EXTENSIVE DACHBEGRÜNUNG MIT GEBIETSEIGENEN WILDPFLANZEN AM BEISPIEL NORDWESTDEUTSCHLANDS EIN LEITFADEN FÜR DIE PRAXIS - Roland Schröder, Daniel ...
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EXTENSIVE DACHBEGRÜNUNG MIT GEBIETSEIGENEN WILDPFLANZEN AM BEISPIEL NORDWESTDEUTSCHLANDS EIN LEITFADEN FÜR DIE PRAXIS Roland Schröder, Daniel Jeschke, Ralf Walker & Kathrin Kiehl
EXTENSIVE DACHBEGRÜNUNG MIT GEBIETSEIGENEN WILDPFLANZEN AM BEISPIEL NORDWESTDEUTSCHLANDS EIN LEITFADEN FÜR DIE PRAXIS Roland Schröder, Daniel Jeschke, Ralf Walker & Kathrin Kiehl Osnabrück, 2020
VORWORT Dieser Leitfaden wurde im Rahmen des EFRE wicklung auf Dächern, die mit gebietseige Projekts „Entwicklung innovativer Verfah nem Wildpflanzenmaterial begrünt wurden. ren für die Anlage multifunktionaler extensi Ein weiteres Forschungsprojekt „DaLLî - Ex ver Dachbegrünungen“ (RooBi – Roofs for Bio tensive Dachbegrünungen in urbanen Land diversity) erstellt, das von 2017 bis 2020 an der schaften als Lebensraum für Insekten – ein Hochschule Osnabrück bearbeitet wurde. Der Modellvorhaben im Nordwestdeutschen Tief Leitfaden wendet sich an Menschen aus Wis land“ ist im Bundesprogramm Biologische senschaft und Praxis der Stadt- und Land Vielfalt des BMU bereits angelaufen. Es wird schaftsplanung, des Garten- und Landschafts die Untersuchungen zur Vegetationsentwick baus sowie des Naturschutzes in urbanen Räu lung fortführen, Verfahren zur Verbesserung men, die sich darüber informieren möchten, der Lebensraumvielfalt weiterentwickeln und wie extensiv begrünte Dächer zum Schutz und darüber hinaus Erkenntnisse zur Nutzung zur Entwicklung gebietseigener Biodiversität der begrünten Dächer durch Insekten liefern gestaltet werden können. (↗www.hs-osnabrueck.de/dalli). Wir verstehen diesen Leitfaden vor al Wir danken der Europäischen Union (Europä lem als Impulsgeber für die Realisierung ischer Fonds für regionale Entwicklung) sowie und weitere Erprobung alternativer For dem Land Niedersachsen für die Finanzierung men der Dachbe grünung. Trotz vielverspre des Projekts. chender Forschungsergebnisse aus mehreren Untersuchungsjahren, fehlen derzeit noch Roland Schröder, Daniel Jeschke, Langzeituntersuchungen zur Vegetationsent Ralf Walker und Kathrin Kiehl 4
Gut entwickelte Magerrasenvegetation auf einem Versuchsdach mit Berg-Sandglöck- chen, Heide-Nelke, Scharfem Mauerpfeffer, Kleinem Sauerampfer und Hasen-Klee im zweiten Jahr nach Rech gutübertragung (→ Kap. 7.1.2). 5
Überwinternde Jungpflanzen vier Monate nach Ansaat auf einem extensiv begrünten Dach (u. a. mit Bauernsenf, Silbergras und Gewöhnlichem Hornkraut). 6 2 | Begrünungsarten, Schichtaufbau und Substrate
INHALT 1 | Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2 | Begrünungsarten, Schichtaufbau und Substrate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2.1 Begrünungsarten und Vegetationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2.2 Allgemeiner Schichtaufbau einer Dachbegrünung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.3 Vegetationstechnische Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.3.1 Vegetationssubstrate und Schichtenwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.3.2 Schichtaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 3 | Auswahl und Einsatz von Wildpflanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 3.1 Wildpflanzenarten für extensive Dachbegrünungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 3.2 Herkünfte von Wildpflanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3.3 Verfahren zur Ansiedlung von Wildpflanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3.3.1 Übertragung von Rechgut oder Mahdgut von geeigneten Spenderflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3.3.2 Ansaaten mit gebietseigenem Wildpflanzensaatgut . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 3.3.3 Einbringen von Pflanzensprossen und Pflanzgut gebietseigener Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 4 | Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 4.1 Fertigstellungspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 4.2 Unterhaltungspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 5 | Strukturelemente zur Erweiterung des Lebensraumangebots für Tiere . . . . . . . . 34 6 | Fördermöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 7 | Praxisbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 7.1 Campus Haste, Hochschule Osnabrück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 7.2 Wagenfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 8 | Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 9 | Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 7
1 | EINLEITUNG Viele Städte und Gemeinden stehen heute ratdicken von bis zu 15 cm, die in Deutschland vor der Herausforderung, neuen Wohn- und die häufigste Form der Dachbegrünung dar Arbeitsraum für die Bevölkerung zu schaf stellen (BuGG 2020). Das Lebensraumpotenzial fen. Aufgrund hoher Flächenkonkurrenz in konventioneller extensiver Dachbegrünungen wachsenden Städten und Gemeinden führt die für Flora und Fauna wird jedoch oft noch nicht städtebauliche Innenentwicklung dabei zu ausgeschöpft, da sie in der Regel mit artenar nehmend zum Verlust von Grünflächen. Die men Pflanzenmischungen aus gebietsfrem se sind jedoch für die Frisch- und Kaltluftre den (in der Regel züchterisch veränderten) gulation, die Regenwasserrückhaltung und Sedum- und Phedimus-Arten angelegt wer Grundwasserneubildung sowie als Lebens den. Der Wert für die pflanzliche Artenvielfalt raum für Pflanzen und Tiere von großer und für spezialisierte Insektenarten ist so Bedeutung (TEEB 2016, Kiehl 2019). Da viele mit gering (Witt 2016, Kratschmer et al. 2018, Städte bereits jetzt unter Phänomenen wie Hit Schröder & Kiehl 2020a). Durch die Verwen zeinsel-Effekten und Hochwasser durch Stark- dung gebietseigener Wildpflanzen könnte hin regenereignisse leiden (Henninger & Weber gegen ein größerer Nutzen für die Sicherung 2020), werden sich diese Probleme im Zuge des und Förderung regionaltypischer Biodiversi fortschreitenden Klimawandels voraussicht tät erzielt werden (Williams et al. 2014, Schrö lich weiter verschärfen. der & Kiehl 2020b). Da für Dachbegrünungen in Deutschland eine jährliche Zuwachsrate von Die Begrünung von Gebäuden ist ein wichti 7–8 Millionen Quadratmetern ermittelt wur ges Instrument, um negative Folgen der städ den (EFB 2015, BuGG 2020), steht hier ein enor tischen Bebauung zu mindern oder – zumin mes Flächenpotenzial für naturschutzfachlich dest teilweise – auszugleichen (Eichholz et al. sinnvolle Begrünungen zur Verfügung. 