EINSPRÜCHE. Studien zur Vereinnahmung von Theologie durch die extreme Rechte - Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und ...

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EINSPRÜCHE. Studien zur Vereinnahmung von Theologie durch die extreme Rechte - Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und ...
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              Eine Reihe der
Bundesarbeitsgemeinschaft
Kirche + Rechtsextremismus
                                  EINSPRÜCHE.
                                  Studien zur Vereinnahmung
                                  von Theologie durch die
                                  extreme Rechte

        Heinrich Bedford-Strohm   Liane Bednarz                   Johann Hinrich Claussen
        Grußwort                  Rechte Christentumsdiskurse –   Retro-Utopie: Völkischer
                                  ein Überblick                   Protestantismus. Über die Theologie
                                                                  von Karlheinz Weißmann
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EINSPRÜCHE. Studien zur Vereinnahmung von Theologie durch die extreme Rechte - Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und ...
INH A LT

5    Grußwort
     von Heinrich Bedford-Strohm

6    Vorwort
     von Henning Flad

8    Rechte Christentumsdiskurse – ein Überblick
     von Liane Bednarz

24   Retro-Utopie: Völkischer Protestantismus.
     Über die Theologie von Karlheinz Weißmann
     von Johann Hinrich Claussen
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Grußwor t
                                      Die populäre rechte Kampfparole von der
                                      »Rettung des christlichen Abendlandes«
                                      stellt die Kirchen vor eine deutliche Auf-
                                      gabe. Sie müssen sich damit auseinander-
                                      setzen, dass rassistische politische Kräfte
                                      versuchen, christliche Traditionen und
                                      Werte für ihre Zwecke zu instrumentali-
                                      sieren. Die Kirchen weisen in aller Klar-
                                      heit auf die Unvereinbarkeit von christ-
                                      lichen Grundorientierungen mit extrem
                                      rechtem Denken hin. Sie müssen sich des-
                                      wegen wüster Attacken und Diffamie-
                                      rungsversuche durch die AfD und ande-
                                      rer rechtspopulistischer, neurechter und
                                      rechtsextremer Akteur*innen erwehren.
                                      Umso mehr müssen die Kirchen sich der
Aufgabe stellen, sich kritisch mit rechten theologischen Ideologieangeboten
auseinanderzusetzen.

Die extreme Rechte macht nicht nur ein politisches Angebot. Sie macht mit ihrer
ganze Menschengruppen herabsetzenden Ideologie auch ein Sinnangebot. Das
Sinnangebot der Kirche könnte nicht gegensätzlicher sein. Die Liebe und Men-
schenfreundlichkeit Jesu Christi gilt jedem Menschen und sie gibt keinen Men-
schen auf.

Deswegen ist es einerseits Aufgabe der Kirche, Räume der Begegnung, des Ge-
sprächs und der Versöhnung zu bieten. Andererseits braucht es aber auch Klar-
heit in der Sache. Die kirchliche Botschaft steht in fundamentaler Spannung zu
Rassismus, Antisemitismus und allen Formen Gruppenbezogener Menschen-
feindlichkeit – auch dann, wenn sie in intellektuellerem oder vermeintlich
christlichem Gewand daherkommen.

Es ist eine große Bereicherung für die kirchliche Debatte, dass sich die Bundes-
arbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAG K+R) an dieses schwie-
rige Thema heranwagt – ein Thema, das in der Forschungsliteratur bislang wenig
erschlossen ist.

Ich wünsche der BAG K+R viel Ausdauer und Kraft in diesen schwierigen Aus-
einandersetzungen und dieser Broschüre und den folgenden Publikationen ein
breites Interesse in den Kirchen und darüber hinaus. Mögen von ihr wirksame
Impulse ausgehen, die argumentative Auseinandersetzung mit extrem rechten
Ideologieangeboten zu stärken, die das Christentum für sich zu instrumentali-
sieren versuchen.

Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche
in Bayern, Vorsitzender des Rates der EKD
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    Vor wor t
    Ob im Rechtpopulismus oder in der sogenann-          Auseinandersetzung mit rechten theologisch
    ten »Neuen Rechten« – zentrale Autor*innen           orientierten Ideologieangeboten auch men-
    greifen seit langem auf religiöse Motive zurück.     schenfreundliche theologische Alternativen
    Führende Ideolog*innen beziehen sich offen po-       aufzuzeigen.
    sitiv auf das Christentum – etwa der neurechte
    Publizist Martin Lichtmesz in seinem Pseudo-         Damit können manche Aspekte dieser Analysen
    nym – oder haben wie Karl-Heinz Weißmann             für die Kirchen schmerzhaft sein – »neurechte«
    und David Berger Theologie studiert. In Fach-        Theologie entstand nicht in einem Vakuum,
    veröffentlichungen ist wenig analysiert, dass        sondern greift oft auf wichtige theologische
    christliche und vermeintlich christliche Elemen-     Stimmen aus der kirchlichen Ideen- und Theo-
    te für das Denken von weiten Teilen der »Neuen       logiegeschichte zurück. Auch diese Bezugspunk-
    Rechten« identitätsstiftend sind.                    te gilt es kritisch in den Blick zu nehmen. Dabei
                                                         ist insbesondere zu untersuchen, wie theologi-
    Mit der vorliegenden Broschüre beginnt die           sche Ideologieelemente mit Rassismus, Sexis-
    Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechts­         mus und anderen Formen gruppenbezogener
    extremismus (BAG K+R) die Publikationsreihe          Menschenfeindlichkeit verknüpft werden.
    »Einsprüche. Studien zur Vereinnahmung von
    Theologie durch die extreme Rechte« mit dem          In der nun begonnenen Reihe wird jedes Jahr
    Ziel, dieses Thema weiter zu erschließen. Die        eine neue Broschüre mit zwei oder drei Beiträ-
    BAG K+R wendet sich dabei nicht ausschließlich       gen zum Themenfeld erscheinen. Die erste Aus-
    an den kirchlichen Raum, denn die Analysen           gabe wird eröffnet von einem Beitrag von Dr.
    der Reihe können den Blick aller Interessierten      Liane Bednarz. Sie führt ins Thema ein mit ei-
    auf neurechte und rechtspopulistische Ideologie      nem Überblick: Warum ist für die »Neue Rechte«
    erweitern und schärfen. Für die Kirchen ist das      der christliche Bezug so wichtig? An welchen
    Thema gleichwohl besonders relevant: Der An-         Themen und Personen zeigt sich dies in beson-
    griff von rechts auf sie wird nicht nur politisch,   derer Weise? Wie wird argumentiert?
    sondern auch theologisch begründet. Im Um-
    gang mit rechten Ideologien sollten die Kirchen      Im Anschluss untersucht Dr. Johann Hinrich
    daher auch die theologische Dimension kennen         Claussen die Texte einer Schlüsselfigur der »neu-
    und sich mit ihr auseinandersetzen.                  rechten« Publizistik, Karl-Heinz Weißmann, auf
                                                         ihren theologischen Gehalt hin. Welche theo-
    Das Ziel der Publikationsreihe ist es, einen Über-   logischen Kerngedanken lassen sich ausma-
    blick zu geben über rechte Instrumentalisie-         chen und welche ideengeschichtlichen Bezüge
    rungen des Christentums. Die Bedeutung von           lassen sich identifizieren? Und wie christlich
    (pseudo-)christlichem Denken für rechte Ideo-        sind diese Texte überhaupt?
    logien soll aufgezeigt werden. Das kann bei-
    spielhaft am Wirken wichtiger Akteur*innen           Ihnen eine gute Lektüre der ersten Beiträge
    analysiert werden, aber auch entlang von the-        aus der Reihe »Einsprüche. Studien zur Verein-
    matischen Fragestellungen. Zudem werden so-          nahmung von Theologie durch die extreme
    wohl evangelische als auch katholische Perspek-      Rechte«.
    tiven einbezogen. Schlussendlich geht es neben
    der Analyse aber auch darum, in der kritischen       Henning Flad, Projektleitung Bundesarbeits-
                                                         gemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus
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    Liane Bednarz

    Rechte Christentums-
    diskurse –
    ein Überblick
    Die Neue Rechte hat es in den letzten Jahren geschafft, ihre
    Denkfiguren und Diskurse auch in Teilen des bürgerlich-­
    konservativen Milieus zu verankern. Dabei spielt ihr strategisch-
    instrumenteller Rekurs auf das Christentum eine zentrale Rolle.

