Themenheft Neurologie - Swiss Medical Forum

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Themenheft Neurologie - Swiss Medical Forum
SMF – FMS Schweizerisches Medizin-Forum – Forum Médical Suisse – Forum Medico Svizzero – Forum Medical Svizzer

                       Swiss
                       Medical Forum
                                                                                         Sondernummer in Kooperation mit der
39–40 23. 9. 2020

                                                                                         Schweizerischen Neurologischen Gesellschaft (SNG)

                       Themenheft
                       Neurologie

                                                    Offizielles Fortbildungsorgan der FMH
                                                    Organe officiel de la FMH pour la formation continue
                                                    Bollettino ufficiale per la formazione della FMH
                                                    Organ da perfecziunament uffizial da la FMH         www.medicalforum.ch
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Wissenschaftliche Redaktion: Prof. Dr. Nicolas Rodondi, Bern (Chefredaktor); Prof. Dr. M
                                                                                       ­ artin Krause, Münsterlingen (stellvertretender
Chefredaktor); Prof. Dr. Stefano Bassetti, Basel; Prof. Dr. Idris Guessous, Genf; Prof. Dr. Reto Krapf, Liestal; Prof. Dr. Klaus Neftel, Bern;
Prof. Dr. Gérard Waeber, Lausanne; Prof. Dr. Maria Monika Wertli, Bern
Advisory Board: PD Dr. Daniel Franzen, Zürich; Dr. Jérôme Gauthey, Biel; Dr. Francine Glassey Perrenoud, La Chaux-de-Fonds; Dr. Daniel Portmann,
Winterthur; Prof. Dr. Claudio Sartori, Lausanne; PD Dr. Stefan Weiler, Zürich
Redaktion im Verlag: Dr. Ana M. Cettuzzi-Grozaj; Dr. Natalie Marty; Dr. Susanne Redle
Peer reviewed journal: Alle Einreichungen werden durch die wissenschaftliche Redaktion des SMF geprüft; alle wissenschaftlichen Beiträge
werden zudem externen Gutachtern vorgelegt (Peer reviewing).

Kurz und bündig
        R. Krapf
  511 Kurz und bündig
        Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Editorial
        C. L. A. Bassetti, R. Du Pasquier, L. Kappos, A. Kleinschmidt, M. Weller
  514 Neurologie: eine therapeutische Disziplin

Übersichtsartikel
        V. Pantazou, I. Beuchat, R. Du Pasquier
  516 Neuroinflammatorische ­Erkrankungen
        Die neuen Behandlungsmöglichkeiten haben die Entwicklung der neuroinflammatorischen Erkrankungen und die
        Versorgung der Patientinnen und Patienten verändert. Oft kann dadurch die Krankheitsprogression verlangsamt werden.

        A. O. Rossetti, L. H. Bonati, P. S. Sandor, P. Michel, U. Fischer
 524 Neurologische Notfälle
        Die Neurologie hat sich in den letzten Jahren von einem diagnostischen zu einem therapeutischen Fach entwickelt.
        Viele neurologische Erkrankungen können bereits in der Notfallstation korrekt diagnostiziert und behandelt werden.

        M. O. Baud, K. Schindler, D. Flügel, C. L. A. Bassetti
  532 Personalisierte Chronotherapie bei Epilepsie
        Epilepsie ist eine chronische Erkrankung, die in der Schweiz eine hohe Prävalenz aufweist. Dank der Fortschritte im
        Bereich des Neuroengineering wird es in den kommenden zehn Jahren zu zahlreichen Neuentwicklungen kommen.

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5 things to know about …
        A. G. Guggisberg, T. Nyffeler
  538 Neurokognition und Neurorehabilitation
        Trotz Fortschritten in der Akuttherapie bleibt der Hirnschlag die häufigste Ursache von Behinderungen im Erwachsenen-
        alter. Neuere Daten zeigen nun zwei unterschiedliche Verlaufsmuster von neurologischen Defiziten während der Neuro­
        rehabilitation.

        P. A. Lyrer, C. Cereda, T. Kahles, M. Arnold
  539 Stroke
        Der akute ischämische Hirnschlag ist heute eine behandelbare Erkrankung.

        M. Weller, A. F. Hottinger
 540 Neuroonkologie
        Die Neuroonkologie hat sich zu einer hoch komplexen multidisziplinären Subspezialität entwickelt, die sich mit ­
        der Entstehung, Diagnostik und Therapie primärer und sekundärer Hirntumoren befasst.

        G. Kägi, M. Schüpbach
  541 Bewegungsstörungen
        Neben der technischen Weiterentwicklung der tiefen Hirnstimulation hat sich auch der MR-gesteuerte fokussierte Ultra-
        schall in der Therapie von Bewegungsstörungen etabliert. Hoffnung geben auch Studien mit Antisense-Oligonukleotiden.

        D. Straumann
 542 Schwindel
        Das Interesse an der Differenzialdiagnose des akuten vestibulären Syndroms ist weiterhin gross.

Aktuell
        H. H. Jung, D. Wiest, P. S. Sandor
 543 Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
        Vorstellung der Schweizerischen Neurologischen Gesellschaft (SNG).

        G. M. De Marchis, G. Kägi, A. Kleinschmidt
  545 Blick in die Zukunft der Neurologie
        «When we pronounce the word future, the first syllable already belongs to the past», schrieb eloquent die polnische
        Lyrikerin und Nobelpreisträgerin Wisława Szymborska. Die Neurologie lebt dieses Motto vor.

Swiss Medical Weekly
A list of new articles from www.smw.ch is presented at the end of this issue.

Impressum
Swiss Medical Forum –                           ISSN: Printversion: 1424-3784 /                   beitet oder in anderer Weise verändert     Anzeigen:
Schweizerisches Medizin-Forum                   elektronische Ausgabe: 1424-4020                  wird. Die kommerzielle Nutzung ist nur     Markus Süess,
Offizielles Fortbildungsorgan der FMH           Erscheint jeden 2. Mittwoch                       mit ausdrück­licher vorgängiger Erlaub-    Key Account Manager EMH
und der Schweizerischen Gesellschaft                                                              nis von EMH und auf der Basis einer        Tel. +41 (0)61 467 85 04,
für Innere Medizin                              Verlag: EMH Schweizerischer Ärzte­                schriftlichen Vereinbarung zulässig.       Fax +41 (0)61 467 85 56,
                                                verlag AG, Farnsburgerstrasse 8,                                                             markus.sueess@emh.ch
Peer reviewed journal                           4132 Muttenz, Tel. +41 (0)61 467 85 55,           Abonnemente FMH-Mitglieder:
Das Swiss Medical Forum ist im                  Fax +41 (0)61 467 85 56,                          FMH Verbindung der Schweizer               Hinweis: Die angegebenen Dosierun-
­«Directory of Open Access Journals»            www.emh.ch                                        Ärztinnen und Ärzte, Elfenstrasse 18,      gen, ­Indikationen und Applikationsfor-
 (DOAJ) gelistet und erfüllt damit die                                                            3000 Bern 15, Tel. +41 (0)31 359 11 11,    men, vor allem von Neuzulassungen,
 Vorgabe des SIWF an eine Zeitschrift           © EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG              Fax +41 (0)31 359 11 12, dlm@fmh.ch        ­s ollten mit den Fachinformationen der
 mit Peer reviewing.                            (EMH), 2020. Das Swiss Medical Forum                                                          verwendeten Medikamente verglichen
                                                                                                  Andere Abonnemente: EMH Schweize-
                                                ist eine Open-­Access-Publika­tion                                                            werden.
                                                                                                  rischer Ärzteverlag AG, Abonnemente,
Redaktionsadresse: Maria João                   von EMH. Entsprechend gewährt EMH                 Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz,
Brooks, Redaktionsassistentin SMF,              allen Nutzern auf der Basis der Creative-                                                    Herstellung: Vogt-Schild Druck AG,
                                                                                                  Tel. +41 (0)61 467 85 75,
EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG,             Commons-Lizenz «Namensnennung –                                                              www.vsdruck.ch
                                                                                                  Fax +41 (0)61 467 85 76, abo@emh.ch
Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz,             Nicht kommerziell – Keine Bearbei­
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Fax +41 (0)61 467 85 56,                        unbeschränkte Recht, das Werk zu ver­             mit der Schweizerischen Ärzte-
office@medicalforum.ch,                         viel­fältigen, zu verbreiten und öffentlich       zeitung 1 Jahr CHF 395.– / Studenten
www.medicalforum.ch                             zugänglich zu machen unter den Bedin-             CHF 198.– zzgl. Porto; ohne Schweize-      Titelbild:
                                                gungen, dass (1) der Name des Autors              rische Ärzte­zeitung 1 Jahr CHF 175.– /    © S cience Photo Library / ­
Manuskripteinreichung online:                   genannt wird, (2) das Werk nicht für              Studenten CHF 88.– zzgl. Porto               Alamy Stock Photo
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KURZ UND BÜNDIG                                                                                                                                                                        511

