Exhibit! Ausstellen als künstlerische Praxis - KUNSTFORUM International Bd. 270 Oktober 2020 - FELIX GAUDLITZ
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Tanja Widmann VANESSAS GESTE Ein Gespräch mit Gudrun Ratzinger Tanja Widmann, 20200317_3 (Vanessa), 2020, Inkjetprint, Plexiglasbox, Foto: kunst-dokumentation.com, Courtesy: Künstlerin Portrait: Tanja Widmann, Foto: Kilian Blees 83
Tanja Widmanns Arbeiten entstehen aus einem Ich denke, es geht nicht nur um Interesse an der Performativität von Sprache und an Technologien der Reproduktion. In installativen die Frage, was für Kunst wir Setzungen untersucht sie die Gegebenheiten und machen, sondern auch wie wir Fiktionen des (Künstler*innen-)Subjekts und der Kunst machen. Autor*innenschaft. Indem sie ihre Arbeit fortwäh- rend remixed und reformatiert, verhandelt Widmann gehen aber nicht ineinander auf. Die Erzählung setzt nicht nur den Status des Kunstwerks, sondern re- bei einem Graffito an, das ich auf der Venedig Bien- flektiert es als Ort ökonomischer und symbolischer nale vorgefunden habe. Irgendwer hat in das weiche, Wertproduktion. fleischfarbene Material einer Skulptur von Nairy Baghramian den Namen „Vanessa“ eingeritzt. Diese banale Geste wollte ich sichtbar machen – auf der Gudrun Ratzinger: Deine Ausstellungen starten übli- Skulptur in den überfüllten Räumen der Biennale cherweise von einem Script, das in unterschiedlichen konnte man sie leicht übersehen – und gleichzeitig Artikulationen Form annimmt, als Video, Performance in einer möglichst rohen, simplen Bearbeitung wie- oder auch Installation. Wie ist das in der Ausstellung derholen und übersetzen. In einem Akt der endlosen „V“ in der Galerie Felix Gaudlitz? Reproduktion durchläuft „Vanessa“ eine Serie von Tanja Widmann: Das Script ist für mich immer Fragmentierungen und unterschiedlichen affektiven der Ausgangspunkt, eine Art Source Code. Die Vo- Aufladungen. Diese Serien habe ich dann hier in der raussetzung für die Produktion und Reproduktion. Galerie mit dem Tintenstrahldrucker produziert. Das liegt im Datensatz, in der Maschine der Infor- Ich denke, es geht nicht nur um die Frage, was mation, im Verschleiß. Bei „V“ gibt es zwei Scripts: für Kunst wir machen, sondern auch wie wir Kunst Das eine Script ist eine Erzählung, man könnte auch machen. Wie gehen wir mit den gegebenen Produk- sagen die materielle Geschichte zu dem, was in die- tionsverhältnissen um? Werden sie über die Bezie- sem Raum und in einer anderen Fassung online zu hungen, die wir herstellen, reproduziert oder abge- sehen ist. Das zweite Script ist ein Gedicht von Inka wandelt, temporär ausgesetzt? Mich interessiert die Meißner. Beide Scripts berühren sich an Punkten, Ökonomie der Produktionsmittel, der Körper, der 84 exhibit! — I. Modelle des Zeigens
linke Seite: Tanja Widmann, V (Gallery), 2020, Tanja Widmann, V (Online), 2020, Ausstellungsansichten: Ausstellungsansicht: Galerie Felix Gaudlitz, Wien, https://felixgaudlitz.com / exhibitions / tanja-widmann-v/, Foto: kunst-dokumentation.com, Courtesy: Künstlerin Foto: kunst-dokumentation.com, Courtesy: Künstlerin 85 Tanja Widmann
„Vanessa“ zerstört das Kunstwerk nicht, kratzt aber buchstäblich an der Unantastbarkeit eines solchen Kunstobjekts im Ausstellungsbetrieb der Biennale. oben: Tanja Widmann, V (Online), 2020, Ausstellungsansicht: unten: Tanja Widmann, 6 Monate Hass geronnen felixgaudlitz.com/exhibitions/tanja-widmann-v/, zu einem Gedicht. Touristenklasse, 2017, Foto: kunst-dokumentation.com, Courtesy: Künstlerin Ausstellungsansicht: Galerie Emanuel Layr, Wien / Rom, Foto: Maximilian Anelli-Monti, Courtesy: die Künstlerin 86 exhibit! — I. Modelle des Zeigens
