Findlinge sind wertvolle Lebensräume - ZHAW

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Findlinge sind wertvolle Lebensräume

                                                     Dass Findlinge schützenswerte Zeugen der Eiszeiten
                                                     sind, gehört zum Schweizer Allgemeinwissen. Ihre
                                                     wichtige Lebensraumfunktion für besondere Moos-,
                                                     Farn- und Flechtenarten ist jedoch nur den wenigsten
                                                     bekannt. Im Rahmen des Forschungsprojekts «Natur-
                                                     schutzbiologie der Findlingsflora» wurden deshalb
                                                     Grundlagen erarbeitet, um dieses geologisch-botani-
                                                     sche Naturerbe zu erhalten.
                                                     Text: Daniel Hepenstrick, ZHAW/WSL und Françoise Schmit, Abteilung Landschaft und Gewässer

Dieser Findlingsschwarm bei Nesselnbach ist geologisch wie auch botanisch besonders reichhaltig. Auf ihm wurden Hedwigsmoos, Nabelflechten und der
seltene Rötliche Mauerpfeffer entdeckt.

Das Mittelland und der Jura bestehen              es gut 20 verschiedene Moosarten so-                Weggeräumt oder ausgehoben
hauptsächlich aus kalkhaltigen Gestei-            wie der Nordische Streifenfarn, die im              Im Rahmen des schweizweiten For-
nen. Felsbewohnende Arten, die keinen             Schweizer Mittelland und Jura fast nur              schungsprojekts «Naturschutzbiologie
Kalk ertragen, würden darum im Mittel-            auf Findlingen vorkommen. In den alpi-              der Findlingsflora» wurden auch Aar-
land und Jura eigentlich nicht vorkom-            nen Herkunftsgebieten der Findlinge                 gauer Findlinge unter die Lupe genom-
men – wären da nicht Findlinge aus Gra-           sind diese Arten häufig, während sie im             men. Der Fokus wurde dabei auf den
nit oder Gneis, die wie kalkfreie Inseln in       Flachland seltene Besonderheiten dar-               nördlichen Teil der besonders find-
der ansonsten kalkreichen Landschaft              stellen. Die Findlinge als geologisch-              lingsreichen Glaziallandschaft Brem-
liegen. Über den Wind haben Sporen von            botanisches Naturerbe zeigen eindrück-              garten-Wohlen-Bünzen-Besenbüren
kalkmeidenden Arten diese wenige Qua-             lich, wie spezialisierte Sporenpflanzen             gelegt. Wie im gesamten Mittelland
dratmeter grossen Lebensräume erreicht            sich über weite Strecken mit dem Wind               zeigte sich grundsätzlich ein ernüch-
und bereichern so die regionale Arten-            ausbreiten und auf winzigen Lebens-                 terndes Bild. Die beiden historisch ver-
vielfalt. Neben zahlreichen Flechten sind         rauminseln überleben können.                        bürgten Vorkommen des im Mittelland
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vom Aussterben bedrohten Nordischen        menhang nachgewiesen. Dies zeigt                    arten ist in Laufenburg zu erwarten,
Streifenfarns sind verschwunden und        etwa der riesige Lorenstei bei Hägglin-             wo die Gneisfelsen des Schwarzwalds
die geologischen Karten verzeichnen        gen der mit 22 verschiedenen Moos-                  zu Tage treten. In diesem Geotop von
viel weniger Findlinge im Offenland als    arten (davon fünf typische Findlings-               nationaler Bedeutung wurde, leider
im Wald, was auf die zahllosen Find-       moose) die höchste Artenzahl der im                 bislang erfolglos, nach dem Nordi-
linge hinweist, welche Flurbereinigun-     Aargau untersuchten Findlinge beher-                schen Streifenfarn gesucht, der um
gen zum Opfer gefallen sind. Im Feld       bergt. Eine noch grössere Anzahl an                 1900 dort mehrfach dokumentiert
wurden hingegen überraschend häu-          kalkmeidenden Moos- und Flechten-                   wurde.
fig Baugrubenfindlingen angetroffen,
also erratische Blöcke, die bei Aushub-
arbeiten gefunden und in Vorgärten
deponiert wurden. Diese erst seit
Jahrzehnten auf der Erdoberfläche
liegenden Blöcke sind zwar oft be-
moost, doch wurde auf ihnen im ge-
samten Projekt keine einzige spezielle
Moosart der Findlinge gefunden. Dies
zeigt, dass es lange dauert, bis ein
Findling von kalkmeidenden Sporen-
pflanzen besiedelt wird.