Journal Club

Kurz und bündig
Prof. Dr. med. Reto Krapf

                                                                                                                   Gruppe von 3,3% entspricht einer NNT («number nee­
Fokus auf ... COVID-19 oder Influenza oder beides?                                                                 ded to treat») von etwa 33.
Klinische Charakteristika            Influenza                             SARS-CoV-2                              Ann Intern Med. 2020, doi.org/10.7326/M19-3925.
Jahreszeit                           Saisonal, Winterhalbjahr              Perennial                               Verfasst am 23.08.2020.
Infektiosität*                       Tiefer als SARS-CoV-2                 Hoch
Ansteckend                           Bei Symptombeginn                     Mindestens 48 Stunden                   Magenbypass: Wie kommt die metabolische
                                                                           vor erstem Symptom                      Verbesserung zustande?
Inkubationszeit                      1–4 (median 2) Tage                   2–14 (median 5) Tage
                                                                                                                   Die Remission des Diabetes mellitus Typ 2 nach Magen­
Symptome ­                            Fieber, Schüttelfrost,                Fieber, Schüttelfrost,
(bei beiden Infekten sehr             ­Kopfschmerzen, Husten,              ­Kopfschmerzen, Husten,
                                                                                                                   bypass war bislang nicht ganz geklärt: Könnten neben
oft mild oder fehlend)               ­Myalgien, Halsweh,                    Myalgien, Halsweh,                     dem Gewichtsverlust noch Änderungen im intestina­
                                     ­Abgeschlagenheit                     ­A bgeschlagenheit
                                                                                                                   len Mikrobiom, im Gallensäurenmetabolismus, bei
Relativ agensspezifisch              Rhinitis («verstopfte» Nase)          Anosmie, Atemnot                        den intestinalen glukoregulierenden Peptiden (Gluka­
Symptommaximum                       Erste Woche                           Zweite und dritte Woche                 gon, gastrointestinales Peptid) oder gar hypophysäre
Alter:                                                                                                             Peptide (Neuropeptid Y, Ghrelin) eine Rolle spielen?
Kinder/Jugendliche                   Sehr häufig,                          Eher selten, meist mild,
                                                                                                                   Es scheint ganz einfach: Es ist der Gewichtsverlust al­
                                     65 Jahre                      Risikogruppe                          Risikogruppe
                                                                                                                   und nicht operierten Patienten gleichermassen. Der
Diagnostik                           RT-PCR, Antigenteste                  RT-PCR, Antigenteste
                                                                           ­bislang wenig sensitiv,                Gewichtsverlust hatte in den beiden Gruppen 18% be­
                                                                            Serologie                              tragen, der initiale Body-Mass-Index war mit etwa
Impfstoffe                           Mehrere, jährlich, von Saison Noch keine                                      43 kg/m2 identisch gewesen.
                                     zu Saison unterschiedlich
                                     wirksam                                                                       Die Studien etablieren die Bypassoperation also als
*Infektiosität bei beiden Infekten massiv einschränkbar durch Hygiene- und Distanzregelungen sowie                rein symptomatische Therapie, die aber auch einen
 Maskentragen.                                                                                                     Überlebensvorteil – wenn auch zum Preis einer
RT-PCR: «reverse transcription-polymerase chain reaction»
                                                                                                                   ­invasiven Intervention – mit sich bringt. Anders aus­
JAMA Insights 2020, doi.org/10.1001/jama.2020.14661.
Verfasst am 22.08.2020.                                                                                            gedrückt: Hoffnung für bessere medikamentöse/
                                                                                                                   diätetische/­verhaltenstherapeutische Methoden zur
                                                                                                                   Gewichts­reduktion.
                                Praxisrelevant
                                                                                                                   N Engl J Med. 2020, doi.org/10.1056/NEJMoa2003697.
                                                                                                                   Verfasst am 23.08.2020.
                                Bariatrische Chirurgie: Mortalitätsdaten
                                Die bariatrische Chirurgie hat einen erwiesenen Effekt
                                auf die Remission adipositasinduzierter Komorbiditäten,                            Neues aus der Biologie
                                namentlich von Hypertonie und Diabetes mellitus Typ 2.
                                Welches ist ihr Effekt auf die Gesamtmortalität?                                   Wirtsstoffwechsel und Tumormetastasierung:
                                Im Rahmen des «Ontario Bariatric Network» (Kanada)                                 Eisen
                                wurden Mortalitätsdaten von je 13 679 Patienten mit                                Ferroptose ist ein seit knapp zehn Jahren bekannter
                                bariatrischer Chirurgie (in mehr als 80% ein Magen­                                Mechanismus des programmierten Zelltodes. In Gewe­
                                bypass) mit einer ebenso grossen Zahl vergleichbarer,                              ben oder Körperflüssigkeiten mit hoher Eisenkonzen­
                                aber nicht operierter Patienten nach 4,9 Jahren erho­                              tration (z.B. Blut) können (Fremd-)Zellen durch eisenin­
                                ben. Die Mortalität der bariatrisch operierten Patien­                             duzierte Lipidperoxidation von mehrfach ungesättigten
                                ten betrug 1,4%, jene der nicht operierten signifikant                             Fettsäuren in deren Membran ausgeschaltet werden.
                                höhere 2,5%. In der Altersgruppe über 55 Jahre akzentu­                            Primär hämatogen metastasierende Tumorzellen haben
                                ierte sich der Unterschied: Mortalität 2,8% in der Ope­                            deshalb ein ziemlich schlechtes Schicksal, sie müssen
                                rationsgruppe versus 6,1% in der konservativ behan­                                auf antioxidative Hilfen, zum Beispiel durch Glutathion
                                delten Gruppe. Die absolute Risikoreduktion in dieser                              hoffen. Im Gegensatz zur lymphogenen Route: Maligne

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM                        2020;20(39– 40):511–513
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.           See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Themenheft Neurologie - Swiss Medical Forum
Kurz und Bündig                                                                                                                                                                         512

                                Melanomzellen nehmen in der Lymphe eine einfach ge­                                fischen SARS-CoV-2-Antikörper aus vorbestehenden
                                sättigte Fettsäure (Oleat, Bestandteil der lymphtypisch                            (vor der COVID-19-Epidemie schon nachweisbaren)
                                hohen Konzentration an Triglyzeriden) auf, die in der                              Vorstufen-Antikörpern zu entwickeln, zum Beispiel als
                                Folge wie ein Abfangjäger die mehrfach ungesättigten                               Folge früherer coronabedingter «common cold»-Er­
                                Fettsäuren vor der Peroxidation und damit die Tumor­                               krankungen. Die Stimulation dieser Vorstufen-Anti­
                                zellen vor dem Zelltod schützt. Diese durch die Lymphe                             körper durch ein Impfantigen scheint als Ziel lohnend.
                                vermittelte Protektion scheint beim sekundären Über­                               Cell 2020, doi.org/10.1016/j.cell.2020.06.044.
                                tritt der Melanomzellen ins Blut, das heisst nach Passage                          Verfasst am 23.08.2020.
                                des regionären Lymphknotens, zu persistieren.
                                Nature 2020, doi.org/10.1038/s41586-020-2623-z.
                                                                                                                   Relevant für SARS-CoV-2-Impfstoffe (2)
                                Verfasst am 22.08.2020.                                                            Beim Ausbruch in Wuhan beinhaltete die Aminosäure­
                                                                                                                   sequenz des Spikeproteins an der Stelle 624 die Amino­
                                Wirtsstoffwechsel und Tumormetastasierung:                                         säure Asparagin (D624), die im Verlaufe der Pandemie
                                B12/Methylmalonsäure                                                               fast vollständig durch Glycin (G624) ersetzt wurde.
                                Die Methylmalonsäure, die unter Regulation des Vit­                                Diese Mutation wurde erstmals im Februar in Europa
                                amin B12 in Succinat (Co-Enzym A) umgewandelt und                                  gesehen und scheint einen Überlebensvorteil für
                                in den Krebszyklus eingeschleust wird, kann ein Pro­                               SARS-CoV-2 mit erhöhter Infektiosität zu vermitteln.
                                gramm einer Tumorgenexpression induzieren, die in                                  Die Präsentation einer G624-Sequenz im zur Impfung
                                den Tumorzellen einen metastasierenden Phänotyp                                    verwendeten Antigen könnte also einen wirksameren
                                induziert. Die Tatsache, dass die Methylmalonsäure                                 Antikörper induzieren.
                                (als Derivat zirkulierender Fettsäuren) mit zunehmen­                              Cell 2020, doi.org/10.1016/j.cell.2020.06.043.
                                dem Alter ansteigt, könnte die altersabhängig erhöhte                              Verfasst am 23.08.2020.
                                Inzidenz metastasierter Neoplasien (mit-)erklären.
                                Nature 2020, doi.org/10.1038/s41586-020-2630-0.
                                                                                                                   Nicht ganz ernst gemeint
                                Verfasst am 22.08.2020.