Zeit und ihr Überschuss. Hier, wie etwa auch bei der Könntest du näher ausführen, welche Funktion Serie „6 Monate Hass geronnen zu einem Gedicht. Scripts für deine Arbeit und insbesondere deine Zei- Touristenklasse“ geht es darum, der gegenwärtig gepraxis haben? recht dominierenden High-End-Produktion eine Art Meine Arbeiten haben eine formal-ästhetische von poor production gegenüber zu stellen. Eine nicht Dimension, aber sie erschöpfen sich nicht darin. nur in den Herstellungsmitteln arme Kunst. Im Blick Deswegen sind diese Scripts so wichtig. Sie führen auf die Produktionsmittel ist das ganz offensichtlich: faktische und fiktive Erzählungen ein, Figuren, ein Laptop und ein Inkjet-Drucker. Das Ausgangsma- Haltungen, Attitudes und gegenwärtige oder histo- terial ist ein beiläufig gemachtes Handyfoto in ge- rische gesellschaftliche Konflikte. Ursprünglich fun- ringer Auflösung, ein ärmliches Bild sozusagen. Die gierten sie wie Filmscripts, für die Performer*innen, Drucke selbst sind eine Form der Redistribution: Ich aber auch für die Dinge, die ausgestellt wurden. Bei habe die Seiten von „Black Paintings“, einem Ausstel- „V“ ist das Script eine Erzählung, die die Ausstellung lungskatalog von Wade Guyton, als Druckpapier ver- als Teil einer Geschichte zur Aufführung bringt. Das wendet. Guyton ist ja durch seine konzeptuelle Ar- kann ganz konkret sein, etwa wenn ich von dem beit mit dem Inkjet-Drucker bekannt geworden. Der Graffito erzähle und wir uns diese Markierung als Katalog beruht auf dem Überdrucken von Ausstel- Ablagerung in den Drucken auch ansehen können. lungsansichten mit einem Tintenstrahldrucker. Ich Zugleich ist dieses Script, nachdem es nirgendwo habe also das naheliegendste Material zum Bedru- aufgezeichnet ist, nur eine mögliche Vorlage, ein cken verwendet, den Guyton-Katalog, der in meinem Source Code, der von anderen Akteur*innen, etwa Regal stand, mir damit aber auch recht wertvolles dem Galeristen, jederzeit anders aufgeführt werden Druckerpapier ausgesucht. Er ist mittlerweile vergrif- kann. Diese Abweichung ist im Datensatz immer fen und zirkuliert zu entsprechend hohen Preisen. auch angelegt, in der Maschine der Information. Erlischt der Wert der Katalogseiten, wenn ich sie als Druckmaterial verwende? Oder steigere ich den Wert mit diesem Akt? „V“ greift die Frage nach dem Status, Erlischt der Wert der Katalog- dem Wert des Kunstwerks nicht nur in der Produk- seiten, wenn ich sie als tion auf, sondern auch darüber, wie die Drucke aus- Druckmaterial verwende? gestellt, gezeigt werden: Die Prints sind als einzelnes, autonomes Objekt, in der Serie und als grossflächige Oder steigere ich den Wert Installation zu sehen. Einige wenige Drucke sind mit diesem Akt? durch eine Plexiglasbox gerahmt, andere aus dersel- ben Serie nicht. Erhöht das den Wert der Drucke in Die Informationen, die du in der Onlineversion gibst, den Boxen oder wird er womöglich negiert? sind damit verglichen sehr spärlich. Könnte man da nicht von einer armen Version sprechen, verglichen Gibt es mit der Überlagerung von Wade Guytons Ka- mit der, die ich bekommen, wenn ich mich in Bewe- talog mit deinen Bildern auch eine Parallele zwischen gung setze und diesen Raum hier