Fingerübungen - die-linke-thl.de
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15–2020 3 6 8 Debatte: Warum die Serie: Wie die Thüringer Porträt: Der Haushälter LINKE die Absenkung PDS-Fraktion 1990 in die der Linksfraktion im des Wahlalters fordert Parlamentsarbeit startete Landtag, Ronald Hande Fraktion im Thüringer Landtag Fingerübungen Eine Papierfabrik, ein Obstkonserven- hersteller, ein Astronomiemuseum oder ein Feriendorf: Auf seiner Som- mertour hat Bodo Ramelow dutzende Ziele fern der städtischen Zentren besucht. Der Ministerpräsident wollte sich dabei auch „darüber informieren, wie die Thüringer mit den Folgen der Corona-Krise umgehen“, so konnte man vorab aus Medien erfahren. Die Thüringentour ist vorbei, über viele der Stationen, die Ramelow dabei besucht hat, konnte man in der Regionalpresse ausführlich lesen. Aber auch Politiker*innen anderer Parteien hatten ihre Sommer-Schlag- zeilen. Mancher ist dabei als „Urlau- ber“ bezeichnet worden. Nun wird man niemandem Ferien missgönnen wollen, vor allem nicht viel beschäf- tigten Politiker*innen. Aber es macht schon einen Unterschied, ob da einer unterwegs ist, um sein Ohr bei den Leuten zu haben. Oder ob einer aus der Ferne Schulnoten für politisches Betragen anderer Leute gibt. Zumal Zeugnisse am Ende nicht von den Parteien selbst oder Politiker*in- nen ausgestellt werden, die sich für Höheres berufen fühlen. Sondern von den Wähler*innen – und wie die ak- tuell denken, dafür gibt es Umfragen: „Ohne und gegen die LINKE kann in Thüringen nicht regiert werden“, hieß es zu den jüngsten Zahlen über die parteipolitische Stimmungslage im Freistaat: 35 Prozent für die Partei des Ministerpräsidenten. Solche Wer- te holt man natürlich nicht mit Som- mertouren allein. Aber Beliebtheit wächst offenbar eher durch Zuhören und nicht so sehr durch erhobene Zeigefinger. Zumal, wenn diese in die Höhe gereckt werden aufgrund eines anderen, politische Empörung über Geschichte Rechtsradikale und also persönliche Haltung ausdrückenden Fingers. Sie wissen schon, worum es geht. im Landtag Nun hat es auch zu diesem Fall eine Vor 100 Jahren konstituierte Umfrage gegeben. Und nein, es ist wahrlich keine Überraschung, dass sich der erste Thüringer eine drastische Geste des Ministerprä- Landtag im Weimarer Fürs- sidenten auch bei Wähler*innen auf tenhaus. An die damaligen Kritik stößt. Sogar unter denen der ei- Abgeordneten erinnert der- genen Partei kommt das vor. Aber: zeit eine Ausstellung. Zwei Man kann zu einem ausgestreckten Mittelfinger eine ablehnende Haltung Frauen waren damals dar- haben, und trotzdem anerkennen, unter: Emma Sachse und was den Mann ausmacht, der darüber Marie Schulz. Ein Schwer- ausreichend selbstkritische Worte ge- punkt über Lebenswege und funden hat. Das ist etwas anderes, als sich an dem Thema auch dann noch feministische Politik. selbst parteipolitisch gesundstoßen zu Foto: Pixabay wollen, wenn es für die allermeisten längst vorbei ist. Ihre Redaktion
2 15–2020 Linker Ticker Nach mehreren rechtsradikalen und rassistischen Angriffen auf Menschen in Thüringen hat die Sprecherin für Antifaschismus und Antirassismus der Linksfrak- tion, Katharina König-Preuss, mehr Personal für die Beratungs- stelle für Betroffene rechter, rassis- tischer und antisemitischer Ge- walt, „ezra“, gefordert. „Angesichts massiver rechter Gewalt mit zahl- reichen Betroffenen müssen wir dafür sorgen, dass eine adäquate Unterstützung für Betroffene auch gewährleistet werden kann.“ +++ Mit einer klaren Absage hat die arbeits- und gewerkschaftspoliti- sche Sprecherin der Linksfraktion, Foto: Ineedawsomepics / Pixabay Lena Saniye Güngör, auf neuerli- che Forderungen reagiert, das Ar- beitsverbot an Sonntagen für den Einzelhandel in Thüringen auszu- setzen. Die Profitinteressen einiger Unternehmer*innen dürften nicht dazu führen, dass die Belastungen für Beschäftigte weiter erhöht wer- den. „Der arbeitsfreie Sonntag ist „Alle sehr wütend“ in unserer Verfassung verankert und bedeutet für viele Menschen im Einzelhandel einen verlässli- chen freien Tag, an dem sie sich von oft überlangen Ladenöffnungs- Der Bund blockiert humanitäre Landesprogramme zur Aufnahme von Geflüchteten zeiten erholen können“, so Güngör. +++ Nach dem Tod eines Gefange- Nach einem gegen das rot-rot-grün re- Bisher, so die LINKEN-Abgeordnete Kontingente ermöglicht wurden – mit nen in der Justizvollzugsanstalt gierte Land Berlin gerichteten Verbot Katharina König-Preuss, liege zwar Zustimmung aus dem Bundesinnenmi- Tonna hat die Vorsitzende der des Bundesinnenministeriums, mehr noch keine Antwort des Bundesinnen- nisterium. Etwa für Syrer*innen oder Strafvollzugskommission, die LIN- Geflüchtete von den völlig überlasteten ministeriums bezüglich der Thüringer spezielle verfolgte Gruppen, wie sie KE-Abgeordnete Karola Stange, griechischen Inseln zu übernehmen, Landesaufnahmeanordnung vor. Sie Baden-Württemberg und Brandenburg rasche Aufklärung gefordert. Die steuert der Streit um humanitäre Lan- gehe aber davon aus, „dass auch Thü- etwa für Jesiden aufgelegt hatten. Sprecherin für Justiz der Links- desprogramme auf einen neuen Höhe- ringen eine entsprechende Ablehnung Seehofer stellt sich nun auf den fraktion, Iris Martin-Gehl, kün- punkt zu. CSU-Ressortchef Horst See- erhalten wird“. Für diesen Fall sei es Standpunkt, die Aufnahmeprogramme digte an, dass sich der zuständige hofer hatte der Hauptstadt-Koalition nötig, eine entsprechende Klage gegen Berlins und Thüringens seien anders zu Landtagsausschuss mit der Sache Ende Juli die Zustimmung für die vom das Bundesinnenministerium zu prü- bewerten, da diesmal Geflüchtete aus nach den Plenarferien befassen Senat beschlossene Initiative verwei- fen und