FAKTEN STATT ZERRBILDER - Die Realität auf dem deutschen Arbeitsmarkt - Bda Arbeitgeber
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INHALT 1 DER DEUTSCHE ARBEITSMARKT IN GUTER VERFASSUNG . . . . . . 5 1a Arbeitslosigkeit auf niedrigstem Stand seit Wiedervereinigung . . . 6 1b Vom kranken Mann Europas zum d eutschen Jobwunder – Beschäftigung auf Rekordstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1c Langzeitarbeitslosigkeit mehr als h albiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1d Beschäftigung Älterer auf einem sehr guten Weg . . . . . . . . . . . . . . 10 1e Jugendarbeitslosigkeit auf niedrigstem N iveau in Europa . . . . . . . . 12 2 DIE MÄR VON DER „PREKÄREN A RBEITSWELT“ IN DEUTSCHLAND UND ANDERE LEGENDEN . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2a Flexible Beschäftigungsverhältnisse s chaffen Arbeit und ermöglichen Teilhabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2b Teilzeit fast immer aus privaten Gründen gewollt . . . . . . . . . . . . . . 16 2c Zeitarbeit: ein vollwertiges Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2d Befristungen erleichtern Einstieg ins Berufsleben . . . . . . . . . . . . . 20 2e Minijobs: unverzichtbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2f „Aufstocken“ verhindert Armut und schafft Chancen . . . . . . . . . . 24 2g Geeignete Auszubildende händeringend gesucht . . . . . . . . . . . . . . 26 2h Arbeitszeitvolumen auf höchstem Stand seit 1992 . . . . . . . . . . . . . 28 Verwendete Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Der deutsche Arbeitsmarkt in guter Verfassun 5 DER DEUTSCHE ARBEITSMARKT IN GUTER VERFASSUNG „Die Wirtschaft hat seit der globalen Krise von 2008 eine stetige Erholung verzeichnet, und der Arbeitsmarkt hat sich dank frü- herer Reformen kräftig entwickelt. […] Deutschland weist einen hohen materiellen Lebensstandard sowie eine geringe Einkom- mensungleichheit auf und schneidet bei den meisten Aspekten der Lebensqualität gut ab.“ OECD, OECD-Wirtschaftsberichte Deutschland, April 2015
6 BDA | FAKTEN STATT ZERRBILDER – DIE REALITÄT AUF DEM DEUTSCHEN ARBEITSMARKT 1a Arbeitslosigkeit auf niedrigstem Stand seit Wiedervereinigung Der Arbeitsmarkt in Deutschland befindet sich Der jahrzehntelange, fatale Trend einer dank richtiger Reformen im Zuge der Agenda steigenden Sockelarbeitslosigkeit, also der 2010 seit Jahren auf Erfolgskurs. Trotz des Zahl der Arbeitslosen, die selbst am Ende heftigsten konjunkturellen Einbruchs, den es eines konjunkturellen Aufschwungs keine in Deutschland je gegeben hat – das Brutto- Beschäftigung gefunden haben, konnte nach inlandsprodukt sank im Zuge der globalen 2005 gestoppt und umgekehrt werden. Ins- Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2009 gesamt sank die Zahl der Arbeitslosen vom auf einen Schlag um 5,1 % (Stat. Bundesamt, traurigen Rekord von 4,9 Mio. im Jahr 2005 auf 2016a) –, ist die Zahl der Arbeitslosen in Ar- unter 2,7 Mio. im Jahr 2016 (BA, 2017a). beitsagenturen und Jobcentern in den vergan- genen Jahren immer weiter gesunken. ARBEITSLOSIGKEIT SINKT – SPALTUNG AM ARBEITSMARKT WIRD ENDLICH ÜBERWUNDEN Entwicklung der Sockelarbeitslosigkeit in Mio. 2003 2005 Beginn der Agenda 2010 Einführung von Arbeitslosengeld II 4,4 3,9 3,6 3,3 1990 Wiedervereinigung 2,7 1,9 0,9 0,1 1960 1970 1979 1990 1995 2001 2004 2008 2016 Zahl der Arbeitslosen Sockelarbeitslosigkeit Sockelarbeitslosigkeit: harter Kern der Arbeitslosigkeit, der auch in konjunkturell guten Zeiten bestehen bleibt; Zahl der Arbeitslosen: bis 1990 nur Westdeutschland Quelle: Bundesagentur für Arbeit, 2017a; eigene Darstellung
Der deutsche Arbeitsmarkt in guter Verfassun 7 Auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen, also derjenigen, die länger als zwölf Mo- nate ohne Beschäftigung sind, ist seit 2005 um mehr als 1 Mio. zurückgegangen (OECD, 2016a). Auch wenn gerade hier noch viel zu RÜCKGANG VON ARBEITSLOSIGKEIT UND tun ist, darf nicht übersehen werden, dass UNTERBESCHÄFTIGUNG SEIT INKRAFTTRETEN zahlreiche Menschen, die früher vom Arbeits- markt ausgesperrt waren, endlich eine neue DER AGENDA 2010 Beschäftigung gefunden haben. Sie tauchen Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung in Mio. nicht mehr in der Arbeitslosen-, sondern in der Beschäftigtenstatistik auf. 7 Unterbeschäftigung sinkt Der Abbau der Arbeitslosigkeit beruht nicht – 6,1 wie oftmals fälschlicherweise behauptet – auf statistischen Tricks. Seit 2005 ist nicht nur die Zahl der Arbeitslosen um über 40 % 6 gesunken (das waren 2,1 Mio. weniger), son- dern auch die Zahl der sog. Unterbeschäftig- Unterbeschäftigung ten ging um 2,5 Mio. zurück. Zu ihnen gehören (ohne Kurzarbeit) neben den Arbeitslosen auch diejenigen, die an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme teilnehmen und die deswegen formal nicht 4,9 –41 % als arbeitslos gelten (BA, 2016a). 5 Zahl der Sozialleistungsbezieher sinkt Erfreulicherweise sind auch immer weniger Menschen in Deutschland auf Sozialleistun- 4 gen angewiesen. 2014 bezogen knapp 7,6 Mio. Arbeitslosigkeit 3,6 Menschen sog. Mindestsicherungsleistun- gen (z. B. Grundsicherung im Alter und bei –44 % Erwerbsminderung, Hilfen zum Lebensun- terhalt, Arbeitslosengeld II, Sozialgeld und Leistungen nach dem Asylbewerberleis- tungsgesetz) – 2006 waren es noch über 3 2,7 8,3 Mio. (Stat. Bundesamt, 2016b). Allein die Zahl der Empfänger von Ar- beitslosengeld II ist in diesem Zeitraum um 17 % zurückgegangen (BA, 2015a). Hundert- tausende Bezieher von Arbeitslosengeld II haben es geschafft, sich von staatlicher Für 2 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 sorgeleistung zu lösen, und meistern ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft. Quelle: Bundesagentur für Arbeit, 2017a
