Reden mit Barmherzigkeit - Wie wir trotz Meinungsverschiedenheiten miteinander umgehen - Evangelische Allianz Deutschland
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3/2021 · ZKZ 65099 gemeinsam glauben, miteinander handeln Das Magazin der Evangelischen Allianz in Deutschland Reden mit Barmherzigkeit Wie wir trotz Meinungsverschiedenheiten miteinander umgehen Nah beieinander? Streit vermeiden? Zusammenwachsen (Streit-)Gespräche Plädoyer für eine gute Die 125. Allianz- unter Christen Konfliktkultur konferenz war „hybrid“
INHALT Seite EiNS: 5 Wie wir miteinander reden Das Editorial Die Seite des Generalsekretärs Von Reinhardt Schink Reden mit Barmherzigkeit Wie wir auch bei Meinungsverschiedenheiten miteinander umgehen Bibel, Glaube, 6 Christen im Dialog: Alles Wissen ist Stückwerk Theologie Wie man der eigenen (geistlichen) Überzeugung dennoch gewiss sein kann von Horst Afflerbach 8 „Im Wesentlichen sind wir nah beieinander …“ Gespräch unter Glaubensbrüdern: Heinrich Derksen und Thorsten Dietz Arbeitskreise 11 Dürfen Christen nur CDU wählen? der Allianz EiNS-Gespräch über eine barmherzigere Debattenkultur mit Ute Hauser und Christoph Waffenschmidt 14 Mehr Anstand bitte! Wie wir in der Gesellschaft miteinander umgehen Ein Kommentar von Uwe Heimowski Gelebte Allianz 16 Nur keinen Streit vermeiden! Schlaglichter: Verletzungen und eine gesunde Konfliktkultur von Martina Kessler, Angela Wosylus und Iris Völlnagel 19 Wie ticken Jugendliche heute? Das CHRISTIVAL22 im Gespräch von Johanna Kantz und Chris Pahl Partner der Allianz 20 Eine Woche Gratishilfe Neue Ideen des nachbarschaftlichen Hilfsprojekts von Martina Todesko 21 Laute Stimme für Religionsfreiheit Das wichtige Jahrbuch der Weltweiten Evangelischen Allianz von Thomas Schirrmacher Allianz-Originale 22 Sven Findeisen: Ausgleichend und klar Serie: Zeitzeugen der Evangelischen Allianz von Margitta Rosenbaum In Sachen 24 Eine Grundstimmung des Misstrauens? Evangelische Allianz Kolumne: Was die Allianzvorsitzenden bewegt von Siegfried Winkler 25 Zwischen Himmel und Erde … Gabriele Fischer-Schlüter – Kolumne: Ein Brief aus dem Allianzhaus 26 Zusammenwachsen: in Bad Blankenburg und beim „Public Viewing“ Bericht: Die 125. Allianzkonferenz fand „hybrid“ statt von Achim Halfmann 28 Termine mit Angeboten im Evangelischen Allianzhaus Bad Blankenburg 30 Allianz-Nachrichten 32 Impressum 3
DIE SEITE DES GENERALSEKRETÄRS 3/ 2021 · Z KZ 65099 gemeinsam glauben, miteinander handeln Das Magazin der Evangelischen Allianz in Deutschland Wie wir miteinander reden Reden mit Barmherzigkeit Wie wir trotz Meinungsverschiedenheiten miteinander umgehen Nah beieinander? Streit vermeiden? Zusammenwachsen (Streit-)Gespräche Plädoyer für eine gute Die 125. Allianz- unter Christen Konfliktkultur konferenz war „hybrid“ Liebe EiNS-Leserinnen und -Leser, „Es war wieder wunderbar in Bad Blankenburg, mit Jesus in der Mitte mes Einverständnis in einer konkreten Frage sogar unmöglich zu sein und lieben Freunden und Geschwistern an der Seite!“ Diese zusammen- scheint. Dann zeigt sich, ob das Reden von der Gemeinde als Leib fassende Rückschau eines langjährigen Teilnehmers auf die Allianz- Christi eine fromme Floskel oder eine lebensverändernde geistliche Jubiläumskonferenz ist wohltuend. Und er hat mit beidem völlig Wirklichkeit ist. Fakt ist, dass Glieder sich von ihrem Leib nicht einfach recht: Erstens war die Gegenwart Jesu auch in diesem Jahr wieder das verabschieden können. Wenn sie es tun, nehmen sie selbst Schaden. Entscheidende − wie in 124 Allianzkonferenzen davor auch. Jesus in Wir sind eins, weil wir Kinder Gottes und Nachfolger Jesu Christi unserer Mitte zu haben, ist alles, was wir benötigen. Denn Er ist Grund sind. Der Grund unserer Einheit ist seine Berufung und sein souverä- und Ziel unseres Lebens. Das ist unser Bekenntnis. Das Zweite hat uns nes Schöpfungshandeln (Eph. 2,11ff.). Unsere Einheit ist damit ein aber in diesem Jahr besonders überrascht. Durch die Kontaktbe- Eins-Sein. Sie ist in Gottes Neuschöpfung und damit in unserer Exis- schränkungen erkannten wir den Schatz, dass wir als Geschwister ge- tenz begründet – und nicht darin, dass wir die gleiche Meinung haben. meinsam mit Jesus verbunden sind. Dies ist weit mehr als ein schönes An der Gemeinde sind die integrierenden Kräfte von Gottes neuer Gefühl: Es ist eine tiefe geistliche Realität. Schöpfung für die sichtbare und unsichtbare Welt exemplarisch sicht- Die vergangenen Monate lehren uns, dass persönliche Begegnun- bar (Eph. 3,6-10). Aber im Alltag scheitern wir leider viel zu häufig gen keine Selbstverständlichkeit sind. Zugleich beeinträchtigt Corona daran, auf hilfreiche Art und Weise miteinander zu sprechen. Leider. unser Miteinander. Nicht in erster Linie, weil wir uns durch Masken Was für eine verpasste Chance des Zeugnisses für eine zunehmend sehen und äußerlich auf Abstand bleiben müssen. Vielmehr kann Co- gespaltene Welt, in der Kommunikation nur noch innerhalb der eige- rona wie ein Spaltpilz leicht zu einer inneren Distanzierung und tief- nen Blase zu gelingen scheint! greifenden Entfremdung führen. Selbst bei Menschen, die für sich in Und doch erleben wir im Netzwerk der Evangelischen Allianz auch Anspruch nehmen, gemeinsam ein Leib zu sein, mit dem einen Haupt: ermutigende Beispiele gelingender Kommunikation. Das EiNS-Magazin Jesus Christus. berichtet davon. Auch davon, was dazu hilft, sanftmütig zu leben und in aller Unterschiedlichkeit den Anderen (wenigstens) zu verstehen. Die Fromme Floskel oder geistliche Wirklichkeit? Beiträge geben Tipps, den Kommunikationsfaden nicht abreißen zu las- Deshalb ist das Thema des aktuellen EiNS-Magazins so wichtig und sen. Sie wehren dem Missverständnis, dass Einheit nur dort möglich sei, gleichzeitig herausfordernd. Wie reden wir miteinander? Nicht nur in wo faule Kompromisse geschlossen werden. Vielmehr wollen wir als Schönwetter-Perioden, wenn wir alle der gleichen Meinung sind und Evangelische Allianz für die Wahrheit eintreten, in Sanftmut und Ge- uns blendend verstehen. Sondern auch, wenn wir in wichtigen Le- rechtigkeit. Im Vertrauen, dass Gott handelt (Ps. 45,5b). bensfragen unterschiedliche – vielleicht konträre – Ansichten vertre- Viel Spaß beim Schmökern im Magazin. Bleiben Sie Gottes Treue, ten. Wenn ein gegenseitiges Verstehen schwierig und ein gemeinsa- Seinem Schutz und Seinem Segen anbefohlen. Es grüßt Sie herzlich Ihr Foto: Christian Hönig Reinhardt Schink Generalsekretär der Evangelischen Allianz in Deutschland 5