umzusetzen: „Entsprechende einem anderen EU-Staat übernommen werde. +++ Vor dem Hintergrund gert, 300 Menschen freiwillig und zu- Rechtsgutachten, die das Vorgehen werden sollen. Dies kollidiere mit lau- neuer Zahlen über die verbreitete sätzlich Zuflucht zu gewähren. Thüringens und Berlins unterstützen, fenden Bemühungen, das Dublin-Sys- Armut von Kindern in der Bundes- Rot-Rot-Grün in Berlin reagierte mit liegen längst vor“, so König-Preuss. tem und die EU-Asylpolitik zu reformie- republik hat die familienpolitische deutlicher Kritik. „Das macht uns im „Der Abschottungspolitik Seehofers ren, so Seehofer. Doch Kritiker*innen Sprecherin der Fraktion DIE LIN- Senat alle sehr wütend“, so der Regie- muss ein Riegel vorgeschoben werden. sehen hierin vor allem eine Hinhalte- KE, Cordula Eger, die rasche Um- rende Bürgermeister Michael Müller Auch auf juristischem Weg.“ taktik. Die Behauptung, eine europäi- setzung einer Kindergrundsiche- von der SPD im Rundfunk, wo er auch Der Sprecher für Migrationspolitik sche Lösung – so denn eine wirklich rung verlangt. „Der Bund muss von einem „politischen Skandal“ der Linksfraktion, Patrick Beier, erneu- humanitäre Variante angesichts von endlich handeln“, die Corona-Krise sprach. Der Berliner LINKEN-Abgeord- erte ebenfalls die Forderung, Geflüchte- rechtsautoritären Regierungen und an- habe diese Situation noch ver- nete Udo Wolf nannte Seehofers Verwei- te zusätzlich aufzunehmen. „Thüringen deren Migrationsgegnern auf EU-Ebene schärft. Daniel Reinhardt, Spre- gerung der Aufnahme von Geflüchteten hat sich stets solidarisch gezeigt und überhaupt erreichbar scheint – könne cher für frühkindliche Bildung, aus den griechischen Lagern durch das bietet auch aktuell Schutzsuchenden durch „nationale Alleingänge“ gefähr- sagte, „aus persönlicher Erfahrung Land Berlin „unterlassene Hilfeleistung Platz. Wir haben die Kapazitäten, wir det werden, sei wenig überzeugend. weiß ich, was es bedeutet, wenn in aus allerniedrigsten Beweggründen“. haben den Willen, Menschen endlich Zumal die Lage der Menschen in den der Familie kein Geld für Urlaub, Und die Berliner Bundestagsabgeordne- dort rauszuholen.“ Im April hatten un- Lagern mit solchen taktischen Fragen Kino oder Ferienlager da ist“. Rein- te Canan Bayram von den Grünen ad- ter anderem mehrere Abgeordnete der nicht zu beantworten ist. Berichte von hardt wies darauf hin, dass in Thü- ressierte den CSU-Mann direkt: „Herr rot-rot-grünen Fraktionen einen Offe- katastrophalen hygienischen Zustän- ringen der Familienurlaub bis zum Seehofer, schämen Sie sich“, die Situati- nen Brief unterzeichnet. Darin hieß es: den, Lebensmittelknappheit oder men- 31. Dezember 2020 durch das „Son- on der Menschen in den griechischen „Wir wissen, es ist schwierig oder – so schenunwürdiger Unterbringung hat derprogram Familienerholung“ ge- Lagern sei menschenunwürdig. Auch die Aussage einiger – unmöglich, ohne es viele gegeben. Die furchtbaren Zu- fördert wird. die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Zustimmung des Bundes Geflüchtete stände für die Menschen auf den grie- Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, wur- aus Griechenland zu holen. Wir wollen chischen Inseln sind seit Langem nicht de deutlich: „Es ist nicht nachvollzieh- und werden unterstützen, dass auch nur bekannt, immer wieder wird auch bar, warum das Bundesinnenministe- scheinbar Unmögliches versucht wird, auf eine schnelle und humanitäre Lö- Impressum rium die Aufnahmebereitschaft enga- alle rechtlichen Möglichkeiten ausge- sung gedrängt. Es sei nicht nachvoll- Herausgeberin: gierter Bundesländer wie Berlin und schöpft sowie unkonventionelle Wege ziehbar, so hat es der Ratsvorsitzende Fraktion DIE LINKE. im Thüringer Landtag Thüringen in den Wind schlägt.“ gegangen werden, um Menschen zu der Evangelischen Kirche in Deutsch- Jürgen-Fuchs-Straße 1, 99096 Erfurt Seehofers Veto ist eine Premiere, bis- retten und ihnen ein würdiges Leben land, Heinrich Bedford-Strohm, formu- Redaktion: Olaf Weichler (V.i.S.d.P.) her wurde einem aufnahmewilligen zu ermöglichen.“ liert, warum Seehofer die Hilfsbereit- Telefon: 0361 377-2620 Bundesland noch kein formelles Nein Der „Tagesspiegel“ erinnerte daran, schaft der rot-rot-grünen Landesregie- E-Mail: weichler@die-linke-thl.de www.die-linke-thl.de des Bundesministeriums übermittelt. dass Seehofers Staatssekretär Stephan rungen in Berlin und Thüringen blo- Redaktionsschluss: 6. August 2020 Die Debatte ist damit aber noch längst Mayer noch Anfang des Jahres erklärt ckiere. Jedes zusätzliche Engagement Für unverlangt eingesandte Manuskripte und nicht zu Ende. Auch Thüringen will hatte, bisher habe das Innenressort ei- müsse „mehr als willkommen“ sein, so Materialien übernimmt die Redaktion keine mehr Geflüchtete von griechischen In- nem aufnahmewilligen Land noch nie Bedford-Strohm mit Blick auf Angebote Haftung. Sie behält sich das Recht der aus- seln aufnehmen, auch hier hat die rot- sein Ja verweigert. Verwiesen wird aus Ländern, Kirchen und Zivilgesell- zugsweisen Wiedergabe von Zuschriften vor. Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht rot-grüne Regierung ein entsprechen- auch in anderen Zeitungen auf Aufnah- schaft. „Ich verstehe nicht, warum der unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. des Landesprogramm beschlossen. meprogramme, mit denen zusätzliche Innenminister hier nicht zustimmt.“ PR
