Fachkräfte mit besonderen Stärken - Zero Project
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Fachkräfte mit besonderen Stärken Als „EXKLUSIVES Event für INKLUSIVE Köpfe“ fand am 23. Juni 2021 eine Veranstaltung der Zero Project Unternehmensdialoge in Wien und online statt. Im Mittelpunkt der Veranstaltung mit dem Titel „Innovationsmotor: Beschäftigung von Fachkräften mit besonderen Stärken“ standen eine aktuelle Analyse des Arbeitsmarktes von Arbeitsminister Martin Kocher sowie Best-Practice-Beispiele für inklusive Beschäftigung von Takeda, Microsoft, Fabasoft sowie AfB social & green IT. Weitere Highlights waren eine Keynote von Johannes Klietmann, die Vorstellung des WACA-Zeritfikats und kostenfreie Angebote zur Unterstützung inklusiver Beschäftigung. Zeigen, dass die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen zu einer Win-Win-Situation führt, ist das Ziel der Zero Project Unternehmensdialoge. Oder wie deren Initiator, der Unternehmer Martin Essl, es formuliert: „Es ist nicht ein soziales Projekt, sondern es hat eine wirtschaftliche Kraft.“ Der frühere Eigentümer und Vorstandsvorsitzende der Baumarktkette Baumax war vor rund 30 Jahren einer der ersten, der das Potenzial von Menschen mit Behinderungen als Mitarbeitende und als Kund*innen erkannt hat. Vor mehr als zehn Jahren hat Essl mit Zero Project ein globales Netzwerk initiiert, das Barrieren für Menschen mit Behinderungen mit Innovationen überwinden will. Seit vier Jahren richten sich die Zero Project Unternehmensdialoge in Österreich dazu direkt an Unternehmen, HR-Manager*innen und Serviceprovider. Mehr als eine Milliarde Potenziale 15 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher leben mit einer Behinderung, das sind mehr als 1,3 Millionen Menschen. In Europa sind es 80 Millionen und weltweit mehr als eine Milliarde. Viele davon verfügen, teils aufgrund ihrer Behinderung, als Fachkräfte über Talente, die Menschen ohne Behinderung nicht mitbringen. Außerdem „eröffnen sie neue Blickwinkel und sie bereichern jedes Team“, weiß Essl: „Diese positive Erfahrung wollen wir weitergeben.“ Gerade in Zeiten großer Veränderungen sind Menschen mit Behinderungen daher „eine wertvolle Personalressource, die bis jetzt noch zu wenig genutzt wurden“, ergänzt Karin Praniess-Kastner. Denn, so die Leiterin der Zero Project Unternehmensdialoge: „Menschen mit Behinderungen sind es gewöhnt, neue, kreative Lösungswege für Herausforderungen zu finden. Und genau dieses Potenzial sollten Unternehmen jetzt nützen.“
Einblicke, Beispiele und kostenfreie Services Wie man das Potenzial inklusiver Beschäftigung nutzen kann, konnten die Teilnehmenden beim Zero Project Unternehmensdialog, der am 23. Juni im Impact Hub in Wien stattfand, vor Ort und online von den Unternehmen Takeda, Microsoft, Fabasoft sowie AfB social & green IT erfahren. Vorab lieferte Johannes Klietmann, Mitarbeiter bei Specialisterne, eine Keynote, und Martin Kocher, Bundesminister für Arbeit, gab einen Ausblick auf die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt nach Corona. Weitere Highlights waren die Präsentation des ersten österreichischen Zertifikats für digitale Barrierefreiheit, WACA, sowie der für Unternehmen teils kostenfreien Service-Angebote von incite, Videbis und dem NEBA Betriebsservice. Moderiert wurde die Veranstaltung von Angela Engel, Mitarbeiterin von Videbis und selbst blind, gemeinsam mit Michael Pichler, Human Ressource Manager und bei Zero Project für die Beschäftigungs- und Ausbildungsinitiativen verantwortlich. Die Beiträge der Zero Project Unternehmensdialoge vom 23. Juni 2021: Johannes Klietmann: Keynote in eigener Sache Den Auftakt der