2020). Allerdings wurden in Deutschland im Jahr 2019 nur etwa 9 % der neu entstandenen Ziel des vorliegenden Leitfadens ist, erste Flachdächer begrünt (BuGG 2020). Die generell Erkenntnisse aus dem EFRE-Projekt „RooBi - günstigen Einflüsse von Dachbegrünungen im Entwicklung innovativer Verfahren für die Vergleich zu unbegrünten Dächern insbeson Anlage multifunktionaler extensiver Dachbe dere im Hinblick auf Temperaturregulation grünungen“ vorzustellen und daraus Empfeh und Wasserrückhaltung sind wissenschaftlich lungen für extensive Dachbegrünungen mit gut belegt (Oberndorfer et al. 2007). Dies gilt gebietseigenen Wildpflanzen in Nordwest auch für extensiv begrünte Dächer mit Subst deutschland abzuleiten. 8 1 | Einleitung
Abb. 1: Städtische Räume, wie hier der Innenstadtbereich von Osnabrück, sind oft dicht bebaut. Dachbegrünungen stellen z. B. durch Regenwasserrückhaltung und Verduns- tungskühlung wichtige Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel dar. Werden gebietseigene Wildpflanzen ver- wendet, so bieten sie auch einen Mehrwert zur Erhaltung re- gionaltypischer Artenvielfalt. Luftbild: Stadt Osnabrück 9
2 | BEGRÜNUNGSARTEN, SCHICHT- AUFBAU UND SUBSTRATE 2.1 BEGRÜNUNGSARTEN UND VEGETA- TIONSFORMEN Nach der aktuellen FLL-Dachbegrünungs ser. Im Wesentlichen orientieren sie sich an richtlinie (FLL 2018) werden unterschiedliche der floristischen Ausstattung regionaltypi Begrünungsarten vor allem hinsichtlich dreier scher Magerrasen sowie trockener Ruderal Kriterien unterschieden: Vegetationsform und fluren und des mageren Grünlands (→ Kap. 3.1). Pflegebedarf sowie Schichtaufbau bzw. verein Damit sind sie bei den Extensivbegrünungen facht Dicke der Vegetationstragschicht (Tab. 1). den FLL-Kategorien „Sedum + Kraut + Gras“ zuzuordnen mit Übergängen zu „Gras +Kraut“- Extensive Dachbegrünungen umfassen ein Vegetationsformen der einfachen Intensivbe weites Spektrum an Vegetationsformen. So grünung (Tab. 1). ist z. B. die Wasserbevorratung bei vielen extensiven Dachbegrünungen mit in der Regel Die notwendige optimierte Wasserverfügbar 4–8 cm Substrat in der Realität derart gering, keit für diese etwas anspruchsvollere Vegeta dass Begrünungen im mitteleuropäischen Kli tion kann durch Bevorratung im Schichtauf ma fast ausschließlich mit Sukkulenten wie bau oder/und eine gelegentliche Bewässerung Sedum ssp. und Phedimus ssp. erfolgreich um besonders bei geringmächtigen Vegetations gesetzt werden können. Die in diesem Leitfa tragschichten realisiert werden. Eine clevere den vorgestellten Begrünungen sind größten Schichtengestaltung kann zudem den Wasser teils jedoch etwas anspruchsvoller als diese speicher bei gleichem Maximalgewicht so ge einfachste Form der Dachbegrünung und be stalten, dass dieser für eine größere Zeitspan nötigen zumindest auf Teilflächen mehr Was ne der Vegetation zur Verfügung steht. Tab. 1: Überblick der Begrünungsarten in Anlehnung an die FLL-Dachbegrünungsrichtline (FLL 2018) Begrünungsart Intensivbegrünung Einfache Intensivbegrünung Extensivbegrünung Moos + Sedum, Gras + Kraut, Nahezu uneingeschränkte Sedum + Moos + Kraut, Vegetationsform Wildstauden + Gehölz, Pflanzenauswahl Sedum + Kraut + Gras, Gehölz + Stauden Gras + Kraut Pflegebedarf/Jahr 4–8 x 3–5 x 2–4 x Vegetationstragschicht 15–200 cm 12–100 cm 4–20 cm 10 2 | Begrünungsarten, Schichtaufbau und Substrate
2.2 ALLGEMEINER SCHICHTAUFBAU ganischen Anteilen sind Anforderungen, die EINER DACHBEGRÜNUNG an Dachbegrünungssubstrate und Schichtauf bauten gestellt werden sollten. Bei anhaltender Der Schichtaufbau für eine Dachbegrünung ist Trockenheit ist in Trocken- und Halbtrocken wesentlich für ihren Erfolg verantwortlich. Bei rasen ein Überdauern der Vegetation über Sa den im Folgenden genannten Schichten sind men oder unterirdische Überdauerungsorgane einige der jeweiligen Dachsituation geschul die Regel. Mit dem Aufbau und der unterstüt det und nur ggf. erforderlich, je nach Materi zenden Pflege der Dachbegrünung (→ Kap. 4) alauswahl des Dachaufbaus bzw. der Dachab muss also erreicht werden, dass die Pflanzen dichtung. In diesem Leitfaden werden lediglich arten regelmäßig zum Aussamen kommen, um die vegetationstechnisch relevanten Schich so eine Samenbank aufzubauen. Zum anderen ten näher beleuchtet. In der Regel wird die darf es vor allem in den Wintermonaten nicht Dachabdichtung bereits mit einem nachge zu anhaltender Nässe kommen. Auch Starkre wiesenen Durchwurzelungsschutz versehen, gen muss, zwar verlangsamt, aber zuverlässig so dass diesbezüglich keine zusätzliche Maß abgeführt werden können. nahme erforderlich wird. Schichtenabfolge von oben nach unten: 2.3.1 Vegetationssubstrate und Schichtenwahl • Vegetation • ggf. Mulchauflage als Saatbett Vegetationssubstrate, welche den Kriterien für • Vegetationstragschicht (Substrate) extensive Dachbegrünungen in mehrschichti • ggf. Filterschicht ger Bauweise nach FLL (2018) entsprechen, bil • Dränschicht, evtl. mit Wasserspeicher den eine gute Basis für die Etablierung der hier • Schutzlage, evtl. auch wasserspeichernd besprochenen Vegetationsformen. Wenn ein • Durchwurzelungsschutz zelne Parameter etwas genauer gefasst wer • ggf. Trennlage den, können sehr gute Ergebnisse erzielt wer • ggf. Gleitlage den. Dies betrifft die folgende Kriterien: • Stickstoffgehalt sowie pH-Wert: Der Stick 2.3 VEGETATIONSTECHNISCHE ANFOR- stoffgehalt der Vegetationstragschicht soll DERUNGEN te möglichst gering sein (< 50 mg/l Subst rat), so dass es nicht zu einem unerwünscht Bei den Pflanzenarten der bereits skizzier üppigen Aufwuchs und einer Dominanz ein ten Zielvegetationsformationen (→ Kap. 2.1, zelner Arten kommt. Beim pH-Wert hat → Kap. 3.1) handelt es sich um recht genügsa sich gezeigt, dass auch Substrate mit einem me Pflanzen, die überwiegend mit wenig Was pH-Wert bis 7,5 gut funktionieren, obwohl ser und geringem Nährstoffangebot zurecht in den Lebensräumen der hier betrachteten kommen. Die Verwendung von Bodenmaterial Beispielregion Nordwestdeutschland meist von Naturstandorten der Vegetationsformati geringere pH-Werte vorherrschen (pH 3,9 bis onen als alleiniges Vegetationssubstrat ist in 6,1 nach eigenen Erhebungen im Projekt). Die der extensiven Dachbegrünung aufgrund un übrigen chemischen Parameter sind in FLL günstiger Gewichts- und Körnungseigen (2018) ausreichend beschrieben. schaften meist nicht umsetzbar (→ Kap. 2.3.1, Substratvariationen). Moderate Schichtdicken • Wasserspeicher: Für das Vegetationssub und mineralische Substrate mit geringen or strat selbst empfiehlt sich eine Wasser 11
