AKTIVISTIN - Amnesty International Österreich

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AKTIVISTIN
FRAUENRECHTE SIND MENSCHENRECHTE
NETZWERK FRAUENRECHTE                                AMNESTY-INFO / SEPTEMBER 2014

                                            ÄGYPTEN
                                            STUDENTINNEN
                                            IN HAFT
                                                       4             SEITE

3 S.O.S. EUROPA 6               IRAN
                           EINGESCHÜCHTERT, AUS-
                                                      10 KOLUMBIEN
                                                       SCHIKANEN UND MORD-
DIE ABSCHOTTUNGSPOLITIK
DER EU KOSTET MILLIARDEN   GESCHLOSSEN, VERHAFTET:     DROHUNGEN GEGEN
UND GEFÄHRDET LEBEN        STUDIERENDE UNTER DRUCK     LANDRECHTSAKTIVISTINNEN
AKTIVISTIN NR. 131 / AMNESTY-NETZWERK FRAUENRECHTE                                                                   SEPTEMBER 2014

                                   Liebe Leser_innen und Unterstützer_innen!
                                   „Bringt das überhaupt was?“ Das ist wohl        Handeln: Amnesty International mobilisiert
                                   die Frage, die Amnesty-Aktivist_innen am        weltweit Menschen, die gemeinsam öffent-
                                   häufigsten zu hören bekommen, wenn sie          lichen Druck aufbauen – mit Kund-
                                   an Infotischen oder bei Veranstaltungen         gebungen, Aktionen, Benefizkonzerten
                                   Unterschriften sammeln. Nützt Ihre              und Unterschriftensammlungen für
                                   Unterschrift auf einer Petition, Ihr persön-    Petitionen. Appelle und Briefe zeigen den
                                   licher Appellbrief, Ihr E-Mail wirklich         für Menschenrechtsverletzungen
                                   jemandem? Ein einziger Brief würde wohl         Verantwortlichen, dass ihre Taten sehr
                                   wenig bewirken. Aber Amnesty-Unter-             wohl gesehen und nicht hingenommen
              WEB                  stützer_innen agieren ja nicht allein. Wir      werden. Gezielte Lobbyingaktivitäten bei
 http://frauenrechte.amnesty.at    sind weltweit mehr als drei Millionen           Regierungen, Botschaften und internatio-
             E-MAIL                Menschen, die sich für die Menschen-            nalen Organisationen gehören ebenfalls zu
   frauenrechte@amnesty.at         rechte einsetzen.Und Briefe zu schreiben        den wichtigen Aufgaben der Organisation.
            FACEBOOK               ist nicht die einzige Aktivität, die unsere     Verändern: In vielen Ländern der Welt hat
 amnestynetzwerkfrauenrechte       Bewegung setzt.                                 die Arbeit von Amnesty International
                                   Wir versuchen in vier Schritten, die Men-       Wirkung gezeigt: Gewaltlose politische
                                   schenrechtssituation zu verbessern durch:       Gefangene wurden freigelassen, Todes-
        SPENDENKONTO
                                   Aufdecken: Amnesty International deckt          urteile umgewandelt, Folter und Miss-
      BIC: GIBAATWWXXX             Menschenrechtsverletzungen auf und for-         handlung gestoppt, unfaire Prozesse neu
 IBAN: AT142011100000316326        dert den Schutz der Menschenrechte ein.         aufgerollt, Gesetze geändert, Straflosigkeit
          lautend auf              Unser Netz von Beobachter_innen erstellt        beendet...
    AMNESTY INTERNATIONAL          sorgfältig recherchierte Berichte zur           So verbessern wir gemeinsam die Men-
          ÖSTERREICH               Menschenrechtslage in den Ländern der           schenrechtssituation.
      Verwendungszweck             Welt.                                           Bitte lesen Sie dazu auch die aktuellen
   NETZWERK FRAUENRECHTE           Informieren: Amnesty International stellt       Erfolgsmeldungen auf der letzten Seite.
                                   diese Berichte einer breiten Öffentlichkeit,    Und unterstützen Sie unsere Aktionen
                                   Privatpersonen und Regierungsver-               weiter. Bitte schicken Sie die Appellbriefe
                                   treter_innen gleichermaßen zur Verfügung.       ab. Sie wissen, Sie tun es nicht allein und
                                   So leisten wir Aufklärungsarbeit und            Sie wissen auch, dass es „etwas bringt“.
                                   schaffen mehr Bewusstsein für die aktuel-
               N                                                                                  Ihr Amnesty-Netzwerk Frauenrechte

       IN AKTIO
                                   le Situation der Menschenrechte.