Veranstaltung übernahm Johannes Klietmann, studierter Paläobiologe und Autist. Als solcher wollte er sich nach seinem Studium auf IT umschulen lassen und landete bei Specialisterne Österreich, wo Menschen im Autismus Spektrum bei der Berufsorientierung unterstützt und in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden. Statt als IT-Experte ist Klietmann mittlerweile für Specialisterne Österreich – Mitveranstalter der Zero Project Unternehmensdialoge – als Vortragender quasi in eigener Sache tätig und hält Workshops für Unternehmen, die Menschen im Autismus-Spektrum beschäftigen wollen. Die zentrale Botschaft seiner Keynote „Wie Arbeit in den Kopf kommt“: Wichtiger als die Definition von Arbeit als Kombination aus Wissen und Tätigkeiten sollte sein, wie Arbeitgebende Arbeit als Konzept definieren. Von vorgefertigten, starren job descriptions rät Klietmann dabei ab: „Die Frage, wie finde ich die passgenaue Person, die in unseren exakt vorgefertigten Platz passt, ist immer schwerer zu beantworten als die Frage, welche Fähigkeiten bringt jemand mit, die in unserem Unternehmen fehlen.“ Und hat eine solche Person spezifische Anforderungen an ihre Umgebung, sind auch diese leichter zu lösen als „die Suche nach einer standardisierten Ersatzperson“ fortzusetzen, die es ohnedies nicht gibt, so Klietmann: „Es wäre unglaublich kurzsichtig, die Stärken zu übersehen, nur weil Schwächen in anderen Bereichen vorliegen.“ Und etwas drastischer: „Welchen Unterschied macht es, ob jemand vor einem Computer im Rollstuhl oder auf einem Bürostuhl sitzt.“
Martin Kocher: Inklusion als Innovationsschub Martin Kocher, Bundesminister für Arbeit, lieferte in seinem Vortrag eine Analyse der Situation auf dem Arbeitsmarkt angesichts der hoffentlich überwundenen Pandemie und einer wieder anspringenden Konjunktur. Die Arbeitslosigkeit ist zuletzt sehr stark gesunken. Probleme zeigen sich dort, wo nach wie vor behördliche Einschränkungen und Reisebeschränkungen wirken. Kocher: „In anderen Bereichen sind wir gar nicht mehr so weit vom Vorkrisenniveau entfernt.“ Tatsächlich gab es im Juni 2021 „nur“ um 25.000 mehr Arbeitslose in Österreich als im Juni 2019 – „wobei aber noch sehr viele Menschen in Kurzarbeit sind“, so Kocher vorsichtig. Die vergleichsweise gute Lage eröffnet für Kocher aber auch wieder Kapazitäten, um „auf Zielgruppen auf dem Arbeitsmarkt näher einzugehen, die besondere Berücksichtigung finden müssen“. Besondere Chancen für Menschen mit Behinderungen sieht er dabei vor allem in der Kombination von technischen und sozialen Innovationen, die es erleichtern, das Arbeitsumfeld so zu gestalten, dass produktive Arbeitsplätze entstehen. Kocher ist jedenfalls überzeugt, dass Digitalisierung die Inklusion von Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt stärkt. „Das ersetzt aber nicht die Notwendigkeit von politischen und regulativen Maßnahmen“, so Kocher. Und er ergänzt: „Inklusion kann als Innovationsschub für die gesamte Organisation in Betrieben gelten. Sie ermöglicht es, nicht mehr funktionierende Prozesse zu hinterfragen und neu aufzusetzen.“ Derart ist Inklusion für Kocher auch ein Schlüssel für den Wirtschaftsstandort Österreich: „Gerade angesichts der demografischen Entwicklung, des Fachkräftemangels und angesichts der sozialen und gesellschaftlichen Aufgabe, der wir uns alle stellen müssen, geht es darum, dieses Potenzial zu heben.“ Best-Practices zeigen wie inklusive Beschäftigung geht In zwei Couch-Sessions wurden im Rahmen der Zero Project Unternehmensdialoge vom 23. 6. 2021 vier Beispiele für erfolgreiche Inklusion auf dem Arbeitsplatz vorgestellt: Takeda, Microsoft, Fabasoft und AfB social & green IT.
