Reden mit Barmherzigkeit - Wie wir trotz Meinungsverschiedenheiten miteinander umgehen - Evangelische Allianz Deutschland

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Reden mit Barmherzigkeit - Wie wir trotz Meinungsverschiedenheiten miteinander umgehen - Evangelische Allianz Deutschland
3/2021 · ZKZ 65099
                                                                    gemeinsam glauben, miteinander handeln

Das Magazin der Evangelischen Allianz in Deutschland

  Reden mit Barmherzigkeit
  Wie wir trotz Meinungsverschiedenheiten miteinander umgehen

  Nah beieinander?                        Streit vermeiden?                     Zusammenwachsen
  (Streit-)Gespräche                      Plädoyer für eine gute                Die 125. Allianz-
  unter Christen                          Konfliktkultur                        konferenz war „hybrid“
Reden mit Barmherzigkeit - Wie wir trotz Meinungsverschiedenheiten miteinander umgehen - Evangelische Allianz Deutschland
Reden mit Barmherzigkeit - Wie wir trotz Meinungsverschiedenheiten miteinander umgehen - Evangelische Allianz Deutschland
INHALT

Seite EiNS:                    5    Wie wir miteinander reden
Das Editorial                       Die Seite des Generalsekretärs
                                    Von Reinhardt Schink

 Reden mit Barmherzigkeit
 Wie wir auch bei Meinungsverschiedenheiten miteinander umgehen

       Bibel, Glaube,         6		   Christen im Dialog: Alles Wissen ist Stückwerk
       Theologie                    Wie man der eigenen (geistlichen) Überzeugung dennoch gewiss sein kann
                                    von Horst Afflerbach
                              8		   „Im Wesentlichen sind wir nah beieinander …“
                              		    Gespräch unter Glaubensbrüdern: Heinrich Derksen und Thorsten Dietz

       Arbeitskreise          11	Dürfen Christen nur CDU wählen?
       der Allianz                  EiNS-Gespräch über eine barmherzigere Debattenkultur
                                    mit Ute Hauser und Christoph Waffenschmidt
                              14	Mehr Anstand bitte!
                                    Wie wir in der Gesellschaft miteinander umgehen
                                    Ein Kommentar von Uwe Heimowski

     Gelebte Allianz          16	Nur keinen Streit vermeiden!
                                    Schlaglichter: Verletzungen und eine gesunde Konfliktkultur
                                    von Martina Kessler, Angela Wosylus und Iris Völlnagel
                              19	Wie ticken Jugendliche heute?
                                    Das CHRISTIVAL22 im Gespräch
                                    von Johanna Kantz und Chris Pahl

     Partner der Allianz      20	Eine Woche Gratishilfe
                                    Neue Ideen des nachbarschaftlichen Hilfsprojekts
                                    von Martina Todesko
                              21	Laute Stimme für Religionsfreiheit
                                    Das wichtige Jahrbuch der Weltweiten Evangelischen Allianz
                                    von Thomas Schirrmacher

       Allianz-Originale      22	Sven Findeisen: Ausgleichend und klar
                                    Serie: Zeitzeugen der Evangelischen Allianz
                                    von Margitta Rosenbaum

       In Sachen              24    Eine Grundstimmung des Misstrauens?
       Evangelische Allianz         Kolumne: Was die Allianzvorsitzenden bewegt
                                    von Siegfried Winkler
                              25    Zwischen Himmel und Erde …
                              		    Gabriele Fischer-Schlüter – Kolumne: Ein Brief aus dem Allianzhaus
                              26 	Zusammenwachsen: in Bad Blankenburg und
                                   beim „Public Viewing“
                                    Bericht: Die 125. Allianzkonferenz fand „hybrid“ statt
                                    von Achim Halfmann
                              28    Termine
                                    mit Angeboten im Evangelischen Allianzhaus Bad Blankenburg
                              30    Allianz-Nachrichten
                              32    Impressum

                                                                                                               3
Reden mit Barmherzigkeit - Wie wir trotz Meinungsverschiedenheiten miteinander umgehen - Evangelische Allianz Deutschland
Reden mit Barmherzigkeit - Wie wir trotz Meinungsverschiedenheiten miteinander umgehen - Evangelische Allianz Deutschland
DIE SEITE DES GENERALSEKRETÄRS

                                                                                                                                                                                                          3/ 2021 · Z KZ 65099
                                                                                                                                                                                                            gemeinsam glauben, miteinander handeln

                                                                                                                                       Das Magazin der Evangelischen Allianz in Deutschland

Wie wir miteinander reden
                                                                                                                                         Reden mit Barmherzigkeit
                                                                                                                                         Wie wir trotz Meinungsverschiedenheiten miteinander umgehen

                                                                                                                                         Nah beieinander?                        Streit vermeiden?                      Zusammenwachsen
                                                                                                                                         (Streit-)Gespräche                      Plädoyer für eine gute                 Die 125. Allianz-
                                                                                                                                         unter Christen                          Konfliktkultur                         konferenz war „hybrid“

Liebe EiNS-Leserinnen und -Leser,
„Es war wieder wunderbar in Bad Blankenburg, mit Jesus in der Mitte                               mes Einverständnis in einer konkreten Frage sogar unmöglich zu sein
und lieben Freunden und Geschwistern an der Seite!“ Diese zusammen-                               scheint. Dann zeigt sich, ob das Reden von der Gemeinde als Leib
fassende Rückschau eines langjährigen Teilnehmers auf die Allianz-                                Christi eine fromme Floskel oder eine lebensverändernde geistliche
Jubiläumskonferenz ist wohltuend. Und er hat mit beidem völlig                                    Wirklichkeit ist. Fakt ist, dass Glieder sich von ihrem Leib nicht einfach
recht: Erstens war die Gegenwart Jesu auch in diesem Jahr wieder das                              verabschieden können. Wenn sie es tun, nehmen sie selbst Schaden.
Entscheidende − wie in 124 Allianzkonferenzen davor auch. Jesus in                                    Wir sind eins, weil wir Kinder Gottes und Nachfolger Jesu Christi
unserer Mitte zu haben, ist alles, was wir benötigen. Denn Er ist Grund                           sind. Der Grund unserer Einheit ist seine Berufung und sein souverä-
und Ziel unseres Lebens. Das ist unser Bekenntnis. Das Zweite hat uns                             nes Schöpfungshandeln (Eph. 2,11ff.). Unsere Einheit ist damit ein
aber in diesem Jahr besonders überrascht. Durch die Kontaktbe-                                    Eins-Sein. Sie ist in Gottes Neuschöpfung und damit in unserer Exis-
schränkungen erkannten wir den Schatz, dass wir als Geschwister ge-                               tenz begründet – und nicht darin, dass wir die gleiche Meinung haben.
meinsam mit Jesus verbunden sind. Dies ist weit mehr als ein schönes                              An der Gemeinde sind die integrierenden Kräfte von Gottes neuer
Gefühl: Es ist eine tiefe geistliche Realität.                                                    Schöpfung für die sichtbare und unsichtbare Welt exemplarisch sicht-
   Die vergangenen Monate lehren uns, dass persönliche Begegnun-                                  bar (Eph. 3,6-10). Aber im Alltag scheitern wir leider viel zu häufig
gen keine Selbstverständlichkeit sind. Zugleich beeinträchtigt Corona                             daran, auf hilfreiche Art und Weise miteinander zu sprechen. Leider.
unser Miteinander. Nicht in erster Linie, weil wir uns durch Masken                               Was für eine verpasste Chance des Zeugnisses für eine zunehmend
sehen und äußerlich auf Abstand bleiben müssen. Vielmehr kann Co-                                 gespaltene Welt, in der Kommunikation nur noch innerhalb der eige-
rona wie ein Spaltpilz leicht zu einer inneren Distanzierung und tief-                            nen Blase zu gelingen scheint!
greifenden Entfremdung führen. Selbst bei Menschen, die für sich in                                   Und doch erleben wir im Netzwerk der Evangelischen Allianz auch
Anspruch nehmen, gemeinsam ein Leib zu sein, mit dem einen Haupt:                                 ermutigende Beispiele gelingender Kommunikation. Das EiNS-Magazin
Jesus Christus.                                                                                   berichtet davon. Auch davon, was dazu hilft, sanftmütig zu leben und
                                                                                                  in aller Unterschiedlichkeit den Anderen (wenigstens) zu verstehen. Die
Fromme Floskel oder geistliche Wirklichkeit?                                                      Beiträge geben Tipps, den Kommunikationsfaden nicht abreißen zu las-
Deshalb ist das Thema des aktuellen EiNS-Magazins so wichtig und                                  sen. Sie wehren dem Missverständnis, dass Einheit nur dort möglich sei,
gleichzeitig herausfordernd. Wie reden wir miteinander? Nicht nur in                              wo faule Kompromisse geschlossen werden. Vielmehr wollen wir als
Schönwetter-Perioden, wenn wir alle der gleichen Meinung sind und                                 Evangelische Allianz für die Wahrheit eintreten, in Sanftmut und Ge-
uns blendend verstehen. Sondern auch, wenn wir in wichtigen Le-                                   rechtigkeit. Im Vertrauen, dass Gott handelt (Ps. 45,5b).
bensfragen unterschiedliche – vielleicht konträre – Ansichten vertre-                                 Viel Spaß beim Schmökern im Magazin. Bleiben Sie Gottes Treue,
ten. Wenn ein gegenseitiges Verstehen schwierig und ein gemeinsa-                                 Seinem Schutz und Seinem Segen anbefohlen.