BIBEL UND GLAUBE BIBLISCHE BASIS: CHRISTEN IM DIALOG Wir wissen: Alles ist Stückwerk Wie man der eigenen (geistlichen) Überzeugung dennoch gewiss sein kann Von Horst Afflerbach M enschen mit Überzeugungen beeindrucken. Sie haben nicht merken, dass sie übergriffig werden. In Auseinandersetzungen sind sie nur eine dezidierte Meinung zu einem Thema, sondern kön- nicht offen für andere Aspekte und Perspektiven, sondern verteidigen nen ihre Überzeugungen auch kompetent begründen, ruhig nur ihre eigene Sicht der Dinge. Dass sie sehr anstrengend sind und darlegen und so andere Menschen gewinnen. Sie fallen selbst dann polarisieren, merken sie gar nicht. nicht aus der Rolle, wenn sich Widerstand regt oder Menschen sich Wie können Christen ihrer eigenen Überzeugung gewiss sein (Röm nicht überzeugen lassen (wollen). Sie respektieren andere Meinungen 14,5) und dennoch andere geistliche Erkenntnisse stehenlassen, auch und lassen sie stehen. wenn sie sich stark von der eigenen unterscheiden? Und wie können Ganz anders diejenigen, die anderen ihre Meinung – oft ungefragt sie zusammenleben, ihren gemeinsamen Auftrag erfüllen, wenn un- und mit missionarischem Eifer – aufdrücken wollen und dabei nicht terschiedliche Meinungen aufeinanderprallen? Foto: Rod Long J / unsplash.com 6 EiNS September 2021
BIBEL UND GLAUBE Können wir dabei von den ersten Christen lernen? In der Urgemein- b) Demut de und den ersten missionarischen Bewegungen – von uns oft ideali- Von Jesus lernen heißt: Demut lernen. (Mt 11,29). In Konflikten dür- siert – ist erstaunlich häufig von Streit und Auseinandersetzungen die fen wir uns bewusst sein, dass keine(r) die volle Erkenntnis hat und Rede. Wenn Jakobus z.B. beklagt: Ihr streitet und führt Krieg (Jak 4,2, deshalb auf die Verabsolutierung seiner Meinung verzichten muss: ELB) oder wenn Paulus mahnt: Wenn ihr einander wie wilde Tiere kratzt „Wenn ich jetzt etwas erkenne, erkenne ich immer nur einen Teil des Gan- und beißt, dann passt nur auf, dass ihr euch nicht gegenseitig verschlingt! zen“ (1Kor 13,12, NGÜ). (Gal 5,15, GNB), dann bekommen wir eine Ahnung davon, wie heftig c) Besonnenheit schon die Heiligen der Anfangszeit aneinandergerieten. Wichtiges Merkmal einer geistlichen Streitkultur ist Besonnenheit. Als es im Theater von Ephesus zu einem Tumult kam, konnte der Stadt- Warum streiten Menschen? schreiber durch besonnenes Handeln die Menge beruhigen (Apg In der Bibel werden verschiedene Gründe genannt. Oft sind Neid und 19,35ff). Nicht umsonst haben wir von Gott einen „Geist … der Beson- Eifersucht der Anlass, wie bei Kain und Abel, Josef und seinen Brüdern. nenheit“ bekommen (2Tim 1,7). Auch Schweigen kann in besonderen Die Auseinandersetzungen der Pharisäer und Schriftgelehrten mit Jesus Situationen der richtige Weg sein, wie wir bei Jesus sehen (Mt 26,63). und später den Aposteln zeigen, dass Streit entsteht, weil andere mehr d) Priorisieren Ansehen und Einfluss gewinnen als man selbst (Apg 13,45; 14,4f u.a.). Der alte Grundsatz „Im Notwendigen Einheit, im Zweifel Freiheit, in al- Auch Ressourcenknappheit kann zu Streit führen, wie bei den Hir- lem Liebe“ von Rupertus Meldenius (1582–1651) kann uns helfen, ten Abrahams und Lots (Gen 13,6f). Meinungsverschiedenheiten in Themen zu priorisieren: Was ist wesentlich, was nicht? Traditionell einer engen Dienstgemeinschaft mit profilierten Persönlichkeiten werden dabei drei Ebenen unterschieden: 1. Heilsnotwendige The- (z.B. Paulus und Barnabas, Apg 15,39) können dazu führen, dass sich men (der trinitarische Glaube und die Soteriologie, die Lehre vom Er- Teams trennen. lösungswerk Christi; z.B. Apostolikum), 2. Fragen der Nachfolge und Meistens führen unterschiedliche Beurteilungen theologischer Ethik und 3. Fragen der Ordnung und Kultur. Standpunkte aufgrund unterschiedlicher Persönlichkeiten und sozia- Wenn wir im Geist des Evangeliums leben – Gott und den Nächsten ler Milieus zu Konflikten. Der Apostelstreit (Apg 15) zeigt, wie ernst- von Herzen lieben (Mt 22,37–40), auf das Fundament unseres Glaubens, haft um die Frage gerungen wurde, ob das Gesetz gültig bleibt. Christus, aufbauen (1Kor 3,10), die größere Perspektive des Reiches Gottes im Blick behalten (Mt 6,33) – dann können wir leichter in Konstruktiver und destruktiver Streit in der Gemeinde Streitfragen und Konflikten zu konstruktiven Lösungen kommen. Es gibt destruktive Streitigkeiten, bei denen es bloß um Rechthaberei Wenn wir Dinge im Licht der Ewigkeit betrachten, verliert mancher geht. Dabei kann es nur Verlierer geben. Paulus warnt Timotheus vor Streit um Vorläufiges seine Bedeutung (Kol 2, 16f). solchen Auseinandersetzungen: „Denn die Legenden und endlosen Ge- e) Die Einheit suchen schlechtsregister, mit denen sie sich befassen, führen nur zu Spekulatio- Vor dem Hintergrund, dass Christen durch ihre Verbindung mit Christus nen, statt dass sie den Glauben fördern und damit der Verwirklichung alle wie ein Mensch (Gal 3,28), also Glieder an seinem Leib geworden von Gottes Plan dienen. Sie bringen auch keine Liebe hervor, und gerade sind (Kol 3,11; Röm 12,4.5), sollen die Starken die Schwachen im das muss doch das Ziel aller Verkündigung sein“ (1Tim 1,4f NGÜ). Und Glauben nicht länger richten und die Schwachen die Starken nicht an Titus schreibt er: Von törichten Fragen aber, von Geschlechtsregis- länger verachten (Röm 14,3), sondern Wege der Einheit suchen. Dazu tern, von Zank und Streit über das Gesetz halte dich fern; denn sie sind gehört auch: unnütz und nichtig (Tit 3,9 LUT). f) Dialogfähig werden Es ist ein Unterschied, ob es bei einem Streit in Wirklichkeit darum Ein konstruktiver Dialog erfordert von allen Beteiligten die geduldige geht „wer ist der Größte“ (Lk 22,24) oder darum, in Liebe zu einer Bereitschaft, aufeinander zu hören und den anderen wirklich verste- konstruktiven Lösung zu kommen, der beide Parteien zustimmen kön- hen zu wollen. Dazu gehört auch, dass man sich auf einen gegenseiti- nen. Über der Frage, ob Heiden, die gläubig geworden waren, erst gen Perspektivwechsel einlässt. Außerdem ist es unabdingbar, sich der Juden werden, das Gesetz halten und sich beschneiden lassen müssen, eigenen Glaubensbiografie und der Entstehung eigener theologischer kam es zu einem heftigen Streit – „…man hatte sich lange gestritten …“ Urteile bewusst zu werden. (Apg 15,2.7). Er wurde gelöst, indem man die unterschiedlichen Kon- Nicht zuletzt ist auf eine angemessene Sprache zu achten: Doch fliktparteien ernst nahm und Raum gab für neue Erfahrungen der Hei- jetzt legt das alles ab, auch Zorn, Aufbrausen, Bosheit und Verleumdung; den-Christen. Als man auch in diesen die Erfüllung alttestamentlicher kein gemeines Wort darf über eure Lippen kommen (Kol 3, 8). Stattdes- Verheißungen erkennen konnte (V 13-15), kam es zu einem einmüti- sen kann man gewaltfreie Kommunikation lernen – auch im Internet. gen Beschluss für die junge Kirche (Apg 15,25f). g) Den Weg des Friedens lernen (Lk 1,79) Letztlich geht es in allen Konflikten in der Gemeinde darum, das In dem ganzen Kontext ist es heilsam, sich das Evangelium des Friedens Evangelium zu leben: „So lautet diese Botschaft: In Christus hat Gott (Eph 6,15) zu vergegenwärtigen: „Die Weisheit, die von oben kommt, selbst gehandelt und hat die Menschen mit sich versöhnt. … Er hat uns ist … friedfertig, freundlich und bereit, sich etwas sagen zu lassen…; sie das Wort von der Versöhnung (2Kor 5,19) und den Dienst der Versöh- ist unparteiisch und frei von jeder Heuchelei. Die Früchte, die vor Gott nung gegeben (2Kor 5,18). bestehen können, wachsen dort, wo Friedensstifter eine Saat des Friedens Wissen, Techniken der Konfliktlösung sind hilfreich. Aber letztlich säen“ (Jak 3,17f, NGÜ). Und: „Darum wollen wir uns mit allen Kräften kommt es bei Lösungen auf die Gesinnung Jesu an. Sie führt zu jesus- um das bemühen, was zum Frieden beiträgt und wodurch wir uns gegen- gemäßem Handeln. Was uns wirklich voranbringt, ist die Liebe (1Kor seitig ´im Glauben` fördern“ (Röm 14,19, NGÜ). 