AKTIVISTIN - Amnesty International Österreich
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AKTIVISTIN FRAUENRECHTE SIND MENSCHENRECHTE NETZWERK FRAUENRECHTE AMNESTY-INFO / SEPTEMBER 2014 ÄGYPTEN STUDENTINNEN IN HAFT 4 SEITE 3 S.O.S. EUROPA 6 IRAN EINGESCHÜCHTERT, AUS- 10 KOLUMBIEN SCHIKANEN UND MORD- DIE ABSCHOTTUNGSPOLITIK DER EU KOSTET MILLIARDEN GESCHLOSSEN, VERHAFTET: DROHUNGEN GEGEN UND GEFÄHRDET LEBEN STUDIERENDE UNTER DRUCK LANDRECHTSAKTIVISTINNEN
AKTIVISTIN NR. 131 / AMNESTY-NETZWERK FRAUENRECHTE SEPTEMBER 2014 Liebe Leser_innen und Unterstützer_innen! „Bringt das überhaupt was?“ Das ist wohl Handeln: Amnesty International mobilisiert die Frage, die Amnesty-Aktivist_innen am weltweit Menschen, die gemeinsam öffent- häufigsten zu hören bekommen, wenn sie lichen Druck aufbauen – mit Kund- an Infotischen oder bei Veranstaltungen gebungen, Aktionen, Benefizkonzerten Unterschriften sammeln. Nützt Ihre und Unterschriftensammlungen für Unterschrift auf einer Petition, Ihr persön- Petitionen. Appelle und Briefe zeigen den licher Appellbrief, Ihr E-Mail wirklich für Menschenrechtsverletzungen jemandem? Ein einziger Brief würde wohl Verantwortlichen, dass ihre Taten sehr wenig bewirken. Aber Amnesty-Unter- wohl gesehen und nicht hingenommen WEB stützer_innen agieren ja nicht allein. Wir werden. Gezielte Lobbyingaktivitäten bei http://frauenrechte.amnesty.at sind weltweit mehr als drei Millionen Regierungen, Botschaften und internatio- E-MAIL Menschen, die sich für die Menschen- nalen Organisationen gehören ebenfalls zu frauenrechte@amnesty.at rechte einsetzen.Und Briefe zu schreiben den wichtigen Aufgaben der Organisation. FACEBOOK ist nicht die einzige Aktivität, die unsere Verändern: In vielen Ländern der Welt hat amnestynetzwerkfrauenrechte Bewegung setzt. die Arbeit von Amnesty International Wir versuchen in vier Schritten, die Men- Wirkung gezeigt: Gewaltlose politische schenrechtssituation zu verbessern durch: Gefangene wurden freigelassen, Todes- SPENDENKONTO Aufdecken: Amnesty International deckt urteile umgewandelt, Folter und Miss- BIC: GIBAATWWXXX Menschenrechtsverletzungen auf und for- handlung gestoppt, unfaire Prozesse neu IBAN: AT142011100000316326 dert den Schutz der Menschenrechte ein. aufgerollt, Gesetze geändert, Straflosigkeit lautend auf Unser Netz von Beobachter_innen erstellt beendet... AMNESTY INTERNATIONAL sorgfältig recherchierte Berichte zur So verbessern wir gemeinsam die Men- ÖSTERREICH Menschenrechtslage in den Ländern der schenrechtssituation. Verwendungszweck Welt. Bitte lesen Sie dazu auch die aktuellen NETZWERK FRAUENRECHTE Informieren: Amnesty International stellt Erfolgsmeldungen auf der letzten Seite. diese Berichte einer breiten Öffentlichkeit, Und unterstützen Sie unsere Aktionen Privatpersonen und Regierungsver- weiter. Bitte schicken Sie die Appellbriefe treter_innen gleichermaßen zur Verfügung. ab. Sie wissen, Sie tun es nicht allein und So leisten wir Aufklärungsarbeit und Sie wissen auch, dass es „etwas bringt“. schaffen mehr Bewusstsein für die aktuel- N Ihr Amnesty-Netzwerk Frauenrechte IN AKTIO le Situation der Menschenrechte. SOLIDARITÄT MIT DEN MENSCHENRECHTSAKTIVIST_INNEN IM IRAN. Ihre seit Jahren ungebrochene Solidarität mit den Opfern von Menschenrechtsverletzungen und den Menschen/Frauenrechtsverteidiger_innen im Iran wollte das Netz- werk Frauenrechte erneut bekunden und lud Amnesty-Freund_innen zum Gruppentreffen mit Picknick am 4. Juli zum Gedenkplatz für die Men- schenrechte im Iran in den Donaupark ein. 2011 hatten das Netzwerk Frauenrechte und das Netzwerk gegen die Todesstrafe dort drei Bäume ge- pflanzt – gegen die Todesstrafe, für die politischen Gefangenen und für die Frauenrechte – und einen Gedenkstein für alle entrechteten Menschen im Iran gesetzt. S.O.S. EUROPA: FREILUFT-LESUNG VON FLÜCHTLINGSGESCHICHTEN. Anlässlich des Weltflüchtlingstages (20.6.) organisierte die Amnesty-Projektgruppe „Flucht und Migration“ einen Infostand zum Thema. Passant_innen hatten – wie bei Amnesty-Infotischen üblich – die Gelegenheit, Appelle an Regierungen in Europa und in anderen Ländern der Welt zu unterzeichnen. Flyer wur- den an Passant_innen verteilt und damit wieder Menschen auf den Info- stand aufmerksam gemacht. Ein besonderes Highlight war die Open-Air-Lesung, die auch auf hohes In- teresse der Passant_innen und Menschen in nahegelegenen Schanigärten stieß. SEITE 2
AKTIVISTIN NR. 131 / AMNESTY-NETZWERK FRAUENRECHTE SEPTEMBER 2014 S.O.S. EUROPA SICHERUNG DER GRENZEN WICHTIGER ALS RETTUNG VON LEBEN In die Abschottungspolitik und die Sicherung der Außengrenzen investiert die Europäische Union Milliarden von Euro und gefährdet damit Menschenleben. Zwischen 2007 und 2013 hat die Europäische fen, riskieren soge- Union fast zwei Milliarden Euro für den Bau nannte Push- von Zäunen, hochentwickelte Überwachungs- Backs, das heißt, systeme und Grenzkontrollen ausgegeben. Im sie werden einfach Gegensatz dazu wurden nur 700 Millionen Eu- zurückgeschickt. ro bereitgestellt, um die Situation von Flüchtlin- Amnesty Internatio- gen zu verbessern und das Asylverfahren aus- nal hat solche ille- zubauen. Der von Amnesty International veröf- galen Praktiken des fentlichte Bericht „The human cost of Fortress Grenzschutzes im Europe: Human rights violations against mi- aktuellen Bericht grants and refugees at Europe’s borders“ be- dokumentiert: So- legt, dass Flüchtlinge durch diese Politik in Le- wohl in Bulgarien bensgefahr gebracht und ihre Rechte massiv als auch in Grie- verletzt werden. chenland, wo diese Praxis weit verbreitet ist. „Der Nutzen der europäischen Abschottungs- Push-Backs verstoßen gegen internationales politik gegenüber Flüchtlingen ist mehr als Recht, weil Menschen so das Recht auf Asyl Mit der Kampagne S.O.S. Eu- fragwürdig. Völlig unkalkulierbar ist, welche verweigert wird. Bei Push-Backs wird in der ropa setzt sich Amnesty Inter- menschlichen Kosten eine solche Politik verur- Regel Gewalt angewendet, mitunter werden national dafür ein, die unbe- sacht. Dieser Preis wird auch noch von Men- auch Menschenleben gefährdet. Sie finden merkte Katastrophe an den schen bezahlt, die auf der Flucht und deshalb aber nicht nur an Europas südöstlichen Gren- Außengrenzen der Europäi- besonders verletzlich sind und unseres Schut- zen statt. Im Februar 2014 schoss die spani- schen Union zu beenden. Mi- zes bedürfen“, sagt John Dalhuisen, der bei sche Guardia Civil mit Gummigeschossen, grant_innen und Flüchtlinge Amnesty International zuständige Programm- Platzpatronen und Tränengas auf rund 250 Mi- riskieren buchstäblich alles – leiter für Europa und Zentralasien. grant_innen und Flüchtlinge, die aus Marokko sogar ihr Leben – für ein si- cheres Leben in Europa. Amnesty International kritisiert, dass die Euro- am Strand entlang nach Ceuta, der spanischen 2014 ergibt sich eine Möglich- päische Union mit Nachbarstaaten wie der Enklave in Nordafrika, schwimmen wollten. 