kapazität (WK) von ca. 30-40 Vol.-% ab geschaffen. Dies ist auch erreichbar durch die hängig von der Art und Höhe des Aufbaus. Verwendung von zwei verschiedenen Sub Hiervon sind meist lediglich ca. 90 % tat straten auf der Dränebene. Unten wird dann sächlich pflanzenverfügbar, bevor zumin als Untersubstrat ein möglichst gut wasser dest oberirdische Pflanzenorgane abster speicherndes Material angeordnet und dar ben. Insgesamt (gesamter Schichtaufbau) über ein kapillarbrechendes Obersubstrat. Zu sollten mindestens 35, besser 40 Liter Was hohe Wasserspeicher sind eher ungünstig, serspeicher pro Quadratmeter angestrebt da der kapillare Aufstieg bei einem höheren werden, um ggf. erforderliche Notbewäs Wasserspeicher meist besser funktioniert serungen (→ Kap. 4) in Grenzen zu halten. und es so schneller zu Verdunstungsverlus Günstig sind hier Dränschichten mit großem ten kommt. In den empfohlenen Aufbau Verfüllvolumen (z. B. 30 Liter). Unter solchen typen wurde daher genau angegeben, wel Dränelementen bleiben Kanäle dauerhaft für che Speichervolumina jeweils sinnvoll sind die Ableitung von überschüssigem Wasser (→ Kap. 2.3.2, Abb. 2-5). frei. Oberseits sorgt das große Verfüllvolu men für einen maximierten Wasserspeicher • Saatbett: Die Schaffung eines geeigneten in einer vor Verdunstung geschützten Ebene. Saatbetts ist Grundvoraussetzung für eine er Wichtig ist hierbei, zu wissen, wie hoch das folgreiche extensive Dachbegrünung mit An Wasser im verwendeten Vegetationssubstrat saaten. Damit diese gut funktionieren, sollte steigt. Im günstigen Fall kann bereits bei 8 das Größtkorn bei maximal 14 mm liegen (mit cm Substratdicke ein Kapillarbruch erzielt etwas Überkorn bis 16 mm), vor allem dann, werden, welcher zu hohe Verdunstungsver wenn ohne organische Mulchschicht für das luste durch Evaporation verhindert. So wird Saatbett gearbeitet wird. Es ist auf eine stetige ein pflanzenverfügbares Wasserdepot in ei Kornabstufung zu achten, welche in Verbin ner verdunstungsgeschützten unteren Ebene dung mit dem geringen organischen Anteil des Substrats (Details siehe Aufbautypen I-IV Substratvariationen unter 2.3.2) ein feines Saatbett entstehen lässt, Die Lebensraumvielfalt auf Gründächern kann durch ohne dass mineralische Feinbestandteile so die Kombination verschiedener Substratarten und wie die oftmals kleinen Samen der Wildpflan -schichtdicken gefördert werden. Eine Diversität unter- zen bei Niederschlägen nach unten verlagert schiedlicher Substratarten und -schichtdicken wirkt sich positiv auf die Artenvielfalt der Vegetation aus, da ver- werden (Lichtkeimer!). Bei sehr grobkörnigen schiedene Mikrohabitate geschaffen werden, von denen Vegetationssubstraten kann ein feinkrüme jeweils unterschiedliche Pflanzenarten und letztlich auch liges Saatbett durch eine geringmächtige (ca. Tierarten profitieren (Brenneisen 2006). Auch wenn die Gebäudestatik größere Traglasten nicht flächendeckend 8 –10 l/m²) locker aufgebrachte organische zulässt, so gibt es doch bei den meisten Gebäuden Teil- Auflage (diverse Kompostsubstrate) geschaf bereiche über Säulen oder tragenden Mauern, auf de- fen werden. Allerdings empfiehlt sich dann, nen Substratanhügelungen mit 15–20 cm Schichtdicke das Mulchmaterial grob in die oberen 2–4 cm möglich sind (→ Kap. 7.2). Auf diese Weise können dann in den flachgründigeren Bereichen Mischungen trocken- des (Ober)-Substrats einzuharken. Kompakte heitsangepasster Pflanzenarten Verwendung finden organische Mulchauflagen werden ansonsten und in den tiefgründigeren auch etwas anspruchsvol- schnell von dichtstehenden Pioniermoosen lere Arten eingesetzt werden (→ Kap. 3.2 und Artenliste besiedelt. In Kombination mit hydrophobem im Anhang). Wenngleich der alleinige Einsatz natürlich gewachsenen Bodens für extensive Dachbegrünung trockenen Kompost, der auftreffendes Nie kaum möglich ist (s. o.), so kann das Einbringen geringer derschlagswasser zunächst abperlen lässt, Mengen für die Aktivierung des Bodenlebens durchaus stellt eine derartige Mulchauflage dann kein förderlich sein. günstiges Saatbett dar. 12 2 | Begrünungsarten, Schichtaufbau und Substrate
2.3.2 Schichtaufbau Im Folgenden werden die aus heutiger Sicht material gearbeitet werden. Dies hat arbeits sinnvollsten Aufbauttypen dargestellt. Varia technische Vorteile und ermöglicht unten ein tionen derselben in Richtung noch leichterer Wasserspeicherdepot, das durch die ausrei oder auch heterogenerer Aufbauttypen sind chende Schichtdicke des Vegetationssubstrats selbstverständlich möglich. Insbesondere die mit einer nicht zu hohen Wasserspeicherfä Verwendung noch leichterer Materialien wur higkeit vor kapillarem Aufstieg bis zur Ober de in den Praxisbeispielen bereits ausgereizt, fläche geschützt ist. Auf eine zusätzliche Fil da die Statik dies erforderte (→ Kap. 7). Da der terschicht kann bei diesem Aufbau verzichtet art leichtes Material jedoch keinen Standard werden, da die Dränelemente gut überlappen darstellt und auch im Hinblick auf Windsog und miteinander verrastet werden. Bei ei probleme nicht immer geeignet ist, werden im nem gut kornabgestuften Vegetationssubstrat Folgenden gut realisierbare Aufbautypen auf kommt es dann nicht zur Auswaschung von gezeigt, welche als Basis für die Planung her Feinbestandteilen oder gar zum Zusetzen der angezogen werden können. Dränschicht. Aufbautyp I In Aufbautyp I wird eine spezielle Dränschicht mit großem Verfüllvolumen direkt mit Vege tationssubstrat gemäß Kapitel 2.3.1 verfüllt (Abb. 2). So kann mit lediglich einem Substrat Vegetation ab 9 cm Substrat mit einer WK von 30 Vol.-% und max. 10 Vol.-% organischem Anteil (→ Kap. 2.3.1) moduliert bis zu 15 cm Verfüllung mit demselben Substrat, ca. 30 l/m² Drän- und Speicherschicht, ggf. mit Tropfschläuchen Schutzlage wurzelfeste Dachabdichtung Tragkonstruktion Abb. 2: Aufbautyp I mit einheitlichem in die Drän- und Speicherschicht verfüllten Substrat, © ZinCo GmbH Aufbauhöhe ca.: 13 cm Gewicht wassergesättigt ab ca.: 180 kg/m² Wasserspeicher/m² ab ca.: 38 l/m² 13
