Europa auf dem Weg in die Katastrophe - Herbert Saurugg
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Europa auf dem Weg in die Katastrophe Nach dem Lockdown ein Blackout? Stand: 02.10.21 Abstract Das europäische Stromversorgungssystem befindet sich in einem fundamentalen Umbruch. Was aus klimaschutzpolitischer Sicht unverzichtbar ist, führt durch eine nicht systemische Vorgangsweise zu einer immer größer werdenden Fragilität des Verbundsystems. Statt fundiertes Grundlagenwissen bestimmen Einzelinteressen, Ignoranz, Wunschvorstellungen und Aktio- nismus die Vorgangsweise, was in der größten Katastrophe nach dem Zweiten Weltkrieg enden könnte. Noch haben wir die Möglichkeit, diesen fatalen Pfad zu verlassen. Dazu wäre aber ein rasches und entschlossenes politisches Handeln erforderlich, das derzeit nicht erkennbar ist. So müsste umgehend ein systemischer Umbau des europäischen Stromversorgungssystems in robuste Energiezellen in die Wege geleitet werden, um die sich abzeichnende Störanfälligkeit zu reduzieren. Technisch wäre das kein Problem, da das notwendige Wissen vorhanden ist und dieser Umbau im laufenden Betrieb erfolgen könnte. Die größte Hürde stellt jedoch unser bisher erfolgreiches großtechnisches Denken dar, das durch ein komplementäres Kom- plexitäts- und vernetztes Denken ergänzt und zur Maxime gemacht werden müsste. Dazu sind entsprechende Rahmenbedin- gungen erforderlich. Der derzeitige Weg geht aber in die entgegengesetzte Richtung, in die Zentralisierung, womit aber ein zunehmend komplexer werdendes System nicht beherrschbar ist. Die Stromversorgung ist die wichtigste Lebensader einer modernen Gesellschaft. Fällt diese aus, droht bereits nach wenigen Tagen ein gesellschaftlicher Kollaps, da weder die Menschen noch Unternehmen noch die Staaten auf einen derart weitrei- chenden Infrastruktur- und damit Versorgungskollaps vorbereitet sind. Executive Summary • Das Österreichische Bundesheer sowie die Österreichische Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV) rechnen binnen der nächsten fünf Jahre mit einem europaweiten Strom-, Infrastruktur- sowie Versorgungsausfall („Blackout“). • Entscheidend sind hierfür die Entwicklungen in Deutschland, wo bis Ende 2020 rund 20 GW gesicherte Leistung (8 GW Atom und 12 GW Kohle) vom Netz gehen sollen. Bereits im Januar 2021 mussten nach der ersten Teilabschaltung (~ 5 GW), Kraftwerke, die stillgelegt werden sollten, wieder reaktiviert und zum Teil in den Hot-Stand-by-Modus versetzt wer- den, um die Systemsicherheit zu gewährleisten. • In Deutschland werden durch den Kraftwerksausstieg große Mengen an systemkritischen Elementen entfernt, ohne adäquate Ersatzelemente bereitzustellen. Die rotierenden Massen der Generatoren, die Momentanreserve, sind unver- zichtbare Pufferelemente („Stoßdämpfer“) für die Systemsicherheit. • Der deutsche Bundesrechnungshof kritisiert im März 2021: „Die Annahmen des BMWi für die Bewertung der Dimension Versorgungssicherheit am Strommarkt sind zum Teil unrealistisch oder durch aktuelle politische und wirtschaftliche Ent- wicklungen überholt. Zur Bewertung der Dimension Versorgungssicherheit am Strommarkt hat das BMWi kein Szenario untersucht, in dem mehrere absehbare Risiken zusammentreffen, die die Versorgungssicherheit gefährden können.“ • Besonders gravierend sind die fehlenden Speicher, ohne welche die steigende Volatilität in der Erzeugung durch die neu- en Erneuerbaren nicht beherrschbar ist. Dabei müssen mehrere Zeitdimensionen, von inhärent (Momentanreserve) bis saisonal berücksichtigt werden. In Deutschland gibt es derzeit eine Speicherkapazität von rund 40 GWh (Österreich 3.300 GWh), bei einem gleichzeitigen Verbrauch von rund 1.500 GWh pro Tag! Herbert Saurugg, MSc Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge ► +43 660 3633896 ► herbert.saurugg@gfkv.at Österreichische Gesellschaft für Krisenvorsorge Unterreit 23/5, 5751 Maishofen | IBAN: AT95 3503 5000 0011 8125 ► www.gfkv.at ► kontakt@gfkv.at ► Information ► Vorsorge ► Sicherheit
• Im vergangenen Jahrzehnt wurden in den meisten Ländern die bisher verfügbaren Kraftwerksüberkapazitäten signifikant reduziert. • Hinzu kommt, dass der Infrastrukturumbau (Netze, Speicher, Betriebsmittel) nicht mit der Geschwindigkeit der Abschal- tungen bzw. den neuen Kraftwerksstandorten mithalten kann und um viele Jahre verzögert ist. • Bisher funktioniert das, weil Deutschland wie Österreich im gesamteuropäischen Verbundsystem (ENTSO-E) mit 36 Län- dern eingebunden ist. Damit kann die Systemstabilität aufrechterhalten werden. Mitgehangen bedeutet jedoch auch mit- gefangen und alle gehen gemeinsam unter, sollte etwas schiefgehen. • Am 8. Januar 2021 und am 24. Juli 2021 kam es zu zwei Großstörungen (Netzauftrennungen) im europäischen Verbund- system. Zwei von insgesamt 5 in den vergangenen Jahrzehnten (2003, Blackout in Italien; 2006, Netzauftrennung quer durch Europa; 2015, Blackout in der Türkei) • Am 8. Januar 2021 waren zwei wesentliche Faktoren mitverantwortlich: die reduzierte Verfügbarkeit von Momentanre- serve und ein großflächiger Stromtransport (Stromhandel) vom Balken Richtung iberische Halbinsel. • Am 24. Juli 2021 war ebenfalls ein hoher Stromtransport Richtung Iberische Halbinsel mitverantwortlich, dass rund 2 Millionen Menschen auf der Iberischen Halbinsel kurzfristig vom Stromnetz getrennt werden musste, nachdem es zuvor durch einen Flächenbrand unter einer Hochspannungsleitung zu einer Netzauftrennung gekommen war. • Der Stromhandel soll gem. EU-Vorgabe bis 2025 massiv ausgeweitet werden. Bis 2025 müssen mindestens 70 Prozent der Grenzkuppelstellen für den Stromhandel zur Verfügung gestellt werden, was ein Vielfaches der heutigen Praxis dar- stellt. Dafür wurde die Infrastruktur nie ausgelegt. Was im Alltag zu einer Optimierung führt, schafft gleichzeitig eine stei- gende Verwundbarkeit, da