8,1, NGÜ). Pastor Dr. Horst Afflerbach war bis 2018 Leiter der Was hilft konkret weiter? Biblisch-Theologischen Akademie, Forum Wiedenest a) Gewissheit und Toleranz und Dozent für Systematische Theologie und „Ein jeder sei seiner Meinung gewiss“ (Röm 14,5). Auffallend ist, dass Gemeindeentwicklung. Er gehört zum Hauptvorstand Paulus das zu beiden Konfliktparteien sagt: zu denen, die Fleisch essen der Evangelischen Allianz in Deutschland. und zu denen, die aufs Fleischessen verzichten! Das erfordert zumin- dest eine gewisse Ambiguitätstoleranz, die den anderen nicht bekämpft. 7
BIBEL UND GLAUBE „Im Wesentlichen sind wir nah beieinander …“ Foto: Simon_Zimpfer Foto: privat Heinrich Derksen und Thorsten Dietz: Ein Gespräch unter Glaubensbrüdern Heinrich Derksen ist Direktor des Bibelsemi- Ich möchte an der Irrtumslosigkeit der Bibel bruch. Das war für mich der Punkt: Jetzt bin nars Bonn und Mitglied im Hauptvorstand der nicht rücken. Gleichzeitig habe ich entdeckt: ich dabei! Evangelischen Allianz in Deutschland, Thorsten Die Gemeinde Jesu ist vielfältig, sehr ver- Das Theologiestudium war dann für mich Dietz Professor für Systematische Theologie an schieden in ihren Erkenntnissen. Ich möchte ein Schock. Bultmann-Schüler waren in der Theologischen Hochschule Tabor und Privat- dabei andere als Glaubensbruder und Glau- Münster damals Standard – und ich dachte: dozent an der Uni Marburg. Ihre Frömmigkeits- bensschwester stehenlassen, mich aber im- Die glauben ja nicht mal an die Auferstehung! prägung ist unterschiedlich, sie vertreten in mer wieder auch inhaltlich klar positionieren. Die reden von lauter biblischen Dingen, ohne Teilen verschiedene theologische Positionen – das ernst zu nehmen. Über die Theo-Kreis- und haben sich im Sommer auf Einladung von Thorsten, bei dir sah es etwas anders aus. Arbeit bin ich dann zur Bekenntnisbewegung EiNS zu einem Gespräch unter „Glaubensbrü- Dietz: Ich könnte immerhin beitragen: Meine und Studienstiftung „Kein anderes Evangeli- dern“ getroffen, verbunden auch durch das ge- Urgroßeltern sind aus Ostpreußen eingewan- um“ gekommen, war Gast im Bengelhaus schwisterliche Du: dert. Sonst bin ich relativ säkular großgewor- Tübingen, Mitarbeiter im Bodelschwingh- den. Wir waren Kirchenmitglieder und gin- Studienhaus Marburg. Zunehmend bin ich Heinrich, Thorsten, ihr habt ganz unterschied- gen da Weihnachten auch hin, aber ich mach- dann auch Evangelikalen begegnet, bei denen liche biografische und Glaubenshintergründe. te mir nicht viel draus. Ich hatte dann eine ich dachte: Solche Radikalität tut den Men- Wie charakterisiert ihr eure Frömmigkeits- wilde weltanschauliche Reise zwischen 15 schen nicht gut. Daraufhin war ich dann ir- prägung? und 21. Ich habe als Atheist beschlossen, gendwann „Mainstream-Evangelikaler“, pie- Derksen: Ich bin in Russland geboren und Theologie zu studieren, auf Lehramt. Damals tistisch-lutherisch, der etwa Evangelischer mit sechs Jahren nach Deutschland gekom- wollte ich alles immer radikal und ganz ma- Allianz, ProChrist, Christival sehr positiv men. Wir haben uns mit russlanddeutschen chen. So wollte ich für mich klären: Was ist gegenüberstand, missionarisch unterwegs, Christen in Köln verständigt, eine eigene Ge- von Religion zu halten? Werde ich Reli-Leh- Landeskirchliche Gemeinschaft, Tabor- meinde zu gründen, in der ich aufgewachsen rer, um davor zu warnen? Oder ist da etwas Dozent ... bin. Mit acht Jahren habe ich mich im Schlaf- dran? zimmer meiner Eltern bekehrt, mich mit 14 Die Bibel hat dann einen wahnsinnigen Was ist heute für euch das Unaufgebbare, für taufen lassen, früh in der Jungschararbeit Sog entfaltet. Ich konnte nicht mehr aufhö- Lehre und Glaubens-Praxis? mitgemacht und mit 19 mit dem Theologie- ren, habe die Bibel in vier Wochen komplett Derksen: Ich glaube an einen Schöpfergott, studium begonnen. gelesen und sofort wieder von vorn angefan- der diese Welt liebt und die Sünde hasst. Während des Studiums habe ich mich be- gen. Irgendwann hatte ich den Punkt: Gott ist Auch die Erlösung durch Jesus Christus als wusst auch viel mit historisch-kritischer Lite- eine Realität. Ich hatte aber noch keine Mitte. einzigen Weg zu Gott ist für mich eine unauf- ratur beschäftigt, und mit der Frage: Wie Für mich war dann Jesus kennenzulernen als gebbare Wahrheit und Lehre. Hinzu kommt glaubwürdig ist die Bibel? Dabei bin ich zu Auferstandenen, zu ihm Du zu sagen, ihm eben die Frage nach der Glaubwürdigkeit der der felsenfesten Überzeugung gekommen: mein Leben zu geben, ein Bekehrungs-Durch- Bibel: dass ich mich absolut auf Gottes Wort 8 EiNS September 2021
Foto: Bernd Dittrich / unsplash.com BIBEL UND GLAUBE verlasse. Und das, was er Sünde nennt, muss Ich mag an der Evangelischen Allianz, dass ich auch Sünde nennen. sie sagt: Können wir nicht einen Bereich defi- Dietz: Ich könnte es ähnlich sagen. Die Jesus- „Es gibt Situationen, nieren, wo wir klarkommen und für missiona- nachfolge war zuerst das Zentrum. Mit der in denen das gute Neben- rische, diakonische, evangelistische Zwecke Zeit wurde mir der trinitarische Glaube wich- Frieden schließen? Dann können wir da zu- tiger: Die Schätze auch der alten Kirche, der einander besser ist als sammen was machen. Dreieinige Gott, die Christologie – das sind der ständige Konflikt.