                                                                                                                   Hatten die Grossmütter recht?
                                Relevant für SARS-CoV-2-Impfstoffe (1)
                                                                                                                   In Vorbereitung auf die kältere Jahreszeit findet eine Me­
                                Neutralisierende SARS-CoV-2-IgG-Antikörper werden
                                                                                                                   taanalyse/systematische Review, dass Honig sowohl die
                                schon Tage nach Krankheitsausbruch gegen das Rezep­
                                                                                                                   Hustendauer als auch die Hustenintensität bei oberen
                                torprotein S(pike) produziert. Sie weisen eine breite
                                                                                                                   Atemwegsinfekten reduziert.
                                Palette verschiedener Bindungssequenzen (variable
                                ­
                                                                                                                   14 kontrollierte, randomisierte Studien konnten ausge­
                                Regionen) auf, die über die Zeit nur eine minime Muta­
                                                                                                                   wertet werden, 9 davon bei Kindern; leider waren nur
                                tionsfrequenz zeigen. Häufig scheinen sich diese spezi­
                                                                                                                   2 durch einen Plazebo-Arm kontrolliert. Die verwende­
                                                                                                                   ten Honigmittel (reiner Honig, dominante pflanzliche
                                                                                                                   Herkunft des Honigs, Honig enthaltende Präparate)
                                                                                                                   waren heterogen [1].
                                                                                                                   Angesichts der seltenen Nebenwirkungen* sei kurz
                                                                                                                   und bündig methodisch nicht zu streng geurteilt. Zu
                                                                                                                   hoffen, dass eine gut propagierte Honigverschreibung
                                                                                                                   durch die Ärztinnen und Ärzte die Angehörigen/
                                                                                                                   Patient(inn)en überzeugt, dass kein – bei dieser Krank­
                                                                                                                   heit sowieso fast nie indiziertes – Antibiotikum ver­
                                                                                                                   schrieben werden muss. Eine Analyse der Cochrane-
                                                                                                                   Datenbasis ist zu vergleichbaren Schlussfolgerungen
                                                                                                                   gekommen [2].

                                                                                                                   * Dazu sind aber auch die Stichverletzungen der Imker sowie
                                                                                                                     bakterielle und toxische Kontaminationen zu rechnen!

                                                                                                                    1	BMI Evid Based Med. 2020,
                                                                                                                      dx.doi.org/10.1136/bmjebm-2020-111336.
Eine Metaanalyse zeigt, dass Honig sowohl die Hustendauer als auch die Husten­                                     2	Cochrane Database Syst Rev. 2014,
intensität bei oberen Atemwegsinfekten reduziert (ID 38002775 © Juefraphoto |                                         doi.org/10.1002/14651858.CD007094.pub4.
Dreamstime.com).                                                                                                   Verfasst am 22.08.2020.

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM                        2020;20(39– 40):511–513
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.            See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Themenheft Neurologie - Swiss Medical Forum
Kurz und Bündig                                                                                                                                                                         513

                                                                                                                   Eine internationale Kohorte (726 Patienten aus 429 Fa­
                                Aus Schweizer Feder                                                                milien aus den USA, Belgien und der Schweiz) wurde
                                                                                                                   nun analysiert. Beide Genotypen führen innert gut
                                Chronische tubulointerstitielle Nephropathie:                                      fünf Dekaden zur terminalen Niereninsuffizienz, der
                                an genetische Ursachen denken!                                                     UMOD-Genotyp ist charakterisiert durch eine konti­
                                Chronische tubulointerstitielle Nephropathien sind                                 nuierlich steigende Inzidenz von Gicht. Diese Form
                                wichtige Ursachen der terminalen Niereninsuffi­                                    kann auch durch tiefe Urinkonzentrationen von Uro­
                                zienz. Sie werden traditionell vorwiegend medika­                                  modulin vermutet werden.
                                mentösen Nebenwirkungen und im Sinne von Spät­                                     Als Konsequenz: Bei positiver Familienanamnese, pro­
                                folgen rezidivierenden Infekten und Entzündungen                                   gredienter Niereninsuffizienz, geringgradiger Protein­
                                zugeschrieben.                                                                     urie und Gicht schon bei jüngeren und mittelalterli­
                                Es gibt aber auch genetische, autosomal-dominant ver­                              chen Patienten (UMOD) sowie fehlenden anderen
                                erbte Ursachen, die sogenannte autosomal-dominante                                 Erklärungen daran denken. Eine genetische Testung
                                tubulointerstitielle Nierenerkrankung (ADTKD). Cha­                                auf den UMOD-Defekt ist relativ einfach, im Falle von
                                rakteristisch sind Tubulusepithelschäden, interstitielle                           MUC-1 eher anspruchsvoll.
                                Fibrose und keine bis diskrete glomeruläre Verände­                                Kidney Int. 2020, doi.org/10.1016/j.kint.2020.04.038.
                                rungen und eine nur diskrete Proteinurie (
Themenheft Neurologie - Swiss Medical Forum
EDITORIAL                                                                                                                                                                                  514

Eine Sondernummer in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Neurologischen Gesellschaf t

Neurologie: eine therapeutische
Disziplin
Prof. Dr. med. Claudio L. A. Bassetti a , Prof. Dr. med. Renaud Du Pasquier b , Prof. Dr. med. Ludwig Kappos c ,
Prof. Dr. med. Andreas Kleinschmidt d , Prof. Dr. med. Michael Weller e
a
 Klinikdirektor, Universitätsklinik Bern, Past-Präsident der Schweizerischen Neurologischen Gesellschaft (SNG); b Klinikdirektor, Universitätsklinik Lausanne,
Past-Präsident SNG; c Klinikdirektor, Universitätsklinik Basel; d Klinikdirektor, Universitätsklinik Genf; e Klinikdirektor, Universitätsspital Zürich

                                    Neurologische Krankheiten sind in den letzten Jahren als                       und Patienten unter anderem mit Schlaganfall, Multipler
                                    ein hochrelevantes Gesundheitsproblem erkannt wor-                             Sklerose, Migräne, Parkinson, Epilepsie, Polyneuropathie,
                                    den, das in den kommenden Jahren wegen der Alterung                            Hirntumoren und Schlafstörungen wesentlich verbes-
                                    der Gesellschaft weiter zunehmen wird [1]. Eine Arbeit                         sern [6–8]. Parallel hierzu konnten auch die Prävention,
                                    aus dem Jahre 2010 schätzte, dass mehr als 3,3 Millionen                       Rehabilitation und Palliation neurologischer Krankheiten
                                    Schweizer unter einer neurologischen Krankheit leiden1,                        erfolgreich ausgebaut werden. In den allerletzten Jahren
                                    mit dadurch assoziierten Gesundheitskosten von über                            sind schliesslich gezielte (bzw. präzise) Therapien auch für
                                    5 Milliarden CHF/Jahr [2, 3]. Eine Analyse aus dem Jahre                       bis anhin unbehandelbare genetische Erkrankungen wie
                                    2016 zeigt zudem, dass neurologische Krankheiten die                           Muskeldystrophien möglich und für neurodegenerative
                                    häufigste Ursache einer Frühinvalidität und die zweit-                         Erkrankungen in greifbarer Nähe [9–11].
                                    häufigste Todesursache weltweit darstellen [1].                                Die Neurologie ist heute eine dynamische, hochspeziali-
                                    Neurologie ist als eigenständiges Fach Mitte des 19. Jahr-                     sierte und therapeutische Schlüsseldisziplin geworden,
                                    hunderts aus der Inneren Medizin und Psychiatrie in                            die stark translationell und multidisziplinär handelt
                                    England, Frankreich und Deutschland entstanden. Die                            und über ein grosses Innovationspotential (u.a. hoch-
                                    ersten Lehrstühle der Schweiz wurden in Zürich (von                            auflösendes Neuroimaging, Präzisionsmedizin, Tele-
                                    Monakov, 1894), Bern (Dubois, 1902) und Basel (Bing,                           neuromedizin, Digitalisierung, Hirnstimulation und
                                    1918) geschaffen. Die Gründung der Schweizerischen                             Brain-Machine-Interface-Ansätze) verfügt [12–15].
                                    Neurologischen Gesellschaft (SNG) erfolgte 1908 [4]. Die                       Diese Sondernummer bringt Beiträge aus den fünf
                                    Etablierung der Neurologie als selbständiges Fach war                          neurologischen Universitätskliniken, aber auch nicht-
                                    in der Schweiz (wie auch international) langsam. Erst                          universitären Institutionen zusammen, die eindrück-
                                    1932 führte die FMH (Foederatio Medicorum Helvetico-                           liche Fortschritte in Verständnis, Diagnostik und vor
                                    rum) den Facharzttitel für Neurologie ein und die ers-                         allem Management neurologischer Erkrankungen prä-
                                    ten eigenständigen Bettenstationen der Schweiz wur-                            sentieren. Wir hoffen, dass die Lektüre dieser spannen-
1 Folgende 9 Krankheits­            den 1951 (Zürich) und 1958 (Bern) eröffnet [5]. Sicher                         den Artikel bei den Leserinnen und Lesern des Swiss
gruppen (mit geschätzten            wurden die Anerkennung und das Wachstum des Fa-                                Medical Forum Anklang finden wird.
Prävalenzdaten für die
Schweiz) wurden
                                    ches unter anderem dadurch verzögert, dass die Neuro-
                                                                                                                   Disclosure statement
berücksichtigt: Kopfschmer-         logie lange vor allem als diagnostische Disziplin mit be-                      Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
zen (n = 2 359 744),
                                    schränkten therapeutischen Möglichkeiten galt.                                 im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Schlafstörungen
(n = 682 598), Demenzen             In den letzten 20 Jahren verwandelte sich die Neurologie
                                                                                                                   Literatur
(124 218), Schlaganfall (71 156),   rasant zu einer Disziplin mit effizienten Therapien, die die                   Die vollständige Literaturliste finden Sie in der Online-Version des
Epilepsie (38 150), Parkinson
(17 624), Multiple Sklerose         Lebenserwartung und Lebensqualität von Patientinnen                            Artikels unter https://doi.org/10.4414/smf.2020.08608.
(7669), neuromuskuläre
Erkrankungen (n = 3894),
Hirntumoren (3504).