sich Störungen wesentlich rascher und flächiger ausbreiten können. • Das europäische Verbundsystem gehorcht nur einfachen physikalischen Gesetzen. Werden diese ignoriert – was derzeit in vielen Bereichen passiert – droht ein Systemkollaps mit katastrophalen Auswirkungen, da niemand weiß, wie lange es dauern könnte, bis dieses System wieder hochgefahren werden kann. Ganz abgesehen von den unvorstellbaren Kaska- deneffekte und langwierigen Wiederanlaufzeiten in vielen anderen Bereichen. Damit drohen längerfristige und schwere Versorgungsunterbrechungen und -engpässe, auf die unsere Just-in-Time-Gesellschaft nicht vorbereitet ist. • Für eine erfolgreiche Energiewende ist ein systemischer und koordinierter Systemumbau („Energiezellensystem“) im gesamten Verbundsystem erforderlich. Bisher dominieren jedoch Einzelinteressen, nationale Alleingänge und Wunsch- vorstellungen die Vorgangsweise, welche absehbar in Europa in die größte Katastrophe nach dem Zweiten Weltkrieg führen! Herbert Saurugg, MSc Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge ► +43 660 3633896 ► herbert.saurugg@gfkv.at Österreichische Gesellschaft für Krisenvorsorge Unterreit 23/5, 5751 Maishofen | IBAN: AT95 3503 5000 0011 8125 ► www.gfkv.at ► kontakt@gfkv.at ► Information ► Vorsorge ► Sicherheit
Langversion Am 8. Januar 2021 und am 24. Juli 2021 kam es zu zwei Großstörungen im europäischen Stromversorgungssystem (ENTSO- E/RG CE – Regional Group Central Europe). Diese verliefen im Vergleich zur bisher schwersten, am 4. November 2006, noch sehr glimpflich. Damals mussten binnen 19 Sekunden 10 Millionen Haushalte in Westeuropa vom Stromnetz ge- trennt werden, um einen europaweiten Kollaps zu verhindern. Am 8. Januar waren „nur“ große Unternehmenskunden in Frankreich und Italien betroffen, die sich für einen solchen Fall vertraglich dazu bereit erklärt haben. Am 24. Juli mussten jedoch auch rund 2 Millionen Haushaltskunden auf der Iberischen Halbinsel vom Stromnetz getrennt werden, um Schlim- meres zu verhindern. Durch die sich seit 2006 laufend verbessernden Vorsorge- und Kommunikationsmaßnahmen der 43 Übertragungsnetzbetreiber des europäischen Verbundsystems konnte die Störung nach jeweils rund einer Stunde beho- ben werden. Kaum jemand hat mit dieser erneuten Großstörung gerechnet und niemand weiß, ob die vorgesehenen Si- cherheitsmechanismen auch beim nächsten Zwischenfall rechtzeitig greifen werden. Im schlimmsten Fall könnte es zu einem europaweiten Strom-, Infrastruktur- sowie Versorgungsausfall, einem sogenannten „Blackout“, kommen, wie dies das Österreichische Bundesheer oder der Autor binnen der nächsten fünf Jahre erwarten. Diese beiden Ereignisse sollte als sehr ernst zu nehmende Warnung verstanden werden. Seit Jahren steigen im europäischen werden muss. Das ist keine Dauerlö- Primärenergie (Atombrennstäbe, Gas, Verbundsystem die Aufwände, um die sung. Zudem steigt durch die perma- Kohle, Öl) integriert haben, womit man Netzstabilität aufrechtzuerhalten. Die nente Stresssituation die Störanfällig- die ständigen Verbrauchsänderungen österreichischen Engpassmanage- keit des Gesamtsystems. leichter ausgleichen kann. In Zukunft mentkosten, also jene Aufwände, um Während in Österreich theoretisch gibt es einen steigenden und zuneh- akut ein Blackout abzuwenden, sind 3.300 GWh an Pumpspeicherkapazität mend schwieriger zu prognostizieren- von 2 Millionen Euro im Jahr 2011 auf zur Verfügung stehen, sind es in ganz den Verbrauch und gleichzeitig eine 346 Millionen Euro im Jahr 2018 ex- Deutschland nur 40 GWh. Ohne nen- volatile Stromerzeugung. Zwei Dinge, plodiert. Statt 2 Eingriffe waren binnen nenswerte Ausbaupläne oder Möglich- die ohne entsprechende Speicher und weniger Jahre Eingriffe an 301 Tagen keiten. Bei einem aktuellen Stromver- Puffer nicht in Einklang zu bringen sind. erforderlich. Die Aufwände sind 2019 brauch zwischen 60 und 80 GW könnte und 2020 durch die Marktauftrennung Deutschland damit nicht einmal eine Power-to-X zwischen Deutschland und Österreich Stunde des eigenen Stromverbrauches Für die saisonale Speicherung gilt zurückgegangen, aber weiterhin auf decken. Ganz abgesehen davon, dass Power-to-X als große Hoffnung, insbe- sehr hohem Niveau. Die Ursachen das technisch gar nicht möglich wäre, sondere die Nutzung von Wasserstoff. liegen vorwiegend in der fehlenden da nur 11 GW an Engpassleistung, also Grundsätzlich klingt das sehr verlo- Systemanpassung an die sich inzwi- gleichzeitig abrufbarer Leistung, zur ckend, da mit dem Gasnetz bereits eine schen stark geänderten Rahmenbedin- Verfügung stehen. In ganz Europa bestehende Infrastruktur zur Verfü- gungen. stehen derzeit Speicher mit einer Tur- gung stehen würde. Das dazu aber binenkapazität von rund 47 GW zur noch einige große Herausforderungen Fehlenden Speicher und Puffer Verfügung, zwei Drittel davon mit zu lösen sind, wird meist nicht er- Wind und Sonne stehen nicht immer Pumpmöglichkeit, um bei Stromüber- wähnt. Schon gar nicht, die Kosten. zur Verfügung. Zum Teil kommt es zu schuss die Speicherbecken wieder Durch die Ankündigung einer großen erheblichen Abweichungen zwischen füllen zu können. Damit kann nur ein finanziellen Förderwelle wurde eine den Prognosen und der tatsächlichen Bruchteil des europäischen Verbrau- Goldgräberstimmung ausgelöst und Produktion. In einem System, wo wäh- ches gedeckt und zwischengespeichert großmundige Ankündigungen über- rend 31,5 Millionen Sekunden pro Jahr werden. schlagen sich. Es ist zu erwarten, dass die Balance zwischen Erzeugung und Das Speicher-Thema reicht von inhä- auch Goldnuggets gefunden werden. Verbrauch ausgeglichen sein muss, ist rent bis saisonal, wozu unterschiedli- Dass damit kurzfristig ein großer das eine enorme Herausforderung. Es che Technologien erforderlich sind. Bei Durchbruch und eine breite Umsetzung fehlen System-dienliche Speichern und der bisherigen Energiewende wurde möglich sein werden, sollte aber nicht Puffer, was durch weitreichende außer Acht gelassen, dass konventio- erwartet werden. Wir benötigen aber Kraftwerksinterventionen behoben nelle Kraftwerke den Speicher in der rasch umsetzbare Lösungen, nicht erst Herbert Saurugg, MSc Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge ► +43 660 3633896 ► herbert.saurugg@gfkv.at Österreichische Gesellschaft für Krisenvorsorge Unterreit 23/5, 5751 Maishofen | IBAN: AT95 3503 5000 0011 8125 ► www.gfkv.at ► kontakt@gfkv.at ► Information ► Vorsorge ► Sicherheit