8 BDA | FAKTEN STATT ZERRBILDER – DIE REALITÄT AUF DEM DEUTSCHEN ARBEITSMARKT 1b Vom kranken Mann Europas zum deutschen Jobwunder – Beschäftigung auf Rekordstand Es ist gerade einmal 15 Jahre her, dass Beschäftigung auf Rekordniveau Deutschland als „kranker Mann Europas“ galt, dessen verkrustete Strukturen vor al- Zwischen 2005 und 2015 sank die Erwerbs- lem am Arbeitsmarkt das Wachstum von losenquote1 in Deutschland von 11,2 % auf Wirtschaft und Beschäftigung nachhaltig 4,6 %, den niedrigsten Wert innerhalb der hemmten. Wie deutlich sich das Bild seitdem EU (Eurostat, 2016a). Gleichzeitig kletterte gewandelt hat, zeigt auch die Berichterstat- die Beschäftigung auf immer neue Rekord- tung im Ausland. Die britische Zeitschrift stände. Die Zahl der Erwerbstätigen insge- „Economist“, die im Jahr 1999 die Bezeich- samt stieg um 3,7 Mio. auf rd. 43 Mio. (Stat. nung Deutschlands als „kranken Manns Bundesamt, 2016c). Allein die sozialversiche- Europas“ geprägt hatte, sprach im Jahr rungspflichtige Beschäftigung ist zwischen 2010 von Deutschland als „Motor Europas“, 2005 und 2016 um 5 Mio. auf über 31 Mio. an- dessen Arbeitsmarkt die Wirtschafts- und gewachsen (BA, 2017b). Entgegen einem weit Finanzkrise so gut überstanden habe wie verbreiteten und medial geschürten Gefühl kaum ein anderes Land. fortschreitender Prekarisierung und Verar- mung in Deutschland gab es einen enormen Aufholprozess, der Politik und Gesellschaft Anlass zur Freude gibt. In nicht einmal ei- ner Dekade wurde auf dem Arbeitsmarkt der BESCHÄFTIGUNG STEIGT AUF REKORDWERT! Turnaround geschafft. Wesentlich mitverant- wortlich hierfür sind die Stärke und Innova- Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Mio. tionskraft der deutschen Wirtschaft, eine funktionierende Sozialpartnerschaft sowie die in den vergangenen Jahren erhöhte Fle- 35 xibilität des Arbeitsmarkts, welche von der Politik auch gegen Widerstände durchgesetzt 31,4 wurde. 30 Kernstück der Reformen am Arbeits- gesamt markt war ein fundamentaler Paradigmen- wechsel in der Arbeitsmarktpolitik: Die welt- weit einmalige lohnabhängige, dauerhafte 25 finanzielle Unterstützung Langzeitarbeitslo- ser über eine am letzten Gehalt orientierte 22,8 Vollzeit Arbeitslosenhilfe wurde aufgegeben, mit der Sozialhilfe zusammengelegt und durch das Arbeitslosengeld II als bedarfsorientiertes 20 Grundsicherungs- und Fördersystem ersetzt. … Bei diesem steht die Integration in den ersten Arbeitsmarkt im Sinne eines „Forderns und 10 8,5 Förderns“ an vorderster Stelle. Zudem wurde der Einsatz flexibler Beschäftigungsformen wie Zeitarbeit und Minijobs erleichtert, ohne Teilzeit dass dies im Ergebnis die klare Dominanz der 5 sog. Normalarbeitsverhältnisse in Deutsch- land auch nur „angekratzt“ hätte. 0 1 Für internationale Vergleiche wird das Kon- 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 zept der Erwerbslosenquote der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verwendet. Die ILO-Er- werbslosenquote fällt niedriger aus als die Arbeits losenquote der Bundesagentur für Arbeit, da nach Quelle: Bundesagentur für Arbeit, 2017b dem ILO-Konzept bereits Personen aus dem Kreis der Erwerbslosen herausfallen, die mehr als eine Stunde pro Woche arbeiten.
Der deutsche Arbeitsmarkt in guter Verfassun 9 1c Langzeitarbeitslosigkeit mehr als halbiert Seit 2005 ist in Deutschland ein vorzeigbarer langzeitarbeitslos (OECD, 2016b). Dieser Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit geglückt, Wert ist im internationalen Vergleich zwar auch wenn hier noch einiges im Argen liegt. recht hoch, daraus den Schluss zu ziehen, in Nach Zahlen der OECD hat sich die Zahl der Deutschland dominiere – anders als in an- Menschen, die zwölf Monate und länger ar- deren Ländern – Langzeitarbeitslosigkeit, beitslos sind, zwischen 2005 und 2015 auf wäre falsch: Gemessen an allen Erwerbs unter 1 Mio. mehr als halbiert (OECD, 2016a). personen sind in Deutschland nur 2,0 % lang- zeitarbeitslos (Eurostat, 2016b). Damit liegt Allerdings ist das kein Grund, sich auszu- Deutschland EU-weit auf Rang 6 von 28 bzw. ruhen, denn der „harte Kern“ an Arbeitslo- weist einen mit den skandinavischen Staaten sen, der nur sehr schwer vermittelt werden vergleichbaren Wert auf. kann, ist nun erreicht und aktuell zweifellos die größte arbeitsmarkt- und bildungspoliti- sche Herausforderung. Seit 2013 gelingt der „Harter Kern“ der Langzeit weitere Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit arbeitslosen angehen vielerorts nur noch in kleinen Schritten. Nicht der Umfang, sondern die Verfestigung Weil die Zahl der Kurzzeitarbeitslosen so der Langzeitarbeitslosigkeit ist in Deutsch- stark gesunken ist und die Vermeidung von land die große Herausforderung. Insbesonde- Arbeitslosigkeit in Deutschland immer bes- re Geringqualifizierte, die über 50 % der Lang- ser gelingt, fällt die stagnierende Zahl der zeitarbeitslosen ausmachen (BA, 2016b), sind Langzeitarbeitslosen immer stärker ins Ge- häufiger und vor allem zu lange vom Arbeits- wicht: Mittlerweile sind nach Angaben der markt ausgeschlossen. Diesen harten Kern OECD 44 % der Arbeitslosen in Deutschland der Arbeitslosigkeit gilt es zu verringern. DEUTSCHLAND BEIM ABBAU DER L ANGZEITARBEITSLOSIGKEIT EU-WEIT AUF RANG 6 VON 28 So viel Prozent der Erwerbspersonen sind langzeitarbeitslos: 7 DE 6 4,5 5 EU 28 4 3,0 3 NL 2,0 2 1 1,5 SE 0 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Quelle: Eurostat, 2016b
10 BDA | FAKTEN STATT ZERRBILDER – DIE REALITÄT AUF DEM DEUTSCHEN ARBEITSMARKT 1d Beschäftigung Älterer auf einem sehr guten Weg Die Beschäftigungssituation älterer Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmer hat sich in ZAHL DER SOZIALVERSICHERUNGSPFLICHTIG den vergangenen Jahren stark verbessert. BESCHÄFTIGTEN 60- BIS 64-JÄHRIGEN HAT Das ist auch dem Einstieg in eine Verlänge- rung der Lebensarbeitszeit („Rente mit 67“) SICH VERDREIFACHT! und der Abkehr von politisch gewollten und Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung Älterer oftmals kontraproduktiven Frühverrentungs (Juni 2000 bis Juni 2015, normiert auf das Jahr 2000) programmen zu verdanken. Die positive Ent- wicklung wird allerdings getrübt von der teu- ren und kontraproduktiven Einführung der 350 60–64 Jahre abschlagsfreien Rente mit 63. 300 Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Altersgruppe der 60- bis 250 64-Jährigen ist zwischen 2000 und 2016 auf 55–64 Jahre über 1,9 Mio. gestiegen und hat sich damit ver- 200 dreifacht (BA, 2017c). Insgesamt ist die Zahl aller sozialversicherungspflichtig Beschäf- 150 tigten in diesem Zeitraum „nur“ um 13 % ge- stiegen (BA, 2017c). Die Erwerbstätigenquote 100 der 55- bis 64-Jährigen ist zwischen 2000 und 2015 um mehr als die Hälfte von 37 % auf 66 % 50 gestiegen. Bei den 60- bis 64-Jährigen hat sie sich seitdem sogar mehr als verdoppelt und 0 lag zuletzt bei 53 % (Eurostat, 2016d). Darü- 2000 2004 2008 2012 2016 ber hinaus haben laut Mikrozensus im Jahr 2015 rd. zwei Drittel der abhängig Beschäftig- Quelle: Bundesagentur für Arbeit, 2017c; eigene Berechnungen ten dieser Altersgruppe in Vollzeit gearbeitet (Stat. Bundesamt, 2016d).