Aufbautyp II Wenn Aufbautyp I zu schwer ist, muss weniger ungeachtet der Schwerkraft alle Poren mit Was Substrat oder/und eine leichtere Vegetations ser gefüllt werden können. Wegen des Wind tragschicht verwendet werden. Eine Möglich sogs wird der Leichtbaustoff nur in der unteren keit hierzu ist die Aufteilung der Vegetations Ebene verwendet und mit spezifisch deutlich tragschicht in ein Ober- und ein Untersubst schwererem Material abgedeckt. Beim Einbau rat. In Aufbautyp II wird daher ein besonders verursacht dieser Aufbau selbstverständlich leichtes Material zur Verfüllung und Über mehr Arbeit als Aufbautyp I. Leichtbaustof schüttung des Dränelements im Sinne eines fe sind zudem teurer im Vergleich zu üblichen Untersubstrates verwendet (Abb. 3). Abwei Materialien. Die mindestens anzustrebenden chend von den Ausführungen in Kapitel 2.3.1 ist 35 l/m² Wasserspeichervolumen werden nicht dies ein leichter gebrochener Blähton, welcher erreicht – es hat sich jedoch in der Praxis ge eine geringe Wasserspeicherfähigkeit besitzt. zeigt, dass dieser Aufbautyp mit gelegentli Als Obersubstrat wird darüber ein Substrat mit chen Notbewässerungen gut funktioniert und einer Wasserkapazität von ca. 40 Vol.-% einge er insbesondere als Leichtvariante eine geeig baut. Die Vegetationstragschicht wird so ins nete Option darstellt. gesamt leichter. Der Tatsache, dass der ein gesetzte leichte Blähton allein weniger Was ser speichert, wird im Bereich des Drän- und Speicherelements entgegengewirkt, da hier Vegetation 5 cm Obersubstrat mit einer WK von 40 Vol.-% und max. 20 Vol.-% organischem Anteil (→ Kap. 2.3.1) moduliert bis zu 10 cm 4 cm Untersubstrat (gebrochener Blähton 4–8 mm) Verfüllung mit gebrochenem Blähton, s. o. Drän- und Speicherschicht ggf. mit Tropfschläuchen Schutzlage wurzelfeste Dachabdichtung Tragkonstruktion Abb. 3: Aufbautyp II mit Ober- und Untersubstrat, verfüllt in Drän- und Speicherschicht, © ZinCo GmbH Aufbauhöhe ca.: 13 cm Gewicht wassergesättigt ab ca.: 125 kg/m² Wasserspeicher/m² ab ca.: 32 l/m² 14 2 | Begrünungsarten, Schichtaufbau und Substrate
Aufbautyp III Als Aufbautyp III soll hier die Möglichkeit ei Additive temporär aufgebessert sein. Darüber ner ebenfalls zweiteiligen Vegetationstrag liegt ein zweites Standardsubstrat (→ Kap. 2.3.1) schicht auf einer Standarddränage vorgestellt als Obersubstrat, welches einen kapillaren werden. Zusätzlich kann eine unterflur verleg Wasseraufstieg weitgehend verhindert. Durch te Tropfbewässerung integriert werden, wel die Unterscheidung in ein Ober- und Unter che in Verbindung mit einem gut wasserver substrat kann auf diese Weise ein Wasserspei teilenden Bewässerungsvlies eine effizien cher in dem vor Verdunstung geschützten Be te Versorgung mit Wasser in Trockenperioden reich angelegt werden und das Gesamtgewicht sicherstellen kann (Abb. 4). In den Jahren 2019 des Aufbaus bleibt moderat. und 2020 waren im Osnabrücker Raum bei al len Aufbauten derartige „Notbewässerungen“ mehrmals notwendig (→ Kap. 7.1). Bei dem folgenden Aufbautyp wird ein rein mineralisches Untersubstrat mit einer Was serspeicherkapazität von 50 Vol.-% als untere Vegetationstragschicht verwendet. Dieses muss dauerhaft diese Wasserhaltefähigkeit besitzen, soll also nicht nur zu Beginn durch Vegetation 4 cm Obersubstrat mit einer WK von 30 Vol.-% und max. 10 Vol.-% organischem Anteil (→ Kap. 2.3.1) moduliert bis zu 15 cm 4 cm rein mineralisches Untersubstrat mit WK 50 von 50 Vol.-% Filtervlies oder Bewässerungsvlies ggf. mit Tropfschläuchen Dränschicht (Auswahl je nach Dachsituation) Schutzlage wurzelfeste Dachabdichtung Tragkonstruktion Abb. 4: Aufbautyp III mit Ober- und Untersubstrat auf Dränschicht, © ZinCo GmbH Aufbauhöhe ca.: 13 cm Gewicht wassergesättigt ca.: 135 kg/m² Wasserspeicher/m² ca.: 38 l/m² 15
Aufbautyp IV Schließlich ist es selbstverständlich auch mög lich Aufbautyp III mit nur einem Substrat aus zuführen (Abb. 5). Das Gewicht im wasserge stättigten Zustand erhöht sich jedoch auf rund 160 kg/m², was bei der Planung zu berücksich tigen ist. Dabei wurde bewusst ein Substrat mit nur 30 Vol.-% Wasserspeicher gewählt, was den kapillaren Aufstieg minimiert. Vegetation 10 cm Substrat mit einer WK von 30 Vol.-% und max. 10 Vol.-% organischem Anteil (→ Kap. 2.3.1) moduliert bis zu 15 cm Filtervlies oder Bewässerungsvlies ggf. mit Tropfschläuchen Dränschicht (Auswahl je nach Dachsituation) Schutzlage wurzelfeste Dachabdichtung Tragkonstruktion Abb. 5: Aufbautyp IV mit einem Substrat auf Dränschicht, © ZinCo GmbH Aufbauhöhe ca.: 15 cm Gewicht wassergesättigt ca.: 160 kg/m² Wasserspeicher/m² ca.: 36 l/m² 16 2 | Begrünungsarten, Schichtaufbau und Substrate
Zur Gewichtsreduktion wird eine Drän- und Speichermatte mit großem Wasserspei- chervolumen mit leichtem gebrochenen Blähton als Untersubstrat verfüllt und über- schüttet (Aufbautyp II, → Kap. 7.1) 17
3 | AUSWAHL UND EINSATZ VON WILDPFLANZEN 3.1 WILDPFLANZENARTEN FÜR EXTENSIVE DACHBEGRÜNUNGEN Als Grundlage für die Auswahl von Pflanzen Je frischer und nährstoffreicher die Standort arten für extensive Dachbegrünungen eignet bedingungen auf dem Gründach sind, des sich der sogenannte habitat template approach to anspruchsvoller können die einzusetzen von Lundholm (2006), der Lebensraumvor den Wildpflanzen sein. Bei höherer bzw. län bilder betrachtet. Auf extensiv begrünten Dä gerer Wasserverfügbarkeit z. B. durch dickere chern mit meist nährstoffarmen Mineralsub Substratschichten, Beschattung oder ggf. Be straten herrschen in einer Vegetationsperiode wässerungen können auch Grünland- und mit langen Trockenphasen und hohen Tempe Saum arten für extensive Dachbegrünun raturen oft extreme Umweltbedingungen. Ver gen verwendet werden, z. B. Arten der Wie gleichbare Bedingungen finden sich in Mittel sen- und Weiden frischer Standorte (Ordnung europa in Trocken- und Halbtrockenrasen, die Arrhenatheretalia). Auch Ackerwildkräuter und auch als Magerrasen bezeichnet werden, und Arten trockener und wechseltrockener Rude je nach Region entweder auf trockenen Kalk