EXOSKELETTE IN PRODUKTION UND LOGISTIK Grundlagen, Morphologie und Vorgehensweise zur Implementierung - TÜV Austria

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EXOSKELETTE IN PRODUKTION UND LOGISTIK Grundlagen, Morphologie und Vorgehensweise zur Implementierung - TÜV Austria
EXOSKELETTE
IN PRODUKTION
UND LOGISTIK
Grundlagen,
Morphologie und
Vorgehensweise zur
Implementierung

In Kooperation:
EXOSKELETTE IN PRODUKTION UND LOGISTIK Grundlagen, Morphologie und Vorgehensweise zur Implementierung - TÜV Austria
inhalt

    1    Motivation: Warum Exoskelette?                                     4

    2    Gesundheit und Krankheitsursachen                                  5
         2.1 Demografischer Wandel in Österreich                            5
         2.2 Risikofaktor körperliche Arbeit                                6
         2.3 Krankenstände als Resultat in Österreich                       7

    3    Exzellenz in der Arbeitsgestaltung                                 8
         3.1 Nachhaltige Arbeitsgestaltung                                  9
         3.2 Innovationstrends der Arbeitsgestaltung                       10
         3.3 Assistenzsysteme im Arbeitssystem der Zukunft                 11

    4 	Technologie Exoskelett                                              13
        4.1 Technische Funktions- und Wirkweisen und sowie Grundkonzepte   13
        4.2 Marktübersicht                                                 13
        4.3 Morphologie                                                    14
        4.4 Fazit zur Anwendung von Exoskeletten in der Industrie          15

    5 	Safety und Security                                                 17
       5.1 Normen und Richtlinien                                          17
    		     5.1.1 Übersicht der Normen und Richtlinien für Exoskelette      17
    		     5.1.2 Anforderungen an die Entwicklung von Exoskeletten         18
    		     5.1.3 Anforderungen für Anwender von Exoskeletten               18

      5.2   Gefährdungsbeurteilung und Methoden zur Absicherung            19
    		      5.2.1 Kompatibilität mit Persönlicher Schutzausrüstung (PSA)   19
    		      5.2.2 Arbeitsplatzgestaltung                                   19
    		      5.2.3 Security in Design und Anwendung                         20

    6 Einsatz und Anwendung	                                               21
      6.1 Use-Case-Analyse in ausgewählten Unternehmen                     22
    		    6.1.1 HARTL HAUS Holzindustrie GmbH                              24
    		    6.1.2 ENGEL AUSTRIA GmbH                                         26
    		6.1.3 Wacker Neuson SE                                               28

      6.2 Fazit zu den Exoskeletten                                        30
    		    6.2.1 Fazit Exoskelett Paexo Shoulder der Firma Ottobock         30
    		    6.2.2 Fazit Exoskelett Laevo                                     30

         6.3 Stärken und Schwächen sowie Chancen und Risiken               31

         6.4 Vorgehen und Empfehlungen zur Einführung                      31

    7    Quick-Check zur industriellen Potenzialbestimmung                 33

    8 	Fazit und Ausblick                                                  36

    9 	Literaturverzeichnis                                                37

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EXOSKELETTE IN PRODUKTION UND LOGISTIK Grundlagen, Morphologie und Vorgehensweise zur Implementierung - TÜV Austria
EXOSKELETTE
IN PRODUKTION UND LOGISTIK
Grundlagen, Morphologie und Vorgehensweise zur
Implementierung

Dipl.-Wirtsch.-Ing. Philipp Hold
Fabian Ranz MSc.
Fabian Holly BSc.

Fraunh o fer A u s tri a
G eschäf tsb e r eic h P r od u k t i on s - u n d L ogistikm a n a geme n t
G eschäf tsb e r eic h A d va n c e d In d u s t r i a l M a n a geme n t

Dipl.-Ing. Merim Cato
Dipl.-Ing. Alexandra Markis
Ing. Andreas Oberweger

TÜV AUSTR I A
G eschäfts fel d I n d us t r y & E n e r g y

Ing. Wolfgang M. Baumann

a wb Sc h rau b tec h n ik - u n d In d u st r ie b e d a r f G mbH

                                                                               3
EXOSKELETTE IN PRODUKTION UND LOGISTIK Grundlagen, Morphologie und Vorgehensweise zur Implementierung - TÜV Austria
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    Motivation:
    Warum
    Exoskelette?

A u to mati s i e r u n g , R o b o t e r, D ig it a lisier ung. Dies e Sc hlagw ör t er s ind allgegenw är t ig in der I ndus-
tri e, u n d vi e le ro r t s e r le ic h t e r n n e u e n Tec hnologien bereit s die Auf gaben am Ar beit s pla tz. An-
s tren g en d e m a n u e lle T ä t ig k e it e n n e hm en jedoc h noc h im m er einen großen Ant eil in Produkti on
u n d L o g i s ti k e in . M it a r b e it e r in n e n u nd M it ar beit er in Unt er nehm en w erden vor dies em Hi nter-
g ru n d z u n ehm e n d d ire k t m it n e u e n As s is t enzs ys t em t ec hnologien, den s ogenannt en Exoskel et-
ten , au s g erü s t e t . D ie se a m K ö r p e r g e t r agenen St üt zs t r ukt uren reduzieren durc h elekt r ische oder
mec h an i s c h e U n t e r s t ü t z u n g d ie a u f den M it ar beit er innen und M it ar beit er w ir kende Belastung
u n d verri n g e r n G e f a h re n v o n Ve r le t z ungen durc h kör per lic he Beans pr uc hungen.

Exoskelette haben sich als hochtechnische Hilfsmittel in der        Laut David Minzenmay, Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut
Rehabilitation etabliert. Doch zunehmend setzt sich die Techno-     für Produktions- und Automatisierungstechnik (IPA), summie-
logie auch in der Arbeitswelt der Produktion durch. In Produk-      ren sich Krankenstände aufgrund von MSE in Deutschland auf
tions-, aber auch in Logistikbereichen sorgen Exoskelette dafür,    rund 125 Mio Tage pro Jahr, was einen Wertschöpfungsverlust
dass körperliche Aktivitäten erleichtert werden. In der Produkti-   von rund 22,7 Mrd € verursacht. Unter Berücksichtigung die-
on und Logistik ist die physische Belastung auf Mitarbeiterinnen    ser Zahlen relativiert sich die Investition für den Arbeitgeber.
und Mitarbeiter oft sehr hoch. Diese gefährdet langfristig nicht    Eine Studie von ABI Research prognostiziert für das Jahr 2025
nur die Gesundheit, sondern auch die Produktivität und Effizi-      ein potenzielles Marktvolumen für Exoskelette von 1,8 Mrd $.
enz der Mitarbeiter. Besonders leistungsgewandelte Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter überschreiten oft ihre Belastungsgrenze,     Was lange Zeit nur Science-Fiction war, findet zunehmend
z. B. wenn schwere Gegenstände zu bewegen sind. Durch               seinen Weg in die Realität. Neue Technologien im Bereich der
den Einsatz von Exoskeletten sind vorhandene körperliche            Sensorik sowie der Digitalisierung ermöglichen eine Kombina-
Beschwerden besser ausgleichbar, und Haltungsschäden sowie          tion aus Roboter und Mensch und schaffen neue Anwendun-
körperliche Verschleißerscheinungen sind von Anfang an auf ein      gen auch in Produktion und Logistik. Im industriellen Bereich
Minimum reduzierbar. Wenn Arbeitsplätze aufgrund örtlicher          befinden sich die Exoskelette noch in einem frühen Entwick-
Gegebenheiten nicht ergonomisch optimierbar sind, hilft das         lungsstadium. Doch erste Systeme haben bereits Serienreife
Exoskelett, ein Gleichgewicht herzustellen, indem bestimmte         erlangt, und erste Industrieunternehmen beginnen, diese
Körperregionen stabilisiert und Kraftanstrengungen verringert       Systeme im laufenden Betrieb einzusetzen.
werden. Hier gibt es viele Anwendungsmöglichkeiten.
                                                                    In diesem Whitepaper wird aufgezeigt, in welchen Anwen-
Nach wie vor befürchtete hohe Anschaffungskosten hindern            dungsbereichen Exoskelette bereits einsetzbar sind, was bei
derzeit Unternehmen, sich dem Thema Exoskelette anzuneh-            der Implementierung und Nutzung vor allem im Hinblick auf
men. Eine Studie der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt         das Thema Safety und Security zu berücksichtigen ist und wel-
(AUVA) aus dem Jahr 2018 zeigte jedoch, dass in Österreich          che Erfahrungen erste Anwendungsunternehmen im Rahmen
21,4 % aller Krankenstandstage auf eine Erkrankung des              einer Kurzstudie gesammelt haben. Es hilft vor allem Klein-
Muskel-Skelett-Systems (MSE) zurückzuführen sind. Durch-            und Mittelbetrieben, einen effizienten Einstieg in das Thema
schnittlich fallen auf jeden Krankenstand 15,8 Kranken-             Exoskelette in Produktion und Logistik zu finden.
standstage. Vor allem die Beschäftigte und der Beschäftigte
der Altersgruppe 50 bis 64 Jahre sind dabei betroffen. Das
entspricht einem Drittel aller Ausfälle.

