Genus, Numerus und Kasus zwischen einem Artikel, einem Adjektiv und dem Substantiv, 21
zu dem sie gehören. Es gibt jedoch auch semantische syntagmatische Beziehungen, etwa zwischen Wörtern, die häufig miteinander vorkommen. Diese Ketten von zumindest zwei Wörtern, wie etwa ein Gebäude errichten, werden Kollokationen (von lat. con „mit“ und lat. lo- cus „Ort“) genannt. Werden diese Wortverbindungen fester, sodass sie als lexikalisierte Verbindungen in unserem Wortschatz aufgenommen werden, nennt man diese Phraseolo- gismen (vgl. Busse 2009: 103). Kollokationen wie Schwarzes Brett oder Runder Tisch als Me- tapher in der Politik können auch als Phraseologismen bezeichnet werden. Diese sind häufig durch Großschreibung gekennzeichnet und können auch zu Eigennamen werden, wie zum Beispiel das Rote Kreuz (vgl. Busse 2009: 103). 2.2.6. Wortfelder Die Theorie des Wortfeldes bzw. Sinnbezirkes geht auf Jost Trier zurück und beruht auf der Annahme, dass sich die Bedeutungen eines Wortes immer aus den Beziehungen zu anderen Worten ergeben. So untersucht Trier Wortbedeutungen anhand von Gruppen sinnverwandter Wörter ein und derselben grammatischen Kategorie, welche er Wortfelder nennt. Dabei werden offene vs. geschlossene Wortfelder unterschieden. Als offen gilt bei- spielsweise die Gruppe der Farbadjektive, welche sich scheinbar unendlich fortsetzen lässt und dessen Vertreter fließende Übergänge aufweisen. Ein typisches Beispiel für ge- schlossene Wortfelder hingegen stellen die heteronymen Wochentags- oder Monatsna- men dar, wobei auch diese Geschlossenheit hinterfragt werden kann (vgl. Busse 2009: 107; Trier 2020: 643-645; Zeilfelder 2012: 19). Bei der Erforschung von Wortfeldern liegt Triers Fokus auf der ganzheitlichen Betrach- tung von Sprache. Er sieht das „Feld als gegliederte Ganzheit, nicht als Summe von Ein - zelstücken“ (Trier 2020: 646). Kernbereich der Wortfeldforschung liegt in der Erforschung von Bedeutungen abstrakter Begriffe, also Begriffen „undinglicher Art“ (Trier 2020: 647). Eine besondere Rolle bei der Feldbetrachtung kommt den Binnengrenzen zwischen den Feldern zu. Diese können sich im Laufe der Zeit verschieben und dienen insofern als Ge - genstand zur Untersuchung von Sprachwandel (vgl. Trier 2000: 647). Jost Trier als Vertreter der „inhaltsbezogenen Sprachwissenschaft“, welche wiederum auf Herder und Humboldt zurückgeht, gilt als Begründer der Theorie des sprachlichen Fel - des oder Wortfeldes. Das strukturalistisch geprägte und paradigmatisch aufgebaute Sys- tem des Wortfeldes beruht auf den Grundannahmen, dass Wortbedeutungen von den Be- deutungen seiner Feldnachbarn abhängig sind, dass Wortfelder ein geschlossenes Be- deutungsnetz darstellen und dass Bedeutungswandel den Aufbau des gesamten Feldes beeinflusst (vgl. Trier 2000: 614). Der Begriff des Wortfeldes geht wie bereits erwähnt von einem strukturierten Lexikon aus und bezieht sich auf eine Anzahl von bedeutungsmäßig zusammengehörigen bzw. seman- tisch nahen Lexemen. Vertreter eines semantischen Feldes haben Gemeinsamkeiten in Bezug auf ihre semantischen Merkmale. Wortfelder dienen somit als Analysemethode zur Untersuchung semantischer Relationen von Lexemen. Wunderlich definiert das paradigma- tische lexikalische Feld als „eine Menge von Wörtern (Ausdrücken) mit ähnlicher Bedeu - tung. Die Wörter gehören zur selben grammatischen Kategorie und können füreinander in 22