in 10 oder 20 Jahren. Zum anderen Momentanreserve welche jedoch niemals die komplette wissen wir relativ wenig über die po- Momentanreserve ersetzen kann. Auch Ein wenig beachtetes und sehr kriti- tenziellen Nebenwirkungen, etwa des hier gilt wieder ein sowohl-als-auch. sches technisches Detail betrifft die Wasserdampfs, der bei der Rückver- Diese Systeme müssen aber im ENTSO- Momentanreserve, also die rotieren- stromung im großen Stil freigesetzt E RG CE Netz erst im größeren Stil den Massen konventioneller Kraftwer- wird. Was noch mehr bei der geplan- implementiert werden. Wie so oft ke. Denn mit der Stilllegung von Atom- ten Methanisierung zu berücksichtigen scheitert es nicht am Wissen oder an und Kohlekraftwerken, werden auch ist, da hier die Auswirkungen bereits der Technik, sondern an der Umset- diese im großen Stil vom Netz genom- bekannt sind: Methan ist deutlich kli- zung. Und zwar in der gleichen Ge- men. Die Schwungmassen der Syn- maschädlicher als CO₂. schwindigkeit, wie die anderen Maß- chrongeneratoren sind für die Fre- nahmen getroffen werden. quenzerzeugung und -haltung von Widersprüchlichkeit zentraler Bedeutung. Hier wird perma- Ganz generell gilt, dass es keine Ener- nent ohne Steuerungseingriffe mecha- Der deutsche Alleingang gieform ohne Nebenwirkung gibt. Auch nische in elektrische Energie umge- Das größte Problem stellt aktuell der für Wind und PV-Anlagen werden viele wandelt wird und umgekehrt. Ein rein deutsche Alleingang dar, wo der zweite Ressourcen benötigt, was leider meist physikalischer Vorgang. Diese „Stoß- vor dem ersten Schritt gesetzt wird: So verzerrt wahrgenommen wird. Die dämpfer“ für Belastungsstöße haben werden in den nächsten Monaten Einzelanlage ist klein und überschau- bisher dafür gesorgt, dass das europäi- konventionelle Kraftwerke im großen bar. Aber wenn die konkrete Leistungs- sche Verbundsystem so stabil funktio- Stil abgeschaltet, ohne einen gleich- fähigkeit über einen Zeitraum eines niert. Diese werden nun nach und nach wertigen Ersatz dafür zur Verfügung zu Jahres betrachtet werden, schaut die reduziert und gleichzeitig kaum ersetzt, haben. Zum Teil wandern diese auch in Welt gleich anders aus. Durch eine da PV- und Windkraftanlagen diese die Netzreserve, damit sie bei einem falsche Betrachtungsweise werden Systemfunktion nicht mitbringen. Der längerfristig absehbaren Energieman- häufig Äpfel mit Birnen verglichen, Weiterbetrieb der Generatoren erfor- gel zusätzlich hochgefahren werden oder Durchschnittswerte herangezo- dert einen Umbau. Damit steigt können. Bei Kurzfristereignissen oder gen. Für die Systemsicherheit ist nur zwangsläufig die Störanfälligkeit des Störungen werden diese jedoch zu spät der fix kalkulierbare Beitrag für die Systems. kommen. permanent notwendige Balance rele- Die Momentanreserve ist ein inhärent Bisher wurde fast ausschließlich auf vant. Also nicht statistisch übers Jahr vorhandener Energiespeicher, der den raschen Ausbau von Wind- und gerechnet, sondern planbar, verlässlich einen kurzfristig auftretenden Energie- PV-Kraftwerken Wert gelegt und dieser und konstant. Dazu ist weit mehr als überschuss zwischenpuffern kann. Die massiv gefördert. Es fehlt die unver- nur eine Erzeugungsanlage erforderlich erzeugte Frequenz des Wechselstro- zichtbare Systemanpassung, beginnend ist. mes zeigt daher auch immer an, ob ein bei den fehlenden Speichern und Puf- Genau diese Betrachtungsweise ist Leistungsmangel oder ein Leistungs- fer und geht weiter über die fehlenden erforderlich, um einen systemischen überschuss im Gesamtsystem vorhan- Transportmöglichkeiten, also Leitun- Umbau unserer wichtigsten Lebens- den ist. Über die Frequenz können IT- gen. Hinzu kommt, dass der Strom ader sicherstellen zu können. Unser unabhängig Regeleingriffe zielgerichtet nicht mehr nur im Einbahnverkehr entweder-oder-Denken reicht dazu erfolgen und das Gesamtsystem stabil verteilt werden muss, sondern dass die nicht aus. Es braucht ein sowohl-als- gehalten werden. Konsumenten immer häufiger auch zu auch-Denken, um die bevorstehenden Produzenten, sogenannten Prosumern, Herausforderungen zu bewältigen. Der Umsetzungsgeschwindigkeit werden und es dadurch auch zu gro- CO2-Ausstoß kann mit Erneuerbaren ßen Lastflüssen in die entgegengesetz- Es gibt Ansätze mit großen System- Energien deutlich verringert werden. te Richtung kommt, wofür das System dienlichen Batteriespeichern und einer Gleichzeitig benötigen wir aber auch und die Schutzeinrichtungen nie ausge- entsprechenden Leistungselektronik, andere Systemelemente, um die bisher legt wurden. wie sie etwa bereits in Südaustralien, gewohnte sehr hohe Versorgungssi- Außerdem wird davon ausgegangen, so Großbritannien oder nun auch in Texas cherheit weiterhin gewährleisten zu zumindest die aktuellen Planungspa- zum Einsatz kommen, um die Momen- können. piere, dass Deutschland in Zukunft tanreserve nachzubilden und zu kom- pensieren. Das ist eine Ergänzung, einfach bei Bedarf Strom aus den Herbert Saurugg, MSc Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge ► +43 660 3633896 ► herbert.saurugg@gfkv.at Österreichische Gesellschaft für Krisenvorsorge Unterreit 23/5, 5751 Maishofen | IBAN: AT95 3503 5000 0011 8125 ► www.gfkv.at ► kontakt@gfkv.at ► Information ► Vorsorge ► Sicherheit