“ hilfreiche Wegmarken für eine große Weite. Wir können hier in der Tat nicht die Fragen Da hinein gehört ein menschenfreundli- Heinrich Derksen klären. Darum vom persönlichen zu einem wei- cher Exklusivismus: Jesus Christus ist der ein- teren Blick. Eine Basis ist Johannes 17, das zige Weg, für den Menschen. Ich bin klassisch Gebet Jesu für die Einheit der Christen. Wie ist christlich orthodox, mit einer Weite und Of- es um die Einheit der frommen Christenheit in fenheit dafür, was Gott Gutes in die Schöp- Derksen: Ich habe eigentlich nur in der Deutschland bestellt? fung hineingelegt hat, auch an Menschengüte, Schriftfrage einen wesentlichen Unterschied Dietz: Die 90er Jahre waren für Evangelikale, die aber nicht erlösen kann. Wesentlich gehört gehört. Im Wesentlichen sind wir sehr nah bei- Jesus-Leute, missionarische Kräfte ein großer für mich zum Glauben das Vertrauen in die einander. Aber natürlich hat meine Schrifthal- Aufschwung: Charismatiker kamen dazu, Bibel als Gottes Wort und Menschenwort, tung, die wir hier nicht vertiefen können, Kon- Pfingstler, es war eine positive Sammlungs- Orientierung für Glauben und Leben. Durch sequenzen. Sie formt meine Theologie: Wie bewegung, die mit ProChrist, Willow Creek, mein Studium war‘s mir schon ein Anliegen, wörtlich nehme ich den Schöpfungsbericht? SPRING und dem Christival Projekte an den das mit dem geschichtlichen Verstehen der An welchen Stellen definiere ich Sünde als Start gebracht hat, die in die breite Öffent- Bibel ernst zu nehmen. Nicht für sämtliche „Sünde“? Da sind die Unterschiede wesentli- lichkeit kamen. weltanschaulichen Fragen in der Bibel, wie cher. Oder, Thorsten? In den vergangenen zehn Jahren hat diese das Alter der Erde, halte ich die Idee der Irr- Dietz: Wahrscheinlich ist das so. Die Schwie- fromme Christenheit nicht mehr die Mitte, tumslosigkeit der Bibel für hilfreich. rigkeit ist, wir müssten Stunden, Tage, Wo- die alles zusammenhält. Es gibt nicht mehr Schließlich würde ich betonen: Zum Glau- chen gucken, was wir alles denken. Ich be- diesen starken Binnenmagnetismus. Im Mo- ben gehört zentral die Nächstenliebe, im Pri- schäftige mich viel mit Hermeneutik, mit der ment ist nicht ganz klar: Was ist unaufgeb- vaten, aber auch im Sozialen. Wir sind beru- „Chicago-Erklärung“ zur Irrtumslosigkeit der bar? Was ist zentral? Wofür stehen wir alle? fen, als Gerettete zu leben in der Liebe, die Bibel. Du positionierst dich in diese Richtung. Es gibt Fragen, die trennen und eine gewisse Christus uns erweist. Ich kann das Anliegen verstehen, die Bibel Unruhe auslösen. stark festzuhalten, glaube aber, das sind teil- Derksen: Ich lese aus Johannes 17 nicht, dass Ihr habt viel von euch gesprochen. Wo erkennt weise sehr komplizierte Fragen und man Jesus für Einheit um jeden Preis betet. Er hat ihr euch in den Worten des anderen wieder? kann sich da sehr zerstreiten. sich selber von Pharisäern und Schriftgelehr- 9
BIBEL UND GLAUBE ten distanziert. Einheit braucht auch ein Fun- wir ganz viel miteinander. Das zweite ist der dament, auf dem man etwas Gemeinsames Umgang miteinander. Jesus sagt: An der Lie- schaffen kann. be werden sie euch erkennen – nicht an ir- Zurzeit erleben wir den Versuch, irgend- gendwelchen Positionen. wie alles unter einen Hut zu bringen, auch wenn gar nicht alles zu vereinen ist. Alles soll Wir können uns also darauf einigen, dass wir noch unter das Dach Evangelische Allianz – alle Teil einer Weggemeinschaft sind, in der und wir müssen manches Thema meiden, alle hinter Jesus her wollen? Homosexualität etwa, um ja nicht in größere Dietz: Auf jeden Fall. Die Herausforderung Debatten zu geraten. ist, diese Weggemeinschaft zu leben. Ich bin Zum Teil werden Positionen bezogen, wo sehr dafür, gutes Streiten zu lernen. Im Mo- ich denke: Da wird dem Leib Christi unnötig ment haben wir insgesamt kein gesundes viel Schaden zugefügt. Darum finde ich es Streitklima. Die Reizthemen führen oft dazu, Foto: Jean Wimmerlin / unsplash.com gut, auch nochmal die Frage zu klären: Evan- dass man getriggert wird und nicht weiß, wie gelikale – quo vadis? man das zusammen aushält. Das ist echt nicht leicht. Aber dahin zu kommen, ist eine Her- Mit Blick auf die fehlende Kraft der Mitte: Gibt ausforderung für die Allianz. es heute keine „Einheits-Player“ mehr? Dietz: Aus den Diskussionen unter Evangeli- Was hilft dann in dieser Weggemeinschaft, bei kalen in den vergangenen Jahren, die teils unterschiedlichen Auffassungen beieinander sehr laut, bewusst, meinungsstark und ent- zu bleiben, eine gute Streitkultur zu lernen schieden geführt wurden, sind Kollateral- und ein starkes gemeinsames Zeugnis abzuge- schäden geblieben. Es ist darum für mich ein ben? Gebetsanliegen, sagen zu können, Gott kann Derksen: Für eine gute Streitkultur ist wich- auch aus Zerriss große Dinge machen, man tig, den anderen zu respektieren, ihm mit denke an die Brüder Josef. christlicher Nächstenliebe zu begegnen, ja Derksen: Für mich ist die Frage, ob wir noch ihn höher zu achten als sich selbst. Wenn wir eine gemeinsame Mitte haben. Die Differen- „Für mich bedeutet die diese christlichen Werte nicht mehr leben, zen werden größer, wir zerreißen uns in La- Allianz die Chance auf nützt auch alle Orthodoxie und Lehre nichts gern. Gibt es noch die Möglichkeit, in Streit- mehr. fragen Einigung zu erzielen? Für mich ist das eine Ökumene der Ich will aber nochmal sagen: Ich glaube, ja auch eine Bekenntnisfrage. Ein Mitglied des Jesusbegeisterten.“ dass wir nicht immer notwendigerweise Allianz-Hauptvorstands hat mal zu mir ge- Thorsten Dietz krampfhaft am Miteinander festhalten müs- sagt: Du musst die unterschiedlichen Positio- sen. Es gibt Situationen, in denen das gute nen in Fragen zur Homosexualität aushalten Nebeneinander besser ist als der ständige können. Da habe ich gesagt: Okay. Aber Konflikt. Durch die Pluralität ist am Ende kein Franklin Graham kommt nächstes Jahr nach Profil mehr da. Ich finde das problematisch, Deutschland – machen wir zusammen eine für die Allianz und unser Miteinander. Lieber Evangelisation? Darauf sagt er: Auf keinen friedlich nebeneinander als ewig um irgend- Fall! Da sag ich: Warum hältst du Franklin eine Mitte streiten, die wir am Ende nicht Graham in Deutschland nicht aus? Plötzlich Derksen: Das klingt fast, als würdest du bei mehr finden. sind wir doch nicht bereit, den anderen zu ak- Franklin Graham nächstes Jahr mitmachen … Dietz: Das könnte ich kaum ergänzen. Für zeptieren. Darum noch einmal: Wohin geht (lacht) mich bedeutet die Allianz dabei die Chance die Reise? Wir können die Diskussionen auf Dietz (lacht): Da hätte ich ein mulmiges Ge- auf eine Ökumene der Jesusbegeisterten. Dauer nicht einfach übertünchen. fühl. Derksen: Das ist der Punkt. Nach unserem Das kann ein gutes Schlusswort sein. Nur ein Braucht die Christenheit nicht eine Stimme, Gespräch, das wir im Frühjahr im ERF geführt Gedanke noch: Ist nicht ein wesentlicher damit die Menschen in ihrem säkularen Umfeld haben, habe ich gesagt: Ich nehme Thorsten Hinderungspunkt, dass bei Christens viel zu überhaupt die christliche Botschaft hören kön- Dietz seine Bibelgläubigkeit, sein Christusbe- viel gestritten wird über „vorletzte“ Fragen? nen? kenntnis