Sinn ermöglichen - evangelisch-reformierte Landeskirche ...

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Sinn ermöglichen - evangelisch-reformierte Landeskirche ...
magnet
Kirchenblatt für die Evangelisch-reformierten Kirchgemeinden beider Appenzell    AZB 9100 Herisau

                                                                         Januar 2020 Nr.1 107. Jahrgang

                                   ften
        rg e n d e  G  emeinscha
     So                              nie
           P o te n z ia l der Diako

                                                                             Sinn ermöglichen
     Da  s                                 ite 15
                            m   ehr auf Se
      
Sinn ermöglichen - evangelisch-reformierte Landeskirche ...
Biblische Betrachtung

                                  Der Gast ist König
             Jesus hielt sich in Betanien auf, im Hause Simons,
             der an einer schweren Hautkrankheit litt. Als er dort
             zu Tisch lag, kam eine Frau zu ihm mit einer Alabas-
             terflasche voll kostbarem Öl und goss es auf seinen
             Kopf.

             Die Jüngerinnen und Jünger sahen das und wurden är­
             gerlich. Sie sagten: «Was soll diese Verschwendung? Das
             Öl hätte für viel Geld verkauft werden können, das
             dann den Armen gegeben werden könnte.» Da Jesus
             das merkte, sagte er zu ihnen: «Warum macht ihr die­
             ser Frau Vorwürfe? Sie hat eine gute Tat für mich voll­
             bracht.» Mt 26, 6–10

             Jesus als Wanderprediger war zusammen mit seinen
             Freunden oft zu Gast in unterschiedlichsten Häusern.
             Als Mensch ohne festen Wohnsitz und ohne festes Ein-
             kommen war er angewiesen auf die Gastfreundschaft.
             Viele neutestamentliche Erzählungen berichten davon.
             So auch diese im Haus des kranken Simons.
                Und da kommt eine Frau, und setzt noch einen drauf
             auf die übliche Gastfreundschaft, die den Wanderern
             die staubigen Füsse wäscht, sie verköstigt und ihnen
             eine Unterkunft gewährt. Sie ist so richtig verschwen-
             derisch grosszügig. Denn der kostbar duftende Inhalt
             dieser Flasche mit Nardenöl hätte ihr gut und gerne als
             Altersvorsorge dienen können, entsprach doch ihr
             Wert dem Jahreslohn eines Arbeiters (umgerechnet              Die Salbung Jesu
             etwa 21000 Franken). Doch sie salbt damit den Gast            Quelle: Campingkirche, Freizeitcenter Oberrhein, via bibelwelt.de

             und greift eine alttestamentliche Tradition auf, in der
             es Könige waren, die mit dem kostbaren Öl bei ihrer
             Inthronisation gesalbt wurden.
                Kein Wunder, reagieren die Freunde entsetzt, was           Ich finde sie ausgedrückt in der berühmten Erzählung
             hätte man damit nicht alles (Gutes) tun können! Doch          von Tolstoi vom Schuster Martin. Jesus versprach, zu
             Jesus rechtfertigt diese Tat der Liebe und des Segens.        ihm zu Gast zu kommen. Viele Menschen gingen ein
                Ich erinnere mich an einen mutigen Kollegen, der           und aus an diesem Tag, Martin unterstützte sie alle auf
             selbst in einem Sabbatical die Erfahrung machte, als          seine Weise. Aber Jesus kam nicht. Doch als es Nacht
             Obdachloser in Frankreich und Deutschland unter-              wurde, da erschien er und sagte ihm, er sei ihm begeg-
             wegs zu sein. Er erlebte die existenzielle Notwendig-         net in jeder einzelnen Person an diesem Tag. Und das
             keit von Gastfreundschaft, suchte sie bewusst auch            heisst Gastfreundschaft: jeden Menschen so willkom-
             bei kirchlichen Institutionen und Kirchgemeinden, be-         men heissen, als wäre es Christus selbst. Das Kost-
             kam sie oft, aber manchmal wurde sie ihm auch ver-            barste, was wir zu geben haben, ist Liebe, so wie das
             wehrt.                                                        kostbare Öl des Fläschchens. Diese dürfen wir beden-
                Jesu Rechtfertigung dieser Frau lässt mich nachden-        kenlos verschwenden. Und wenn wir dies tun, dann ist
             ken über eine gastfreundliche Kirche. Da sind zum ei-         jeder Gast König!
             nen die kleinen gelebten Zeichen der Gastfreundlich-
             keit. Die Einladung zum Apéro nach jedem Gottes-              Ich wünsche Ihnen ein Jahr mit guten Erfahrungen als
             dienst. Die immer offenen Kirchentüren, die auch dem          Gastgebende und als Gast in und ausserhalb der Kirche.
             fremden Gast einen Moment der Stille schenken. Die               
             Geselligkeit bei vielen Anlässen. Eine Kultur, die die                         Annette Spitzenberg, Pfarrerin in Reute-Oberegg
             Menschen, die kommen, willkommen heisst. Ich wün-
             sche mir von mir und auch von den Menschen, die die
             Kirche gestalten, die Haltung dieser Frau.

MAGNET Nr.1/2020                                                       2
Sinn ermöglichen - evangelisch-reformierte Landeskirche ...
Editorial

                                        Liebe Leserin,
                                        lieber Leser

                                        Eine Geschichte im Alten Testament erzählt wie ein älter geworde­
          Impressum
                                        ner Herr von Dreien besucht wurde. Es war in der Hitze des
 Kirchenblatt für die Evan-
                                        Tages, er döste vor seinem Zelt aber im Schatten. Als er die Drei
 gelisch-reformierten Kirch-
 gemeinden beider Appenzell             auf sich zukommen sah, sprang er auf und nötigte sie, seine Gast­
 (erscheint monatlich)                  freundschaft entgegen zu nehmen. Er schlachtete ein Kitz; seine        Carlos Ferrer, Mitglied der
 Herausgegeben im Auftrag
 der Synode der Evangelisch-
                                        Frau, auch im hohen Alter, bereitete ein Festmahl vor. Während         Redaktionskommission
 reformierten Landeskirche              des Essens versprechen die Gäste dem Paar: Ihr werdet Eltern
 beider Appenzell                       werden. Der Kindersegen war ihnen bis dahin verweigert worden.
 Redaktionskommission
 Carlos Ferrer, Grub-Eggersriet
                                           Eine andere Geschichte erzählt von dem Neffen des Ersten.
 (cf); Judith Husi­stein, Stein (jh);   Auch er bekommt Besuch, von zwei Männern. Er nimmt sie gast­
 Isabelle Kür­steiner, Walzenhau-
 sen (iks); Jonathan Németh,
                                        freundlich auf, in sein Stadthaus. Bald kommen aber die Nach­
 St.Gallen (jn); Annette Spitzen-       barn und wollen, dass er die Fremden hinausschickt. Das will
 berg, Reute-Oberegg (as);              er nicht und bietet ihnen dafür die eigenen Töchter an, was die
 Karin Steffen, Schachen bei
 Reute (ks); Lars Syring, Präs.,        Nachbarn nicht wollen. Sie werden gewalttätig und verlangen,
 Bühler (sy)                            dass die fremden Gäste ausgeliefert werden. Auf wunderbare
 Redaktion
                                        Weise entkommen die Fremden mitsamt der Familie, die Stadt
 Heinz Mauch-Züger (hmz)
 Steinbruggen                           aber bekommt die Vergeltung Gottes zu spüren.1
 9063 Stein                                Gastfreundschaft liegt nah am Herzen unserer Religion. Das
 Tel. 071 278 74 87
 Fax 071 278 74 88                      Gleichnis vom barmherzigen Samariter und die Warngeschichte
 magnet@ref-arai.ch                     von den Geissen und Schafen2 unterstreichen dies in bildhafter
 Magnet-Download                        Sprache. Darin sind sich die beiden Testamente einig. Wer die
 www.ref-arai.ch
 Produktion
                                        Gastfreundschaft missachtet, vergeht sich an Gottes Gnade.
 Appenzeller Druckerei AG,                 Vertieft wird das Bild der Gastfreundschaft durch den Kontext,
 9100 Herisau
                                        was sie beinhaltet. Essen, Trinken, Obdach, Teilhabe an all dem
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 Sie bitte direkt der örtlichen         Besten was vorhanden ist. Ein Gastgeber sieht zu, dass den Gästen
 Kirchgemeinde                          nichts fehlt. Dies unterstrich Jesus, als er die Füsse seiner Jünger
 WEMF                                   wusch, am Abend des letzten Abendmahls.
 Beglaubigte Auflage 3250
                                           Gastgeber oder -geberin zu sein, heisst dienen, den Gast hinein
 Magnet online
 www.magnet.jetzt                       zu lassen in das Allerheiligste was man besitzt und ihn zu bewir­
                                        ten. Wenn nötig so zu beschenken, dass er weiterreisen kann.
                                           Diesen Magnet widmen wir einerseits der Kultur der Gast­
                                        freundschaft in unseren Kirchen. Ihren Stellenwert, ihrer Wichtig­
                                        keit, ihrer zentraler Lage in unserem Kirche-Sein. Anderseits
                                        stellen wir das Diakoniekonzept der Kirche und dessen geplante
                                        Umsetzung vor.
                                           Eine Kirche, die sich auf Christus beruft, öffnet nicht nur ihre
                                        Türen für die, die zu ihr kommen. Sie sucht gastfreundliche und
                                        dienende Strukturen aufzubauen und aufrecht zu halten. Nicht
                                        der Zufall, sondern die Regel schafft die Kultur. Eine dienende
                                        Kirche3, eine dienende Führung, eine dienende, von Gott geliebte,
                                        Truppe. Das ist der konkrete Sinn unseres Glaubens. Einander zu
                                        dienen, dass Keine und Keiner verloren oder ausser acht geht.