Nachbarländern importieren wird. Die Denn komplexe Systeme lassen sich Blackout in der Türkei klar und unmiss- Rechnung wird nur ohne Wirten ge- nicht zentral steuern, sie erfordern verständlich zum Ausdruck gebracht macht. Denn immer, wenn es in den vielmehr dezentrale autonome Einhei- haben: ”A large electric power system vergangenen Jahren eng geworden ist, ten, wo Bedarf, Speicherung und Er- is the most complex existing man-made haben diese Länder aus Deutschland zeugung möglichst lokal bzw. regional machine. Although the common expec- importiert. Außerdem werden überall ausgeglichen werden und nicht wie tation of the public in the economically konventionelle Kraftwerke stillgelegt. derzeit, wo Probleme großräumig ver- advanced countries is that the electric Und das immer irgendwo der Wind schoben werden. Dabei sind auch sys- supply should never be interrupted, weht, ist eine Mär, die der Realität temübergreifende Synergien (Strom, there is, unfortunately, no collapse-free nicht Stand hält. Wärme, Mobilität) zu nutzen. Es geht power system.” Ganz abgesehen davon, dass dafür die also um eine ganzheitliche Energiever- Transportinfrastruktur fehlt. Der sorgung in zellularen Strukturen, wozu Steigende Komplexität Wunsch nach einer „europäischen erst ein umfassendes Umdenken er- Wir sollten von der Natur lernen, wo Kupferplatte“ ist verständlich, entbehrt forderlich ist. Das ist bisher nur in An- alles Lebendige in zellularen Strukturen jedoch der Realität und ignoriert physi- sätzen erkennbar. organisiert ist. Das hat sich offensicht- kalische Rahmenbedingen und Geset- Ein solcher Ansatz steht auch nicht im lich bewährt und überlebt. Was als ze. Dies hat auch der deutsche Bundes- Widerspruch zum bisherigen Großsys- dezentrale Energiewende gefeiert rechnungshof im Bericht zur „Umset- tem, das auch weiterhin benötigt wird, wird, ist derzeit alles andere als de- zung der Energiewende im Hinblick auf da große Industrieunternehmen oder zentral. Die gesamte bisherige Ener- die Versorgungssicherheit“ im März Städte noch länger nicht anders ver- giewende funktioniert nur aufgrund 2021 festgestellt: „Die erwartbaren sorgt werden können. Aber man kann des vorhandenen zentralisierten Sys- Engpässe im Stromnetz werden bis zum mit diesen dezentralen Strukturen und tems mit den erforderlichen Speichern Jahr 2025 nicht beseitigt werden kön- funktionalen Einheiten die Robustheit und Puffern. Auch die propagierten nen“. Des Weiteren wurde festgehal- des Gesamtsystems Bottom-up und im „Smart Grid“- und Flexibilisierungs- ten, dass: „Wesentliche Annahmen, auf laufenden Betrieb, ohne Unterbre- maßnahmen hängen von einer umfas- denen die derzeitige Bewertung der chungen, erhöhen. senden zentralisierten IT-Vernetzung Versorgungssicherheit am Strommarkt Zellularen Strukturen sind nicht so und damit von einer steigenden Kom- beruht, unrealistisch oder überholt effizient wie unser bisheriges Großsys- plexität ab. Damit ergeben sich neben sind.“ tem, was aber nur so lange gültig ist, der Gefahr von Cyber-Angriffen weite- bis es zu einer Großstörung in Form re kaum beachtete Nebenwirkungen. Dezentrale funktionale Einhei- eines Blackouts kommt. Denn dann ten würden mit einem Schlag alle bisheri- Komplexe Systeme Hinzu kommt, dass sich Millionen von gen Effizienzgewinne vernichtet und Komplexe Systeme weisen eine Reihe Kleinstkraftwerken und unzählige neue unfassbare gesellschaftliche Schäden von unangenehmen Eigenschaften auf, Akteure nicht mit der bisher erfolgrei- verursacht werden. Resilienz und Ro- die mit unserer bisher erfolgreichen chen zentralen Struktur und Logik bustheit stehen im Widerspruch zu linearen Denkweise und Maschinenlo- steuern lassen. Es braucht stattdessen unserem rein betriebswirtschaftlich gik nicht beherrschbar sind. So steigen ein „Orchestrieren“ dieser Vielzahl von motiviertem Effizienzdenken, wodurch mit der Anzahl der Akteure und Ver- Komponenten und Akteuren, die sich gerne auf die überlebenswichtigen netzung die Komplexität und somit die dann wie ein „Schwarm“ selbstorgani- Redundanzen und Reserven verzichtet Dynamik, was wir ja laufend beobach- siert durch eine für alle zugängliche wird. ten können. Wir kommen kaum mehr Sicht auf die Situation im Gesamtsys- hinterher. tem automatisch an der Gewährleis- Keine hundertprozentige Si- Gleichzeitig sinkt die Prognostizierbar- tung der Versorgungssicherheit beteili- cherheit keit des Verhaltens des Systems, weil gen. Hinzu kommt, dass es schlicht und es zu selbstverstärkenden Rückkopp- Das erfordert jedoch eine Neustruktu- einfach kein ausfallsicheres System lungsprozessen kommen kann, wie wir rierung in sogenannte robuste Energie- gibt, wie das die europäischen Über- diese gerade beim Kohleausstieg se- zellen, da die steigende Komplexität tragungsnetzbetreiber bereits 2015 in hen: Immer mehr Kraftwerksbetreiber nicht anders beherrschbar sein wird. ihrem Untersuchungsbericht zum möchten frühzeitig aussteigen, weil Herbert Saurugg, MSc Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge ► +43 660 3633896 ► herbert.saurugg@gfkv.at Österreichische Gesellschaft für Krisenvorsorge Unterreit 23/5, 5751 Maishofen | IBAN: AT95 3503 5000 0011 8125 ► www.gfkv.at ► kontakt@gfkv.at ► Information ► Vorsorge ► Sicherheit