14 keit, um die Asyl- und Migrati- Türkei, Marokko und auch Libyen kooperiert Menschen starben. 23 Menschen, die den onspolitik der Europäischen und sie finanziell unterstützt, damit diese eine Strand dennoch erreicht haben, wurden umge- Union zu verbessern. Zur Zeit Pufferzone bilden. So sollen Flüchtlinge daran hend zurückgeschickt, ohne Zugang zu einem diskutieren die Mitgliedsstaa- gehindert werden, überhaupt in die EU einzu- formalen Asylverfahren zu erhalten. ten über die zukünftigen Rah- reisen. Gleichzeitig verschließen die EU-Länder menbedingungen. Was jetzt die Augen vor den Menschenrechtsverletzun- AUF DEM MEER IN LEBENSGEFAHR. Die Hindernisse diskutiert und beschlossen gen in den Staaten, mit denen sie kooperieren. der Flüchtlinge auf dem Landweg erscheinen wird, beeinflusst alle weiteren „Die EU-Regierungen bezahlen die Nachbar- gering im Vergleich zu den Risiken der Men- Schritte in diesem Bereich bis länder dafür, dass sie die EU-Außengrenzen schen, die in Booten über das Mittelmeer nach 2019. Amnesty International für sie bewachen. Das Problem ist aber, dass Italien oder Griechenland kommen wollen. Je- fordert eine radikale Kehrtwen- de in der europäischen Flücht- in vielen dieser Transitländer Menschenrechte des Jahr sterben so Hunderte Flüchtlinge. lingspolitik. verletzt werden, besonders jene von Nach der Tragödie vor Lampedusa im vergan- Migrant_innen und Flüchtlingen. Sie haben be- gen Jahr, bei der 400 Menschen ums Leben ONLINE-APPELL reits ihr Heim und all ihren Besitz verloren und kamen, hat Italien das Such- und Rettungspro- an führende europäische werden auf der Flucht ausgebeutet und be- gramm «Operation Mare Nostrum» gestartet. Poltiker_innen droht und haben keine Chance auf ein ordent- So konnten seit dem Start im Oktober 2013 auf liches Asylverfahren“, so Dalhuisen. über 50.000 Menschen gerettet werden. www.amnesty.at Trotzdem starben allein in den ersten sechs ILLEGALE PUSH-BACKS. Flüchtlinge und Migrant Monaten dieses Jahres mehr als 200 Boots- Alle Fotos, wenn nicht gekenn- _innen, die es dennoch bis nach Europa schaf- flüchtlinge, Hunderte werden vermisst. zeichnet: Amnesty International SEITE 3
AKTIVISTIN NR. 131 / AMNESTY-NETZWERK FRAUENRECHTE SEPTEMBER 2014 ÄGYPTEN DREI FRIEDLICH DEMONSTRIERENDE STUDENTINNEN VERURTEILT Die ägyptischen Behörden haben drei Studentinnen aufgrund konstruierter Vorwürfe verurteilt. Die Frauen sind gewaltlose politische Gefangene und werden nur deshalb in Haft gehalten, weil sie ihre Rechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit friedlich wahrgenommen haben. Die 18-jährigen Studentinnen Abrar Al-Anany triktiven neuen Demonstrationsgesetz „ohne und Menatalla Moustafa und die 21-jährige Erlaubnis protestiert zu haben“, „sich rück- Lehrerin Yousra El Khateeb sind am 12. No- sichtslos verhalten zu haben“ und „öffentli- vember 2013 nach Zusammenstößen zwi- ches Eigentum zerstört zu haben“. Zudem schen Unterstützer_innen und Gegner_innen wurden ihnen vorgeworfen, die Sicherheits- der inzwischen verbotenen Muslimbruder- kräfte angegriffen zu haben. WERDEN SIE AKTIV! schaft auf dem Universitätscampus an der Die drei jungen Frauen wurden während der Schicken Sie den Appellbrief Mansoura-Universität festgenommen worden. Untersuchungshaft im Öffentlichen Gefängnis an Präsident Abdel Fattah Sie zählten zu mindestens 23 Studierenden, von Mansoura festgehalten und durften nur al-Sisi ab und fordern Sie die an diesem Tag festgenommen wurden. fünf Minuten pro Woche von ihren Familien die sofortige Freilassung der Nun wurden Abrar Al-Anany und Menatalla besucht werden. Studentinnen. Moustafa zu zwei Jahren, Yousra El Khateeb Sie wurden mit verurteilten Straftäterinnen wegen der angeblichen Teilnahme an einer festgehalten, die sie Berichten zufolge regel- früheren Demonstration zu sechs Jahren Haft mäßig schikanierten und einschüchterten und sie als Terroristinnen beschimpften. Nach An- gaben der Familie ist Menatalla Moustafa nicht bei guter Gesundheit: Sie leidet an Epi- lepsie und hatte mehrere Anfälle, einen Arzt hat sie jedoch nicht gesehen. Seit Februar sind die drei Frauen mehrere Male vor das Strafgericht von Mansoura ge- bracht worden. Das Gericht hat ihren Fall wie- derholt vertagt. Laut Zeug_innen und den Rechtsbeiständen hatten die drei Frauen an einer friedlichen De- monstration teilgenommen, sich aber umge- hend versteckt, als die Zusammenstöße be- gannen. Amnesty International konnte einen Brief der Sicherheitsabteilung der Universität einsehen, in dem steht, dass die Frauen nicht an den Ausschreitungen beteiligt waren und deshalb freigelassen werden sollten. Menatalla Moustafa, Abrar verurteilt. Das Urteil wurde in ihrer Abwese- DER HINTERGRUND. Die Zusammenstöße an der Al-Anany und Yousra Elkhateeb heit gefällt. Sie erfuhren erst vier Tage später Mansoura-Universität, zu denen es bei einer © privat davon, als ihre Angehörigen sie im Gefängnis Demonstration der studentischen Anhänger_ besuchten. innen der Muslimbruderschaft kam, dauerten Die Frauen wurden verurteilt, "einer verbote- fünf Stunden und führten zu mindestens 70 nen Organisation anzugehören, die terroristi- Verletzten. Nachdem der universitäre Sicher- sche Methoden einsetzt" - eine Anklage, die heitsdienst erfolglos versucht hatte, die Kon- regelmäßig gegen Menschen erhoben wird, trolle über die Situation zu erlangen, rief der die die Muslimbruderschaft unterstützen. Ih- Universitätspräsident die Sicherheitskräfte. Sie nen wird zudem vorgeworfen, unter dem res- kamen mit gepanzerten Fahrzeugen und setz- SEITE 4