                                                                                                                                         Es grüßt Sie herzlich
                                                                                                                                         Ihr
                                                                          Foto: Christian Hönig

                                                                                                                                         Reinhardt Schink
                                                                                                                                         Generalsekretär der
                                                                                                                                         Evangelischen Allianz
                                                                                                                                         in Deutschland

                                                                                                                                                                                                                                           5
Reden mit Barmherzigkeit - Wie wir trotz Meinungsverschiedenheiten miteinander umgehen - Evangelische Allianz Deutschland
BIBEL UND GLAUBE

                                              BIBLISCHE BASIS: CHRISTEN IM DIALOG

                     Wir wissen: Alles ist Stückwerk
                             Wie man der eigenen (geistlichen)
                           Überzeugung dennoch gewiss sein kann
                                                       Von Horst Afflerbach

M
        enschen mit Überzeugungen beeindrucken. Sie haben nicht       merken, dass sie übergriffig werden. In Auseinandersetzungen sind sie
        nur eine dezidierte Meinung zu einem Thema, sondern kön-      nicht offen für andere Aspekte und Perspektiven, sondern verteidigen
        nen ihre Überzeugungen auch kompetent begründen, ruhig        nur ihre eigene Sicht der Dinge. Dass sie sehr anstrengend sind und
darlegen und so andere Menschen gewinnen. Sie fallen selbst dann      polarisieren, merken sie gar nicht.
nicht aus der Rolle, wenn sich Widerstand regt oder Menschen sich        Wie können Christen ihrer eigenen Überzeugung gewiss sein (Röm
nicht überzeugen lassen (wollen). Sie respektieren andere Meinungen   14,5) und dennoch andere geistliche Erkenntnisse stehenlassen, auch
und lassen sie stehen.                                                wenn sie sich stark von der eigenen unterscheiden? Und wie können
   Ganz anders diejenigen, die anderen ihre Meinung – oft ungefragt   sie zusammenleben, ihren gemeinsamen Auftrag erfüllen, wenn un-
und mit missionarischem Eifer – aufdrücken wollen und dabei nicht     terschiedliche Meinungen aufeinanderprallen?

                                                                                                                                              Foto: Rod Long J / unsplash.com

  6       EiNS        September 2021
Reden mit Barmherzigkeit - Wie wir trotz Meinungsverschiedenheiten miteinander umgehen - Evangelische Allianz Deutschland
BIBEL UND GLAUBE

   Können wir dabei von den ersten Christen lernen? In der Urgemein-          b) Demut
de und den ersten missionarischen Bewegungen – von uns oft ideali-            Von Jesus lernen heißt: Demut lernen. (Mt 11,29). In Konflikten dür-
siert – ist erstaunlich häufig von Streit und Auseinandersetzungen die        fen wir uns bewusst sein, dass keine(r) die volle Erkenntnis hat und
Rede. Wenn Jakobus z.B. beklagt: Ihr streitet und führt Krieg (Jak 4,2,       deshalb auf die Verabsolutierung seiner Meinung verzichten muss:
ELB) oder wenn Paulus mahnt: Wenn ihr einander wie wilde Tiere kratzt         „Wenn ich jetzt etwas erkenne, erkenne ich immer nur einen Teil des Gan-
und beißt, dann passt nur auf, dass ihr euch nicht gegenseitig verschlingt!   zen“ (1Kor 13,12, NGÜ).
(Gal 5,15, GNB), dann bekommen wir eine Ahnung davon, wie heftig              c) Besonnenheit
schon die Heiligen der Anfangszeit aneinandergerieten.                        Wichtiges Merkmal einer geistlichen Streitkultur ist Besonnenheit. Als
                                                                              es im Theater von Ephesus zu einem Tumult kam, konnte der Stadt-
Warum streiten Menschen?                                                      schreiber durch besonnenes Handeln die Menge beruhigen (Apg
In der Bibel werden verschiedene Gründe genannt. Oft sind Neid und            19,35ff). Nicht umsonst haben wir von Gott einen „Geist … der Beson-
Eifersucht der Anlass, wie bei Kain und Abel, Josef und seinen Brüdern.       nenheit“ bekommen (2Tim 1,7). Auch Schweigen kann in besonderen
Die Auseinandersetzungen der Pharisäer und Schriftgelehrten mit Jesus         Situationen der richtige Weg sein, wie wir bei Jesus sehen (Mt 26,63).
und später den Aposteln zeigen, dass Streit entsteht, weil andere mehr        d) Priorisieren
Ansehen und Einfluss gewinnen als man selbst (Apg 13,45; 14,4f u.a.).         Der alte Grundsatz „Im Notwendigen Einheit, im Zweifel Freiheit, in al-
    Auch Ressourcenknappheit kann zu Streit führen, wie bei den Hir-          lem Liebe“ von Rupertus Meldenius (1582–1651) kann uns helfen,
ten Abrahams und Lots (Gen 13,6f). Meinungsverschiedenheiten in               Themen zu priorisieren: Was ist wesentlich, was nicht? Traditionell
einer engen Dienstgemeinschaft mit profilierten Persönlichkeiten              werden dabei drei Ebenen unterschieden: 1. Heilsnotwendige The-
(z.B. Paulus und Barnabas, Apg 15,39) können dazu führen, dass sich           men (der trinitarische Glaube und die Soteriologie, die Lehre vom Er-
Teams trennen.                                                                lösungswerk Christi; z.B. Apostolikum), 2. Fragen der Nachfolge und
    Meistens führen unterschiedliche Beurteilungen theologischer              Ethik und 3. Fragen der Ordnung und Kultur.
Standpunkte aufgrund unterschiedlicher Persönlichkeiten und sozia-                Wenn wir im Geist des Evangeliums leben – Gott und den Nächsten
ler Milieus zu Konflikten. Der Apostelstreit (Apg 15) zeigt, wie ernst-       von Herzen lieben (Mt 22,37–40), auf das Fundament unseres Glaubens,
haft um die Frage gerungen wurde, ob das Gesetz gültig bleibt.                Christus, aufbauen (1Kor 3,10), die größere Perspektive des Reiches
                                                                              Gottes im Blick behalten (Mt 6,33) – dann können wir leichter in
Konstruktiver und destruktiver Streit in der Gemeinde                         Streitfragen und Konflikten zu konstruktiven Lösungen kommen.
Es gibt destruktive Streitigkeiten, bei denen es bloß um Rechthaberei         Wenn wir Dinge im Licht der Ewigkeit betrachten, verliert mancher
geht. Dabei kann es nur Verlierer geben. Paulus warnt Timotheus vor           Streit um Vorläufiges seine Bedeutung (Kol 2, 16f).
solchen Auseinandersetzungen: „Denn die Legenden und endlosen Ge-             e) Die Einheit suchen
schlechtsregister, mit denen sie sich befassen, führen nur zu Spekulatio-     Vor dem Hintergrund, dass Christen durch ihre Verbindung mit Christus
nen, statt dass sie den Glauben fördern und damit der Verwirklichung          alle wie ein Mensch (Gal 3,28), also Glieder an seinem Leib geworden
von Gottes Plan dienen. Sie bringen auch keine Liebe hervor, und gerade       sind (Kol 3,11; Röm 12,4.5), sollen die Starken die Schwachen im
das muss doch das Ziel aller Verkündigung sein“ (1Tim 1,4f NGÜ). Und          Glauben nicht länger richten und die Schwachen die Starken nicht
an Titus schreibt er: Von törichten Fragen aber, von Geschlechtsregis-        länger verachten (Röm 14,3), sondern Wege der Einheit suchen. Dazu
tern, von Zank und Streit über das Gesetz halte dich fern; denn sie sind      gehört auch:
unnütz und nichtig (Tit 3,9 LUT).                                             f) Dialogfähig werden
    Es ist ein Unterschied, ob es bei einem Streit in Wirklichkeit darum      Ein konstruktiver Dialog erfordert von allen Beteiligten die geduldige
geht „wer ist der Größte“ (Lk 22,24) oder darum, in Liebe zu einer            Bereitschaft, aufeinander zu hören und den anderen wirklich verste-
konstruktiven Lösung zu kommen, der beide Parteien zustimmen kön-             hen zu wollen. Dazu gehört auch, dass man sich auf einen gegenseiti-
nen. Über der Frage, ob Heiden, die gläubig geworden waren, erst              gen Perspektivwechsel einlässt. Außerdem ist es unabdingbar, sich der
Juden werden, das Gesetz halten und sich beschneiden lassen müssen,           eigenen Glaubensbiografie und der Entstehung eigener theologischer
kam es zu einem heftigen Streit – „…man hatte sich lange gestritten …“        Urteile bewusst zu werden.
(Apg 15,2.7). Er wurde gelöst, indem man die unterschiedlichen Kon-               Nicht zuletzt ist auf eine angemessene Sprache zu achten: Doch
fliktparteien ernst nahm und Raum gab für neue Erfahrungen der Hei-           jetzt legt das alles ab, auch Zorn, Aufbrausen, Bosheit und Verleumdung;
den-Christen. Als man auch in diesen die Erfüllung alttestamentlicher         kein gemeines Wort darf über eure Lippen kommen (Kol 3, 8). Stattdes-
Verheißungen erkennen konnte (V 13-15), kam es zu einem einmüti-              sen kann man gewaltfreie Kommunikation lernen – auch im Internet.
gen Beschluss für die junge Kirche (Apg 15,25f).                              g) Den Weg des Friedens lernen (Lk 1,79)
    Letztlich geht es in allen Konflikten in der Gemeinde darum, das          In dem ganzen Kontext ist es heilsam, sich das Evangelium des Friedens
Evangelium zu leben: „So lautet diese Botschaft: In Christus hat Gott         (Eph 6,15) zu vergegenwärtigen: „Die Weisheit, die von oben kommt,
selbst gehandelt und hat die Menschen mit sich versöhnt. … Er hat uns         ist … friedfertig, freundlich und bereit, sich etwas sagen zu lassen…; sie
das Wort von der Versöhnung (2Kor 5,19) und den Dienst der Versöh-            ist unparteiisch und frei von jeder Heuchelei. Die Früchte, die vor Gott
nung gegeben (2Kor 5,18).                                                     bestehen können, wachsen dort, wo Friedensstifter eine Saat des Friedens
    Wissen, Techniken der Konfliktlösung sind hilfreich. Aber letztlich       säen“ (Jak 3,17f, NGÜ). Und: „Darum wollen wir uns mit allen Kräften
kommt es bei Lösungen auf die Gesinnung Jesu an. Sie führt zu jesus-          um das bemühen, was zum Frieden beiträgt und wodurch wir uns gegen-
gemäßem Handeln. Was uns wirklich voranbringt, ist die Liebe (1Kor            seitig ´im Glauben` fördern“ (Röm 14,19, NGÜ).
8,1, NGÜ).
                                                                                                Pastor Dr. Horst Afflerbach war bis 2018 Leiter der
Was hilft konkret weiter?                                                                       Biblisch-Theologischen Akademie, Forum Wiedenest
a) Gewissheit und Toleranz                                                                      und Dozent für Systematische Theologie und
„Ein jeder sei seiner Meinung gewiss“ (Röm 14,5). Auffallend ist, dass                          Gemeindeentwicklung. Er gehört zum Hauptvorstand
Paulus das zu beiden Konfliktparteien sagt: zu denen, die Fleisch essen                         der Evangelischen Allianz in Deutschland.
und zu denen, die aufs Fleischessen verzichten! Das erfordert zumin-
dest eine gewisse Ambiguitätstoleranz, die den anderen nicht bekämpft.