ralfluren können zur Erweiterung des Arten standorten (z. B. Kalkmagerrasen der pflan spektrums verwendet werden, da sie in der zensoziologischen Klasse Festuco-Brometea) Regel ein hohes Regenerationspotenzial nach oder auch auf silikatischen Böden (Sandma Störungen haben (Kiehl et al. 2021). gerrasen der Klasse Koelerio-Corynephoretea) vorkommen (pflanzensoziologische Namen Für das Nordwestdeutsche Tiefland orien nach Dierschke 2010). Pflanzenarten dieser tiert sich die Pflanzenartenauswahl für ex Vegetationsformationen sind in der Regel an tensiv begrünte Dächer hauptsächlich an re trockene und nährstoffarme Bedingungen an gionaltypischen Sandmagerrasen und damit gepasst (Ellenberg & Leuschner 2010). Unter assoziierten Vegetationstypen schwach ba suchungen zeigen jedoch, dass die Wasserver sischer bis bodensaurer trockener Standor sorgung bei extensiv begrünten Dächern mit te. Die Vegetation dieser Standorte wird pflan ihren vergleichsweise geringmächtigen Vege zensoziologisch im Wesentlichen den Klassen tationssubstraten im Vergleich zu historisch Koelerio-Corynephoretea (Sandtrocken- und gewachsenen Magerrasen in längeren Tro Felsrasen, Felsgrus- und Felsbandvegetati ckenphasen stark eingeschränkt ist (Schröder on) sowie Nardo-Callunetea (Borstgrasrasen, & Kiehl 2020a). Somit ist nicht das volle Arten Zwergstrauchheiden, Ginsterheiden) zugeord spektrum historisch gewachsener Magerrasen net. Außerdem finden sich in diesen Lebens nutzbar, in denen einige Arten sehr tief wur räumen Arten des mesophytischem Grünlands zeln. und (wechsel-)trockener Ruderalfluren (vor 18 3 | Auswahl und Einsatz von Wildpflanzen
allem Verband Dauco-Melilotion). Durch ei gene Feldstudien und Literaturrecherchen zu floristischen und vegetationskundlichen Ar beiten der Region (z. B. Jeckel 1984, Burrich ter et al. 1980, Schröder 1989, Stroh 2006, We ber 1995) wurden im RooBi-Projekt Listen potenziell geeigneter Gefäßpflanzenarten er stellt. Aus diesen Listen wurden dann mit Hil fe der Zeigerwerte von Ellenberg et al. (2001) Arten ausgewählt, die an trockene und nähr stoffarme Bedingungen angepasst sind. Dabei handelt es sich um Arten mit einer Feuchte zahl (F-Zahl) von ≤ 4 und einer Stickstoffzahl (N-Zahl) von ≤ 5. Darüber hinaus wurden unter Verwendung der BIOLFLOR-Datenbank für biologisch-ökologische Merkmale der Ge fäßpflanzen Deutschlands (Klotz et al. 2002) insbesondere Arten mit sukkulenter, sklero morpher und ggf. mesomorpher Blattana tomie ausgewählt. Neben den üblicherwei se bei Dachbegrünungen eingesetzten zwei- bis mehrjährigen Pflanzenarten wurden auch einjährige Arten einbezogen, da diese bereits im ersten Jahr zu einer raschen blütenreichen Begrünung führen können. Zudem können sie nach extremen Trockenphasen mit Ausfällen mehrjähriger Arten evtl. als „Lückenfüller“ fungieren (z. B. Gewöhnlicher Reiherschnabel Erodium cicutarium, Acker-Vergissmeinnicht Myosotis arvensis, Quendel-Sandkraut Arenaria serpyllifolia, Wildes Stiefmütterchen Viola tri- color). Auf diese Weise wurde im Rahmen des RooBi-Projekts eine Basis-Wildpflanzenmi schung entwickelt und getestet (vgl. Tab. 11 im Anhang). Abb. 6: Regionaltypische Magerrasenvegetation als Such- raum für geeignete Wildpflanzen für extensive Dachbegrü- nungen. Hier Sandmagerrasen Nordwestdeutschlands. Oben: Aspekt mit Heide-Nelke Dianthus deltoides (purpurn) und Gewöhnlichem Ferkelkraut Hypochaeris radicata (gelb). Mitte: Pionierstadium mit Gewöhnlichem Silbergras Coryne- phorus canescens, Scharfem Mauerpfeffer Sedum acre und Kleinem Habichtskraut Pilosella officinarum. Unten: Aspekt mit Wildem Stiefmütterchen Viola tricolor (blau) und Gewöhnlichem Hornkraut Cerastium holosteoides (weiß). 19
Abb. 7: Späteres Sukzessionsstadium eines regionaltypischen Sandtrocken- rasens mit dominierender Schafgarbe Achillea millefolium (weiß, Vordergrund), Übergänge mit Kleinem Sauerampfer Rumex acetosella (braunrot) und Ge- wöhnlichem Leinkraut Linaria vulgaris (hellgelb) zu Silbergras-Pionierstadien (Hintergrund). Bei Dachstandorten mit einer besseren Was 3.2 HERKÜNFTE VON WILDFLANZEN serverfügbarkeit, z. B. durch Verschattung oder bei Begrünungsaufbauten mit höherer „Keine gleicht der anderen“ – Wildpflanzen Wasserspeicherfähigkeit, muss, zumindest in sind in der Regel an die Umweltbedingungen den ersten Jahren, mit Dominanzbeständen ihres Standorts angepasst. Da sich Umweltbe von Leguminosen wie Hasen-Klee Trifolium dingungen räumlich (und zeitlich) verändern arvense oder Feld-Klee T. campestre gerechnet und entfernte Populationen einer Pflanzen werden. Während dies kleinflächig kein Pro art oft nicht im genetischen Austausch stehen, blem darstellt, sollten solche Arten auf grö unterscheiden sich solche Populationen gene ßeren Flächen bei guter Wasserverfügbarkeit tisch und in ihren Anpassungsmechanismen. nur zurückhaltend angesät und frühzeitig ge Zur Erhaltung und Entwicklung regionalty schnitten werden (Schröpfschnitt, → Kap. 4.1), pischer Biodiversität ist es bei Begrünungs um eine Unterdrückung anderer Arten zu ver maßnahmen daher wichtig, auf die Herkunft meiden. Alternativ kann auch auf diese Arten der eingesetzten Wildpflanzenarten zu ach verzichtet werden. Auch bei extensiver Dach ten. Das Bundesnaturschutzgesetz macht hier begrünung mit geringen Substratdicken und Vorgaben, um negative Auswirkungen des un geringerem Wasserspeicher kann es trotz or sachgemäßen Einsatzes von Pflanzen bei Be dentlicher Ausführung und Instandhaltung grünungsmaßnahmen in der freien Landschaft kleinräumig zu temporär vernässten Berei zu verhindern (BNatSchG 2009 § 40). Da Dach chen kommen. Solche Standorte standen zwar begrünungen Begrünungen im Siedlungs nicht im Fokus des Projekts, Beobachtungen raum sind, unterliegen sie nicht den Vorgaben haben aber gezeigt, dass die folgenden Arten des § 40, der das Ausbringen von Pflanzen und sich bei gleichmäßiger Wasserverfügbarkeit Tieren gebietsfremder Herkunft in der freien durchaus für die Besiedlung dieser Standorte Natur untersagt. Dennoch ist es naturschutz eignen: Kuckucks-Lichtnelke Lychnis flos-cuc- fachlich sinnvoll, auch bei Dachbegrünungen culi, Knoten-Braunwurz Scrophularia nodosa, auf Saat- und Pflanzgut von Wildpflanzen ge Rote Lichtnelke Silene dioica, Echte Winter bietseigener Herkunft zurückzugreifen. Die kresse Barbarea vulgaris. aktuelle Dachbegrünungsrichtlinie (FLL 2018) 20 3 | Auswahl und Einsatz von Wildpflanzen