AKTIVISTIN NR. 131 / AMNESTY-NETZWERK FRAUENRECHTE SEPTEMBER 2014 Möchten Sie unsere Appellaktionen gerne per E-Mail erhalten? Schreiben Sie an frauenrechte@amnesty.at Für Action & News – den Newsletter über Veranstaltungen, Aktivitäten und Aktionen von Amnesty International in Wien und Umgebung – melden Sie sich bitte an bei regionalteam.wien@amnesty.at ten Tränengas ein, um die Studierenden aus- rende sind laut Angaben der Vereinigung für einanderzutreiben. 23 Studierende wurden Gedanken- und Meinungsfreiheit bei Zusam- festgenommen, darunter auch die drei Frau- menstößen mit den Sicherheitskräften zu To- en. de gekommen. Die Gerichte haben mindes- Laut Zeug_innen und Rechtsbeiständen wa- tens drei Studierende der Al-Azhar-Universität ren die drei jungen Frauen nicht an den Zu- zu 18 Monaten bis 17 Jahren Gefängnis ver- sammenstößen beteiligt. Sie hatten sich zwar urteilt. an den friedlichen Protesten beteiligt, sich Ein neues Demonstrationsgesetz, das das dann aber in einen Raum der pharmazeuti- Recht auf Versammlungsfreiheit einschränkt schen Fakultät zurückgezogen, als die Zu- und von Interimspräsident Adly Mansour am sammenstöße begannen. Amnesty Internatio- 24. November 2013 unterzeichnet wurde, nal konnte ein Schreiben der Sicherheitsabtei- entspricht nicht den internationalen Stan- lung der Universität an den Staatsanwalt ein- dards. Es räumt dem Innenministerium weit- sehen, in dem steht, dass sie nicht an den reichende Ermessensspielräume bei Protes- Gewalttätigkeiten beteiligt waren und in dem ten ein. So ermöglicht es z. B. den Einsatz um ihre Freilassung gebeten wird. Nach ihrer von Schusswaffen gegen friedlich Protestie- Festnahme wurden die drei auf die Polizeiwa- rende. Wenn Protestierende eines Verstoßes che Menyat Al Nasr gebracht und dann in das gegen das Gesetz schuldig gesprochen wer- Öffentliche Gefängnis von Mansoura. Mena- den, drohen ihnen bis zu fünf Jahre Gefäng- talla Moustafa war zum Zeitpunkt ihrer Fest- nis und Geldstrafen in Höhe von 100.000 nahme erst 17 Jahre alt. Sie wurde dennoch ägyptischen Pfund (etwa 10.361 Euro). sowohl auf der Polizeiwache als auch im Ge- fängnis zusammen mit Erwachsenen festge- MASSENVERFAHREN GEGEN PROTESTIERENDE halten. Seit Semesterbeginn im September 2013 sind Vor einem Kairoer Gericht müssen sich 494 Mordes oder versuchten Mordes angeklagt - von den regierungsfeindlichen Aktivist_innen- Personen wegen ihrer angeblichen Beteili- Straftaten, die in Ägypten unter Todesstrafe gruppen „Studierende gegen den Staats- gung an gewalttätigen Protesten im August stehen. Die übrigen Anklagen reichen von streich“ mehrere Protestveranstaltungen auf 2013 verantworten. Es ist mit einer Mas- der „Zerstörung öffentlichen Eigentums“ Universitätsgeländen abgehalten worden. Uni- senverhängung von Todesurteilen zu rech- und „ungenehmigten Demonstrationen“ versitäts-campi und sogar Schlafräume sind nen. Zu den Angeklagten gehören auch elf über „Angriffe auf die Sicherheitskräfte“ häufig zum Austragungsort dieser Zusam- Kinder sowie der 18-jährige Ibrahim Hala- bis zur „Behinderung der Arbeit staatlicher menstöße geworden. wa, ein ägyptisch-irischer Staatsbürger, bei Institutionen“. dem es sich nach Auffassung von Amnesty Nach Einsicht der Gerichtsakten durch EXZESSIVE GEWALT. Universitäten in ganz Ägyp- International um einen gewaltlosen politi- Amnesty International handelt es sich bei ten sind von den Protesten und Zusammen- schen Gefangenen handelt. den meisten der über 100 Zeug_innen, de- stößen betroffen, darunter auch die zwei größ- Das Verfahren steht im Zusammenhang mit ren Aussagen in dem Verfahren gehört wer- ten Universitäten des Großraums Kairo, die Protesten am 16. und 17. August 2013 am den sollen, um Angehörige der Polizei oder Universität Kairo und die Ain Shams. Die Al- Ramses-Platz im Zentrum von Kairo. Min- Regierungsbehörden. Unter den 494 Ange- Azhar Universität ist ein weiteres Zentrum der destens 97 Personen kamen bei den Protes- klagten könnten sich weitere gewaltlose po- Studierendenunruhen. Die Sicherheitskräfte ten ums Leben, die meisten von ihnen we- litische Gefangene befinden, die allein we- haben exzessive Gewalt eingesetzt, darunter gen des rücksichtslosen Einsatzes von Ge- gen der friedlichen Ausübung ihrer Rechte auch tödliche Gewalt, um die Protestierenden walt durch die Sicherheitskräfte. Mehr als auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit auseinanderzutreiben. Mindestens 14 Studie- 400 der 494 Angeklagten wurden wegen inhaftiert wurden. SEITE 5
AKTIVISTIN NR. 131 / AMNESTY-NETZWERK FRAUENRECHTE SEPTEMBER 2014 IRAN EINGESCHÜCHTERT, AUSGESCHLOSSEN, VERHAFTET – STUDIERENDE UNTER DAUERNDEM DRUCK Studentischen Aktivist_innen wird an iranischen Unis das Leben schwer gemacht. Dasselbe gilt für kritische Dozierende, aber auch für Frauen und religiöse Minderheiten. Universitäre Curricula werden zudem zur Verhinderung „westlicher“ Einflüsse islamisiert. Der neue Bericht „Silenced, Expelled, Impri- DIE GEHEIMPOLIZEI AUF DEM CAMPUS. Die Behör- soned: Repression of students and acade- den hielten akademische Einrichtungen mit mics in Iran“ von Amnesty International be- eisernem Griff unter Kontrolle. Selbst die legt, wie in den vergangenen drei Jahrzehn- Staatssicherheit und die Geheimdienste wur- ten im Iran Studierende und AkademikerIn- den eingeschaltet, um Disziplinarverfahren nen wegen ihrer friedlichen Aktivitäten, ihrer an Unis zu überprüfen. Das akademische Le- Ansichten oder ihres Glaubens erbarmungs- ben wurde regelrecht abgewürgt. Für Gedan- los verfolgt, schikaniert und am Studieren ken- und Meinungsäusserungsfreiheit blieb oder Unterrichten gehindert wurden. Er zeigt an Irans Universitäten nicht mehr viel Platz. weiter auf, wie Frauen und religiöse Minder- Insbesondere nach der Wahl von Mahmoud Ahmedinejad im Jahr 2005 wurden akademi- sche Curricula zunehmend „islamisiert“. Massnahmen wurden eingeführt, um die Zahl der Frauen an Universitäten zu reduzie- ren – im Jahr 2002 waren mehr als die Hälfte der Studierenden an höheren Bildungsein- richtungen weiblich. Studierende, die den staatlich verordneten gesellschaftlichen und sozialen Sichtweisen nicht entsprachen, wur- den vorübergehend oder endgültig vom Stu- dium ausgeschlossen. PRÄSIDENT ROHANI GEFORDERT. Unter dem neu- en Präsidenten Hassan Rohani wurden zwar einige dieser Maßnahmen gelockert und manche der ausgeschlossenen Studierenden wieder zugelassen. Doch noch immer ist die akademische Freiheit mit vielen Einschrän- kungen belegt. Wiederkehrende „Islamisie- Seit Jahren gibt es Proteste an heiten im höheren Bildungssystem systema- rungswellen“ halten weiterhin viele Frauen den Universitäten. Demo der Stu- tisch diskriminiert werden. vom Studium ab, und auch religiöse Minder- dent_innen der Universität von „Iranische Universitäten galten lange Zeit als heiten wie die Baha’i werden am Studieren Teheran 2007. Brutstätte von Dissidenz“, erläutert Hassiba gehindert. © Islamic Student Association of Hadj Sahraoui, stellvertretende Leiterin des Amnesty International fordert die iranische Amir Kabir University Nahost- und Nordafrika-Programms von Regierung dringend auf, das Recht auf Bil- Amnesty International. „Entsprechend hart dung ohne Diskriminierung einzuhalten und griffen die iranischen Behörden durch – mit Chancengleichheit für alle zu gewähren. “Für einer Politik der Nulltoleranz gegen jegliche die iranische Regierung unter Präsident Ro- als abweichend wahrgenommene Stimme hani ist das ein wichtiger Test“, so Sahraoui. unter Studierenden oder Dozierenden. Es „Universitäten müssen endlich wieder die reichte schon, sich kritisch zu äußern oder Freiheiten erhalten, damit sie den Nährbo- oppositionelle Politiker zu unterstützen, um den für unabhängiges Denken und für die umgehend entlassen, verhaftet, gefoltert oder Meinungsäußerungsfreiheit bereitstellen kön- eingesperrt zu werden.“ nen.“ SEITE 6