ab. Er ist für mich ein Bruder im Wir sind uns einig bei den „letzten“ Fragen, Dietz: Wir müssen nicht in allem einer Mei- Herrn. Auch einem Katholiken möchte ich verhaken uns aber bei den vorletzten … nung sein. In manchen Fragen stehen Leute seinen Glauben nicht streitig machen. Aber Derksen: Natürlich. Der alte Satz gilt: Im We- halt an verschiedenen Stellen. Aber gemein- ich bin ja bewusst nicht katholisch. Wir brau- sentlichen Einheit, in Zweifeln Freiheit und in same Projekte – da kann man etwas teilen. chen eine Distanzierung, eine Unterschei- allem die Liebe. Ich will das Gemeinsame beto- Nehmen wir das Beispiel Franklin Graham: dung und Positionierung. Wenn wir das ma- nen, bin aber nicht sicher, ob wir nicht Da habe ich auch Bauchschmerzen. Ein chen und trotzdem sagen können, das sind manchmal auch die Geschichte glorifizieren. Mensch, der politisch so polarisiert hat – ob unsere Brüder im Herrn, dann ist viel ge- Die Unterschiede waren früher anders gela- das für Deutschland eine gute Idee ist? Ich bin schafft. gert, aber sie waren genauso spannungsgela- da skeptisch. Ich kann tolerieren, dass ihr sagt: Und die Welt will hören, erstens, dass wir den. Wir sind da nicht die ersten in der Kir- Der hat eine super Verkündigung, der ist be- tatsächlich gemeinsam bekennen, dass Jesus chengeschichte. kannt. Die Aufmerksamkeit ist uns sicher! Jetzt Christus der einzige Weg zu Gott ist, dass Ver- hoffen wir auf den Heiligen Geist. Ich hoffe gebung durch seinen Kreuzestod möglich ist. Vielen Dank für das brüderliche Gespräch! und bete mit. Aber dazu stellen? Schwierig. Da sind wir uns einig und deswegen können Interview: Jörg Podworny 10 EiNS September 2021
ARBEITSKREISE DER ALLIANZ Dürfen Christen nur CDU wählen? Ute Hauser und Christoph Waffenschmidt über eine barmherzige Debattenkultur Wir haben jetzt Donnerstag in dieser Woche. Bereich immer mal wieder Gewalttaten. Aber nicht nur in öffentlichen Debatten, sondern Was war bisher der Aufreger der Woche? es häuft sich. Das setzt mir auch persönlich auch im privaten Bereich. Es prallt häufiger Hauser: Die Plagiatsvorwürfe gegen die Grü- zu: die Unsicherheit, die damit einhergeht. aufeinander. Die Themen stehen direkter ge- nen-Spitzenkandidatin Annalena Baerbock Waffenschmidt: Ich kann gar nicht beurtei- geneinander, die eigene Meinung wird deut- sind das Thema, das momentan durch die Me- len, ob das zugenommen hat. Dazu müsste licher ausgedrückt. Das kann auch etwas Gu- dien geht (das Gespräch fand Mitte Juli statt man die Statistiken sprechen lassen, die ich tes haben, die Debatte ist aber an manchen – Red.). Aber auch das Attentat auf den Jour- jetzt nicht zur Hand habe. Dass es gefühlt zu- Stellen deutlich rauer geworden, auch weil nalisten in Amsterdam oder der Premier, der genommen hat, das glaube ich auch. Aber ich das Zuhören verlernt wird. Im längeren Zeit- in Haiti erschossen wurde, die Gewaltzunah- glaube auch, dass vieles durch die sozialen Me- raum betrachtet, glaube ich, es gibt eine Wel- me, das finde ich besorgniserregend! dien unwahrscheinlich schnell weiterverbrei- lenbewegung. In den 1970er Jahren war die Waffenschmidt: Ich gewöhne mir ab, mich tet wird. Das macht die Trennung zwischen politische Auseinandersetzung auch viel intensiver mit den „Aufregern der Woche“, der Frage „Was ist jetzt wirklich wahr“ und eruptiver, da standen politische Blöcke hart des Tages oder manchmal nur des Vor- oder „Was ist aufgebauscht?“ schwierig. Aber es gegeneinander: „Freiheit statt Sozialismus“ Nachmittags zu beschäftigen. Das ist häufig stimmt, insgesamt ist alles fragiler geworden. war 1976 das CDU-Wahlkampfmotto gegen einfach „heiße Luft“ und aufgeblasen. die SPD. Da wurde auch eine raue Sprache Wie ist eure Analyse in Sachen Debattenkultur: gepflegt. Vielleicht sind wir jetzt wieder in so Wenn wir die Attentate berücksichtigen: Bricht Wie hat sie sich in den vergangenen Jahren einer Bewegung, die ein bisschen vergleich- sich heute Gewalt leichter Bahn? verändert? bar ist mit der Zeit damals. Hauser: Ja, in meiner Wahrnehmung schon. Waffenschmidt: Ich nehme die Debattenkul- Hauser: Für mich ist die Frage, besteht über- Natürlich hatten wir auch hier im ländlichen tur der vergangenen Jahre als rauer wahr, haupt noch eine echte Debattenkultur? Ich Foto: Mika Baumeister / unsplash.com 11
ARBEITSKREISE DER ALLIANZ Foto: Christian Lue / unsplash.com glaube, viele Leute können gar nicht mehr ab dem und dem Moment hat sich das verän- hier, um brav zu sein.“ Das so öffentlich zu miteinander diskutieren. Es geht immer dert. Ich glaube, das ist ein Phänomen, das sagen, ist auch ein Stück Werteverlust. gleich ins Persönliche oder in extreme Mei- uns einfach begleitet im täglichen Leben. nungen. Da ist dann gar keine Zuwendung Waffenschmidt: Das würde ich auch so se- Früher haben Politiker wie Franz-Josef Strauß mehr möglich. Das ist eine extreme Entwick- hen. Es hat natürlich einzelne Themen gege- und Herbert Wehner auch kräftig ausgeteilt – lung in den letzten Jahren, auch im politi- ben, die das Ganze stärker haben auseinander aber diese AfD-Zitate haben eine grundlegend schen Bereich. Ich frage mich: Wo lernen wir gehen lassen. Auch da spielt Social Media andere Qualität ... noch gesund zu debattieren? Wo haben wir eine große Rolle. Die Leute äußern sich häu- Hauser: Vermutlich hat man es den Politi- noch die Möglichkeit, miteinander zu disku- fig hinter dieser Fassade. Dann entwickeln kern früher auch zugestanden, weil sie nach tieren – wo es einfach um das Thema geht? auf einmal Themen wie 2015 die Flüchtlings- dem Krieg Aufbauarbeit geleistet und ver- frage Spaltpotenzial – weil über Social Media sucht haben, Deutschland wieder auf einen Könnte das auch damit zu tun haben, dass die guten Weg zu bringen. Aber jetzt schwappt es Aufmerksamkeitsspanne insgesamt nachgelas- über und viele bemächtigen sich jetzt dieser sen hat, die Zeit, in der wir bereit sind, Sachen Sprache. Da war früher mehr Respekt vorhan- aufzunehmen? Dass wir lange Artikel nicht zu „Es geht immer gleich ins den. Ob das immer berechtigt war, ist natür- Ende lesen, uns auf 140-Zeichen-Twitter- lich nochmal was anderes ... Nachrichten oder Emojis bei Facebook oder Persönliche. Das ist eine Waffenschmidt: Die Anerkennung für Politiker WhatsApp begrenzen …? extreme Entwicklung war früher höher, glaube ich. Ich war ja selber Waffenschmidt: Ich glaube, dass für viele Bürgermeister. Aber heute werden Bürgermeis- Debatten die Zeit nicht mehr da ist. Es wird so in den letzten Jahren.