aufsuche? „Vanessa“ und dir? Der Onlineversion fehlt dieses Script der Erzäh- Die Markierung „Vanessa“ macht die Skulptur lung. Doch ist sie zugleich durch andere Information zur Schreibfläche, canceled sie in gewisser Weise. gesättigt, die mir im Ausstellungsraum nicht verfüg- Die Oberfläche wird verletzt mit irgendeinem Tool, bar sind. Ich kann mir beispielsweise ein PDF mit einem Schlüssel, einem Stift. „Vanessa“, so stelle ich Scans herunterladen, das ist bereits eine andere, ma- mir vor, war wohl etwas gelangweilt oder genervt. schinell reproduzierte Fassung der Drucke. Mir steht Vielleicht ging es darum, etwas zu riskieren. Wenn eine andere Zeit zur Verfügung, eine Zeit nach der ich hier „Vanessa“ sage, meine ich übrigens einen Ausstellung. Mich interessiert nicht nur eine Form Handlungszusammenhang, die Fiktion einer Person. von poor production, sondern auch der Verschleiß von „Vanessa“ zerstört das Kunstwerk nicht, kratzt aber Kunstwerken. Die Onlineversion von „V“ wird über buchstäblich an der Unantastbarkeit eines solchen die digitale Zirkulation verschlissen, die Version in Kunstobjekts im Ausstellungsbetrieb der Biennale. der Galerie eher durch Umwelteinflüsse. Die On- Die Signatur ist nicht nur Markierung, sondern eine lineversion umfasst übrigens nur Drucke, die hier Attacke, eine Form der Aneignung und zugleich eine im Raum nicht zu sehen sind. ganz direkte Form der Anrede. Das ist eine Geste, die mich interessiert. Diese Bezugnahme macht zu- Wenn ich mir deine Publikationen anschaue, dann gleich klar, dass ich mich nicht nur als Produzentin fällt auf, dass deine Projekte unterschiedliche Stadi- im Kunstbetrieb herumtreibe, sondern auch als Re- en durchlaufen oder sich immer wieder neu in ver- zipientin. Ich streife mit einer Studierendengruppe schiedenen Medien oder Räumen entfalten. durch die Räume der Biennale, selbst mehr oder we- Etwas noch einmal zu zeigen, fand ich nie wirk- niger interessiert, manchmal auch gelangweilt oder lich interessant. Statt dessen habe ich in der Form entnervt. Und plötzlich dringt in diesen Raum eine von Remixes und Reformatierungen gearbeitet. andere Form der Handlung ein. Die Installation „eine von euch“ wurde zunächst 87 Tanja Widmann
im Grazer Kunstverein gezeigt, dann im Badischen Die Vorlagen für die Siebdrucke waren Polystyrol- Kunstverein und bei Tranzit Display in Prag. Das Platten, die von Catharina Wronn nach meiner waren jeweils andere Gegebenheiten, räumlich, Anweisung mit einem Text bemalt wurden. Das war aber auch institutionell und ökonomisch. Auch die Teil der Performance „Untitled (LBJ)“ im Rahmen Erwartungshaltungen an mich, an die Arbeit waren einer von Joseph Kosuth kuratierten Ausstellung sehr unterschiedlich. Das verändert die Form der im 21er Haus. Die Siebdrucke wurden sowohl als Arbeit, die Installation. Schließlich wurde ich ein- einzelner Print als auch in einer Serie als projizierte geladen, die Arbeit bei Saprophyt in Wien zu zei- Handy-Fotos in einem Setting von Johannes Porsch gen, einem Offspace, der von Barbara Kapusta und gezeigt. Die bemalte Platte wäre demnach ebenso Stephan Lugbauer betrieben wurde. Es hat für mich ein Source Code, der endlos reproduziert, reforma- keinen Sinn gemacht, nur die Filme in der bestehen- tiert, remixed werden kann. den Black Box zu zeigen. In den Videos sind junge Künstler*innen zu sehen, wie sie – in meinem Auf- trag und nach meinen Angaben – Dinge, die dann Wie wird die Kunst und