AKTIVISTIN NR. 131 / AMNESTY-NETZWERK FRAUENRECHTE SEPTEMBER 2014 SCHIKANEN GEGEN STUDIERENDE FRAUEN: ZUGANGSBESCHRÄNKUNGEN UND STUDIENVERBOTE Trotz des in der Verfassung garantierten Gleichheitsgrundsatzes ist Diskriminierung von Frauen an iranischen Universitäten verbreitet. Frauen sollen in ihre Rolle als Hausfrau und Mutter zurückgedrängt werden. Zwischen 1989 und 2005 (dem Jahr der wicklung nicht, da diese im Widerspruch zur Wahl von Ahmadinejad zum Präsidenten) Rolle der Frau als Mutter und Ehefrau stehe. WERDEN SIE AKTIV! nahm die Zahl von Frauen an Universitäten Einige meinten, das trage zum Rückgang der Bitte schicken Sie den stark zu. Das ist umso bemerkenswerter, Geburtenrate bei. Andere meinten, Frauen Appelbrief an Ayatollah wenn man die starke Diskriminierung von würden nach dem Studienende heiraten und Sadegh Larijani (Oberste Frauen und Mädchen durch Gesetze und im Kinder bekommen und das erworbene Wis- Justizautorität) ab und Alltag bedenkt. So finden sich unter den Ent- sen nicht anwenden. Außerdem trage eine verlangen Sie die Freilas- scheidungsträger_innen in Exekutive und solche Studienrate bei Frauen zur hohen sung der inhaftierten Justiz kaum Frauen. Nur neun der 230 Sitze Männerarbeitslosigkeit bei. Student_innen. im Parlament sind von Frauen besetzt. 2005 wurden die Zugangsbeschränkungen Auch im „Council of Guardians“ (Wächter- wieder erhöht. So wurde die Geschlechter- rat), der die Verfassung interpretiert, gibt es trennung am Campus forciert. Verbote für keine Frauen. Zu Präsidentenwahlen wurde bestimmte Studien und Quoten bei anderen bisher keine Frau zugelassen. Studienrichtungen wurden eingeführt. Auch von diskriminierenden Gesetzen sind 2008 zeigte eine Studie, dass die hohen Stu- Frauen massiv betroffen. So gibt es keine Gleichstellung von Frauen im Familienrecht, wo Heirat, Scheidung, Obsorge und Erbrecht geregelt werden. 2013 trat ein neuer Straf- rechtskodex in Kraft. Seither zählt die Zeu- genaussage einer Frau nur mehr die Hälfte. Die Studentin Bahareh Hedayat – Das beim Tod einer Frau zu bezahlende seit 2009 in Haft – musste nach „Blutgeld“ ist nur halb so hoch wie bei Män- einer Operation im August wieder nern. Auch das Alter der Strafmündigkeit bei ins Gefängnis. Frauen ist viel niedriger. Außereheliche Be- © Campaign for Equality ziehungen sind weiterhin verboten. Ehebruch wird mit Steinigung bedroht; diese Strafe trifft überproportional oft Frauen. Während der Kulturrevolution wurde der Zu- gang von Frauen zu Universitäten be- schränkt. Bei 91 von 169 Studienrichtungen gab es ein Studienverbot. Bei anderen Studi- en gab es eine Quote. So lag der Frauenan- teil bei den Studien der Landwirtschaft und Veterinärmedizin nur bei 10 bis 20 Prozent (abhängig von der jeweiligen Universität). 1989 wurden die Beschränkungen teilweise aufgehoben. Die Zahl der Studentinnen stieg dentinnenzahlen zu massiven administrativen von 29,9 Prozent im Jahr 1986 auf annä- Problemen geführt haben, etwa durch Feh- hernd 59 Prozent 2007. 2008 sank sie wie- len von (Schlaf)Räumen für Frauen. Laut ei- der auf 51 Prozent. ner Studie wäre es auch zu fragwürdigen so- zialen und wirtschaftlichen Entwicklungen, ZURÜCK IN DIE FAMILIEN. Einflussreichen religiö- etwa der „Gender Balance“, am Arbeitsmarkt sen und politischen Führern gefiel diese Ent- gekommen. Die Studie führte auch Argu SEITE 7
AKTIVISTIN NR. 131 / AMNESTY-NETZWERK FRAUENRECHTE SEPTEMBER 2014 IRAN: SCHIKANEN GEGEN FRAUEN schlechtertrennungen. 2012 wurde ein Pa- pier zu nationalen Strategien und Maßnah- men zur Verhinderung des Sinkens der Ge- burtenrate veröffentlicht. Dieses propagierte ein „Lebensmodell zur Förderung von sozia- len Aktivitäten, Ausbildung und Beschäfti- gung von Frauen im Einklang mit islami- schen Grundsätzen und im Interesse der Fa- milie zum Zweck der kompletten Erfüllung der Rolle als Mutter und Ehefrau.” Das Pa- pier enthielt auch politische Aussagen zur Beschäftigung und Ausbildung von Frauen. Das Ausbildungssystem sollte das Bevölke- rungswachstum unterstützen. Der Stunden- plan sollte geändert werden, so dass Kurse mit Fokus auf Rolle und Status der Familie und die Rolle der Frau auf Grundlage der is- lamischen Kultur angeboten werden. Als Folge ersetzten Universitäten Kurse für Familienplanung durch Kurse zum Thema Familie, in denen es um Heirat, Partnerschaft und Kindererziehung ging. Das Gesundheits- ministerium bot ab Herbst 2013 keine Kurse über Familienplanung für verheiratete Paare mehr an. Medizinische Einrichtungen vertei- len seit 2012 keine kostenlose Verhütung mehr. mente gegen eine hohe Studienzahl bei Frauen an. Nationale Ressourcen würden KAMPAGNE FÜR DAS RECHT AUF BILDUNG. Trotz der vergeudet, ein Beitrag zur hohen Männerar- Zunahme an Repressionen und Druck auf beitslosigkeit geleistet werden. Die höheren FrauenrechtsaktivistInnen setzen diese ihre Erwartungen akademisch gebildeter verheira- Kampagnen für das Recht auf Bildung fort. teter Frauen führten zu höheren Scheidungs- Im März 2013 wurde bei Gericht eine Be- raten. Das Heiratsalter sei gestiegen, die Mo- schwerde gegen das Wissenschaftsministeri- ral jedoch gesunken. um und 36 Universitäten eingebracht. Darin Als Folge der Studie verschlechterten sich wird argumentiert, dass die Zugangsbe- wiederum die Zugangsbedingungen, wobei schränkungen für Frauen gegen iranische diese von Universität zu Universität unter- Gesetze und internationale Verträge versto- schiedlich waren. Insgesamt kam es zu einer ßen. Es wird gefordert, die Beschränkungen Zunahme an Studienverboten und Quoten. aufzuheben und betroffene Frauen zu ent- Ein Grund für diese Beschränkungen mag schädigen. auch das Sinken der Geburtenrate sein. Die Beschwerde liegt beim Verwaltungsge- richtshof, seither kann leider über keine wei- FRAUEN PROTESTIERTEN. An den Massenprotes- teren Entwicklungen berichtet werden. ten gegen die Wiederwahl Ahmadinejads nahmen auch viele Frauen teil. Auch die Pro- Den englischen Bericht „Silenced, Expelled, teste in Ägypten und Tunesien wurden von Imprisoned: Repression of students and Frauen unterstützt. Dem begegnete der Wis- academics in Iran“ finden Sie auf senschaftsminister 2012 mit stärkeren Ge- www.amnesty.org SEITE 8