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Reden mit Barmherzigkeit - Wie wir trotz Meinungsverschiedenheiten miteinander umgehen - Evangelische Allianz Deutschland
BIBEL UND GLAUBE

                              „Im Wesentlichen sind wir
                                 nah beieinander …“
                                   Foto: Simon_Zimpfer

                                                                                                                    Foto: privat
                                Heinrich Derksen und Thorsten Dietz:
                                Ein Gespräch unter Glaubensbrüdern

Heinrich Derksen ist Direktor des Bibelsemi-             Ich möchte an der Irrtumslosigkeit der Bibel      bruch. Das war für mich der Punkt: Jetzt bin
nars Bonn und Mitglied im Hauptvorstand der              nicht rücken. Gleichzeitig habe ich entdeckt:     ich dabei!
Evangelischen Allianz in Deutschland, Thorsten           Die Gemeinde Jesu ist vielfältig, sehr ver-           Das Theologiestudium war dann für mich
Dietz Professor für Systematische Theologie an           schieden in ihren Erkenntnissen. Ich möchte       ein Schock. Bultmann-Schüler waren in
der Theologischen Hochschule Tabor und Privat-           dabei andere als Glaubensbruder und Glau-         Münster damals Standard – und ich dachte:
dozent an der Uni Marburg. Ihre Frömmigkeits-            bensschwester stehenlassen, mich aber im-         Die glauben ja nicht mal an die Auferstehung!
prägung ist unterschiedlich, sie vertreten in            mer wieder auch inhaltlich klar positionieren.    Die reden von lauter biblischen Dingen, ohne
Teilen verschiedene theologische Positionen –                                                              das ernst zu nehmen. Über die Theo-Kreis-
und haben sich im Sommer auf Einladung von               Thorsten, bei dir sah es etwas anders aus.        Arbeit bin ich dann zur Bekenntnisbewegung
EiNS zu einem Gespräch unter „Glaubensbrü-               Dietz: Ich könnte immerhin beitragen: Meine       und Studienstiftung „Kein anderes Evangeli-
dern“ getroffen, verbunden auch durch das ge-            Urgroßeltern sind aus Ostpreußen eingewan-        um“ gekommen, war Gast im Bengelhaus
schwisterliche Du:                                       dert. Sonst bin ich relativ säkular großgewor-    Tübingen, Mitarbeiter im Bodelschwingh-
                                                         den. Wir waren Kirchenmitglieder und gin-         Studienhaus Marburg. Zunehmend bin ich
Heinrich, Thorsten, ihr habt ganz unterschied-           gen da Weihnachten auch hin, aber ich mach-       dann auch Evangelikalen begegnet, bei denen
liche biografische und Glaubenshintergründe.             te mir nicht viel draus. Ich hatte dann eine      ich dachte: Solche Radikalität tut den Men-
Wie charakterisiert ihr eure Frömmigkeits-               wilde weltanschauliche Reise zwischen 15          schen nicht gut. Daraufhin war ich dann ir-
prägung?                                                 und 21. Ich habe als Atheist beschlossen,         gendwann „Mainstream-Evangelikaler“, pie-
Derksen: Ich bin in Russland geboren und                 Theologie zu studieren, auf Lehramt. Damals       tistisch-lutherisch, der etwa Evangelischer
mit sechs Jahren nach Deutschland gekom-                 wollte ich alles immer radikal und ganz ma-       Allianz, ProChrist, Christival sehr positiv
men. Wir haben uns mit russlanddeutschen                 chen. So wollte ich für mich klären: Was ist      gegenüberstand, missionarisch unterwegs,
Christen in Köln verständigt, eine eigene Ge-            von Religion zu halten? Werde ich Reli-Leh-       Landeskirchliche Gemeinschaft, Tabor-
meinde zu gründen, in der ich aufgewachsen               rer, um davor zu warnen? Oder ist da etwas        Dozent ...
bin. Mit acht Jahren habe ich mich im Schlaf-            dran?
zimmer meiner Eltern bekehrt, mich mit 14                   Die Bibel hat dann einen wahnsinnigen          Was ist heute für euch das Unaufgebbare, für
taufen lassen, früh in der Jungschararbeit               Sog entfaltet. Ich konnte nicht mehr aufhö-       Lehre und Glaubens-Praxis?
mitgemacht und mit 19 mit dem Theologie-                 ren, habe die Bibel in vier Wochen komplett       Derksen: Ich glaube an einen Schöpfergott,
studium begonnen.                                        gelesen und sofort wieder von vorn angefan-       der diese Welt liebt und die Sünde hasst.
    Während des Studiums habe ich mich be-               gen. Irgendwann hatte ich den Punkt: Gott ist     Auch die Erlösung durch Jesus Christus als
wusst auch viel mit historisch-kritischer Lite-          eine Realität. Ich hatte aber noch keine Mitte.   einzigen Weg zu Gott ist für mich eine unauf-
ratur beschäftigt, und mit der Frage: Wie                Für mich war dann Jesus kennenzulernen als        gebbare Wahrheit und Lehre. Hinzu kommt
glaubwürdig ist die Bibel? Dabei bin ich zu              Auferstandenen, zu ihm Du zu sagen, ihm           eben die Frage nach der Glaubwürdigkeit der
der felsenfesten Überzeugung gekommen:                   mein Leben zu geben, ein Bekehrungs-Durch-        Bibel: dass ich mich absolut auf Gottes Wort

   8       EiNS         September 2021
Reden mit Barmherzigkeit - Wie wir trotz Meinungsverschiedenheiten miteinander umgehen - Evangelische Allianz Deutschland
Foto: Bernd Dittrich / unsplash.com                                                                                                                              BIBEL UND GLAUBE