    In der Corona-Krise glaubt man, den eigenen          zialen Medien Stimmung gegen die staatlichen
    Augen nicht zu trauen. Ausgerechnet ein Teil         Schutzmaßnahmen, vor allem gegen die Mas-
    des betont frommen christlichen Milieus, dar-        kenpflicht. Statt die Nächstenliebe und die Sor-
    unter vor allem strenggläubige Katholik*innen        ge um Vorerkrankte und andere Risikogruppen
    und Evangelikale, die sich sonst bei jeder Ge-       in den Fokus zu rücken, bezeichnen sie Masken
    legenheit für den »Lebensschutz«, d. h. gegen        etwa als »Unterwerfungssymbol« gegenüber
    Abtreibung und Sterbehilfe aussprechen, ma-          der Merkel-Regierung und posten vielfach Ar-
    chen praktisch seit Beginn der Krise in den so-      tikel auf rechtspopulistischen Blogs, die die
                                                         Einschränkungen ebenfalls ablehnen.

                                                         Hinter diesem Verhalten verbirgt sich ein milieu-
                                  Liane Bednarz
                                                         typischer Zielkonflikt zwischen »Lebensschutz«
                                  ist Publizistin und
                                  promovierte Juristin   einer- und der seit Jahren, vor allem seit der
                                  mit dem Schwer-        Flüchtlingskrise, bestehenden manifesten Ab-
                                  punkt Neue Rechte      lehnung der als zu liberal erachteten Bundes-
                                  und religiöse          kanzlerin Angela Merkel andererseits. Zumin-
                                  Bewegungen. Sie
                                                         dest der Lautstärke nach setzte sich in diesen
                                  ist regelmäßige
                                  Gastkommentatorin
                                                         Zirkeln das Ressentiment gegenüber Bundes-
            (online) beim SPIEGEL. Weitere Texte         kanzlerin Angela Merkel durch. Das ging so
             wurden im Tagesspiegel, in der NZZ,         weit, dass manche sogar bei den »Querdenker«-
             der FAS und dem »Freitag« publiziert.       Demos gegen die Schutzmaßnahmen mitliefen
              2018 erschien im Droemer-Verlag ihr        oder zumindest zur Teilnahme daran aufriefen.
              neuestes Buch »Die Angstprediger –
                                                         In den Beschränkungen sehen sie nichts ande-
               Wie rechte Christen Gesellschaft und
               Kirchen unterwandern«.                    res als einen weiteren Beleg für das angebliche
                                                         autoritäre »Merkel-Regime«, gegen das es »Wi-
                                                         derstand« zu leisten gelte.
RECHTE CHRISTENTUMSDISKURSE – EIN ÜBERBLICK                            9

Nicht anders wird im Großteil der Neuen Rech-        führende Köpfe, die dezidiert als Christ*innen
ten argumentiert. Das wirft die Frage auf, wie       auftreten. Drittens haben die beiden Großkir-
es zu einer solchen gedanklichen Annäherung          chen das Thema lange vernachlässigt und die
kommen konnte. Dieses Phänomen, also die             christlich eingehüllten Thesen der Neuen Rech-
Übernahme (neu)rechter Ideenwelten durch             ten keiner theologischen Analyse unterzogen.
einen Teilbereich des christlich-konservativen
Milieus ist keineswegs auf die Haltung in der
Corona-Krise beschränkt, sondern manifestiert
                                                                 Die Neue Rechte in
sich auch bei anderen Themen, etwa in der
Flüchtlingsfrage oder bei Genderthemen.                         Deutschland verfügt über
                                                              diverse führende K­ öpfe,
Bei der Suche nach den Gründen dafür, warum
die Neue Rechte insgesamt in Teilen des kon-                 die dezidiert als
servativem Bürgertums, also auch über betont                Christ*innen auftreten.
fromme Milieus hinaus, derart anschlussfähig
werden konnte, wird nach wie vor zu wenig der
Blick darauf gerichtet, welche entscheidende
Rolle die Instrumentalisierung des Christen-         Welche große Relevanz dem Thema zukommt,
tums dabei spielt. Demgemäß ist diese Thema-         hat die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung erkannt.
tik auch in weiten Teilen der Öffentlichkeit         In ihrer Reihe »Argumentation kompakt« – Ein
kaum bekannt.                                        Service der Hanns-Seidel-Stiftung für politische
                                                     Entscheidungsträger« erschien im Februar 2019
Für diesen Mangel gibt es im Wesentlichen drei       das Papier »Religion und Rechtspopulisten« der
Gründe. Zum einen ist das Gros der Journa-           drei Autoren Oliver Hidalgo, Philipp W. Hild-
list*innen und Wissenschaftler*innen, die sich       mann und Alexander Yendell1. Diese wiesen
mit der Neuen Rechten beschäftigen, politisch        darin gleich zu Beginn zusammenfassend da-
selbst eher links oder linksliberal verortet und     rauf hin, dass dem »Thema Religion eine Schlüs-
demgemäß in der Tendenz kirchenkritisch. Das         selrolle« in »der politischen Auseinandersetzung
wiederum hat zur Folge, dass das Interesse an        mit dem Rechtspopulismus« zukomme. Ihre
der Inanspruchnahme des Christentums durch           Untersuchung führte für sie zu dem folgenden
Rechte entsprechend gering ist oder mangels          Fazit: »Kulturchristentum, Heimatglaube, Feind-
eigener fundierter theologischer Kenntnisse          bild Islam − die diffuse Inanspruchnahme der
nicht als Problem erkannt wird. Zweitens             christlichen Religion durch Rechtspopulisten
herrscht vielfach immer noch die Vorstellung         nimmt diverse Gestalten an, läuft aber stets auf
vor, dass Rechte per se nicht christlich, sondern    ein Ziel hinaus: Das ›Abendland‹ gegen ›Fremd-
heidnisch, vor allem heidnisch-germanisch aus-       gläubige‹ zu verteidigen und eine ausgrenzende,
gerichtet seien. Das trifft für die neonazistische   religiös-nationalistische Identität zu schaffen«.
Szene fraglos nach wie vor zu. Für die Neue
Rechte in Deutschland aber nicht. Sie verfügt,
wie noch näher aufzuzeigen ist, über diverse
                                                     1   www.hss.de/download/publications/Argu_­
                                                         Kompakt_2019-3_Religion.pdf
10          LIANE BEDNARZ