Der deutsche Arbeitsmarkt in guter Verfassun 11 Seit 2005 hat sich die Wahrscheinlichkeit für ältere Arbeitslose, aus dem Arbeitslosen- geld-I-Bezug heraus eine Beschäftigung auf DEUTSCHLAND BEI BESCHÄFTIGUNG ÄLTERER dem ersten Arbeitsmarkt zu finden, verdop- EU-WEIT AUF PLATZ 2 pelt (IAB, 2016b), kann aber noch weiter ver- bessert werden. Der oft behauptete Anstieg Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen der Arbeitslosigkeit Älterer allerdings beruht in ausgewählten EU-Staaten, 2015, in % ausschließlich auf einer Statistikänderung. Nach dieser werden heute auch Arbeitslose im Alter von über 58 Jahren berücksichtigt, die früher zu großen Teilen nicht als arbeits- Schweden 75 los gezählt wurden. Deutschland 66 EU 28 53 EU-weit ist nur Schweden besser Frankreich 49 bei der Arbeitsmarktintegration Älterer Rumänien 42 In keinem anderen Land der EU, mit Aus- nahme von Schweden, sind ältere Menschen besser in den Arbeitsmarkt integriert als in Quelle: Eurostat, 2016d Deutschland. Dies zeigt: Die Unternehmen in Deutschland nehmen die Herausforderung an, mit alternden Belegschaften und einem sinkenden Potenzial an jüngeren Fach- und Führungskräften die betriebliche Leistungs- RENTE MIT 63 SORGT FÜR BESCHÄFTIGUNGS fähigkeit im globalen Wissens- und Innovati- EINBRUCH BEI ÄLTEREN FACHKRÄFTEN onswettbewerb zu erhalten bzw. zu stärken. Für Ostdeutschland gilt: Liegen Bewerbun- Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von 63- und 64-Jährigen gen von Älteren vor, dann wird in knapp 60 % (2011 bis 2015), in Tsd. der Fälle eine neu ausgeschriebene Stelle auch mit einem über 50-Jährigen besetzt (IAB, 2016c). 500 472 Bestand ohne Rente mit 63 (Fortschreibung) Rente mit 63 entzieht dem Arbeitsmarkt Fachkräfte 400 383 Allerdings konterkariert die am 1. Juli 2014 in Kraft getretene abschlagsfreie Rente mit Bestand 63 all die notwendigen Bemühungen um eine Ausweitung der Lebensarbeitszeit. Zudem 300 entzieht sie dem Arbeitsmarkt dringend be- Einführung der nötigte Fachkräfte. So ist die Beschäftigung Rente mit 63 der 63- bis 65-Jährigen seit Inkrafttreten wieder rückläufig, zuvor ist sie stetig gestie- gen (BA, 2015b). Aufgrund der abschlagsfrei- 200 en Rente mit 63 liegt die Beschäftigung der 2011 2012 2013 2014 2015 über 63-Jährigen um rd. 90.000 unter der Be- schäftigtenzahl, die aus einer Fortschreibung Quelle: Bundesagentur für Arbeit, 2016; eigene Berechnungen des positiven Beschäftigungstrends vor 2014 resultieren würde.
12 BDA | FAKTEN STATT ZERRBILDER – DIE REALITÄT AUF DEM DEUTSCHEN ARBEITSMARKT 1e Jugendarbeitslosigkeit auf niedrigstem N iveau in Europa Gerade für junge Menschen ist eine frühzei- lohnt sich für beide Seiten: Sie sichert den tige und längerfristige Arbeitslosigkeit eine Unternehmen qualifizierte Fachkräfte und prägende negative Erfahrung. Deswegen ist den Jugendlichen gute berufliche Chancen. es besonders erfreulich, dass die Arbeits- marktchancen für Jugendliche in Deutsch- land so gut sind wie sonst nirgends in Europa: 80 % der ausbildungsberechtigten In keinem anderen Land ist die Arbeitslosen- Betriebe bilden aus quote der unter 25-Jährigen niedriger als in der Bundesrepublik (Eurostat, 2016a). Die Unternehmen in Deutschland engagieren sich auf breiter Basis für die Ausbildung. Zwi- Dies ist kein kurzfristiges Phänomen – schen 2009 und 2014 haben 80 % der ausbil- Deutschland belegt in dieser Statistik schon dungsberechtigten Betriebe ausgebildet (IAB, seit vielen Jahren kontinuierlich einen der 2016a). Pro Jahr investieren sie rd. 24 Mrd. € vorderen Plätze. Wesentlich hierfür verant- in die Ausbildung von rd. 1,3 Mio. jungen Men- wortlich ist das duale Ausbildungssystem, schen (BIBB, 2016). welches durch die enge Verknüpfung mit der beruflichen Praxis einen optimalen Start in den Beruf ermöglicht. Die duale Ausbildung Wettbewerbsfähigkeit schafft Chancen für Jugendliche Neben einer praxisnahen Ausbildung sind auch wirtschaftliche Dynamik und flexible Arbeits- MEHR BESCHÄFTIGUNG UND QUALIFIZIERUNG märkte die Grundvoraussetzung für eine hohe VON JUNGENMENSCHEN DURCH MEHR Jugendbeschäftigung. In manchen EU-Staaten mit geringerer Wettbewerbsfähigkeit wie z. B. WETTBEWERBSFÄHIGKEIT Spanien oder Griechenland liegt die Jugend- NEET*-Rate der 15- bis 24-Jährigen in % in ausgewählten Ländern (2015) arbeitslosenquote bei knapp 50 % (Eurostat, 2016a). Das bedeutet zwar entgegen einer weit verbreiteten Meinung nicht, dass über die Niederlande 4,7 Hälfte aller Jugendlichen in diesen Ländern arbeitslos ist, da die meisten Jugendlichen Deutschland 6,2 aufgrund von Schule und Ausbildung dem Ar- Österreich 7,5 beitsmarkt gar nicht zur Verfügung stehen. Dennoch gehen zwischen 15 % und 20 % der Finnland 10,6 Jugendlichen in Griechenland, Spanien oder Polen 11,0 Italien weder einem Beruf noch einer schu- lischen, beruflichen oder universitären Aus- Frankreich 11,9 bildung nach (Eurostat, 2016c). Im Vergleich dazu liegt die sog. NEET-Rate („Not in Emplo- EU 28 12,0 yment, Education or Training“), d. h. der Anteil Spanien 15,6 der Jugendlichen ohne Job, Schul- oder Aus- bildungsplatz, in Deutschland mit 6,2 % nach Griechenland 17,2 den Niederlanden auf dem niedrigsten Wert Italien 21,4 innerhalb der EU (Eurostat, 2016c). Notwendig für den Abbau der Jugendarbeitslosigkeit sind Reformen zur Stärkung der Wettbewerbsfä- *NEET („Not in Employment, Education or Training“): higkeit. In Mitgliedstaaten, die bereits vor der Anteil der jungen Menschen, der weder einer Beschäftigung n achgeht noch sich in Krise notwendige Strukturreformen auf dem schulischer, betrieblicher oder Hochschulausbildung befindet Arbeitsmarkt durchgeführt haben, sind auch dank dieser Reformen die Jugendarbeitslo- Quelle: Eurostat, 2016c sigkeit sowie die Arbeitslosigkeit insgesamt deutlich geringer.