                                      verlasse. Und das, was er Sünde nennt, muss                                                            Ich mag an der Evangelischen Allianz, dass
                                      ich auch Sünde nennen.                                                                              sie sagt: Können wir nicht einen Bereich defi-
                                      Dietz: Ich könnte es ähnlich sagen. Die Jesus-          „Es gibt Situationen,                       nieren, wo wir klarkommen und für missiona-
                                      nachfolge war zuerst das Zentrum. Mit der            in denen das gute Neben-                       rische, diakonische, evangelistische Zwecke
                                      Zeit wurde mir der trinitarische Glaube wich-                                                       Frieden schließen? Dann können wir da zu-
                                      tiger: Die Schätze auch der alten Kirche, der          einander besser ist als                      sammen was machen.
                                      Dreieinige Gott, die Christologie – das sind           der ständige Konflikt.“
                                      hilfreiche Wegmarken für eine große Weite.                                                          Wir können hier in der Tat nicht die Fragen
                                         Da hinein gehört ein menschenfreundli-
                                                                                                Heinrich Derksen                          klären. Darum vom persönlichen zu einem wei-
                                      cher Exklusivismus: Jesus Christus ist der ein-                                                     teren Blick. Eine Basis ist Johannes 17, das
                                      zige Weg, für den Menschen. Ich bin klassisch                                                       Gebet Jesu für die Einheit der Christen. Wie ist
                                      christlich orthodox, mit einer Weite und Of-                                                        es um die Einheit der frommen Christenheit in
                                      fenheit dafür, was Gott Gutes in die Schöp-       Derksen: Ich habe eigentlich nur in der           Deutschland bestellt?
                                      fung hineingelegt hat, auch an Menschengüte,      Schriftfrage einen wesentlichen Unterschied       Dietz: Die 90er Jahre waren für Evangelikale,
                                      die aber nicht erlösen kann. Wesentlich gehört    gehört. Im Wesentlichen sind wir sehr nah bei-    Jesus-Leute, missionarische Kräfte ein großer
                                      für mich zum Glauben das Vertrauen in die         einander. Aber natürlich hat meine Schrifthal-    Aufschwung: Charismatiker kamen dazu,
                                      Bibel als Gottes Wort und Menschenwort,           tung, die wir hier nicht vertiefen können, Kon-   Pfingstler, es war eine positive Sammlungs-
                                      Orientierung für Glauben und Leben. Durch         sequenzen. Sie formt meine Theologie: Wie         bewegung, die mit ProChrist, Willow Creek,
                                      mein Studium war‘s mir schon ein Anliegen,        wörtlich nehme ich den Schöpfungsbericht?         SPRING und dem Christival Projekte an den
                                      das mit dem geschichtlichen Verstehen der         An welchen Stellen definiere ich Sünde als        Start gebracht hat, die in die breite Öffent-
                                      Bibel ernst zu nehmen. Nicht für sämtliche        „Sünde“? Da sind die Unterschiede wesentli-       lichkeit kamen.
                                      weltanschaulichen Fragen in der Bibel, wie        cher. Oder, Thorsten?                                In den vergangenen zehn Jahren hat diese
                                      das Alter der Erde, halte ich die Idee der Irr-   Dietz: Wahrscheinlich ist das so. Die Schwie-     fromme Christenheit nicht mehr die Mitte,
                                      tumslosigkeit der Bibel für hilfreich.            rigkeit ist, wir müssten Stunden, Tage, Wo-       die alles zusammenhält. Es gibt nicht mehr
                                         Schließlich würde ich betonen: Zum Glau-       chen gucken, was wir alles denken. Ich be-        diesen starken Binnenmagnetismus. Im Mo-
                                      ben gehört zentral die Nächstenliebe, im Pri-     schäftige mich viel mit Hermeneutik, mit der      ment ist nicht ganz klar: Was ist unaufgeb-
                                      vaten, aber auch im Sozialen. Wir sind beru-      „Chicago-Erklärung“ zur Irrtumslosigkeit der      bar? Was ist zentral? Wofür stehen wir alle?
                                      fen, als Gerettete zu leben in der Liebe, die     Bibel. Du positionierst dich in diese Richtung.   Es gibt Fragen, die trennen und eine gewisse
                                      Christus uns erweist.                             Ich kann das Anliegen verstehen, die Bibel        Unruhe auslösen.
                                                                                        stark festzuhalten, glaube aber, das sind teil-   Derksen: Ich lese aus Johannes 17 nicht, dass
                                      Ihr habt viel von euch gesprochen. Wo erkennt     weise sehr komplizierte Fragen und man            Jesus für Einheit um jeden Preis betet. Er hat
                                      ihr euch in den Worten des anderen wieder?        kann sich da sehr zerstreiten.                    sich selber von Pharisäern und Schriftgelehr-

                                                                                                                                                                                     9
Reden mit Barmherzigkeit - Wie wir trotz Meinungsverschiedenheiten miteinander umgehen - Evangelische Allianz Deutschland
BIBEL UND GLAUBE

ten distanziert. Einheit braucht auch ein Fun-                                                                                          wir ganz viel miteinander. Das zweite ist der
dament, auf dem man etwas Gemeinsames                                                                                                   Umgang miteinander. Jesus sagt: An der Lie-
schaffen kann.                                                                                                                          be werden sie euch erkennen – nicht an ir-
   Zurzeit erleben wir den Versuch, irgend-                                                                                             gendwelchen Positionen.
wie alles unter einen Hut zu bringen, auch
wenn gar nicht alles zu vereinen ist. Alles soll                                                                                        Wir können uns also darauf einigen, dass wir
noch unter das Dach Evangelische Allianz –                                                                                              alle Teil einer Weggemeinschaft sind, in der
und wir müssen manches Thema meiden,                                                                                                    alle hinter Jesus her wollen?
Homosexualität etwa, um ja nicht in größere                                                                                             Dietz: Auf jeden Fall. Die Herausforderung
Debatten zu geraten.                                                                                                                    ist, diese Weggemeinschaft zu leben. Ich bin
   Zum Teil werden Positionen bezogen, wo                                                                                               sehr dafür, gutes Streiten zu lernen. Im Mo-
ich denke: Da wird dem Leib Christi unnötig                                                                                             ment haben wir insgesamt kein gesundes
viel Schaden zugefügt. Darum finde ich es                                                                                               Streitklima. Die Reizthemen führen oft dazu,

                                                                                                  Foto: Jean Wimmerlin / unsplash.com
gut, auch nochmal die Frage zu klären: Evan-                                                                                            dass man getriggert wird und nicht weiß, wie
gelikale – quo vadis?                                                                                                                   man das zusammen aushält. Das ist echt nicht
                                                                                                                                        leicht. Aber dahin zu kommen, ist eine Her-
Mit Blick auf die fehlende Kraft der Mitte: Gibt                                                                                        ausforderung für die Allianz.
es heute keine „Einheits-Player“ mehr?
Dietz: Aus den Diskussionen unter Evangeli-                                                                                             Was hilft dann in dieser Weggemeinschaft, bei
kalen in den vergangenen Jahren, die teils                                                                                              unterschiedlichen Auffassungen beieinander
sehr laut, bewusst, meinungsstark und ent-                                                                                              zu bleiben, eine gute Streitkultur zu lernen
schieden geführt wurden, sind Kollateral-                                                                                               und ein starkes gemeinsames Zeugnis abzuge-
schäden geblieben. Es ist darum für mich ein                                                                                            ben?
Gebetsanliegen, sagen zu können, Gott kann                                                                                              Derksen: Für eine gute Streitkultur ist wich-
auch aus Zerriss große Dinge machen, man                                                                                                tig, den anderen zu respektieren, ihm mit
denke an die Brüder Josef.                                                                                                              christlicher Nächstenliebe zu begegnen, ja
Derksen: Für mich ist die Frage, ob wir noch                                                                                            ihn höher zu achten als sich selbst. Wenn wir
eine gemeinsame Mitte haben. Die Differen-               „Für mich bedeutet die                                                         diese christlichen Werte nicht mehr leben,
zen werden größer, wir zerreißen uns in La-              Allianz die Chance auf                                                         nützt auch alle Orthodoxie und Lehre nichts
gern. Gibt es noch die Möglichkeit, in Streit-                                                                                          mehr.
fragen Einigung zu erzielen? Für mich ist das
                                                           eine Ökumene der                                                                 Ich will aber nochmal sagen: Ich glaube,
ja auch eine Bekenntnisfrage. Ein Mitglied des            Jesusbegeisterten.“                                                           dass wir nicht immer notwendigerweise
Allianz-Hauptvorstands hat mal zu mir ge-                    Thorsten Dietz                                                             krampfhaft am Miteinander festhalten müs-
sagt: Du musst die unterschiedlichen Positio-                                                                                           sen. Es gibt Situationen, in denen das gute
nen in Fragen zur Homosexualität aushalten                                                                                              Nebeneinander besser ist als der ständige
können. Da habe ich gesagt: Okay. Aber                                                                                                  Konflikt. Durch die Pluralität ist am Ende kein
Franklin Graham kommt nächstes Jahr nach                                                                                                Profil mehr da. Ich finde das problematisch,
Deutschland – machen wir zusammen eine                                                                                                  für die Allianz und unser Miteinander. Lieber
Evangelisation? Darauf sagt er: Auf keinen                                                                                              friedlich nebeneinander als ewig um irgend-
Fall! Da sag ich: Warum hältst du Franklin                                                                                              eine Mitte streiten, die wir am Ende nicht
Graham in Deutschland nicht aus? Plötzlich          Derksen: Das klingt fast, als würdest du bei                                        mehr finden.
sind wir doch nicht bereit, den anderen zu ak-      Franklin Graham nächstes Jahr mitmachen …                                           Dietz: Das könnte ich kaum ergänzen. Für
zeptieren. Darum noch einmal: Wohin geht            (lacht)                                                                             mich bedeutet die Allianz dabei die Chance
die Reise? Wir können die Diskussionen auf          Dietz (lacht): Da hätte ich ein mulmiges Ge-                                        auf eine Ökumene der Jesusbegeisterten.
Dauer nicht einfach übertünchen.                    fühl.
                                                    Derksen: Das ist der Punkt. Nach unserem                                            Das kann ein gutes Schlusswort sein. Nur ein
Braucht die Christenheit nicht eine Stimme,         Gespräch, das wir im Frühjahr im ERF geführt                                        Gedanke noch: Ist nicht ein wesentlicher
damit die Menschen in ihrem säkularen Umfeld        haben, habe ich gesagt: Ich nehme Thorsten                                          Hinderungspunkt, dass bei Christens viel zu
überhaupt die christliche Botschaft hören kön-      Dietz seine Bibelgläubigkeit, sein Christusbe-                                      viel gestritten wird über „vorletzte“ Fragen?
nen?                                                kenntnis ab. Er ist für mich ein Bruder im                                          Wir sind uns einig bei den „letzten“ Fragen,
Dietz: Wir müssen nicht in allem einer Mei-         Herrn. Auch einem Katholiken möchte ich                                             verhaken uns aber bei den vorletzten …
nung sein. In manchen Fragen stehen Leute           seinen Glauben nicht streitig machen. Aber                                          Derksen: Natürlich. Der alte Satz gilt: Im We-
halt an verschiedenen Stellen. Aber gemein-         ich bin ja bewusst nicht katholisch. Wir brau-                                      sentlichen Einheit, in Zweifeln Freiheit und in
same Projekte – da kann man etwas teilen.           chen eine Distanzierung, eine Unterschei-                                           allem die Liebe. Ich will das Gemeinsame beto-
   Nehmen wir das Beispiel Franklin Graham:         dung und Positionierung. Wenn wir das ma-                                           nen, bin aber nicht sicher, ob wir nicht
Da habe ich auch Bauchschmerzen. Ein                chen und trotzdem sagen können, das sind                                            manchmal auch die Geschichte glorifizieren.
Mensch, der politisch so polarisiert hat – ob       unsere Brüder im Herrn, dann ist viel ge-                                           Die Unterschiede waren früher anders gela-
das für Deutschland eine gute Idee ist? Ich bin     schafft.                                                                            gert, aber sie waren genauso spannungsgela-
da skeptisch. Ich kann tolerieren, dass ihr sagt:      Und die Welt will hören, erstens, dass wir                                       den. Wir sind da nicht die ersten in der Kir-
Der hat eine super Verkündigung, der ist be-        tatsächlich gemeinsam bekennen, dass Jesus                                          chengeschichte.
kannt. Die Aufmerksamkeit ist uns sicher! Jetzt     Christus der einzige Weg zu Gott ist, dass Ver-
hoffen wir auf den Heiligen Geist. Ich hoffe        gebung durch seinen Kreuzestod möglich ist.                                         Vielen Dank für das brüderliche Gespräch!
und bete mit. Aber dazu stellen? Schwierig.         Da sind wir uns einig und deswegen können                                           Interview: Jörg Podworny