Bemerkenswerte Aargauer Funde
Die gute Nachricht ist, dass die Find-
lingsflora trotz einem Jahrhundert in
der Vergessenheit (siehe graue Box S.
29) in unserer Landschaft überdauert
hat. In einer Stichprobe von 20 kalk-
                                           Der Erdmannlistein ist nicht nur ein sagenumwobenes Aargauer Wahrzeichen, er ist auch eine
freien Aargauer Findlingen (je zehn        wertvolle Lebensrauminsel für das Himbeer-Kissenmoos.
zufällig gewählte Blöcke im Wald und
im Offenland) wurde immerhin auf
deren sechs mindestens eine typi-
sche Moosart der Findlinge festgestellt.
Besonders bemerkenswert ist der Be-
wuchs eines geologisch vielfältigen
Findlingsschwarms auf einer Weide bei
Nesselnbach, wo auf Nagelfluh-Find-
lingen der stark gefährdete Rötliche
Mauerpfeffer und auf Granit-Findlingen
das Hedwigsmoos und Nabelflechten
entdeckt wurden. Solche gut besonn-
ten Blöcke mit lichtbedürftigen Moos-
und Flechtenarten sind im Mittelland
selten geworden.
Zwischen der Grösse eines Findlings
und der Anzahl Moosarten, die er be-
herbergt, wurde ein positiver Zusam-

                                           Auf den Granit- und Gneis-Flanken der Alpen wächst das Wimpern-Hedwigsmoos überall, im
                                           Flachland ist es eine Besonderheit. Wie 20 weitere Moosarten kommt es im Flachland fast nur auf
FOTOS 26, 27 Daniel Hepenstrick            kalkfreien Findlingen vor.
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Der Rötliche Mauerpfeffer ist schweizweit stark gefährdet. Im Rahmen      Nabelflechten sind im Mittelland seltene Bewohner von Findlingen.
des Projekts «Naturschutzbiologie der Findlingsflora» wurde eine bisher
unbekannte Population entdeckt. Im Reusstal wächst er auf Nagelfluh-
Findlingen, wo er von den sonnig-trockenen und konkurrenzarmen
Bedingungen profitiert.