15–2020 3 Ein weiterer wichtiger Baustein Debatte um Absenkung des Wahlalters: LINKE für mehr Mitbestimmung von jungen Menschen Es ist inzwischen 50 Jahre her, dass das Wahlalter auf Bundesebene herabge- setzt wurde – mit dem Schritt von 21 auf 18 Jahre wollte seinerzeit SPD- Kanzler Willy Brandt mehr Demokratie wagen. Anlässlich des Jahrestags Ende Juli ist nun die Diskussion über eine mögliche Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahren neu entflammt. Die Links- partei fordert dies schon länger, die Grünen ebenso. Und nun sind auch Stimmen aus der SPD-Spitze in diese Richtung laut geworden. Aus der Union hingegen hört man ablehnende Stim- men. Auch Anja Müller hofft nun nicht nur auf eine ernsthafte Debatte „über den Ausbau der Demokratie für die jungen Menschen“. Die Sprecherin für Demo- kratie in der Thüringer Linksfraktion setzt darauf, dass eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre auch auf Lan- desebene in Thüringen bald kommt. Dies „wäre ein weiterer wichtiger Bau- stein, damit junge Menschen mitent- scheiden können“. Ein entsprechendes Gesetz, welches die rot-rot-grünen Ko- alitionsparteien in den Landtag einge- bracht haben, liegt inzwischen im Ver- fassungsausschuss. Für die Änderung des Wahlalters auf 16 Jahren wäre die Koalition auf die CDU angewiesen, da eine Verfassungsänderung nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament er- folgreich sein kann. „Ob die Christdemokraten aber ge- nau so fortschrittlich sind, wie Willy Foto: dmncwndrlch / Pixabay Brandt vor 50 Jahren, bleibt zu hoffen“, sagt Anja Müller. Dass damit nicht un- bedingt in allen Fällen zu rechnen ist, demonstrierte die CDU-Landtagsabge- ordnete Beate Meißner, die mit Blick auf die Herabsetzung des Wahlalters von einer „Scheindebatte mit sommer- lochfüllendem Charakter“ sprach. Vielleicht wirken ja neuere wissen- schaftliche Erkenntnisse in der Union abstimmen durften, war das ihren Al- etwa die Schule bereits verlassen ha- Ein Argument, das im politischen überzeugend. Müller verweist auf die tersgenoss*innen im Freistaat ver- ben. Dies aber führt zum viel wichtige- Schlagabtausch über das Wahlalter öf- neueste Ausgabe der Sinus-Jugend-Stu- wehrt. Ergebnis der Studie: Wählen ren Punkt: Wem kommen letztlich die ter zu hören ist: Dies würden ohnehin die, die zeigt, dass die Jugendlichen mit 16 habe „großes Potenzial“, sei positiven Effekte, die sich aus den posi- nur Parteien vorschlagen, die selbst da- ernster und besorgter sind als noch vor „aber kein Selbstläufer“. Man müsse tiven Impulsen in der Schule oder dem von profitieren, weil sie – wie etwa die ein paar Jahren. Das lasse aufhorchen, insbesondere darauf achten und hin- eigenen Elternhaus ergeben, zugute? Grünen – proportional größeren Zu- so die Abgeordnete, „die Sorge um den wirken, dass mit der Absenkung des Wer besucht mit 17 noch die Schule spruch unter Jüngeren finden. Doch das sozialen Abstieg und den Übergang ins Wahlalters nicht auch die soziale Un- und wohnt zu Hause? Mit höherer erweist sich meist als Polemik. Christi- Erwachsenenleben und den Beruf, der gleichheit der Wahlbeteiligung anstei- Wahrscheinlichkeit werden dies junge an Hirte, der neuer CDU-Chef in Thürin- Klimawandel und der Umweltschutz, ge, so Faas. Bei der Untersuchung sei Menschen sein, die das Abitur anstre- gen werden will, twitterte mit Blick auf aber auch der erhöhte Leistungsdruck festgestellt worden, dass es zwar mög- ben – und die damit ohnehin schon ei- Forderung nach Absenkung des Wahl- sowie der notorische Zeitmangel und lich sei, durch ein niedrigeres Wahlal- ne höhere Wahrscheinlichkeit haben, alters, dabei würde es unter anderem die Angst vor Misserfolgen sind Grün- ter junge Menschen zu Hause oder in aus einem politisierten, wahlaffinen der SPD nur um das „Retten von Wähler- de, die die Jugendlichen von heute erns- der Schule mit Politik in Verbindung zu Umfeld zu kommen.“ stimmen“ gehen. Worauf der Juso-Chef ter und besorgter sein lassen“. Für Mül- bringen, allerdings vor allem „in privi- Jupp Legrand von der Otto-Brenner- Kevin Kühnert trocken antwortete: „Ein ler sind das „genügend Anzeichen, um legierten heimischen oder schulischen Stiftung, der Wissenschaftsstiftung der Blick auf die letzten Wahlergebnisse der eine Debatte um die Mitbestimmung Kontexten“. Im Sinne einer gleichmäßi- IG Metall, die die Studie ermöglicht hat, SPD sortiert nach Alterskohorten hätte von jungen Menschen in der Gesell- gen Beteiligung und damit einer demo- ist mit Blick auf die Ergebnisse „der An- Ihre Vermutung unmittelbar widerlegt.“ schaft und im Parlament zu führen“. kratischen Gleichheit sollten beglei- sicht, dass die anstehende und überfäl- Dies gilt auch für Thüringen, wo die Für Rückenwind sorgt auch noch ei- tend zur Absenkung des Wahlalters lige Reform des Bundestagswahlrechts Sozialdemokraten bei den Landtags- ne weitere Studie, in der die Politikwis- „daher gezielte flankierende Maßnah- zum Anlass genommen werden sollte, wahlen 2019 in der Altersgruppe von senschaftler Thorsten Faas und Arndt men“ ergriffen werden. auch über bestehende Wahlrechtsaus- 18 bis 24 mit gerade einmal 5 Prozent Leininger von der Freien Universität In einem FAZ-Beitrag hat Faas die He- schlüsse neu nachzudenken“. Auf Lan- weit unterdurchschnittlich abschnit- Berlin zu dem Ergebnis kommen, es rausforderung näher erläutert. „Mit ei- desebene darf bereits in Brandenburg, ten. Auch die Linkspartei, die zuletzt gebe „wenig, was gegen eine Absen- ner Senkung des Wahlalters von 18 auf Bremen, Hamburg und Schleswig-Hol- vor allem in größeren Städten neue und kung des Wahlalters spricht“. Sie ha- 16 Jahren geht also einher, dass das stein mit 16 gewählt werden. Bei Kom- jüngere Wählermilieus ansprechen ben mehrere Tausend junge Menschen durchschnittliche Erstwahlalter um munalwahlen gibt es ein Wahlrecht ab konnte, gilt unter dem Strich in Thürin- befragt – in Brandenburg und in Sach- zwei Jahre sinkt. Manche werden aber 16 bereits in elf Bundesländern. Bay- gen: Die größten Wahlerfolge werden sen. Während im Märkischen im ver- trotzdem weiter erst mit 18 oder 19 ihre ern, Hessen, Rheinland-Pfalz, das Saar- bisher in den älteren Jahrgängen ein- gangenen September auch 16- und erste konkrete Wahlerfahrung machen land und Sachsen halten bisher grund- gefahren. So wie übrigens auch bei der 17-Jährige bei der Landtagswahl mit – also zu einem Zeitpunkt, zu dem sie sätzlich am Wahlrecht ab 18 fest. CDU im Freistaat. PR