AKTIVISTIN NR. 131 / AMNESTY-NETZWERK FRAUENRECHTE SEPTEMBER 2014 MOSAMBIK LEICHTE VERBESSERUNGEN IM NEUEN STRAFGESETZ Die Zivilgesellschaft in Mosambik setzt sich für zusätzliche Änderungen des Gesetzesentwurfs zum Schutz von Frauen ein. Eine leicht verbesserte Vorlage für ein neues setzen Mosambiks und den internationalen Strafgesetz wurde vom mosambikanischen Menschenrechtsverpflichtungen des Landes Parlament am 11. Juli verabschiedet. Der Ent- zusteht. wurf, der immer noch mit den Menschenrech- ten nicht vereinbare Absätze enthält, liegt nun DER HINTERGRUND. Das aktuelle Strafgesetzbuch dem Präsidenten zur Unterzeichnung vor. Mosambiks stammt aus dem Jahr 1886. Seit Mit Stand vom 21. August hatte der Staatsprä- 2010 wird über eine Überarbeitung des Ge- sident Mosambiks das neue Strafgesetz noch setzbuchs diskutiert. Im De- nicht unterzeichnet. Zahlreiche zivilgesell- zember 2012 wurde der Ge- schaftliche Organisationen versuchen den Prä- setzesentwurf durch das sidenten noch dazu zu bewegen, einige Be- Parlament angenommen. stimmungen des Strafgesetzbuchs abzuän- Dieser Entwurf enthielt je- dern. doch eine Reihe proble- matischer Paragrafen, die VERGEWALTIGER WERDEN ENDLICH BESTRAFT. Der Relikte des 19. Jahrhun- vom Parlament verabschiedete Gesetzentwurf derts waren. Dazu ge- enthält nicht mehr den umstrittenen Paragra- hörte auch jener Para- fen 223. Dieser Paragraf sah vor, dass Ankla- graf, der es Vergewaltigern ermög- gen wegen Vergewaltigung ausgesetzt werden, licht, der Strafverfolgung zu entgehen, wenn wenn die beschuldigte Person das mutmaßli- sie das Opfer heiraten. Im Zuge der Überprü- che Opfer heiratet. Somit können nach dem fung der strafrechtlichen Bestimmungen blieb jetzt vorliegenden Entwurf mutmaßliche Verge- dieser Paragraf in dem Entwurf stehen. Im De- waltiger der Strafverfolgung nicht mehr da- zember 2013 wurde dieser Entwurf des Straf- durch entgehen, dass sie das mutmaßliche gesetzbuchs vorläufig durch das Parlament Opfer heiraten. Eine weitere Bestimmung des bewilligt. neuen Strafgesetzbuchs enthält ebenfalls eine Aufgrund nationaler Lobbyarbeit und interna- leichte Verbesserung. Sexualstraftaten gegen tionalen Drucks erklärte die parlamentarische unter 16-Jährige führen nun automatisch zur Kommission für menschenrechtliche und ver- Strafverfolgung. Nach wie vor besorgniserre- fassungsrechtliche sowie andere rechtliche gend ist jedoch, dass Minderjährige im Alter Angelegenheiten am 20. März 2014 schließ- zwischen 16 und 18 Jahren diesen besonde- lich, dass der Paragraf, der Vergewaltiger vor ren rechtlichen Schutz nicht erhalten, und Strafverfolgung schützt, wenn sie die Vergewal- dass über 16-Jährige nach wie vor selbst An- tigte heiraten, aus dem Entwurf für ein neues zeige erstatten müssen, bevor eine strafrechtli- Strafgesetz gestrichen werden soll. che Verfolgung wegen einer Sexualstraftat ein- Der Vorsitzende der Kommission sagte, der geleitet wird. Entwurf für die Gesetzesreform werde im Par- Das Parlament hat einige Änderungsvorschlä- lament debattiert, der entsprechende Paragraf WERDEN SIE AKTIV! ge nicht in den Entwurf aufgenommen. Der sei in der Vorlage aber nicht mehr enthalten. Bitte schicken Sie den jetzige Entwurf bezieht sich in einer Bestim- Am 30. April debattierte die parlamentarische Appellbrief an die Parla- mung immer noch auf die Vergewaltigung von Kommission eine neue Version des Gesetzent- mentspräsidentin Verónica Minderjährigen, wobei mit Minderjährigen Kin- wurfs, in welcher der Paragraf 223 nicht mehr Nataniel Macamo Dlhovo der unter 12 Jahren gemeint sind. Damit auftaucht. ab und unterstützen Sie die nimmt man den Kindern zwischen zwölf und Die Zivilgesellschaft in Mosambik setzt sich Forderungen der Frauen- 18 Jahren, die Opfer von sexueller Nötigung nach wie vor für zusätzliche Änderungen des organisationen. geworden sind, den besonderen rechtlichen Gesetzesentwurfs ein. Schutz, der ihnen gemäß den nationalen Ge- SEITE 9
AKTIVISTIN NR. 131 / AMNESTY-NETZWERK FRAUENRECHTE SEPTEMBER 2014 KOLUMBIEN LANDRECHTSAKTIVISTINNEN BEDROHT Mehrere Mitglieder der Bäuerinnenvereinigung ASOMUPROCA erhielten Morddrohungen, weil sie die Rückgabe ihres Landes im Departamento Magdalena im Norden Kolumbiens fordern. Am 8. August nahm Sol Carranza als Vertreterin zehnten währenden bewaffneten Konflikts in der Vereinigung landwirtschaftlicher Erzeugerin- Kolumbien sind Millionen Hektar Land geraubt nen ASOMUPROCA (Asociación de Mujeres worden. Dies geschah häufig unter Einsatz von Productoras del Campo) an einem Treffen bei Gewalt gegen die rechtmäßigen Eigentümer_in- der staatlich geschaffenen Stelle UARIV (Uni- nen, insbesondere indigene, afrokolumbiani- dad para la Atención y Reparación Integral a las sche und kleinbäuerliche Gemeinschaften. Die Víctimas) in der Stadt Ciénaga im Departamen- verschiedenen Konfliktparteien – Paramilitärs to Magdalena teil. Während der Veranstaltung und Sicherheitskräfte, die entweder allein oder klingelte immer wieder ihr Telefon. Als sie im Einvernehmen miteinander agieren, sowie schließlich abnahm, wurde sie folgendermaßen Guerillagruppen – haben seit 1985 beinahe bedroht: „Wenn du auf diesem Land auf- sechs Millionen Menschen aus ihrem Zuhause tauchst, bringen wir dich um, denn ihr werdet vertrieben. dieses Land nicht kriegen.“ (Como te aparezcas Sprecher_innen der vertriebenen Gemeinschaf- por las tierras, te matamos porque ustedes no ten und Menschen, die sich für die Rückgabe van a recibir esas tierras). Sowohl Sol Carranza des gestohlenen Landes einsetzen, werden be- als auch andere Mitglieder von ASOMUPROCA droht und getötet, insbesondere seit das Gesetz sind in der Vergangenheit bereits mit dem Tode 1448 (Gesetz über die Landrückgabe und Ent- bedroht und eingeschüchtert worden. In den schädigung von Opfern) im Juni 2011 verab- vergangenen Monaten hat auch Mauris Herazo schiedet wurde und Anfang 2012 in Kraft trat. López, ebenfalls Mitglied von ASOMUPROCA, Dieses Gesetz erkennt den bewaffneten Konflikt Drohanrufe erhalten. Sie erhielt zum Teil bis zu im Land sowie die Rechte seiner Opfer an. Es 16 Anrufe pro Tag von derselben Nummer, von stellt für viele Überlebende von Menschen- der auch der Drohanruf an Sol Carranza getä- rechtsverletzungen eine Chance auf Wiedergut- tigt wurde. machung dar. Dies gilt auch bei Verstößen durch Angehörige der Behörden und beinhaltet LANDRÜCKGABE GEFORDERT. Die Mitglieder von u. a. auch die Möglichkeit der Landrückgabe. ASOMUPROCA fordern die Rückgabe des Doch viele andere Betroffene des Konflikts wer- Grundstücks Playones de Pivijay in der