Auf Findlingen in Vorgärten wachsen zwar keine seltene Moosarten, doch auch ihr Bewuchs lädt zum Erkunden ein: Moos- und Flechtenarten können
vor der eigenen Haustüre bestaunt werden.
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                                               Wir schützen nur, was wir kennen
                                               Die Zeiten sind vorbei, als Findlinge         Historische Kontroversen
                                               zur Baumaterialgewinnung zerstört
                                               wurden und in den meisten Kantonen            Nicht immer fristete die Find-
                                               – so auch im Aargau – gelten Findlinge        lingsflora ihr heutiges Mauer-
                                               als geschützte Objekte. Trotzdem wur-         blümchendasein. Vor gut 100
                                               den bei der schweizweiten Feldarbeit          Jahren stand sie im Zentrum einer
                                                                                             wissenschaftlichen Debatte.
                                               Verluste in der Findlingsflora festge-
                                                                                             Mitte des 19. Jahrhunderts – als
                                               stellt, die sich in den letzten Jahrzehnten
                                                                                             die Findlinge als Zeugen der Eis-
                                               ereignet haben. Beispielsweise wurden
                                                                                             zeiten erkannt wurden – brach
                                               grosse Findlinge von ihrem Moosbe-
                                                                                             unter Schweizer Naturforschern
                                               wuchs «befreit», um sie als Kletter-Trai-     ein regelrechtes Findlingsfieber
                                               ningsplatz zum Bouldern herzurichten,         aus. Einerseits kämpften sie
                                               bei Meliorationen wurden Offenland-           gegen den damals weit verbrei-
                                               Findlinge an den Waldrand verschoben          teten Abbau von Findlingen als
                                               und manche Blöcke sind derart dicht           Baumaterial und andererseits
                                               von Feldgehölzen eingewachsen, dass           ging man der Frage nach, wie
Der Nordische Streifenfarn ist im Mittelland   sie für die sonnenliebenden Arten der         die Vergletscherung unser Land
und Jura vom Aussterben bedroht. Im Aargau     Findlingsflora keinen Lebensraum mehr         geprägt hatte. Dabei präsentier-
wurde die Art zum letzten Mal um 1900 auf
Findlingen gefunden – auf dem Lorenstei in     bieten. Vielen Gefährdungsursachen            ten namhafte Wissenschaftler die
Hägglingen und einem Granitblock bei Künten    ist gemeinsam, dass die verantwortli-         seltenen auf Findlingen wach-
ist der Farn heute ausgestorben.
                                               chen Personen wohl gar nicht wussten,         senden Farne und Moose als den
                                                                                             lebendigen Beweis dafür, dass
                                               dass auf Findlingen seltene Arten
                                                                                             mit den Findlingsblöcken sogar
Vertieftes Verständnis                         wachsen. Viel wäre bereits gewonnen,
                                                                                             Alpenpflanzen von den eiszeit-
Das Forschungsprojekt deckte Zu-               wenn Findlinge in Meliorations- oder
                                                                                             lichen Gletschern ins Flachland
sammenhänge auf, die für den Erhalt            Vernetzungsprojekten als Lebensraum-
                                                                                             transportiert wurden. Diese Kon-
der Findlingsflora wichtig sind. Einer-        insel berücksichtigt würden oder wenn         troverse befeuerte die Erforschung
seits dauert es offenbar sehr lange, bis       in den Geotopinventaren vermerkt              der Findlingsflora, was sich in
ein Findling von speziellen Moosarten          wäre, ob ein Findling spezielle Arten         zahlreichen Publikationen nieder-
besiedelt wird und andererseits – das          beherbergt. Wo die Gefahr einer unbe-         schlug. Das zusammenfassende
haben genetische Untersuchungen                absichtigten Beeinträchtigung der Find-       Schlusswort in dieser Debatte
gezeigt – scheinen die auf den Find-           lingsflora durch Erholungssuchende            wurde schliesslich 1926 gespro-
lingen wachsenden Populationen nicht           besteht, ist das Aufstellen von Infor-        chen: Die Eiszeiten hoch oben
miteinander vernetzt zu sein. Jede             mationstafeln sinnvoll. Weiter muss           in den Alpen überleben, einen
Population ist also das Resultat einer         die Existenz der schützenswerten              weiten Transport auf eisigen
unabhängigen Besiedlung. Dass eine             Findlingsflora in Erinnerung gerufen          Gletschern überstehen und dann
weitgereiste Moosspore vom Wind                werden: Dieser Artikel will dazu einen        noch Jahrtausende auf wenigen
                                                                                             Quadratmetern auf einem Find-
ausgerechnet auf einen Findling ver-           Beitrag leisten.
                                                                                             ling überdauern, das sind schlicht-
frachtet wird und eine Population
                                                                                             weg zu viel der Unwahrschein-
gründet, ist ein bemerkenswerter Zufall.
                                                                                             lichkeiten. Stattdessen wurde die
Umso eindrücklicher sind Findlinge,
                                                                                             Findlingsflora korrekterweise zum
auf denen gleich mehrere kalkmei-                                                            lebenden Beweis der eindrück-
dende Moosarten wachsen, die sich                                                            lichen Ausbreitungsfähigkeit von
über einen langen Zeitraum dort ein-                                                         Sporenpflanzen. Seither ist es still
gefunden und anschliessend gehalten                                                          geworden um die Findlingsflora;
haben.                                                                                       höchste Zeit, dieses besondere
                                                                                             Naturerbe wieder in Erinnerung
                                                                                             zu rufen.
FOTOS 28, 29 Daniel Hepenstrick
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