Titelbild: Kirche – offener             1 Genesis 18–19
Erfahrungsraum.                         2 Lukas 10, Matthäus 25
Illustration: Jonathan Németh           3 Auch «diakonische Kirche» genannt

                                                                         3                                                 MAGNET Nr.1/2020
Sinn ermöglichen - evangelisch-reformierte Landeskirche ...
Thema

                             Kirche in Bewegung?
             Immer noch wird in den Landeskirchen der Slogan
             «kleiner, älter, ärmer», der auf das Buch «Die Zukunft
             der Reformierten» von Jörg Stolz und Edmée Ballif
             zurückgeht, nicht nur rezipiert sondern fast schon
             meditiert. Manchmal scheinen insbesondere die eta-
             blierten Landeskirchen wie erstarrt zu sein vor dieser
             Perspektive. So sind sie darum besorgt, Finanzen,
             Strukturen, Status und Mitglieder zu halten. Gleich-
             zeitig wird die Säkularisierungstheorie in Kirche und
             Medien weiterhin als drohende Zukunftsvision her-
             aufbeschwört, die unter anderem den Untergang der
             Kirche prophezeit. Darin wird beschrieben, dass die
             Menschen immer säkularer werden, also diesseitig
             und weltlich orientiert und sich von «naiven» Glau-
             benssystemen emanzipiert haben.

                                                                               Dr. theol. Sabrina Müller ist die theologische
             In den Sozialwissenschaften hingegen wird gerade die              Geschäftsführerin des Zentrums für Kirchen-
             Säkularisierungstheorie schon länger angezweifelt und             entwicklung der Universität Zürich. Seit Herbst
             es erscheinen immer mehr Studien, welche andere                   2015 befasst sie sich in ihrem Habilitationspro-
             Muster erkennen lassen. Die Menschen werden nicht                 jekt mit dem Thema «Religiöse Erfahrung als
             immer unempfänglicher für Spiritualität und Religion,             Grundbegriff der Praktischen Theologie».
             sondern sie sind dafür wieder offener. Allerdings haben           Vorher arbeitete sie während 6 Jahren in der
             sich die religiöse Praxis und Sinndeutungen individua-            ev.-ref. Kirche Bäretswil als Pfarrerin und promo-
             lisiert und sie sind dadurch vielfältiger geworden. Die           vierte zum Thema «Fresh expressions of Church».
             Menschen glauben nicht weniger, nur anders. Sie prak-
             tizieren ihren Glauben bei Gebet und Meditation, Pil-
             gern und Tanzen, in den Bergen und im Wald, jedoch
             nicht mehr automatisch in einem sonntäglichen Got-
             tesdienst in einem Kirchengebäude. Das Leben ist plu-
             ralistischer, individualisierter, erfahrungsorientierter
             und liquider geworden. Dies scheint in Spannung zu               che in ihrer institutionellen Sozialform mit Selbstver-
             stehen zur historisch-gewachsenen Form von Kirche,               trauen von sich sagen können: «zuverlässig, vertrau-
             wie sie sich in den Landeskirchen zeigt.                         ensvoll und präsent». Kirche als Institution wird von
                                                                              reformfreudigen Personen gerne kritisiert und die Ten-
             Drei kirchliche Sozialformen                                     denz steigt, Kirche nur noch als Organisation zu verste-
             Landeskirchen haben verschiedene Sozialformen, sie               hen. Dies zeigt sich zum Beispiel in der zunehmenden
             sind historisch gewachsene Institution, sie sind gleich-         Professionalisierung, in der Hierarchisierung von Lei-
             zeitig Organisation, und theoretisch wären sie auch              tungsstrukturen, in Strukturreformen und in einseiti-
             Bewegung.                                                        gen Konzepten von Kompetenzorientierung. Von Ver-
                In ihrer institutionell gewachsenen Form vermitteln           tretern dieser Sozialform wird die flexiblere, zielge-
             Landeskirchen immer noch gesellschaftliche Sicher-               richteter und besser organisier- und leitbare Seite von
             heit und Vertrauen, sie sind immer noch für viele Per-           Kirche betont. Auch die organisationslogische Seite
             sonen ein Knotenpunkt in den entscheidenden Le-                  von Kirche ist notwendig, denn Strukturen, Funktio-
             bensphasen, sie sind gegeben und vertrauenswürdig,               nen und Finanzen müssen geklärt, Gebäude verwaltet
             manchmal auch etwas verstaubt und unbeweglich,                   und Anstellungen gesetzeskonform getätigt werden.
             aber sie sind da. Ihr diakonisches und gesellschaftli-           Der Slogan dieser Sozialform könnte folgendermassen
             ches Engagement wird geschätzt, die Kirche «tut Gu-              lauten: «professionell, optimiert, zukunftsorientiert».
             tes», setzt sich für die ein, «die es nötig haben». Diese           Was etwas weiter vom landeskirchlichen Verständ-
             Sozialform von Kirche, mit ihrer historisch gewachse-            nis entfernt liegt, ist, dass Kirche auch Bewegung ist.
             nen Logik, einfach aufzugeben hiesse «das Kind mit               Diese Sozialform geht in die Anfänge des Christentums
             dem Bad auszuschütten». Anders als der viel zitierte             zurück, sie ist häufig selbstorganisiert und sie wurzelt
             Slogan «kleiner, älter, ärmer» vorschlägt, sollte die Kir-       im gelebten Glauben von Individuen und Gemein-

MAGNET Nr.1/2020                                                          4
Sinn ermöglichen - evangelisch-reformierte Landeskirche ...
Thema

   Neues wagen ohne das Wesentliche
   in Form und Inhalt zu verlieren –
   eine doppelte Herausforderung der es sich
   zu stellen gilt.                                  schaften, die auf Gottes Wirken vertrauen und durch
   Bild: hmz
                                                     ihre Partizipation Kirche bilden (Mt 18,20). Kirche als
                                                     Bewegung besteht aus vom Geist bewegten Menschen,
                                                     die sich intrinsisch motiviert treffen, gemeinsam feiern
                                                     und an Kirche partizipieren. In dieser Sozialform bildet
                                                     das «Allgemeine Priestertum» den Kern von Kirche
                                                     und ihre äussere Ausdrucksform, ihre Struktur und
                                                     ihre Aktivitäten können, je nach Kontext, variieren.
Die Sozialform von Kirche,                           Kirche als Bewegung ist liquide und kann sich je nach-
                                                     dem kontextuell anders zeigen. Der Slogan hier könnte
mit ihrer historisch gewachsenen                     folgendermassen auf den Punkt gebracht werden: «er-

Logik, einfach aufzugeben                            fahrungsorientiert, partizipativ, geistbewegt».
                                                        Innovative Kirchenentwicklung knüpft häufig am
hiesse «das Kind mit dem Bad                         Bild von Kirche als Bewegung an. Dabei wird Kirche
                                                     vom Kontext, etwa dem jeweiligen Sozialraum und den
auszuschütten».                                      Menschen, konkret deren Lebenssituationen her, ge-
                                                     dacht und entwickelt. Kirche in diesem Denkhorizont
                                                     wurzelt in der gelebten Theologie und Religion der
                                                     Menschen und das Alltägliche und das Sakrale lassen
                                                     sich nicht mehr so einfach trennen. Die Logik bei die-
                                                     ser Sozialform besteht darin, dass sie weniger attrakti-
                                                     onal funktioniert und Angebote und Gottesdienste kre-
                                                     iert, sondern gemeinsam mit den Menschen zusam-
                                                     men danach fragt, was es bedeutet, hier in diesem
                                                     Kontext, in diesem Netzwerk, in dieser Peer-Group
                                                     oder in dieser Nachbarschaft Kirche zu sein.

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Sinn ermöglichen - evangelisch-reformierte Landeskirche ...
Thema

                                          Die Kirche der Zukunft braucht
                                          jedoch diesen bewegten, chaotischen
                                          und erfahrungsorientierten Teil
                                          von Kirche.