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    Gesundheit
    und
    Krankheits-
    ursachen

Einen der zentralen Trends in Europa stellt der demografische Wandel dar, welcher im Folgenden auf
die Entwicklung der Strukturen von Altersgruppen, sowie das Verhältnis von Geschlechter n bezogen
wird. Statistik Austria zeigte auf, dass sich das Durchschnittsalter in Österreich allein in den letzten
zehn Jahren um 1,6 Jahre erhöht hat. Folgerichtig führt diese Entwicklung auch zu einem höheren
Durchschnittsalter Beschäftigter in österreichischen Industrieunter nehmen (Quelle: Statistik Austria,
2019a). Bereits heute ist der Begriff des sogenannten leistungsgewandelten Mitarbeiters weite
verbreitet. Dieser Begriff beschreibt nach Adenauer (2004) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, welche
aufgrund körperlicher-, verletzungs- oder altersbedingter Einschränkungen ihre Arbeitsaufgabe gar
nicht mehr oder nur teilweise ausführen können). Der Zusammenhang zwischen dem Demografischen
Wandel, der leistungsgewandelten Mitarbeiter sowie der hohen Anzahl der Kranken-
stände, vor allem aufgrund von Muskel-Skeletterkrankungen in Österreich, wird vor dem Hintergrund
der Notwendigkeit ergonomischer Arbeitssystemgestaltung im Folgenden dargestellt.

                                                                                                                                                                                       gesundheit und krankheitsursachen
2.1 Demografischer Wandel in                                                             aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Alter zwischen 30
Österreich                                                                               und 44 Jahren noch 38,9 %, wird dieser Anteil bis zum Jahr 2050
                                                                                         auf 35,4 % gesunken sein, während sich der Anteil aller erwerbs-
Aktuelle demografische Untersuchungen in Österreich zeigen                               tätigen Personen über 45 Jahre von 36,1 % im Jahr 2011 auf 41,8
auf, dass die Durchschnittsbevölkerung in Österreich auch in                             % im Jahr 2050 erhöhen wird (Quelle: Statistik Austria, 2019c).
den kommenden Jahren stetig älter wird. Von 2011 bis 2060                                                      Entwicklung der Erwerbspersonen 2017 bis 2080
wird der Prozentsatz der über 45-Jährigen von 36,1 % auf                                                       nach breiten Altersgruppen (laut Trendvariante)
                                                                                                  5,0
                                                                                         in Mio

41,8 % ansteigen.                                                                                 4,5

                                       Lebensjahre                                                4,0
                           Männer           99         Frauen
                                            95                                                    3,5
                                            90
                                                                                                  3,0
                                            85
                                            80                                                    2,5
                                            75
                                            70
                                                                                                  2,0
                                            65                                                    1,5
                                            60
                                            55                                                    1,0
                                            50
                                                                                                  0,5
                                            45
                                            40                                                    0,0
                                            35                                                            2017     2020      2030     2040     2050     2060     2070      2080
                                            30
                                                                                 2060                                  50-Jährige und Ältere      30- bis 39-Jährige
                                            25
                                                                                 2030                                  40- bis 49-Jährige         15- bis 29-Jährige
                                            20
                                            15                                   2018
                                            10
                                                                                         Abbildung 2: Erwerbsprognose 2018 (Quelle: Statistik Austria, 2019c).
                                            5
                                            0

      80 000    60 000 40 000 20 000    0        0   20 000   40 000 60 000 80 000
     Personen                                                              Personen                       Es ist als zentraler Einfluss auf österreichische Produktionsunterneh-
                                                                                                          men festzuhalten, dass mit stetig steigender Zunahme des Anteils
Abbildung 1: Bevölkerungspyramide 2018, 2030, 2060 (Quelle: Statistik Austria, 2019b).
                                                                                                  fazit

                                                                                                          älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Betrieb zu rechnen
Diese Entwicklung hat einen signifikanten Einfluss auf die erwerbs-                                       ist, wodurch das Potenzial der gesamten Belegschaft stärker von
                                                                                                          entscheidender Bedeutung sein wird, als es heute der Fall ist.
tätige Bevölkerung. Betrug im Jahr 2011 der prozentuale Anteil

                                                                                                                                                                                   5
EXOSKELETTE IN PRODUKTION UND LOGISTIK Grundlagen, Morphologie und Vorgehensweise zur Implementierung - TÜV Austria
2

    Gesundheit
    und
    Krankheits-
    ursachen

2.2 Risikofaktor körperliche Arbeit                                                                            Unfallgefahren. Schmerzen im Bereich des Rückens stellen mit
                                                                                                               Abstand das größte Gesundheitsproblem dar. Fast ein Drittel
42,5 Stunden leisten vollbeschäftigte Österreicher durch-                                                      der befragten Personen (32,2 % bzw. 329 100 Personen) gab
schnittlich pro Woche (Eurostat, 2018). Allein dieser erbrachte                                                an, im Jahr vor der Befragung arbeitsbedingte Rückenproble-
Zeitaufwand macht die Arbeitswelt zu einem der zentralsten                                                     me gehabt zu haben, 19,0 % (193 600 Personen) berichteten
Lebensbereiche des Menschen und prägt seine Lebensgestal-                                                      über Probleme mit dem Nacken, den Schultern, den Armen
tung erheblich. Die im Beruf vorherrschenden Arbeitsbedin-                                                     oder Händen und 16,3 % (166 300 Personen) über Probleme
gungen schaffen somit eine signifikante Grundlage nicht nur                                                    mit den Hüften, Beinen oder Füßen. Während Männer häu-
für das mentale Wohlergehen, sondern auch für die körperli-                                                    figer über Rückenprobleme (33,7 % vs. 30,6 % der Frauen)
che Gesundheit des Menschen. Arbeitsbedingte Belastungen                                                       oder Hüft- und Fußprobleme (18,1 % vs. 14,3 % der Frauen)
haben jedoch auch das Potenzial, sich negativ auf die Mitar-                                                   klagten, gaben Frauen deutlich häufiger Probleme mit dem
beiterinnen und Mitarbeiter auszuwirken. Die Konsequenzen                                                      Nacken, den Schultern, den Armen oder Händen an (23,4
reichen von der Entwicklung psychischer Probleme bis hin zu                                                    % vs. 14,9 % der Männer). Unter den befragten Erwerbs-
körperlichen Erkrankungen.                                                                                     tätigen waren mit 26,8 % Land- und Forstwirte/-wirtinnen
                                                                                                               am häufigsten von arbeitsbedingten Gesundheitsproblemen
Eine Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung der Statistik Austria                                                   betroffen, mit 19,5 % folgt die Baubranche sowie mit 18,5
im Jahr 2013 ergab, dass etwa 80 % aller Erwerbstätigen am                                                     % das Gesundheits- und Sozialwesen. Der Wirtschaftszweig
Arbeitsplatz einem Gesundheitsrisiko ausgesetzt sind (Statistik                                                Warenherstellung befindet sich mit 14,7 % auf dem neunten
Austria, 2013). So gaben etwa sieben von zehn Erwerbstäti-                                                     Platz, gereiht nach den Wirtschaftszweigen Dienstleistungen
gen an, körperlichen Risiken und vier von zehn Erwerbstäti-                                                    (17,8 %), Beherbergung und Gastronomie (16,7 %), Verkehr
gen, psychischen Risiken am Arbeitsplatz ausgesetzt zu sein.                                                   und Lagerei (16,3 %), öffentliche Verwaltung, Verteidigung
Die häufigsten körperlichen Erkrankungsrisiken sind hierbei                                                    und Sozialversicherung (15,7 %), Bergbau und Gewinnung
Überanstrengung der Augen, ergonomische Risiken und                                                            von Steinen und Erden (14,7 %).