Takeda entwickelt seit mehr als 65 Jahren Medikamente und Spezialtherapien auf der Basis von menschlichem Plasma, die weltweit exportiert werden. Warum das Unternehmen begonnen hat, gezielt Menschen mit Behinderungen einzustellen, erklärt Karl-Heinz Hofbauer, Leiter der Produktionsstandorte in Wien, anhand eines Beispiels: „In der visuellen Inspektion haben wir Mitarbeitende, denen wir Kopfhörer aufsetzen, damit sie sich nicht ablenken lassen, statt dass wir Menschen mit Gehörbehinderung einsetzen. Das hat uns bewogen, umzudenken und uns darauf zu fokussieren, was die Talente und Fähigkeiten sind, die wir brauchen und darauf, welchen Rahmen diese Menschen benötigen, um ihre Fähigkeiten zu entfalten.“ Mittlerweile arbeiten Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen bei Takedo und das in allen Bereichen. Eine davon ist Andrea Klimova, Projektleiterin für technische Dokumentation und Autistin: „Ich mag repetitive Tätigkeiten, wo Genauigkeit gefragt ist. Was für andere ein uninteressanter Job ist, ist für mich eine Leidenschaft.“ Microsoft ist eines der wichtigsten Softwareunternehmen weltweit und hat sich zum Ziel gesetzt, insbesondere den „disability divide“, also die Kluft zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen, zu adressieren. So sind Menschen mit Behinderungen mehr als doppelt so oft von Arbeitslosigkeit betroffen wie Menschen ohne Behinderungen. Und global hat nur eine von zehn Personen Zugang zu den Hilfstechnologien, die sie benötigt. Um diese Kluft, die in der Corona-Pandemie noch gewachsen ist, zu überbrücken, entwickelt Microsoft barrierefreie Technologien „mit und für Menschen mit Behinderungen“, erklärt Ingrid Heschl, Personalchefin von Microsoft Österreich. Diesen Menschen soll damit vor allem die Möglichkeit gegeben werden, in die Arbeitswelt einzutreten. Heschl: „Für uns ist daher ganz wichtig, dass wir auch selbst Menschen mit Behinderungen beschäftigen, weil diese natürlich ein besseres Verständnis dafür haben, was sie wirklich benötigen.“ So hat Microsoft spezielle Recruiting- Programme für Menschen mit Neurodiversität, aber auch Menschen mit anderen Behinderungen sind gefragte Mitarbeitende. Heschl: „Für uns ist es wichtig, ein diverses und inklusives Umfeld zu schaffen.“ Fabasoft entwickelt Softwarelösungen für „dokumentenintensive Geschäftsprozesse“, so Helmut Fallmann, Gründer und Vorstand. Die weltweiten Kund*innen kommen vor allem aus dem öffentlichen Bereich und bestehen auf barrierefrei zertifizierte Produkte. Etwas, dass Fallmann auch privaten
Unternehmen empfiehlt: „Damit schaffen Sie die Voraussetzung, dass Menschen mit Behinderungen diese Software auch tatsächlich benutzen können.“ Entsprechend beschäftigt Fabasoft Menschen mit Behinderungen vor allem im Design ihrer Lösungen. Einer davon ist Mario Bartusic, der blind ist, und davor an der Johannes-Kepler-Universität in Linz wissenschaftlich tätig war: „Jetzt kann ich die Produkte meiner Arbeit auch sehen, weil alles, was ich in die Arbeit investiere, bleibt in unseren Produkten.“ Bartusic ist sich bewusst, dass Fabasoft von seiner Behinderung profitiert: „Ich selbst kann nur mit Software und Webanwendungen arbeiten, die voll barrierefrei sind. Und bei Fabasoft sitze ich im Designteam, dass das User Interface (Benutzeroberfläche) entwickelt.“ AfB social & green IT ist spezialisiert darauf, gebrauchte Business-IT zu übernehmen, zertifiziert zu löschen, aufzuarbeiten und wieder zu vermarkten oder fachgerecht zu recyceln. Neben der ökologischen Wirkung hat sich AfB dazu verpflichtet, 50 Prozent Menschen mit Behinderungen einzustellen. Gernot Hochfellner, Partner-Manager für Wien, Niederösterreich und Burgenland: „Der Markt für IT-Remarketing ist hart umkämpft und trotz der selbst auferlegten Quote wachsen wir stärker als der Markt.“ Das insbesondere über Partnerschaften mit Unternehmen, die für ihre fachgerecht entsorgte IT nicht nur einen zertifizierten Datenvernichtungsnachweis erhalten, sondern ihr ökologisch-soziales Engagement für die eigene CSR-Kommunikation nutzen können. AfB ist mit 20 Standorten schon jetzt Europas größtes gemeinnütziges IT-Unternehmen. Bis 2025 will das mehrfach ausgezeichnete Unternehmen 200.000 Tonnen CO2 einsparen und 300 Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen schaffen.