Die Mär von der „prekären Arbeitswelt“ in Deutschland und andere Legende 13 IE MÄR VON DER „PREKÄREN D ARBEITSWELT“ IN DEUTSCHLAND UND ANDERE LEGENDEN „Die Hartz-Reformen zielten neben der Verbesserung der Ar- beitsvermittlung vor allem auf die Etablierung neuer Beschäf- tigungsformen, die Normalarbeitsverhältnisse nicht ersetzen, sondern ergänzen sollten. Genau diese Entwicklung prägt heute die wirtschaftliche Dynamik im Land.“ Sigmar Gabriel und Andrea Nahles, Gastbeitrag in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 25. Januar 2015
14 BDA | FAKTEN STATT ZERRBILDER – DIE REALITÄT AUF DEM DEUTSCHEN ARBEITSMARKT 2a Flexible Beschäftigungsverhältnisse schaffen Arbeit und ermöglichen Teilhabe ZERRBILD FAKTEN „Vier von zehn Beschäftigten in Deutschland arbeiten nicht in ei- nem Normalarbeitsverhältnis, sondern in atypischer Beschäfti- 2015 waren mit 23 % der ab- gung wie Minijobs, Teilzeit und Leiharbeit. Ihr Anteil an allen Ar- hängig Beschäftigten deutlich beitsverhältnissen ist von 2013 auf 2014 sogar leicht gestiegen.“ weniger flexibel beschäftigt als noch 2006 mit knapp 26 % DGB, „Leiharbeit, Teilzeit, Minijobs: 40 Prozent atypisch (Stat. Bundesamt, 2016e). beschäftigt“, www.dgb.de, 13. April 2015 Der Anteil der flexibel Beschäftigten an der Bevölkerung Zwischen 2006 und 2015 sind rd. 2,7 Mio. ist zwischen 2006 und 2015 konstant geblieben. Dagegen neue „Normalarbeitsplätze“ entstanden, ist der Anteil der Erwerbslosen gesunken und der Anteil die flexible Beschäftigung ist hingegen der „Normalarbeitnehmer“ gestiegen (Stat. Bundesamt, um 40.000 gesunken (Stat. Bundesamt, 2016e). 2016e). Für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmer sind flexible Beschäftigungsformen 2,7 MIO. ZUSÄTZLICHE „NORMALARBEITSPLÄTZE“ (geringfügige Teilzeit, Minijob, Zeitarbeit, Be- SEIT 2006 fristung) der einzig mögliche Einstieg in Er- werbstätigkeit. Beschäftigte in flexiblen und sog. Normalarbeitsverhältnissen in Mio. Entgegen zahlreichen falschen Behaup- tungen insbesondere von Gewerkschaftsseite 25,0 gab es in den vergangenen zehn Jahren keine Ausweitung von flexiblen Beschäftigungsfor- 24,8 men. Zwischen 2006 und 2015 waren rd. 14 % 22,5 der 15- bis 64-Jährigen flexibel beschäftigt. Deutlich gestiegen ist aber der Anteil der 20,0 Normalarbeitsverhätnisse Menschen im erwerbsfähigen Alter, die ei- … nem sog. Normalarbeitsverhältnis nachge- hen: von 40 % auf 47 %. Der Anteil derjenigen, 10,0 die arbeitslos sind bzw. keiner Beschäftigung nachgehen, ist erfreulicherweise von 33 % 7,5 auf 26 % gesunken (Stat. Bundesamt, 2016e). Flexible Beschäftigung 7,5 Gerade flexible Beschäftigungsformen 5,0 haben in der Vergangenheit dazu beige- tragen, dass viele Geringqualifizierte und 2,5 Langzeitarbeitslose den Weg zurück in den 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Arbeitsmarkt gefunden haben. Im Jahr 2015 waren über 40 % der abhängig Beschäftigten Quelle: Statistisches Bundesamt, 2016e ohne Berufsausbildung in flexiblen Beschäf- tigungsverhältnissen tätig (Stat. Bundesamt, 2016f).
Die Mär von der „prekären Arbeitswelt“ in Deutschland und andere Legende 15 Beschäftigte wollen Flexibilität Flexible Beschäftigungsformen werden zu „NORMALARBEITSVERHÄLTNIS“ AUF DEM Unrecht als „atypisch“ oder gar „prekär“ VORMARSCH – FLEXIBLE BESCHÄFTIGUNG diffamiert. Unter „atypisch“ werden alle Be- schäftigungsverhältnisse zusammengefasst, BLEIBT KONSTANT die vom „Normalarbeitsverhältnis“ (u. a. Entwicklung der Beschäftigungsformen als Anteil an den vom Statistischen Bundesamt aufgefasst als 15- bis 64-Jährigen insgesamt, in % unbefristete Vollzeit- oder vollzeitnahe Tä- tigkeit mit voller Sozialversicherungspflicht und Identität von Arbeitgeber und Arbeitsort) abweichen. Dabei arbeiten knapp 50 % der 26 nicht erwerbstätig/ beschäftigten Frauen bewusst in Teilzeit oder arbeitslos in einem Minijob. Der Hälfte der beschäftig- 33 ten Frauen deswegen das eindeutig negative Etikett „atypisch“ anzuheften, ist eine rein politisch motivierte Verzerrung der Reali- 14 flexible Beschäftigung tät. Flexible Beschäftigungsformen sind zu einem nicht unerheblichen Teil von den Be- 14 schäftigten erwünscht und erhöhen ihre Teil- 7 Selbstständige habemöglichkeiten am Arbeitsmarkt: Teilzeit und geringfügige Beschäftigung erleichtern 7 die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Mini- jobs geben die Gelegenheit zu einem kleinen Hinzuverdienst, Zeitarbeit und befristete Be- schäftigung unterstützen nachweislich den 47 Normalarbeitsverhältnis (Wieder-)Einstieg ins Berufsleben. 40 Falsch ist auch die Behauptung, dass fle- xible Beschäftigung zu immer mehr instabi- len Arbeitsverhältnissen geführt hat: So ist die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit 5 6 in Bildung oder Ausbildung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in einem Betrieb zwischen 2000 und 2015 von 2006 2015 zehn auf elf Jahre sogar gestiegen (OECD, 2016b). Quellen: Statistisches Bundesamt, 2016e; Eurostat, 2016f; eigene Berechnungen
16 BDA | FAKTEN STATT ZERRBILDER – DIE REALITÄT AUF DEM DEUTSCHEN ARBEITSMARKT 2b Teilzeit fast immer aus privaten Gründen gewollt ZERRBILD FAKTEN „Viele Frauen in Minijobs und Teilzeit würden ihre Arbeitszeit gerne ausweiten, stoßen beim Arbeitgeber aber auf taube Oh- Knapp 90 % der teilzeitbeschäf- ren. So bleiben sie, oft ihr gesamtes Berufsleben lang, in der tigten Frauen gehen aus privaten Teilzeit-Falle stecken.“ Gründen keiner Vollzeittätigkeit nach, z. B. wegen familiärer Ver- Elke Hannack, stellvertretende DGB-Vorsitzende, pflichtungen (Eurostat, 2016e). Pressemitteilung vom 7. März 2016 Die Teilzeitquote – also der Anteil der Teilzeitbe- Wachsende Teilzeit ist auch das Resultat einer deut- schäftigten an allen sozialversicherungspflich- lich gestiegenen Erwerbsbeteiligung von Frauen. tig Beschäftigten – hat sich in den vergangenen Im Jahr 2015 gingen knapp 74 % aller Frauen (20- Jahren erhöht und lag im Juni 2015 bei rd. 27 % bis 64-Jährige) einer Erwerbstätigkeit nach, 2000 (BA, 2017b). waren es nur knapp 61 % (Eurostat, 2016d). Wie widersinnig es ist, gegenüber der unbe- der Sprung direkt in eine Vollzeitbeschäfti- fristeten Vollzeittätigkeit alle anderen Be- gung gelingt bei diesem Personenkreis deut- schäftigungsverhältnisse als „atypisch“ oder lich seltener (IAB, 2013a). gar „prekär“ herabzuqualifizieren, macht das Beispiel der Teilzeitbeschäftigung ganz be- Heute arbeiten rd. 46 % aller sozialver- sonders deutlich: In den vergangenen Jah- sicherungspflichtig beschäftigten Frauen ren ist die Erwerbsbeteiligung von Frauen in Teilzeit (BA, 2016c), andere wollen gezielt erfreulicherweise deutlich gestiegen. Sehr das Haushaltseinkommen mit einem Minijob viele Mütter entscheiden sich nach der El- aufbessern. Insgesamt übten nach Angaben ternzeit bewusst und aus unterschiedlichs- des Statistischen Bundesamts im Jahr 2016 ten Gründen für eine Teilzeittätigkeit. In der knapp 34 % aller abhängig beschäftigten Regel sind besondere Wünsche des Arbeitge- Frauen eine Erwerbstätigkeit aus, die in die bers da gar nicht im Spiel. Die Ausweitung der Kategorie „atypisch“ fiel (Stat. Bundesamt, Teilzeit war daher auch politisch gewollt: Im 2016e). Die Herabwürdigung der in den aller- Jahr 2001 wurde der rechtliche Anspruch auf meisten Fällen freiwillig gewählten Erwerbs- Teilzeit gesetzlich verankert. Über 80 % der normalität von mehr als einem Drittel aller teilzeitbeschäftigten Frauen geben an, mit ih- beschäftigten Frauen geht damit völlig fehl. rer Arbeitszeit zufrieden zu sein (IAB, 2016d). Rahmenbedingungen für V ollzeit- Teilzeitbeschäftigung schafft und vollzeitnahe Beschäftigung Teilhabechancen verbessern Teilzeitbeschäftigung verbessert insgesamt Der hohe Anteil von Frauen, die nicht in Voll- die Teilhabechancen für teilweise sehr be- zeit erwerbstätig sind, hat allerdings auch nachteiligte Nichterwerbstätige: 2012 waren dazu geführt, dass die Arbeitsmarktpotenzi- rd. 22 % der neu eingestellten Teilzeitbe- ale vieler gut qualifizierter Frauen teilweise schäftigten zuvor entweder langzeitarbeits- ungenutzt bleiben. Zudem sind reduzierte Ar- los oder nicht erwerbstätig (Stille Reserve); beitszeiten bei Frauen ein wesentlicher Grund