ihr im Raum präsentiert wurden, herstellen. Es ging Wert als Ware, ihr symbolischer also um Fragen der Autor*innenschaft, aber auch um den Status der Dinge im Raum, die als Props, Wert hergestellt? autonome Kunstwerke oder als Teil einer Installati- on gesehen werden konnten. In den Installationen Ist das Ausstellen insofern wichtig für dich, als du wurden zudem andere Waren, Readymades, etwa neue Setzungen machst, die auf den jeweiligen Raum Pflanzen, Fashion oder Stecker gezeigt. Es ging also zugeschnitten sind? nie nur um die Videos. So habe ich die Situation Für mich geht es immer um eine Form des Ver- umgedreht und die Black Box selbst zur Installation hältnisses, das im Moment der Einladung zu einer gemacht, in der die Filme, aber eben auch einige Ausstellung eine erste Kontur annimmt und dann Elemente der Installation gezeigt wurden. Diese einen Körper bekommt, in der Form der künstle- Elemente waren dann mehr oder weniger sichtbar. rischen Setzung im Raum. Was gibt es für Begeh- Bei „If it’s not me. Let’s make make out let’s make ren von denen, die mich einladen, an meine Arbeit out“ zeigt sich dann, wie der Remix in die Produk- oder auch an mich. Welche Begehren werden aber tionsmaschine, die Verfahrensweise integriert wird: auch bei mir getriggert. In welchen Raum trete 88 exhibit! — I. Modelle des Zeigens
ich mit meiner Arbeit ein, wer hat sich da schon aller versammelt. Was sind die räumlichen, sozia- len, ökonomischen Gegebenheiten? Wie wirkt sich das auf meine Produktionsweise aus, wie auf die künstlerische Arbeit. Bislang haben die Orte und Gesprächspartner*innen oft gewechselt. In der Gale- rie, bei Felix Gaudlitz, ist nun die Wiederholung von vornherein angelegt. Das ist für mich klarerweise interessant. Die Fragen bleiben dieselben. Die Frage ist immer, wie überhaupt Kunst gemacht wird. Wie wird die Kunst und ihr Wert als Ware, ihr symboli- scher Wert hergestellt? Von welchen Vorstellungen von Form, aber auch von Gegenwart gehen wir aus? Welche Subjekte entwerfen wir in diesen Räumen und auch jenseits davon? Welche Formen der Ver- TANJA WIDMANN sammlung? Von diesen Fragen gehe ich aus, die Fra- gen machen aber auch die Arbeit. Also wenn ich es von der Perspektive des Ausstellens her betrachte. *1966 in Österreich, lebt und arbeitet in Wien und München. Sie ist Künstlerin, Autorin und Professorin an der Akademie der bildenden Künste München. Zahlreiche Performances, Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen, u. a. bei Felix linke Seite: Tanja Widmann, eine von euch, 2012, Video, Gaudlitz, Wien (2020, 2019), Emanuel Layr, Wien (2018), Pflanze, A4 Prints, Polyurethanschaumplatte (spraypainted), Museum Brandhorst, München (2017), klassensprachen.org, Spiegel, Seile, Sprühdose, Seile (spraypainted), Versace Berlin / Düsseldorf (2017), Vox, Montreal (2016), Kiew Biennale for H&M 2011, XPS Platte, Ausstellungsansicht: Grazer (2015), Nous Moules, Wien (2015). Diverse Publikationen, Kunstverein, Foto: Christine Winkler, Courtesy: Künstlerin u. a. „Postapocalyptic Self-Reflection“ (Westphalie Verlag, diese Seite: Tanja Widmann, eine von euch, 2012, diverse Wien 2019) und „Post-Apocalyptic Realism“ (Museum Videos, Screen, Beamer, Kartonbox, Mehrfachstecker, Kabel, Brandhorst / Verlag Walther König, Köln 2018). Ausstellungsansicht: Saprophyt, Foto: Stephan Lugbauer, Courtesy: Künstlerin tjw_ _ _ 89 Tanja Widmann
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