Korrespondenz:
Prof. Dr. med.
Claudio L. A. Bassetti
Klinikdirektor,
Universitätsklinik für
Neurologie, Inselspital Bern
Dekan, Medizinische
­Fakultät Bern,
Präsident, «European
­Academy of Neurology»
claudio.bassetti[at]insel.ch        Claudio L. A. Bassetti       Renaud Du Pasquier               Ludwig Kappos                      Andreas Kleinschmidt           Michael Weller

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM                        2020;20(39– 40):514
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ÜBERSICHTSARTIKEL                                                                                                                       PEER REVIEW ED ARTICLE | 516

Überwachung der neuen Immunmodulatoren

Neuroinflammatorische
­Erkrankungen
Dr. med. Vasiliki Pantazou, Dr. med. Isabelle Beuchat, Prof. Dr. med. Renaud Du Pasquier
Unité de Neuro-Immunologie, Service de Neurologie, Département des Neurosciences Cliniques, Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV), Lausanne

                                Die neuen Behandlungsmöglichkeiten haben den Verlauf der neuroinflammatori-
                                schen Erkrankungen und die Versorgung der Patientinnen und Patienten verän-
                                dert. In vielen Fällen kann dadurch die Krankheitsprogression verlangsamt wer-
                                den. Die enge Zusammenarbeit zwischen Neurologie und Hausarztmedizin ist
                                darum wichtiger denn je, um eine frühe Diagnose, eine schnelle und sichere Ein-
                                führung immunmodulierender Behandlungen und eine regelmässige Überwa-
                                chung ihrer potenziellen Toxizität zu gewährleisten.

                                Einleitung                                                                         räumliche Streuung (Läsionen an mindestens zwei
                                                                                                                   Stellen des ZNS) nötig (McDonald-Kriterien 2017 [1]). Da
                                In den letzten Jahren hat in der Neuroimmunologie
                                                                                                                   zahlreiche Krankheiten zu ähnlichen radiologischen
                                eine fantastische Entwicklung stattgefunden. Sie wird
                                                                                                                   und klinischen Anomalien wie die MS führen können,
                                in erster Linie durch die immer zahlreicheren Behand-
                                                                                                                   müssen umfassende Untersuchungen durchgeführt
                                lungsoptionen für Multiple Sklerose (MS) und Neuro-
                                                                                                                   werden, um andere Diagnosen auszuschliessen.
                                myelitis optica (NMO) verdeutlicht, aber auch durch die
                                                                                                                   Man unterscheidet drei Formen der MS [2]:
                                Entdeckung einer wachsenden Zahl antineuronaler An-
                                                                                                                   1. Die schubförmig-remittierende MS (85–90% der
                                tikörper, wodurch sich unser Verständnis der Autoim-
                                                                                                                       Fälle) manifestiert sich durch akute oder subakute
                                munenzephalitiden (AIE) weiterentwickelt hat.
                                                                                                                       neurologische Episoden («Schübe»), denen Remis­
                                In diesem sich rasch entwickelnden Gebiet obliegt es
                                                                                                                       sionsphasen folgen. Der schwankende und vorüber-
                                den Neurologinnen und Neurologen und den medizi-
                                                                                                                       gehende Charakter der Symptome führt unglückli-
                                nischen Grundversogern, bei der Diagnose sowie bei
                                                                                                                       cherweise dazu, dass die ersten Anzeichen bisweilen
                                der Verschreibung und Überwachung der neuen im-
                                                                                                                       banalisiert werden. Da in dieser Phase die Entzün-
                                munmodulierenden Behandlungen eng zusammenzu-
                                                                                                                       dung als pathophysiologischer Mechanismus domi-
                                arbeiten. Um Therapiefehlern vorzubeugen, befasst
                                                                                                                       niert, ist der Grossteil der Behandlungen bei dieser
                                sich dieser Artikel mit den wichtigsten Fragen im Zu-
                                                                                                                       Form wirksam.
                                sammenhang mit den am häufigsten eingesetzten Be-
                                                                                                                   2. Bei der sekundär progredienten MS geht die schub-
                                handlungen bei MS, NMO und AIE. Das Augenmerk
                                                                                                                       förmig-remittierende MS in eine schleichende und
                                liegt dabei auf den neuen Behandlungsoptionen und
                                                                                                                       kontinuierliche Progression der Behinderung über
                                es werden Algorithmen zur klinischen und paraklini-
                                                                                                                       (weniger Entzündung, mehr Neurodegeneration).
                                schen Überwachung vorgeschlagen.
                                                                                                                       Im natürlichen Verlauf tritt sie typischerweise 15–
                                                                                                                       20 Jahre nach dem ersten Schub auf [3].
                                                                                                                   3. Die primär progrediente MS ist von Beginn an
                                Multiple Sklerose
                                                                                                                       durch eine schleichende Progression der Symptome
                                MS ist eine entzündlich-degenerative Erkrankung des                                    gekennzeichnet.
                                Zentralnervensystems (ZNS), die vor allem jüngere Er-
                                wachsene im Alter zwischen 20 und 40 Jahren betrifft.                              Aktuelle Studien zeigen, dass die Einleitung einer im-
                                Nach einer ersten neurologischen Episode sind zur                                  munmodulierenden Behandlung («disease modifying
                                Dia­
                                   gnosestellung eine zeitliche (mehrere klinische                                 therapy» [DMT]) den Übergang zu einer sekundär pro-
                                Schübe und/oder Läsionen unterschiedlichen Alters                                  gredienten Form hemmen kann, besonders wenn die
Vasiliki Pantazou               im Magnetresonanztomogramm [MRT]) und eine                                         Therapie möglichst frühzeitig begonnen wird (Über-

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM                        2020;20(39– 40):516 –522
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.       See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Übersichtsartikel                                                                                                                                                                    517