Sätzen eingesetzt (substituiert) werden, ohne dass sich deren Bedeutung dadurch wesent- lich ändert. Das Feld kann oft durch einen einzigen Begriff aus der betreffenden Sprache charakterisiert werden.“ (Wunderlich 1989: 235). Ähnlich wie bei der Frame-Theorie kann ein rezipiertes Wort eine Assoziation zu anderen sinngemäß verwandten Wörtern eröff- nen, allerdings bleiben Vertreter eines Wortfeldes in der selben grammatischen Kategorie (vgl. Busse 2009: 108). Bei der Arbeit mit Wortfeldern zeigt sich das Problem der Diskrepanz zwischen Domä- ne und Wortfeld. Gerade die Untersuchung von Begriffen aus dem semantischen Gebiet von Ethik und Religion, welchem auch das Lexem weise angehört, ist im Rahmen der Wort- feldtheorie eine methodische Herausforderung. Grund hierfür ist nicht nur die Unschärfe der postulierten Felder, sondern auch die „Unmöglichkeit, für den Ansatz von Wortfeldern eine überprüfbare Methodik aufzustellen“ (Zeilfelder 2018: 5). Ein weiter gefasster, alterna- tiver Begriff zum Wortfeld stellt die Bezeichnung semantischer Bereich dar. Dieser ist definiert als semantische Gruppe, die sich einer bestimmten semantischen Domäne zuordnen lässt. Bei semantischen Bereichen wie etwa dem religiös-ethischen Vokabular handelt es sich also vielmehr um eine dem Wortfeld übergeordnete Ordnungsstruktur als um ein streng genommenes Wortfeld per se. „Domänen beruhen, wie die Kognitionsforschung ge- zeigt hat, auf strukturierten Teilbereichen der individuellen Wissensstruktur von Sprechern und Sprechergemeinschaften, und dass solche Domänen nicht scharf umrissen sind, liegt offenbar an der netzartigen und nicht linearen Struktur, in der das menschliche Denken or- ganisiert ist.“ (Zeilfelder 2018: 5). Der semantische Bereich als flexiblere und offenere Form von Domäne stellt somit eine Weiterentwicklung des weniger flexiblen Wortfeldes dar und nähert sich allmählich in seiner Offenheit dem Frame an (vgl. Zeilfelder 2018: 5). Folglich wird bei der semantischen Untersuchung des Adjektivs weise auch auf den flexibleren, „weicheren“ Domain-Begriff oder den Begriff des semantischen Feldes Bezug genommen. 2.2.7. Netzwerke und Frames Der Terminus Frame kann mit Wissensrahmen übersetzt werden. Er bezeichnet kognitive Strukturen, welche einen Begriff „in einen habituellen Bezugsrahmen einordnen“ und ihn so mit anderen Begriffen „assoziativ verknüpfen“ (Zeilfelder 2012: 19). Es gibt jedoch „kei- ne scharfe Begrenzung der assoziierten Attribute“, die Bedeutung eines Wortes im Hin- blick auf das ihm zugrundeliegende Weltwissen bleibt daher relativ „vage“ (Blank 1997: 78). Diese Vagheit kann nach Blank jedoch ebenso im Diskurs begründet sein: „Sprecher können okkasionell mit einem Zeichen auf Gegenstände oder Sachverhalte referieren, die ansonsten nicht zur Extension dieses Zeichens gehören, und damit die Grenzen der Be- deutung eines Wortes in verschiedene Richtungen überschreiten.“ (Blank 1997: 78). Eine etwaige semantische Vagheit einer Bedeutung kann also sowohl Konzepte, Frames als auch die jeweilige Diskurssituation betreffen. Diskursvagheit bereitet dabei den Boden für die Entstehung einer neuen Bedeutung eines Begriffs und damit für semantischen Wandel (vgl. Blank 1997: 78). 23
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