“ ter auch Zielscheibe von tätlichen Angriffen. Ich viel an politischen Themen durch den Bun- Ute Hauser kann mich nicht erinnern, dass das zu meiner destag gejagt … du kannst dich als Abgeord- Zeit passiert wäre. Natürlich schimpft mal einer nete oder Abgeordneter gar nicht mit allem über dich, aber tätliche Angriffe gab‘s damals beschäftigen! Es fehlt die Zeit, dich in allen nicht, zumindest nicht in der Fülle. Fragen bei deiner Partei, im Wahlkreis und die Instrumente da waren, die Gesellschaft bei wem auch immer rückzuversichern. Drei auseinanderzutreiben, sprachlich, propagan- Was dazu führt, dass einige nicht mehr bereit Wochen für eine Debatte? Dafür ist die Zeit distisch … Das sind dann Kipppunkte, wo sind anzutreten. überhaupt nicht mehr da! Zu viele Themen, Themen und Instrumente zusammenkom- Waffenschmidt: Genau. Oder „hinschmei- zu viele Punkte – das ist ein großes Thema für men, mit denen man so einen Prozess be- ßen“, auf Deutsch gesagt. den Mangel an Debattenkultur. schleunigen kann. Hauser: Das kann man auch auf Familien über- Giovanni di Lorenzo, der ZEIT-Chefredakteur, hat tragen. Viele Familien haben nicht mehr die Ich möchte zwei Politiker-Sätze zitieren: Als vor Jahren gemahnt: Wir müssen aufpassen, Möglichkeit, miteinander zu diskutieren. Weil die AfD 2017 in den Bundestag eingezogen ist, dass wir nicht so viel auf Politiker eindreschen; beide Elternteile arbeiten, gibt es oft keine ge- hat ihr Fraktionschef Alexander Gauland sonst ist hinterher gerade von den Fähigen kei- meinsamen Mahlzeiten mehr. Und wenn doch gesagt, sie wollten jetzt die Bundeskanzlerin ner mehr bereit, sich zur Verfügung zu stellen. mal Zeit da ist, sitzen viele vor dem Laptop oder jagen. Und Alice Weidel, die andere AfD- Waffenschmidt: Absolut! Ich kann sowieso Smartphone und lesen, was da alles reinkommt. Fraktionsvorsitzende, hat erklärt, „die politi- die Trennung in „die da oben“ und „wir hier sche Korrektheit“ gehöre „auf den Müllhaufen unten“ nicht verstehen. Letztlich hat jeder die Nochmal zum Stichwort raues Gesprächsklima. der Geschichte“. Man mag über die sprachliche Möglichkeit, sich politisch zu engagieren, auf Was waren in den vergangenen Jahren nach Verwendung einer „politischen Korrektheit“ allen Ebenen. Unfaire und gewalttätige Atta- eurer Einschätzung Kipppunkte oder öffentli- diskutieren, aber solche Sätze befeuern und cken untergraben einen wichtigen Pfeiler che politische Schlüsselsätze, die das raue vergiften eine Debatte. unseres demokratischen Systems. Man kann Klima befördert haben? Hauser: Ich kann ergänzen: Der AFD-Vorsit- sich an jemandem reiben als Person. Aber Kri- Hauser: Ich denke, die Entwicklung war zende Jörg Meuthen hat beim Antritt im tik, die pauschal verunglimpft, ist nicht ange- schleichend, so dass man nicht sagen kann: Stuttgarter Landtag gesagt: „Ich bin nicht messen. 12 EiNS September 2021
ARBEITSKREISE DER ALLIANZ Ute Hauser gehört zum Arbeits Christoph Waffenschmidt leitet kreis Politik der Evangelischen als Vorstand das christlich- Allianz in Deutschland und war humanitäre Hilfswerk World viele Jahre für die CDU in Vision und ist als solcher inter Württemberg in der Kreispolitik national vernetzt. Der Sohn und in der Gebetsfrühstücksarbeit des früheren Parlamentarischen für Politiker aktiv; gemeinsam Staatssekretärs Horst Waffen Foto: Deborah Pulverich mit ihrem Mann und ihrer Tochter schmidt war von 1999 bis 2008 führt sie ein Architekturbüro. als Bürgermeister für die CDU Foto: privat in der Kommunalpolitik aktiv. Was sind heute die gesellschaftlichen Trigger- Hauser: Wenn ich gefragt werde, was kann Christin oder Christ wählen kann. Da hat je- punkte, Reizwörter, auf die alle sofort ansprin- ich wählen, dann sage ich: Nimm dir Zeit und der seine Schwerpunkte. gen – und schon geht’s rund? lies die Wahlprogramme, welche Punkte die Waffenschmidt: Vor fünf, sechs Jahren war Parteien dir anbieten. Wo kannst du mitge- Zum Schluss: Wie können wir, als Christen, bei- es sicher das Thema Flüchtlinge oder Geflüch- hen? Was steht nicht gegen deine innere tragen zu einer barmherzigen Gesprächskultur? tete. Das war über lange Zeit ein Reizwort. Überzeugung? Dann kannst du eine Entschei- Waffenschmidt: Meine erste Antwort ist, im- Zuletzt die Corona- Schutzmaßnahmen, alles, dung finden, welcher Partei du deine Stimme mer bei sich selbst anfangen. Was trage ich bei was damit zu tun hat. gibst. Ich glaube, dass viele nur die Über- zu einer sinnvollen, sachlichen, konstruktiven, schriften lesen und denken: Wenn die Partei liebevollen, barmherzigen oder respektvollen „Systemmedien“ ist auch beliebt. gegen Abtreibung ist oder gegen Homosexu- Art der Kommunikation? Und die Debatten, Waffenschmidt: Genau. Und was sagen die alität, dann kann ich die nur wählen. Alles die bewusst geführt werden, um zu spalten, Rechten noch immer? „Lügenpresse!“ Da würde ich immer auf die wesentlichen Kern- wird ein tragender Pfeiler unserer liberalen punkte zurückführen – und mich nicht auf ir- Grundordnung massiv angegriffen. Die Frage gendwelche abseitigen Themen lenken lassen. ist: Ist das ein Aufreger, weil es wirklich un- „Unfaire und gewalttätige Hauser: Ich glaube, wir müssen auch wieder terschiedliche Meinungen gibt? Oder werden lernen, mehr zuzuhören. Viele Menschen Reizwörter bewusst missbräuchlich in die De- Attacken untergraben einen können gar nicht mehr zuhören, lassen den batte geworfen, weil die Gesellschaft sich da- wichtigen Pfeiler unseres anderen auch nicht ausreden. Es ist unbarm- mit spalten lässt? herzig, wenn wir so mit anderen umgehen Spannend finde ich auch: Was ist die demokratischen Systems.“ und deren Meinung auf diese Weise nicht ste- nächste Reizdebatte? Wie können wir uns für Christoph Waffenschmidt henlassen. Da haben wir Christen große Mög- einen guten Diskurs wappnen? Worauf kön- lichkeiten: warmherziger zu sein, toleranter. nen wir uns in der Gesellschaft verständigen? Selbst in unseren Gemeinden finden über Wo ist der Konsens? Wobei ich glaube, dass die sozialen Netzwerke heftige Debatten statt, weite Teile der Bevölkerung in Deutschland andere bleibt dann unterm Tisch und das fin- die oft verletzend und unsachlich sind. Wenn – wir sehen das bei den Wahlen – im demo- de ich schade. Es gibt nicht nur schwarz-weiß aber ein persönliches Gespräch stattfindet, kratischen Spektrum unterwegs sind. Stich- oder nur rechts oder links, es gibt auch ein ist die Wortwahl und Aussage oft abgerunde- wort Corona-Maßnahmen: Die absolute Sowohl-als auch. Ich finde, jeder muss sich ter. Wie gehen wir mit unseren Mitmenschen Mehrheit der Menschen im Land haben die die Mühe machen und mit dem auseinander- um? Es baut den anderen auf, wenn er merkt, Sachen mitgetragen. Ich glaube, es ist wichtig setzen, was die Parteien anbieten. er kriegt Wertschätzung und Anerkennung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, Waffenschmidt: Also bei mir ist die Wahlent- von mir. Denn es geht uns ja um den Men- hier