   10       EiNS         September 2021
ARBEITSKREISE DER ALLIANZ

                                       Dürfen Christen nur CDU wählen?
                                       Ute Hauser und Christoph Waffenschmidt
                                       über eine barmherzige Debattenkultur

                                       Wir haben jetzt Donnerstag in dieser Woche.      Bereich immer mal wieder Gewalttaten. Aber        nicht nur in öffentlichen Debatten, sondern
                                       Was war bisher der Aufreger der Woche?           es häuft sich. Das setzt mir auch persönlich      auch im privaten Bereich. Es prallt häufiger
                                       Hauser: Die Plagiatsvorwürfe gegen die Grü-      zu: die Unsicherheit, die damit einhergeht.       aufeinander. Die Themen stehen direkter ge-
                                       nen-Spitzenkandidatin Annalena Baerbock          Waffenschmidt: Ich kann gar nicht beurtei-        geneinander, die eigene Meinung wird deut-
                                       sind das Thema, das momentan durch die Me-       len, ob das zugenommen hat. Dazu müsste           licher ausgedrückt. Das kann auch etwas Gu-
                                       dien geht (das Gespräch fand Mitte Juli statt    man die Statistiken sprechen lassen, die ich      tes haben, die Debatte ist aber an manchen
                                       – Red.). Aber auch das Attentat auf den Jour-    jetzt nicht zur Hand habe. Dass es gefühlt zu-    Stellen deutlich rauer geworden, auch weil
                                       nalisten in Amsterdam oder der Premier, der      genommen hat, das glaube ich auch. Aber ich       das Zuhören verlernt wird. Im längeren Zeit-
                                       in Haiti erschossen wurde, die Gewaltzunah-      glaube auch, dass vieles durch die sozialen Me-   raum betrachtet, glaube ich, es gibt eine Wel-
                                       me, das finde ich besorgniserregend!             dien unwahrscheinlich schnell weiterverbrei-      lenbewegung. In den 1970er Jahren war die
                                       Waffenschmidt: Ich gewöhne mir ab, mich          tet wird. Das macht die Trennung zwischen         politische Auseinandersetzung auch viel
                                       intensiver mit den „Aufregern der Woche“,        der Frage „Was ist jetzt wirklich wahr“ und       eruptiver, da standen politische Blöcke hart
                                       des Tages oder manchmal nur des Vor- oder        „Was ist aufgebauscht?“ schwierig. Aber es        gegeneinander: „Freiheit statt Sozialismus“
                                       Nachmittags zu beschäftigen. Das ist häufig      stimmt, insgesamt ist alles fragiler geworden.    war 1976 das CDU-Wahlkampfmotto gegen
                                       einfach „heiße Luft“ und aufgeblasen.                                                              die SPD. Da wurde auch eine raue Sprache
                                                                                        Wie ist eure Analyse in Sachen Debattenkultur:    gepflegt. Vielleicht sind wir jetzt wieder in so
                                       Wenn wir die Attentate berücksichtigen: Bricht   Wie hat sie sich in den vergangenen Jahren        einer Bewegung, die ein bisschen vergleich-
                                       sich heute Gewalt leichter Bahn?                 verändert?                                        bar ist mit der Zeit damals.
                                       Hauser: Ja, in meiner Wahrnehmung schon.         Waffenschmidt: Ich nehme die Debattenkul-         Hauser: Für mich ist die Frage, besteht über-
                                       Natürlich hatten wir auch hier im ländlichen     tur der vergangenen Jahre als rauer wahr,         haupt noch eine echte Debattenkultur? Ich
Foto: Mika Baumeister / unsplash.com