Das WACA-Zertifikat für digitale Barrierefreiheit Ein weiteres Highlight der Zero Project Unternehmensdialoge vom 23. Juni 2021 war die Vorstellung des ersten unabhängigen österreichischen Zertifikats für Barrierefreiheit im Web nach den internationalen W3C-Richtlininen: WACA – Web Accessibility Austria (waca.at). Die Vorteile eines solchen Qualitätssiegels erläuterte Klaus Höckner, stellvertretender Vorsitzender der Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs. Diese ist Mitglied des interdisziplinären WACA- Beirats und auch abwickelnde Stelle der WACA-Zertifizierung. Höckner: „Was ist der Vorteil? Es sind die 15 Prozent, die Sie endlich abholen können. Menschen mit Behinderungen, die Sie in den Arbeitsprozess oder auch in den Verkauf ihrer digitalen Produkte integrieren können.“ Die tatsächliche Zielgruppe für digitale Barrierefreiheit reicht aber über die 15 Prozent Menschen mit Behinderungen hinaus. Auch Menschen ohne sichtbare Behinderungen und Ältere profitieren. Höckner: „Laut Statistik ist 2030 über 30 Prozent der Bevölkerung in Europa über 65.“ Und: „Wir werden alle älter und das bringt mit sich, dass wir motorisch und kognitiv eingeschränkter werden, schlechter hören und schlechter sehen werden.“ Sogar Google bevorzugt barrierefreie Webseiten, so Höckner, „weil sie besser strukturiert sind und besser indiziert werden können.“
Unterstützung und Förderungen für inklusive Beschäftigung Im abschließenden „Serviceteil“ der Zero Project Unternehmensdialoge vom 23. 6. 2021 wurden drei wichtige und teils kostenfreie Unterstützungsangebote für Unternehmen vorgestellt, die sich für die Beschäftigung von Menschen interessieren. incite ist die Akademie des Fachverbandes Unternehmensberatung, Buchhaltung und Informationstechnologie (UBIT) der Wirtschaftskammer Österreich. incite bietet einen Lehrgang für Web-Accessibility und barrierefreies Webdesign an. Der nächste startet am 20. September 2021, berichtet incite-Geschäftsführerin Sophie Ernest: „Der Kurs bietet nicht nur eine gute Einführung in die Anwendung von Barrierefreiheit, sondern auch die Möglichkeit, unterschiedliche Erfahrungsansätze zu kombinieren.“ Mehr unter: incite.at/de/kurse-zertifikate/webaccessibility/ Videbis ist seit 1987 spezialisiert auf hochwertige Sehhilfen und unterstützt Unternehmen vollumfänglich bei der Einrichtung barrierefreier Arbeitsplätze für sehbehinderte oder blinde Menschen. Geschäftsführer Christian Zehetgruber. „Wir kommen vor Ort, schauen uns die Prozesse an, die zu erfüllen sind, und finden dann eine Lösung.“ Das Beste daran: Für das Unternehmen fallen keine behindertenspezifischen Kosten an. Zehetgruber: „Das wird alles von Kostenträgern übernommen, in der Regel 50:50 vom Sozialministeriumsservice und der Pensionsversicherungsanstalt. Inklusive Schulung und Service.“ Mehr Informationen und Kontakt unter: videbis.at oder +43 1 27 88 333 NEBA Betriebsservice heißt das neu gegründete Angebot des Sozialministeriumservices, das für Unternehmen, die Menschen mit Behinderungen beschäftigen wollen, „ein Multifunktionstool mit eingebautem Navigationssystem“ ist, so Eva Reichel und Michaela Schafferhans bei der Vorstellung im Rahmen der Zero Project Unternehmensdialoge: „Als One-Stop- Shop vernetzen wir die Firmen mit Expert*innen im Bereich der beruflichen Assistenz und leiten diese durch den Förderdschungel.“ Dazu kommen rechtliche Beratung und aktive Unterstützung sowohl beim Recruiting wie im Onboarding- Prozess. Und auch dieses Angebot steht Unternehmen kostenfrei und mit Ansprechpartnern in ganz Österreich zur Verfügung. Weitere Informationen und Kontakt unter: neba.at/betriebsservice
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