                                                                                                                   – Bei Verdacht auf das Uhthoff-Phänomen ist zudem
                                                                                                                       darauf zu achten, ob Infektionszeichen, Sonnenex-
                                                                                                                       position, Müdigkeit, Schlaflosigkeit oder Stress vor-
                                                                                                                       liegen, und die Ursache zu behandeln.
                                                                                                                   – Bei Verdacht auf einen Schub: neurologische Kon-
                                                                                                                       sultation, +/– Medrol® 500/1000 mg per os oder
                                                                                                                       Solu-Medrol® 1000 mg i.v. 3–5 Tage lang je nach
                                                                                                                       Schwere der Symptome. Das Ausschleichen der Kor-
                                                                                                                       tikoidgabe ist eher die Ausnahme als die Regel und
                                                                                                                       ist im Falle einer transversen Myelitis oder schwe-
                                                                                                                       ren Optikusneuritis zu erwägen.
Abbildung 1: Einführung immunmodulierender oder -suppressiver Wirkstoffe der Erst-
(schwarz) und Zweitlinientherapie (rot) bei Multipler Sklerose (MS).                                               Was ist als Erstlinienbehandlung vorzuschlagen?
                                                                                                                   Als Erstlinienbehandlung werden in der Schweiz im
                                gang zur progredienten Form nach 20 Jahren in 54%                                  Allgemeinen Beta-Interferone, Glatirameracetat, Teri­
                                der Fälle ohne DMT, im Vergleich zu 24,2% der Fälle mit                            flunomid, Dimethylfumarat und Fingolimod vorge-
                                DMT) [3]. Da immer mehr und immer wirksamere                                       schlagen. Der Vorteil der selbst injizierbaren Wirk-
                                DMT auf den Markt kommen (Abb. 1), bietet sich für                                 stoffe (Interferon und Glatirameracetat) ist, dass sie
                                junge Patientinnen und Patienten, die eine Behand-                                 bereits seit Langem eingesetzt werden (seit rund
                                lung beginnen, die reale Aussicht, dass sich die sekun-                            40 Jahren) und ein sehr gutes Langzeitsicherheitsprofil
                                där progrediente Form erst nach mehr als 15–20 Jah-                                aufweisen. Allerdings lässt sich durch sie aufgrund der
                                ren entwickelt [4]. Die Wahl der Behandlung [5] hängt                              moderaten Wirksamkeit langfristig nur selten ein
                                von Fall zu Fall von den individuellen Vorlieben, dem                              NEDA-3-Score erreichen. Teriflunomid hat ein ähnli-
                                Alter, einem allfälligen Schwangerschaftswunsch und                                ches Wirksamkeitsprofil wie die injizierbaren Wirk-
                                der Aggressivität der Krankheit ab, doch das Ziel bleibt                           stoffe, wird aber von vielen Patientinnen und Patien-
                                gleich: die Verhinderung klinischer Aktivität (keine                               ten bevorzugt, da es einmal täglich oral eingenommen
                                Schübe und keine Progression der Behinderung) und                                  werden kann. Bei Frauen im gebärfähigen Alter ist es
                                radiologischer Aktivität («no evidence of disease ac-                              aufgrund des Teratogenitätsrisikos keine empfehlens-
                                tivity» oder NEDA-3, das heisst [a] kein neuer Schub,                              werte Option. Die Wahl zwischen Dimethylfumarat
                                [b] keine Progression der Behinderung und [c] keine                                und Fingolimod hängt vor allem vom Profil der uner-
                                neue MRT-Läsion).                                                                  wünschten Wirkungen ab, auch wenn Fingolimod bei
                                                                                                                   starker Entzündungsaktivität üblicherweise als wirk-
                                Wann besteht der Verdacht auf einen Schub und                                      samer gilt. In verblindeten, randomisierten Studien
                                wie ist er zu behandeln?                                                           stellte sich heraus, dass es Interferon überlegen war
                                Ein Schub ist definiert als neues neurologisches per-                              und die Zahl der Schübe um 39% verringerte, während
                                sistierendes Symptom (oder altes Symptom mit stär-                                 Dimethylfumarat das Schubrisiko im Vergleich zu Gla-
                                kerer Intensität als beim ersten Schub), das länger als                            tirameracetat um 24% senkt.
                                24 Stunden ausserhalb eines infektiösen Kontextes
                                anhält. Ein Rezidiv vorgängiger neurologischer Sym­                                Wann ist eine Zweitlinienbehandlung angezeigt?
                                ptome mit geringerer Intensität, die im Tagesverlauf                               Im Falle einer stark aktiven MS, bei der die Erstlinien-
                                schwanken und selten länger als 72 Stunden anhalten,                               behandlung nicht wirkt, ist eine Zweitlinienbehand-
                                wird als Uhthoff-Phänomen bezeichnet: Es tritt in Ver-                             lung indiziert. Zwei Strategien sind zu erwägen:
                                bindung mit Müdigkeit, Infektion, Wärme oder syste-                                Eine «Eskalationstherapie» mit Umstieg auf einen Wirk-
                                mischer Erkrankung auf und muss als solches erkannt                                stoff mit grösserer Wirksamkeit:
                                werden, da die Therapie darin besteht, die zugrunde                                – Natalizumab ist ein monoklonaler Antikörper gegen
                                liegende Ursache zu behandeln, und nicht in einer                                      die Alpha-4-Untereinheit von Integrinen und wirkt
                                Kortikoidgabe.                                                                         als Barriere, die das Eindringen aktivierter Leukozy-
                                Vorgehen bei Verdacht auf einen Schub:                                                 ten in das ZNS verhindert. In 70% der Fälle kann so
                                – Laboruntersuchungen: grosses Blutbild, Blutsen-                                      nach zwei Jahren ein NEDA-3-Score erreicht werden.
                                    kungsgeschwindigkeit, CRP, Na, K, Ca, Mg, Ph, ASAT,                                Die Hauptnebenwirkung, die selten, aber mit poten-
                                    ALAT, Bilirubin, Kreatinin, Harnstoff, proBNP, Vita-                               ziell fatalen Folgen auftritt, ist die progressive multi-
                                    mine B12, B9, D, TSH, Urinuntersuchung mittels Test-                               fokale Leukoenzephalopathie (PML), die auf einer
                                    streifen.                                                                          Reaktivierung des JC-Virus im Gehirn beruht.

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM                        2020;20(39– 40):516 –522
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.         See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Übersichtsartikel                                                                                                                                                                   518

                                – Ocrelizumab ist ein monoklonaler CD20-Antikör-                                   Tabelle 1 enthält einen Algorithmus zur Überwachung
                                    per, der aufgrund des Risikos einer anaphylakti-                               der genannten Wirkstoffe.
                                    schen Reaktion eine Prämedikation mit Antihista-
                                    minika und Kortikoiden erfordert. Die Wirksamkeit                              Wie werden die progredienten MS-Formen
                                    ist ebenfalls sehr gut: Nach sechs Jahren wird in                              behandelt?
                                    rund 80% der Fälle ein NEDA-3-Score erreicht. Diese                            Die grosse Herausforderung derzeit besteht darin, den
                                    DMT führt nach zweijähriger Behandlung in 5–20%                                Zustand der Patientinnen und Patienten zu verbessern,
                                    der Fälle zu einer totalen Depletion der zirkulieren-                          sobald sie die progrediente Phase erreichen. Das erste
                                    den B-Lymphozyten und zu einem Absinken der                                    ermutigende Ergebnis wurde 2017 erzielt, als in Fällen
                                    Immunglobulinkonzentration. Als Alternative zu                                 primär progredienter MS, in denen frühzeitig Ocreli-
                                    Ocrelizumab gilt Rituximab, ein weiterer CD20-An-                              zumab eingesetzt wurde, eine moderate, aber signifi-
                                    tikörper, dessen Wirksamkeitsprofil ähnlich ist, der                           kante Verringerung der Behinderungsprogression ge-
                                    aber eine vorgängige Bewilligung der Krankenkasse                              zeigt wurde [7]. In den Vereinigten Staaten wurde im
                                    erfordert, da er nicht in einer Phase-III-Studie un-                           vergangenen Jahr Siponimod, ein Sphingosin-1-Phos-
                                    tersucht wurde und darum von Swissmedic nicht                                  phat-Rezeptoragonist, zur Behandlung sekundär pro-
                                    offiziell zugelassen ist.                                                      gredienter Formen zugelassen, wobei auch hier der Ef-
                                Eine «Induktionstherapie» wird über einen festgelegten                             fekt moderat ist. Der Wirkstoff ist in der Schweiz bisher
                                Zeitraum verabreicht und zielt darauf ab, einen «Reset»                            nicht verfügbar.
                                des Immunsystems zu erreichen. Im Idealfall ist infolge ei-
                                ner derartigen Therapie keine weitere Behandlung nötig.                            Welche Untersuchungen sind vor Therapie­
                                – Alemtuzumab ist ein humanisierter monoklonaler                                   beginn nötig?
                                    Antikörper gegen CD52 (einen Rezeptor, der auf T-                              Bei allen systemischen Behandlungen mit immunmo-
                                    und B-Lymphozyten vorkommt) und führt zu einer                                 dulierender oder -suppressiver Wirkung ist es im Allge-
                                    Lymphozytendepletion sowie zu einer Repopula-                                  meinen angezeigt, eine latente Infektion auszuschlies­
                                    tion mit weniger autoreaktiven Lymphozyten. Acht                               sen und sicherzustellen, dass der Impfschutz auf dem
                                    Jahre nach der Therapie bleibt der Grossteil der Pati-                         aktuellen Stand ist. Die Patientinnen und Patienten
                                    entinnen und Patienten symptomfrei, bei den meis-                              sind durch die DMT anfälliger und müssen darum vor
                                    ten ist keine Folgebehandlung mit einer DMT nötig.                             Infektionskrankheiten geschützt werden. Allfällige
                                    Unglücklicherweise weist der Wirkstoff zahlreiche                              Impfungen müssen vor Beginn der DMT erfolgen, da die
                                    und schwerwiegende Nebenwirkungen (autoimmu-                                   Impfstoffe nicht optimal wirken, wenn sie parallel mit
                                    ner und infektiöser Art) auf, weshalb seine Anwen-                             bestimmten DMT verabreicht werden. Abgeschwächte
                                    dung beschränkt ist. Die Verabreichung ist nur in ei-                          Lebendimpfstoffe sind im Falle einer DMT sogar kon-
                                    nem spezialisierten Zentrum möglich.                                           traindiziert. Vor Beginn jeder DMT sind also diese
                                – Das Purinanalogon Cladribin wird in der Hämatolo-                                grundlegenden Untersuchungen nötig:
                                    gie als Chemotherapeutikum bei refraktären lym-                                – Laboruntersuchungen: grosses Blutbild, ASAT,
                                    phoproliferativen Krankheiten eingesetzt. Vor Kur-                                 ALAT, Gamma-GT, Bilirubin, Kreatinin, Harnstoff,
                                    zem wurde es zur oralen Behandlung aggressiver                                     Serologien auf Syphilis, Lyme-Borreliose, HIV (hu-
                                    MS-Formen zugelassen. Zwei Jahre nach Abschluss                                    manes Immundefizienzvirus), VZV (Varizella-Zos-
                                    der Behandlung sind 75% der Patientinnen und Pati-                                 ter-Virus), HAV (Hepatitis-A-Virus), HBV (Hepatitis-
                                    enten weiterhin schubfrei, auch ohne DMT. Die un-                                  B-Virus), HCV (Hepatitis-C-Virus), Tb-Spot;
                                    erwünschten Wirkungen (vor allem Herpes-Infek­                                 – radiologische Untersuchungen: Hirn-MRT mit Kon-
                                    tionen) sind durch die induzierte Lymphopenie                                      trastmittelinjektion
Übersichtsartikel                                                                                                                                                                       519

Tabelle 1: Verabreichungsart, Hauptnebenwirkungen (die häufigsten kursiv) und Empfehlungen für die Überwachung der am häufigsten eingesetzten
Wirkstoffe zur Behandlung von Multipler Sklerose.