     Die instrumentelle Inanspruch­                      Herausforderung« anzusehen seien. Und zwar
     nahme des Christentums als                          deshalb, weil »ein erfolgreicher Schulterschluss
     ­»Identitätsmarker« zur Unterfütte-                 mit der Religion […] dem Rechtspopulismus einen
      rung von rechten Feindbildern                      Zuwachs an Legitimität versprechen [würde],
                                                         der seine Ziele erheblich begünstigen könnte«.
     Auch wenn die Studie explizit nur von »Rechts-      Daraus ziehen die Autoren den ebenfalls rich-
     populisten« spricht, gelten ihre Befunde ohne       tigen Schluss, dass man »entsprechend präzise«
     weiteres auch für die innerhalb des rechten         analysieren müsse, »warum die Berufung auf
     Denkens noch weiter rechts stehende, intellek-      das Christentum oder besser die Inanspruch-
     tuelle Neue Rechte. Mit der Wendung »diffuse        nahme des christlichen Erbes gepaart mit einer
     Inanspruchnahme der christlichen Religion«          strikt antiislamischen Rhetorik ein Hauptmerk-
     charakterisieren Hidalgo, Hildmann und Yen-         mal« so gut wie »fast aller rechtspopulistischen
     dell die positive Bezugnahme von Rechten auf        Parteien und Bewegungen in Europa« sei. Zu-
     das Christentum sehr treffend. Denn dahinter        dem arbeiten sie einen entscheidenden Aspekt
     steht keine durchdachte, in sich konsistente        heraus, den man bei der Betrachtung der ein-
     Theologie. Vielmehr herrscht eine Rosinenpi-        zelnen christlich verpackten rechten Diskurse
     ckerei vor, mittels derer Rechte zur Bestätigung    stets im Hinterkopf haben sollte, weil er den
     des eigenen Weltbilds Bibelstellen nach eige-       instrumentellen Charakter näher beschreibt,
     nem Gusto herausgreifen und in ihrem Sinne          den das Christentum für Rechte hat:
     interpretieren. Im Vordergrund stehen dabei die
     zentralen rechten Feindbilder der angeblichen        »Auch wenn religiöse Hintergründe für die
     »Islamisierung« sowie der als solche bezeichne-      Konstituierung rechtspopulistischer Denkmus-
     ten »Genderideologie«.                               ter durchaus eine Rolle spielen, ist die Stoßrich-
                                                          tung doch eine andere: So neigen Rechtspopulis-
     Aus Sicht von Theolog*innen, vor allem solchen,      ten dazu, ihre politischen Ziele – z. B. die Einheit
     die wissenschaftlich tätig sind, mag diese Form      der Nation, die Gemeinschaft des Volkes oder die
     der Instrumentalisierung einzelner Bibelstellen      Beschwörung eigener kultureller Größe – selbst
     plump wirken und das ist sie vielfach auch. Je-      zum Gegenstand (pseudo-)religiöser Verehrung
     doch sollte man sie in ihrer Wirkung keines-         zu erheben. Für gewöhnlich rückt der Rechts-
     falls unterschätzen, da sie in Teilen des konser-    populismus daher von den inhaltlichen Kern-
     vativ-christlichen Milieus beider Konfessionen       botschaften des christlichen Glaubens ab und
     leider durchaus auf einen sehr fruchtbaren           bemüht die Religion lediglich als Iden­titäts­mar­
     Boden fällt, gerade auch weil alles so scheinbar     kie­rung. Mit dieser lassen sich ethnische, sprach-
     eindeutig dargestellt wird und somit anschluss-      liche und kulturelle Unterschiede in eine ver-
     fähig an das in diesen Kreisen ohnehin ausge-        meintlich höhere Dimension transportieren und
     prägte manichäische Weltbild ist. Demgemäß           radikal verabsolutieren«.
     weisen Hidalgo, Hildmann und Yendell zu-
     treffend darauf hin, dass »die beobachtbaren        Auch Johann Hinrich Claussen hat den instru-
     Schnittmengen in den Agenden, Programma-            mentellen Charakter, den das Christentum für
     tiken und Strategien religiöser und rechtspopu-     neurechte Denkschablonen hat, am Beispiel von
     listischer Akteure« als »eine große politische      Karlheinz Weißmann, einem zentralen Vorden-
RECHTE CHRISTENTUMSDISKURSE – EIN ÜBERBLICK                               11

ker des Milieus, treffend benannt, wenn er in       hat sich Weißmann von dem Umfeld Kubit-
dieser Broschüre schreibt, dass »ein Christen-      scheks losgesagt und ist u. a. regelmäßiger Autor
tum, das der nationalen Identitätsstabilisierung    der »Jungen Freiheit« und des rechten Monats-
dienen soll, instrumentalisiert und seiner uni-     magazins »CATO«, das zum Milieu der »Jungen
versalistischen Perspektive beraubt wird«. Es       Freiheit« zählt.
verliere, so Claussen weiter, so »sein Eigenrecht
als Religion« und werde »zu einer bloßen Funk-      Anlass für die hier interessierende Positionie-
tion der nationalen Ordnung«. Beispielsweise        rung von Weißmann in dem 2006 publizierten
und um es in den Worten der Autoren der Studie      Gesprächsband ist Kubitscheks so bezeichnete
der Hanns-Seidel-Stiftung zu sagen, »entspringt     »Ausgangsfrage« nach Weißmanns »Position
das Gedankengebäude des Rechtspopulismus            gegenüber der französischen ›Neuen Rechten‹,
insgesamt einem säkularen, keinem religiösen        wenn man so will, in ihrer ursprünglichen Ge-
Impuls«, was sich namentlich »bei der sakralen      stalt«. Darauf antwortete Weißmann (Unter-
Einkleidung von Ideen wie ›Nation‹, ›Kultur‹        streichung durch die Verfasserin):
oder ›Volk‹« zeige.
                                                        »Was mich von Anfang irritierte, waren die
                                                        Schlüsselinhalte – positive Wertung des Rationa-
Die neurechte Publizistik und ihre                      lismus, die Fixierung auf das Indoeuropäische,
Berufung auf das Christentum:                           die Feindseligkeit gegenüber dem Christentum,
Grundlagen                                              die Begeisterung für die ›Biopolitik‹ –, fasziniert
                                                        war ich dagegen von dem Projekt, eine Gegen-
Im Gegensatz zu der französischen »Nouvelle             ideologie aufzubauen, um der Linken Paroli zu
Droite«, die sich Ende der 60er Jahre unter ih-         bieten. Das war etwas anderes als die lenden-
rem Vordenker Alain de Benoist formierte, das           lahme Traditionspflege oder der Rekurs auf den
Christentum ablehnte und heidnisch ausge-               gesunden Menschenverstand bei den Bürger­
richtet war, spielt das Christentum wie bereits         lichen.« 3
angedeutet für signifikante Teile ihres deut-
schen Pendants traditionell eine wichtige Rolle.    Alain de Benoist hat das Christentum in der Tat
Das wird vor allem in einer Äußerung von            wiederholt kritisiert. So stört ihn etwa, dass sich
Karlheinz Weißmann in dem 2006 erschienenen         damit »der Individuo-Universalismus in Europa
Gesprächsband »Unsere Zeit kommt« deutlich,         wirklich« habe »durchsetzen« können4.
in dem Weißmann Fragen von Götz Kubitschek,
dem auf dem sachsen-anhaltinischen Rittergut        Sich selbst verortete Weißmann gegenüber Ku-
Schnellroda ansässigen Verleger und spiritus        bitschek wie folgt: »Parole: Geheimes Deutsch-
rector des völkisch-radikalen Teils der Neuen       land! Hauptfeind: Die Dekadenz. Köpfe: Fried-
Rechten, beantwortet2. Beide waren damals           rich Nietzsche, Ernst Jünger, Arnold Gehlen,
enge Weggefährten. Seit ein paar Jahren aber

                                                    3    Ebd, S. 37.
2   Karlheinz Weißmann, Unsere Zeit kommt,          4    Alain de Benoist, Mein Leben – Wege eines
    Götz Kubitschek im Gespräch mit Karlheinz            ­Denkens, Junge Freiheit Verlag GmbH & Co. KG,
    Weissmann, Antaios 2006.                              2014, S. 393.
12           LIANE BEDNARZ

     Armin Mohler«5. Bei Armin Mohler handelt es            tums seien u. a. Erik von Kuehnelt-Leddihn und
     sich um den Ahnherrn des rechten Denkens               Thomas Molnar gewesen, während allen voran
     nach 1945 in der Bundesrepublik. Wenngleich            der bereits erwähnte Mohler sowie Caspar von
     Weißmann im Gespräch mit Kubitschek betont,            Schrenck-Notzing ihren Widerpart bildeten 11.
     dass er Mohler viel verdanke6, distanziert er sich     Der Dissens, so Steber weiter, sei »in ›Criticón‹
     von ihm doch in einem für die hiesige Analyse          offen ausgetragen worden.«12
     entscheidenden Punkt. Mohlers »Heidentum«,
     so Weißmann, sei ihm »immer fremd« gewesen7.