sich der Betrieb nicht mehr lohnt. häufig nicht bewusst, oder sie wird daher in absehbarer Zukunft zu einer Gleichzeitig haben wir in den vergan- schlicht weg ignoriert. Hinzu kommen steigenden Anzahl von Störungen im genen 10 Jahren die bisher tatsächlich nun noch die fehlenden Kenntnisse im Infrastrukturbereich zu erwarten sind. vorhandenen Überkapazitäten weitge- Umgang mit komplexen Systemen, da Fachexperten sind davon überzeugt, hend abgebaut, womit immer weniger diese nicht Bestandteil einer universel- dass die heute verbauten Wechselrich- Handlungsspielraum bleibt. Und zwar len Grundausbildung sind. ter so rasch als möglich durch eine nicht nur in Deutschland, sondern im neue Generation ersetzt werden müss- gesamten Verbundsystemgebiet. Kennzeichen von komplexen ten, um den Schaden zu begrenzen. Systemen Doch wer macht das, wenn ohnehin Kohle- und Atomausstieg noch alles funktioniert? Zu den weiteren Kennzeichen von Anfang Januar 2021 mussten deutsche komplexen Systemen zählen, kleine Auch bei der Momentanreserve oder Steinkohlekraftwerke wieder ans Netz Ursachen können enorme Auswirkun- bei den Kraftwerksstilllegungen merkt gehen, die eigentlich für eine vorzeitige gen zur Folge haben, was wir gerade man den Effekt nicht sofort. Die Dinge Abschaltung ausgewählt wurden, weil bei der Corona-Pandemie erleben. Ein kumulieren weitgehend unbemerkt der Bedarf nicht mehr ausreichend Virus stellt binnen weniger Wochen die und zu irgendeinem Zeitpunkt kommt gedeckt werden konnte. gesamte Welt auf den Kopf. Auswir- es zu einem zusätzlichen Ereignis, wel- kungen von Entscheidungen sind häu- ches das Fass zum Überlaufen bringt Nach derzeitigem Planungsstand sollen fig irreversible. Ein abgeschaltetes und und nicht mehr beherrschbar ist: kleine bis Ende 2022 rund 22 GW an Atom- rückgebautes Kraftwerk ist für immer Ursache, große Wirkung. Es gibt auch und Kohlekraftwerksleistung mit einer verloren. Eingemottete Kraftwerke keine einfachen Ursache- Jahresstromproduktionskapazität von können nur mit hohem Aufwand erhal- Wirkungsbeziehungen, wo man eine rund 128 TWh vom Netz gehen und ten und wieder reaktiviert werden. eindeutige Schuld zuweisen könnte. Es rückgebaut werden. hat sich einfach über einen längeren Sollte am derzeit fixierten deutschen Nicht-Linearität bedeutet, dass viele Zeitraum aufgebaut. Kohle- und Atomausstieg bis Ende unserer bisherigen Risikobewertungs- methoden scheitern. Besonders trüge- Der Kollaps von komplexen Systemen 2022 festgehalten werden, entstehen risch sind die verzögerten Auswirkun- ist, wie gut untersucht ist, kein Fehler, in den kommenden Monaten bereits gen, da diese gerne vernachlässigt sondern ein Systemdesignmerkmal, um kritische Zeitfenster, wo Flächenab- werden. Dazu zählt etwa das 50,2- eine Erneuerung zu ermöglichen. In der schaltungen zum Schutz des Gesamt- Hertz-Problem, wo viele Altanlagen mit Wirtschaftstheorie wird das als „Schöp- systems nicht mehr ausgeschlossen Wechselrichter sich zeitgleich vom ferische Zerstörung“ bezeichnet. Neues werden können. Stromnetz trennen und einen Jo-Jo- kann sich häufig erst dann entfalten, Es ist dabei irrelevant, ob es sich in wenn das alte kaputt oder zerstört Effekt versuchen würden. Angeblich 99,99 Prozent der Zeit trotzdem aus- worden ist. Eine Vorgangsweise, die soll dieses Problem behoben worden gehen wird. Das Stromversorgungssys- bei unserer wichtigsten Lebensader, sein. Ob das so ist, wissen wir nicht. Es tem kennt keine Toleranz, die Balance der Stromversorgung, einer Selbst- wurde auf jeden Fall viel zu lange nicht muss zu 100 Prozent der Zeit sicherge- mordabsicht gleichkommen würde. beachtet. stellt werden. Ansonsten kommt es zum Systemkollaps. Hinzu kommen steigende Resonanzef- Alternde Infrastrukturen fekte, wo sich etwa Wechselrichter und zunehmend mehr elektronische Sys- Wir stehen nicht nur wegen der Ener- Fehlendes Grundlagenwissen teme („Digitalisierung“, E-Mobilität giewende vor großen Umbrüchen. Ein um Zusammenhänge Großteil der europäischen Infrastruktur etc.) gegenseitig beeinflussen und In vielen Bereichen und auch bei Ent- selbstzerstörerische Prozesse auslösen. kommt in den nächsten Jahren an ihr scheidungsträgern fehlt es häufig an So wurde bereits beobachtet, dass Lebens- und Nutzungsende. Die Mehr- den grundlegendsten Kenntnissen, Brände bei Ladesäulen oder schwer- zahl der Kraftwerke oder Umspann- etwa wie unser Stromversorgungssys- wiegenden Produktionsausfällen aus- werke ist 40 bis 50 Jahre alt. Teilweise tem funktioniert. Zudem geht es häufig gelöst wurden. sogar älter. Damit müssen in den nur um Einzelaspekte und kaum um nächsten Jahren weitreichende Neue- Noch schlimmer ist, dass sogar elekt- systemische Zusammenhänge. Daher rungen eingeleitet werden. Das rech- ronische Bauteile oder Isolierungen ist die Tragweite von Entscheidungen net sich aber unter den derzeitigen von Leitungen rascher altern und es Herbert Saurugg, MSc Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge ► +43 660 3633896 ► herbert.saurugg@gfkv.at Österreichische Gesellschaft für Krisenvorsorge Unterreit 23/5, 5751 Maishofen | IBAN: AT95 3503 5000 0011 8125 ► www.gfkv.at ► kontakt@gfkv.at ► Information ► Vorsorge ► Sicherheit
rein betriebswirtschaftlichen Betrach- wiegende Infrastrukturschäden und - Preisen führen kann, führt auf der tungen und den unsicheren Rahmen- ausfälle einhergehen. anderen Seite zu einer massiven Ver- bedingungen nicht. Investitionen wer- Die verheerende Sturzflutkatastrophe wundbarkeit des Gesamtsystems. Es den daher gerne aufgeschoben, was im Juli 2021 in Westdeutschland hat wird immer weniger auf die physikali- die Störanfälligkeit erhöht. Wenn aber dies bereits vorgezeigt. schen Grenzen Rücksicht genommen. erst dann investiert wird, wenn es sich Eine mögliche Störung kann sich rechnet, ist es bereits zu spät. Extreme Trockenheit wiederum macht dadurch wesentlich rascher ausbreiten. konventionellen Kraftwerken, die das Diese Vorgaben widersprechen daher Allein in Deutschland gibt es über Kühlwasser aus Gewässern entnehmen 1.150 Großtransformatoren, wovon klar einem robusten, zellularen Ansatz müssen, enorm zu schaffen. Gleichzei- und den Erkenntnissen aus den Sys- rund 500 Stück bereits über 60 Jahre tig verringert sich die Leistungsfähig- alt sind. Die Produktionskapazität be- temwissenschaften. keit von Wasserkraftwerken durch trägt jedoch nur mehr 2–4 Stück pro sinkende Pegelstände. Im anderen Jahr. Rückbau