                                                                             0%                    10 %          20 %              30 %            40 %
                                                                                                                                                          fazit
                     Knochen-, Gelenk- oder Muskelproblemen (Rücken)                                                                      32,2 %

Knochen-, Gelenk- oder Muskelprobleme (Nacken, Schulter, Arme, Hände)                                             19,0 %
                                                                                                                                                          Knochen-, Gelenk- oder Muskelprob-
                                                                                                                                                          leme zählen zu den häufigsten arbeits-
           Knochen-, Gelenk- oder Muskelprobleme (Hüfte, Beine, Füße)                                        16,3 %
                                                                                                                                                          bedingten Gesundheitsproblemen auch
                                                                    Stress                  5,7 %
                                                                                                                                                          in Österreich. Diese Gesundheitspro-
                                       Andere Gesundheitsbeschwerden                       5,0 %
                                                                                                                                                          bleme äußern sich vor allem in Form
                                           Depressionen, Angstzustände                     4,9 %                                                          von Rückenschmerzen und weiteren
                                Atemprobleme, Probleme mit der Lunge                      4,4 %                                                           Muskel-Skeletterkrankungen (MSE)
              Herzkrankheit, Herzinfarkt, andere Herz-Kreislauf-Probleme                  4,4 %                                                           von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

                                                                                    2,2 %
                                                                                                                                                          in Produktionsunternehmen. Zu MSE
                  Magen-, Leber-, Nieren- oder Verdauungsbeschwerden
                                                                                                                                                          zählen Erkrankungen der Wirbelsäule,
                                               Probleme mit dem Gehör              1,5 %
                                                                                                                                                          der Gelenke sowie deren muskuläre
                           Infektionskrankheiten (Viren, Bakterien, Pilze)         1,5 %
                                                                                                                                                          und sonstige Strukturen. Darüber
                             Überanstrengungen, Ermüdung der Augen                1,3 %
                                                                                                                                                          hinaus hängen sie eng mit physischen
                                                         Kopfschmerzen            1,0 %                                                                   Fehlbeanspruchungen beziehungswei-
                                                           Hautprobleme           0,8 %                                                                   se biomechanischen Überlastungen
                                                                                   In Prozent der Erwerbstätigen mit Gesundheitsproblem(en)               zusammen.

Abbildung 3: Arbeitsbedingte Gesundheitsprobleme (Quelle: Statistik Austria, 2013).

6
EXOSKELETTE IN PRODUKTION UND LOGISTIK Grundlagen, Morphologie und Vorgehensweise zur Implementierung - TÜV Austria
2.3 Krankenstände als Resultat                                                                                           100                                                                         Sonstige
                                                                                                                                                                                                     Krankheiten
in Österreich                                                                                                            90

                                                                                                                         80
                                                                                                                                                                                                     Psychische und
                                                                                                                                                                                                     Verhaltensstörungen
                                                                                                                         70                                                                          Krankheiten des
                                                                Anteile in Prozent
                                                                                                                                                                                                     Kreislaufsystems
Rückenschmerzen stellen die häufigsten Gesundheitsbe-                                                                    60
                                                                                                                                                                                                     Krankheiten des
                                                                                                                         50
einträchtigungen dar. Sie gelten auch weltweit als „Global-                                                                                                                                          Atmungssystems
                                                                                                                         40                                                                          Krankheiten des
Burden-of-Disease-Faktor Nr.1”; rund 1,76 Mio Menschen in                                                                30
                                                                                                                                                                                                     Verdauungssystems

Österreich litten im Jahr 2014 daran. Dicht dahinter folgen                                                              20
                                                                                                                                                                                                     Krankheiten des
                                                                                                                                                                                                     Muskel-Skelett-Systems

Allergien (rund 1,75 Mio Menschen), Bluthochdruck (rund 1,5                                                              10                                                                          Verletzungen und
                                                                                                                                                                                                     Vergiftungen
                                                                                                                          0
Mio Menschen) und Nackenschmerzen (rund 1,3 Mio Men-                                                                              1994           2000        2005           2010           2017
                                                                                                                                                             Jahre
schen) (BMGF, 2016).
                                                                Abbildung 4: Krankenstandstage nach Krankheitsgruppen (WIFO, 2018).

Sowohl Rücken- als auch Nackenschmerzen können durch
Muskel-Skeletterkrankungen ausgelöst werden. Darunter           Nach Schätzungen des Bundesministeriums für Soziales, Ge-

                                                                                                                                                                                                                                  gesundheit und krankheitsursachen
werden Erkrankungen des sogenannten Stütz- und Bewe-            sundheit, Pflege und Konsumentenschutz (siehe https://www.
gungssystem, sowie die der Muskeln, Gelenke, Sehnen und         sozialministerium.at/Ministerium/Kontakt/Impressum.html) und
Bänder verstanden. Zu den arbeitsbedingten Muskel-Skeletter-    der Statistik Austria betrugen 2015 die volks- und betriebswirt-
krankungen zählen unter anderem (DGUV, 2019):                   schaftlichen Kosten im Zusammenhang mit Unfällen und Krank-
n   Bandscheibenbedingte Wirbelsäulenerkrankungen               heiten unselbstständiger Beschäftigter rund 9,1 Mrd €, wobei
n   Gonarthrose                                                 rund 3,5 Mrd € direkte Kosten (direkte Zahlungen) und rund 5,6
n   Karpaltunnel-Syndrom                                        Mrd € indirekte Kosten (Wertschöpfungsverluste, u. a. aufgrund
n   Hypothenar-Thenar-Hammer-Syndrom                            geringerer Produktivität) darstellen (WIFO, 2018). Abbildung 5
                                                                verdeutlicht die Krankenstandsquote nach Alter und Geschlecht.
Über alle Altersgruppen hinweg lassen sich 21,4 % aller
                                                                Krankenstandstage in Prozent des Jahresarbeitsvolumens

Krankenstandstage und 15,8 % aller Krankenstände auf                                                                       8

eine Erkrankung des Muskel-Skeletts-Systems zurückführen.                                                                  7

Ein Drittel aller krankheitsbedingten Ausfälle aufgrund von                                                                6

Muskel-Skeletterkrankungen (MSE) betrifft die Beschäftigte                                                                 5

und der Beschäftigte in der Altersgruppe 50 bis 64 Jahre. Nur                                                              4

10 % der Krankenstandstage aufgrund von MSE fallen auf                                                                     3

junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (AUVA, 2019).                                                                     2

                                                                                                                           1

                                                                                                                           0
                                                                                                                               Bis 19    20–24   25–29   30–34   35–39    40–44    45–49   50–54   55–59   60–64   65 und
                                                                                                                                                                                                                    älter
                                                                                                                                    Männer                           Altersgruppen in Jahren
                                                                                                                                    Frauen

                                                                Abbildung 5: Krankenstandsquote nach Alter und Geschlecht (WIFO, 2018).

                                                                                                                                  Ergonomische Arbeitssystemgestaltung beinhaltet somit nicht nur
                                                                                                                          fazit

                                                                                                                                  das Potenzial, die „Arbeitsbedingungen für Industrieunternehmen“
                                                                                                                                  zu verbessern, sondern auch die volks- und betriebswirtschaftlichen
                                                                                                                                  Kosten zu senken und dadurch die Produktivität zu erhöhen.

                                                                                                                                                                                                                              7
EXOSKELETTE IN PRODUKTION UND LOGISTIK Grundlagen, Morphologie und Vorgehensweise zur Implementierung - TÜV Austria
3

    Exzellenz in
    der Arbeits-
    gestaltung

Gru n d l eg en d st e h t d e r B e g r iff A r b e it s ges t alt ung als ein Sam m elbegr iff f ür alle M aßnahmen und
S trateg i en z u r G e s t a lt u n g v o n A r b e its s ys t em en, Ar beit s abläuf en und Ar beit s bedingungen. Es
wi rd z wi s c he n k o r re k t iv e r, p r ä v e n t iv e r, pros pekt iver, diff erenzieller und dynam is c her Arbei tsge-
s tal tu n g u n t e r s c h ie d e n (U lich , 1 9 9 4 ).

Korrektive Arbeitsgestaltung wird notwendig, wenn ergo-                                    Bei allen Maßnahmen und Strategien zur Gestaltung von
nomische, physiologische, psychologische und sicherheits-                                  Arbeitssystemen steht der Mensch neben betriebswirtschaft-
technische Anforderung in der Planung nicht oder nicht                                     lichen Aspekten im Zentrum der Betrachtung. Humanität und
angemessen berücksichtigt wurden. Präventive Arbeitsgestal-                                Betriebswirtschaftlichkeit haben die Aufgabe, im Sinne einer
tung beschreibt eine planerische Vorwegnahme möglicher                                     ergonomischen Arbeitsgestaltung synchron miteinander zu
physischer oder psychischer Schädigungen und Beeinträch-                                   agieren. Zentrale Kriterien humaner Arbeitsgestaltung wurden
tigungen am Arbeitsplatz. Wird im Vorfeld die präventive                                   bereits von Rohmert (1984), von Bachmann (1978) und von
Arbeitsgestaltung ausreichend berücksichtigt, ersetzt dies die                             Hacker (1980) aufgezeigt. Dabei stehen folgende Kriterien
korrektive Arbeitsgestaltung weitgehend. Die prospektive Ar-                               im Zentrum: Ausführbarkeit, Erträglichkeit, Schadlosigkeit,
beitsgestaltung bezieht sich auf Strategien zur Schaffung von                              Zumutbarkeit, Belastbarkeit, Beeinträchtigungsfreiheit, Zufrie-
persönlichkeitsförderlichen Arbeitstätigkeiten, respektive das                             denheit, Einstellungs- und Persönlichkeitsförderlichkeit.
Schaffen von Möglichkeiten der Persönlichkeitsentwicklung
im Stadium der Planung von Arbeitssystemen. Differenzielle                                 Nach Zwart et al. (1996) hängen physische Beanspruchungen
Arbeitsgestaltung beschreibt das Bilden und Bereitstellen von                              von Körperhaltungen, den angewandten Kräften, den wir-
gleichzeitigen Angeboten verschiedener Arbeitsstrukturen,                                  kenden Arbeitsbedingungen, physischen Arbeitsbelastungen
zwischen denen die Beschäftigten wählen können. Dynami-                                    und von den individuellen Entscheidungsfreiräumen ab. Die
sche Arbeitsgestaltung ermöglicht bestehende Arbeitsstruk-                                 aus den Beanspruchungen resultierenden gesundheitlichen
turen zu erweitern beziehungsweise neue zu schaffen, um                                    Auswirkungen führen, wie das Altern, zu einer Änderung des
einen Lernfortschritt der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu                              physischen Arbeitsvermögens. Folgende Grafik stellt diese
gewährleisten (Ulich, 1994).                                                               Zusammenhänge dar.