             Ebenso zentral wie die institutionelle und organisatori-          tive Repräsentantinnen und Repräsentanten wahr- und
             sche Sozialform von Kirche ist die bewegte. Ihr wird in           ernst zu nehmen, damit sie selbst zu einem konstituti-
             den gängigen landeskirchlichen Überlegungen eher                  ven Teil kirchlicher und theologischer Praxis werden.
             wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Vielleicht, weil sie              Denn in einer spätmodernen Gesellschaft hängt die
             nicht gut kontrollier- und organisierbar ist, weil sie vor-       Plausibilität des Evangeliums von der Authentizität der
             schnell einer theologischen Richtung zugeordnet wird              Menschen ab, die daran partizipieren. Das Evangelium
             oder weil das Kirche-Sein seit vielen Jahrhunderten               wird so weniger durch die Predigt als vielmehr durch
             den Pfarrpersonen übertragen war. Oder vielleicht                 das gelebte Leben kommuniziert.
             auch einfach darum, weil es nicht dem nüchternen,                 Eine kirchliche Sozialform alleine kann und wird nicht
             kognitiv-orientierten reformierten Selbstbewusstsein              genügen, um dem Auftrag der Kirche, die kontextuelle
             entspricht.                                                       Kommunikation des Evangeliums, gerecht zu werden.
                Die Kirche der Zukunft braucht jedoch diesen be-               Alle ihre Sozialformen müssen in Prozessen von Kir-
             wegten, chaotischen und erfahrungsorientierten Teil               chenentwicklung integriert und reflektiert werden und
             von Kirche. In ihm wird das Lebensgefühl einer spät-              allen Sozialformen müssen Raum und Ressourcen zur
             modernen, liquiden und erfahrungsorientierten Gesell-             Verfügung stehen.
             schaft gespiegelt und transformiert. Denn heute muss                                                          Dr. Sabrina Müller
             Religion und Theologie persönlich erlebt werden: in
             individueller Praxis, in gemeinschaftlichen hermeneu-
             tischen Prozessen und im alltäglichen Leben. Diese
             gelebte Theologie gilt es zu stärken und ihre Verortung
             in der Lebensrealität der Menschen herauszustellen.
             Ihre Gestalt ist nicht Antwortsicherheit, «sondern fra-                    Die Menschen glauben nicht
             gende Existenz zwischen Anfechtung und Gewiss-
             heit».1 Diese Form der Theologie ist eine prozessuale,                     weniger, nur anders.
             welche auf persönlichen und gemeinschaftlichen (Kon-
             tingenz)Erfahrungen beruht und dem Wandel der Le-
             bensumstände und des Kontextes unterworfen ist.
                Sobald diese theologische Dimension miteinbezo-
             gen wird, kann Kirche nicht auf Institution, Organisa-
             tion oder auf Gottesdienst und das kirchliche Engage-
             ment nicht mehr auf Freiwilligenarbeit reduziert wer-
             den. Denn der Freiwilligenarbeit der Kirche, anders als
             bei anderen sozial-karitativen Tätigkeiten, wohnt ein
             geistliches Moment inne, welches sich im Horizont
             von Theologie und «Allgemeinem Priestertum» be-
             wegt. Denn das Selbstverständnis und Selbstbewusst-
             sein verändert sich, wenn die «Aufgabe» von Kirche
             als Menschen darin gesehen wird, Theologie zu trei-
             ben und zu leben. Dann kommt nicht nur dem Feiern
             und Dienen, sondern auch der gelebten Theologie des               1 Henning LUTHER (1992), S. 23.
             «Allgemeinen Priestertums» eine zentrale Stellung zu,2            2 Für die hier ausgeführten Reflexionen zur «Gelebten Theologie»
             in der es darum geht Menschen als theologieproduk-                vgl. Müller (2019).

MAGNET Nr.1/2020                                                           6
Sinn ermöglichen - evangelisch-reformierte Landeskirche ...
Thema

Die katholische
Pfarrkirche
St. Maria in
Weggis am
Vierwaldstät-
tersee.

       Daheim in fremder Kirche
Kirchen prägen unsere Dorfbilder und in Städten                mit offener, festlicher Ausstrahlung thront die Kirche
überragen Kathedralen oft majestätisch die anderen             mit der leuchtend roten Turmspitze etwas erhöht mit-
Gebäude. Jede hat ihr eigenes Gesicht und jeder Kir-           ten im Dorf. Umrahmt von Blumenrabatten, Bäumen
chenraum seine ganz eigene Atmosphäre. In man-                 und einem gepflegten Friedhof strahlt sie Offenheit
chen fühlen wir uns wohl, andere empfinden wir als             und Gastlichkeit aus. Hier ist die Kirche ein wichtiger
überladen, düster oder nüchtern. Für mich war un-              Teil des Gemeindelebens. Kaum ein Grossanlass, der
sere Dorfkirche immer die schönste weit und breit.             nicht mit einem feierlichen Festgottesdienst beginnt.
Hell und freundlich, perfekt in den Proportionen und           Da heisst der Priester nicht Herr Pfarrer, sondern Emi-
von ganz besonderer Ausstrahlung.                              lio. Er kennt die Menschen in seiner Gemeinde mit
                                                               Vornamen und predigt je nach Anlass sogar im Sennen-
In dieser Kirche haben schon meine Vorfahren Taufen,           chutteli. Und dass Ökumene in dieser mehrheitlich
Hochzeiten und Abschiede gefeiert. Von meiner eige-            katholischen Gegend ganz selbstverständlich gelebt
nen Taufe bis zum Abschied meiner Eltern und Hoch-             wird, beeindruckte uns. Ob bei der Trauung unserer
zeiten unserer Kinder – unsere Kirche bot dafür stets          reformierten Tochter mit ihrem katholischen Mann
einen würdigen Rahmen. Die wohl schönste Tätigkeit             oder der Taufe unserer Grosskinder: Der gut 70jährige
meines Arbeitslebens genoss ich als langjährige Mes-           Priester war offen für alle Ideen. Er legte Wert auf die
merin in «meiner Kirche». Der Kontakt mit den ver-             Anliegen der jungen Familie, achtete die Unterschiede
schiedensten Pfarrpersonen, Organistinnen und Gäs-             der Konfessionen ohne zu werten. Unkompliziert und
ten, ob bei kirchlichen Anlässen oder Konzerten, war           mit Freude willigte er in den Wunsch des Brautpaares
berührend und bereichernd. Alle Menschen mit Ach-              ein, die Kommunionsfeier – das Abendmahl – gemein-
tung und Freundlichkeit zu behandeln, individuelle             sam zu gestalten. So verteilten sowohl Braut als auch
Anliegen ernst zu nehmen, besondere Wünsche zu                 Bräutigam die Hostie – das Brot – an alle Gäste. Fein-
erfüllen und den schönen Raum jedem Anlass entspre-            fühlig machte der Priester unsere Tochter darauf auf-
chend würdevoll vorzubereiten und zu schmücken,                merksam, dass sie statt der für Katholiken üblichen
machte mir grosse Freude. Nie hätte ich gedacht, dass          Worte «Der Leib Christi» bei der Austeilung der Hostie
mich eine andere Kirche in ähnlichem Rahmen anspre-            «Das Brot des Lebens» sagen könnte. Auch bei den Tau-
chen könnte.                                                   fen spürten wir diese Offenheit. Lieder, Gebete und
                                                               sogar das Glaubensbekenntnis passte der Priester so an,
Das Brot des Lebens                                            dass sich alle angesprochen fühlten. Kein Wunder, dass
Bis eine unserer Töchter in der Zentralschweiz eine            auch Familien mit kleinen und grösseren Kindern so-
neue Heimat fand. Die stattliche katholische Pfarrkir-         wie Menschen anderer Konfessionen den Weg in die-
che St. Maria in Weggis am Vierwaldstättersee wirkte           ses Gotteshaus finden, das so selbstverständlich ins
auf mich wie eine etwas reichere Verwandte unserer             Dorfgeschehen eingebunden ist. Es ist schön, sich auch
Steiner Kirche. Schlicht gestaltet, lichtdurchflutet und       in fremden Kirchen daheim zu fühlen. Judith Husistein