                                                                                                                                                                                    11
ARBEITSKREISE DER ALLIANZ

                                                                                                      Foto: Christian Lue / unsplash.com
glaube, viele Leute können gar nicht mehr           ab dem und dem Moment hat sich das verän-                                              hier, um brav zu sein.“ Das so öffentlich zu
miteinander diskutieren. Es geht immer              dert. Ich glaube, das ist ein Phänomen, das                                            sagen, ist auch ein Stück Werteverlust.
gleich ins Persönliche oder in extreme Mei-         uns einfach begleitet im täglichen Leben.
nungen. Da ist dann gar keine Zuwendung             Waffenschmidt: Das würde ich auch so se-                                               Früher haben Politiker wie Franz-Josef Strauß
mehr möglich. Das ist eine extreme Entwick-         hen. Es hat natürlich einzelne Themen gege-                                            und Herbert Wehner auch kräftig ausgeteilt –
lung in den letzten Jahren, auch im politi-         ben, die das Ganze stärker haben auseinander                                           aber diese AfD-Zitate haben eine grundlegend
schen Bereich. Ich frage mich: Wo lernen wir        gehen lassen. Auch da spielt Social Media                                              andere Qualität ...
noch gesund zu debattieren? Wo haben wir            eine große Rolle. Die Leute äußern sich häu-                                           Hauser: Vermutlich hat man es den Politi-
noch die Möglichkeit, miteinander zu disku-         fig hinter dieser Fassade. Dann entwickeln                                             kern früher auch zugestanden, weil sie nach
tieren – wo es einfach um das Thema geht?           auf einmal Themen wie 2015 die Flüchtlings-                                            dem Krieg Aufbauarbeit geleistet und ver-
                                                    frage Spaltpotenzial – weil über Social Media                                          sucht haben, Deutschland wieder auf einen
Könnte das auch damit zu tun haben, dass die                                                                                               guten Weg zu bringen. Aber jetzt schwappt es
Aufmerksamkeitsspanne insgesamt nachgelas-                                                                                                 über und viele bemächtigen sich jetzt dieser
sen hat, die Zeit, in der wir bereit sind, Sachen                                                                                          Sprache. Da war früher mehr Respekt vorhan-
aufzunehmen? Dass wir lange Artikel nicht zu           „Es geht immer gleich ins                                                           den. Ob das immer berechtigt war, ist natür-
Ende lesen, uns auf 140-Zeichen-Twitter-                                                                                                   lich nochmal was anderes ...
Nachrichten oder Emojis bei Facebook oder               Persönliche. Das ist eine                                                          Waffenschmidt: Die Anerkennung für Politiker
WhatsApp begrenzen …?                                     extreme Entwicklung                                                              war früher höher, glaube ich. Ich war ja selber
Waffenschmidt: Ich glaube, dass für viele                                                                                                  Bürgermeister. Aber heute werden Bürgermeis-
Debatten die Zeit nicht mehr da ist. Es wird so
                                                         in den letzten Jahren.“                                                           ter auch Zielscheibe von tätlichen Angriffen. Ich
viel an politischen Themen durch den Bun-                      Ute Hauser                                                                  kann mich nicht erinnern, dass das zu meiner
destag gejagt … du kannst dich als Abgeord-                                                                                                Zeit passiert wäre. Natürlich schimpft mal einer
nete oder Abgeordneter gar nicht mit allem                                                                                                 über dich, aber tätliche Angriffe gab‘s damals
beschäftigen! Es fehlt die Zeit, dich in allen                                                                                             nicht, zumindest nicht in der Fülle.
Fragen bei deiner Partei, im Wahlkreis und          die Instrumente da waren, die Gesellschaft
bei wem auch immer rückzuversichern. Drei           auseinanderzutreiben, sprachlich, propagan-                                            Was dazu führt, dass einige nicht mehr bereit
Wochen für eine Debatte? Dafür ist die Zeit         distisch … Das sind dann Kipppunkte, wo                                                sind anzutreten.
überhaupt nicht mehr da! Zu viele Themen,           Themen und Instrumente zusammenkom-                                                    Waffenschmidt: Genau. Oder „hinschmei-
zu viele Punkte – das ist ein großes Thema für      men, mit denen man so einen Prozess be-                                                ßen“, auf Deutsch gesagt.
den Mangel an Debattenkultur.                       schleunigen kann.
Hauser: Das kann man auch auf Familien über-                                                                                               Giovanni di Lorenzo, der ZEIT-Chefredakteur, hat
tragen. Viele Familien haben nicht mehr die         Ich möchte zwei Politiker-Sätze zitieren: Als                                          vor Jahren gemahnt: Wir müssen aufpassen,
Möglichkeit, miteinander zu diskutieren. Weil       die AfD 2017 in den Bundestag eingezogen ist,                                          dass wir nicht so viel auf Politiker eindreschen;
beide Elternteile arbeiten, gibt es oft keine ge-   hat ihr Fraktionschef Alexander Gauland                                                sonst ist hinterher gerade von den Fähigen kei-
meinsamen Mahlzeiten mehr. Und wenn doch            gesagt, sie wollten jetzt die Bundeskanzlerin                                          ner mehr bereit, sich zur Verfügung zu stellen.
mal Zeit da ist, sitzen viele vor dem Laptop oder   jagen. Und Alice Weidel, die andere AfD-                                               Waffenschmidt: Absolut! Ich kann sowieso
Smartphone und lesen, was da alles reinkommt.       Fraktionsvorsitzende, hat erklärt, „die politi-                                        die Trennung in „die da oben“ und „wir hier
                                                    sche Korrektheit“ gehöre „auf den Müllhaufen                                           unten“ nicht verstehen. Letztlich hat jeder die
Nochmal zum Stichwort raues Gesprächsklima.         der Geschichte“. Man mag über die sprachliche                                          Möglichkeit, sich politisch zu engagieren, auf
Was waren in den vergangenen Jahren nach            Verwendung einer „politischen Korrektheit“                                             allen Ebenen. Unfaire und gewalttätige Atta-
eurer Einschätzung Kipppunkte oder öffentli-        diskutieren, aber solche Sätze befeuern und                                            cken untergraben einen wichtigen Pfeiler
che politische Schlüsselsätze, die das raue         vergiften eine Debatte.                                                                unseres demokratischen Systems. Man kann
Klima befördert haben?                              Hauser: Ich kann ergänzen: Der AFD-Vorsit-                                             sich an jemandem reiben als Person. Aber Kri-
Hauser: Ich denke, die Entwicklung war              zende Jörg Meuthen hat beim Antritt im                                                 tik, die pauschal verunglimpft, ist nicht ange-
schleichend, so dass man nicht sagen kann:          Stuttgarter Landtag gesagt: „Ich bin nicht                                             messen.

   12       EiNS         September 2021
ARBEITSKREISE DER ALLIANZ

                                                      Ute Hauser gehört zum Arbeits­                                            Christoph Waffenschmidt leitet
                                                      kreis Politik der Evange­lischen                                          als Vorstand das christlich-
                                                      Allianz in Deutsch­land und war                                           humanitäre Hilfswerk World
                                                      viele Jahre für die CDU in                                                Vision und ist als solcher inter­
                                                      Württemberg in der Kreispolitik                                           national vernetzt. Der Sohn
                                                      und in der Gebetsfrühstücksarbeit                                         des früheren Parlamentarischen
                                                      für Politiker aktiv; gemeinsam                                            Staatssekretärs Horst Waffen­

                                                                                          Foto: Deborah Pulverich
                                                      mit ihrem Mann und ihrer Tochter                                          schmidt war von 1999 bis 2008
                                                      führt sie ein Architekturbüro.                                            als Bürgermeister für die CDU
Foto: privat

                                                                                                                                in der Kommunalpolitik aktiv.

               Was sind heute die gesellschaftlichen Trigger-      Hauser: Wenn ich gefragt werde, was kann         Christin oder Christ wählen kann. Da hat je-
               punkte, Reizwörter, auf die alle sofort ansprin-    ich wählen, dann sage ich: Nimm dir Zeit und     der seine Schwerpunkte.
               gen – und schon geht’s rund?                        lies die Wahlprogramme, welche Punkte die
               Waffenschmidt: Vor fünf, sechs Jahren war           Parteien dir anbieten. Wo kannst du mitge-       Zum Schluss: Wie können wir, als Christen, bei-
               es sicher das Thema Flüchtlinge oder Geflüch-       hen? Was steht nicht gegen deine innere          tragen zu einer barmherzigen Gesprächskultur?
               tete. Das war über lange Zeit ein Reizwort.         Überzeugung? Dann kannst du eine Entschei-       Waffenschmidt: Meine erste Antwort ist, im-
               Zuletzt die Corona- Schutzmaßnahmen, alles,         dung finden, welcher Partei du deine Stimme      mer bei sich selbst anfangen. Was trage ich bei
               was damit zu tun hat.                               gibst. Ich glaube, dass viele nur die Über-      zu einer sinnvollen, sachlichen, konstruktiven,
                                                                   schriften lesen und denken: Wenn die Partei      liebevollen, barmherzigen oder respektvollen
               „Systemmedien“ ist auch beliebt.                    gegen Abtreibung ist oder gegen Homosexu-        Art der Kommunikation? Und die Debatten,
               Waffenschmidt: Genau. Und was sagen die             alität, dann kann ich die nur wählen. Alles      die bewusst geführt werden, um zu spalten,
               Rechten noch immer? „Lügenpresse!“ Da                                                                würde ich immer auf die wesentlichen Kern-
               wird ein tragender Pfeiler unserer liberalen                                                         punkte zurückführen – und mich nicht auf ir-
               Grundordnung massiv angegriffen. Die Frage                                                           gendwelche abseitigen Themen lenken lassen.
               ist: Ist das ein Aufreger, weil es wirklich un-       „Unfaire und gewalttätige                      Hauser: Ich glaube, wir müssen auch wieder
               terschiedliche Meinungen gibt? Oder werden                                                           lernen, mehr zuzuhören. Viele Menschen
               Reizwörter bewusst missbräuchlich in die De-         Attacken untergraben einen                      können gar nicht mehr zuhören, lassen den
               batte geworfen, weil die Gesellschaft sich da-        wichtigen Pfeiler unseres                      anderen auch nicht ausreden. Es ist unbarm-
               mit spalten lässt?                                                                                   herzig, wenn wir so mit anderen umgehen
                   Spannend finde ich auch: Was ist die
                                                                     demokratischen Systems.“                       und deren Meinung auf diese Weise nicht ste-
               nächste Reizdebatte? Wie können wir uns für            Christoph Waffenschmidt                       henlassen. Da haben wir Christen große Mög-
               einen guten Diskurs wappnen? Worauf kön-                                                             lichkeiten: warmherziger zu sein, toleranter.
               nen wir uns in der Gesellschaft verständigen?                                                            Selbst in unseren Gemeinden finden über
               Wo ist der Konsens? Wobei ich glaube, dass                                                           die sozialen Netzwerke heftige Debatten statt,
               weite Teile der Bevölkerung in Deutschland          andere bleibt dann unterm Tisch und das fin-     die oft verletzend und unsachlich sind. Wenn
               – wir sehen das bei den Wahlen – im demo-           de ich schade. Es gibt nicht nur schwarz-weiß    aber ein persönliches Gespräch stattfindet,
               kratischen Spektrum unterwegs sind. Stich-          oder nur rechts oder links, es gibt auch ein     ist die Wortwahl und Aussage oft abgerunde-
               wort Corona-Maßnahmen: Die absolute                 Sowohl-als auch. Ich finde, jeder muss sich      ter. Wie gehen wir mit unseren Mitmenschen
               Mehrheit der Menschen im Land haben die             die Mühe machen und mit dem auseinander-         um? Es baut den anderen auf, wenn er merkt,
               Sachen mitgetragen. Ich glaube, es ist wichtig      setzen, was die Parteien anbieten.               er kriegt Wertschätzung und Anerkennung
               für den gesellschaftlichen Zusammenhalt,            Waffenschmidt: Also bei mir ist die Wahlent-     von mir. Denn es geht uns ja um den Men-
               hier auch einen Pflock einzuschlagen und zu         scheidung relativ klar (lacht). Aber ich würde   schen.
               sagen: Die Mehrheit steht hinter den Maß-           grundsätzlich sagen: Guck auf das, was das       Waffenschmidt: Das ist ein entscheidender
               nahmen und erkennt das an! Man kann ein             Wichtigste ist. Nach meiner Überzeugung          Punkt: Wenn es uns in der Kommunikation
               Auseinanderdriften in der Gesellschaft auch         sind die Parteien wählbar, die für die tragen-   nicht darum geht, eine vermeintlich falsche
               herbeireden – auch da müssen wir aufpassen.         den Pfeiler unserer Gesellschaft einstehen:      Überzeugung beim anderen zu entdecken
                                                                   für Rechtsstaat, freiheitlich-demokratische      und darauf herumzureiten – sondern wenn es
               Wir sprechen hier nicht nur über Gesellschaft       Grundordnung, liberale Demokratie, soziale       um den Menschen mir gegenüber geht, dann
               allgemein, Christen mischen da munter mit. Um       Marktwirtschaft. Hinzu kommen dann noch          verändert das die Kommunikation.
               die Diskussion auch unter Christen im aktuellen     andere Dinge: wie Parteien und Politiker sich
               Wahlkampf deutlich zu machen, formuliere ich        verhalten in Debatten, zu manchen Entschei-      Vielen Dank für alle Anregungen und Einschät-
               mal so: Dürfen Christen nur CDU wählen? Denn        dungen, zu Dingen, die sie selber getan haben    zungen!
               es gibt eine Reihe Christen, die ernsthaft erklä-   und keinen Schlussstrich oder Trennlinie ge-
               ren, dass Grüne und Linke des Teufels wären         zogen haben … Ich maße mir nicht an zu sa-
               und uns direkt in eine Ökodiktatur führten ...      gen, es gibt nur die eine Partei, die man als    Interview: Jörg Podworny