4 15–2020 Gesichter hinter der Geschichte Eine Ausstellung über Abgeordnete des ersten Thüringer Landtags Es war das Ende jahrhundertelanger Kleinstaaterei und der Beginn der Geschichte Thüringens: Mit der No- vemberrevolution von 1918 und der Abdankung der Monarchen kam der schrittweise und konfliktreiche Pro- zess zur Bildung eines Freistaates in Gang. Der trat am 1. Mai 1920 ins Leben, zunächst noch als „kleinthü- ringische“ Lösung. Doch auch wenn die preußischen Regionen und Erfurt dem neuen Land noch fernblieb, so war doch der Schritt des Jahres 1920 ein gro- ßer, ein historischer. Er ermöglichte auch, dass aus den Kleinstaatenpar- lamenten der einstigen Herzog- und Fürstentümer eine souveräne Volks- vertretung werden konnte. Weimar wurde Landeshauptstadt – in einer Foto: Lukas Krause Weimarer Republik, deren Existenz im März 1920 durch einen rechtsre- aktionären Putschversuch gefähr- det war. Auch in Thüringen war es damals zu blutigen Kämpfen gekom- men; die Arbeiter*innenschaft mobi- Scharfe Logik, lisierte per Generalstreik den Wider- stand. Nur wenige Monate nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch fanden in Thü- schlagfertiger Humor ringen Wahlen statt, die linke USPD obsiegte mit fast 28 Prozent, die Mehrheits-SPD erhielt gut 20, die linksliberale DDP gut 7 Prozent. Da die drei rechten Fraktionen von Emma Sachse und Marie Schulz: die ersten beiden Frauen im Thüringer Landtag Landbund, DVP und DNVP eine Ge- meinschaft bilden, ziehen die beiden Vor einigen Wochen hat das Urteil des Volkszeitung‘ und die Frauenzeitschrift waltung, im Ausschuss für Gesetzge- sozialdemokratischen Fraktionen Verfassungsgerichtshofes zum rot-rot- ‚Die Gleichheit‘ weiter und wurde eine bung und Sozialpolitik sowie stellver- nach. Erst im November 1920 konnte grünen Paritätsgesetz die Debatte um engagierte Kämpferin für den Sozialis- tretend im Gesuchsausschuss tätig. ein vom Liberalen Arnold Paulssen mehr gleichberechtigte Teilhabe von mus, eine unterdrückungsfreie und Seit Beginn der Weimarer Republik geführtes MSPD-DDP-Minderheits- Frauen in Politik und Parlamenten neu frauenfreundliche Gesellschaft.“ hatte Emma Sachse sich für die Bildung kabinett unter Duldung der USPD entfacht. Als der erste Thüringer Land- Nach dem Umzug nach Altenburg von Frauengruppen in der SPD enga- gewählt werden. Während der parla- tag Ende Juli 1920 im Weimarer Fürs- 1913 trat Emma Sachse in die SPD ein giert und war zudem bei der Gründung mentarischen Sommerpause waren tenhaus zusammentrat, waren unter und machte sich dort nicht zuletzt mit von Ortsgruppen der Arbeiterwohl- zuvor vier USPD-Abgeordnete zur den 56 Parlamentarier*innen gerade feministischen Themen einen Namen; fahrt aktiv. Die AWO war 1919 von der KPD übergetreten, die nun ebenfalls einmal zwei Frauen. Emma Sachse von unter anderem als Gesandte der sozia- sozialdemokratischen Reichstagsabge- mit einer eigenen Fraktion im Land- den Sozialdemokraten und Marie listischen Frauen Ostthüringens auf ordneten Marie Juchacz in Berlin grün- tag vertreten war. Schulz von der linksliberalen Deut- einer Reichsfrauentagung der SPD in det worden, um eine sozialpolitische Wer waren diese Abgeordneten schen Demokratischen Partei. Kassel nach Ende des Ersten Welt- Interessenvertretung der Arbeiter*in- des ersten Thüringer Landtags? Da- Sachse war 1887 in Göttingen in ei- kriegs. Die Rechte der Frauen blieben nenschaft zu ermöglichen, die zugleich rüber gibt eine aktuelle Ausstellung ner Arbeiterfamilie als sechstes von ihr eine Herzensangelegenheit auch Alternative zu den kirchlichen Wohl- im Thüringer Landtag Auskunft. neun Kindern zur Welt gekommen. Ar- nach der Wahl in den ersten Thüringer fahrtsverbänden sein sollte. Auch in „Parlamentsarbeit wird von den mut beherrschte den Alltag. Der Vater Landtag 1920. Dort profilierte sie sich Thüringen bildeten sich in den 1920er Menschen geprägt“, hat die linke ungelernter Wegewärter, trugen die auf vielen Fachgebieten, war später Jahren – nicht zuletzt Dank des Engage- Landtagspräsidentin Birgit Keller Mutter und die Kinder durch Heimar- unter anderem Vertreterin der SPD- ments von Emma Sachse – zahlreiche zum Start der Schau gesagt. „Des- beit zum Lebensunterhalt maßgeblich Fraktion im Haushaltsausschuss, im lokale Gruppen. Wie auch in anderen halb zeigen wir erstmals die Biogra- bei. Nach dem Schulunterricht hatte Ausschuss für Gesetzgebung und Ver- Teilen des Landes organisierten sie fien und Gesichter des ersten Thü- Emma wie die Geschwister beim Ab- „Nähstuben, Volksküchen, Werkstät- ringer Landtags von 1920. So wer- wiegen und Einpacken von Seifenpul- ten, Beratungsstellen oder Ferienver- den die Geschichten hinter den Ge- ver für eine Seifenfabrik zu helfen. schickungen und Stadtranderholungen setzen und Parlamentsakten erleb- Nach sechs Jahren in der Volksschule für Kinder. Verarmte, Invaliden oder bar. Das macht unsere Ausstellung arbeitete sie als Kinderwärterin in an- Kranke werden in Haushalten der so spannend.