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                                 Sich einlassen –
                              loslassen – zupacken
             Wer Trainings und Coachings anbietet, der weiss,               Veränderung behagt uns nicht. Mittlerweile leben wir
             dass Veränderungen auf zwei Arten möglich sind.                in einer Zeit, wo Veränderung praktisch zum Alltag ge-
             Zum Einen kann man über den Kopf Ideen und Argu-               worden ist. Ist es verwunderlich, wenn Menschen aus-
             mente «einpflanzen oder anregen» und zum Anderen               brennen, ihre Orientierung verlieren oder sich in Um-
             kann man einfach anders handeln und damit die Ver-             gebungen zurückziehen, wo es klare Ordnungen und
             änderung einleiten. Diese scheinbar simple Aus-                damit Wegweisungen gibt? Die Religionen selber ha-
             gangslage beinhaltet alles, was unser Leben im All-            ben ja diesen Ruf der Bewahrung. Deshalb erscheinen
             tag bestimmt.                                                  sie vielen Menschen noch als Hort der Sicherheit, an-
                                                                            deren hingegen als rückständig und überholt.
             Um bei der «simplen Ausgangslage» zu bleiben, kön-
             nen wir die Menschen mal in solche einteilen, die sich         Loslassen
             gerne alles zuerst mal gründlich überlegen und abwä-           Der christliche Glaube basiert auf Veränderung. Der
             gen. Sie werden gerne als Theoretiker bezeichnet. Pa-          Provinzler Jesus (kann aus Nazareth etwas Gutes kom-
             piertiger ist ein anderer Begriff. Diese Leute verortet        men? Joh. 1.46) sprach praktisch nur von Veränderung.
             man gerne in die Verwaltungen und das mittlere Ma-             Die einzige Konstante war bei ihm das Vertrauen in die
             nagement von grossen Unternehmen.                              lebensschöpfende Kraft und daraus die Solidarität un-
                Und dann sind da diejenigen, die einfach zupacken.          ter jenen, die auf diese Kraft vertrauen. «Naivlinge al-
             Das sind die Macher, welche zuerst mal durch ihr Han-          lesamt!», sagten schon damals die Realisten. Also die-
             deln klare Bedingungen schaffen. Diese Leute finden            jenigen, die das Sagen hatten und bestimmten, was
             ihren Platz als sogenannte Leader in der Wirtschaft und        sich gehörte und was nicht. Die Naivlinge jedoch erleb-
             in der Politik. Es sind die Helden der Gegenwart auf           ten Dinge, die sie sich nicht haben vorstellen können.
             den Titelseiten der entsprechenden Magazine und                Die Prägung war so stark, dass nach dem Verlust des
             Zeitschriften.                                                 Anführers der Funke weitersprang und diese Men-
                                                                            schen in Bewegung brachte. Sie wollten das Erlebte
             Sich einlassen                                                 und diesen Lebensstil teilen und fanden immer wieder
             Mit der Umsetzung des Diakoniekonzeptes geschieht              Menschen, die sich davon anstecken liessen.
             ebenfalls Veränderung. Es geschieht jedoch nicht so               Bis dann die Phase kam, wo die Anerkennung gege-
             viel, was es nicht schon einmal gegeben hätte. Da wir          ben war und der Einfluss regierungsmässig gesichert
             Menschen uns zwar gerne flexibel, dynamisch und in-            schien. Damit begann dann die Zeit der Bewahrung
             novativ geben, lässt man sich oft täuschen, dass wir uns       und der Sammlung. Es begann die Zeit der Bewertung
             eigentlich nicht gerne verändern wollen. Die Hirnfor-          und Ausscheidung und es begann die Zeit, wo Ge-
             schung der vergangenen Jahre hat deutlich gemacht,             schichten zwischen zwei Buchdeckeln zur verbindli-
             dass das Gebilde unter unserem Haaransatz die Ten-             chen Lehre wurden.
             denz hat, so rasch wie möglich Routinen zu entwickeln,            Veränderung wurde in dieser Zeit immer mehr sus-
             also so eine Art Automatisierung zu erreichen. Alle, die       pekt. Gruppierungen, die Veränderungen forderten,
             Autofahren gelernt haben, kennen das auch gefühlsmä-           gerieten ins Abseits bis hin zur Verfolgung und die Ge-
             ssig sehr gut. Und so geht es mit eigentlich allem, das        schichte des Christentums wurde zur Politik der Wahr-
             wir lernen müssen.                                             heits- und Machthaber.
                Von der Entwicklung her macht das natürlich Sinn.              Gegenwärtig begehen wir Reformationsjubiläen. Sie
             Über je mehr Automatismen wir verfügen, desto ruhi-            stehen für die Rückbesinnung auf die Anfänge, wo
             ger und gezielter können wir handeln und desto mehr            eben Veränderung geschah und Menschen völlig neue
             können wir die Situation so kontrollieren, dass Gefah-         Perspektiven für sich entdeckten. Und sie stehen für
             ren minimiert werden. Alle Situationen, wo wir mer-            uns Heutigen für das Scheitern dieser Reformationen,
             ken, dass unsere Routine nicht greift, wirken stressig         weil sich selbstverständlich mit der Rückbesinnung so-
             auf uns. Wir verbrauchen unverhältnismässig viel               fort wieder Menschen zusammenfanden, welche nicht
             Energie und wir erleben uns als nicht wirkungsvoll –           genug hatten mit dem, was die Reformatoren anstreb-
             bis wir dann den richtigen Ausgang im Bahnhof Zürich           ten. Es waren die neuen Naivlinge, die in die Schran-
             gefunden haben, oder den richtigen Bus, die gesuchte           ken gewiesen werden mussten, wie beispielsweise die
             Adresse undundund.                                             Täufer.

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Sinn ermöglichen - evangelisch-reformierte Landeskirche ...
Thema

Es läuft eigentlich immer gleich ab. Doch die Umstände ändern            seinen Atem zu achten war mal ganz und gar keine
sich, wir verändern uns – Veränderung geschieht bereits. Es gilt         kirchliche Angelegenheit. Im Tanzschritt durch den
mit einem grundsätzlich Ja sich auf den Weg zu machen und
                                                                         Chor zu schreiten, erscheint noch heute einigen sus-
kritisch den Weg immer wieder neu zu suchen.            Bild: hmz
                                                                         pekt. Sich gemeinsam mit einem Bibeltext auseinander
                                                                         zu setzen und dabei die Zwischentöne in den verschie-
                                                                         denen Ansichten zu entdecken, ist frömmlerisch. Poli-
Veränderung ist gefährlich. Veränderung ist immer ge-                    tische Ansichten im Kirchenraum zur Diskussion zu
fährlich, vor allem dann, wenn das was ist, bequem                       stellen und dabei Qualitäten zu orten «goht gar nöd».
und vorteilhaft ist. Wir sprechen dann davon «dass der                   Mit Kindern zu kochen, einfach so, das ist billige Be-
Leidensdruck noch zu klein sei». Erst wenn dieser Lei-                   triebsamkeit. Mit Erwachsenen und Kindern gemein-
densdruck ein gewisses Mass überschreitet, sind wir                      sam einen Film anschauen oder eine Geschichte hören,
bereit, uns zu verändern. Reaktiv also, nicht aktiv.                     keine ausdrücklich «christliche» Geschichte, ist Anbie-
Wenn wir heute Veränderung wollen, dann müssen wir                       derung.
damit rechnen, dass sich da wieder Leute ins Zentrum                        Das alles geschieht bei uns schon. Und die Reaktio-
schieben, die wir nicht vorgesehen haben. Und dann?                      nen sind typisch. Laut werden auch hier immer die
                                                                         Gegner. Es hat sie zu allen Zeiten gegeben, diejenigen,
Zupacken                                                                 die gewusst haben, was recht und richtig ist. Auch in
Die Umsetzung des Diakoniekonzeptes ist nicht revo-                      Sachen Religion und Glaube.
lutionär. Es ist eine Reaktion auf sich verändernde ge-
sellschaftliche Verhältnisse. Weniger Mitglieder, weni-                  Kann denn aus unseren Kirchgemeinden etwas
ger Mittel. Wir können jammern. Das können auch                          Gutes kommen?
«die Kirchlichen» gut. Und wir können uns zusammen-                      Es gibt viel mehr Lebendigkeit, als wir uns vorstellen
tun und miteinander darüber nachdenken, was wir                          können. Sie wohnt einfach nicht immer dort, wo wir
verändern könnten. Und wir können ganz einfach an-                       sie gerne hätten. Eine Kirche, die sich verändert, weil
ders handeln und sehen, was das für Wirkungen hat.                       der Leidensdruck tatsächlich zunimmt, erhält die
Weil der Mensch sich nicht gerne ändert, ist meistens                    Chance anders zu werden. Anders ist eben nicht so wie
die negative Rückmeldung das Indiz dafür, dass wir et-                   jetzt. Und vielleicht ist anders eine ganz interessante
was Neues, noch Unbekanntes getan haben.                                 und motivierende Sache. Und vielleicht tut es gut, auch
   Das ist an vielen Orten bereits geschehen. In den                     laut auszusprechen, wie es NICHT werden sollte. Da-
Kirchgemeinden im Appenzellerland gab es immer                           mit am Ende von Schönengrund bis Reute-Oberegg
wieder Profis und Laien, die neue Wege gegangen sind.                    Gutes erhalten und Gutes neu versucht wird. Packen
Auf Kissen im Kreis zu sitzen, still zu werden und auf                   wir es an.                            Heinz Mauch-Züger

                                                                     9                                                      MAGNET Nr.1/2020
Sinn ermöglichen - evangelisch-reformierte Landeskirche ...
Thema

                               Vom kirchlichen Tun
             Es geschah vor Jahren in einem Altersheim, das von
             meinem damaligen Arbeitgeber betreut wurde. Eine
             alte Frau war dem Sterben nahe, sie schien aber
             Angst vor dem Tod, insbesondere vor dem «Danach»,
             zu haben. So kam sie nicht zur Ruhe. Bei früheren
             Begegnungen hatte sie mir von Kirchgängen erzählt
             und dass ihr Gespräche mit dem Pfarrer stets gut
             getan, ihr Klarheit vermittelt hätten. Das waren für
             sie Kraftmomente.

             So fragte ich die Frau eines Tages, als ich sie wieder
             einmal sah und spürte, dass die Angst und Not unter-
             schwellig immer noch da war, ob sie etwas dagegen
             hätte, wenn ich den Pfarrer um Rat fragen würde be-            Später erfuhr ich, dass schon am anderen Tag der Pfar-
             treffend ihres Unwohlseins, wie sie es ausdrückte. So-         rer ein langes Gespräch mit der alten Frau geführt
             fort, fast freudig, willigte sie ein.                          hatte. Daraufhin war der Stein für kurze Zeit wohl ihr
                                                                            ständiger Begleiter geworden, der Sicherheit vermit-
                                                                            telte. Es dauerte dann nicht mehr viele Tage, und sie
                                                                            schlief mit einer Gelassenheit und einer grossen Zuver-
                                                                            sicht auf eine gute Zukunft im «Danach» ein.
                                                                               Pfarrer und Schmeichelstein hatten ihr den Ab-
                                                                            schied von dieser Welt leichter und vor allem angstfrei
                                                                            gemacht. Immer wenn ich ähnliche Steine sehe, kommt
                                                                            mir diese Frau und das für mich so unkonventionelle
                                                                            Handeln des Pfarrers in den Sinn.