     Das Beispiel Mohlers zeigt, dass keineswegs alle       In der »Bibliothek
     zentralen Protagonist*innen der deutschen Neu-
     en Rechten Christ*innen sind. Das ändert aber
                                                              des Konservatis-
     nichts daran, dass ein signifikanter Teil unter            mus« treten das
     ihnen, und zwar vor allem in der Publizistik,
                                                               »Who is Who« der
     dezidiert als christlich auftritt. Man kann also
     sagen, dass das Milieu insoweit hierzulande               gemäßigten Neuen
     gespalten ist. Zu diesem Befund kommt auch                  Rechten, aber auch
     die Historikerin Martina Steber in ihrem 2017
     veröffentlichten Buch »Die Hüter der Begriffe –                       ­bürgerliche
     Politische Sprachen des Konservativen in Groß-             ­Protagonist*innen mit
     britannien und der Bundesrepublik Deutsch-
     land«8. Dort macht sie bereits in den »Netzwer-                     Rechtsdrall auf.
     ken um die rechten Zeitschriftengründungen
     der 1970er Jahre« wie »Konservativ heute«,
     »Criticón« und »Zeitbühne« bzw. in einem »sich         Der 2009 verstorbene Caspar von Schrenck-
     auf der Rechten verortenden Konservatismus«9           Notzing sollte Jahrzehnte später mit seiner
     einen »Riss« aus, den sie wie folgt beschreibt:        Privatbibliothek von über 20.000 Büchern den
     »Auf der einen Seite standen solche Publizisten,       Grundstock für die 2012 eröffnete und im Um-
     die den Konservatismus als intrinsisch mit dem         feld der »Jungen Freiheit« angesiedelten »Biblio-
     Christentum verbunden sahen, auf der anderen           thek des Konservatismus« legen, die in der Nähe
     Seite jene, die dies ausdrücklich ablehnten.«10        des Kurfürstendamms in Berlin ihr Zuhause hat
     »Wortführer« der Befürworter des Christen-             und mit diversen Veranstaltungen einer der
                                                            zentralen Orte des rechten Denkmilieus ist.
                                                            Getragen wird sie von der gemeinnützigen
     5  Ebd., S. 46.                                        »Förderstiftung Konservative Bildung und For-
     6  Ebd., S. 52.                                        schung«, die wiederum 2000 von Schrenck-
     7  Ebd., S. 46.
                                                            Notzing gegründet worden war. In ihr treten
     8  Martina Steber, Die Hüter der Begriffe Politische
        Sprachen und Konservativen in Großbritannien        vor allem das »Who is Who« der gemäßigten
        und der Bundesrepublik Deutschland, Veröffent­      Neuen Rechten, aber auch bürgerliche Protago-
        lichungen des Deutschen Historischen Instituts
        London, 2017.
     9 Ebd., S. 289.                                        11 Ebd.
     10 Ebd., S. 292.                                       12 Ebd.
RECHTE CHRISTENTUMSDISKURSE – EIN ÜBERBLICK                                    13

nist*innen mit Rechtsdrall auf. Die Abgrenzung    »Junge Freiheit« etwa lehnt den Begriff »Neue
gegenüber dem völkisch-radikalen Schnellroda-     Rechte« für sich sogar explizit ab. Selbst völki-
Milieu ist zwar grundsätzlich vorhanden, wird     sche Neurechte wie Götz Kubitschek reklamie-
aber nicht konsequent durchgehalten. Das war      ren den Begriff für sich. Das macht es ihnen
zu sehen, als im August 2019 mit der Publizis-    leichter, in bürgerliche Milieus vorzustoßen.
tin Caroline Sommerfeld eine Vordenkerin der      Diese Strategie geht auf Armin Mohler zurück.
»Identitären Bewegung« und Stammautorin von       Er schrieb bereits Anfang der 70er folgenden
Götz Kubitscheks »Sezession« dort auftrat13.      Satz: »Die Definition, was ›konservativ‹ sei, ist
                                                  bereits ein politischer Akt«17. Und weiter: »In
Die Bibliothek spielte darüber hinaus eine we-    der Politik will niemand mehr rechts sein, man
sentliche Rolle in der causa rund um den frühe-   will ›in der Mitte‹ stehen oder allerhöchstens
ren sächsischen Landesbischofs Carsten Rent-      etwas rechts von der Mitte«, weshalb man sich
zing. Dieser trat im Oktober 2019 zurück, nach-   höchstens »konservativ« nenne.18 Schuld dar-
dem bekannt geworden war, dass er von 1989        an seien die »alliierten Besatzungsmächte« und
bis 1992 Redakteur der extrem rechten Zeit-       »ihre willigen Helfer in Medien und Politik«.
schrift »Fragmente – das konservative Kultur-     Damit offenbarte Mohler de facto, wie strate-
magazin« war und dabei, so der Publizist Arnd     gisch er selbst schon mehr als zwei Jahrzehnte
Henze auf »tagesschau.de«, »in einer Reihe von    zuvor vorgegangen war. Denn auch seine 1949
Aufsätzen seine Verachtung für die liberale       erschienene Dissertation trug den Titel »Die
Demokratie« ausgedrückt und »ein autoritär-       konservative Revolution in Deutschland 1918–
elitäres und völkisches Staatsverständnis« ver-   1932«. In dieser versuchte er, die Rechtsintellek-
treten habe14. Desgleichen kam heraus, dass       tuellen der Weimarer Republik wie Carl Schmitt,
Rentzing 2013 einen Vortrag in der »Bibliothek    Oswald Spengler, Arthur Moeller van den Bruck
des Konservativismus« gehalten hatte15. Deren     oder Edgar Julius Jung von jedweder geistigen
Leiter Wolfgang Fenske wiederum war ebenso        Verstrickung mit dem Gedankengut der Natio-
wie Rentzing früher Redakteur eben jener Zeit-    nalsozialisten reinzuwaschen.
schrift »Fragmente«16.
                                                  Dem Historiker Volker Weiß zufolge verfolgte
                                                  Mohler damit den Zweck, »mit der Erfindung
Exkurs: Begriffsabgrenzung                        einer ›Konservativen Revolution‹ der durch Na-
­»konservativ« versus »rechts«                    tionalsozialismus, Shoah und Kriegsniederlage
                                                  belasteten deutschen Rechten wieder zu einer
Die Selbstbezeichung »Bibliothek des Konser-
vatismus« ist kein Zufall. Vielmehr verwendet
das neurechte Milieu den Begriff »konservativ«
aus strategischen Gründen ganz bewusst. Die       17 Armin Mohler, Der Konservative in der technischen
                                                     Zivilisation. in: ders. 1974, S. 14; zitiert nach Volker
                                                     Weiß, Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte
                                                     und der Untergang des Abendlandes, Klett-Cotta
13 www.youtube.com/watch?v=E-UFRRRUZqU               2017, S. 62.
14 www.tagesschau.de/investigativ/bischof-­       18 Armin Mohler, »Brief an einen italienischen
   rentzing-101.html                                 Freund«, in: ders., »Von rechts gesehen«, Busse-
15 Ebd.                                              Seewald Verlag 1974, S. 43, zitiert nach Volker
16 Ebd.                                              Weiß, a. a. O., S. 59 f.
14             LIANE BEDNARZ

     positiven Tradition [zu verhelfen]« 19. Das sei    in der Bundesrepublik und dort vor allem in
     jedoch nur durch »einige gewagte Konstruktio-      den entsprechenden Flügeln der beiden Uni-
     nen, Auslassungen und Legenden« 20, möglich        onsparteien herausgebildet hat. Dieser Konser-
     gewesen und selbst nichts weiter als eine »Le-     vatismus sollte nicht mit dem rechten Denken
     gende«21. Weiß zieht zutreffend zudem das Fazit,   gleichgesetzt werden, weshalb man insoweit
     dass Mohler »mit der Erfindung der ›Konserva-      auch eine klare begriffliche Trennung vollzie-
     tiven Revolution‹ der Geisteswelt des Faschis-     hen sollte. Statt von zwei »Varianten des Kon-
     mus unmittelbar nach dessen Niederlage ein         servativen« zu sprechen, sollte man antagonis-
     Refugium geschaffen« habe und es ihm »unter        tisch klar von »konservativ« und »rechts« spre-
     großzügiger Auslegung des Begriffs ›konserva-      chen. Andernfalls macht man es Neurechten
     tiv‹ gelungen« sei, die Legende einer bedeuten-    zu leicht, den Begriff »konservativ« in der Tra-
     den, gegenüber dem Nationalsozialismus un-         dition Mohlers zu kapern und mit ihren Vor-
     empfänglichen Strömung innerhalb der deut-         stellungen aufzuladen.
     schen Rechten zu installieren22. Auch Martina
     Steber kommt zu dem Schluss, dass Mohler
     »aus der deutschen antidemokratischen Tradi-
     tion des Denkens schöpfend, ein radikales anti-                  Man sollte
     liberales Gegenprogramm«23, und zwar »in
     Nachfolge der Weimarer Rechten«24, zum bun-
                                                              ­antagonistisch klar
     desrepublikanischen Konservativismus mit               von »konservativ« und
     seiner Westorientierung geschaffen habe. Wie
                                                                  »rechts« ­sprechen.
     Steber weiter ausführt, sollten diese »beiden
     Varianten des Konservativen die politische
     Kultur der Bundesrepublik fortan prägen – bis
     in unsere Gegenwart hinein«25. Gleichsam hebt      Anhand der genauen Abgrenzung zwischen
     Volker Weiß hervor, dass Mohlers Ansatz »der       dem bundesrepublikanischen Konservatismus
     extremen Rechten der jungen Bundesrepublik         und dem rechten Denken lässt sich auch be-
     die Möglichkeit des Neubeginns« eröffnete, »von    stimmen, ab wann Ideenwelten im konservativ-
     dem sie bis heute zehrt« 26.                       christlichen Spektrum die Grenze zu rechten
                                                        Vorstellungen überschreiten. Das gilt nament-
     Das, was Neurechte unter »konservativ« verste-     lich für drei Zentralthemen: für den Lebens-
     hen, unterscheidet sich fundamental von dem        schutz, den Umgang mit Genderthemen und
     Begriff des Konservativen, wie er sich nach 1945   den Islam.