“ deren Familien und wurde als 15-Jähri- Nachbarschaft untergebracht. Die Ak- Die auf Tafeln präsentierten Kurz- ge Dienstmädchen in Leipzig. tionen werden fast komplett aus Spen- biografien der 56 Männer und Frau- Hier erlebte sie „den diametralen den finanziert“, wie es bei der Thürin- en sind teilweise unvollständig – In- Gegensatz in den Lebensmöglichkeiten ger AWO heute im Rückblick heißt: teressierte seien eingeladen, noch zwischen den unterdrückten und den „Neben der konkreten Nachbarschafts- © Stadtarchiv Altenburg bestehende Lücken füllen zu helfen. herrschenden Klassen“, wie es in einem hilfe spielt die Sozialpolitik eine wich- Die Ausstellung kann von Gruppen Internetlexikon heißt. In der Messe- tige Rolle. AWO-Mitglieder arbeiten in bis zu zehn Personen im Landtag stadt lernte Sachse ihren späteren Ehe- den Wohlfahrtsausschüssen von Städ- nach vorheriger Anmeldung oder im mann kennen, einen Buchdrucker aus ten und Gemeinden, als Jugendschöf- Netz unter www.dein-landtag.de be- Altenburg. „Sie bildete sich durch die fen, in Sozialrentnerausschüssen oder sichtigt werden. PR sozialistische Tagespresse ,Leipziger Emma Sachse in den örtlichen Waisenräten.“
15–2020 5 www.dein-landtag.de Emma Sachse übernahm Ende der kerinnen in Deutschland promovieren 1928 legte Schulz ihr Abgeordneten- 1920er Jahre den Vorsitz im AWO-Lan- und wurde kurz darauf Lehrerin in mandat nieder um wieder als Oberstu- desausschuss des Bezirkes Großthürin- Gera. dienrätin an der Zabelschule in Gera zu gen „und half dabei mit, das Elend vie- Doch auch Marie Schulz hatte eine wirken. Die Repressionen des NS-Re- ler Arbeiterfamilien zu lindern“. Den starke politische Ader. Gemeinsam gimes erfuhr sie unmittelbar 1933, ein Widerstand gegen die Nazis konnte das mit ihrem Bruder Fritz gehörte sie Jahr später wurde sie auf der Grundla- NS-Regime auch durch ihre Festnahme 1918 zu den Gründungsmitglieder*in- ge des faschistischen „Gesetzes zur in „Schutzhaft“ 1933 im Altenburger nen der DDP, die aus der Fortschrittli- Wiederherstellung des Berufsbeamten- Gefängnis nicht brechen. Sie unter- chen Volkspartei hervorgegangen war. tums“ aus dem Schuldienst verdrängt stützte nach der Freilassung die anti- Schon im Kaiserreich hatte es punktu- – die NS-Regelung ermöglichte dies bei © Alfred Ahner Stiftung faschistische Bewegung, wurde aber elle Kooperationen mit den Sozialde- Beamt*innen, „die nach ihrer bisheri- 1944 erneut von NS-Schergen inhaftiert mokraten gegeben. Nun, im Thüringer gen politischen Betätigung nicht die und ins KZ Ravensbrück deportiert. Landtag, wurden die Fäden wieder Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit Nach Ende des Zweiten Weltkriegs aufgenommen: Marie Schulz und Em- rückhaltlos für den nationalen Staat nahm Emma Sachse ihre Arbeit für die ma Sachse wirkten vor allem bei Ini- eintreten“. SPD wieder auf, befürwortete die Ver- Marie Schulz tiativen für die Gleichstellung von Marie Schulz war damals 51 Jahre einigung von SPD und KPD. Doch das Frauen zusammen. 1921 brachten bei- und starb bald darauf in Hindelang im Engagement im Landesvorstand der kleinsten Fraktion „zur redestärksten de gemeinsam einen Antrag auf „Zu- Allgäu. „Ihre männlichen Kollegen er- Thüringer SED und im Parteivorstand Politikerin im Landtag von Thüringen lassung der Frauen zu juristischen kannten die kluge, mutige und fleißige in Berlin währte nicht lange. Nach ei- und einzigen weiblichen Fraktionsvor- Berufen und Tätigkeiten“ ins Thürin- Parlamentarierin voll an, schätzten ih- nem halbjährigen Erholungsurlaub sitzenden“, wie es in der aktuellen Land- ger Parlament ein. re Zuverlässigkeit in Gesetzesberatun- 1948 „erhielt sie als ehemals führendes tagsausstellung heißt. Marie Schulz hat nicht zuletzt als Bil- gen und ihre scharfe Logik“, hieß es SPD-Mitglied keine bedeutende politi- Marie Schulz war 1882 in Schlesien dungspolitikerin Spuren hinterlassen. 1935 in einem Nachruf, der in der Zeit- sche Funktion mehr“. in der Familie eines lokalpolitisch ak- Sie engagierte sich zudem vehement schrift „Die Frau“ erschien. „Der klaren Fast 30 Jahre zuvor war Sachse im tiven Fabrikdirektors zur Welt gekom- gegen den immer stärker werdenden und gewandten Rednerin schenkte das Thüringer Landtag auf Marie Schulz ge- men. Sie konnte die städtische höhere Antisemitismus im Thüringen jener ganze Haus stets seine volle Aufmerk- troffen, die andere der beiden ersten Mädchenschule besuchen und machte Jahre. „Wir halten den Antisemitismus samkeit, zumal ihre Ausführungen oft Parlamentarierinnen im damals noch das Abitur. Was für ein Kontrast zu für eine überaus gefährliche Volks- recht schlagfertig und humorvoll wa- „kleinthüringischen“ Freistaat – das den Lebensumständen der nur fünf krankheit“, so formulierte es Schulz ren.“ PR preußische Thüringen hatte die Landes- Jahre jüngeren Emma Sachse. Doch einmal, „die sich jetzt im Gefolge des gründung zunächst nicht mitgemacht. 1897 starb Schulz’ Vater, die Mutter er- Krieges zu einer ganz besonderen Höhe Heike Stange: Die parlamentarische Arbeit Getagt wurde 1920 im Weimarer „Fürs- krankte schwer, der Bruder Fritz küm- und Gefährlichkeit entwickelt hat.“ von Frauen in Thüringen und ihre politi- tenhaus“ am Fürstenplatz, der heute merte sich fortan um die Familie, die Auch in Fragen des Urheberrechts schen Biographien, in: „Jetzt endlich können die Frauen Abgeordnete werden!“ Thüringer Platz der Demokratie heißt. Schulz hatte nach Freiburg im Breisgau umsiedelte, brachte Marie Schulz ihren Sachver- Parlamentarierinnen und ihre Politik, Schrif- bereits zuvor im Landtag Reuß als Ab- wo Hoffnung auf bessere Studienbe- stand ein – in der „Literarischen Sach- ten zur Geschichte des Parlamentarismus in geordnete gewirkt, im Thüringer Parla- dingungen für Marie bestand. 1909 verständigenkammer“ im Thüringi- Thüringen, Bd. 20, hrsg.v. Thüringer Land- ment avancierte sie als Vertreterin der konnte sie als eine der ersten Histori- schen Justizministerium. tag, Erfurt und Weimar 2003, 256 Seiten.