Windkraftanlagen Extremfall führen Hochwässer oder Der liberalisierte Strommarkt hat in Starkregenereignisse zum Problem bei Bereits seit Jahren wird darauf hinge- vielen Bereichen zum Abbau der Re- der Stromerzeugung, wie etwa im Juni wiesen, dass viele deutsche Windkraft- serven und Redundanzen geführt. Das, 2020, wo durch ein Starkregenereignis anlagen betriebswirtschaftlich ohne was in anderen Infrastrukturbereichen das größte polnische Kohlekraftwerk neue Förderungen nicht weiterbetrie- akzeptabel sein mag, könnte bei der und parallel dazu weitere Erzeugungs- ben werden können oder dass diese überlebenswichtigen Strominfrastruk- anlagen ausgefallen sind, was zu einer durch das Auslaufen von zeitlich befris- tur ein böses Ende haben. kritischen Versorgungslücke führte. teten Betriebsgenehmigungen zurück- gebaut werden müssen. Eine Aufrüs- So wie bei der Truthahn-Illusion: Ein Auch Pumpspeicherkraftwerke können tung (Repowering) ist nicht an jedem Truthahn, der Tag für Tag von seinem durch eine verspätete Schneeschmelze Standort sinnvoll/möglich. Besitzer gefüttert wird, nimmt auf- wie 2021 an ihre Grenzen geraten. grund seiner täglich positiven Erfah- Demnach soll allein 2021 ein Rückbau Auch Energiezellen werden von sol- rungen (Fütterung und Pflege) an, dass von rund 4.500 MW und danach jähr- chen Ereignissen nicht verschont blei- es der Besitzer nur gut mit ihm meinen lich von rund 2.500 MW erfolgen. Da- ben. Jedoch kann das Risiko von groß- kann. Ihm fehlt die wesentlichste In- mit ist in den nächsten 5 Jahren mit flächigen Ausfällen deutlich reduziert formation, dass die Fürsorge nur einem einer Leistungsreduktion von rund 15 werden. Zellen weisen nicht per se Zweck dient: Am Tag vor Thanksgiving, GW zu rechnen, die nur teilweise durch eine höhere Versorgungssicherheit auf. bei dem die Truthähne traditionell Neuanlagen kompensiert werden. Aber sie helfen, den potenziellen Scha- geschlachtet werden, erlebt er eine 2020 wurden rund 1.400 MW neu den zu verringern, und das wird auf- fatale Überraschung. Diese Metapher installiert. In den Folgejahren wird grund der dargestellten Probleme kommt bei sehr seltenen Ereignissen nicht mit wesentlich mehr gerechnet, immer wichtiger. Grenzenlose Struktur mit enormen Auswirkungen zum Tra- also etwa der Hälfte der rückgebauten schaffen extreme Abhängigkeiten. gen, sogenannten Extremereignissen Leistung. („X-Events“) oder strategischen Fehlende Sollbruchstellen Digitalisierung Schocks. Wir verwechseln dabei gerne die Abwesenheit von Beweisen mit Durch fehlende und klar definierte Durch die zunehmende Digitalisierung dem Beweis der Abwesenheit von Sollbruchstellen wird ein möglicher des Stromversorgungssystems steigen Ereignissen. Netzwiederaufbau enorm erschwert. auch die wechselseitigen Abhängigkei- Das soll in den nächsten Jahren deut- ten: ohne Strom, keine IT. Ohne IT- Extremwetterereignisse lich ausgeweitet werden. So müssen Infrastruktur, keine Stromversorgung. etwa aufgrund einer EU-Vorgabe bis Alldem nicht genug, ist auch noch zu Experten befürchten, dass bereits heu- 2025 mindestens 70 Prozent der Kapa- erwarten, dass in den kommenden te ein möglicher Netzwiederaufbau zität der nationalen Grenzkuppelstellen Jahren auch in Europa wie bereits in daran scheitern könnte, weil zuneh- für den grenzüberschreitenden Strom- Australien, Kalifornien oder Texas die mend mehr Schutzeinrichtungen ohne handel geöffnet werden. Extremwetterereignisse zunehmen Rückfallebenen ausgestattet sind. werden. Damit können auch schwer- Das, was im Alltag zu einer Belebung Vieles kann und will man einfach nicht des Marktes und damit zu sinkenden glauben, aber die Realität holt einen Herbert Saurugg, MSc Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge ► +43 660 3633896 ► herbert.saurugg@gfkv.at Österreichische Gesellschaft für Krisenvorsorge Unterreit 23/5, 5751 Maishofen | IBAN: AT95 3503 5000 0011 8125 ► www.gfkv.at ► kontakt@gfkv.at ► Information ► Vorsorge ► Sicherheit
immer wieder ein. Ein kollektives Ver- ren. Obwohl das Problem seit Langem levant eingestuft und daher nicht in die sagen, wie das etwa Gunther Dueck bekannt ist, scheint die Regulation laufenden Sicherheitsberechnungen bereits vor vielen Jahren in keine Notwendigkeit zu sehen, diesen eingebunden war. Daher stellt sich die „Schwarmdumm“ beschrieben hat. Missbrauch abzustellen. Der Krug geht Frage, wie viele solch unbeobachteten Zudem entstehen immer mehr digitale so lange zum Brunnen, bis er bricht. Bruchstellen es noch geben könnte. Anwendungen auf dem Strom- und Das Ereignis am 8. Januar 2021 sollte Flexibilitätsmarkt. Was im Alltag einen 8. Januar 2021 daher als sehr ernst zu nehmende Mehrwert schafft, könnte rasch ins Warnung verstanden werden, auch Es gibt auch mehrere Hinweise, dass Gegenteil umschlagen, wie etwa der wenn von politischer Seite sofort be- die beiden Faktoren, die reduzierte schwerwiegende Cyberangriff auf die hauptet wurde, dass die Stromversor- Momentanreserve und der überbor- größte Ölpipeline der USA im Mai 2021 gung sicher sei. 36 Länder sitzen in dende Stromhandel, wesentlich zur gezeigt hat. Dabei muss keine Schädi- einem gemeinsamen Boot. Wenn die- Großstörung am 8. Januar 2021 beige- gungsabsicht vorliegen. Ein außer Kon- ses untergeht, gehen alle mit unter. tragen haben, auch wenn das bisher trolle geratener Cyberangriff oder auch noch in keinem offiziellen Untersu- nur eine schwerwiegende Störung, chungsbericht richtig angesprochen Nach einem Blackout kann auch rasch zu Problemen in der wurde. In Österreich sind wir wahrscheinlich in physischen Welt führen, primär in der Lage, als eines der ersten Länder in Am 8. Januar kam es um 14:04 Uhr im einem System, mit einem derart fragi- Europa wieder ein Stromnetz aufzu- Umspannwerk Ernestinovo (Kroatien) len Gleichgewicht. bauen, was immer noch rund einen zu einer Überlastung