      Physische Belastung,              Aktuelle                          Haltungen, Bewegungen,          Kurzfristige physische   Langfristige gesundheitliche
      Entscheidungsfreiräume            Arbeitsbedingungen                angewandte Kräfte               Beanspruchung            Auswirkungen

                                                                         Physisches Arbeitsvermögen

                                                                                      Altern

Abbildung 6: Zusammenhänge zwischen Altern und physischen Arbeitsbelastungen (Zwart et al.,1996).

Auf welcher Grundlage eine nachhaltige Arbeitsgestaltung                                   haltigen Beitrag für eine humane und gleichzeitig betriebs-
basiert, sowie welche technischen Innovationen und Assistenz-                              wirtschaftliche Arbeitsgestaltung liefern, ist im Folgenden
systeme, zu denen auch Exoskelette gehören, einen nach-                                    dargestellt.

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EXOSKELETTE IN PRODUKTION UND LOGISTIK Grundlagen, Morphologie und Vorgehensweise zur Implementierung - TÜV Austria
3.1 Nachhaltige Arbeitsgestaltung                                                                              rischen Strukturen verknüpft. Das MTO-Konzept stellt den zent-
                                                                                                               ralen Bezugsrahmen zur Gestaltung von Arbeitssystemen dar.
Nachhaltige Arbeitsgestaltung folgt einem nachhaltigen Produk-                                                 Durch das MTO-Konzept wird verdeutlicht, dass die Ge-
tivitätsmanagement. Dieses wiederum folgt der Annahme, dass
                                                                                                                                                         d soziale
erfolgreiche Unternehmen sich unter sonst gleichen Bedingungen                                                                                      he un          Um
                                                                                                                                                rlic                 we
                                                                                                                                              tü        Markt
                                                                                                                                            Na                         lt
kaum durch die Qualität der Ressourcen Technologie, Betriebs-
mittel und Rohstoffe, jedoch grundlegend durch die Qualität der                                                                                          Mensch

Ressource Mensch (die Beschäftigte und der Beschäftigte) und die
Wirksamkeit der sie unterstützenden Organisation unterscheiden.                                                                                         Aufgabe

Die Produktivitätsdefinition im klassischen Sinne ist demnach in-                                                                              Organisation       Technik

sofern Mittel zum Zweck, als dass sie kein betriebswirtschaftliches
Letztziel, jedoch ein Mittel zur Verbesserung der Wirtschaftlich-
keit, Profitabilität und Wettbewerbsfähigkeit ist (Bokranz, 2012).
                                                                                                               Abbildung 8: Das MTO-Konzept: Mensch, Technik und Organisation in einer Wechselwir-

                                                                                                                                                                                                         Exzellenz in der Arbeitsgestaltung
                                                                                                               kungsbeziehung.
                                                                                              Produktions-
   Langfristige              Geschäfts-                                     Innovations-    vorbereitung und
   Businessziele              strategie             Marktstellung             fähigkeit     Implementierung
                                                                                                               staltung von Arbeitssystemen in Produktionsunternehmen
                                                                                                Prozess-
                                                            Leistung                          organisation     ausschließlich dann zum angestrebten Erfolg führt, wenn
   Produktivität
                                          Beschäftigte    Betriebsmittel       Rohstoffe       Qualitäts-      menschliche, technische und organisatorische Aspekte in
                                                                                               fähigkeit
                                                                                                               einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Dabei
       Leistung und                                                   Materialfluss und
                                       Leistung und
 Leistungsbereitschaft der
       Arbeitnehmer                 Instandhaltung der
                                                                    Materialanforderungen     Supply Chain
                                                                                                               werden folgende Schnittmengen unterschieden:
                                    Arbeits-/Sachmittel
                                                                        Lieferzeit und
 Kapazität und Auslastung
                                                                        Materialwert
     von Kapazitäten
                                  Verfügbare Kapazitäten
                                   und Auslastung von
                                                                                                               n   Mensch und Technik: Diese Schnittmenge adressiert die
                                       Kapazitäten                  Materialeigenschaften
   Arbeitsorganisation                                                und Marktwert
                                                                                                               Mensch-Maschine-Interaktion beziehungsweise die Schnittstel-
                                                                                                               le zwischen Mensch und Maschine.
Abbildung 7: Erklärungsmodell Produktivität (Bokranz, 2012).

Wie Abbildung 8 darstellt, ist der Mensch neben Technik                                                        n   Mensch und Organisation: Diese Schnittmenge adressiert
und Organisation das zentrale Stellglied zur Realisierung von                                                  die Rolle des Menschen im Arbeitssystem der Montage.
Produktivität in Produktionsunternehmen. Dieser Zusammen-
hang wird durch das sogenannte MTO (Mensch-Technik-                                                            n   Technik und Organisation: Diese Schnittmenge adressiert
Organisation)-Konzept verdeutlicht. Das MTO-Konzept ist als                                                    das soziotechnische System. Dies bedeutet die Organisation von
soziotechnisches Analyse-, Bewertungs- und Gestaltungskon-                                                     Menschen (Werkern) und mit diesen verknüpften Technologien
zept zu verstehen, in welchem Mensch, Technik und Organisa-                                                    im Arbeitssystem der Montage, welche in einer bestimmten Wei-
tion im Hinblick auf die Erfüllung einer Arbeitsaufgabe in einer                                               se strukturiert sind, um ein spezifisches Ergebnis zu produzieren.
abhängigen Wechselwirkungsbeziehung zueinander stehen. Die
Arbeitsaufgabe verknüpft dabei den sozialen mit dem techni-                                                                Bei der Gestaltung von Arbeitssystemen ist für synchroner Stei-
schen Teil eines Arbeitssystems und verbindet den Menschen                                                                 gerungen von humanorientierten und betriebswirtschaftlichen
                                                                                                                   fazit

mit organisatorischen Strukturen. Der Arbeitsaufgabe kommt                                                                 Produktivitätseffekten stets das MTO-Konzept zu beachten. Dieses
                                                                                                                           gilt ergänzend als Design-Grundsatz für die Implementierung und
dabei eine zentrale Rolle zu, indem diese das soziale und
                                                                                                                           Nutzung innovativer Technologien in Arbeitssystemen der Zukunft.
technische Teilsystem sowie den Menschen mit den organisato-