Bei allen Wirkstoffen Anamnese                                          Therapietreue? Nebenwirkungen?
                                                                        Häufige Infektionen?
                                                                        Neue neurologische Symptome?
                          Laboruntersuchungen                           Alle 6 Monate
                          Hirn-MRT +/- Rückenmark-MRT                   Baseline (mit Kontrastmittel): nach 3–6 Monaten
                                                                        Nachbeobachtung: jährlich (ohne Kontrastmittel)
                          Neurologische Untersuchung                    Alle 6 Monate
                          Impfungen                                     Kontraindiziert: abgeschwächte Lebendimpfstoffe und Gelbfieber
                                                                        Möglich: inaktivierte Impfstoffe

Wirkstoff                 Verabreichungsart                             Unerwünschte Wirkungen                                  Überwachung
Beta-Interferon           3×/Woche s.c.                                 – Hautläsionen an der Injektionsstelle                  Grosses Blutbild, ASAT, ALAT, Gamma-GT, alkalische
                          2×/Monat i.m.                                 – Grippeähnliche Symptome                               Phosphatase und TSH 1×/Jahr
                                                                        – Medikamentös bedingte Hepatitis
                                                                        – Schilddrüsenfunktionsstörungen
Glatirameracetat          1× /Tag oder 3× /Woche s.c.                   – Hautläsionen an der Injektionsstelle         Keine Laboruntersuchung obligatorisch
                                                                        – Engegefühl in der Brust (selbstremittierend)
                                                                                                                       Baseline-MRT nach 9 Monaten
                                                                                                                                Klinische Kontrolle 2×/Jahr, radiologische Kontrolle
                                                                                                                                1×/Jahr
Teriflunomid              14 mg p.o.                                    – Magen-Darm-Symptome                                   ALAT 1×/Monat über 6 Monate, dann 1×/2 Monate
                                                                        – Haarausfall (vorübergehend und moderat)               – CAVE falls ALAT >5× ULN
                                                                        – Medikamentös bedingte Hepatitis
                                                                                                                                Grosses Blutbild nach 1, 3 und 6 Monat(en),
                                                                        – Teratogenität +++
                                                                                                                                dann 2×/Jahr
                                                                                                                                Blutdruck 1×/Monat über 6 Monate, dann 2×/Jahr
                                                                                                                                Bei Frauen im gebärfähigen Alter nicht empfohlen
Dimethylfumarat           240 mg p.o. 2×/Tag zur Mahlzeit               – Magen-Darm-Symptome                                    rosses Blutbild 1×/3 Monate
                                                                                                                                G
                                                                        – Moderate Lymphopenie                                  – CAVE falls
Übersichtsartikel                                                                                                                                                                  520

                                    •	in Endemiegebiet: Frühsommer-Meningoenze-                                   gen assoziiert (Myasthenia gravis, Lupus erythemato-
                                         phalitis-(FSME-)Impfung vorschlagen (Encepur®                             des disseminatus, Sjögren-Syndrom, Zöliakie, …).
                                         0–7–21 Tage und 2 Monate je nach Antikörper­
                                         titer);                                                                   Welche Untersuchungen sind bei Verdacht auf
                                    •	bei Ocrelizumab oder Alemtuzumab: Pneumo-                                   NMO angezeigt?
                                         kokken-Impfung (Prevenar-13®) empfohlen.                                  – Differentialblutbild, Gerinnung, Blutsenkungsge-
                                – Bei Fingolimod: Elektrokardiogramm, ophthalmo-                                       schwindigkeit, Serumchemie, Blutzucker, Vita-
                                    logische, dermatologische und gynäkologische Un-                                   min B12, Folsäure, Kupfer, Zink;
                                    tersuchung.                                                                    – ANA, dsDNA-Antikörper, Lupus-Antikoagulans, An-
                                                                                                                       tiphospholipid-Antikörper, ANCA, Komplementfak-
                                Was ist im Falle einer ersten Entzündungs­                                             tor C3 und C4;
                                episode, die nicht alle MS-Kriterien erfüllt,                                      – Test auf Antikörper gegen Aquaporin-4 und das My-
                                zu empfehlen?                                                                          elin-Oligodendrozyten-Glykoprotein (MOG);
                                Wenn eine neurologische Episode auf MS hindeu-                                     – Syphilis-, Lyme-Borreliose-, HIV-Serologie, Tb-Spot;
                                tet (Optikusneuritis, internukleäre Ophthalmople-                                  – Urinsediment;
                                gie, Ataxie, Myelitis) und nicht alle diesbezüglichen                              – Hirn- und Rückenmark-MRT mit Kontrastmittel­
                                Diagnosekriterien erfüllt sind, aber gleichzeitig die                                  injektion;
                                ätiologische Analyse keinen Hinweis auf eine                                       – neurologischer Befund;
                                ­a ndere Pathologie liefert, spricht man von einem                                 – Lumbalpunktion zum Nachweis oligoklonaler Ban-
                                klinisch isolierten Syndrom (KIS). Die Wahrschein-                                     den.
                                lichkeit, dass ein KIS in den Folgejahren in eine be-
                                stätigte MS übergeht, kann zwischen 20 und 80%                                     Ist die Behandlung von NMO gleich wie bei MS?
                                schwanken, je nach Vorhandensein von oligoklo-                                     Die Schübe von NMO sind stark und erfordern eine ag-
                                nale Banden und dem Ausmass der entzündlichen                                      gressive Behandlung mit hohen intravenösen Kortiko-
                                Läsionen im MRT. In derartigen Fällen wird eine                                    iddosen und gegebenenfalls Plasmaaustausch, im Ge-
                                jährliche klinische und radiologische Kontrolle                                    gensatz zur MS muss das Kortikoid jedoch über
                                empfohlen, bisweilen auch eine immunmodulie-                                       2–8 Wochen ausgeschlichen werden [8].
                                rende Erstlinienbehandlung, um das Risiko eines                                    Die immunmodulierende Behandlung zielt darauf ab,
                                Übergangs in eine bestätigte MS zu verringern.                                     die Zahl und den Schweregrad der Rezidive zu senken
                                Analog dazu spricht man von einem radiologisch iso-                                und so dem Auftreten von Behinderungen vorzubeu-
                                lierten Syndrom (RIS), wenn im Rahmen einer Schädel-                               gen, aber auch den Einsatz von Kortikoiden mit ihren
                                MRT bei einer schubfreien Person (etwa zur Untersu-                                zahlreichen Nebenwirkungen zu verringern. Die meis-
                                chung von Kopfschmerzen) zufällig MS-typische                                      ten Arzneistoffe gegen MS sind gegen NMO nicht wirk-
                                Läsionen entdeckt werden. Auch hier ist eine klinische                             sam oder können sie sogar verschlimmern, etwa im
                                und radiologische Kontrolle erforderlich, eine immun-                              Fall von Natalizumab. Zu den ersten Wirkstoffen, deren
                                modulierende Behandlung wird derzeit nicht offiziell                               Wirksamkeit nachgewiesen wurde, zählen Azathio­
                                empfohlen, aber diskutiert.                                                        prin, Mycophenolat-Mofetil, Rituximab und Metho­
                                                                                                                   trexat. Sie werden seit vielen Jahren in der Rheumato-
                                                                                                                   logie und Immunologie eingesetzt. Empfehlungen für
                                Neuromyelitis optica
                                                                                                                   die Einleitung und Überwachung dieser Wirkstoffe
                                Die NMO wurde erstmals im 19. Jahrhundert beschrie-                                sind auf der Website der Schweizerischen Gesellschaft
                                ben und gilt nicht mehr als klinische Sonderform von                               für Rheumatologie zu finden (unter «Behandlungs-
                                MS, sondern als nosologisch eigenständige Pathologie,                              empfehlungen») [9].
                                seitdem 2004 die Antikörper gegen AQP-4 entdeckt                                   Kürzlich wurde Satralizumab, ein monoklonaler Anti-
                                wurden. In klinischer Hinsicht ist die Krankheit ge-                               körper, der Interleukin-6-(IL-6-)Rezeptoren blockiert,
                                kennzeichnet durch Schübe schwerer, oft bilateraler                                für die Behandlung von NMO zugelassen, nachdem er
                                Optikusneuritiden und/oder Myelitiden, die sich im                                 eine gewisse Wirksamkeit bei der Reduzierung von Re-
                                MRT über mehr als drei Wirbel ausdehnen. Im Gegen-                                 zidiven gezeigt hat. Die Verwendung von Inebili-
                                satz zur MS ist keine schleichende klinische oder radio-                           zumab, einem neuartigen monoklonalen Anti-CD19-
                                logische Progression zu beobachten. Allerdings ist die                             Antikörper, wurde ebenfalls mit einem verringerten
                                Remission nach einem Schub oftmals nur partiell, wo-                               Risiko für schwere Schübe in Verbindung gebracht,
                                durch es zu funktioneller Behinderung kommt. Häufig                                ebenso wie Tocilizumab, ein weiterer monoklonaler
                                ist die Krankheit mit anderen Autoimmunerkrankun-                                  Anti-IL-6-Antikörper, und Eculizumab, ein Komple-