auch einen Pflock einzuschlagen und zu scheidung relativ klar (lacht). Aber ich würde schen. sagen: Die Mehrheit steht hinter den Maß- grundsätzlich sagen: Guck auf das, was das Waffenschmidt: Das ist ein entscheidender nahmen und erkennt das an! Man kann ein Wichtigste ist. Nach meiner Überzeugung Punkt: Wenn es uns in der Kommunikation Auseinanderdriften in der Gesellschaft auch sind die Parteien wählbar, die für die tragen- nicht darum geht, eine vermeintlich falsche herbeireden – auch da müssen wir aufpassen. den Pfeiler unserer Gesellschaft einstehen: Überzeugung beim anderen zu entdecken für Rechtsstaat, freiheitlich-demokratische und darauf herumzureiten – sondern wenn es Wir sprechen hier nicht nur über Gesellschaft Grundordnung, liberale Demokratie, soziale um den Menschen mir gegenüber geht, dann allgemein, Christen mischen da munter mit. Um Marktwirtschaft. Hinzu kommen dann noch verändert das die Kommunikation. die Diskussion auch unter Christen im aktuellen andere Dinge: wie Parteien und Politiker sich Wahlkampf deutlich zu machen, formuliere ich verhalten in Debatten, zu manchen Entschei- Vielen Dank für alle Anregungen und Einschät- mal so: Dürfen Christen nur CDU wählen? Denn dungen, zu Dingen, die sie selber getan haben zungen! es gibt eine Reihe Christen, die ernsthaft erklä- und keinen Schlussstrich oder Trennlinie ge- ren, dass Grüne und Linke des Teufels wären zogen haben … Ich maße mir nicht an zu sa- und uns direkt in eine Ökodiktatur führten ... gen, es gibt nur die eine Partei, die man als Interview: Jörg Podworny 13
ARBEITSKREISE DER ALLIANZ Mehr Anstand bitte! Wie wir in der Gesellschaft miteinander umgehen Foto: privat Lager Moria Insel Lesbos,Griechenland R egelmäßig spreche ich Radioandachten beim MDR. Einmal ging Bitte nicht im Copy and Paste-Stil! ich der Frage nach, ob man noch Urlaub auf einer griechischen Meine längere Antwort war: Solche Fragen kriegen Bundestagsabge- Insel machen könne, wenn man an das Leid der Flüchtlinge ordnete, besonders die Christen im Bundestag, zu tausenden. Chris- denkt, im Lager Moria auf der Insel Lesbos etwa. ten, die solche Mails schicken – kopiert von anderen – brauchen zwei Sekunden, um die Mail weiterzuleiten, blockieren aber die Arbeit der Der Ton macht die Musik Büros im Bundestag. Wenn Sie also wollen, dass Christen in der Politik Am nächsten Tag bekam ich diese E-Mail: „Herr Pfarrer, erstens han- eine gute Arbeit machen, hören Sie auf damit! delt es sich in Moria nicht um Flüchtlinge und man kann ihnen deshalb Zweitens: Sie unterstellen etwas, nämlich, ich müsste den Staat auch nicht beheizte Hotels bauen. An Stelle unrealistische Dinge zu pre- loben. Warum sollte ich das müssen? Ich werde von Spendern bezahlt. digen, sollte ihre Kirche davon ausgehen, dass Europa nicht die ganze Und wenn ich nur das sagen würde, was die Spender fordern, dann Welt aufnehmen kann. Selbst der liebe Gott kann ihre Vorstellungen da wäre ich korrupt. Ist Ihnen bewusst, dass Sie eben eine solch bösartige nicht erfüllen. Die Menschen, die den Versuch der illegalen Grenzüber- Unterstellung gegen mich erhoben haben? schreitung unternehmen und teils noch in betrügerischer Absicht ohne Dann folgt die Behauptung, es gäbe eine Einheitsregierung. Das kön- Papiere kommen, wissen genau, dass sie ein Risiko für Leib und Leben nen Sie ja so sehen. Aber dass es klar und für jeden offensichtlich wäre eingehen. Wenn man sie dann noch aufnimmt und nicht zurückschickt, und ich es bewusst und mutwillig verschwiegen hätte, ist eine Unter- ist das schon eine humane Geste. Wenn man dann aber seine Unterkunft stellung. Damit wäre ich nicht nur korrupt, sondern auch ein Lügner. anzündet um einen Weg auf das Festland und nach Deutschland zu er- Wollen Sie das wirklich sagen? Stellen Sie sich vor, die Frage hätte pressen, ist das eine Unverschämtheit. Predigen sie ihren Mist ruhig wei- so gelautet: „Sehr geehrter Herr Heimowski, Sie sind als unabhängiger ter, die Menschen hier sind zwar christlich, aber nicht blöd.“ Beobachter beim Bundestag. Mir macht Corona große Mühe. Ich habe das Was passiert mit uns? Meine Sicht der Dinge muss der Schreiber Gefühl, dass ich auf der Ebene von Weltgesundheitsbehörde und anderen nicht teilen. Zum Glück. In Deutschland gibt es Meinungsfreiheit. Und Organisationen die Zusammenhänge nicht verstehe. In der Bibel steht ja, die Frage, wie viele Flüchtlinge wir aufnehmen (können), ist politisch dass es mal eine Einheitsregierung geben wird. Sehen Sie Anzeichen da- umstritten. Bundespräsident Joachim Gauck hat den Satz formuliert: von? Es macht mir wirklich Sorge, vielleicht können Sie mir weiterhelfen?“ „Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten sind endlich.“ Das wäre eine gute, vernünftige, nachvollziehbare Frage. Ich hätte Die Wortkombination „Flüchtling“ und „Moria“ hat wohl gereicht, Ihnen darauf geantwortet: „Ich kann ihre Sorge verstehen, kann das aber um den Schreiber auf die Palme zu bringen. Die Frage, die mich um- so nicht erkennen. Wenn ich sehe, wie weltweit mit der Corona-Pande- treibt, lautet: Wieso meint dieser Mann, mich beschimpfen zu dürfen? mie umgegangen wird, wild und unabgestimmt, dann kann man nicht Er kann mich kritisieren, jederzeit. Aber beleidigen? den Eindruck haben, dass da eine konzertierte Aktion am Werk ist.“ Wir brauchen eine Wende: zu mehr Anstand, einer neuen Debat- Vorschlag: Wie wäre es, wenn wir wertschätzend nachfragen, un- tenkultur, im Umgang miteinander, besonders gegenüber Verantwor- seren Politikerinnen und Politiker gute Motive unterstellen und für sie tungsträgern und Personen des öffentlichen Lebens. in ihrem schweren Job beten? Es geht auch besser. Bei der Konferenz „Mut 2020“ hielt ich den Vortrag „So funktioniert Politik tatsächlich“. Nachher wurden Fragen Uwe Heimowski ist Politikbeauftragter der gestellt: „Sie loben den deutschen Staat sehr – müssen Sie wahrschein- Evangelischen Allianz in Deutschland lich. Aber dass wir grade alle veräppelt werden und Corona nur als Vor- wand genutzt wird, um eine Einheitsregierung zu etablieren, völlige Kon- trolle einzuführen und die Maske das Sinnbild für den Maulkorb ist, der allen Deutschen von diesem Staat verpasst wird – das haben Sie nicht erwähnt. Haben Sie es bewusst verschwiegen oder einfach vergessen?“ 14 EiNS September 2021