Die Mär von der „prekären Arbeitswelt“ in Deutschland und andere Legende 17 für Lohnunterschiede (IW, 2013). Wer weniger arbeitet, erwirbt weniger berufliche Erfah- rung und Kenntnisse und hat damit weniger ÜBER 80 % DER TEILZEITBESCHÄFTIGTEN FRAUEN gute berufliche Karriere- und Verdienstchan- SIND MIT IHRER ARBEITSZEIT ZUFRIEDEN cen. Dies sollte sich Deutschland allein schon aufgrund der demografischen Entwicklung Wünsche nach Veränderung der Arbeitszeit bei teilzeitbeschäftigten und wachsender Fachkräfteengpässe nicht Frauen, Anteile in % länger leisten. Die deutsche Wirtschaft setzt sich daher mit Nachdruck dafür ein, die Vo- raussetzungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter zu verbessern, damit mehr Teilzeitbeschäftigten die Möglichkeit offen- kein Änderungswunsch, steht, einer vollzeitnahen Tätigkeit nachzu- mit Arbeitszeit zufrieden gehen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss vor al- 82 lem der bedarfsgerechte Ausbau einer qua- litativ hochwertigen Kinderbetreuungsinfra- struktur und von Ganztagsschulangeboten endlich höchste Priorität erhalten. Gerade Wunsch nach im internationalen Vergleich hat Deutschland Verlängerung 18 hier noch großen Nachholbedarf. oder Verkürzung Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 2016d
18 BDA | FAKTEN STATT ZERRBILDER – DIE REALITÄT AUF DEM DEUTSCHEN ARBEITSMARKT 2c Zeitarbeit: ein vollwertiges Arbeitsverhältnis ZERRBILD FAKTEN „Auch bei der Leiharbeit brauchen wir eine stärkere Regulierung und eine Ein- dämmung. Gibt es doch zahlreiche Unternehmen, in denen Leiharbeit nicht mehr Zeitarbeit ist in die Ausnahme, sondern die Regel ist.“ Deutschland kein Massenphäno- Stefan Körzell, DGB-Vorstandsmitglied men: 2015 wa- Interview in der „Landeszeitung Lüneburg“ vom 1. August 2014 ren nur 2,5 % der abhängig Be- schäftigten in der Zeitarbeit bietet Chancen gera- „Bei deutschen Arbeitslosen steigt die Zeitarbeit tätig de für Arbeitslose: Im zweiten Wahrscheinlichkeit, aufgrund einer (BA, 2016d; IAB, Halbjahr 2015 waren fast 70 % Tätigkeit in der Zeitarbeit später eine 2016e). der neu eingestellten Zeitar- Tätigkeit außerhalb der Zeitarbeit zu beitnehmer vorher ohne Be- finden, um 15 %. Bei arbeitslosen Aus- schäftigung, knapp ein Viertel ländern steigt die Wahrscheinlichkeit war vorher langzeitarbeitslos im Durchschnitt um 17 %, bei türkischen oder noch nie beschäftigt (BA, Arbeitslosen um 18 %“ (IAB-Kurzbericht 2016d). 19/2016, 2016f). Zeitarbeit ist kein zweitklassiger „Ersatzjob“, wie oft behauptet wird, sondern ein vollwer- NUR 2,5 % DER ABHÄNGIG tiges Arbeitsverhältnis, das dem gleichen ar- BESCHÄFTIGTEN ARBEITEN beits- und sozialrechtlichen Schutz wie ande- re Beschäftigungsverhältnisse unterliegt. Die IN DER ZEITARBEIT Bezahlung erfolgt fast zu 100 % nach Tarifver- Anteil der Zeitarbeiterinnen und -nehmer trag mit der entsprechenden sozialen Absi- an allen abhängig Beschäftigten in % cherung. Zudem wird in der Zeitarbeit zu 90 % in Vollzeit gearbeitet. Insgesamt findet auch 2,5 Zeitarbeit keine Verdrängung von Stammbelegschaften durch Zeitarbeitnehmer statt. Vielmehr zei- gen Untersuchungen des Instituts für Arbeits- markt- und Berufsforschung, dass Zeitarbeit zusätzliche Jobs geschaffen hat (IAB, 2013b). Zeitarbeit müsste dem sog. Normalarbeits- verhältnis zugerechnet werden. Aber das passt 97,5 nicht zur gewollten Stigmatisierung. Das Krite- rium der fehlenden Identität von Arbeitsplatz Beschäftigung und Arbeitgeber ist eine äußerst fragwürdige außerhalb der Zeitarbeit Begründung, um Zeitarbeit als „atypisch“ und „prekär“ herabzuqualifizieren. Schließlich ar- beiten heute bereits viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in verschiedenen Branchen Quellen: Bundesagentur für Arbeit, 2016d; Institut für nicht unmittelbar in dem Unternehmen, zu dem Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 2016e; eigene sie im Arbeitsverhältnis stehen. Sie führen viel- Berechnungen mehr auf Baustellen oder in „fremden“ Betrie- ben Aufgaben für „fremde“ Auftraggeber aus,
Die Mär von der „prekären Arbeitswelt“ in Deutschland und andere Legende 19 so z. B. Beratungs- oder IT-Dienstleistungen. Zeitarbeit – unverzichtbares Niemand würde auf die Idee kommen, solche Flexibilisierungsinstrument Arbeitsverhältnisse deshalb als „nicht normal“ zu bezeichnen. Zeitarbeit ist zudem aus betrieblicher Sicht ein unverzichtbares Instrument zur flexiblen Steuerung des Personaleinsatzes, um stark Einstieg in Beschäftigung durch schwankende Auftragseingänge und Absatz- Zeitarbeit zahlen oder auch kurzfristige, vorübergehen- de Personalausfälle abfedern zu können. Von Zeitarbeit ist eine wichtige Beschäftigungs- dieser Flexibilität profitieren alle Beschäftig- chance, vor allem für Geringqualifizierte und ten eines Unternehmens. Langzeitarbeitslose. Für viele dieser Men- schen wäre die Alternative zur Zeitarbeit Durch Zeitarbeit können sich Unterneh- oft nicht ein Beschäftigungsverhältnis beim men besser an bestimmte Situationen an- Kundenunternehmen, sondern die Arbeits- passen, was allein mit der Stammbelegschaft losigkeit. Rund 53 % der Zeitarbeitsstellen häufig nicht möglich wäre. Dieser Flexibili- sind auf Helferniveau angesiedelt (BA, 2016d) tätsgewinn geht nicht auf Kosten der Arbeit- und gerade deswegen auch für Geringqua- nehmerinnen und Arbeitnehmer. Vielmehr lifizierte eine gute Joboption. Über 30 % der übernehmen die Zeitarbeitsunternehmen Arbeitslosengeld-II-Empfänger, die aus Ar- das Beschäftigungsrisiko und stellen Zeitar- beitslosigkeit heraus eine Beschäftigung beitnehmer überwiegend unbefristet an. In aufnehmen, finden über die Zeitarbeit in den überlassungsfreien Phasen investieren zu- Arbeitsmarkt zurück (IAB, 2016g). Zeitarbeit dem viele in die Weiterbildung ihrer Mitarbei- ist für viele Menschen der Einstieg in eine Be- terinnen und Mitarbeiter. Ohne den Einsatz schäftigung auch in anderen Branchen. Ein von Zeitarbeit müssten viele Unternehmen Viertel der Arbeitslosen, die in der Zeitarbeit bei einem konjunkturellen Einbruch Stamm- einen Job finden, nimmt innerhalb eines Jah- arbeitnehmer entlassen. res eine Beschäftigung in einer Branche au- ßerhalb der Zeitarbeit auf (BA, 2016d). ZEITARBEIT BIETET BESCHÄF- BESCHÄFTIGUNGSZUWACHS FAND INSBESONDERE TIGUNGSMÖGLICHKEITEN FÜR AUSSERHALB DER ZEITARBEIT STATT! GERINGQUALIFIZIERTE Abhängig Beschäftigte in der Zeitarbeit und abhängig Beschäftigte Struktur der Zeitarbeitnehmer nach außerhalb der Zeitarbeit, in Tsd. A nforderungsniveau der Tätigkeit, in % 38.500 4 Experte 38.000 5 Spezialist 37.500 Beschäftigte außerhalb der Zeitarbeit 37.000 38 Fachkraft 36.500 36.000 35.500 35.000 … 1.000 53 Helfer 500 Beschäftigte in der Zeitarbeit 0 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Quellen: Bundesagentur für Arbeit, 2016d; Institut für Arbeitsmarkt- und Berufs Quelle: Bundesagentur für Arbeit, 2016d forschung, 2016e; eigene Berechnungen