                                                                                                                                                               13
ARBEITSKREISE DER ALLIANZ

                                         Mehr Anstand bitte!
                   Wie wir in der Gesellschaft miteinander umgehen

                                                                                                                 Foto: privat
                                     Lager Moria Insel Lesbos,Griechenland

R
      egelmäßig spreche ich Radioandachten beim MDR. Einmal ging             Bitte nicht im Copy and Paste-Stil!
      ich der Frage nach, ob man noch Urlaub auf einer griechischen          Meine längere Antwort war: Solche Fragen kriegen Bundestagsabge-
      Insel machen könne, wenn man an das Leid der Flüchtlinge               ordnete, besonders die Christen im Bundestag, zu tausenden. Chris-
denkt, im Lager Moria auf der Insel Lesbos etwa.                             ten, die solche Mails schicken – kopiert von anderen – brauchen zwei
                                                                             Sekunden, um die Mail weiterzuleiten, blockieren aber die Arbeit der
Der Ton macht die Musik                                                      Büros im Bundestag. Wenn Sie also wollen, dass Christen in der Politik
Am nächsten Tag bekam ich diese E-Mail: „Herr Pfarrer, erstens han-          eine gute Arbeit machen, hören Sie auf damit!
delt es sich in Moria nicht um Flüchtlinge und man kann ihnen deshalb            Zweitens: Sie unterstellen etwas, nämlich, ich müsste den Staat
auch nicht beheizte Hotels bauen. An Stelle unrealistische Dinge zu pre-     loben. Warum sollte ich das müssen? Ich werde von Spendern bezahlt.
digen, sollte ihre Kirche davon ausgehen, dass Europa nicht die ganze        Und wenn ich nur das sagen würde, was die Spender fordern, dann
Welt aufnehmen kann. Selbst der liebe Gott kann ihre Vorstellungen da        wäre ich korrupt. Ist Ihnen bewusst, dass Sie eben eine solch bösartige
nicht erfüllen. Die Menschen, die den Versuch der illegalen Grenzüber-       Unterstellung gegen mich erhoben haben?
schreitung unternehmen und teils noch in betrügerischer Absicht ohne             Dann folgt die Behauptung, es gäbe eine Einheitsregierung. Das kön-
Papiere kommen, wissen genau, dass sie ein Risiko für Leib und Leben         nen Sie ja so sehen. Aber dass es klar und für jeden offensichtlich wäre
eingehen. Wenn man sie dann noch aufnimmt und nicht zurückschickt,           und ich es bewusst und mutwillig verschwiegen hätte, ist eine Unter-
ist das schon eine humane Geste. Wenn man dann aber seine Unterkunft         stellung. Damit wäre ich nicht nur korrupt, sondern auch ein Lügner.
anzündet um einen Weg auf das Festland und nach Deutschland zu er-               Wollen Sie das wirklich sagen? Stellen Sie sich vor, die Frage hätte
pressen, ist das eine Unverschämtheit. Predigen sie ihren Mist ruhig wei-    so gelautet: „Sehr geehrter Herr Heimowski, Sie sind als unabhängiger
ter, die Menschen hier sind zwar christlich, aber nicht blöd.“               Beobachter beim Bundestag. Mir macht Corona große Mühe. Ich habe das
    Was passiert mit uns? Meine Sicht der Dinge muss der Schreiber           Gefühl, dass ich auf der Ebene von Weltgesundheitsbehörde und anderen
nicht teilen. Zum Glück. In Deutschland gibt es Meinungsfreiheit. Und        Organisationen die Zusammenhänge nicht verstehe. In der Bibel steht ja,
die Frage, wie viele Flüchtlinge wir aufnehmen (können), ist politisch       dass es mal eine Einheitsregierung geben wird. Sehen Sie Anzeichen da-
umstritten. Bundespräsident Joachim Gauck hat den Satz formuliert:           von? Es macht mir wirklich Sorge, vielleicht können Sie mir weiterhelfen?“
„Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten sind endlich.“                   Das wäre eine gute, vernünftige, nachvollziehbare Frage. Ich hätte
    Die Wortkombination „Flüchtling“ und „Moria“ hat wohl gereicht,          Ihnen darauf geantwortet: „Ich kann ihre Sorge verstehen, kann das aber
um den Schreiber auf die Palme zu bringen. Die Frage, die mich um-           so nicht erkennen. Wenn ich sehe, wie weltweit mit der Corona-Pande-
treibt, lautet: Wieso meint dieser Mann, mich beschimpfen zu dürfen?         mie umgegangen wird, wild und unabgestimmt, dann kann man nicht
Er kann mich kritisieren, jederzeit. Aber beleidigen?                        den Eindruck haben, dass da eine konzertierte Aktion am Werk ist.“
    Wir brauchen eine Wende: zu mehr Anstand, einer neuen Debat-                 Vorschlag: Wie wäre es, wenn wir wertschätzend nachfragen, un-
tenkultur, im Umgang miteinander, besonders gegenüber Verantwor-             seren Politikerinnen und Politiker gute Motive unterstellen und für sie
tungsträgern und Personen des öffentlichen Lebens.                           in ihrem schweren Job beten?
    Es geht auch besser. Bei der Konferenz „Mut 2020“ hielt ich den
Vortrag „So funktioniert Politik tatsächlich“. Nachher wurden Fragen                           Uwe Heimowski ist Politikbeauftragter der
gestellt: „Sie loben den deutschen Staat sehr – müssen Sie wahrschein-                         Evangelischen Allianz in Deutschland
lich. Aber dass wir grade alle veräppelt werden und Corona nur als Vor-
wand genutzt wird, um eine Einheitsregierung zu etablieren, völlige Kon-
trolle einzuführen und die Maske das Sinnbild für den Maulkorb ist, der
allen Deutschen von diesem Staat verpasst wird – das haben Sie nicht
erwähnt. Haben Sie es bewusst verschwiegen oder einfach vergessen?“

  14       EiNS         September 2021
GELEBTE ALLIANZ

                                             SCHLAGLICHTER: MIT VERLETZUNGEN UMGEHEN

       Aus unserer Sehnsucht wirkt Gott Neues
       Zwei Medienschaffende über ihre wechselhaften Erfahrungen