                                                        Zentral für den bundesrepublikanischen Kon-
     19   Volker Weiß, a. a. O., S. 44.                 servatismus ist die Einbindung in die liberale
     20   Ebd.
                                                        und pluralistische westliche Werteordnung. Das
     21   Volker Weiß, a. a. O., S. 47.
     22   Ebd.
                                                        bedeutet vor allem, dass eigene thematische
     23   Martina Steber, aaO, S. 155.                  Schwerpunkte wie Heimat, Familie, und Nation
     24   Martina Steber, aaO, S. 157.                  für Konservative und somit auch für konser-
     25   Ebd.                                          vative Christ*innen zwar wichtig sind, aber
     26   Volker Weiß, a. a. O., S. 48.
RECHTE CHRISTENTUMSDISKURSE – EIN ÜBERBLICK                             15

jeweils nicht überhöht oder ausgrenzend in-        zunächst als Schülerzeitung in Freiburg gegrün-
terpretiert werden. So wird etwa auch Zuwan-       det wurde und innerhalb des neurechten Mi-
derer*innen zugestanden, dass sie hierzulande      lieus als publizistisches »Mutterschiff« ange-
eine neue Heimat finden können, während            sehen wird. In ihrer politischen Ausrichtung
sich der AfD-Rechtsausleger Björn Höcke »ein       wurde sie im Laufe der Jahre weniger radikal,
Deutschland« wünscht, »das wieder eine echte       ist aber auch weiterhin eine rechte und keine
Heimat für Deutsche« ist«27. Desgleichen halten    konservative Zeitung, was sich etwa an wohl-
Konservative zwar die Idee des Nationalstaats      wollenden Texten über die Pegida-Demonstra-
hoch, bekennen sich aber zum europäischen          tionen oder die »Identitäre Bewegung«, nicht
Friedensprojekt und befürworten dementspre-        zuletzt durch den Chefredakteur Dieter Stein
chend die Verankerung Deutschlands in der          selbst zeigt28.
EU. Zugleich pflegen sie die deutsche Erinne-
rungskultur. Das unterscheidet sie fundamen-
tal von Rechten, die selbige als »Schuldkult«
diffamieren oder Deutschland insoweit einen
                                                                Das rechte Denken
»Selbsthass« unterstellen. Letzteres ist auch                  basiert neben der
unter Christ*innen mit Rechtsdrall verbreitet.
                                                             »Schuldkult«-­These auf
Das rechte Denken ist nicht etwa eine ver-                  drei ­Säulen: dem Antipluralis-
schärfte Form des bundesrepublikanischen
Konservatismus, sondern unterscheidet sich
                                                           mus, dem Antiliberalismus
von diesem fundamental. Es basiert neben der              und dem Ethnopluralismus.
»Schuldkult«-These im Kern auf drei Säulen:
dem Antipluralismus, dem Antiliberalismus
und dem Ethnopluralismus, die bei der Vor-         Die »Junge Freiheit« räumt dem Christentum
stellung der genannten Zentralthemen von           ausdrücklich eine große Bedeutung für ihre
Christ*innen mit Rechtdrall am Ende dieses         Ausrichtung ein. So ist selbiges in dem 2011 ver-
Texts noch genauer erörtert werden.                öffentlichten Leitbild der Zeitung ausdrück-
                                                   lich aufgeführt und wird wie folgt erläutert:
                                                   »Die europäische und deutsche Kultur sind mit
Die neurechte Publizistik und ihre                 dem Christentum auch in seiner säkularen
Berufung auf das Christentum:                      Form unauflöslich verwoben. Wir begegnen
»Junge Freiheit«                                   religiöser Indifferenz durch einen festen, christ-
                                                   lichen Standpunkt, der im Jahreslauf wieder-
Karlheinz Weißmann steht mit seinem dezi-          kehrend einen deutlichen Vorrang erhält.«29
diert christlichen Auftreten gewissermaßen
pars pro toto für die »Junge Freiheit«, die 1986

                                                   28 jungefreiheit.de/debatte/streiflicht/2019/die-­
                                                      geaechteten-aktivisten/
27 Björn Höcke, Facebook-Posting                   29 assets.jungefreiheit.de/2013/08/leitbild-der-jf-2.
   vom 30. Dezember 2016.                             jpg
16            LIANE BEDNARZ

                                                            den Katholik*innen etwa für die Genderkriti-
                                                            kerin Birgit Kelle, den Journalisten und Lebens-
        Die »Junge Freiheit«
                                                            schützer Martin Lohmann, seinerseits bis 2017
     räumt dem Christentum                                  acht Jahre Vorsitzender des »Bundesverbands
       ausdrücklich eine große                              Lebensrecht«, Jürgen Liminski, bis zu seiner Pen-
                                                            sionierung Redakteur des »Deutschlandfunks«
            Bedeutung für ihre                              und nach eigenen Angaben Opus Dei-Mitglied,
                 ­Ausrichtung ein.                          und für den früheren sachsen-anhaltinischen
                                                            Ministerpräsident Werner Münch.

      Dieser Ansatz zeigt sich vor allem in regelmä-        Auf protestantischer Seite ist neben Weißmann
      ßiger Abtreibungskritik und dabei vor allem in        neuerdings auch Helmut Matthies immer wie-
      der jährlichen, ausführlichen Berichterstattung       der mit Gastkommentaren vertreten. Matthies
      zum »Marsch für das Leben« sowie in der pau-          war jahrzehntelang bis 2017 Chefredakteur des
      schalen, ablehnenden Haltung zu Gendertheo-           evangelikalen Wochenmagazins »idea spek­
      rie. Passend zur Abtreibungskritik der Zeitung        trum« und Leiter der evangelikalen Nachrich-
      enthält auch die »Bibliothek des Konservatis-         tenagentur »idea«, deren ehrenamtlichen Vor-
      mus« einen »Sonderbestand Lebensrecht«, der           standsvorsitz er im Februar 2018 übernahm31.
      nach Angaben der Bibliothek selbst in »Koopera-       Dass er nun auch für die »Junge Freiheit«
      tion mit der Stiftung Ja zum Leben (Meschede)«        schreibt, ist keine Überraschung. Denn bereits
      errichtet wurde30. Diese wurde von den beiden         2009 erhielt er den Gerhard-Löwenthal-Ehren-
      inzwischen verstorbenen Katholik*innen Jo-            preis, der von der bereits erwähnten »Förder-
      hanna Gräfin von Westphalen und ihrem Sohn            stiftung Konservative Bildung und Forschung«
      Friedrich Wilhelm Graf von Westphalen gegrün-         in Kooperation mit der »Jungen Freiheit« und
      det und ist ihrerseits Mitglied im »Bundesver-        Dr. Ingeborg Löwenthal gestiftet wird32.
      band Lebensrecht e. V.«, der den jährlichen
      »Marsch für das Leben« organisiert.                   Schaut man sich diese Verbindungen an, ist es
                                                            zudem wenig verwunderlich, dass Matthies in
      Die Betonung des Christentums dürfte ein ent-         den Jahren 2014 und 2015 die auch von der
      scheidender Grund dafür sein, dass die Lektüre        »Jungen Freiheit« wohlwollend behandelte
      der »Jungen Freiheit« in christlichen Kreisen         »Pegida«-Bewegung gleich drei Mal in seinen
      mit Rechtsdrall, die sich selbst für lediglich kon-   Editorials in der Zeitschrift »idea spektrum«
      servativ halten, fast schon zum guten Ton ge-         verteidigt hat. Zwar kamen insoweit immer
      hört. Doch es geht noch weiter: Zahlreiche be-        wieder auch kritische Stimmen zu Wort, aber
      kannte Publizist*innen aus betont glaubens-           die eigene Positionierung des Chefredakteurs
      treuen Milieus beider Konfessionen sind regel-
      mäßige Autor*innen der Zeitung. Das gilt unter
                                                            31 www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/­
                                                               menschen/2018/02/02/helmut-matthies-neuer-
                                                               idea-vorsitzender/
      30 www.bdk-berlin.org/ueber-uns/sonderbestand-        32 www.bdk-berlin.org/stiftung/gerhard-loewent-
         lebensrecht/                                          hal-preis/preistraeger/
RECHTE CHRISTENTUMSDISKURSE – EIN ÜBERBLICK                             17