20 BDA | FAKTEN STATT ZERRBILDER – DIE REALITÄT AUF DEM DEUTSCHEN ARBEITSMARKT 2d Befristungen erleichtern Einstieg ins Berufsleben ZERRBILD FAKTEN „Überall in der OECD erhalten Berufsanfänger weit häu- figer befristete Arbeitsverträge als erfahrene Angestell- Die OECD gelangt zu ihrer Bewertung, te. In Deutschland ist der Graben zwischen den 15- bis dass jeder zweite unter 25-Jährige 24-Jährigen und den 25- bis 54-Jährigen so groß wie in bedauerlicherweise nur befristet be- kaum einem anderen Land. […] Während in der älteren schäftigt sei, nur über einen skandalö- Gruppe nur jeder Zehnte einen befristeten Vertrag hat, ist sen „Trick“: Sie zählt die große Gruppe es bei den Jüngeren gut jeder Zweite.“ der rd. 1,3 Mio. jungen Menschen in Ausbildung zu dieser „benachteiligten“ OECD, Pressemitteilung vom 27. Mai 2015 Gruppe, obwohl sie dank Ausbildungs- vertrag doch auf dem besten Weg in qualifizierte und dauerhafte Beschäf- Der Anteil der befristet Be- Über 60 % der Neu- tigung sind. Erstausbildung hat ein na- schäftigten an allen abhängig einstellungen in der türliches Ende (die Prüfung) und muss Erwerbstätigen liegt seit Jah- Privatwirtschaft er- zwangsläufig befristet sein. Tatsäch- ren unter 10 %, zuletzt 2015 bei folgen unbefristet lich sind nur 21 % der Jugendlichen be- 7,8 % (Stat. Bundesamt, 2016g), (IAB, 2015a). fristet beschäftigt (IAB, 2015a). in der Privatwirtschaft sogar nur bei 6,7 % (IAB, 2015a). Befristete Arbeitsverhältnisse sind für Be- Nur wenige befristet Beschäftigte rufsanfänger und Berufsrückkehrer ein in der Privatwirtschaft wichtiges und akzeptiertes Modell für den Einstieg in den Arbeitsmarkt. Entsprechend Grundsätzlich sind in der Privatwirtschaft sind Jüngere häufiger befristet beschäftigt über 60 % der Arbeitsverträge bei Neuein- als Ältere. Aber die wenigsten empfinden das stellungen unbefristet (IAB, 2015a). Auch als Problem, weil sie wissen, dass sie zum deswegen liegt der Anteil der befristeten Ar- größten Teil anschließend übernommen wer- beitsverhältnisse an allen abhängig Beschäf- den. Tatsächlich sind die Übernahmequoten tigten seit Jahren unter 10 %, zuletzt bei 7,8 % beachtlich gestiegen: In der Privatwirtschaft (Stat. Bundesamt, 2016g). In der Privatwirt- erhalten drei Viertel der befristet Beschäftig- schaft waren sogar nur 6,7 % der Beschäftig- ten (75 %) eine Beschäftigungsperspektive im ten befristet (IAB, 2015a). Zu einem gehäuf- gleichen Betrieb, davon werden 42 % direkt ten Einsatz von befristeten Arbeitsverträgen übernommen und 33 % verlängert; 2009 wa- kommt es insbesondere dort, wo Stellen von ren es „nur“ 62 % (IAB, 2015a). öffentlichen Haushalten und von Fördermit- teln abhängen. Somit finden sich Befristun- gen überdurchschnittlich oft im öffentlichen Dienst, in Universitäten und in Forschungs- einrichtungen und weniger in der Privatwirt- schaft (IAB, 2015a).
Die Mär von der „prekären Arbeitswelt“ in Deutschland und andere Legende 21 Befristungen verbessern Einstellungschancen DREI VIERTEL DER BEFRISTET BESCHÄFTIGTEN Befristungen steigern die Einstellungschan- ERHALTEN ANSCHLUSSPERSPEKTIVE IM SELBEN cen für Menschen ohne Berufserfahrung oder mit langer Erwerbsabstinenz und kön- BETRIEB nen Arbeitslosigkeit verhindern oder been- Anteil der Übernahmen und Verlängerungen von befristet Beschäftigten den. Sie ermöglichen somit soziale Teilhabe in der Privatwirtschaft in % und verdienen Unterstützung in Politik und Gesellschaft und keine Diffamierung als „atypisch“. 33 30 33 31 32 Befristung ermöglicht f lexible 29 Verlängerungen Arbeitsgestaltung Für Unternehmen sind Befristungen unver- 44 zichtbar, um gerade auch familienbedingte 41 42 42 (temporäre) berufliche Auszeiten (z. B. auf- 37 grund von Teilzeitarbeit oder Eltern- und 32 Pflegezeiten) auszugleichen, die Vereinbar- keit von Beruf und Familie zu erhöhen und Übernahmen somit die Erwerbsbeteiligung besonders von Frauen zu stärken. Je besser die betriebli- chen Möglichkeiten sind, familienbedingte berufliche Auszeiten personalwirtschaftlich 2009 2010 2011 2012 2013 2014 zu kompensieren, desto besser sind auch die Möglichkeiten, solche Modelle zur flexiblen Arbeitsgestaltung anzubieten. Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 2015a ANTEIL DER BEFRISTUNGEN SEIT JAHREN AUF GERINGEM NIVEAU Anteil der befristet und unbefristet Beschäftigten an allen abhängig Beschäftigten in % 91,4 90,8 90,9 90,8 91,1 90,8 90,9 91,6 92,0 92,3 92,2 Unbefristet Beschäftigte 8,6 9,2 9,1 9,2 8,9 9,2 9,1 8,4 8,0 7,7 7,8 Befristet Beschäftigte 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Quelle: Statistisches Bundesamt, 2016e
22 BDA | FAKTEN STATT ZERRBILDER – DIE REALITÄT AUF DEM DEUTSCHEN ARBEITSMARKT 2e Minijobs: unverzichtbar ZERRBILD FAKTEN Minijobs sind für Ar- „Die meisten Minijobber wollen länger arbeiten und auch mehr verdienen. Vom Minijobsystem beitgeber teurer als Über 50 % der aus- profitieren nur die Arbeitgeber, eine Brücke in sozialversicherungs- schließlich gering- reguläre Beschäftigung sind die Minijobs nicht.“ pflichtige Beschäfti- fügig Beschäftigten gungsverhältnisse: sind unter 25 oder www.dgb.de > Arbeit und trotzdem arm: Anstelle des Arbeit- über 60 Jahre alt Ungesicherte Beschäftigung – Herausforderung geberbeitrags zur So- (BA, 2016c), d. h., es für Gewerkschaften und Politik, 8. April 2016 zialversicherung von handelt sich über- rd. 20 % bezahlt der wiegend um Schü- Arbeitgeber bei Mini- ler, Studierende jobs eine Pauschal- Minijobs meist eige- Besonders bei Men- oder Rentner, die abgabe i. H. v. rd. 30 % ner Wunsch: Über schen, die vor ihrem nicht primär auf des Bruttolohns. 80 % der Minijob- Minijob lange Zeit eine andere Tätig- ber sind mit ihrer ohne Beschäftigung keit am ersten Ar- Arbeitszeit zufrie- waren, erhöht ein beitsmarkt bedacht den und wünschen Minijob die langfristi- sind und nicht vom sich keinen größe- gen Chancen auf eine Minijob allein „le- ren Stundenumfang sozialversicherungs- ben müssen“. (IAB, 2016d). pflichtige Beschäfti- gung (IAB, 2016). Die Zahl der ausschließlich geringfügig Be- Über 80 % der Minijobber lassen sich be- schäftigten lag zwischen 2006 und 2014 kon- wusst von der Rentenversicherungspflicht stant bei knapp 5,1 Mio. und ist zuletzt auf befreien (Minijob-Zentrale, 2016). Das zeigt, 4,9 Mio. gesunken, obwohl gleichzeitig die dass sie mit ihrem Minijob nicht zur Alters- sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sicherung beitragen wollen, sondern sich et- um 5 Mio. gestiegen ist (BA, 2017b). Eine Ver- was dazuverdienen möchten. Insbesondere drängung sozialversicherungspflichtiger Be- geringfügig und teilzeitbeschäftigte Frauen schäftigung fand nicht statt. entscheiden sich oft aus familiären Gründen gegen eine Vollzeit- oder vollzeitnahe Tätig- Minijobs ermöglichen Menschen Teilha- keit, etwa wegen der Betreuung und Erzie- be am Erwerbsleben, die keine umfangrei- hung von Kindern. Selbstverständlich muss che Erwerbstätigkeit anstreben, sich aber es aber das Ziel sein, dass möglichst viele dennoch etwas hinzuverdienen möchten. Frauen, die keiner anderen Beschäftigung Dies gilt besonders für Schüler, Studierende nachgehen, eine vollzeitnahe Tätigkeit auf- und Rentner, aber auch für (Ehe-)Partner im nehmen – gerade auch mit Blick auf den Auf- Haushalt, die zum Familieneinkommen bei- bau einer tragfähigen Altersvorsorge. Des- tragen, aber nur in geringem Stundenumfang wegen muss der Ausbau von hochwertigen, arbeiten möchten. bedarfsgerechten und bezahlbaren Kinder- betreuungs- und Ganztagsschulangeboten weiter voranschreiten.