einer Sammel- schienenkupplung, die sich daraufhin Tag oder länger dauern könnte. Bis auf Gefährlicher Stromhandel ordnungsgemäß zum Eigenschutz ab- europäischer Ebene wieder überall der Der Stromhandel spielt generell eine zu geschaltet hat. Dies führte zu einer Strom fließt, wird laut Experten- wenig beachtete Rolle, wenn es um die Überlastung von 13 weiteren Be- Einschätzungen zumindest eine Woche Gefährdung des europäischen Ver- triebsmitteln in Südosteuropa, vergehen. Das ist aber nicht alles. bundsystems geht. Im Juni 2019 brach- wodurch das europäische Verbundnetz Ganz generell werden die Folgen und ten deutsche Stromhändler das System in zwei Teile aufgetrennt wurde. Die Wiederanlaufzeiten nach einem groß- an den Rand des Kollapses, nachdem Folge war ein durch das auftretende flächigen und abrupten Ausfall der sie eine Regulierungslücke ausgenützt massive Leistungsungleichgewicht Stromversorgung massiv unterschätzt. haben. Trotz Abmahnung und nun in verursachter massiver Frequenzanstieg Viele Vorbereitungen beschäftigen sich Aussicht gestellter hoher Strafen in Südosteuropa auf 50,60 Hertz und nur mit der unmittelbaren Vorsorge für scheint es noch immer Lücken zu ge- ein Frequenzeinbruch auf 49,74 Hertz den Stromausfall, was häufig in der ben. in Nordwesteuropa. Im Südosten gab Anschaffung oder Erweiterung einer So kam es 2021 in den ersten drei es einen Leistungsüberschuss von 6,3 Notstromversorgung mündet. Dabei ist Quartalen zu 175 Frequenzanomalien, GW, welcher gleichzeitig im Nordwes- die Phase 1, also die Zeit des Stromaus- die ursächlich auf eine betriebswirt- ten fehlte. falls, noch am überschaubarsten. Viel schaftlich optimierte Kraftwerksein- Der sehr steile Frequenzeinbruch bzw. schwerwiegender und katastrophaler satzplanung zurückzuführen sind. Im -anstieg weist darauf hin, dass zu we- werden sich die deutlich längeren gesamten Jahr 2020 waren es 141. nig Momentanreserve vorhanden war, Phasen des Wiederanlaufes (Phase 2 Dabei muss um den Stundenwechsel welche eine derart gravierende Leis- und 3) in den anderen Infrastruk- die Hälfte bis zu zwei Drittel der vorge- tungsänderung abfedern hätte müs- tursektoren und bei der Resynchroni- haltenen Reserve für Ausgleichsmaß- sen. Zum anderen gab es zu diesem sierung der Versorgungslogistik aus- nahmen eingesetzt werden. Diese Zeitpunkt einen enormen Stromimport wirken, was in dieser Dimension völlig werden aber für unvorhergesehene von etwa 6,3 GW in Spanien und unterschätzt wird, weil uns dazu die Kraftwerksausfälle vorgehalten. Frankreich, was darauf hindeutet, dass Erfahrungen fehlen. Sollte es in dieser Zeit tatsächlich zu der überregionale Stromhandel zur Die sehr hohe Versorgungssicherheit in einem oder mehreren Kraftwerksaus- Überlastung beigetragen hat. Interes- allen Lebensbereichen, insbesondere fällen kommen, was beim Fahrplan- sant ist dabei auch, dass die Sammel- in Mitteleuropa, wird zum Bumerang: wechsel wahrscheinlicher ist, könnte schienenkupplung im Umspannwerk Es fehlt an den erforderlichen Eigen- das zu einer weiteren Eskalation füh- Ernestinovo bisher nicht als systemre- vorsorgemaßnahmen und Rückfallebe- Herbert Saurugg, MSc Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge ► +43 660 3633896 ► herbert.saurugg@gfkv.at Österreichische Gesellschaft für Krisenvorsorge Unterreit 23/5, 5751 Maishofen | IBAN: AT95 3503 5000 0011 8125 ► www.gfkv.at ► kontakt@gfkv.at ► Information ► Vorsorge ► Sicherheit
nen. Viel zu viele Menschen und Orga- sowohl-als-auch-Denken: Wir müssen nario bewältigen können. Das betrifft nisationen verlassen sich einfach blind auch in der Lage sein, mit unerwarte- insbesondere auch jene Organisatio- auf die ständige Verfügbarkeit. Eine ten Ereignissen umzugehen und diese nen und Unternehmen, die in einem Truthahn-Illusion. zu bewältigen. Das betrifft alle Ebenen. solchen Fall einen Notbetrieb auf- Beispielsweise ist die Verhinderung rechterhalten müssen, also auch die Langwieriger Wiederanlauf von Cyber-Angriffen enorm wichtig, Energiewirtschaft. dennoch ist ein Wiederherstellungs- So ist etwa zu erwarten, dass bis nach plan unverzichtbar, auch wenn man Inselbetriebsfähige PV-Anlagen der Stromversorgung die Telekommu- immer hofft, dass dieser nie benötigt nikationsversorgung, also Handy, In- Was viele PV-Besitzer nicht wissen, ist, wird. Aber Hoffnung ist zu wenig. Das ternet und Festnetz, wieder funktionie- dass ihre PV-Anlage während eines gilt genauso beim Thema Blackout. Wir ren wird, weitere Tage vergehen wer- Stromausfalls keinen Strom liefert, da betreiben gerade die größte Infrastruk- den. Dies, weil mit schwerwiegenden die meisten Anlagen netzgeführt sind. turtransformation aller Zeiten am offe- Hardwareschäden, Störungen und Nur inselbetriebsfähige PV-Anlagen, nen Herzen und ohne Auffangnetz. Das Überlastungen zu rechnen ist. Damit also ergänzt mit Netztrennung, hybri- könnte sich als fataler evolutionärer wird es bis zumindest in die zweite den Wechselrichter und Speicher, Irrtum herausstellen. Woche dauern, bis wieder eine Pro- können auch bei Netzausfall eine Not- duktion und Warenverteilung im brei- Der wichtigste Schritt beginnt in den versorgung in den eigenen vier Wän- teren Umfang anlaufen kann. eigenen vier Wänden: Sich und die den aufrechterhalten. Damit könnten eigene Familie zumindest zwei Wochen die Beleuchtung, Heizung und Kühlge- Ganz abgesehen von den internationa- völlig autark mittels eigener Vorrats- räte (Vorräte!) weiterbetrieben wer- len Verflechtungen und wechselseiti- haltung versorgen zu können. Das den. Das Szenario würde damit deut- gen Abhängigkeiten in der Versor- betrifft 2 Liter Wasser pro Person und lich abgemildert. Gesellschaftlich noch gungslogistik. Auf das sind jedoch we- Tag. Nach dem Stromausfall kann auch wirkungsvoller und effizienter wäre es, der die Menschen noch Unternehmen wieder