Ge- den von Entschädigungsforderungen ausge- meinde Pivijay im Departamento Magdalena. nommen, und weite Teile gestohlenen Landes Grundlage hierfür ist das Gesetz über die Land- werden möglicherweise nicht an die rechtmäßi- WERDEN SIE AKTIV! rückgabe und Entschädigung von Opfern (Ge- gen Eigentümer_innen zurückgegeben. Es fehlt Bitte schicken Sie den setz 1448). Am 27. Juni wurden 66 Mitglieder auch an Schutzmaßnahmen, um zu gewähr- Appellbrief an Präsident von ASOMUPROCA in das Register für gewalt- leisten, dass Menschen, die ihr Land zurücker- Juan Manuel Santos ab und sam enteignete und brachliegende Landflächen halten haben, nicht gezwungen werden, die verlangen Sie Schutz für (Registro de Tierras Despojadas y Abandonadas Kontrolle über dieses Land erneut an diejenigen die Mitglieder der Forzosamente – RTDAF) aufgenommen, was abzugeben, die sie zuvor vertrieben hatten. In Bäuerinnenvereinigung. ein wichtiger Schritt im Prozess der Landrück- der Vergangenheit sind einige derjenigen, die gabe ist. Weitere fünf Mitglieder warten noch für die Rückgabe von Land eintreten bzw. auf darauf, in das Register aufgenommen zu wer- ihre Ländereien zurückkehren wollten, bedroht den. Seit die Anliegen der Frauen durch die oder getötet worden; dies könnte die Umset- Aufnahme in das Register offiziell anerkannt zung des Gesetzes beeinträchtigen. wurden, werden ASOMUPROCA-Mitglieder zu- nehmend bedroht und eingeschüchtert. SPRECHERIN ERMORDET. Im Rahmen eines Pilot- projekts zur Verbesserung der Einkommenssi- DER HINTERGRUND. Im Laufe des bereits seit Jahr- tuation von Frauen erhielten 75 Mitglieder von SEITE 10
AKTIVISTIN NR. 131 / AMNESTY-NETZWERK FRAUENRECHTE SEPTEMBER 2014 ASOMUPROCA im Jahr 1996 das Grundstück nachdem im Januar 1999 eine ihrer Spreche- Playones de Pivijay. Dies geschah auf der rinnen, Luisa Borrero Celedon, und im Laufe Grundlage des Gesetzes 160 aus dem Jahr des Jahres noch weitere Mitglieder getötet wor- 1994, nach dem landlose Kleinbauern und - den waren. Auch nach ihrer Vertreibung wur- bäuerinnen Subventionen und Kredite in An- den die Frauen weiterhin bedroht. Am 20. Au- spruch nehmen können, um Land zu erwer- gust 2000 wurde Dora Camacho, die damalige ben. Als die Frauen das Land in Besitz nehmen rechtliche Vertreterin von ASOMUPROCA, in wollten, waren in der Gegend Guerillagruppen Ciénaga im Departamento Magdalena getötet. aktiv, und kurz danach begannen auch parami- Trotz anhaltender Drohungen und Einschüchte- litärische Gruppen, dort zu operieren. Diese be- rungsversuche reichten die Mitglieder von ASO- waffneten Gruppen kontrollierten das Gebiet MUPROCA im Juni 2013 auf der Grundlage und damit auch das Leben der ASOMUPRO- des Gesetzes 1448 einen Antrag auf Landrück- CA-Mitglieder. Die Frauen konnten ihren An- gabe ein. spruch auf das Land daher nie in vollem Um- Die Frauenrechtsorganisation Colectivo Mujeres fang geltend machen. Gegen Ende 1999 wur- al Derecho unterstützt die Mitglieder von ASO- den die Frauen von dem Land vertrieben, MUPROCA in dem Landrückgabeprozess. MEXIKO: SOLIDARITÄT MIT BÁRBARA ITALIA MÉNDEZ Bárbara Italia Méndez, die ehrenamtlich für eine Kinderhilfs- handelt wurden. Die Menschenrechtskommission wird in Kür- organisation arbeitete, machte sich am Abend des 3. Mai ze einen Bericht mit Empfehlungen an die mexikanische Re- 2006 von Mexiko-Stadt auf den Weg nach San Salvador Aten- gierung veröffentlichen. Wenn die Regierung den Empfehlun- co im Bundesstaat México, nachdem sie gehört hatte, dass gen nicht nachkommt, wird der Fall an den Inter-amerikani- dort bei Zusammenstößen zwischen Protestierenden und der schen Gerichtshof für Menschenrechte weitergeleitet. Weil der Polizei ein Kind getötet worden war. Bericht noch nicht vorliegt, sollen die mexikanischen Behör- Am Morgen des 4. Mai wurde sie in dem Haus, in dem sie den derzeit nicht direkt angeschrieben werden. übernachtet hatte, von Angehörigen der mexikanischen Bun- despolizei ohne Begründung festgenommen. Die Polizisten BITTE SCHREIBEN SIE KURZE NACHRICHTEN an Bárbara Italia Mén- zogen sie an den Haaren, zwangen sie dazu, sich hinzuho- dez, in denen Sie Ihre Unterstützung zum Ausdruck bringen. cken und schlugen auf sie ein. Bárbara Italia Méndez erlitt Vorschläge auf Spanisch und Deutsch: Kopfverletzungen und zahlreiche Prellungen. Mit über den Querida Bárbara: Kopf gezogener Bluse musste sie in ein Fahrzeug der bundes- Les apoyamos en su lucha digna por la justicia. Esperamos staatlichen Polizei einsteigen und sich auf mehrere weitere que pronto las autoridades reconozcan su responsabilidad Festgenommene legen. Während der Fahrt zum Gefängnis tanto por los hechos como por la impunidad y que pronto se wurde sie gezwungen, mehrere Kleidungsstücke auszuziehen. haga justicia. Dann schlugen Polizisten auf sie ein, bedrohten und vergewal- Abrazos de solidaridad y apoyo! tigten sie, wobei einige Polizisten ihre Kollegen anfeuerten. Liebe Barbara, Wir/ich unterstütze/n Ihren Kampf für Gerechtigkeit. Wir/ich KEINE GERECHTIGKEIT. Am 5. Mai wurde Bárbara Italia Méndez hoffe/n, dass die Behörden endlich ihre Verantwortung über- der Staatsanwaltschaft des Bundesstaates vorgeführt. Sie wei- nehmen und dafür sorgen, dass die Verantwortlichen für das, gerte sich, eine Aussage zu machen, da sie keinen Rechtsbei- was Ihnen angetan wurde, vor Gericht gestellt werden. stand hatte. Stattdessen versuchte sie, Anzeige wegen der Mit solidarischen Grüßen Vergewaltigung und Misshandlung zu erstatten. Diese wurde Die Menschenrechtsorganisation wird Ihre Nachricht an Bár- jedoch nicht aufgenommen. Auch die medizinischen Untersu- bara Italia Méndez weiterleiten: chungen waren unzureichend. Die Täter sind bis heute nicht Bárbara Italia Méndez vor Gericht gestellt worden. Derzeit beschäftigt sich díe Intera- c/o: Centro de Derechos Humanos Miguel Agustín Pro Juárez, merikanischen Menschenrechtskommission mit dem Fall von Serapio Rendón no.57/B Bárbara Italia Méndez und weiteren Frauen, die im Mai 2006 Col. San Rafael in San Salvador Atenco von Polizisten vergewaltigt und miss- C.P. 06470 / México D.F. / MEXIKO SEITE 11