Die Mär von der „prekären Arbeitswelt“ in Deutschland und andere Legende 23 Steuer- und Sozialversicherungs Minijobs gerade in Stoßzeiten recht schafft Fehlanreize unverzichtbar Zudem setzen das Ehegattensplitting mit den Minijobs helfen gerade kleinen Unternehmen, Steuerklassen III und V sowie die beitrags- z. B. bei langen Öffnungszeiten, besonde- freie Mitversicherung von Ehegatten oftmals rer Kundenorientierung und schwankender Fehlanreize gegen eine umfangreichere Tä- Nachfrage, Beschäftigte passgenau einzu- tigkeit. Knapp 40 % der Minijobber geben an, setzen. Hinzu kommt, dass die sozialversi- dass sie aus steuerlichen Gründen lediglich cherungsrechtliche Abwicklung eines Mini- einen Minijob ausüben (IAB, 2015b). Ein erster jobs unbürokratisch erfolgt. Diese Vorteile Schritt, den Übergang in eine sozialversiche- überwiegen den Nachteil, dass Minijobs für rungspflichtige Beschäftigung zu erleichtern, Arbeitgeber teurer sind als sozialversiche- wäre daher die Abschaffung der Steuer- rungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. klasse V, da diese die Zweitverdiener eines Haushalts hoch belastet und damit eine Be- Minijobber unterliegen demselben arbeits- schäftigungsausweitung vielfach unattraktiv rechtlichen Schutz wie voll sozialversiche- erscheinen lässt. rungspflichtig Beschäftigte. Jedoch bestehen darüber noch immer sowohl auf Seiten der Arbeitgeber als auch der Beschäftigten Infor- Minjobs bekämpfen mationsdefizite. Die BDA und ihre Mitglieds- Schwarzarbeit verbände werden weiterhin mit verschiedenen Formaten über Rechte und Pflichten im Ar- Die im Jahr 2003 reformierten Minijobs leis- beitsrecht informieren und aufklären. ten einen wesentlichen Beitrag zur Bekämp- fung der Schwarzarbeit, denn sie schaffen unbürokratische und legale Beschäftigungs- möglichkeiten, die ansonsten teilweise in die Schwarzarbeit fallen würden. Allein in Pri- BOOM BEI SOZIALVERSICHERUNGSPFLICHTIGER vathaushalten hat sich die Zahl angemeldeter BESCHÄFTIGUNG – STAGNATION BEI MINIJOBS Minijobber z. B. seit 2004 auf über 300.000 verdreifacht (Minijob-Zentrale, 2016). Würden Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und ausschließlich Minijobs abgeschafft, würde das Volumen der geringfügig entlohnte Beschäftigung zum 30. Juni in Mio. Schattenwirtschaft um rd. 7 Mrd. € steigen (IAW, 2013). 32,5 31,4 Attraktive Gelegenheiten zum 30,0 30,2 Nebenerwerb nehmen zu 29,3 27,5 28,0 27,7 Ein Minijob kann auch nicht pauschal mit ge- ringer Entlohnung gleichgesetzt werden: 26,5 25,0 Während die Zahl der ausschließlich als Mini- … jobber Beschäftigten seit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns sinkt, nimmt die 7,5 Zahl der Minijobber im Nebenerwerb zu, weil der steigende Bedarf an Arbeitskräften mehr 5,0 attraktive Gelegenheiten zum Nebenerwerb 5,0 5,0 5,1 5,0 5,1 4,9 schafft. Insbesondere in Süddeutschland, wo 2,5 beinahe Vollbeschäftigung herrscht und Fach- kräfteengpässe auftreten, nehmen Beschäf- 0 tigte die Gelegenheit zu einem Zusatzverdienst 2006 2008 2010 2012 2014 2016 über einen Minijob wahr (BA, 2016e). Es gibt keine Hinweise dafür, dass Nebenerwerbstä- tige hauptsächlich aus der Not heraus einen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte zusätzlichen Minijob ausüben. Vielmehr haben ausschließlich geringfügig entlohnte Beschäftigte Beschäftigte mit Nebenerwerb bereits in ih- rem Hauptberuf einen höheren durchschnitt- Quelle: Bundesagentur für Arbeit, 2017b lichen Stunden- und Monatslohn als Beschäf- tigte ohne Nebenerwerb (IW Köln, 2015).
24 BDA | FAKTEN STATT ZERRBILDER – DIE REALITÄT AUF DEM DEUTSCHEN ARBEITSMARKT 2f „Aufstocken“ verhindert Armut und schafft Chancen ZERRBILD FAKTEN „Die Top-Einkommen boomen, während sich Millionen Vollzeit- arbeiter ihren Lohn auf dem Amt aufstocken lassen müssen. Über 80 % der „Aufstocker“ üben [...] Ein gesetzlicher Mindestlohn ist sozial gerecht, weil jeder, lediglich eine Teilzeitbeschäfti- der den ganzen Tag arbeitet, von seiner Hände Lohn auch leben gung oder einen Minijob aus und können muss.“ sind wegen geringer Arbeitszeit auf ergänzendes Arbeitslosen- Peer Steinbrück, Rede am 8. April 2013 geld II angewiesen (BA, 2016f). Wenn Vollzeitbeschäftigte „aufstocken“, dann regelmäßig aufgrund Rund 80 % aller vollzeitbe von familienbedingten Mehrbedarfen und nicht wegen geringer schäftigten Arbeitslosengeld- Löhne: Der Arbeitslosengeld-II-Anspruch eines verheirateten Al- II-Bezieher leben in Mehrper leinverdieners mit zwei Kindern in Berlin erlischt z. B. erst vollstän- sonen-Bedarfsgemeinschaften dig bei einem Bruttostundenlohn von mehr als 15 €/Std. (BA, 2016f). Ein weiteres Beispiel für die verzerrte Dar- eigenes Erwerbseinkommen von Arbeitslo- stellung der Arbeitsmarktlage ist die Diskus- sengeld-II-Beziehern, die kleine und kleinste sion über sog. Aufstocker, also Erwerbstäti- Hinzuverdienste besonders attraktiv machen. ge, die neben ihrem Einkommen ergänzendes Arbeitslosengeld II erhalten. Dass in der Regel nicht geringe Löhne der Grund für die Aufstockung sind, zeigt sich auch daran, dass die Einführung des gesetz- Die Hälfte der Aufstocker hat nur lichen Mindestlohns keinen wesentlichen Minijob Beitrag zum Abbau der Zahl der Aufstocker geleistet hat. Parallel zur Mindestlohneinfüh- Die Ursachen für den Grundsicherungsbe- rung ging die Zahl der Aufstocker nur gering- zug bei Erwerbstätigkeit liegen bei einer fügig zurück. geringen Arbeitsstundenzahl oder fami- lienbedingten Mehrbedarfen und nicht an zu niedrigen Löhnen: 97 % der rd. 1,1 Mio. Aufstockung ≠ „Arm trotz Arbeit“ abhängig beschäftigten Aufstocker haben lediglich eine Teilzeitbeschäftigung bzw. ei- Dass ein ergänzender Arbeitslosen- nen Minijob oder leben in Mehrpersonenbe- geld-II-Bezug trotz Erwerbstätigkeit nicht darfsgemeinschaften (BA, 2016f). Die Hälfte mit „Arm trotz Arbeit“ gleichgesetzt werden der Aufstocker übt einen Minijob mit einem kann, zeigt schon ein einfaches Beispiel: Wür- Einkommen von höchstens 450 € aus, mehr de man den Grundsicherungsregelsatz deut- als 30 % sind teilzeitbeschäftigt (BA, 2016f). lich anheben – was vielfach zur vermeintli- In der Regel wird also nicht ein zu geringer chen Bekämpfung von Armut gefordert wird, Lohn mit Arbeitslosengeld II aufgestockt, dann würde die Zahl der Leistungsberechtig- sondern genau umgekehrt: Die fast unge- ten steigen. Das heißt, viele Menschen, die schmälerte Grundsicherungsleistung wird bisher kein ergänzendes Arbeitslosengeld II mit geringem Arbeitseinsatz durch einen beziehen, könnten dies dann beantragen. Ge- Minijob aufgebessert. Ursächlich dafür sind nau das Gegenteil der erwünschten Wirkung vor allem nach wie vor bestehende Fehlan- würde eintreten, die Zahl der Aufstocker wür- reize bei der sog. Freibetragsregelung für de zunehmen.