Berufung und Fake News                            mente, in denen erzähle ich (Iris) ungern,                       es von etlichen Freunden aus dem christlichen
1993 war ich (Angela) als Studentin dabei, im     was ich beruflich mache. Wenn ich über eine                      Umfeld zugespielt. „Das muss du dir ansehen,
Fernsehbereich erste Erfahrungen zu sammeln.      Querdenker- oder Pegida-Demonstration be-                        die erzählen wenigstens die Wahrheit“, wurde
Ein befreundetes Paar, promovierte Naturwis-      richte, muss ich mich darauf einstellen, als                     ich häufig belehrt. Noch mehr als der Inhalt
senschaftler, warnten mich, mir keine E-Mail-     „Lügenpresse“ bezeichnet zu werden. Immer                        diverser YouTube-Videos erschreckte mich,
Adresse und Modem zuzulegen: Ich würde da-        häufiger erlebe ich diese Ablehnung auch bei                     was es mit meinen Freunden machte. Ich er-
durch dem Teufel Zugang in mein Leben geben!      Begegnungen auf christlichen Seminaren                           lebte große Angst und Verunsicherung.
Heute schwer vorstellbar, zeigt es, dass Chris-   oder Veranstaltungen. Dem gemeinsamen
ten häufig Ängste vor neuen Medien haben.         Gotteslob und der Freunde an christlicher Ge-                    Thema Gemeinschaft
Damals ermutigte es mich zu sehen, dass auch      meinschaft scheint eine Sache im Weg zu ste-                     Viele Medienschaffende machen ihren Beruf
Christen im Medienbereich tätig sind oder Me-     hen: mein Beruf. Dass ich ihn als Berufung                       aus Leidenschaft. Die Kehrseite sind Über-
dien bewusst für die Gemeindearbeit nutzen,       ansehe, stundenlang erzählen könnte, wie ich                     stunden, lange Arbeitstage, unsichere Be-
beispielsweise die damalige Christliche Inter-    Gott in meinem Berufsalltag erlebe, nutzt in                     schäftigungsverhältnisse und teilweise
Net-Arbeitsgemeinschaft CINA (die von der Evan-   solchen Situationen wenig. Für viele Christen                    schlechte Bezahlung. Dafür braucht es im per-
gelischen Allianz mitgegründet wurde - Red.),     sind Medienleute fremde Wesen, die man ent-                      sönlichen Umfeld Partner und Freunde, die
von der ich mein erstes Modem kaufte.             weder bejubelt („Du arbeitest beim Fernse-                       bereit sind, das mitzutragen. Zugleich erle-
    Inzwischen habe ich als Social-Media PR-      hen? Bist du da auch zu sehen?“) oder in Fra-                    ben sie in ihrem Umfeld, dass irgendwann
Managerin eine eigene Agentur gegründet           ge stellt: („Kann man in deinem Job Christ                       Einladungen ausbleiben („Du bist ja eh nie
und berate Firmen und Organisationen, wie         sein?“). Mir begegnen vor allem Bilder im                        da“), weil man zu häufig Veranstaltungen we-
sie mit ihren Produkten und Dienstleistungen      Kopf. Sehr gern wird mir die Studie zitiert,                     gen Produktionen absagen musste. Das macht
im Internet sichtbar werden. Dazu gehört          wonach „doch eh 90 Prozent der Journa-                           einsam und gibt einem auch in Gemeinden
auch der Umgang mit Fake News und Shit-           list:innen grün wählen“. Dabei gibt es viele                     das Gefühl des Außenseiters.
storms. Ich erlebe, dass viele Christen hier      Möglichkeiten, sich gegen falsche oder miss-                        Umgekehrt finden Medienschaffende sel-
mit Vorurteilen behaftet sind. Statt sich eine    liebige Berichterstattung zu wehren. Nur das                     ten Zugang zu Christen: „Ich habe noch nie
eigene Meinung zu bilden, wird schnell eine       kann anstrengend sein!                                           einen Christen gesehen“, erzählte mir ein Cut-
Vermutung oder manipulative Äußerung                  Als im März 2020 in Deutschland die Coro-                    ter, als wir einen Tagesschau-Bericht zum
übernommen – und weiterverbreitet.                na-Pandemie ausbrach, brauchte ich nicht                         Abschluss des Evangelischen Kirchentags in
    „Euch Journalisten wird doch vorgege-         lange zu recherchieren, was in diversen alter-                   Dresden zusammenschnitten. Manchmal gab
ben, was ihr zu berichten habt.“ Es gibt Mo-      nativen Medien publiziert wurde. Ich bekam                       es Begegnungen, die von negativen Erfahrun-
                                                                                                                   gen geprägt waren.
                                                                                                                      Doch was tun Christen, um diese Kluft zu
                                                                                                                   überwinden? Herzlich wenig. Wenn in Ge-
                                                                                                                   meinden oder Gebetsgruppen gebetet wird,
                                                                                                                   stehen Medienleute meist nicht auf der Agen-
                                                                                                                   da. Warum eigentlich?

                                                                                                                   Das Mediengebetsnetz
                                                                                                                   Meine Isolation und meinen Mangel klagte
                                                                                                                   ich (Angela) Gott. 1997 zeigte er mir die
                                                                                                                   Webseite des CFF e.V. (Forum für Christen in
                                                                                                                   Film und Fernsehen). Hier erlebte ich zum
                                                                                                                   ersten Mal geistigen und geistlichen Aus-
                                                                                                                   tausch mit Kolleg:innen. So lernten wir – Iris
                                                                                                                   Völlnagel und ich – uns kennen.
                                                                                                                      Aus den persönlichen Forumskontakten
                                                                                                                   baute ich vor über 20 Jahren ein Medienge-
                                                                                                                   betsnetz auf. In mehreren Städten entstanden
                                                                                            Foto: Angela Wosylus

                                                                                                                   Mediengebetskreise und Telefonkonferenz-
                                                                                                                   gebetsgruppen. Bibel TV entstand durch Im-
                                                                                                                   pulse und Begegnungen auf dem CFF Forum
                                                                                                                   und aus dem Gebetsnetz; Christliche Medien

  16       EiNS          September 2021
GELEBTE ALLIANZ

                               München e.V. (Christliches Radio und Fern-
                               sehen) entstand unmittelbar aus dem Münch-
                               ner Mediengebetsnetz.
                                  Heute nutze ich die Prayer Mate-App für
                               allgemeine Medienanliegen.
                                  Wir wünschen uns mündige Christen, die
                               ihre individuelle Berufung in der vielfältigen
                               Schöpfung Gottes gemäß leben und nicht

                                                                                                                                                                                                 Foto: Völlnagel/ARD
                               ihre eigenen Ängste zu Stolpersteinen und
                               Mauern für andere aufbauen. Nur so können

                                                                                                                                  Foto: privat
                               wir gemeinsam unseren Beitrag in den welt-
                               weiten Herausforderungen erfüllen.

                                                                                 Angela Wosylus, Social Media PR-Managerin,                      Iris Völlnagel, TV-Journalistin und
                                                                                 online Redakteurin, ehemals BR.                                 ARD-Reporterin
                                                                                 Kontakt: www.pop-up-socialmedia-pr-agentur.de
Foto: Headway / unsplash.com

                                                        Nur keinen Streit vermeiden!
                                          Martina Kessler plädiert für eine gesunde Konfliktkultur

                               F
                                     rieden ist ein hohes Gut. Christlich sozialisierte Menschen lernen    und einem tieferen Frieden. Ich plädiere für eine gute Streitkultur.
                                     oft die passenden Bibelstellen dazu. „Jeder Streit ist Sünde“: Die-   Schweigen ist keine gute Alternative.
                                     se Einstellung erlebe ich häufig, besonders im christlichen Um-          Wird Streit ausgetragen, sollte das immer auf Basis persönlicher Wert-
                               feld. Damit geht eine Konfliktunfähigkeit einher.                           schätzung geschehen. Hart in der Sache, aber liebevoll mit dem Men-
                                   In der Bibel wird tatsächlich vor Streit gewarnt, dabei geht es aber    schen umzugehen, ist eine Herausforderung, der man sich stellen muss.
                               um eine Streitsucht, darum, im Recht zu sein und partout gewinnen              Ein Streit bedeutet erst einmal nur, dass Menschen zur gleichen
                               zu wollen. An Ende eines guten Streitgesprächs steht dagegen Klärung        Sache unterschiedliche Meinungen haben. Er zeigt auch: „Du bist es
                               in theologischen, sachlichen oder zwischenmenschlichen Fragen. Ist          wert, dass ich mich mit dir und deiner Meinung auseinandersetze.“
                               man langfristig aufeinander böse, wertet sich gegenseitig ab, redet         Menschen, die sich egal sind, streiten nicht mehr miteinander. Das ist
                               über den anderen statt mit ihm, liegen Streit und Sünde nah beieinan-       viel schlimmer – und oft irreversibel!
                               der. Streiten kann fair oder unfair geschehen. In einer guten Streit-          Streitgespräche im Blick auf Werte, bei Zielkonflikten und zur Be-
                               kultur ringt man miteinander um einen guten Weg. Ein gesunder Um-           ziehungsklärung sind unbedingt notwendig. Manchmal, aber nicht
                               gang mit Dissens führt meist zum besseren gegenseitigen Verständnis         immer, kann man zu einer gemeinsamen Lösung kommen. Demge-

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