AKTIVISTIN NR. 131 / AMNESTY-NETZWERK FRAUENRECHTE SEPTEMBER 2014 AFGHANISTAN „DEMOKRATIE IST DER GRÖSSTE ERFOLG FÜR FRAUEN.“ Zwei afghanische Frauenrechtsaktivistinnen sprachen in Wien über die Lage und die Perspektiven der Frauen in ihrem Land. Am 10.07.2014 fand im Vienna International können. So können sie über ihren Schmerz Center das Kolloquium „Perspektiven afgha- sprechen. nischer Frauen 2014 und danach“ statt. Farkhunda Zahra Naderi und Mahbouba Se- FRAUEN ERSTMALS IN DER POLITIK. Die Einführung raj, zwei bekannte afghanische Frauenrechts- der Demokratie ermöglichte, dass Frauen aktivistinnen, sprachen über die Situation af- heute in Verwaltung, Gesetzgebung und Jus- ghanischer Frauen. tiz arbeiten. Nur beim Obersten Gerichtshof Farkhunda Zahra Naderi wurde 1981 in Af- gibt es noch keine Frauen. Sie betonte, dass ghanistan geboren. Sie studierte in Großbrita- es sehr wichtig wäre, wenn auch dort Frauen nien und Taschkent, wo sie ihr Jurastudium vertreten wären. Der Oberste Gerichtshof ist abschloss. Seit 2010 ist sie Mitglied des af- der Machtfaktor in Afghanistan, da er das is- ghanischen Parlaments. lamische Recht interpretiert. Frau Naderi be- richtete, dass vor den Wahlen versprochen wurde, eine Richterin aufzunehmen. Diese würde das muslimische Recht aus dem Blick- winkel der Frauen interpretieren. Sie betonte, dass auf Grund der Demokratie erstmals Frauen in der Politik seien. Sie erzählte auch darüber, wie wichtig die psychologische Sicherheit für Frauen sei. Da- mit meinte sie, dass die Präsenz von Frauen in verschiedenen Gebieten bei den Frauen ein Gefühl der Sicherheit erzeugt. Das sei wichtig, da der afghanische Krieg ein psycho- logischer Krieg sei. Physische Präsenz und psychologische Sicherheit sind daher sehr wichtig. „Der politische Wechsel ist ein großer Erfolg für uns. Vor acht Monaten wurde noch darü- ber diskutiert, ob die Wahlen stattfinden wür- Frauen lassen sich für die Mahbouba Seraj wurde in Kabul geboren. den.“ Frau Naderi berichtete, dass es in den Wahl registrieren. Nach ihrem Universitätsabschluss in Kabul letzten beiden Jahren viel Panik gab, ob 2014 war sie nach dem Einmarsch der Sowjetunion tatsächlich gewählt würde. Es bestand die in Haft. Nach ihrer Entlassung ging sie in die Angst, dass das Erreichte wieder verloren ge- USA. 26 Jahre später, im Jahr 2003 kehrte hen könnte. Daher wurde hart gearbeitet, sie nach Afghanistan zurück. Seither kämpft dass das nicht eintraf. sie für die Rechte von Frauen. Sie ist Mitglied des „Afghanischen Frauennetzwerks“. Darü- DEMOKRATIE DEFINIEREN. Schwierig sei es für Af- ber hinaus entwickelte und präsentiert sie ghanistan aber zu definieren, was Demokratie „Unser geliebtes Afghanistan“, eine landes- sei. Es sei ein neues Konzept, das man erst weit ausgestrahlte Radiosendung, die sich mit erlernen müsse. „Die Opposition muss ler- dem Leben und den Herausforderungen af- nen, geduldig zu sein. Wenn sie fünf Jahre ghanischer Frauen beschäftigt. warten, dann kann sich durch die nächste Farkhunda Zahra Naderi betonte, dass der Wahl wieder etwas ändern. Sie muss das größte Erfolg für afghanische Frauen die De- Konzept von Regierung und Opposition ler- mokratie sei, da Frauen ihre Stimme erheben nen.“ SEITE 12
AKTIVISTIN NR. 131 / AMNESTY-NETZWERK FRAUENRECHTE SEPTEMBER 2014 Die Präsidentschaftswahl in Afghanistan 2014 Den Mädchen wird fand am 5. April 2014 statt. Der bisherige aber nur erlaubt, Amtsinhaber Hamid Karzai durfte nicht er- die ersten sechs neut kandidieren, da der Präsident sein Amt Klassen zu besu- nicht mehr als zwei Perioden innehaben darf. chen. Danach ver- Da keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang bieten es die Eltern. die absolute Mehrheit erreichte, fand am 14. Da gibt es Verbes- Juni 2014 eine Stichwahl zwischen den bei- serungsbedarf. den bestplatzierten Bewerbern Abdullah Ab- Sie berichtete auch dullah und Aschraf Ghani Ahmadsai statt. Vor darüber, dass für der zweiten Wahl gab es sehr viel Propaganda die Jugend nicht dafür, nicht hinzugehen. Die Bürger _innen viel getan werde. Es wählten dennoch. An der ersten Wahl nah- sei wichtig, Arbeits- men 36 Prozent teil. Bei der zweiten Wahl plätze zu schaffen, gab es eine Steigerung auf 38 Prozent. den Zugang zu Universitäten zu NADERIS APPELL AN DEN WESTEN: „Bitte lasst uns verbessern und sie die Stimmen von der letzten Wahl auszählen auch an der Politik und Demokratie lernen.“ teilhaben zu lassen. Sie meinte damit, dass es, selbst wenn vom Wichtig sei es Westen Unregelmäßigkeiten befürchtet wer- auch, die Drogen- Eine Straße in Kabul. den, wichtig wäre, die Stimmen auszuzählen sucht in Afghanistan zu bekämpfen. Der und das Ergebnis der Wahl anzuerkennen. Grund für die Sucht sei die Armut. Hätten die Sonst droht Chaos mit möglichem Verlust der Leute Arbeit, gäbe es das Problem nicht in Demokratie. diesem Ausmaß. Die Armut führt dazu, dass Mahbouba Seraj ist seit 25 Jahren Mitglied sich die Menschen beispielsweise im Krank- des afghanischen Frauennetzwerks. „Es ist heitsfall keine medizinische Betreuung leisten die hauptsächliche, wenn nicht einzige Platt- können. Daher nehmen sie ein wenig Opium form, wo Frauen ihre Stimme erheben kön- und werden so süchtig. Das sei ein soziales nen.“ Beim Abzug der internationalen Trup- Problem im Afghanistan. pen gab es Angst, es könnte das Ende für Af- ghanistan sein – insbesondere unter Frauen. HILFE, DIE WIR BRAUCHEN. „In den letzten 13 Sie berichtete, dass es seit drei Jahren einen Jahren gab es viele Erfolge und Herausforde- Report zur Lage der Frauen in Afghanistan rungen. Wir müssen an der fragilen Demokra- gäbe. In allen Provinzen wird beschrieben, tie festhalten. Bitte helft uns, diese zu stär- wie die Situation aussieht. Dabei geht es ins- ken. Aber gebt uns die Hilfe, die wir brau- besondere um Ausbildung, Gesundheit, Zu- chen und nicht jene, von der Ihr glaubt, dass gang zur Justiz, Bewegungsfreiheit, Sicherheit es das Richtige wäre. Fragt uns. Afghanistan und wirtschaftliche Selbständigkeit. Die Situa- sollte Teil der Staatengemeinschaft sein und tion der Frauen hat sich insgesamt verbes- nicht bloß eine Last.“ sert. In manchen Provinzen wurde sie leider Sie betonte, dass es ohne internationale Hilfe auch schlechter. wohl nicht ginge. „Ohne diese wären wir Als Beispiel brachte sie den Ausbildungssek- nicht, was wir sind. Es gibt nun Professorin- tor. Derzeit gehen 10 Millionen Mädchen in nen und Politikerinnen. Vor 2001 war Afgha- die Schule, was 40 Prozent der Mädchen ent- nistan ein sehr trauriger Ort.“ spricht. SEITE 13