6 15–2020 30 Jahre Im Herbst 1990 konsti- tuierte sich die erste PDS-Fraktion im Thürin- ger Landtag. Seither sind drei Jahrzehnte ver- gangen. Die LINKE ist inzwischen stärkste Kraft und stellt den Ministerpräsidenten. In dieser Serie blicken wir zurück auf 30 Jahre PDS- und Linksfraktion. Foto: PR „Sind Hilfen für die UdSSR geplant?“ Erste Male im Thüringer Landtag: Wie die Linke Liste/PDS 1990 in die parlamentarische Arbeit startete Kooperation in der Opposition, das war Tamara Thierbach interessierte sich für Jörg Pöse, als Vertreter der Vereinig- „zehn Tage vor Weihnachten, dass wir in der ersten Legislaturperiode des die Abwicklung im Gesundheitswesen, ten Linken auf der offenen PDS-Liste trotz mancherlei Probleme in relativem Thüringer Landtags ab 1990 schon an- die von der CDU-FDP-Koalition als ins Parlament gekommen, hat 1990 die Wohlstand feiern können“. gesichts der Mehrheitsverhältnisse ei- Chance für die Beseitigung angeblicher erste Mündliche Anfrage im Thüringer Das Wörtchen relativ passte hier ne ein sinnvoller Weg. Und so beantrag- Überversorgung bezeichnet wurde. Landtag seitens der damaligen Frakti- ganz gut, denn auch in der Bundesrepu- te die Linke Liste-PDS-Fraktion gemein- Gabi Zimmer erkundigte sich anläss- on überhaupt gestellt. Das Thema mag blik, die nun seit knapp drei Monaten sam mit SPD und Neues Forum/Grüne/ lich des durch die Treuhandanstalt zu von heute aus betrachtet überraschend eine „wiedervereinigte“ war, wuchsen Demokratie Jetzt schon ein paar Wo- verantwortenden Niedergangs zahlrei- erscheinen, im historischen Kontext die Sorgen und Nöte. Politisch war die chen nach der Konstituierung des Par- cher Südthüringer Buchhandelsein- spielte es durchaus eine wichtige Rolle. Zeit ohnehin eine rasende; kaum hatte laments eine Aktuelle Stunde: „Lage richtungen danach, inwiefern die Lan- „Sind von der Thüringer Landesregie- der Landtag seine Arbeit im Weimarer der Hoch- und Fachschulen“. desregierung auf Bundesebene die Inte- rung aus Hilfssendungen für die Bürge- Nationaltheater aufgenommen, ging Aber auch darüber hinaus verschloss ressen der Thüringer Beschäftigten rinnen und Bürger der UdSSR ge- auch schon der Wahlkampf zu den Bun- sich die PDS nicht dem Gemeinsamen, und der Wirtschaft überhaupt vertrete. plant?“, erkundigte er sich auf Druck- destagswahlen am 2. Dezember los. wo dies nützlich war. Zum Beispiel bei Die nächste Anfrage von Zimmer hatte sache 1/37 des Landtags. Durch die So- Während die PDS in Thüringen dabei einem der ersten von allen Fraktionen den Protest zahlreicher Bürger*innen wjetunion, hieß es damals im „Spiegel“, 8,2 Prozent der gültigen Stimmen er- getragenen Anträge im Haus – mit dem „gegen die sozial nicht verträgliche Er- krieche „die Not, mal fehlt Mehl, mal zielt, muss im Landtag die Arbeit orga- die Landesregierung Ende November höhung der Preise bzw. Gebühren für Brot, finden sich in den Ladenregalen nisiert werden. Erste Mitarbeiter*in- 1990 aufgefordert wurde, die Verwen- Mieten, Wasser, Energie und Müllent- kaum noch Teigwaren, gilt Kindergrieß nen werden eingestellt, Räume werden dung von Recyclingpapier in Landes- sorgung“ zum Anlass. landesweit als Luxus – denn Kinder- bezogen. behörden durchzusetzen. Klaus Höpcke wollte von der CDU- nahrung wie auch etwa Medikamente Unter denen, die von Anfang an da- Und wo wir schon bei Premieren FDP-Koalition wissen, welche Erlöse fanden im Plan keinen Platz“. Und wei- bei waren, sind mit Marion Möller und sind, die auch etwas über lange verfolg- die Treuhandanstalt beim Verkauf Thü- ter: „Das Elend der Russen greift den Andreas Schuster zwei heute immer te politische Schwerpunkte aussagen: ringer Betriebe erzielt und wie sie diese Deutschen ans Herz. Sie sammeln wie noch an Bord der Fraktion, Möller als Michael Gerstenbergers erste mündli- verwendet. Peter Dietls erste mündli- nie zuvor.“ Sachbearbeiterin in der Geschäftsstel- che Anfrage als PDS-Abgeordneter war che Anfrage als PDS-Fraktionär war Bis zum Ende des Jahres 1990 er- le, Schuster als Experte für Haushalt der Frage gewidmet, wie groß das dem Schutz der Thüringer Landwirt- reichte der Spendenstand für die Russ- und Finanzen. Und auch André Blech- durch die Treuhandanstalt für Thürin- schaft gewidmet. Joachim Koch ging es landhilfe über 150 Millionen D-Mark, schmidt, später langjähriger Parlamen- gen verwaltete frühere Industrie- und bei seiner Premiere um die Frage, ob meldeten die Zeitungen. Auch in Thü- tarischer Geschäftsführer, hat damals Landwirtschaftsvermögen ist und wie die damals von den Justizministern der ringen, wie aus der Antwort zu Pöses angeheuert: als Mitarbeiter von Klaus viel davon mit welchem Ertrag und wel- Länder vorgesehene drastische Ein- Mündlicher Anfrage hervorgeht. „Es Höpcke. Denn auch die Wahlkreisbüros chen Arbeitsplatzgarantien bereits ver- schränkung der Rechtsmittel „dem Wil- gingen 120 Tonnen Nährmittel, Fleisch- müssen schnell besetzt werden, um vor kauft worden sei. len der Bevölkerung entsprechen“. Und konserven sowie Hygieneartikel am Ort nahe bei den Bürger*innen zu sein. Cornelia Geithner, später Nitzpon, Roland Hahnemann interessierte sich Sammelplatz Erfurter Interklub ein. Die haben gerade in jener Zeit viele Fra- wollte von der Landesregierung in ihrer für den Stellenabbau in der Thüringer Auch auf das Spendenkonto bei der Er- gen, wollen Anliegen zur Kenntnis ge- allerersten mündlichen Anfrage wis- Wissenschaft. Allesamt Themen, die furter Volksbank wurde eine beachtli- ben, um Hilfe bitten. Kümmern wird zu sen, was diese gegen die sozial folgen- auch später wieder und wieder von der che Summe zur Linderung konkreter einem Markenzeichen der PDS. reiche Erhöhung von Nahverkehrstari- PDS-Fraktion auf die Bühne des Land- Nöte eingezahlt.“ Ein Staatssekretär fen in Gera und Erfurt zu tun gedenke. tags gebracht wurden. dankte im Namen der Landesregierung Nächster Teil: Weiße Armbinden