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM                        2020;20(39– 40):516 –522
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Übersichtsartikel                                                                                                                                                                521

                                menthemmer, der bereits bei Mya­sthenia gravis ein-                                krankung (paraneoplastisch), einer Infektion (parain-
                                gesetzt wird. Letztere sind in der Schweiz noch nicht                              fektiös) oder bei Personen mit Autoimmunkrankheiten
                                für die Behandlung von NMO zugelassen.                                             in der Anamnese können auf eine AIE hinweisen. Zur
                                                                                                                   Dia­gnose von AIE wurden Kriterien ausgearbeitet [10].
                                                                                                                   Die rasche Diagnosestellung ist entscheidend, da eine
                                Autoimmunenzephalitiden
                                                                                                                   frühzeitige und anhaltende Immuntherapie mit einem
                                Seit in den 1980er Jahren erstmals antineuronale Anti-                             besseren klinischen Ansprechen assoziiert ist, und zwar
                                körper entdeckt wurden, die eine Enzephalitis auslösen                             kurzfristig (bessere Remission) und langfristig (weniger
                                können, hat der Bereich der neurologischen Krankhei-                               Rezidive).
                                ten, die in Verbindung mit antineuronalen Antikörpern                              Für die Behandlung von AIE liegen keine etablierten
                                stehen, stark an Bedeutung gewonnen, besonders im                                  Empfehlungen vor. Mehrere Optionen stehen derzeit
                                letzten Jahrzehnt. Die Diagnosestellung ist schwierig                              zur Verfügung, wobei die Therapie von Fall zu Fall aus-
                                aufgrund des breiten Spektrums klinischer Symptome,                                zuwählen ist [11]. Wie bei MS- und NMO-Schüben müs-
                                zu denen Enzephalitis, epileptische Anfälle, Myelitis,                             sen die neurologischen Störungen in Verbindung mit ei-
                                Ataxie, Stiff-Man-Syndrom, Bewegungs- und Kogni­                                   ner AIE umgehend mit Kortikoiden +/– Plasmaaustausch
                                tionsstörungen (was dem Bild neurodegenerativer                                    +/– in­travenöser Gabe von Immunglobulinen behan-
                                Krankheiten ähneln kann) ebenso zählen wie eine Viel-                              delt werden. Orale Immunsuppressiva wie Azathioprin
                                zahl peripherer Neuropathien (Tab. 2) [10].                                        und Mycophenolat-Mofetil können als kortikoidspa-
                                Das Auftreten und die rasche Progression der Symptome                              rende Wirkstoffe während einer Langzeittherapie einge-
                                im Zusammenhang mit einer systemischen Krebser-                                    setzt werden. Rituximab kann in Betracht gezogen wer-

Tabelle 2: Neurologische Symptome in Verbindung mit onkoneuronalen und Oberflächen-Antikörpern, die dazu Anlass geben, nach einem zugrunde
liegenden Tumor zu suchen.

Oberflächen­           Antigen                                      Klinisches Syndrom                                               Assoziierter Tumor
antikörper
                       NMDAR                                        Halluzinationen, Verhaltensstörungen, epileptische               Ovarialteratom
                                                                    Anfälle, Bewegungsstörungen, Koma
                       AMPAR                                        Limbische Enzephalitis                                           Bronchialkarzinom, Mammakarzinom,
                                                                                                                                     Thymom
                       GABA-A-Rezeptor                              Epileptische Anfälle                                             Hodgkin-Lymphom
                       GABA-B-Rezeptor                              Epileptische Anfälle                                             Kleinzelliges Bronchialkarzinom
                       LGI1                                         Epileptische Anfälle, fokale Anfälle mit faziobrachialer         Kein assoziierter Tumor beschrieben
                                                                    Dystonie, Myoklonien
                       Caspr2                                       Neuromyotonie, Morvan-Syndrom                                    Thymom
                       GlyR                                         Stiff-Man-Syndrom                                                Hodgkin-Lymphom
                       DPPX                                         Enzephalitis, Übererregbarkeit, Anfälle, Durchfall               Kein assoziierter Tumor beschrieben
                       IgLON5                                       Schlafstörungen, bulbäre Symptome, Gehstörungen                  Kein assoziierter Tumor beschrieben
                       mGLuR1-2-5                                   Ophelia-Syndrom, zerebelläre Ataxie                              Hodgkin-Lymphom, Prostatakarzinom
                       DNER                                         Zerebelläre Ataxie                                               Hodgkin-Lymphom
 Intrazelluläre         Yo                                          Zerebelläre Ataxie                                               Mammakarzinom, Ovarialkarzinom
­Antikörper
                        Hu                                          Limbische Enzephalitis, zerebelläre Ataxie, Myelitis,            Kleinzelliges Bronchialkarzinom
                        SOX                                         Neuropathie
                        Ri                                          Zerebelläre Ataxie                                               Mammakarzinom, Ovarialkarzinom,
                                                                                                                                     Kleinzelliges Bronchialkarzinom
                        Ma                                          Limbische Enzephalitis                                           Hodenkarzinom, Bronchialkarzinom,
                                                                                                                                     solide Tumoren
                        VGCC                                        Zerebelläre Ataxie                                               Kleinzelliges Bronchialkarzinom
                        PCA-2
                        Tr                                          Zerebelläre Ataxie                                               Hodgkin-Lymphom
                        CRMP5                                       Demenz, zerebelläre Ataxie, Anfälle, Neuropathien                Thymom, Bronchialkarzinom
                        GAD65                                       Stiff-Man-Syndrom, zerebelläre Ataxie, Typ-1-Diabetes            Kein assoziierter Tumor beschrieben
                        Antiamphicin                                Stiff-Man-Syndrom                                                Bronchialkarzinom, Mammakarzinom
                        Antibipolar cells of the retina             Retinopathie                                                     Melanom
                        Antirecoverin                               Retinopathie                                                     Kleinzelliges Bronchialkarzinom

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM                        2020;20(39– 40):516 –522
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.      See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Übersichtsartikel                                                                                                                                                                      522