AKTIVISTIN NR. 131 / AMNESTY-NETZWERK FRAUENRECHTE SEPTEMBER 2014 AFGHANISTAN / USA KEINE GERECHTIGKEIT FÜR DEN TOD VON TAUSENDEN ZIVILIST_INNEN Tausende zivile Opfer von NATO- und US-Einsätzen warten auf Gerechtigkeit. Kriegsverbrechen werden nicht aufgeklärt. Tausende Zivilpersonen sind in Afghanistan bei fenbar total ignoriert und die Täter nicht zur Re- Einsätzen der Nato und der USA ums Leben chenschaft gezogen.“ gekommen, doch in kaum einem Fall wurden In zwei konkreten Fällen haben die Amnesty- die Umstände rechtlich aufgeklärt. Auch offen- Recherchen erdrückende Beweise für Kriegs- sichtliche Kriegsverbrechen von US-Soldaten verbrechen zutage gefördert, für die bis heute wurden nicht geahndet. Ein neuer Amnesty-Be- niemand belangt wurde. Es handelt sich dabei richt dokumentiert zehn konkrete Fälle mit ins- einerseits um einen Angriff der Special Operati- gesamt über 140 zivilen Opfern. on Forces auf ein Haus in der Provinz Paktia Der Bericht „Left in the Dark“ dokumentiert in und andererseits um Vorkommnisse von Ver- erster Linie die Folgen von Luftschlägen und schwindenlassen, Folter und Tötungen in der nächtlichen Razzien der US-Armee zwischen Provinz Wardak zwischen November 2012 und 2009 und 2013. Amnesty beschreibt detailliert Februar 2013. „Wir fordern die USA dringend auf, die von uns dargestellte Fälle und alle andern, in denen Zi- vilpersonen getötet wurden, sofort zu untersu- chen“, so Richard Bennett. „Die Opfer und ihre Familien haben Gerechtigkeit verdient.“ VERSAGEN DER US-JUSTIZ. Formelle Strafuntersu- chungen zu Tötungen von Zivilpersonen in Af- ghanistan sind allgemein extrem selten. Amnes- ty International sind seit 2009 insgesamt ledig- lich sechs Fälle bekannt, in denen Angehörige der US-Streitkräfte vor Gericht gestellt wurden. „Die Militärjustiz der USA versagt fast immer, wenn es darum geht, mutmaßlichen Kriegsver- brechen nachzugehen“, stellt Richard Bennett fest. Tatsächlich ist das schlechte Funktionieren der US-Militärjustiz der Hauptgrund, warum Opfer keine Gerechtigkeit erhalten. Sie ist als eine Art polizeiliche Selbstkontrolle konzipiert, die sich in erster Linie auf das stützt, was Soldaten über Kinder beten am Grab ihrer um- zehn Fälle, in denen insgesamt über 140 Zivilis- das Vorgefallene aussagen. Mangels unabhän- gekommenen Angehörigen. ten ums Leben kamen, darunter Schwangere giger Untersuchungsinstanzen wird von Kom- und 50 Kinder. Für den Bericht interviewte mandanten und Soldaten erwartet, dass sie Amnesty 125 Zeuginnen, Zeugen und Angehö- selbst über potentielle Menschenrechtsverlet- rige von Opfern. Viele von ihnen sagten zum zungen Bericht erstatten. Der Interessenkonflikt ersten Mal aus. liegt auf der Hand. „In keinem der von uns untersuchten Fälle mit In den wenigen Fällen, in denen es überhaupt insgesamt über 140 zivilen Toten wurde auch zu einer Strafverfolgung kam, muss die Unab- nur ein Strafverfahren eingeleitet“, sagt Richard hängigkeit der amerikanischen Militärgerichte Bennett, Direktor für die Region Asien-Pazifik ernsthaft bezweifelt werden. Afghaninnen und von Amnesty International. „Selbst offensichtli- Afghanen werden zum Beispiel kaum je zu ei- che Hinweise auf Kriegsverbrechen wurden of- ner Zeugenaussage vor Gericht geladen. SEITE 14
AKTIVISTIN NR. 131 / AMNESTY-NETZWERK FRAUENRECHTE SEPTEMBER 2014 „Die US-Militärjustiz muss dringend von Grund auf reformiert werden“, betont Richard Ben- nett. „Die USA sollten sich andere Staaten zum Die 18-jährige Aqel Bibi verlor Vorbild nehmen, welche in den letzten Jahren bei einem US-Luftangriff ein enorme Fortschritte gemacht haben, was die Auge und hat noch Schrapnell- Zivilisierung der Militärjustiz angeht.“ splitter im Körper. AUCH KÜNFTIGE REGIERUNG IN DER PFLICHT. Amnesty International sieht auch die künftige afghani- sche Regierung in der Verantwortung: Sie muss bei künftigen Sicherheitsabkommen mit den Nato-Staaten sicherstellen, dass die ungesetzli- che Tötung von Zivilisten geahndet wird. „Aber auch für seine eigenen Streitkräfte muss Afgha- nistan ein funktionierendes Justizsystem auf- Wenn Zivilpersonen jedoch gezielt oder wahl- bauen, das Kriegsverbrechen effektiv unter- los, oder als Teil eines nicht verhältnismäßigen sucht und die Täter bestraft“, so Richard Ben- Angriffs getötet werden, muss der Vorfall umge- nett. hend, umfassend und unparteilich untersucht Gemäß den Regeln des humanitären Völker- werden. Wenn sich dabei herausstellt, dass ge- rechts (Kriegsvölkerrecht) bedeutet ein ziviles gen Kriegsrecht verstossen wurde, muss eine Opfer nicht in jedem Fall einen Rechtsbruch. Strafverfolgung eingeleitet werden. LEBENDIG BEGRABEN: ISOLATIONSHAFT IN DEN USA Die grausame Praxis der US-Regierung, Gefangene für ausgedehnte Das ADX Florence-Gefängnis hat Kapazitäten für 490 männliche In- und auf unbestimmte Zeit in Isolationshaft zu halten ist grausam, un- sassen. Die Gefangenen verbringen mindestens zwölf Monate in Isola- menschlich und erniedrigend und verstößt gegen internationales tionshaft, bevor erstmals die Möglichkeit einer Lockerung der Haftbe- Recht, sagt Amnesty International. Im im Juli veröffentlichten Bericht dingungen besteht. Eine Studie von Rechtsanwält_innen zeigt jedoch, „Entombed: Isolation in the US General Prison System“ werden die dass die Häftlinge im Schnitt 8,2 Jahre in Isolationshaft verbringen. Auswirkungen der harten Bedingungen im berüchtigtem US-Hochsi- Um sicher zu gehen, dass die Gefangenen keinen Kontakt mit anderen cherheitsgefängnis in der Nähe von Florence, Colorado, (United States Häftlingen haben können, werden sie zwischen 22 und 24 Stunden am Penitentiary, Administrative Maximum Facility, auch bekannt als ADX Tag in 3,5 x 2,5 Meter großen Zellen verwahrt, umgeben von dicken Florence) offengelegt. Mauern. Durch einen kleinen Fensterschlitz können sie den Himmel „Die Auswirkungen, die solche eine exzessive Anwendung der Isolati- oder eine Mauer erblicken. Ärztliche bzw. psychiatrische Visiten erfol- onshaft auf die mentale und physische Gesundheit der Gefangenen gen oft telefonisch. Im September 2013 erhängte sich ein psychisch hat, können gar nicht dramatisch genug geschildert werden. Diese ex- kranker Gefangener in seiner Zelle, nachdem er über ein Jahrzehnt in trem harten Maßnahmen werden hier tagtäglich und routinemäßig an- Isolationshaft verbrachte. Psychotische Symptome wurden scheinbar gewandt und das ist klar völkerrechtswidrig“, sagt Heinz Patzelt, Ge- noch wenige Tage vor dem Suizid ignoriert. neralsekretär von Amnesty International Österreich. Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Juan Mendez rief 2011 alle Der Report dokumentiert Fälle von Gefangenen, die sich in der Isolati- Staaten auf, Isolationshaft abzuschaffen. Lediglich in extremen Aus- onshaft in ADX Florence selbst verletzten oder Suizid begingen. Auch nahmefällen sei sie legitim, jedoch niemals bei Jugendlichen oder Angstzustände, Depressionen, Schlafstörungen, Bluthochdruck, Para- mental erkrankten Menschen. noia, Wahnvorstellungen und Psychosen sind Folgen der Isolations- Nun gibt es besorgniserregende Anzeichen dafür, dass die US-Regie- haft. rung die Isolationshaft in Bundesgefängnissen auszuweiten will. SEITE 15
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