             Noch am gleichen Tag sprach ich beim das Altersheim
             betreuenden Pfarrer vor. Ich wusste nicht, wie er auf
             meine Bitte, ob er ein Mittel gegen die diffuse Angst
             hätte, reagierten würde. Eigentlich dachte ich an ent-
             sprechende Bibelstellen oder ein paar Zeilen. Er aber
             erzählte sofort von Schmeichelsteinen, die er in einer
             Werkstätte herstellen liess. Diese hätten schon in so
             manchen Situationen gut getröstet und sie seien gute
             Begleiter. Er gab mir sofort einen und ich brachte ihn
             der Frau. Für sie war es ein sehr wertvolles Geschenk,         In schwierigen Situationen wünsche ich uns allen eine
             dass sie lange in ihrer Hand hielt. Der Stein, aber vor        Person, die weiss, was für einen «Schmeichelstein» es
             allem, dass er vom Pfarrer kam, schien sie sehr zu be-         dann gerade für uns benötigt und dass wir diesen auch
             ruhigen. Der Schmeichelstein strahlte wohl fast so et-         bekommen.
             was wie Geborgenheit aus.                                                                                   Isabelle Kürsteiner

                                                                            Abb.: Begleitung und Ermutigung – kein Mittel ist da zu klein.
                                                                            quelle: shop arbes.ch

MAGNET Nr.1/2020                                                       10
Thema

       Kirche: Weil ich dich liebe
Finden Sie die Kirche auch schön? Ich meine jetzt
nicht nur die Kirche in Bühler, die nach der Innenre-
novation strahlt. Ich meine die Kirche als Kirche.
Also als Gemeinschaft der Heiligen. Auch als Verwal-
tungsapparat. Gefällt sie Ihnen?

Gut. Sicher. Sie haben Recht. Das ist eine komische
Frage. Wie sollen Sie darauf antworten? Vielleicht ist
Ihnen trotzdem spontan ein Gedanke durch den Kopf
geschossen. Ich erzähle Ihnen, wie es mir mit Kirche
geht. Ich liebe die Kirche.
   Dabei erinnere ich mich an meinen Seelsorgeprofes-
sor, der eines Tages eine Vorlesung zum Thema «Liebe»
mit denkwürdigen Worten begann: «Die Person, die
ich am meisten liebe», sagte er, «ist meine Frau.» Dann
machte er eine Pause. «Und die Person, über die ich
mich am meisten ärgere, ist auch meine Frau.» Ich bin
mir nicht mehr sicher. Vielleicht hat er sogar «die ich
am meisten hasse» gesagt. Diesen Zwiespalt könne nur
                                                                   Nicht nur ich muss Kirche aushalten. Kirche muss auch mich aus-
die Liebe aushalten, meinte er. Manchmal sind beide                halten. Damals war ich 22 Jahre alt. Der schwarze Talar geborgt
Gefühle sogar gleichzeitig da.                                     und viel zu kurz. Neben mir der Mann, der mich gefördert hat
   Seine Worte haben mir damals Angst gemacht. Weil                wie kein Zweiter: Mein Konfirmationspfarrer Wilfried Muthmann.
ich mir noch kein realistisches Bild der Liebe machen                                                                      Bild sy

konnte. Oder wollte. Ich war damals frisch verliebt und
konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass
ich meine Freundin auch mit anderen Augen sehen                    Manchmal ärgere ich mich auch über Entscheidungen,
könnte.                                                            die wir getroffen haben, ich nehme mich da gar nicht
   Inzwischen habe ich dazu gelernt. Kenne die Liebe               aus. Vieles, was ich früher mal vehement verteidigt
jetzt besser. Und, ja, ich liebe die Kirche. Ich finde Kir-        habe, sehe ich inzwischen mit anderen Augen. Wir
che wirklich toll. Überall, wo ich bisher war auf dieser           verändern uns. Und Kirche verändert sich auch.
Welt, waren schon Christenmenschen vor mir da und                     Am schlimmsten finde ich das ewige Gejammere.
haben eine Kirche gebaut. Ich bin willkommen. Wo                   Irgendwo ist immer ein Haar in der Suppe. Irgendeinen
auch immer ich bin, gehöre ich zu einer Gemeinschaft               Grund zur schlechten Laune gibt es immer. Diese Un-
von Menschen, die diesem Jesus seinen Gott glauben                 tergangsstimmung lähmt. Dabei haben wir doch ge-
und ihm hinterher vertrauen.                                       rade in unserer grossartigen Landeskirche im Appen-
   Ich bin in der Kirche gross geworden, habe mich seit            zellerland alle Möglichkeiten, neues auszuprobieren.
der Konfirmationszeit engagiert. Habe Menschen ge-                    Sicher. Kirche ist nicht perfekt. Ich bin es auch nicht.
troffen, die mich gefördert und gefordert haben. Habe              Paulus erinnert mich, dass wir den Schatz in irdenen
Leitungserfahrungen gesammelt. Und dann auch mehr                  Gefässen haben (2. Kor 4, 7). Die Gefässe sind brüchig.
und mehr die geistlichen Schätze kennen gelernt, die               Der Schatz ist es nicht. Er bleibt Schatz auch ohne Ge-
uns anvertraut sind. Ich weiss um die Kraft des Segens.            fäss. Kirche ist eines der Gefässe. Und das Gejammere
Ich erlebe, wie mich das Abendmahl verändert und mir               zersetzt das Gefäss. Das geistliche Gesetz gilt: Worauf
hilft, die Zwiespältigkeiten in mir drin zu akzeptieren.           ich mich konzentriere, das wird stärker.
Ich habe erfahren, dass mich mein Vertrauen nachts                    Deshalb versuche ich es anders: Ich freue mich über
wärmt. Dass mein Glaube mich frei macht. Ich habe                  das, was uns anvertraut ist. Ich lobe überschwänglich.
das Recht, ein anderer zu werden. Und werde die                    Und wenn ich meine, etwas oder jemanden kritisieren
Liebe noch besser kennen lernen.                                   zu müssen, dann direkt und liebevoll. Ohne zu verlet-
   Kirche hat mich aber auch schon masslos enttäuscht.             zen. Ohne Stimmung zu machen. Ich rede nicht über
Und verletzt. Vor allem die Funktionäre, die dem Ob-               Leute, die nicht da sind. Und ich begrenze das Suhlen
dachlosen aus Nazareth in Anzug und Krawatte folgen.               in der eigenen Befindlichkeit.
Sei’s drum. Niemand ist perfekt. Sie kennen die Ge-                   Ich liebe Kirche. Und Sie?
schichte vom Splitter und vom Balken.                                                                              Lars Syring

                                                              11                                                             MAGNET Nr.1/2020
Thema

                                Gastgeberin Kirche
             Mit der Umsetzung des Diakonie-Konzeptes von                    Veränderungen nutzen
             2017 machen wir uns gemeinsam auf den Weg, uns                  Die diakonische Aufbauarbeit entwickelt sich mit dem
             stärker miteinander zu vernetzen und unsere Erfah-              «Diakonie-Netz ARAI», den diakonischen Ansprech-
             rungen vermehrt zu teilen.                                      partnern unserer Kirchgemeinden. Es bildet die Basis
                                                                             unseres Netzwerkes, es ist der Boden, auf dem der di-
             Konzepte sind teure Papiere für die Schublade. Das              akonische Garten gedeihen soll. Nichts wird einfach so
             stimmt in vielen Fällen. Wir möchten es nicht so hal-           eingeführt; alles, was geschieht, passiert in Absprache
             ten. Deshalb hat sich eine Arbeitsgruppe intensiv mit           mit den Kirchgemeinden. Keine Gemeinde steht unter
             der Umsetzung beschäftigt und sich für die Beschaf-             dem Druck, unbedingt etwas tun zu müssen. Gegen-
             fung von finanziellen Mitteln eingesetzt. Uns ist ein           wärtig laufen einige Veränderungen in den Strukturen
             Zeitfenster von 3 Jahren geöffnet worden. Wir möchten           und der Zusammenarbeit der Gemeinden. Diese Verän-
             es nützen für einen möglichst positiven Schritt der Lan-        derungen sind die Folge der Entwicklung der vergange-
             deskirche in Zeiten der Veränderung.                            nen Jahre. Sie müssen geschehen, damit die einzelnen
                Mit der Einstellung von Heinz Mauch-Züger durch              Gemeinden eine Zukunft haben. Dahin gehört auch
             den Kirchenrat Mitte September 2019 hat dieser Ja ge-           das Diakonie-Konzept. Es lässt auf strukturelle Anpas-
             sagt zu Schritten der Umsetzung des Konzeptes. Dieses           sungen inhaltlich Anpassungen folgen. Das ist nur in
             Ja ist ein Nein zur Schubladisierung. Es ist ein Ja zu          der gemeinsamen Zusammenarbeit möglich. Gefordert
             gemeinsamen Möglichkeiten als Kirchgemeinden und                sind alle, die sich in der Kirche engagieren. Der Kir-
             als Kantonalkirche.                                             chenrat ist überzeugt, dass auch inhaltlich gute Verän-
                                                                             derungen möglich sind und dass die typischen Gräben
             Umsetzungsziele                                                 unserer kirchlichen Landschaft genau so beharrlich
             Ziel eins: Die diakonische Arbeit unseres Kantons soll          überwunden werden, wie seit alter Zeit die topografi-
             ein Gesicht, eine Identität erhalten. Unsere diakoni-           schen.
             schen Mitarbeiter sollen gestärkt, unterstützt und ihr                                                Iris Bruderer, Kirchenrätin
             umfangreiches Arbeitsfeld wahrgenommen werden.
             Eine diakonische Web-Plattform, verknüpft mit diako-
             nie.ch /Diakonie Schweiz, soll entstehen, um Informa-
             tionen auszutauschen.
                                                                             Nicht für die Schublade gedacht! Bild: hmz
             Ziel zwei: Die Freiwilligenarbeit unseres Kantons wird
             aktualisiert und ausgebaut. Freiwillige sollen in ihrer
             Tätigkeit geschult und begleitet werden. Die Öffent-
             lichkeit soll ihre Bedeutung und ihre Leistung anerken-
             nen und sie in ihrer Tätigkeit unterstützen. Unsere
             Kirche ist auf Freiwillige angewiesen, ihr Zusammen-
             halt soll gefördert werden.