wurde so eher noch deutlicher. Das war vor al-     Andalusien.35 Im Gespräch mit dem Publizisten
lem im November 2015 der Fall, als Matthies die    Michael Angele für die Wochenzeitung »Der
Pegida-Bewegung zum dritten Mal in Schutz          Freitag« bezeichnete sie sich sogar ausdrück-
nahm und offenbar ausblendete, wie sehr diese      lich als »praktizierende Christin36«. Auch sym-
sich mittlerweile längst radikalisiert und mehr-   bolisch setzt Kositza auf Christliches. So trug
fach den radikal neurechten Götz Kubitschek        sie in ihrer Video-Besprechung auf dem You-
als Redner zu Gast hatte. Anstatt sich darüber     Tube-Kanal »Kanal Schnellroda« des bei Antaios
zu empören, ärgerte sich Matthies lieber über      erschienenen, hochumstrittenen rechtsradika-
den kritischen EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich       len Buchs »Finis Germania« des Kulturhistori-
­Bedford-Strohm und schrieb: »Wenn nun der         kers Rolf Peter Sieferle eine Kette mit einem
 EKD-Ratsvorsitzende ›Pegida‹ und die AfD mit      silbernen Kreuz37. Und als sie im August 2018
 den härtestmöglichen Worten des Rechtsradi-       das Buch »Die Benedikt-Option« des US-Ame-
 kalismus verdächtigt, treibt er die Demokratie-   rikaners Rod Dreher zum Thema machte, fiel das
 verdrossenheit weiter voran.«33                   ganze Setting des Videos ins Auge, sah man im
                                                   Hintergrund auf einer Fensterbank doch wohl
                                                   angeordnete Ikonen, Weihwassergefäße und
Die neurechte Publizistik und ihre                 einen Rosenkranz38.
Berufung auf das Christentum:
»Schnellroda«                                      Götz Kubitschek geht noch weiter und gibt in-
                                                   haltliche Auskünfte über sein eigentümliches
Auch im Umfeld von Götz Kubitschek, der auf        völkisches Glaubensverständnis. Besonders
einem Rittergut in dem sachsen-anhaltinischen      deut­lich wurde er in einem Gespräch mit der
Dorf Schnellroda ansässig ist, stößt man auf       Sendung »Kulturzeit« auf 3Sat. Darin wurden
Autor*innen, die ausdrücklich als Christ*innen     er und Ellen Kositza explizit als »Kirchgänger«
auftreten. Das trifft vor allem auf Götz Kubit-    vorgestellt und es wurde ein großes Kruzifix
schek selbst und auf seine Ehefrau, die neu-       gezeigt, dass im Gutshaus an einer Wand hängt.
rechte Publizistin Ellen Kositza, zu. Beide sind   Im Gespräch sagte Kubitschek sodann Folgen-
Katholik*innen und betonen dies seit einigen       des: »Wenn Sie das jetzt von einem gläubigen
Jahren auch immer wieder.                          Christen hören wollen: Das deutsche Volk ist
                                                   eben ein Entwurf Gottes, und es ist eine be-
Der von Kubitschek betriebene Verlag heißt         sondere Art, durch die Geschichte zu gehen, mit
»Antaios«. Außerdem ist er für die neurechte       allen Höhen und Tiefen.« Auch weiß man in-
Theoriezeitschrift »Sezession« verantwortlich,     zwischen, dass das Christentum für Kubitschek
die mit »sezession.de« zudem über einen Online-    tatsächlich eine Halt vermittelnde Funktion
Auftritt verfügt. Dort schrieb Kositza im Mai
2017 über die »Firmung der mittleren Kinder«34
und 2016 über einen Messbesuch im Urlaub in        35 Ellen Kositza, Das war’s – Diesmal mit Kindern,
                                                      Küche, Politik, Verlag Antaios, 2017, S. 178 ff.
                                                   36 www.freitag.de/autoren/michael-angele/die-
33 www.idea.de/spektrum/detail/die-guten-und-         rechte-in-der-richte
   die-rechten-92703.html                          37 www.youtube.com/watch?v=qoROmWiInlw
34 sezession.de/57247                              38 www.youtube.com/watch?v=w5jk3oCpoxc
18          LIANE BEDNARZ

     hat. So ließ er sich bei einem Auftritt bei der      Der Fall Matussek zeigt überdeutlich, wie sehr
     »Jungen Alternative Brandenburg«, der Ju-            sich selbst ein vormals etablierter Journalist
     gendorganisation der AfD, als Antwort auf die        von den katholischen Sirenengesängen der
     Frage nach dem Halt in seinem Leben wie folgt        Neuen Rechten verführen lassen kann. Bei ihm
     ein: »Mich macht das kräftiger, auf eine Art.        geht das so weit, dass er im Juni 2018 sogar
     (…) Gott wiegt mich nicht auf Erden, er wiegt        sein damals neu erschienenes Buch »White
     mich, wenn ich ankomme«39.                           Rabbit oder der Abschied vom gesunden Men-
                                                          schenverstand« in dem damals noch existenten
     Der Katholizismus spielt augenscheinlich auch        »patriotischen Hausprojekt« des Hallenser Ab-
     für den Österreicher Martin Lichtmesz und da-        legers der »Identitären Bewegung« vorstellte.41
     mit für einen langjährigen Weggefährten Kubit-
     scheks eine große Rolle. Das zeigt sich bereits in
     seinem an den katholische Festtag »Mariä Licht-      Apologetik des rechten
     mess« angelehnten Pseudonym »Lichtmesz«,             ­C hristentums
     einem Anagramm aus seinem Geburtsnamen
     »Semlitsch«. Lichtmesz publizierte 2014 in Ku-       Neben der Inanspruchnahme des Christentums
     bitscheks »Antaios-Verlag« das Buch »Kann nur        durch zentrale neurechte Publizist*innen haben
     ein Gott uns retten?«, das der einst hochange-       zwei weniger bekannte Autoren, die gelegent-
     sehene, inzwischen aber weit nach rechts abge-       lich in Götz Kubitscheks »Sezession« Texte pu-
     driftete, betont katholische Journalist Matthias     bliziert hatten, 2018 und 2019 jeweils Sammel-
     Matussek 2017 in der schweizerischen »Welt-          bände herausgegeben, in denen sie ihre welt-
     woche« hymnisch feierte. Für Matussek stellt         lichen Zentralthemen christlich grundieren. Es
     Lichtmesz die Frage »nach unserer christlichen       handelt sich um den katholischen Theologen
     Kultur mit einem Brennen, das die Diskussions-       und Politikwissenschaftler Felix Dirsch und den
     runden unserer katholischen Akademien ver-           evangelischen Theologen Thomas Wawerka.
     blassen« lasse40. Und fügte Folgendes über das       Letzterer ist ein gutes Beispiel dafür, wie die
     Werk hinzu: »Im Grunde ist sein Buch ein ein-        eigene berufliche Laufbahn infolge des Ab-
     ziger tief melancholischer Klagegesang über          driftens gen rechts Schaden nehmen kann.
     Verluste, über weggerissene Verankerungen
     und die öden Triumphe der Moderne. Wer sind          Wawerka war bis zum August 2016 als Pfarrer
     wir, wohin sind wir unterwegs? Lauter Fragen,        auf Probe in der Evangelisch-Lutherischen Lan-
     doch ›kein Besinnlicher fragt sie mehr‹, dichtete    deskirche Sachsen tätig. Zu einer Übernahme
     bereits Gottfried Benn.« Der Text, in dem diese      in den regulären Dienst kam es dann aber nicht.
     Passagen eingebettet waren, stellte vor allem        Nach Angaben der »ZEIT im Osten« hat die Kir-
     eine Art Loblied Matusseks auf die »Identitäre       che bestätigt, dass dabei Kommentare Wawer-
     Bewegung« dar, der Lichtmesz nahesteht, auch         kas im Internet zur Flüchtlingspolitik eine Rolle
     wenn er nie formelles Mitglied war.