                                                                                                                                                                                                     9
3

     Exzellenz in
     der Arbeits-
     gestaltung

3.2 Innovationstrends der Arbeits-                               bei qualitätskritischen Prozessen unterstützt. Die Integration
gestaltung                                                       von Assistenzsystemen in klassische Montagesysteme führt zu
                                                                 einem steigenden Digitalisierungs- und Vernetzungsgrad, wo-
Durch steigende Produktindividualisierung wird in der produ-     durch Assistenzsystemen eine zentrale Rolle im Kontext Cyber-
zierenden Industrie vermehrt das Konzept der sogenannten         physische Montagesysteme zukommt. Exoskelette gliedern
Mixed-Model-Montage verfolgt, mit dem Ziel kapazitätsaus-        sich dabei in den Kontext von Assistenzsystemen ein. Durch
lastend, flexibel und wandlungsfähig eine Vielzahl gleich-       künstliche Exoskelette werden dabei vor allem anspruchsvolle
artiger Produkte einer Produktfamilie, aber auch vermehrt        individuelle Lösungen möglich, mit deren Hilfe leistungsge-
unterschiedliche Produkte verschiedener Produktfamilien zu       minderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Unterstützung
montieren. Hierdurch resultiert eine zunehmende Komplexität      erhalten. Die Forschung und Entwicklung zu Exoskeletten ist
in Bezug auf die Koordination von Informations- und Material-    vor allem in den USA und Japan fortgeschritten, in den USA
flüssen. Vielfach geht mit dieser Form der Montagegestaltung     auch für den militärischen Bereich (acatech, 2016).
ein hoher Anteil von Montagetätigkeiten einher, deren Auto-
matisierung nicht wirtschaftlich ist und vom Menschen durch-     Cyber-physische Systeme (CPS) realisieren eine Verbindung
geführt wird. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen        zwischen der physikalischen und der digitalen Welt. Dabei
den Anforderungen nach Flexibilität und Wandlungsfähigkeit       bauen CPS auf eingebettete Systemen auf (engl. embedded
des Konzepts der „Mixed-Model-Montage“ folgen, woraus            systems), welche über einen Sensor Daten einer physikalischen
ein erhöhtes Risiko für kognitive, psychische aber auch physi-   Umgebung erfassen, diese mittels eines Mikroprozessors
sche, Belastungen bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern      verarbeiten und über Aktuatoren auf physikalische Vorgänge
resultiert. Die Integration von Assistenzsystemen wirkt diesen   einwirken. Sie sind mittels digitaler Netze miteinander verbun-
Herausforderungen entgegen (Fast-Berglund et al., 2013).         den und können auf weltweit verfügbare Daten und Dienste
                                                                 zugreifen. CPS sind als (technisch) nicht abgeschlossene Syste-
Die allgemeine Zielsetzung von Assistenzsystemen ist, die Dis-   me definiert und sind durch einen hohen Grad der Vernetzung
krepanz zwischen der menschlichen Leistungsfähigkeit sowie       zwischen der physischen, sozialen und virtuellen Welt gekenn-
-fertigkeit und der von einer Arbeitsaufgabe geforderten         zeichnet (Geisberger et al., 2012). Durch die Integration von
Anforderung zu minimieren – mit dem Ziel, sowohl die Pro-        CPS in Montagesystemen entstehen sogenannte Cyber-phy-
duktivität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als auch die     sische Montagesysteme (CPMS). Es wird vorausgesagt, dass
des gesamten Arbeitssystems nachhaltig zu sichern. Assis-        CPMS in der Lage sind, Herausforderungen volatiler Märkte
tenzsysteme verfügen vor diesem Hintergrund über eine Art        wirtschaftlich zu begegnen und gleichzeitig auf ergonomische
Regelfunktion, indem sie die von einer Aufgabe geforderten       sowie im Hinblick auf eine alters- und alternsgerechte Arbeits-
Anforderungen mit der individuellen menschlichen Leistungs-      gestaltung einzugehen (Dombrowski et al., 2013).
fertigkeit ausgleichen (Spillner, 2015). Allgemein werden im
Kontext der Montage zwei grundlegende Arten von Assistenz-
systemen unterschieden: zum einen eine technische Assistenz,
z. B. in Form kooperierender oder auch kollaborierender
Robotiksysteme, und zum anderen in Form einer digitalen
Assistenz (Informationsassistenz), welche den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter im Wesentlichen durch die Repräsentation
von Informationen sowie durch elektronische Absicherung

10
Assembly Cell
                                                                                         3.3 Assistenzsysteme im Arbeitssystem
                                                                                         der Zukunft
  Human Motion                                                            Intelligent
    Capture                                                               Equipment

    Intelligent
                                                                                         Die Bandbreite von Auswahlmöglichkeiten an digitalen (Hold,
                                                                         Collaborative
    Containers                                                               Robot       2017) und technischen (Ranz, 2018) Assistenzsystemen für
  Digital Assisted                                                                       die Produktion ist groß. Sie reicht vom Einsatz intelligenter
      Worker
                                                                                         Informationssysteme mit Darstellungsformen, wie Augmented
   Autonomous
     Vehicle                                                                             Reality, bis hin zu intelligenten Mensch-Roboter-Interaktionen
                                                                                         in Fertigung, Montage und Logistik. Die Art des Assistenz-
                                                                                         systems variiert dabei je nach Anforderungsniveaus der
                                                                                         Arbeitsaufgaben, welche grundlegend wie folgt eingeteilt
                                                                                         werden (BMAS, 2018):

                                                                                             Niedrig: Systeme geben entweder reine Handlungsanwei-

                                                                                                                                                              Exzellenz in der Arbeitsgestaltung
Abbildung 9: Aspekte eines Cyber-physischen Montagesystems (Erol et al., 2016).          n

                                                                                         sungen für einfache Arbeitssituationen oder unterstützen die
            Assistenzsysteme werden in Arbeitssystemen der Zukunft einen                 Ausführung von Bewegungen.
            zentralen Gestaltungsgegenstand einnehmen. Neben digitalen,
            informatorischen Assistenzsystemen finden bereits heute vielfältige
            technische Assistenzsysteme, wie z. B. in Form von kooperativen
                                                                                         n   Mittel: Systeme können bei regelbasierten Entscheidungen
            und kollaborativen Robotiksystemen, Einzug in Produktionsunter-              mittlerer Komplexität unterstützen und Empfehlungen an den
    fazit

            nehmen. Durch Exoskelette als weitere Form technischer Assistenz-            Nutzer kommunizieren.
            systeme wird die Mensch-Maschine-Interaktion auf eine neue Stufe
            gehoben.
                                                                                         n   Hoch: Systeme können bei regelbasierten Entscheidungen
                                                                                         hoher Komplexität bzw. bei auf Expertise basierenden Ent-
                                                                                         scheidungen unterstützen und Empfehlungen an den Nutzer
                                                                                         kommunizieren.

                                                                                         n   Variabel: Systeme können bei Handlungen und Entschei-
                                                                                         dungen unterschiedlicher Komplexität unterstützen bzw. auch
                                                                                         regelbasierte kognitive Tätigkeitsbestandteile übernehmen.

                                                                                         Darüber hinaus lassen sich Assistenzsysteme in Wahrneh-
                                                                                         mungsassistenzsysteme, Entscheidungsassistenzsysteme und
                                                                                         Ausführungsassistenzsysteme einteilen (Klocke, 2017):

                                                                                         n   Wahrnehmungsassistenzsysteme sind: Arbeitshilfen,
                                                                                         welche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mithilfe von Aug-
                                                                                         mented Reality unterstützen (z. B. Datenbrillen oder Pick-by-
                                                                                         Voice-Systeme).

                                                                                                                                                         11
3

     Exzellenz in
     der Arbeits-
     gestaltung

n    Entscheidungsassistenzsysteme verwenden Echtzeit-
                                                                              Exoskelette werden unaufhaltsam als Assistenzsysteme in Arbeits-
daten und erstellen so Prognosen bezüglich Prozessverhalten                   systemen der Zukunft Einzug halten. Die Diversität dieser Systeme
bzw. Prozessergebnissen.                                                      wird Produktionsunternehmen genauso wie digitale und roboter-
                                                                              gestützte Assistenzsysteme vor die Herausforderung stellen, das
                                                                              richtige System für die richtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
n    Ausführungsassistenzsysteme haben das Ziel, Arbeitsbe-
                                                                              in Bezug auf die richtige Unterstützung zu identifizieren. Dabei
lastungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu reduzieren,                 gilt es, die Frage richtig zu beantworten, was bei der Auswahl von
und assistieren somit auch in ergonomischer Hinsicht. Mit
                                                                      fazit
                                                                              Exoskeletten von zentraler Bedeutung ist und wie dabei vorgegan-
dieser Art der Unterstützung lässt sich neben der Ergonomie                   gen werden kann, um humanorientierte und betriebswirtschaftliche
                                                                              Ziele gemeinsam zu erreichen.
auch die Ausführungsgeschwindigkeit sowie die Präzision der
Tätigkeit beeinflussen.                                           

In Arbeitsumgebungen, in denen viel gehoben, getragen
oder über Kopf gearbeitet wird und technische Hilfsmittel wie
Stapler oder Kräne aus technischen Gründen nicht anwendbar
sind, stellt der Einsatz von Exoskeletten eine Möglichkeit dar,
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Arbeit zu ent-
lasten. Dieses Ausführungsassistenzsystem ist eine am Körper
getragene Stützstruktur, die durch eine (elektro-)mechanische
Unterstützung die Belastung auf den Körper oder auf Teile
des Körpers reduziert und somit die Gefahr von Verletzungen
verringert. Exoskelette als technische Assistenzsysteme eröff-
nen dabei die Möglichkeit einer Verbesserung der Arbeits-
sicherheit, besonders bei Tätigkeiten, bei denen aufgrund
der Spezifik der Arbeitssituation, (z. B. Zugänglichkeit des
Arbeitsbereichs, Art des Arbeitsmittels bzw. Arbeitsgegen-
stands) bisher keine oder nur unzureichende technische Hilfs-
mittel, z. B. beim Heben schwerer Lasten oder bei Arbeiten
in Zwangshaltung, eingesetzt werden können. Exoskelette
ermöglichen eine stärkere Entlastung des Muskel-Skelett-
Systems bei spezifischen Tätigkeiten. Einschlägige wissen-
schaftliche Begleitstudien, z. B. in den Bereichen Arbeits-
medizin, Biomechanik/Arbeitsphysiologie, Sicherheitstechnik,
stehen jedoch erst am Anfang (Ottobock, 2018). Doch ähnlich
wie bei digitalen und robotergestützen Assistenzsystemen ist
die Vielfalt des Marktangebots bereits stark ausgeprägt und
stellt Produktionsunternehmen vor die Herausforderung, das
richtige System, eine geeignete Aufgabe und die richtigen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Bezug auf die richtige
Unterstützung zu identifizieren.