15–2020 7 Verwundbarkeit Progressives der Eigentumslosen Mitte-Unten-Bündnis Zur aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Prokla“ Dierk Hirschel über sozial-ökologische Reformpolitik Die Corona-Krise beschleunigt gesell- tionsmitteln und Grund und Boden – Wer aufmerksam Zeitungen liest, logisch blinder Kapitalismus.“ Was schaftspolitische Debatten und ver- und welches profane Interesse damit kommt an den vielen Meldungen nicht also tun? mag bisweilen sogar, ihnen neue Rich- verbunden ist, sobald dieses eine Grö- vorbei, in denen neueste Ergebnisse Hirschels Buch bringt Vorschläge für tung zu geben. Über die Eigentumsfra- ße jenseits von kleineren Handwerks- von Studien zur Ungleichheit vorge- eine progressive Lösung des Problems ge wird schon länger leidenschaftlich betrieben oder dem selbstgenutzten stellt werden. Ob es nun die klaffende zusammen. Im Vorwort beschreibt Ex- gestritten, mit der Pandemie und ihren Eigenheim erreicht.“ Lücke zwischen den Wenigen ist, die ver.di-Chef Frank Bsirske die Stoßrich- sozialen wie ökonomischen Folgen Gastredakteurin Sabine Nuss, die einen übergroßen Anteil am Vermö- tung: Es gehe um eine sozial-ökologi- scheint nun aber abermals ein höheres unlängst mit dem Buch „Keine Enteig- gen besitzen, und dabei größeren Tei- sche Reformpolitik, „die die Arbeits- Plateau erreicht. Da wird öffentlich nung ist auch keine Lösung“ (Verlag len der Gesellschaft all die Probleme und Lebensverhältnisse der Menschen überlegt, Fleischkonzerne wie Tönnies Karl Dietz Berlin) hervorgetreten ist, überhelfen, die entstehen, wenn man verbessert und dadurch die gesell- zu enteignen, bei denen allzu offen- analysiert den Mangel an Resilienz, vermögenslos ist. Ob es die Ungleich- schaftlichen Kräfteverhältnisse zu- sichtlich Arbeitskraft ausgebeutet also der Tatsache, dass eine reiche Ge- heit zwischen dem globalen Norden gunsten eines Mitte-Links-Bündnisses wird. Da wird öffentlich beraten, wie sellschaft nicht in der Lage zu sein und Süden ist, zwischen den Ge- verändert“, ein „Bündnis von unteren weit Rettungsverstaatlichungen gehen scheint, mit einer Pandemie auf der schlechtern, zwischen Ost und West und mittleren Arbeitnehmermilieus sollen, um Unternehmen zu stützen, Höhe ihrer Möglichkeiten fertigzuwer- und so weiter – „das 21. Jahrhundert mit progressiven bürgerlichen Kräften“. die in die Krise geraten sind. Und den: „Das ist kein allgemein gesell- droht ein Jahrhundert der extremen Es geht also um die Wiederherstel- schon vor Corona hatten der Berliner schaftliches Problem, sondern ver- Ungleichheit zu werden“, so heißt es in lung und Ausweitung gesellschaftli- Mietendeckel oder Vorstöße wie jener weist auf die herrschenden Eigen- der Ankündigung zum neuesten Buch cher Macht über die Wirtschaft, eine von Juso-Chef Kevin Kühnert, der die tumsverhältnisse, die meist nicht als von Dierk Hirschel. Der Volkswirt ist Vorbedingung zum Zurückdrängen Kollektivierung von Großunterneh- Ursache für diese sozialen Verwund- Chefökonom bei der Gewerkschaft der Folgen von Profitlogik. Denn Ge- men zur Debatte stellte, für neue Kritik barkeiten in den Blick geraten.“ Dies ver.di, zudem sitzt er seit 2012 in der schichte wird von Menschenhand ge- an Eigentumsverhältnissen gesorgt. unternimmt nun die von ihr kuratier- SPD-Grundwertekommission. macht, und ist also auch niemals alter- „Die Maßnahmen zur Eindämmung te „Prokla“-Ausgabe und spart dabei „Die Klassengesellschaft kehrt zu- nativlos. Hirschel, der im Rennen um der COVID-19-Pandemie stürzte viele die Suche nach Alternativen zur be- rück – auch in Deutschland“, heißt es den SPD-Vorsitz war, denkt hier über Menschen, wie die Ökonomie insge- stehenden Ordnung nicht aus. Was beim Bonner Dietz Verlag weiter. Und die Revitalisierung der Gewerkschaf- samt, nach kurzer Zeit in eine existen- können Wirtschaftsdemokratie oder auch wenn die Frage naheliegt, ob ten nach, darüber, wie eine gelingende zielle Krise“, heißt es in einem der solidarische Ökonomie gegen eine Ei- denn die Klassengesellschaft in der Erneuerung der Sozialdemokratie aus- Texte des Schwerpunkte des aktuel- gentumslogik ausrichten, in der die jüngeren Vergangenheit überhaupt sehen könnte und „warum die Links- len Ausgabe der „Prokla“. Die Zeit- „Verwundbarkeit der Eigentumslosen“ weg war, ist an Hirschels Befunden partei noch gebraucht wird“. PR schrift für kritische Sozialwissen- nicht nur zu Zeiten einer Pandemie vieles richtig: Soziale Spaltung gefähr- schaft nimmt sich „Die Politische Öko- zum Ausdruck kommt? PR det Demokratie, Raubbau an der Natur Dierk Hirschel: Das Gift der Ungleichheit. nomie des Eigentums“ vor und blickt zerstört Zukunft, Klimawandel, Armut Wie wir die Gesellschaft vor einem sozial darauf, „welche Grundfesten die kapi- Die Politische Ökonomie des Eigentums, und Kriege zwingen Millionen Men- und ökologisch zerstörerischen Kapitalis- talistische Gesellschaftsordnung aus- Prokla Nr. 199 (2020), Bertz+Fischer Berlin. schen zur Flucht. „Verantwortlich da- mus schützen können, Verlag J.H.W. Dietz machen – Privateigentum an Produk- Infos und Bezug: prokla.de für ist ein entfesselter, sozial und öko- Nachf. Bonn 2020, 256 Seiten, 22 Euro. Unzitiert Auch aus Steinen, die dir in den Weg gelegt werden, kannst du etwas Schö- nes bauen. Das ist ein kluger Satz. Dass er hier nicht als Zitat steht, hat seinen Grund. Gern wird das Sprich- wort Erich Kästner zugeschrieben, auch Goethe hatte bereits die Ehre, als Urheber genannt zu werden. Doch wie Expert*innen versichern, ist der Satz weder in den Schriften des einen noch des anderen zu finden. Warum die Belege hier nicht wörtlich wieder- gegeben sind sind? Wer weiß, womög- lich würde sich später herausstellen, dass auch diese in Wahrheit so gar nirgendwo standen. Und so bleibt die Wahrheit lieber: unzitiert. Foto: PR