                                den, falls es zu einem Rezidiv kommt oder andere                                   erkennen (im paraneoplastischen Kontext kann die AIE
Korrespondenz:
Dr. med. Vasiliki Pantazou      Wirkstoffe kontraindiziert sind. Cyclophosphamid (oral                             fünf Jahre vor dem Tumor auftreten). Bei der Konsul­
Unité de Neuro-Immuno­          oder intravenös) und Bortezomib (ein Proteasom-Inhi-                               tation müssen zudem mögliche chronische Komplika-
logie
Service de Neurologie
                                bitor) sind schweren Fällen vorbehalten. Darüber hin-                              tionen der Enzephalitis erfasst werden, etwa Kopf-
Département des Neuro­          aus wurden Wirkstoffe, die auf Interleukine und ihre Re-                           schmerzen, Muskelkrämpfe, Verhaltensänderungen,
sciences Cliniques
                                zeptoren abzielen, in schweren Fällen als Ergänzung zu                             Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen und auto-
CHUV
Rue du Bugnon 46                traditionelleren Immuntherapien eingesetzt.                                        nome Dysfunktionen (z.B. orthostatische Hypotonie,
CH-1011 Lausanne                Gleichzeitig sind umfassende Untersuchungen zur                                    Rhythmusstörungen, Magen-Darm- und Blasenstörun-
Vasiliki.pantazou[at]chuv.ch
                                Früherkennung von Tumoren ab der Frühphase der                                     gen sowie erektile Dysfunktion). Die Diskussion mit der
                                Krankheit unverzichtbar. Im Serum und im Liquor                                    Neurologin / dem Neurologen umfasst auch den Zeit-
                                muss umgehend nach intrazellulären onkoneurona-                                    plan des Absetzens der Immuntherapie: Auch wenn die
                                len Antikörpern und Oberflächenantikörpern gesucht                                 optimale Dauer bisher nicht festgelegt ist, sollte die
                                werden, und zwar in Laboratorien mit optimierter De-                               Therapie den Expertenmeinungen zufolge bei stabilen
                                tektionstechnik, das heisst unter Verwendung von Rat-                              Patientinnen und Patienten zumindest nach spätestens
                                tenkleinhirnschnitten oder rekombinanten Zellen, die                               24 Monaten neu bewertet werden [11].
                                den Liganden dieser Antikörper exprimieren. Ein ein-
                                facher ELISA geht mit der Denaturierung des Zielanti-
                                                                                                                   Wann bei das ZNS betreffender Autoim-
                                gens und somit dem Verlust der dreidimensionalen
                                                                                                                   mun-/Entzündungserkrankung an die
                                Struktur einher, wodurch es oftmals zu falsch negati-
                                                                                                                   Neurologin / den Neurologen überweisen?
                                ven Ergebnissen kommt. Tumoren wie das Ovarialtera-
                                tom, das Thymom oder das kleinzellige Bronchialkar-                                Die langfristige Verlaufskontrolle dieser Erkrankun-
                                zinom werden bei einem erheblichen Anteil der                                      gen und die Überwachung ihrer immunmodulieren-
                                Personen mit AIE nachgewiesen. Zwischen dem Ovari-                                 den Therapien erfordert die enge Zusammenarbeit
                                alteratom, das früher als gutartiger Tumor galt, und                               zwischen den behandelnden Grundversorgern und
                                der Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis besteht eine                                   Neurologinnen / Neurologen. Insbesondere folgende
                                starke Assoziation, die Resektion des Tumors ist ein                               Situationen müssen mit der Neurologin / dem Neuro-
                                wichtiger Teil der Behandlung.                                                     logen besprochen werden:
                                Nach dem Spitalaufenthalt besteht die Nachsorge in                                 – Leukopenie (Lymphopenie oder Neutropenie) über
                                Arztkontrollen alle drei bis sechs Monate in den ersten                                einen längeren Zeitraum, wobei die untere Grenze
                                beiden Jahren und anschliessend jährlich bis zum fünf-                                 des akzeptablen Bereichs unterschritten wird, oder
                                ten Jahr. Empfohlen wird, bei jedem Besuch eine Ana­                                   Anstieg der Transaminasen;
                                mnese und gründliche Untersuchung sowie in den ers-                                – rezidivierende Infektionen;
                                ten drei Jahren jährlich und dann im fünften Jahr eine                             – neues neurologisches Symptom, Progression der
                                Computertomographie des Brust-, Bauch- und Becken-                                     Behinderung, nicht dokumentierte neurokognitive
                                raums und eine gynäkologische Untersuchung ein-                                        Störung, epileptischer Anfall;
                                schliesslich Mammografie vorzunehmen, um eine all-                                 – neue Komorbidität (Diabetes im Rahmen einer Be-
                                fällig zugrunde liegende Krebserkrankung frühzeitig zu                                 handlung mit Fingolimod, neuer und ungeklärter
                                                                                                                       Bluthochdruck im Rahmen einer Behandlung mit
                                                                                                                       Teriflunomid oder Fingolimod; durch Papillomvi-
Das Wichtigste für die Praxis
                                                                                                                       ren bedingte Karyokinesestörung am Gebärmutter-
Neuroinflammatorische Erkrankungen können sich auf vielfältige Weise ma-                                               hals vor allem im Rahmen einer Behandlung mit
nifestieren, die Differenzialdiagnose ist umfassend und bisweilen schwie-                                              Fingolimod; Krebserkrankung; andere systemische
rig. Da eine wirksame und frühzeitig begonnene immunmodulierende Be-                                                   Autoimmunerkrankung);
handlung das Progressionsrisiko langfristig verringert, ist es jedoch wichtig,                                     – Hinweis auf geringe Therapietreue;
bei entsprechenden klinischen Symptomen diese Krankheiten stets in Be-                                             – Schwangerschaftswunsch.
tracht zu ziehen. Zur Behandlung der Multiplen Sklerose, der Neuromyeli-
                                                                                                                   Disclosure statement
tis optica und auch der Autoimmunenzephalitiden stehen mehrere Wirk-
                                                                                                                   Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
stoffe zur Verfügung; ihre Zahl wächst jedes Jahr und jeder Wirkstoff weist                                        im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
einen speziellen Wirkmechanismus und ein charakteristisches Nebenwir-
                                                                                                                   Literatur
kungsprofil auf. Den verschreibenden Ärztinnen und Ärzten obliegt es, die                                          Die vollständige Literaturliste finden Sie in der Online-Version des
sorgfältige Überwachung der Patientinnen und Patienten sicherzustellen.                                            Artikels unter https://doi.org/10.4414/smf.2020.08607.

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM                        2020;20(39– 40):516 –522
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ÜBERSICHTSARTIKEL PEER REVIEW ED ARTICLE | 524

Durch rasche Diagnose und gezielte Therapie Behinderungen vermeiden!

Neurologische Notfälle
Prof. Dr. med. Andrea O. Rossetti a , Prof. Dr. med. Leo H. Bonati b , Prof. Dr. med. Peter S. Sandor c ,
Prof. Dr. med. Patrik Michel a , Prof. Dr. med. Urs Fischer d
a
    Service de neurologie, Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV), Lausanne; b Universitätsklinik für Neurologie, Universitätsspital, Basel;
c
    Neurologie RehaClinic, Akutnahe Rehabilitation Baden & Universität Zürich; d Universitätsklinik für Neurologie, Inselspital, Bern

                                Die Neurologie hat sich in den letzten Jahren von einem diagnostischen zu einem
                                therapeutischen Fach entwickelt: mit präziser Anamnese- und Untersuchungs-
                                technik sowie gezielter Zusatzdiagnostik können viele neurologische Erkrankun-
                                gen bereits in der Notfallstation korrekt diagnostiziert und behandelt werden.
                                ­Dabei können den Patienten relevante Behinderungen erspart werden.

                                Einleitung                                                                         sowie den Kopfschmerz beschränken, obwohl andere
                                                                                                                   Symptome und Krankheitsbilder wie Schwindel, Menin-
                                Bei neurologischen Notfällen spielt einerseits das Zeit-
                                                                                                                   gitiden und Enzephalitiden, entzündliche und neoplasti-
                                intervall von Symptombeginn bis zum Therapiebe-
                                                                                                                   sche Erkrankungen des Nervensystems, Myelopathien,
                                ginn eine wichtige Rolle, andererseits ist ätiologisches
                                                                                                                   akute Polyradikuloneuropathien, akute Bewegungsstö-
                                Denken gefragt: Kopfschmerzen, epileptische Anfälle,
                                                                                                                   rungen usw. ebenso neurologische Notfälle darstellen
                                Schwindel, usw. sind Symptome von potentiell gefähr-
                                                                                                                   und einer unmittelbaren Abklärung und Behandlung
                                lichen neurologischen Erkrankungen und keine
                                                                                                                   bedürfen. Die wichtigsten neurologischen Notfallsitua­
                                Krankheit per se, weshalb ist eine unverzügliche und
                                                                                                                   tionen sind in Tabelle 1 zusammengefasst, eingeteilt
                                korrekte Diagnose von entscheidender Bedeutung ist.
                                                                                                                   nach Syndromen und Ätiologien.
                                Neurologen sind daher in vielen Spitälern aktiv in den
                                interdisziplinären Notfallbetrieb eingebunden, aber
                                auch für Notfallmediziner, Intensivmediziner, Inter-
                                                                                                                   Epileptische Anfälle auf der Notfallstation
                                nisten und Chirurgen ist ein unverzügliches Erkennen
                                von neurologischen Notfällen entscheidend, damit die                               Epileptische Anfälle stellen eine relativ häufige Notfall-
                                betroffenen Patienten ohne Zeitverzögerung einer ent-                              situation dar. In den USA werden jährlich etwa 1 Mio.
                                sprechenden Therapie zugeführt werden können.                                      Patienten für akute Anfälle behandelt, dies entspricht
                                ­Dabei ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit von                                etwa 2% aller Notfallaufnahmen [1]; 150 000 Erwach-
                                Generalisten und Fachspezialisten auf Notfallstatio-                               sene erleiden ihre erste Episode [2]; übertragen auf die
                                nen von zentraler Bedeutung. Neurologische Notfälle                                Schweiz bedeutet dies etwa 25 000 Kontakte mit etwa
                                sind häufig und Schätzungen gehen davon aus, dass                                  3700 neuen Anfällen pro Jahr. Bei Kindern sind die Zah-
                                mindestens 10–20% aller Notfallkonsultationen durch                                len noch höher: febrile Anfälle treten bei bis zu 4% aller
                                neurologische Notfälle bedingt sind. Das rasche Erken-                             Kleinkindern auf. An jedem beliebigen Schweizer Spital
                                nen von neurologischen Notfallsituationen ist nicht                                kann man pro Woche mit mehreren Patienten mit An-
                                nur für Neurologen, sondern auch für Hausärzte, Not-                               fällen auf der Notaufnahme rechnen. Akut symptoma-
                                fallmediziner und Internisten von grosser Bedeutung.                               tische Anfälle, z.B. bei Intoxikationen, Medikamenten-
                                Die zerebrale Bildgebung spielt in der Abklärung von                               oder Alkoholentzug, stellen bei jungen Erwachsenen
                                vielen neurologischen Notfällen eine entscheidende                                 vor Hirntrauma die häufigste Ursache der Anfälle dar,
                                Rolle.                                                                             während bei älteren Leute der Schlaganfall (akut oder
                                Dieser Artikel ist den häufigsten neurologischen Notfall-                          chronisch) und Tumoren als Ursache in den Vorder-
                                situationen gewidmet, mit einem besonderen Fokus auf                               grund treten [2, 3]. Bei circa 50% der Patienten, die we-
                                zeitkritische Erkrankungen, bei denen eine rasche und                              gen eines Anfalls auf eine Notfallstation gebracht wer-
                                korrekte Diagnose therapeutische Konsequenzen hat.                                 den, sind vorgängige Episoden bekannt [1]. Nach einem
                                Aus Platzgründen werden wir uns in diesem Artikel auf                              ersten epileptischen Anfall ist die Sterblichkeitsrate im
Andrea O. Rossetti              den epileptischen Anfall, den zerebrovaskulären Notfall                            Vergleich mit der Allgemeinbevölkerung mit 14–18%

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM                        2020;20(39– 40):524–531
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