Die Mär von der „prekären Arbeitswelt“ in Deutschland und andere Legende 25 Das ergänzende Arbeitslosengeld II ist eine Errungenschaft unseres Sozialstaats, die signalisiert, dass sich Arbeiten lohnt, und die anerkennt, dass Menschen im Rahmen ih- ÜBER 80 % DER AUFSTOCKER ÜBEN LEDIGLICH EINE rer Leistungsfähigkeit ihren Lebensunterhalt TEILZEIT- ODER GERINGFÜGIGE BESCHÄFTIGUNG AUS selbstständig sichern wollen. Dort, wo der Verdienst nicht dazu ausreicht, ergänzt der Aufstocker nach Beschäftigungsumfang in %, März 2016 Staat das Einkommen mit Grundsicherungs- leistungen aus Steuermitteln, so dass im Sinne eines Mindesteinkommens das sozio kulturelle Existenzminimum stets gesichert ist. Davon profitieren nicht nur diejenigen, Teilzeit die nur einer einfachen Tätigkeit nachgehen können, sondern auch Menschen, die zwar 48 deutlich über dem Mindestlohn verdienen, aber familienbedingte Mehrbedarfe haben. 35 So erlischt z. B. der Arbeitslosengeld-II-An- Minijob spruch eines verheirateten Alleinverdieners mit zwei Kindern in Berlin erst vollständig bei einem Bruttostundenlohn von mehr als 15 € 17 (bezogen auf eine 38-Stunden-Woche) 2 – ein für geringer Qualifizierte in einfachen Tätig- keiten kaum zu erreichender Betrag. Vollzeit 2 Eigene Berechnungen; es werden 1.202 € Re- gelbedarf, 721 € Kosten der Unterkunft und Heizung sowie ein anrechnungsfreies Erwerbseinkommen Quelle: Bundesagentur für Arbeit, 2016f von 330 € unterstellt. NUR 3 % DER AUFSTOCKER SIND ALLEINSTEHEND UND VOLLZEITBESCHÄFTIGT, 97 % HABEN FAMILIENBEDINGTE MEHRBEDARFE BZW. ARBEITEN NUR IN TEILZEIT ODER MINIJOBS Struktur Aufstocker nach Beschäftigungsumfang und Typ der Bedarfsgemeinschaften, in % (Datenstand März 2016) Paarbedarfsgemeinschaft Alleinstehend und Alleinerziehend und (mit und ohne Kinder) vollzeitbeschäftigt vollzeitbeschäftigt und vollzeitbeschäftigt 3 32 2 18 11 34 0 20 40 60 80 100 Alleinstehend und Alleinerziehend und Paarbedarfsgemeinschaft (mit teilzeit- oder gering teilzeit- oder gering und ohne Kinder) und teilzeit- fügig beschäftigt fügig beschäftigt oder geringfügig beschäftigt Quelle: Bundesagentur für Arbeit, 2016f
26 BDA | FAKTEN STATT ZERRBILDER – DIE REALITÄT AUF DEM DEUTSCHEN ARBEITSMARKT 2g Geeignete Auszubildende händeringend gesucht ZERRBILD FAKTEN Die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplät- „Wirtschaftslobbyis- ten behaupten, keine ze hat sich in den letzten fünf Jahren mehr Rechnerisch gab es im Auszubildenden zu als verdoppelt: Haben die Betriebe 2010 für September 2016 22.900 finden. Dabei bilden rd. 19.600 Ausbildungsplätze keine geeig- mehr unbesetzte Aus- Betriebe zu wenig neten Bewerberinnen und Bewerber gefun- bildungsstellen als un- aus. Hauptschüler den, waren es 2016 über 43.000 (BA, 2016g). versorgte Bewerber. und Geflüchtete ha- Damit ist das neunte ben das Nachsehen.“ Jahr in Folge am Ende Das Engagement der Betrie- des Beratungsjahrs ein DGB, 16. Juli 2016 be für Ausbildung ist konstant Stellenüberhang zu ver- hoch. Obwohl die Zahl der zeichnen (BA, 2016i). Schulabgänger mit Haupt- und Realschulabschluss – Die Einmündungsquo- den Hauptnachfragern nach te von Bewerberinnen Ausbildungsplätzen – seit und Bewerbern mit 2003 um ein Viertel gesun- max. Hauptschulab- ken ist, ist die Zahl der Aus- schluss ist von 2010 bildungsverträge im gleichen bis 2012 um 4,4 % Pro- Zeitraum nur um rd. 6 % ge- zentpunkte gestiegen sunken (BIBB, 2016). (BMBF, 2015). Ein typisches Beispiel für die verzerrte Dar- betrachten. Denn kleine und Kleinstbetrie- stellung des betrieblichen Ausbildungsen- be, die immerhin über 95 % aller Betriebe in gagements ist die Ausbildungsbetriebsquo- Deutschlan ausmachen, haben immer wie- te, deren Rückgang häufig beklagt wird. Die der, aber eben nicht durchgängig Bedarf an Quote trifft jedoch lediglich eine Aussage Auszubildenden. über die prozentuale Beteiligung der ausbil- denden Betriebe an der Gesamtheit aller Be- Erfreulich ist, dass der Anteil der kons- triebe – und zählt dabei auch Unternehmen tant ausbildenden Unternehmen von 42 % im mit, die gar nicht ausbilden dürfen! Zeitraum 2001 bis 2007 auf 47 % im Zeitraum 2009 bis 2014 gestiegen ist (IAB, 2016a). Auch die Quote der Ausbildungsbetriebe, die Ab- 80 % der ausbildungsberechtigten solventinnen und Absolventen unmittelbar in Betriebe bilden aus Beschäftigung übernehmen, ist über alle Be- triebsgrößen hinweg von 56 % im Jahr 2006 Laut IAB-Betriebspanel waren 2014 rd. 53 % auf 68 % im Jahr 2014 deutlich gewachsen aller Betriebe ausbildungsberechtigt. Zwi- (IAB, 2016a). Dies belegt den dringenden Be- schen 2009 und 2014 haben 47 % aller aus- darf der Unternehmen an jungen Fachkräften bildungsberechtigten Betriebe konstant und und die guten Beschäftigungschancen von 33 % mit Unterbrechungen ausgebildet (IAB, Fachkräften mit Berufsabschluss. 2016a). Somit beteiligten sich vier von fünf aller zugelassenen Unternehmen aktiv an Ausbildung! Wichtig ist, die Ausbildungs- beteiligung über mehrere Jahre hinweg zu
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