8 15–2020 Ronald Hande ist 43 Jahre alt, verheiratet und hat vier Kinder. Seit 2019 ist er haushalts- und finanzpolitischer Sprecher und stell- vertretender Fraktionsvorsitzender der LINKEN im Landtag. Neben Beruf, Familie, Gartenarbeit und Sport bleibt für die selbst ernannte „Lese- ratte“ immer noch Zeit für ein gutes Buch. E s ist ein sonniger Dienstag- morgen im sommerlichen Erfurt. Ei- gentlich befinden wir uns gerade mit- ten in einer Wahlkreiswoche, in der die Abgeordneten aufgrund facettenrei- cher Termine im Thüringer Umland das Hohe Haus der Hauptstadt eher selten zu Gesicht bekommen. Doch für unsere neue Video-Interview-Reihe „Dialog mit Sinn“ hat sich Ronald Hande bereitwil- lig zu uns in den Landtag begeben. Gerade noch saß er in seinem Bürger- büro in Schmalkalden, einer Kleinstadt mit rund 20.000 Bewohner*innen süd- westlich des Thüringer Waldes. Sein Büro wird von Bürger*innen mit ver- schiedensten Problemen aufgesucht, seien es Themen wie Straßenausbaubei- Foto: Lukas Krause träge, Fragen des Sozialrechts oder Komplikationen mit dem Arbeitgeber. Hande hilft dort, wo er kann: „Wir ver- suchen erst einmal gemeinsam, die Sachlage zu sortieren und Optionen aufzuzeigen. Als Abgeordneter hat man „Ein logischer Schritt“ manchmal Möglichkeiten, die andere Leute vielleicht nicht haben, denn man kennt viele kommunale Akteur*innen persönlich und kann dadurch einiges einfach durch ein Telefonat oder ein Bundeswehr und Grundeinkommen – Ronald Hande im Gespräch persönliches Gespräch im Sinne der Menschen klären.“ und seine Zweifel bei der Frage nach Ein weiterer großer Themenkomplex Schritt.“ Im Gegensatz zu beitragsfnan- Auch bei Fragen zu Petitionen vermit- der Sinnhaftigkeit des Soldatentums der letzten Monate sei zweifelsohne die zierten Leistungen wie ALG II, welches telt Hande allzeit hilfsbereit. Schließlich nicht mehr mit seinen Überzeugungen Ausgestaltung des Corona-Hilfspakets oft nicht ausreiche, um überhaupt die kann er aufgrund seiner mehrjährigen vereinbaren und beschloss, politisch gewesen. Mit Mantelgesetz und Sonder- elementaren Lebenshaltungskosten ab- Mitgliedschaft im Petitionsausschuss in aktiv zu werden. „Ich habe geschaut, vermögen seien wichtige Maßnahmen zudecken, sichere das BGE darüber hi- der vergangenen Legislaturperiode eini- welche Partei für Frieden und gegen unternommen worden, um regional an- nausgehend auch eine kulturelle und ges an Erfahrung vorweisen. Für den Auslandseinsätze der Bundeswehr sässigen Firmen und Solo-Selbstständi- soziale, gesellschaftliche Teilhabe aller heutigen Haushalts- und Finanzpolitiker steht. Da kam für mich nur eine in Fra- gen eine finanzielle Überbrückung zu Menschen, egal ob Kind, Arbeitneh- sei diese Zeit besonders lehrreich gewe- ge: Die LINKE. Als ich 2007 in die Par- ermöglichen. Hande gibt zu, „dass wir in mer*in oder Rentner*in. sen: „Petitionen sind das Fieberthermo- tei eintrat, wurde ich direkt mit offenen der Kürze der Zeit und in diesem ersten Nicht nur in möglichen Krisenzeiten meter der Gesellschaft“, sagt er. „Gerade Armen empfangen.“ Und von da an Schritt manche Bereiche nicht vollstän- kann das Grundeinkommen Antworten als Neuling im Parlamentsgeschehen ging es über Orts- und Kreisverbände dig abdecken konnten, auch wenn wir auf soziale Ungerechtigkeiten liefern, erhält man dort einen weiten Einblick in bis in den Thüringer Landtag, in den er versucht haben, an alle zu denken und sondern auch auf den zunehmenden die gesamte Landespolitik, denn der Be- im April 2015 für Birgit Klaubert, zu alle zu begünstigen. Dafür gibt es aber Verlust von Arbeitsplätzen durch die reich Petitionen ist komplett ressort- jener Zeit Ministerin für Bildung, Ju- Möglichkeiten, um noch einmal nachzu- kaum aufzuhaltende Robotisierung übergreifend. Ob Kindergarten, Umwelt gend und Sport, nachrückte. steuern. Wenn sich zeigt, dass es an der und Rationalisierung in vielen Unter- oder Sozialgesetze. Besonders interes- „Der Schwerpunkt linker Politik einen oder anderen Stelle nicht richtig nehmen und die immer schneller vor- sant sind die vermeintlich kleinen The- muss immer auf dem Menschen liegen, greift, werden wir Nachbesserungen am anschreitende Transformation der In- men, die aber für die Leute vor Ort sehr also dem Menschen als Individuum Sondervermögen vornehmen.“ dustrie. Gleichzeitig steigt die Zahl der groß und bedeutsam sind. Wenn jemand und nicht als Teil einer Wirtschafts- Um wirtschaftliche Krisen in Zu- Menschen, die sich ehrenamtlich enga- zu mir kommt, möchte ich helfen und struktur.“ Doch natürlich könne man kunft sicherer und verlustärmer zu gieren, schon seit Jahren stetig. Freiwil- am Ende auch ein möglichst positives selbst linke Politik auch in Zahlen gie- meistern, seien auch neue Wege in der lige, unentgeltliche Arbeit als wichtiger Ergebnis haben.“ ßen, was sich besonders bei der Haus- Finanz- und Gesellschaftspolitik denk- Stützpfeiler der Gesellschaft kann aber Hande spricht besonnen und abge- haltspolitik widerspiegeln würde. Han- bar. Ronald Hande ist großer Anhänger nur dann funktionieren, wenn diejeni- klärt, wirkt mit seinen 43 Jahren schon des Aufgabe beinhaltet, durch bedach- der Idee eines Bedingungslosen Grund- gen, die sie ausführen, keine eigenen wie ein alter Hase im Politikbetrieb. ten und verantwortungsvollen Umgang einkommens, denn „es hätte uns als Existenzängste fürchten müssen. Gute Doch sein Werdegang sei lange Zeit gar mit den zur Verfügung stehenden Gesellschaft viele Sorgen und viel Är- Gründe gäbe es jedenfalls genug, das nicht vorhersehbar gewesen. „In mei- Steuermitteln den finanziellen Nährbo- ger ersparen können. Wir als LINKE Bedingungslose Grundeinkommen zu ner Jugend habe ich mit Politik nicht den zu bereiten, um die Projekte der planen ein Pilotprojekt, durch das ein testen und weiter zu erforschen. Die viel am Hut gehabt. Dann kam meine Fachpolitiker*innen zu ermöglichen. bedingungsloses Grundeinkommen ge- LINKE steht dafür bereit. Lukas Krause Wehrdienstzeit bei der Bundeswehr. „Wir Haushaltspolitiker*innen bilden testet und wissenschaftlich begleitet Was ich dort gesehen und gefühlt habe, sozusagen das Back-Office und steuern werden soll. Auch wenn es ein langer Dialog mit Sinn: Das komplette Video- hat in mir Widersprüche hervorgeru- von dort aus die wirtschaftlichen Rah- Weg ist, halte ich ihn für einen logi- Interview zu diesem Artikel finden Sie fen.“ Irgendwann konnte er das Erlebte menbedingungen der Politik.“ schen und zukünftig notwendigen auf linke-thl.de/pr
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