             Ziel drei: Zwei regionale diakonische Pilot-Projekte,
             aus der Praxis für die Praxis, sollen die regionale Zu-
             sammenarbeit fördern und die Gemeinschaft stärken.
             Wir träumen von einer Beteiligungskirche, nicht von
             einer Angebotskirche.

             Ziel vier: Wir fördern die Koordination der diakoni-
             schen Tätigkeiten in unserer Landeskirche, wir tau-
             schen diakonische Projekte innerhalb der Kirchge-
             meinden aus. Wir pflegen den Kontakt zu Behörden
             und politischen Gremien. Wir verstehen uns als Brü-
             ckenbauer zwischen sozialen Gruppen, auch über die
             Kantonsgrenze hinaus.

             Ziel fünf: Die Diakonie-Stelle soll von einer Diakonie-
             Kommission begleitet und unterstützt werden.

MAGNET Nr.1/2020                                                        12
Weitblick

                                   n!
                         Vormerke                                                    tesdienst und ein Konzert mit Andrew
                                   ate!
                        Save the D
                                                                                     Bond, der zu den erfolgreichsten Kin-
                                                                                     derliedermachern und Musikern der
                                                                                     Schweiz zählt. Die Festküche wird die
                                                                                     Gäste kulinarisch verwöhnen.
                                                                                         Ein zehnköpfiges Organisationsko-
                                                                                     mitee mit Vertreterinnen und Vertre-
                                                                                     tern aller beteiligen Kirchen ist seit ei-
                                                                                     nem halben Jahr an der Arbeit und freut
                                                                                     sich, dass der Appenzeller Kirchentag
                                                                                     2020 auf ein grosses Interesse stösst. Es
                                                                                     ist dies der dritte ökumenische Appen-
Unter dem Motto himmelwiit findet am       dem Kirchentag wollen die beteiligten     zeller Kirchentag nach Rehetobel
Samstag, 16. Mai 2020, in Herisau der      Kirchen ein Zeichen setzen und einla-     (2013) und Appenzell (2002), der Men-
Appenzeller Kirchentag 2020 statt. Er      den, den Glauben zu teilen und mitein-    schen im Appenzellerland über die
wird von den reformierten und den ka-      ander zu feiern.                          Konfessionsgrenzen hinaus zusammen-
tholischen Kirchen beider Appenzell           Programmschwerpunkte des Kir-          bringt.
zusammen mit den lokalen Freikirchen,      chentags bilden Workshops sowohl für      Für Informationen: Heidi Steffen, OK-Präsi-
der Evangelisch-methodistischen Kir-       Erwachsene als auch für Kinder, ein Po-   dentin Appenzeller Kirchentag 2020, Tel.
che und der Vineyard, veranstaltet. Mit    diumsgespräch, ein Generationen-Got-      079 312 23 35, heidi.steffen@ref-herisau.ch

       Vorbereitung Weltgebetstag 2020
Die Weltgebetstagsliturgie für 2020        Ausrichtung des Weltgebetstages in Ih-    390 04 48; myrta.fischer@sunrise.ch.
kommt von den Frauen aus Zimbabwe,         rer Gemeinde gut informiert sind.         Genaue Tagungsinformationen erhalten
einem Binnenland im südöstlichen Teil      Sie sind herzlich willkommen, mit uns     Sie nach erfolgter Anmeldung. Die Kos-
Afrikas. Wir hören von einer beeindru-     vom regionalen Vorbereitungsteam ei-      ten betragen einschliesslich Mittages-
ckenden Landschaft mit Reservaten          nen Tag mit vielen Anregungen, guten      sen Fr. 70.–. (werden von den Kirch­
und Safarigebieten. Am besten bekannt      Gesprächen und einer Abschlussfeier       gemeinden übernommen!) Anmelde-
sind wohl die Victoriafälle, ein           nach der aktuellen WGT-Liturgie zu        schluss ist der 8. Januar 2020.
UNESCO-Weltnaturerbe.                      verbringen. Egal ob Sie in einer Vorbe-
    Die ehemalige britische Kolonie        reitungsgruppe mitarbeiten oder ein-      Alternative
Südrhodesien wurde 1980 als Republik       fach so mit dabei sein möchten, wir       Die Alternativveranstaltung findet in
Zimbabwe unabhängig. Vom guten Ruf         freuen uns auf Sie!                       Lichtensteig am Samstag, 18. Januar
als Musterland Afrikas ist nicht mehr                                                2020 von 9.00 bis ca. 16.00 Uhr im
viel übrig, und auch infolge des Klima-    Vorbereitungstreffen                      Saal des Untergeschosses in der evange-
wandels verändern sich der Lebens-         Zur Vorbereitung treffen wir uns in       lischen Kirche statt. Anmeldung und
raum und die Lebensumstände nicht          St.Gallen wahlweise am Mittwoch, 22.      Auskunft: Barbara Bretscher, Auli,
zum Besseren.                              oder Donnerstag, 23. Januar 2020 von      9622 Krinau, Tel. 071 988 15 77;
    Die Frauen aus Zimbabwe haben ei-      9.00 bis 17.00 Uhr im reformierten        b_bretscher@hotmail.com
ne sehr eindrückliche Liturgie vorberei-   Kirchgemeindehaus Lachen. Anmel-              Die Kosten betragen einschliesslich
tet. Sie erzählen von ihrem Leben, ih-     dung und Auskunft: Myrta Fischer,         Mittagessen Fr. 70.–. Anmeldeschluss
ren Freuden und grossen Sorgen, poli-      Oberstr. 281a, 9014 St.Gallen, Tel. 071   ist der 10. Januar 2020.
tisch wie wirtschaftlich. Mit dem Titel
der Liturgie zeigen sie uns, dass sie
nicht resignieren, sondern voller Hoff-
nung und Mut im Glauben «aufstehen,
ihre Matte nehmen und ihren Weg ge-
hen» wollen. Wir freuen uns, diese star-
ken Gedanken der Frauen von Zimbab-
we aufzunehmen und allen Menschen
rund um den Erdball weiterzugeben.
   An unseren Vorbereitungstagungen
zum Weltgebetstag erfahren Sie noch
mehr über dieses beeindruckende Land
und seine Bewohnerinnen. Auch mit
der diesjährigen Liturgie, dem Bibeltext
aus dem Johannesevangelium, den Bit-
ten, Fürbitten und Liedern werden wir
Sie bekanntmachen, so dass Sie zur

                                                            13                                                             MAGNET Nr.1/2020
Weitblick

               Waldenserkirche unter neuer Leitung
                                                        Neue Herausforderungen anpacken