verweist bei „Dachbegrünungen nach Vorgabe Einfacher zu organisieren ist die Begrünung des Naturschutzes oder als Beitrag zur Arten mit Saatgut. Leider werden derzeit auf dem vielfalt“ explizit auf die FLL-Empfehlungen Wildpflanzenmarkt in Deutschland noch kei für Begrünungen mit gebietseigenem Saat ne Regio-Saatmischungen für Dachbegrü gut“ (FLL 2014). In Anlehnung an die Schwei nungen angeboten. Interessierte sollten sich zer Norm „Begrünung von Dächern“ (SIA 2013) wegen der Zusammenstellung von Mischun und das deutsche Regiosaatgut- und Regio gen auf Grundlage einer Auswahl der in Tab. 11 pflanzgut-Konzept nach Prasse et al. (2010, genannten Arten direkt an Produzenten und 2011) werden unterschiedliche naturschutz Händler von zertifiziertem Wildpflanzensaat fachliche Herkunftsqualitäten für Dachbegrü gut wenden. Grundsätzlich sollte ausschließ nungen vorgeschlagen (Tab. 2). lich Saatgut mit folgenden Zertifikaten einge setzt werden: Bei der Realisierung naturschutzfachlich be sonders hochwertiger Dachbegrünungspro jekte wird empfohlen, für Direkternteverfah ren (→ Kap. 3.3.1) nach lokalen Spenderflächen wie z. B. Magerrasen zu suchen. Interessier te sollten hierzu im Vorfeld ihrer Planun gen Kontakt zu örtlichen Naturschutzbehör Bei der Planung von Saatmischungen für wei den und -verbänden (z. B. BUND, NABU), Bio tere Ursprungsgebiete wird empfohlen, sich logischen Stationen und Eigentümern von neben der grundsätzlichen Orientierung am möglichen Spenderflächen aufnehmen. Man Regio-Saatgut-Konzept (Prasse et al. 2010) zu che für extensive Dachbegrünungen nutzba sätzlich von Experten mit sehr guter Kennt re Arten finden sich auch in der Ruderalve nis der Flora der jeweiligen Region bezüglich getation urbaner Räume (z. B. Quendel-Sand der Verwendung und Verfügbarkeit von Ar kraut Arenaria serpyllifolia, Silber-Fingerkraut ten beraten zu lassen. Gegebenenfalls sind Potentilla argentea, Gewöhnlicher Natternkopf auch Fachbehörden mit einzubeziehen. Es gilt Echium vulgare), in denen das maßvolle Sam zu vermeiden, dass bei einem breiten Einsatz meln von Samen für nichtgewerbliche Zwe von Pflanzenartenmischungen in einer Regi cke nicht verboten ist, solange es sich nicht um on, naturschutzfachlich bedenkliche Verände geschützte Arten handelt. rungen der Regionalfloren verursacht werden. Hoch Herkunft Pflanzenmaterial Tab. 2: Naturschutzfachliche Herkunfts- qualitäten von Pflanzenmaterial für Lokal Saatgut inkl. Mahd-, Drusch- Dachbegrünungen (in Anlehnung an SIA und Rechgut aus geeigneten Spender 2013 und Prasse et al. 2011). fachliche Qualität Naturraum* Gebietseigen flächen oder Zwischenvermehrung Naturschutz- * Naturräumliche Haupteinheit des Ein- Region** Regio-Saatgut satzortes nach Meynen & Schmithüsen (1953 – 1962), alternativ zumindest die Mittel gruppierten Haupteinheiten nach Ssym- i. d. R. keine Wildformen, europa ank (1994) Gebietsfremd züchterisch veränderte Pflanzen meist Global unbekannter Herkunft ** Region = Herkunftsregion/Ursprungs- gebiet des Einsatzortes nach Prasse et Niedrig al. 2010, s. auch FLL (2014) 21
Sand-Mohn Acker-Vergissmeinnicht Kleiner Sauerampfer Wildes Stiefmütterchen Papaver argemone Myosotis arvensis Rumex acetosella Viola tricolor Kleiner Vogelfuß Berg-Sandglöckchen Bauernsenf Heide-Nelke Ornithopus perpusillus Jasione montana Teesdalia nudicaulis Dianthus deltoides Acker-Stiefmütterchen Scharfer Mauerpfeffer Haar-Schwingel Gewöhnlicher Reiherschnabel Viola arvensis Sedum acre Festuca filiformis Erodium cicutarium Quendel-Sandkraut Arznei-Thymian Hasen-Klee Gewöhnliches Leimkraut Arenaria serpyllifolia Thymus pulegioides Trifolium arvense Silene vulgaris Abb. 8: Für extensive Dachbegrünung in Nordwestdeutschland geeignete Pflan- zenarten, die besonders trockenheitstolerant sind und sich für Schichtdicken von ca. 10 cm und vollsonnige Standorte eignen. 22 3 | Auswahl und Einsatz von Wildpflanzen
Gewöhnliche Schafgarbe Tüpfel-Johanniskraut Gewöhnlicher Natternkopf- Gewöhnliches Ruchgras Achillea millefolium Hypericum perforatum Echium vulgare Anthoxanthum odoratum Weiße Lichtnelke Rundblättrige Glockenblume Zahnöhrchen-Margerite Aufrechtes Fingerkraut Silene latifolia ssp. alba Campanula rotundifolia Leucanthemum ircutianum Potentilla recta Gras-Sternmiere Gewöhnliches Ferkelkraut Echter Ehrenpreis Gewöhnliches Leinkraut Stellaria graminea Hypochaeris radicata Veronica officinalis Linaria vulgaris Echte Winterkresse Echtes Seifenkraut Dolden-Habichtskraut Gewöhnliche Hainsimse Barbarea vulgaris Saponaria officinalis Hieracium umbellatum Luzula campestris Abb. 9: Für extensive Dachbegrünung in Nordwestdeutschland geeignete Pflan- zenarten, die im Hinblick auf die Wasserversorgung etwas anspruchsvoller sind und sich für Schichtdicken von ca. 10–15 cm und/oder teilweise beschattete Standorte eignen. 23
Abb. 10: Mittels Laubbesen wurde im FFH-Gebiet „Achmer 3.3 VERFAHREN ZUR ANSIEDLUNG VON Sand“ (Bramsche) Pflanzenmaterial zusammengerecht WILDPFLANZEN (links). Das Rechgut enthielt neben Moosen und Flechten zahlreiche Fruchtstände und Bodenpartikel mit Samen von Gefäßpflanzen (oben rechts). Bereits wenige Wochen nach Gebietseigene Wildpflanzen können durch un dem Ausstreuen auf dem Dach zeigten sich zahlreiche Keim- terschiedliche untereinander auch kombinier linge (unten rechts). bare Begrünungsverfahren auf Dächern an gesiedelt werden. Die Entscheidung für ein Verfahren hängt einerseits von den natur schutzfachlichen Ansprüchen und dem ge wünschten Vegetationsbild ab und anderer seits von den (bau)technischen Möglichkeiten bei der Dachbegrünung und der Verfügbarkeit des Pflanzenmaterials. 3.3.1 Übertragung von Rechgut oder Mahd- gut von geeigneten Spenderflächen Bei Direkternteverfahren wird Pflanzenmate rial artenreicher Grünland- oder Magerrasen flächen eingesetzt, das auf geeigneten Spen 24 3 | Auswahl und Einsatz von Wildpflanzen