     39 www.youtube.com/watch?v=KHOYqxOZagg               41 staatspolitik.de/7-staatspolitischer-salon-in-­
     40 www.weltwoche.ch/ausgaben/2017_1/­                   halle-saale-am-6-juni-2018-white-rabbit-oder-
        hintergrund/rechts-na-und-die-weltwoche-­            der-abschied-vom-gesunden-menschenverstand-
        ausgabe-12017.html                                   mit-matthias-matussek/
RECHTE CHRISTENTUMSDISKURSE – EIN ÜBERBLICK                            19

gespielt haben.42 Diese hatte er unter Texten auf     auch Volker Münz hätte gebunden sein müssen,
»sezession.de« verfasst, deren Autor er später        durfte Caroline Sommerfeld, wie erwähnt eine
werden sollte. Schlagzeilen machte Wawerka,           Vordenkerin dieser Gruppierung, einen Beitrag
als er im Talar nach dem islamistischen An-           zum Buch »Rechtes Christentum« beisteuern.
schlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner            Der Titel lautet »Gegen Allahu akbar hilft nur
Breitscheidplatz im Rahmen einer von der AfD          Deus vult««, womit man bei der Kreuzzugsrhe-
organisierten Mahnwache eine Andacht hielt.           torik angekommen ist. Das Vorwort der drei
Das Tragen des Talars wurde von der Evange-           Herausgeber von »Rechtes Christentum?« ist,
lisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen aus-          was Sommerfelds Beitrag angeht, regelrecht
drücklich missbilligt43. Zu der Mahnwache hat-        enthusiastisch:
ten auch die »Identitäre Bewegung« und die
neurechte Organisation »einprozent.de« aufge-          »Manche betrachten Caroline Sommerfeld als
rufen. Präsent war unter anderem auch Götz             die prominenteste Theoretikerin der »Identitären
Kubitschek.                                            Bewegung«. Ihr Text bietet einen intimen Ein-
                                                       blick in Selbstverständnis und Wahrnehmung der
Die beiden Bücher, die Wawerka gemeinsam               noch jungen und derzeit wohl bedeutendsten
mit Felix Dirsch im österreichischen »ARES«-           politischen Jugendbewegung Europas. Sommer-
Verlag, der deutlich rechts der »Jungen Freiheit«      feld veranschaulicht, wie ein sich als ›ecclesia
steht, herausgegeben hat, heißen »Rechtes Chris-       militans‹ aufgefasstes Christentum, historisch im
tentum? Der Glaube im Spannungsfeld von                ›tausendjährigen Abwehrkampf gegen den Islam‹
nationaler Identität, Populismus und Humani-           konkretisiert, zur lebendigen Quelle einer ›gro-
tätsgedanken« (2018) und »Nation, Europa,              ßen Erzählung‹ und zur metapolitischen Ressour-
Christenheit – Der Glaube zwischen Tradition,          ce für die Ausbildung einer Haltung, einer Ori-
Säkularismus und Populismus« (2019). Aller-            entierung und schließlich bestimmter Aktions-
dings gibt es jeweils noch einen dritten Heraus-       und Protestformen werden kann. Leidenschaft-
geber: Volker Münz, den kirchenpolitischen             lich wird auf die vorkonziliare katholische Tra-
Sprecher der AfD. Der wiederum veröffentlich-          dition zurückgegriffen, selbstbewusst wird sie
te im Mai 2020 gemeinsam mit Joachim Kuhs,             sich angeeignet und mit Verve umgesetzt.«
dem Sprecher der »Christen in der AfD« sowie
dem AfD-Mitglied Holger Schmidt überdies ein          Nicht erwähnt wird hingegen, dass die später
Buch mit dem Titel »Mut zur Wahrheit – Warum          durch das Bundesamt für Verfassungsschutz
die AfD für Christen mehr als eine Alternative        als »gesichert rechtsextremistisch« eingestufte
ist«.                                                 »Identitäre Bewegung« diesem bereits beim
                                                      Erscheinen des Buchs im Herbst 2018 als Ver-
Trotz des Abgrenzungsbeschlusses der AfD ge-          dachtsfall für Rechtsextremismus galt, und
genüber der »Identitären Bewegung, an den             zwar schon seit dem Juni 2016, was öffentlich
                                                      bekannt war44.

42 www.zeit.de/2016/51/evangelische-kirche-pfarrer-
   afd-entlassung                                     44 www.weser-kurier.de/deutschland-welt/deutsch-
43 www.evangelisch.de/inhalte/140990/23-12-2016/         land-welt-politik_artikel,-verfassungsschutz-­
   kirche-kritisiert-missbrauch-von-talar-auf-afd-­      erklaert-identitaere-bewegung-zum-beobach-
   demo                                                  tungsobjekt-_arid,1844046.html#nfy-reload
20           LIANE BEDNARZ

     Zentrale rechtschristliche Diskurse                    Der Antiliberalismus des rechtschristlichen
                                                            Milieus deckt sich ebenfalls mit jenem von sä-
     Die für Christ*innen mit Rechtsdrall zentralen         kularen Neuen Rechten. Man verachtet die
     Diskurse lassen sich gut der ideenweltlichen           Moderne als »dekadent« und empfindet diese
     rechten Trias aus Antipluralismus, Antilibera-         als gegen die »natürliche Schöpfungsordnung«
     lismus und Ethnopluralismus zuordnen.                  gerichtet. Das äußert sich vor allem in einem
                                                            in Dauerschleife erfolgenden Jammern über den
     Der Antipluralismus ist ein Kernelement rech-          »Zeitgeist«. Der darin liegende Kulturpessimis-
     ter, vor allem auch rechtspopulistischer Denk-         mus ist gewissermaßen die DNA des rechts-
     weisen. Der Politologe Jan-Werner Müller hat
     das in seinem 2016 publizierten Essay »Was ist
     Populismus?« treffend umrissen, indem er in
                                                              Der Antiliberalismus
     diesen Milieus eine »moralischen Alleinvertre-
     tungsanspruch« erkennt. Und zwar in der dort            des rechtschristlichen
     vorherrschenden Haltung, dass nur man selbst             Milieus deckt sich mit
     »das wahre Volk« repräsentiere45. Diese Attitüde
     stößt unter jenen Christ*innen auf fruchtba-                jenem von säkularen
     ren Boden, die dazu neigen, die eigenen christ-                   ­Neuen Rechten.
     lichen Vorstellungen dergestalt auf die Politik
     zu übertragen, dass sie damit den rein religiösen
     Wahrheitsanspruch der Bibel bzw. des Chris-            christlichen Milieus. Statt sich im besten christ-
     tentums in die Sphäre der Politik übertragen.          lichen Sinne als »Salz der Erde« zu begreifen,
     Das führt zwangsläufig zu einer politreligiösen        jammert und wehklagt man lieber und bedient
     Haltung. Man akzeptiert nur das, was man,              sich einer ausgeprägten Verfallsrhetorik. Dazu
     etwa in puncto »Ehe für Alle« oder Migrations-         gesellt sich nicht selten ein politreligiöses Ele-
     politik, selbst für richtig erachtet und trifft sich   ment, was insofern kurios anmutet, als man
     so mit Rechten, die glauben, die einzig »wahre         beiden Großkirchen und dabei vor allem der
     Stimme des Volkes« zu sein.                            EKD gerne eine Politisierung vorwirft.