12
4

   Technologie
   Exoskelett

Be i Exo s kel etten ha n d e lt e s s ic h u m m e c h a nis c he G er üs t e, bes t ehend aus St reben, G elenken
und Ac h s en , s o wi e – b e i a k t iv e n E x o sk e le t t en – Ac hs ant r ieben. Dies e ahm en den m ens c hlic hen
Körperb au n ac h u nd w e rd e n v o m M e n s c h e n w ie ein Anzug angezogen oder ein Ruc ks ac k um ge-
schna l l t. D as Gewi c h t d e r S t ü t z s t r u k t u r la s t et dabei, m it Aus nahm e von akt iven G anzkör per aus-
f ührun g en , z u r Gän z e a m Tr ä g e r. D e sh a lb k om m en haupt s äc hlic h leic ht e M at er ialien w ie K uns t-
st off e o d er A l u mi niu m z u m E in sa t z .

4.1 Technische Funktions- und Wirk-                                 ein integrierter Akku in der Stützstruktur oder das Exoskelett ist
weisen und sowie Grundkonzepte                                      direkt am Stromnetz angeschlossen. Darüber hinaus kann der
                                                                    Antrieb auch pneumatisch erfolgen. Ähnlich wie bei elektrisch
Grundsätzlich lassen sich Exoskelette hinsichtlich ihrer Art der    betriebenen Varianten gibt es auch hierbei eine Unterteilung
Kraftunterstützung in zwei Typen unterteilen: passive und           in stationäre (Druckluftsystem) und instationäre (Gasflaschen)
aktive Exoskelette. Passive Exoskelette unterstützen den Träger     Versorgungen.
anhand mechanischer Hilfsmittel wie z. B. durch Feder- oder
Seilzugsysteme. Energie wird mechanisch mittels Federn              4.2 Marktübersicht

                                                                                                                                                              Technologie Exoskelett
gespeichert, wobei die potenzielle Energie, mit der die Federn
bei einer bestimmten Bewegung eines Körperteils vorge-              Der globale Markt für Exoskelette wächst kontinuierlich.
spannt werden, in weiterer Folge den Mitarbeiterinnen und           Während derzeit erst etwa 7 000 Exoskelette weltweit (Stand
Mitarbeiter bei der Gegenbewegung unterstützt. Auftretende          1. Februar 2019) im Einsatz sind, wird für die kommenden
Belastungen werden somit wie durch eine Art Gegengewicht            Jahre ein rasantes Absatzwachstum prognostiziert. Der Absatz
aufgefangen, Bewegungen werden in der Belastungsrichtung            von 2015 bis 2017 stieg um jährlich etwa 40 % – von 2 500
infolgedessen erleichtert und der Komfort am Arbeitsplatz           Einheiten im Jahr 2015 auf etwa 5 000 verkaufte Einheiten
wird erhöht. Da diese Assistenzsysteme ohne den Einsatz von         im Jahr 2017. 2025 sollen voraussichtlich bereits 1 100 000
Motoren, Sensorik sowie deren Stromversorgung arbeiten, ist         Exoskelette verkauft werden (Statista, 2016).
deren Aufbau meist deutlich einfacher als jener von aktiven
Exoskeletten.                                                       Die Abbildung 10 gibt einen Einblick in das geschätzte Absatz-
                                                                    wachstum.
Aktive Exoskelette bieten dem Anwender eine aktive mecha-           120 000
                                                                    110 000
tronische Kraftunterstützung bei einzelnen oder kombinierten        100 000
physischen Belastungsfaktoren. Da sie pneumatisch oder durch         90 000
                                                                     80 000
Motoren betrieben werden, über eine Stromversorgung verfü-           70 000

gen und meist modular aufgebaut und erweiterbar sind, weisen         60 000
                                                                     50 000
sie eine wesentlich höhere Komplexität auf. Die Mechanismen          40 000
                                                                     30 000
wirken an den Gelenken oder anderen neuralgischen Punkten
                                                                     20 000
des Trägers und erlauben daher einen weitgehend höheren Un-          10 000
                                                                          0
terstützungsgrad. Jedoch erhöht der kompliziertere Aufbau das                 2015   2016    2017   2018    2019   2020    2021   2022   2023   2024   2025

Eigengewicht des Anzugs stark. Die Energieversorgung erfolgt
                                                                    Abbildung 10: Absatz von Exoskeletten bis 2025 (Statista, 2016).
bei aktiven Exoskeletten meist elektrisch. Entweder befindet sich

                                                                                                                                                         13
4

     Technologie
     Exoskelett

Eine Weiterentwicklung der zunächst primär für militärische                       konzipiert. Eine weitere Vorreiterrolle im Bereich industriell
Anwendungen und den Einsatz in der Weltraumrobotik ent-                           einsatzfähiger Exoskelette übernimmt die ursprünglich mit
wickelten Exoskelette fand für die Rehabilitation und Unter-                      Prothesen und orthopädischen Produkten bekannt gewordene
stützung bewegungseingeschränkter Menschen statt. Deshalb                         Firma Ottobock mit Sitz in Duderstadt. Das im Oktober 2018 in
bedient derzeit eine große Anzahl der sich auf dem Markt                          Serie gegangene passive Exoskelett Paexo Shoulder unterstützt
befindenden Hersteller von Exoskeletten den Gesundheitssek-                       Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor allem bei anstrengenden
tor. Erst in jüngster Vergangenheit wurden Exoskelette auch                       Überkopfarbeiten in der Produktion und in der Montage.
für Unternehmen der produzierenden Industrie interessant.
Hier sind vor allem leicht anwendbare Exoskelette, wie z. B.
der „Chairless Chair“ der Firma noonee oder das Gurtsystem
„rakunie“ von Morita bereits in großer Zahl im Einsatz.

                                                                                  © German Bionic Cray X                           © Paexo Shoulder der Fima Ottobock

                                                                                  Abbildung 12: Beispiele für aktives und passives Exoskelett.

                                                                                  Unterschiedlichen Konzipierungen, Funktionen, Anwendungs-
                                                                                  bereiche und technische Ausprägungen von Exoskeletten
                                                                                  werden im folgenden AbschnittMorphologie deutlich.

                                                                                  4.3 Morphologie

                                                                                  Der Aufbau des Exoskeletts ist von der Anwendung sowie der
Abbildung 11: Technologie- und Marktübersicht passiver und aktiver Exoskelette.
                                                                                  zu unterstützenden Körperregion abhängig. Hierbei sind Exo-
                                                                                  skelette in Bezug auf ihre Kraftunterstützung in zwei Typen zu
Abbildung 11 zeigt diverse Hersteller, eingeteilt in die Bereiche                 unterteilen – passive und aktive Exoskelette. Abgesehen von der
Medizin, Militär und Industrie. Nach eigenen Angaben brachte                      Unterscheidung zwischen diesen beiden Typen sind Exoskelette
Anfang 2018 der Augsburger Robotikspezialist German Bionic                        nach dem aktuellen Kenntnisstand weiter zu unterteilen.
als erster deutscher Hersteller ein aktives Exoskelett in Seri-
enfertigung. Das German Bionic Cray X wurde speziell für die                      n   Antrieb: Während aktive Exoskelette ihre Kraftunterstüt-
manuelle Handhabe von schweren Gütern und Werkzeugen                              zung elektrisch oder pneumatisch erbringen, passiert dies bei

14
den passiven Varianten mechanisch, z. B. mittels Federn oder        Dimension           Ausprägung

Seilsystemen.
                                                                    Grundprinzip

n   Energieversorgung: Passive Exoskelette benötigen keine                                             Aktiv                                   Passiv

externe Energieversorgung. Bei aktiven Exoskeletten wird zwi-
                                                                    Antrieb
schen mitzutragenden Elementen wie Akkus oder Gasflaschen
                                                                                             Elektrisch              Pneumatisch                 Mechanisch
und stationären Versorgungen wie Stromnetz oder Druckluft-
                                                                    Energie-
systemen unterschieden.                                             versorgung/
                                                                    speicherung
                                                                                            Akku               Druckluft           Stromnetz            Feder
n   Unterstützte Körperregionen: Bereits erhältliche Exoske-
                                                                    Unterstützte
lette gibt es für Hände, Arme, Schultern, Rumpf sowie Beine.        Körperregion
                                                                                          Arme            Hände            Beine       Schultern         Rumpf

n   Unterstützungsart: Exoskelette werden je nach ihrer             Unterstützungs-
                                                                    art
Unterstützungsfunktion unterteilt: die zur Kraftunterstützung,
                                                                                               Kraft                  Ausdauer                 Geschwindigkeit
die zur Erhöhung der Ausdauer des Trägers und die für eine
höhere Bewegungsgeschwindigkeit.                                    Eigengewicht