gekocht aber nicht eingekauft so rasch als möglich regionale Energie- oder die Staaten vorbereitet. Es droht werden. Daher Lebensmittel wie Nu- zellen aufzubauen, wo zumindest eine eine unfassbare Katastrophe, die in die del, Reis und Konserven für zwei Wo- Grundnotversorgung mit Wasser, Ab- größte Katastrophe nach dem Zweiten chen. Das Gleiche gilt für wichtige wasser, Wärme oder Gesundheits- Weltkrieg enden könnte, wie bereits Medikamente, Kleinkinder- oder Haus- dienstleistungen auch während eines 2011 das Büro für Technikfolgenab- tiernahrung. Taschenlampen, ein bat- Netzausfalles aufrechterhalten werden schätzung beim Deutschen Bundestag teriebetriebenes Radio, Müllsäcke und könnte. Dazu fehlt es aber am notwen- festgehalten hat: „Spätestens am Ende sonstige wichtige Hilfsmittel, die man digen Bewusstsein und den erforderli- der ersten Woche wäre eine Katastro- dann benötigen könnte. Einfach, was chen Rahmenbedingungen. phe zu erwarten, d. h. die gesundheitli- man auf einen zweiwöchigen Cam- che Schädigung bzw. der Tod sehr vie- pingurlaub auch mitnehmen würde. Organisatorische Maßnahmen ler Menschen sowie eine mit lokal bzw. regional verfügbaren Mitteln und per- Auf diese persönlichen Vorsorgemaß- sonellen Kapazitäten nicht mehr zu Sehr geringe Vorsorge nahmen können dann die notwendigen bewältigende Problemlage.“ Dabei Wie aus verschiedenen Untersuchun- organisatorischen Maßnahmen aufset- bezog sich die Analyse noch gar nicht gen bekannt ist, können sich rund ein zen. Dabei beginnt der erste Schritt mit auf einen europaweiten Ausfall. Ganz Drittel der Bevölkerung maximal vier der Sensibilisierung des eigenen Perso- zu schweigen von der enorm gestiege- Tage und ein weiteres Drittel maximal nals, um die Eigenvorsorge anzusto- nen Vernetzung binnen der letzten sieben Tage selbst versorgen. Damit ßen. Zum anderen sind umfassende Dekade. beginnt ein Teufelskreis. Denn wenn Überlegungen notwendig, wie im Fall sich die Menschen nicht mehr ausrei- eines Blackouts die erforderliche Was kann getan werden? chend selbst versorgen können, kom- Kommunikation sichergestellt werden men sie nicht in Arbeit, um die Syste- kann. In vielen Fällen werden nur Off- Kurzfristig scheint nur mehr die Vorbe- me wieder hochzufahren. Eine Teufels- line-Pläne, also vorbereitete Abspra- reitung auf das Ereignis möglich zu spirale beginnt sich zu drehen. Daher chen, die in den Köpfen der Mitarbei- sein, was auch ganz generell gilt: Ver- ist eine breite Eigenvorsorge in der ter:innen verfügbar sein müssen, funk- hindern und Sicherheit sind wichtig, Bevölkerung wesentliche Vorausset- tionieren. Das Schlüsselpersonal muss aber zu wenig. Es braucht auch hier ein zung dafür, damit wir ein solches Sze- wissen, was zu tun ist, wenn niemand Herbert Saurugg, MSc Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge ► +43 660 3633896 ► herbert.saurugg@gfkv.at Österreichische Gesellschaft für Krisenvorsorge Unterreit 23/5, 5751 Maishofen | IBAN: AT95 3503 5000 0011 8125 ► www.gfkv.at ► kontakt@gfkv.at ► Information ► Vorsorge ► Sicherheit
mehr erreicht werden kann und wie ter:innenverfügbarkeit sind vor allem Notbetrieb verfügbar sind, da mit einer die Ablöse und Versorgung funktionie- die persönlichen Umstände, wie die Versorgung von außerhalb kaum zu ren, wenn ein Notbetrieb weiterlaufen räumliche Entfernung zum Arbeitsplatz rechnen ist, wenn nicht entsprechende muss. oder sonstige Verpflichtungen, wie Vorbereitungen getroffen werden. Das Eine Alarmierung, wie sonst üblich, betreuungsbedürftige Personen, Funk- geht dann bis hin zu Wiederanlaufplä- wird in der Regel nicht mehr funktio- tionen in Gemeindekrisenstäben oder nen, wo zu überlegen ist, welche Vo- nieren, da die Telekommunikationssys- Einsatzorganisationen zu berücksichti- raussetzungen erforderlich sind, um teme Großteils binnen weniger Minu- gen. Ferner muss erhoben werden, wie überhaupt wieder in einen geordneten ten nach dem Stromausfall ausfallen lange die vorhandenen Ressourcen, Betrieb übergehen zu können. werden. Bei der Mitarbei- etwa der Treibstoff für Notstromein- richtungen oder Lebensmittel für einen Summary Das europäische Stromversorgungssystem befindet sich in einem fundamentalen Umbruch, wo gilt: „Viele Köche verderben den Brei“. Denn es fehlt an einer systemischen Gesamtkoordination und Vorgangsweise. Jedes Mitgliedsland macht seine eigene Energiewende in unterschiedliche Richtungen und es ist kaum eine koordinierte Vorgangsweise erkennbar. Zudem werden fundamentale physikalische und technische Rahmenbedingungen ignoriert und durch Wunschvorstellungen ersetzt, was absehbar in eine Katastrophe führen muss. Denn das Stromversorgungssystem gehorcht rein physikalischen Gesetzen. Noch haben wir die Möglichkeit, diesen fatalen Pfad zu verlassen. Autor Herbert Saurugg ist internationaler Blackout- und Krisenvorsorgeexperte, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV), Autor zahlreicher Fachpublikationen sowie gefragter Keynote-Speaker und Interviewpartner zum Thema „ein europaweiter Strom-, Infrastruktur- sowie Versorgungsausfall (‚Blackout‘)“. Er beschäftigt sich seit 10 Jahren mit der steigenden Komplexität und Verwundbarkeit lebenswichtiger Infrastrukturen sowie mit den möglichen Lösungsansätzen, wie die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern wieder robuster gestaltet werden kann. Unter www.saurugg.net betreibt er dazu einen umfangreichen Fachblog und unterstützt Gemeinden, Unternehmen und Organisationen bei der Blackout- Vorsorge. Herbert Saurugg, MSc Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge ► +43 660 3633896 ► herbert.saurugg@gfkv.at Österreichische Gesellschaft für Krisenvorsorge Unterreit 23/5, 5751 Maishofen | IBAN: AT95 3503 5000 0011 8125 ► www.gfkv.at ► kontakt@gfkv.at ► Information ► Vorsorge ► Sicherheit
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