             Eing. Ende August 2019 wurde Ales-                                                       ten evangelische Christen aus Immigra-
             sandra Trotta zur neuen Moderatora                                                       tionsländern dazu. Sie werden als
             (Kirchenratspräsidentin)     gewählt.                                                    gleichwertige Mitglieder verstanden,
             Zum zweiten Mal übernahm damit                                                           die die Gemeinden bereichern. Ge-
             eine Frau die Leitung der Waldenser-                                                     meinsam gilt es herauszufinden, was
             kirche. Alessandra Trotta stammt aus                                                     Kirche-Sein unter diesen Voraussetzun-
             Sizilien, ist gelernte Juristin und                                                      gen bedeutet. Wie kann das traditionel-
             wurde zur Diakonin ordiniert. Sie ist                                                    le, fast militante «Waldenser-Sein» den
             Mitglied der assoziierten Methodis-                                                      neuen Umständen angepasst werden?
             tenkirche. Einige Jahre lang war sie                                                     Dieser Prozess verändert auch die Spiri-
             Direktorin des Sozialwerkes La Noce                                                      tualität der traditionellen Mitglieder.
             in Palermo.
                                                                                                      Schwerpunkte in den nächsten
                                                                                                      Jahren
             Die Waldenserkirche könnte für die eu-
             ropäischen reformierten Kirchen eine                                                     In den nächsten Jahren wird die kirch-
             «Laborfunktion» haben. Denn die Her-                                                     liche Seite der Waldenserkirche mehr
             ausforderungen an eine Minderheits-                                                      in den Fokus gerückt, damit neue Pers-
             kirche sind überall ähnlich. Die starke                                                  pektiven für das «Kirche sein in einer
             Präsenz in der Öffentlichkeit und die                                                    veränderten Gesellschaft» entwickelt
             Interaktion mit der Gesellschaft als        Alessandra Trotta, die neue «Moderatora»     werden können. Die neue Moderatora
             wichtiger Teil der Waldenserkirche          der Waldenserkirche.             Bild:zVg   ist guten Mutes und will die grossen
             sind vorbildlich.                                                                        Herausforderungen mit Vertrauen und
                Der eindrückliche diakonische Ein-       lien weit verbreitete homophobe, frem-       Engagement angehen, zusammen mit
             satz der Waldenserkirche wird zwar zu       denfeindliche und rassistische Haltung.      vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
             einem grossen Teil aus dem «Otto per        Dafür vernetzt sie sich mit anderen Be-      tern ihrer Kirche.
             mille»-Geld finanziert. Auch bei diesen     wegungen, die sich für eine offene Ge-
             Projekten wird aber «kirchliches» Geld      sellschaft einsetzen. Sie hat sich zur
             benötigt. Zudem ist und bleibt das          Aufgabe gesetzt, vor Ort präsent, sicht-
             kirchliche Leben unabdingbare Voraus-
             setzung für den Einsatz für die Letzten
                                                         und hörbar zu sein. Allerdings sind die
                                                         einzelnen Kirchgemeinden oft klein und                    Die Waldenser
             der Gesellschaft. Dieser Teil der Kirche    haben nicht immer ausreichend Res-             Die Waldenser sind eine protestantische Kirche,
             braucht weiterhin finanzielle Unter-        sourcen zur Erfüllung dieses Auftrages.        die gegenwärtig noch in Italien und einigen Län-
             stützung.                                      Eine zusätzliche Schwierigkeit ist          dern Südamerikas verbreitet ist. Ursprünglich als
                Die neugewählte Kirchenratspräsi-        die sich verändernde Zusammenset-              Gemeinschaft religiöser Laien Ende des 12. Jahr-
             dentin äusserte sich auch zu den zu-        zung der Gemeinden: Die traditionel-           hunderts durch den Lyoner Kaufmann Petrus
             künftigen Schwerpunktsfeldern der           len jahrhundertealten Zugehörigkeiten          Valdes in Südfrankreich gegründet, wurden
             Waldenserkirche. Diese weisen viele         von Familien zur Waldenserkirche lö-           die apostolischen Armutpredigenden «Walden-
             Ähnlichkeiten mit Aktivitäten der           sen sich auf. Dafür stossen zunehmend          ser», auch Arme von Lyon genannt, während
             schweizerischen Landeskirchen auf.          neue Mitglieder, die einen langen Weg          des Mittelalters von der katholischen Kirche aus-
                                                         der spirituellen Suche zurückgelegt ha-        geschlossen und als Häretiker durch die Inquisiti-
             Verkündigung und Diakonie                   ben, zu den Kirchgemeinden, die sie            on verfolgt.
             Zum kirchlichen Leben gehören Ver-          gastfreundlich aufnehmen.                         Die Bezeichnung Waldenser wurde im Piemont,
             kündigung und Diakonie. Das grosse             Die Bedürfnisse dieser neuen Mit-           in Savoyen, Frankreich, in der Schweiz und in den
             diakonische Wirken funktioniert sehr        glieder sind unterschiedlich. Die einen        Niederlanden oft zum Synonym nicht nur für Hä-
             gut und ist breit abgestützt durch die      suchen mit protestantischem Hinter-            retiker schlechthin, sondern von ihren Gegnern
             Beiträge aus der Mandatssteuer «Otto        grund eine evangelische Kirche, andere         mit Hexen, Zauberern, Magiern und Astrologen in
             per mille». Die Ausstrahlung gegen aus­     kommen mit schmerzlichen Erfahrun-             Teufelsdiensten gleichgedeutet.
             sen in die Gesellschaft ist gross und       gen aus evangelischen und katholi-                Weltweit zählt die Evangelische Waldenserkir-
             wird wahrgenommen. Im kirchlichen           schen Kirchen zu den Waldensern und            che heute etwa 98 000 Mitglieder, davon allein
             Gemeindeleben gibt es grosse Heraus-        suchen eine Möglichkeit, den Glauben           47 500 in Italien, wo sie seit 1979 mit den Metho-
             forderungen, wie zum Beispiel die           authentisch zu leben. Deshalb stellt           disten eine gemeinsame Kirche bilden, die Chiesa
             Überalterung. Veränderungen sind im         sich bereits unter den italienischen Ge-       Evangelica Valdese (englisch Union of the Metho-
             Gang, die zu Spannungen führen und          meindegliedern die Frage, wie man ge-          dist and Waldensian Churches).
             angegangen werden müssen.                   meinsam Kirche sein kann.                         Quelle: Wikipedia. Weitere Informationen:
                Die Waldenserkirche versteht sich           Als neue Herausforderung kommen             www.waldenser.ch
             als Gegenstimme gegen die auch in Ita-      zu diesen italienischen Gemeinschaf-

MAGNET Nr.1/2020                                                            14
Weitblick

                     Sorgende Gemeinschaften
                                               Das Potenzial der Diakonie

Die sorgende Gemeinschaft ist eine                                                     heitswissenschaftler an der Universität
Haltung, die auf gegenseitigem Ver-                                                    Graz. Der Staat habe die Aufgabe, die
trauen basiert: Mehr als 100 diako-                                                    Grundversorgung sicherzustellen. Dies
nisch Engagierte und Interessierte                                                     könnten sorgende Gemeinschaften
fanden sich am 29. November in Biel                                                    nicht ersetzen. Sie hingegen schafften
zu einer Fachtagung ein. Sie themati-                                                  Vertrauen und sozialen Zusammenhalt,
sierte Potenziale von Diakonie und                                                     achteten die Würde jeder Person und
Kirche für sorgende Gemeinschaften.                                                    ermöglichten es dem Leben, sich in al-
                                            leitner, sieht also voraus, nimmt an der   len Dimensionen zu entfalten. All dies
Wenn die Grenzen der sozialstaatlichen      Sorge und dem Leiden anderer teil und      könnten der Staat oder auch der Markt
Leistungen sichtbar und solidarische        übernimmt Verantwortung für sich und       nur sehr schwer gewährleisten.
Strukturen in der Gesellschaft schwä-       andere. Stabil werde ein Sorgegeflecht        Im Anschluss an die Referate tausch-
cher werden, steigt die Bedeutung nah-      dabei durch die Zutaten, durch einen       ten sich die Teilnehmenden jeweils in
räumlicher Unterstützungsnetzwerke          kreativen Prozess des Hörens, der ge-      Zirkeln nach Lebensphasen aus, um das
wie etwa der «Sorgenden Gemeinschaf-        meinsamen Kultur und des gemeinsa-         Thema der sorgenden Gemeinschaften
ten», englisch «Caring Communi-             men Wissens und Erfahrens.                 aus persönlicher wie professioneller
ties». Unter diesem Ansatz entstehen in         Wegleitner verwies auf die politi-     Perspektive zu diskutieren. Die sorgen-
vielen Städten, Gemeinden und Quar-         sche Dimension des Nachdenkens über        den Gemeinschaften sind kein Konzept,
tieren Bewegungen mit dem Ziel einer        Care. Heute könne klar zwischen be-        sondern eine Haltung, so Beat Maurer,
neuen Sorgekultur im Nahraum, in der        zahlter und unbezahlter Care-Arbeit        Präsident der Konferenz Diakonie
das Wohl aller im Zentrum steht, in der     unterschieden werden – und damit zwi-      Schweiz, zum Abschluss der Tagung.
man füreinander sorgt, einander um-         schen der Sicherheit, von Lohn und So-
                                            zialleistungen zu profitiere und der Un-   Mehr Informationen:
sorgt und gemeinsam Verantwortung
                                                                                       Ergänzend zur Tagung hat die Diakonie
trägt. Die nationale Fachtagung «Ge-        sicherheit, dies nicht zu haben. Ist die
                                                                                       Schweiz eine Themenseite zu Sorgenden
meinsam Sorge tragen» der Diakonie          Verantwortung fair verteilt? Lassen sich
                                                                                       Gemeinschaften unter www.diakonie.ch/
Schweiz machte am 29. November im           die Rahmenbedingungen ändern und
                                                                                       sorgende-gemeinschaften       freigeschaltet.
Volkshaus Biel den Ansatz der «Sorgen-      das Gemeinschaftsleben anpassen?           Dort befinden sich grundlegende Überlegun-
den Gemeinschaften» zum Thema und               Zu Quellen der Sorgen und deren        gen zum Thema. Die Seite wird laufend er-
fragte danach, wie sich diakonisch En-      politische Dimensionen sprach Patrick      gänzt und dient als Informationspool für Sor-
gagierte und Kirchgemeinden darin           Schluchter, Philosoph und Gesund-          gende Gemeinschaften/Caring Communities.
verantwortlich einbringen können.
   Dazu entfaltete die emeritierte
Theologieprofessorin der Universität
Neuenburg, Lytta Basset, Gedanken
                                            Ursula Steinhauser folgt auf Margrit Bürer
zum Mitgefühl aus evangelisch-refor-                                                   Archäologie leitete sie erfolgreich das
mierter Perspektive, von dem wir uns                                                   Seemuseum Kreuzlingen und hat sich
aus der Distanz erfassen liessen, so Bas-                                              berufsbegleitend in den Bereichen
set. Aus der Distanz zu einer anderen                                                  Kommunikation, Sponsoring und Lea-
Person können wir wahrnehmen, was                                                      dership weitergebildet. Sie verfügt über
vorher nicht möglich war, um so einan-                                                 profunde Kenntnisse im projektbezoge-
der im Mitgefühl näher zu kommen.                                                      nen Voranbringen kultureller Themen,
Wer sich auf diese Weise sorgt, wendet                                                 ebenso über methodisch-didaktische
sich zumindest zeitweise vom eigenen                                                   Fähigkeiten und Führungskompeten-
Weg ab und erlebt trotz der Sorge, vom                                                 zen.
Unbekannten vereinnahmt zu werden,                                                        Ursula Steinhauser wird die Stelle
grosse Nähe.                                                                           am 1. Juli 2020 antreten; auf diesen
    Klaus Wegleitner, Soziologe und Sor-    AR – Die Trognerin Ursula Steinhauser      Zeitpunkt hin wird Margrit Bürer, die
geforscher an der Universität Graz, be-     wird neue Leiterin des Ausserrhoder        das Amt für Kultur während fast 14 Jah-
trachtete im Anschluss die Entwicklung      Amtes für Kultur. Die langjährige Kul-     ren leitete, pensioniert. Eine Würdi-
sorgender Gemeinschaften aus soziolo-       turamtsleiterin Margrit Bürer wird auf     gung von Margrit Bürer und ihrer vie-
gischer Perspektive. «Care» definierte      den 30. Juni 2020 hin pensioniert.         len nachhaltigen und identitätsstiften-
der Soziologieprofessor gemäss dem             Ursula Steinhauser überzeugte im        den Projekte für die Kultur in Appenzell
deutschen Juristen und Theologen Tho-       Auswahlverfahren sowohl als starke         Ausserrhoden sowie ihres Engagements
mas Klie als vorausschauende, anteil-       und authentische Persönlichkeit wie        in überregionalen und nationalen Gre-
nehmende Verantwortungsübernahme            auch durch ihre fundierten Fachkennt-      mien wird im Rahmen ihrer Verab-
für sich und andere. Fürsorge, so Weg-      nisse. Seit Abschluss des Studiums der     schiedung Mitte 2020 erfolgen.