                                                                                                                                                                      Technologie Exoskelett
                                                                                              < 2,5 kg                 2,5–5 kg                     > 5 kg

n   Gewicht: Aktive Exsoskelette wiegen aufgrund ihres kom-
                                                                    Einsatzbereich
plexen Aufbaus (Sensorik, Motoren, Leitungen etc.) deutlich
                                                                                        Fertigung        Montage       Logistik         Versand         Schulung
mehr als die passiven. So wiegt z. B. das passive Exoskelett
„rakunie“ von Morita nur 0,25 Kilogramm, das aktive Torso-          Anwendungs-
                                                                    grund
Modul „Active Trunk“ von Robo-Mate mit 11 Kilogramm                                     Haltungskorrektur           Überkopfarbeit         Hebeunterstützung
hingegen mehr als das 40-Fache.
                                                                  Abbildung 13: Morphologie passiver und aktiver Exoskeltte für den Einsatz in Produktion
                                                                  und Logistik.

n   Einsatzbereich: In Industrie und Produktion können Exo-
skelette bei verschiedensten Tätigkeiten angewandt werden.        4.4 Fazit zur Anwendung von Exoskelet-
Typische Einsatzbereiche sind einerseits die Fertigung sowie      ten in der Industrie
die Montage, andererseits die Logistik und der Versand. Auch
zu Schulungszwecken wie z. B. beim Training der richtigen         Die Anwendung von Exoskeletten in Produktion und Logistik
Körperhaltung bei schweren Hebetätigkeiten (siehe Anwen-          bewirkt eine Verbesserung der Arbeitssicherheit, insbesondere
dungsgrund) eignen sich Exoskelette.                              bei Tätigkeiten, welche schweres Heben, Zwangspositionen
                                                                  oder lang andauernde Überkopfarbeiten fordern, und bei
n   Anwendungsgrund: Leichte, passive Exoskelette dienen          denen aufgrund ihrer Arbeitssituation bis dato keine oder nur
häufig zur Haltungskorrektur (beim Heben oder in Zwangsposi-      bedingt technische Hilfsmittel eingesetzt werden konnten.
tionen) oder als Abstützung des Gewichts von Werkzeugen bei       Exoskelette reduzieren vor allem jene auf den Körper des
Überkopfarbeiten (siehe Paexo Shoulder von Ottobock). Aktive      Anwenders wirkenden Belastungen, welche zu arbeitsbeding-
Exoskelette bieten die Möglichkeit, den Träger bei Hebearbeiten   ten Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems (MSE) führen
zu entlasten.                                                     (Ottobock, 2018). Gerade diese sind in Europa der häufigste
                                                                  Grund für Arbeitsunfähigkeit und somit ein bedeutender Kos-

                                                                                                                                                                 15
4

       Technologie
       Exoskelett

tenfaktor für Unternehmen und Gesundheitssysteme (WIFO,
2018). Im Gegensatz zur Anwendung von Exoskeletten im
medizinischen Bereich befinden sich Exoskelette im indust-
riellen Bereich noch in einer Einführungsphase. Einschlägige
wissenschaftlich belegte Langzeitstudien stehen noch aus.

Die folgende Tabelle zeigt Vor- und Nachteile von Exoskeletten
unter Beachtung des MTO-Konzepts (siehe oben).

                      Vorteile                              Nachteile

      Mensch         Leicht anwendbar                      Erhöhte Verletzungsgefahr bei
                                                           Stolper-, Sturz- und Rutschunfällen
                     Reduktion der Belastung auf den
                     Körper                                Einsatz an Drehmaschinen,
                                                           Fräsmaschinen, etc. ggfs. wegen
                     Positive Auswirkung auf Gesund-       abstehender Komponenten nicht
                     heit und Arbeitsfähigkeit der         möglich
                     Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

      Technik        Individuelle Anpassungsfähigkeit      Noch keine standardisierte Gefähr-
                     an die menschliche Anthropo-          dungsbeurteilung, da die Risiken
                     metrie und die auszuführende          nicht ausreichend untersucht sind
                     Tätigkeit

                     Flexibler als andere technische
                     Hilfsmittel, wie Stapler oder Kräne

      Organisation   Geringere ungünstige Belastungen      Hohe technologische Diversität
                     reduzieren die krankheitsbedingte     führt zu Problemen in der Planung
                     Ausfallszeit
                                                           Derzeit noch keine Langzeitstudien
                     Gleichbleibende, etablierte           verfügbar
                     Arbeitsprozesse werden nicht
                     beeinträchtigt

                     Erhöhte Produktivität durch
                     steigende Motivation und
                     geringeren Fehlzeiten

16
5

   Safety und
   Security

Um das Potenzial der Anwendung eines Exoskeletts voll ausschöpfen zu können und das Vertrau-
en in die Technologie herzustellen, ist eine sichere Gestaltung des Arbeitssystems unabdingbar.

In Anbetracht der intensiven physischen Interaktion zwischen      führt infolge auch zu Anforderungen an den Datenschutz,
Mensch und Exoskelett ist es essenziell, in der Produktent-       weil mit diesen sicherheitsrelevanten Daten auch solche mit
wicklungsphase, wie auch bei der Integration die mögli-           Personenbezug entstehen und verarbeitet werden müssen. Bei
chen Safety-und-Security-Gefährdungen, die für den Träger         der Einflussnahme auf die ursächlichen Funktionen des aktiven
entstehen können, sorgfältig zu analysieren und mögliche          Exoskeletts kommen sowohl unberechtigter lokaler Zugriff
Restrisiken auf ein akzeptables Niveau zu reduzieren. Produkt-    (falsche Berechtigungen, zugängliche Schnittstellen) als auch
hersteller von Exoskeletten sollten dazu bestimmte Assistenz-     die Einflussnahme über das Netzwerk selbst als Angriffsvekto-
leistung, bestimmte Funktionalitäten und begrenzte Tätigkei-      ren infrage. Daher sollten entsprechende Maßnahmen durch
ten im Sinne einer sicheren Entwicklung berücksichtigen. Die      ein Sicherheitskonzept, welches Safety und Security integrativ
eigentliche betriebliche Tätigkeit und das gesamte Umfeld des     betrachtet, definiert werden.
Arbeitsplatzes, sollten vom Betreiber und Anwender sicher
gestaltet werden.                                                 5.1 Normen und Richtlinien

                                                                                                                                        Safety und Security
Während Safety die sicherheitstechnischen Anforderungen           Aktuell stehen nur wenige grundlegende gesetzliche Anfor-
der funktionalen Sicherheit beschreibt, adressiert die Security   derungen und noch weniger unterstützende Normen und
potenzielle Gefährdungen der eingesetzten IT-Systeme. Bei der     Richtlinien zur Verfügung, um Exoskelette sicher zu entwickeln
Betrachtung der funktionalen Sicherheit entstehen bei aktiven     und anzuwenden. Prinzipiell wird bei der Betrachtung unter-
und passiven Exoskeletten aufgrund ihrer unterschiedlichen        schieden, ob man Hersteller oder Betreiber ist und ob es sich
Bau- und Funktionsweisen unterschiedliche Anforderungen.          um ein aktives oder passives Exoskelett handelt.
Passive Exoskelette unterstützen den Träger mithilfe von Feder-
oder Seilzugsystemen, wobei die gespeicherte Energie genutzt      5.1.1 Übersicht der Normen und
wird. Aktive Exoskelette hingegen besitzen eine mechatro-         Richtlinien für Exoskelette
nische Kraftunterstützung, welche kabelgebunden ist oder
durch eine Batterie versorgt wird. Aufgrund der fortschreiten-    Derzeit existiert keine gültige Produktnorm, die ausschließlich
den Digitalisierung in Unternehmen werden aktive Exoskelette      oder dezidiert den Einsatz von Exoskeletten behandelt. Im
oftmals in das Unternehmensnetzwerk integriert, um z. B. die      Rahmen eines kurzen Abschnitts werden aktive Exoskelette in
Verfügbarkeit überwachen und optimieren zu können. Diese          der EN ISO 13482 „Roboter und Robotikgeräte – Sicherheits-
Integration hat wesentlichen Einfluss auf die IT-Security des     anforderungen für persönliche Assistenzroboter“ erwähnt.
Unternehmens und allem voran auf die des Exoskeletts – und        Die Norm setzt voraus, dass die Konstruktion inhärent sicher
damit zwangsläufig auch auf die physische Sicherheit des Trä-     ist oder mittels technischer Schutzmaßnahmen so sicher ge-
gers. Eine drastische Auswirkung eines Security-Lecks wäre die    staltet ist, dass die resultierenden Restrisiken ohne Weiteres
Einflussnahme auf die Bewegungssteuerung selbst. Weitere          akzeptiert werden können.
Auswirkungen wären der Zugriff auf die Verfügbarkeit von
Nebenfunktionen, wie die Ferndiagnose des Energiehaushalts,       Es obliegt dem Hersteller, nach der Risikobeurteilung aus einer
die Lokalisierung des Produkts und damit des Anwenders. Dies      Reihe von sinngemäß anwendbaren Grundnormen passende