     Damit einher geht eine Verächtlichmachung              Der dezidiert politreligiöse Ansatz zeigt sich
     Andersdenkender. Ganz ähnlich den Rechten              ganz besonders bei Gabriele Kuby, einem Star
     sind deshalb auch unter Christ*innen mit Rechts-       der rechtskatholischen Szene. Sie ist eine zum
     drall Begriffe wie »Lügenpresse«, »Lückenpres-         Katholizismus konvertierte Autorin, die glei-
     se«, »Mainstreammedien« oder »Altparteien«             chermaßen unter Evangelikalen mit Rechts-
     en vogue. Für sich selbst reklamiert man Mei-          drall beliebt ist. Im Jahre 2017 veröffentlichte
     nungsfreiheit, diffamiert aber schamlos An-            sie ein Buch, das den politischen Kampf sogar
     dersdenkende.                                          im Titel trägt. »Christliche Prinzipien des poli-
                                                            tischen Kampfes« lautet er. Kuby postuliert
                                                            darin eine »Dringlichkeit« für Christ*innen, »die
                                                            Gesellschaft neu- und mitzugestalten«, da »of-
     45 Jan-Werner Müller, Was ist Populismus?
                                                            fensichtlich« sei, »dass sie zusehends kulturell,
        Ein Essay, Berlin 2016, S. 19.
RECHTE CHRISTENTUMSDISKURSE – EIN ÜBERBLICK                               21

sozial, rechtlich und geistlich verfällt«46. Zu-
                                                                      Andreas Laun, bis zu
dem schreibt sie, dass sich die Demokratie »vor
unseren Augen und unter unseren Händen […]                           seiner Pensionierung
in eine neue Tyrannei [verwandelt], in welcher                     ­Weihbischof in Salzburg,
die politische Klasse die Massen manipuliert
und das von ihr definierte politisch Korrekte                     stellte »Gender« auf eine
mit sozialen Sanktionen und zunehmender                          Stufe mit dem Holocaust
Kriminalisierung abweichenden Verhaltens
erzwingt« 47.                                                   und dem Gulag.

Kuby zählt auch zu jenen christlichen Autor*in-            auch er ein Star der Szene, und bis zu seiner
nen, die seit Jahren vor einer angeblichen »Ho-            Pensionierung Weihbischof in Salzburg, 2017
mosexualisierung« von Schulkindern warnen,                 völlig hemmungslos in einem Hirtenbrief Fol-
einem ebenfalls unter rechten Christ*innen                 gendes und stellte damit »Gender« auf eine
beliebten Phantasma, mit dem sie den Sexual-               Stufe mit dem Holocaust und dem Gulag:
kundeunterricht diskreditieren48.
                                                            »In unserer Zeit hat es bereits zwei besonders
Das Thema der »Homosexualisierung« wiede-                   teuflische Auseinandersetzungen zwischen Gott
rum ist unter rechten Christ*innen ein Teilas-              und Seinem und unserem Feind gegeben, den
pekt all dessen, was sie als »Genderideologie«              Nationalsozialismus und den Kommunismus, die
oder »Genderwahn« ausmachen. Dabei handelt                  unendlich viel Leid über die Menschen brach-
es sich um ein groteskes Aufbauschen. Tatsäch-              ten. Beide gründeten in gewaltigen Lügen über
lich ist das Thema differenziert zu sehen. Grob             Gott und die Menschen. Man hätte es bis vor
gesagt geht es beim »Gendermainstreaming«                   einigen Jahren nicht geglaubt, aber heute ist wie-
um den Abbau der Diskriminierung zu Lasten                  der eine grauenhafte Lüge groß und mächtig
von Frauen, bei der »Gender-Diversity« um sel-              geworden. Sie nennt sich Gender, sie greift die
bigen zu Lasten von nicht-heterosexuellen Men-              Menschen in ihrer Intimsphäre an.«49
schen. Gewiss kann man insoweit differen-
zierte Debatten führen, etwa zu Frauenquoten,              Wer den Begriff »Ethnopluralismus«, der die
zur Art und Weise des Sexualkundeunterrichts               dritte Säule des rechten Denkens verkörpert,
in Schulen oder zur Gendersprache. Daran                   zum ersten Mal vernimmt, könnte meinen,
aber hat das rechtschristliche Milieu kein In-             dabei handele es sich um »Diversity«-Vorstel-
teresse. Es diffamiert einfach alles, was in diese         lungen. Tatsächlich geht es um das glatte Ge-
Richtung geht, als »Genderideologie«. Und ist              genteil. Im Unterschied zum nationalsozialis-
dabei hemmungslos. So schrieb Andreas Laun,                tischen Konzept der Herrenrasse ersetzt der
                                                           »Ethnopluralismus« das Konzept der »Rasse«
                                                           semantisch durch »Kultur« und spricht sich
46 Gabriele Kuby, Christliche Prinzipien des politischen   dafür aus, dass sich Kulturen möglichst nicht
   Kampfes, fe-Medienverlag 2017, S. 22 f.
47 Ebenda, S. 9.
48 jungefreiheit.de/sonderthema/2007/auf-dem-
   weg-zum-neuen-menschen                                  49 www.kath.net/news/58970
22          LIANE BEDNARZ

     untereinander vermischen. Daraus folgen Pos-       Aus dem Ressentiment dem Islam gegenüber
     tulate wie die »Verteidigung des Eigenen«. Im      dürfte sich auch erklären, warum die im Herbst
     rechtschristlichen Diskurs führt dies vor allem    2014 gegründete Pegida-Bewegung, deren Ak-
     zu einer Ablehnung des Islams, der wahlweise       ronym für »Patriotische Europäer gegen die
     als »kulturfremd« oder »politische Ideologie«      Islamisierung des Abendlands« steht, von An-
     diffamiert wird. Demgemäß sprechen Oliver          fang an bei vielen strenggläubigen Christ*innen
     Hidalgo, Philipp W. Hildmann und Alexander         Sympathien und teilweise sogar Verteidigungs-
     Yendell in ihrer eingangs erwähnten Studie zu-     reflexe hervorrief. Vor allem deren Kampfbe-
     treffend davon, dass es stets darum gehe, »das     griff der angeblich drohenden »Islamisierung«
     ›Abendland« gegen ›Fremdgläubige‹ zu vertei-       war schon Jahre zuvor Thema in ultrakonser-
     digen und eine ausgrenzende, religiös-nationa-     vativen christlichen Milieus. Vor diesem Hin-
                                                        tergrund ist auch die oben beschriebene Ver-
                                                        teidigung der Pegida-Bewegung durch Helmut
                      Der Islam                         Matthies nicht weiter verwunderlich.
       wird als »­ kulturfremd«
                                                        Matthias Matussek wiederum echauffierte sich
             oder als »politische                       über die »Verurteilung der Pegida-Demonstra-
          ­Ideologie« diffamiert.                       tionen« durch Bundeskanzlerin Angela Merkel
                                                        in ihrer Neujahrsansprache zum Jahr 2015 und
                                                        nannte diese »überraschend undemokratisch«.
     listische Identität zu schaffen«. Statt zwischen   Im gleichen Atemzug attestierte er den Pegida-
     einem zu bekämpfenden Islamismus und dem           Kritiker*innen in »Politik und Presse« die »Ge-
     Islam als solchem zu unterscheiden, wird der       sinnung von HJ-Pöbel«50. Der ebenfalls gen
     Islam oftmals pauschal als »kulturfremd« abge-     rechts gedriftete katholische Pater Wolfgang
     lehnt. Christ*innen mit Rechtsdrall lehnen den     Ockenfels beklagte auf dem Portal »kath.net«
     Islam oftmals rundherum als gewissermaßen          eine »mediale Großoffensive gegen die Protest-
     falsche Religion ab und zeigen demgemäß kein       bewegung Pegida.51
     Interesse an einem Dialog mit Muslim*innen
     oder verwechseln diesen gar mit Synkretismus.      Als Fazit bleibt damit festzuhalten, dass es eine
     Nicht selten wird dem Islam sogar die Religions-   Fülle von Beispielen dafür gibt, wie gezielt die
     eigenschaft abgesprochen und behauptet, er sei     Neue Rechte es in den letzten Jahren unter-
     stattdessen eine »politische Ideologie«.           nommen und auch geschafft hat, ihre Ideen-
                                                        welten auch in einem Teil des christlichen
                                                        Bürgertums zu verankern.

                                                        50 meedia.de/2014/12/30/hj-poebeln-matthias-­
                                                           matussek-vergleicht-pegida-kritiker-mit- der-­
                                                           hitler-jugend/
                                                        51 www.kath.net/news/49362
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