GELEBTE ALLIANZ SCHLAGLICHTER: MIT VERLETZUNGEN UMGEHEN Aus unserer Sehnsucht wirkt Gott Neues Zwei Medienschaffende über ihre wechselhaften Erfahrungen Berufung und Fake News mente, in denen erzähle ich (Iris) ungern, es von etlichen Freunden aus dem christlichen 1993 war ich (Angela) als Studentin dabei, im was ich beruflich mache. Wenn ich über eine Umfeld zugespielt. „Das muss du dir ansehen, Fernsehbereich erste Erfahrungen zu sammeln. Querdenker- oder Pegida-Demonstration be- die erzählen wenigstens die Wahrheit“, wurde Ein befreundetes Paar, promovierte Naturwis- richte, muss ich mich darauf einstellen, als ich häufig belehrt. Noch mehr als der Inhalt senschaftler, warnten mich, mir keine E-Mail- „Lügenpresse“ bezeichnet zu werden. Immer diverser YouTube-Videos erschreckte mich, Adresse und Modem zuzulegen: Ich würde da- häufiger erlebe ich diese Ablehnung auch bei was es mit meinen Freunden machte. Ich er- durch dem Teufel Zugang in mein Leben geben! Begegnungen auf christlichen Seminaren lebte große Angst und Verunsicherung. Heute schwer vorstellbar, zeigt es, dass Chris- oder Veranstaltungen. Dem gemeinsamen ten häufig Ängste vor neuen Medien haben. Gotteslob und der Freunde an christlicher Ge- Thema Gemeinschaft Damals ermutigte es mich zu sehen, dass auch meinschaft scheint eine Sache im Weg zu ste- Viele Medienschaffende machen ihren Beruf Christen im Medienbereich tätig sind oder Me- hen: mein Beruf. Dass ich ihn als Berufung aus Leidenschaft. Die Kehrseite sind Über- dien bewusst für die Gemeindearbeit nutzen, ansehe, stundenlang erzählen könnte, wie ich stunden, lange Arbeitstage, unsichere Be- beispielsweise die damalige Christliche Inter- Gott in meinem Berufsalltag erlebe, nutzt in schäftigungsverhältnisse und teilweise Net-Arbeitsgemeinschaft CINA (die von der Evan- solchen Situationen wenig. Für viele Christen schlechte Bezahlung. Dafür braucht es im per- gelischen Allianz mitgegründet wurde - Red.), sind Medienleute fremde Wesen, die man ent- sönlichen Umfeld Partner und Freunde, die von der ich mein erstes Modem kaufte. weder bejubelt („Du arbeitest beim Fernse- bereit sind, das mitzutragen. Zugleich erle- Inzwischen habe ich als Social-Media PR- hen? Bist du da auch zu sehen?“) oder in Fra- ben sie in ihrem Umfeld, dass irgendwann Managerin eine eigene Agentur gegründet ge stellt: („Kann man in deinem Job Christ Einladungen ausbleiben („Du bist ja eh nie und berate Firmen und Organisationen, wie sein?“). Mir begegnen vor allem Bilder im da“), weil man zu häufig Veranstaltungen we- sie mit ihren Produkten und Dienstleistungen Kopf. Sehr gern wird mir die Studie zitiert, gen Produktionen absagen musste. Das macht im Internet sichtbar werden. Dazu gehört wonach „doch eh 90 Prozent der Journa- einsam und gibt einem auch in Gemeinden auch der Umgang mit Fake News und Shit- list:innen grün wählen“. Dabei gibt es viele das Gefühl des Außenseiters. storms. Ich erlebe, dass viele Christen hier Möglichkeiten, sich gegen falsche oder miss- Umgekehrt finden Medienschaffende sel- mit Vorurteilen behaftet sind. Statt sich eine liebige Berichterstattung zu wehren. Nur das ten Zugang zu Christen: „Ich habe noch nie eigene Meinung zu bilden, wird schnell eine kann anstrengend sein! einen Christen gesehen“, erzählte mir ein Cut- Vermutung oder manipulative Äußerung Als im März 2020 in Deutschland die Coro- ter, als wir einen Tagesschau-Bericht zum übernommen – und weiterverbreitet. na-Pandemie ausbrach, brauchte ich nicht Abschluss des Evangelischen Kirchentags in „Euch Journalisten wird doch vorgege- lange zu recherchieren, was in diversen alter- Dresden zusammenschnitten. Manchmal gab ben, was ihr zu berichten habt.“ Es gibt Mo- nativen Medien publiziert wurde. Ich bekam es Begegnungen, die von negativen Erfahrun- gen geprägt waren. Doch was tun Christen, um diese Kluft zu überwinden? Herzlich wenig. Wenn in Ge- meinden oder Gebetsgruppen gebetet wird, stehen Medienleute meist nicht auf der Agen- da. Warum eigentlich? Das Mediengebetsnetz Meine Isolation und meinen Mangel klagte ich (Angela) Gott. 1997 zeigte er mir die Webseite des CFF e.V. (Forum für Christen in Film und Fernsehen). Hier erlebte ich zum ersten Mal geistigen und geistlichen Aus- tausch mit Kolleg:innen. So lernten wir – Iris Völlnagel und ich – uns kennen. Aus den persönlichen Forumskontakten baute ich vor über 20 Jahren ein Medienge- betsnetz auf. In mehreren Städten entstanden Foto: Angela Wosylus Mediengebetskreise und Telefonkonferenz- gebetsgruppen. Bibel TV entstand durch Im- pulse und Begegnungen auf dem CFF Forum und aus dem Gebetsnetz; Christliche Medien 16 EiNS September 2021
GELEBTE ALLIANZ München e.V. (Christliches Radio und Fern- sehen) entstand unmittelbar aus dem Münch- ner Mediengebetsnetz. Heute nutze ich die Prayer Mate-App für allgemeine Medienanliegen. Wir wünschen uns mündige Christen, die ihre individuelle Berufung in der vielfältigen Schöpfung Gottes gemäß leben und nicht Foto: Völlnagel/ARD ihre eigenen Ängste zu Stolpersteinen und Mauern für andere aufbauen. Nur so können Foto: privat wir gemeinsam unseren Beitrag in den welt- weiten Herausforderungen erfüllen. Angela Wosylus, Social Media PR-Managerin, Iris Völlnagel, TV-Journalistin und online Redakteurin, ehemals BR. ARD-Reporterin Kontakt: www.pop-up-socialmedia-pr-agentur.de Foto: Headway / unsplash.com Nur keinen Streit vermeiden! Martina Kessler plädiert für eine gesunde Konfliktkultur F rieden ist ein hohes Gut. Christlich sozialisierte Menschen lernen und einem tieferen Frieden. Ich plädiere für eine gute Streitkultur. oft die passenden Bibelstellen dazu. „Jeder Streit ist Sünde“: Die- Schweigen ist keine gute Alternative. se Einstellung erlebe ich häufig, besonders im christlichen Um- Wird Streit ausgetragen, sollte das immer auf Basis persönlicher Wert- feld. Damit geht eine Konfliktunfähigkeit einher. schätzung geschehen. Hart in der Sache, aber liebevoll mit dem Men- In der Bibel wird tatsächlich vor Streit gewarnt, dabei geht es aber schen umzugehen, ist eine Herausforderung, der man sich stellen muss. um eine Streitsucht, darum, im Recht zu sein und partout gewinnen Ein Streit bedeutet erst einmal nur, dass Menschen zur gleichen zu wollen. An Ende eines guten Streitgesprächs steht dagegen Klärung Sache unterschiedliche Meinungen haben. Er zeigt auch: „Du bist es in theologischen, sachlichen oder zwischenmenschlichen Fragen. Ist wert, dass ich mich mit dir und deiner Meinung auseinandersetze.“ man langfristig aufeinander böse, wertet sich gegenseitig ab, redet Menschen, die sich egal sind, streiten nicht mehr miteinander. Das ist über den anderen statt mit ihm, liegen Streit und Sünde nah beieinan- viel schlimmer – und oft irreversibel! der. Streiten kann fair oder unfair geschehen. In einer guten Streit- Streitgespräche im Blick auf Werte, bei Zielkonflikten und zur Be- kultur ringt man miteinander um einen guten Weg. Ein gesunder Um- ziehungsklärung sind unbedingt notwendig. Manchmal, aber nicht gang mit Dissens führt meist zum besseren gegenseitigen Verständnis immer, kann man zu einer gemeinsamen Lösung kommen. Demge- 17
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