derflächen der gleichen Region geerntet wird, sowie Moose und Flechten aus der Vegetati in der es auch verwendet werden soll (Kirmer on herausgerecht (Abb. 10). Erfahrungsgemäß 2019). Solches Pflanzenmaterial enthält Samen wirkt sich diese Art der Entnahme sogar güns sowie regenerationsfähige vegetative Pflan tig auf die Magerrasen der Spenderflächen aus, zenteile und kann auf unterschiedliche Weise deren Vegetation heute oft zu dicht und ver geerntet und für Dachbegrünungen eingesetzt filzt ist. Nach dem Zusammentragen wird das werden. Ob die im Folgenden näher beschrie Rechtgut abtransportiert und direkt dünn auf benen Direkternteverfahren angewendet wer den vorbereiteten Substraten ausgestreut. den können, hängt davon ab, ob geeignete Spenderflächen in der Region vorhanden sind Folgende Dinge sollten dabei beachtet werden: und die zuständigen Behörden und Eigentü mer ihre Zustimmung zu Beerntung geben. • Das Verhältnis von Spender- zu Empfänger Auf der Spenderfläche sollte ein hoher Anteil fläche sollte je nach Materialmenge bei ca. erwünschter Pflanzenarten vorkommen (z. B. 1:2 bis 1:5 liegen. Rechgut aus 1 m² Magerra lebensraumtypische Arten der Trocken- und sen wird also auf 2 - 5 m² Dachfläche auf Halbtrockenrasen) und möglichst keine uner getragen. wünschten Arten. • Eine Rechgutentnahme ist prinzipiell ganz jährig möglich (aber nicht bei gefrorenem Rechgutübertragung Boden!). Besonders günstig sind die Som Die Rechgutübertragung ist ein bewährtes merwochen nach Samenreife vor der Kei Verfahren zur Beerntung wenig produktiver mung der nächsten Generation (Ende Juli bis Magerrasen, die wegen ihres geringen Auf Mitte September). wuchses nicht gemäht werden können oder • Eine Fraktionierung des Rechguts nach der zur Erhaltung des natürlichen Reliefs, z. B. auf Ernte in Grobmaterial mit überwiegend ve Binnendünen, nicht befahren werden dür getativen Pflanzenteilen und das samenhal fen (Kirmer 2019). Mittels Laubbesen, Striegel tige Feinmaterial, z. B. mit einem Kompost und Harken werden samenhaltige Streu, vege sieb, erleichtert später die gleichmäßige Aus tative Teile klonal wachsender Gefäßpflanzen bringung auf dem Dach (Abb. 11). Abb. 11: Rechgut lässt sich einfach per Hand ausbringen. Um eine gleichmäßi- ge Verteilung des Boden- und Pflanzen- materials zu gewährleisten, kann dieses vor der Ansaat mittels Sieb (ca. 5 mm Maschenweite) in Grob- und Feinbe- standteile aufgeteilt werden, die später zu gleichen Anteilen auf der Ansaatflä- che ausgebracht werden. 25
Abb. 12: Moose und Flechten, die mit Rechgut auf kleinen Versuchsdächern angesiedelt wurden, schaffen Schutz- stellen mit einem günstigen Mikroklima für die Keimung und Jugendentwicklung von Gefäßpflanzen. • Das Ausbringen des Rechguts auf der Dach Das Pflanzenmaterial wird am besten frisch fläche sollte im Spätsommer oder im zeiti ohne vorheriges Trocknen oder Zwischenla gen Frühjahr geschehen. Eine Bewässerung gerung auf das Dach übertragen, da sonst Sa direkt nach dem Auftragen wird empfohlen. men ausfallen und es bei der Lagerung feuch • Keim- und Wachstumstests nach Lage ten Materials durch Erwärmung und Fäulnis rung bei 7 °C im Rahmen des RooBi-Pro prozesse zur Verminderung der Keimfähigkeit jekts haben ergeben, dass eine kühle und kommen kann. dunkle Einlagerung des trockenen (!) Rech guts zwecks späterer Verwendung möglich Das Material sollte dünn auf dem Dach ausge ist (Empfehlung: nicht länger als 6 Monate, streut werden und zwar, je nach Aufwuchs, im da sonst Moose und Flechten an Vitalität Flächenverhältnis der Spenderfläche zur Emp verlieren). fängerfläche von 1:2 bis 1:4. Mahdgutübertragung Vorteile der Rechgut- oder Mahdgut Bereits in den 1990er Jahren wurden Trocken übertragung rasenarten durch Übertragung von samenhal tigem Mahdgut oder Druschgut auf Dachflä • Das durch Rechgut oder Mahdgut aufge chen des Bayerischen Landesamts für Umwelt brachte samenhaltige Pflanzenmaterial (Augsburg) erfolgreich angesiedelt (LFU 2020). sorgt zu Beginn für Schutzstellen mit güns In der Schweiz wird die Übertragung frisch ge tigem Mikroklima für Keimlinge und Jung ernteten Mahdguts auch als Verfahren zur An pflanzen von Gefäßpflanzen (Abb. 12, Kiehl siedlung von Grünlandarten auf Dächern emp et al. 2010, Schröder & Kiehl 2020a). fohlen (SIA 2013). • Durch die Verwendung direkt geernteten sa menhaltigen Pflanzenmaterials werden auch Bei der Mahdgutübertragung wird das samen Gefäßpflanzenarten, Moose und Flechten für haltige Pflanzenmaterial geerntet, wenn die Dachbegrünung nutzbar, die auf dem Wild meisten Pflanzenarten der Spenderfläche reife pflanzenmarkt nicht verfügbar sind, darun Samen haben; dabei wird es abgemäht und am ter auch Pflanzenarten, die in den vergange besten im gleichen Arbeitsgang mit einem La nen Jahren starke Bestandseinbußen erlitten dewagen oder Auffangkorb gesammelt. haben (vgl. Schröder & Kiehl 2020a). 26 3 | Auswahl und Einsatz von Wildpflanzen
• Mit dem Rechgut oder Mahdgut können Es sollte eine Ansaatdichte von mindestens auch weitere Organismen auf neue Standor 1 g/m² einkalkuliert werden. Bei den Versuchen te übertragen werden, wie etwa Insekten und im RooBi-Projekt wurden bei dieser Saatgut ihre Überdauerungsstadien oder Sporen von menge ca. 3500-4500 Samen/m² ausgebracht. Mykorrhizapilzen. Ansaatversuche mit sehr nährstoffarmen Sub • Abgesehen von der Arbeitszeit bei der Ge straten zeigten, dass eine Verdopplung der An winnung und den Transportkosten ist das saatdichte zunächst zwar zu einer Erhöhung Rechgut oder Mahdgut in der Regel kosten der Individuenzahlen führt, sich die Gesamt los. Häufig fällt es ohnehin bei der Pflege von deckung der Vegetation aber aufgrund der Naturschutzflächen an. Nährstofflimitierung nicht erhöht (Schröder & Kiehl 2020a). Dennoch wird eine Ansaatdich 3.3.2 Ansaaten mit gebietseigenem Wild- te von 1,5-2 g/m² empfohlen, um gleich zu Be pflanzensaatgut ginn eine Samenbank im Substrat zu initiie ren, die ggf. auftretende frühe Ausfälle der ers Die einfachste Methode der Begrünung von ten Pflanzengeneration kompensieren kann. Dächern ist die Ansaat. Die Auswahl geeigne Zur Vermeidung einer Gräserdominanz sollte ter regionaltypischer Pflanzenarten für Saat bei Aufbautypen mit guter Wasserversorgung mischungen richtet sich nach der jeweili der Mischungsanteil an Grassamen unter 15 % gen Region und den Standortbedingungen auf liegen. Dabei sollte vorzugsweise auf horstig dem Dach (Substratdicke, Wasserversorgung, wachsende bzw. nicht zur Dominanz tendie Lichtbedingungen, → Kap. 2.3). rende Arten zurückgegriffen werden. Abb. 13: Die faszinierende Formen- und Farbenvielfalt einer Wildpflanzensaat mischung aus 35 Arten (Praxisbeispiel → Kap. 7.2.1). Während das Saatgut der meisten Arten aus regionalisierter Wildpflanzenproduktion stammte, wurde das Saatgut ausgewählter Arten auf Spenderflächen der Region gesammelt. 27