                                                                                                                                   17
5

     Safety und
     Security

technische Lösungen zu extrahieren und im Konstruktionspro-       größe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter enorm wichtig.
zess anzuwenden.                                                  Die bereits tendenziell leichten, passiven Exoskelette sind
                                                                  gemäß EN ISO 13482 so auszulegen, dass es z. B. zu keinen
5.1.2 Anforderungen an die                                        Quetschungen, Schnittwunden oder Abschnürfungen durch
Entwicklung von Exoskeletten                                      Riemen und Gurte kommt. Beim An- und Ablegen des Exo-
                                                                  skeletts dürfen keine unkontrollierten Bewegungen durch die
Hersteller von Maschinen im industriellen Umfeld, zu denen        gespeicherte Energie der vorgespannten Federn entstehen.
auch aktive Exoskelette zählen, müssen die Maschinenricht-        Dies kann risikofrei durch z. B. Haken, Klettverschlüsse o. Ä.
linie 2006/42/EG erfüllen, um ein Produkt in Europa auf den       sichergestellt werden. Außerdem sollte auf den sachgemäßen
Markt bringen zu dürfen. Dadurch wird sichergestellt, dass        Gebrauch seitens des Herstellers hingewiesen werden.
Betreiber nur sichere Exoskelette erwerben können und
infolge sicher einsetzen können.                                  Bei den konstruktionsbedingt schwereren aktiven Exoskeletten
                                                                  muss auch die auf den Träger zusätzlich wirkende Belastung
Ergänzend zu den maschinellen Anforderungen stellt die EMV-       berücksichtigt werden. Eine wesentliche Anforderung bei akti-
Richtlinie 2014/30/EU und bei eingebautem Funkmodul, wie          ven Exoskeletten ist, dass sie während des An- bzw. Ablegens
z. B. WLAN, die RED-Richtlinie 2014/53/EU Anforderungen           nicht unerwartet starten.
an die Produktgestaltung. In Abhängigkeit von der Betriebs-
spannung eines aktiven Exoskeletts kann zusätzlich noch die       5.1.3 Anforderungen für Anwender von
Niederspannungsrichtlinie 2014/35/EU anzuwenden sein.             Exoskeletten

Letzten Endes muss der Hersteller von aktiven Exoskeletten        Aus nationaler Sicht müssen Arbeitgeberinnen und Arbeit-
deren CE-Konformität untersuchen und durch eine Konformi-         geber in Österreich unabhängig von der Technologie und
tätserklärung bescheinigen.                                       dem Assistenzumfang eines Exoskeletts das ArbeitnehmerIn-
                                                                  nenschutzgesetz (ASchG) mit § 33 und § 35 und infolge die
Passive Exoskelette hingegen fallen nicht in die EU-Produk-       dazugehörenden Verordnungen, wie die Arbeitsmittelver-
trichtlinie und müssen daher nicht zwingend CE-konform            ordnung (AM-VO), berücksichtigen, um Gefährdungen für
entwickelt werden. Zum Schutz des Anwenders sind daher            Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch den Einsatz von
auch nicht zwangsläufig alle sicherheitsrelevanten Informa-       Exoskeletten zu verhindern. Die Kernaussage daraus ist, dass
tionen über das Produkt und seine Verwendung verfügbar            nur sichere Produkte (CE-Kennzeichnung, wo zutreffend) ver-
(Mindestinhalte von Betriebsanleitungen) und ohne Konfor-         wendet werden dürfen und die Arbeit durch die Arbeitgeberin
mitätserklärung gibt es für den Betreiber keine Gewährleis-       oder den Arbeitgeber sicher gestaltet und laut ASchG § 4 eine
tung, dass das Produkt auch tatsächlich sicherheitsgerichtet      Arbeitsplatzevaluierung durchgeführt werden muss.
entwickelt und gebaut wurde. Damit fällt dem Betreiber eines
passiven Exoskeletts die größere Aufgabe und Verantwortung        Die Einhaltung der Vorschriften fordert vom Betreiber eines
zu, nämlich die Durchführung einer detaillierten Arbeitsplatze-   Arbeitsmittels eine entsprechende sicherheitstechnische Arbeits-
valuierung.                                                       platzevaluierung. Um eine Arbeitsplatzevaluierung sauber und
                                                                  korrekt durchführen zu können, bedarf es einschlägigen Know-
Da ein Exoskelett wie ein Anzug am Körper anliegt, ist die        hows in den Bereichen Safety sowie Security und fundierte
ergonomische Anpassungsfähigkeit an die jeweilige Körper-         Kenntnis über die Funktionsweise der eingesetzten Technologie.

18
5.2 Gefährdungsbeurteilung und                                     (eng anliegend, isolierend etc.) nicht gegeben ist. Die PSA muss
Methoden zur Absicherung                                           daher gegebenenfalls angepasst werden, damit sie weiterhin
                                                                   ihren Zweck erfüllt, ohne die Bewegungsfreiheit des Anwenders
Als Verfahrensnorm für die Gefährdungsbeurteilung bei der          zu beeinträchtigen. Vorgaben diesbezüglich bietet die PSA-
Produktentwicklung eignet sich die EN ISO 12100, die auch          Verordnung (PSAV). Sinngemäß Gleiches gilt auch für spezielle
bei der Maschinenkonstruktion vorgesehen ist. Mit deren            Arbeitskleidung, wie z. B. dicke Hosen und Jacken, Schürzen
Gefährdungslisten können die meisten Gefährdungen erkannt          oder Overalls.
und mit den Anforderungen aus den entsprechenden gelten-
den Verordnungen wie z. B. mit der EMF-Verordnung (EMF:            5.2.2 Arbeitsplatzgestaltung
elektromagnetische Felder) abgeglichen werden. Bedingt durch
das Alter der Norm werden jedoch nicht alle heute bekannten        Weitere Einflussfaktoren für die Sicherheit und die korrekte
Gefährdungen und genutzten Technologien behandelt und              Funktion sind der Platzbedarf, das Arbeitsumfeld und der
auch nur solche beschrieben, die unmittelbar mit dem Arbeits-      Einsatzort von Exoskeletten.
mittel oder der Tätigkeit am Arbeitsmittel zusammenhängen.
Hier gilt es durch entsprechende Expertise, Anpassungen und        Während passive Exoskelette gut beherrschbare Anforde-
Erweiterungen bei der Gefährdungsbeurteilung vorzunehmen.          rungen an die Arbeitsplatzgestaltung stellen, sind aktive
                                                                   Exoskelette im Vergleich zu passiven größer und stellenweise

                                                                                                                                       Safety und Security
Neben der vorgesehenen betrieblichen Tätigkeit mit dem Exo-        sperriger, wodurch die Interaktionsmöglichkeit mit Maschinen
skelett ist ergänzend die Betrachtung all jener Vorgänge durch     oder eine unpassende Arbeitsraumgestaltung zu Problemen
eine Arbeitsplatzevaluierung erforderlich, die während der Zeit    bei der Durchführung der Tätigkeiten führen kann. Zudem
der Verwendung auch noch vernünftigerweise vorkommen               muss das zusätzliche Gewicht des Exoskeletts als Belastung für
können. Das beginnt mit der Verwahrung und den Vorkehrun-          den Benutzer während seiner Anwendung, bei einem Sturz
gen beim An- und Ablegen des Exoskeletts und endet nicht           oder Fall sowie beim Aufstehen berücksichtigt werden.
bei der Evakuierung und Vorkehrungen gegen Sturz und Fall.
Darüber hinaus gilt es im Sinne der ganzheitlichen Sicherheits-    Bei Bedarf muss der Fluchtweg entsprechend gestaltet werden,
betrachtung Safety und Security und aufgrund der Wechsel-          falls das Exoskelett nicht abgelegt werden kann, damit auch mit
wirkung zwischen der das Exoskelett tragenden Person und           geringerer Gehgeschwindigkeit oder größeren Konturen in der
alle anderen Aspekten des ArbeitnehmerInnenschutzes (von           vorgesehenen Zeit ein sicherer Ort erreicht werden kann. In die-
der Arbeitsstätte über technische Sicherheitsaspekte bis hin zur   sem Zusammenhang müssen bei kabelgebundenen Systemen
Persönlichen Schutzausrüstung), diese sorgfältig zu betrachten.    entsprechende Maßnahmen getroffen werden. Für kabelge-
                                                                   bundene und kabellose aktive Exoskelette müssen zudem die
5.2.1 Kompatibilität mit Persönlicher                              Einsatzdauer, die Energieversorgung und die Maßnahmen bei
Schutzausrüstung (PSA)                                             Störung der Energieversorgung entsprechend dem Anwen-
                                                                   dungszweck evaluiert und berücksichtigt werden.
Exoskelette als Assistenzsystem bietet aus ergonomischer
Sicht einen deutlichen Vorteil für die physische Entlastung der    Die Gewährleistung der Funktionalität des Exoskeletts hängt in
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Allerdings kann der Einsatz      erster Linie von den Witterungs- und Umgebungsbedingungen
auch zu potenziellen Gefährdungen führen, wenn die Kompa-          ab, wie z. B. Feuchtigkeit und Staub. Des Weiteren muss der
tibilität mit der PSA und ihren unterschiedlichen Eigenschaften    Kontakt mit Arbeitsstoffen und die dadurch möglicherweise

                                                                                                                                  19
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