                                                              15                                                               MAGNET Nr.1/2020
Weitblick

                                         Kalender der Religionen 2020
             In vielen Religionen gilt der Körper als    ligiöse und zivile Feiertage – ein ideales
             ein wichtiger Träger der Beziehung der      Werkzeug für die Zusammenarbeit in re-
             Gläubigen zum Göttlichen oder zum           ligiös gemischten Teams und Klassen.
             Absoluten, nach dem sie streben. Um
             diese Beziehung zu stärken, kennen die      Was ist der Kalender der Religionen?
             meisten Religionen bestimmte Körper-        Der Kalender der Religionen listet die
             stellungen und symbolische Gesten –         Daten der wichtigsten Feste und Feier-
             dies zum Beispiel im Gebet.                 tage auf und unterstützt so die Zusam-
                 Eine wichtige Rolle spielen aber oft    menarbeit in religiös gemischten Teams.
             auch Gesang und Tanz. Manche Traditi-       Von Éditions Agora und IRAS COTIS
             on sieht im Körper aber auch ein Hin-       gemeinsam erstellt, reicht er jeweils
             dernis. Dann gilt es, ihn durch verschie-   von September bis Dezember des Folge-
             dene Formen der Askese zu beherr-           jahres und eignet sich somit ideal als
             schen: Essensvorschriften, Fasten, spiri-   Instrument für Schulen. Jährlich behan-        Informationen und Bestellungen:
                                                                                                        www.kalender-der-religionen.ch
             tuelle Übungen, Meditation. Mit sol-        delt er ein Thema und beleuchtet es
                                                                                                        www.iras-cotis.ch
             chen Praktiken soll der Körper gestützt     monatlich im Hinblick auf unterschied-
                                                                                                        Telefon 078 819 93 67
             und sein Band zum Göttlichen gesichert      liche religiöse Traditionen.
                                                                                                        rafaela.estermann@iras-cotis.ch
             werden. In verschiedenen Traditionen
             wird der Körper für Riten bemalt oder       Zusätzliches Angebot
             sogar mit Tätowierungen oder Hautrit-
             zungen versehen. So ist denn die Ritua-
                                                         Ein persönlicher Code auf dem Kalen-
                                                         der ermöglicht den Zugang zum ge-
                                                                                                        Unterwegs in Israel
             lisierung des menschlichen Körpers          schützten Bereich auf der Websi-                  12. bis 22. Oktober 2020
             trotz unterschiedlicher Ausdrucksfor-       te www.kalender-der-religionen.ch –            Mit Ihnen nach Israel zu reisen, ist für
             men ein universales Phänomen.               für Computer, Tablet und Smartphone.           mich etwas Besonderes. Nach Israel,
                 Der Kalender der Religionen themati-    Dort findet sich eine grosse Auswahl an        das damals Kanaan hiess, hat Er die Vä-
             siert den «Körper als Spiegel des Heili-    Begleitmaterial zu Themen wie religiö-         ter gebracht, Abraham, Isaak und Jakob.
             gen» in grossformatigen Bildern und         se Feiertage, sakrale Architektur, Pil-        In Israel haben die Propheten geredet.
             kurzen Begleittexten. Während 16 Mo-        gern, sakrale Objekte sowie Gebet und          In diesem Land ist unser Herr, Jesus
             naten (September 2019 bis Dezember          Meditation. Eine Chance für Lehrperso-         Christus, geboren, der Heiland der
             2020) zeigen Monatsraster rund 150 re-      nen für die Erarbeitung der Themen.            Welt, und hat sein Leben im Gehorsam
                                                                                                        zum Vater im Himmel gelebt. Dort ist

                      Kommunikation des Evangeliums                                                     Er auch gestorben, von den Toten aufer-
                                                                                                        standen und von dort in den Himmel
                                                                                                        gefahren. Aus Israel kommt zu grossen
                   Was heißt «Kommunikation                 Das Evangelium ist weder Besitz
                                                                                                        Teilen die Bibel. Diese Landschaft zu
                       des Evangeliums»?                       noch zeitloser Container
                                                                                                        sehen, zu spüren und zu erleben, Leu-
             Die Formel «Kommunikation des Evan-         Wechselseitige Kommunikation heißt:
                                                                                                        ten aus Seinem Volk zu begegnen und
             geliums» geht auf Ernst Lange zurück,       das Evangelium ist kein Besitz. Wir ha-
                                                                                                        dort mit Ihnen aus der Bibel zu lesen,
             der damit die dialogische Struktur von      ben es nicht, sondern es ergreift uns,
                                                                                                        darauf freue ich mich.
             Botschaft und Hörenden, von Bibel und       immer wieder neu. Es ist kein Vor-
                                                                                                                      Pfr. Florian Sonderegger
             Kultur sowie von christlicher Gemein-       sprung: Nur wer es mit anderen teilt,
             de und Gesellschaft entfaltete. Nach        entdeckt es neu. Und Evangelium ist            Infos, Reiseprogramm und Anmeldung:
                                                                                                        online via abstravel.ch/
             Christian Grethlein kommunizierte Je-       kein zeitloser Container. Es verschafft
                                                                                                        anmeldung-sonderegger
             sus das Reich Gottes durch Lehren und       sich in jeder Kultur und Generation, in
                                                                                                        oder an ABS Travel, Oberdorfstrasse 1,
             Lernen, gemeinschaftliches Feiern so-       jedem Volk oder Milieu sein Gehör.             9213 Hauptwil, Telefon 071 422 45 45
             wie Helfen.                                      Das Evangelium nimmt Platz
                                                                in Kirche und Diakonie
                                                         Aus dieser Selbstdurchsetzung des
                                                         Evangeliums lebt die Gemeinde Jesu:
                                                         Sie wirkt als Zeichen der Zukunft Got-
                                                         tes. An ihr entsteht die Diakonie: Sie
                                                         verschreibt sich in Anwaltschaft der Ge-
                                                         rechtigkeit Gottes. In ihr strahlt die
                                                         Freude des Glaubens auf: Sie will Got-
                                                         tes Lob in der Schöpfung ausbreiten.
                                                         Quelle: midi, evangelische Arbeitsstelle für
                                                         missionarische Kirchenentwicklung und dia-
                                                         konische Profilbildung. Infos: www.mi-di.de

MAGNET Nr.1/2020                                                             16
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