Abb. 14: Nach der Ansaat im September 2018 gehen Jungpflanzen einer extensiven Dachbegrünung mit gebietseigenen Wildpflanzen 10 Wochen später gut entwickelt in den Winter. Für eine gleichmäßige Ansaat wird angeraten, sommer (Mitte August bis Mitte September) das sehr feinkörnige Saatgut mit einem Füll durchgeführt werden. Die Pflanzen aus Spät stoff (z. B. schwach angefeuchteter Sand) zu sommeransaaten gehen als Jungpflanzen in vermengen und dann per Hand gleichmäßig den Winter und sind dann bereits frostresis auf dem vorbereiteten Saatbett auszubringen tent (Abb. 14). Im folgenden Frühjahr weisen Sie (obenauf säen, Saatgut nicht einarbeiten). Ein im Vergleich zu im Frühjahr gekeimten Pflan geeignetes Mischungsverhältnis von Saatgut zen ein deutlich besser entwickeltes tieferge und Füllstoff (bezogen auf das Volumen) liegt hendes Wurzelsystem auf, sind damit weniger bei 1:10 bis 1:20. Bei der Ansaat auf dem Dach empfindlich gegenüber Trockenheitsphasen sollte es möglichst windstill sein, um eine Ver im Frühjahr und kommen auch eher zur Blüte. driftung oder ungleichmäßige Verteilung zu vermeiden. 3.3.3 Einbringen von Pflanzensprossen und Pflanzgut gebietseigener Herkunft Ansaaten sollten am besten kurz vor anstehen den Niederschlagsereignissen durchgeführt Bei extensiven Dachbegrünungen mit Wild werden (keine Starkniederschläge!). Alterna pflanzen können auch Sedum-Sprossen tiv kann auch direkt nach der Ansaat bewäs gebiets eigener Herkunft verwendet wer sert werden. Hierdurch bekommen die Samen den, die entweder allein oder in Kombination den für die Keimlingsentwicklung notwendi mit einer Saatmischung ausgebracht werden gen Kontakt zum Substrat und Verwehungen (Abb. 15). Der Vorteil einer Sprossenbegrünung, durch Wind werden verhindert. die gängige Praxis bei konventionellen exten siven Dachbegrünungen ist, liegt in der ra Wegen der in den letzten Jahren häufig schen Eingrünung und Durchwurzelung des auftretenden Frühjahrstrockenheit, sollten Substrats. In Kombination mit Ansaaten kön Wildpflanzenansaaten am besten im Spät nen gebietseigene Sedum-Pflanzen, die oft 28 3 | Auswahl und Einsatz von Wildpflanzen
mals weniger dominant als gebietsfremde Zuchtsorten von Phedimus- und Sedum-Arten sind, ähnlich wie Mahdgut oder Rechgut (→ Kap. 3.3.1), in Trockenperioden zusätzlich Schutzstellen für andere Gefäßpflanzen bieten (Butler & Orians 2011). Ähnliche Funktionen erfüllen möglicherweise auch vorgezogene und dann gepflanzte mehr jährige Wildpflanzen. Das Einbringen von Pflanzgut gebietseigener Herkunft im Rahmen extensiver Dachbegrünungen wurde ihm Rah men des RooBi-Projekts jedoch nicht erprobt. Ebenso wie beim Saatgut sollte auch beim Kauf gebietseigener Wildpflanzen auf die Her kunftszertifikate geachtet werden (→ Kap. 3.2). Darüber hinaus müssen Wildpflanzen für Dachbegrünungen in passenden nährstoffar men Anzuchtsubstraten vorgezogen und vor dem Auspflanzen abgehärtet werden (vgl. FLL 2018), damit sie später auf dem Dach überle ben. Für ein gutes Anwachsen, müssen sie zu dem nach dem Auspflanzen mehrfach bewäs sert werden. Abb. 15: Oben: Sprossen gebietseigener Sedum-Arten (hier Sedum acre) eignen sich für eine rasche Begrünung von Dachflä- chen. In Kombination mit Wildpflanzenansaaten wird eine Menge von 10–20 g Sprossen/m² empfohlen. Günstig für ein schnelles Anwachsen ist die Herstellung von Bodenkontakt durch Anwalzen und Wässern. Unten: Das Saatgut von Wildpflanzen ist oftmals sehr fein- körnig (hier: die Saatkörner der Magerrasenmischung aus einem Praxisbeispiel → Kap. 7.1.1). Eine Menge von 1 g kann durchaus ca. 4500 Samen (= Individuen) beinhalten. 29
4 | PFLEGE Neben der fachgerechten Planung und Aus von Kiesstreifen, die regelmäßige Prüfung und führung extensiver Dachbegrünungen mit Wartung von Be- und Entwässerungseinrich Wildpflanzen ist eine bedarfsgerechte Pfle tungen sowie das Entfernen von Gehölzjung ge essentiell. Die in diesem Leitfaden vorge wuchs und aufgewehtem Laub. Diese Arbeiten stellten extensiven Dachbegrünungen erfor sind jährlich durchzuführen. Je nach Standort dern sowohl während der Anwuchsphase als und Ausgestaltung des Gründachs sind zwei auch darüber hinaus spezifische Pflegemaß bis vier Kontrollgänge pro Jahr ausreichend nahmen, um die Artenvielfalt auf dem Dach (FLL 2018). zu erhalten bzw. zu fördern. Der Aufwuchs der Vegetation wird durch die Witterungsbedin gungen im Jahresverlauf, den Schichtaufbau, 4.1 FERTIGSTELLUNGSPFLEGE der Begrünung und die Beschattungssituati on beeinflusst. Standortbedingte Variationen Nach der Herstellung der Dachbegrünung, auf einem Dach sind dabei zur Schaffung un die vorzugsweise im Spätsommer ausgeführt terschiedlicher Teillebensräume durchaus er werden sollte (→ Kap. 3.2.2), beginnt die Fertig wünscht. Auch bei extensiver Dachbegrünung stellungspflege, die in der Regel bis zu einem mit Wildpflanzen gilt nach FLL (2018), dass die abnahmefähigen Zustand (nach ca. 12–15 Mo Pflegeziele und Einzelmaßnahmen jeweils ob naten) fortgeführt wird. Bei der Angabe einer jektbezogen festzulegen sind. Dabei müssen mittleren Mindest-Vegetationsdeckung (pro die Begrünungsverfahren und die geschaffe jektive Bodendeckung, FLL 2018) für einen ab nen (Teil-)Lebensräume mit ihren Vegetati nahmefähigen Zustand ist zu berücksichtigen, onsformen sowie der Entwicklungszustand dass eine Standortheterogenität von schüt der Vegetation und der jeweilige Pflegezustand ter bis hin zu üppiger bewachsenen Bereichen berücksichtigt werden. durchaus erwünscht ist (→ Kap. 5). Im Rahmen eines Praxisbeispiels in Osnabrück betrug die Über die im Folgenden beschriebenen Maß Vegetationsdeckung je nach Aufbautyp, Be nahmen hinaus sollten die für extensive Dach grünungsvariante und Exposition ca. 9 Mona begrünungen üblichen Pflege- und Instand te nach der Anlage 25 bis 41 % und im zweiten haltungsmaßnahmen regelmäßig durchge Jahr 42 bis 72 % (→ Kap. 7.1). Keinesfalls soll führt werden. Dazu zählen z. B. das Freihalten te zur Erhöhung der Vegetationsdeckung zu 30 4 | Pflege
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