                                                         SOLIDARITÄT MIT DEN MENSCHENRECHTSAKTIVIST_INNEN IM IRAN. Ihre seit Jahren
                                                        ungebrochene Solidarität mit den Opfern von Menschenrechtsverletzungen
                                                        und den Menschen/Frauenrechtsverteidiger_innen im Iran wollte das Netz-
                                                        werk Frauenrechte erneut bekunden und lud Amnesty-Freund_innen zum
                                                        Gruppentreffen mit Picknick am 4. Juli zum Gedenkplatz für die Men-
                                                        schenrechte im Iran in den Donaupark ein. 2011 hatten das Netzwerk
                                                        Frauenrechte und das Netzwerk gegen die Todesstrafe dort drei Bäume ge-
                                                        pflanzt – gegen die Todesstrafe, für die politischen Gefangenen und für die
                                                        Frauenrechte – und einen Gedenkstein für alle entrechteten Menschen im
                                                        Iran gesetzt.

                                                        S.O.S. EUROPA: FREILUFT-LESUNG VON FLÜCHTLINGSGESCHICHTEN. Anlässlich des
                                                        Weltflüchtlingstages (20.6.) organisierte die Amnesty-Projektgruppe „Flucht
                                                        und Migration“ einen Infostand zum Thema. Passant_innen hatten – wie
                                                        bei Amnesty-Infotischen üblich – die Gelegenheit, Appelle an Regierungen
                                                        in Europa und in anderen Ländern der Welt zu unterzeichnen. Flyer wur-
                                                        den an Passant_innen verteilt und damit wieder Menschen auf den Info-
                                                        stand aufmerksam gemacht.
                                                        Ein besonderes Highlight war die Open-Air-Lesung, die auch auf hohes In-
                                                        teresse der Passant_innen und Menschen in nahegelegenen Schanigärten
                                                        stieß.

                                                             SEITE 2
AKTIVISTIN NR. 131 / AMNESTY-NETZWERK FRAUENRECHTE                                                                  SEPTEMBER 2014

S.O.S. EUROPA
SICHERUNG DER GRENZEN WICHTIGER ALS RETTUNG
VON LEBEN
In die Abschottungspolitik und die Sicherung der Außengrenzen investiert die Europäische Union Milliarden
von Euro und gefährdet damit Menschenleben.

Zwischen 2007 und 2013 hat die Europäische           fen, riskieren soge-
Union fast zwei Milliarden Euro für den Bau          nannte Push-
von Zäunen, hochentwickelte Überwachungs-            Backs, das heißt,
systeme und Grenzkontrollen ausgegeben. Im           sie werden einfach
Gegensatz dazu wurden nur 700 Millionen Eu-          zurückgeschickt.
ro bereitgestellt, um die Situation von Flüchtlin-   Amnesty Internatio-
gen zu verbessern und das Asylverfahren aus-         nal hat solche ille-
zubauen. Der von Amnesty International veröf-        galen Praktiken des
fentlichte Bericht „The human cost of Fortress       Grenzschutzes im
Europe: Human rights violations against mi-          aktuellen Bericht
grants and refugees at Europe’s borders“ be-         dokumentiert: So-
legt, dass Flüchtlinge durch diese Politik in Le-    wohl in Bulgarien
bensgefahr gebracht und ihre Rechte massiv           als auch in Grie-
verletzt werden.                                     chenland, wo diese Praxis weit verbreitet ist.
„Der Nutzen der europäischen Abschottungs-           Push-Backs verstoßen gegen internationales
politik gegenüber Flüchtlingen ist mehr als          Recht, weil Menschen so das Recht auf Asyl         Mit der Kampagne S.O.S. Eu-
fragwürdig. Völlig unkalkulierbar ist, welche        verweigert wird. Bei Push-Backs wird in der      ropa setzt sich Amnesty Inter-
menschlichen Kosten eine solche Politik verur-       Regel Gewalt angewendet, mitunter werden         national dafür ein, die unbe-
sacht. Dieser Preis wird auch noch von Men-          auch Menschenleben gefährdet. Sie finden         merkte Katastrophe an den
schen bezahlt, die auf der Flucht und deshalb        aber nicht nur an Europas südöstlichen Gren-     Außengrenzen der Europäi-
besonders verletzlich sind und unseres Schut-        zen statt. Im Februar 2014 schoss die spani-     schen Union zu beenden. Mi-
zes bedürfen“, sagt John Dalhuisen, der bei          sche Guardia Civil mit Gummigeschossen,          grant_innen und Flüchtlinge
Amnesty International zuständige Programm-           Platzpatronen und Tränengas auf rund 250 Mi-     riskieren buchstäblich alles –
leiter für Europa und Zentralasien.                  grant_innen und Flüchtlinge, die aus Marokko     sogar ihr Leben – für ein si-
                                                                                                      cheres Leben in Europa.
Amnesty International kritisiert, dass die Euro-     am Strand entlang nach Ceuta, der spanischen
                                                                                                      2014 ergibt sich eine Möglich-
päische Union mit Nachbarstaaten wie der             Enklave in Nordafrika, schwimmen wollten. 14
                                                                                                      keit, um die Asyl- und Migrati-
Türkei, Marokko und auch Libyen kooperiert           Menschen starben. 23 Menschen, die den           onspolitik der Europäischen
und sie finanziell unterstützt, damit diese eine     Strand dennoch erreicht haben, wurden umge-      Union zu verbessern. Zur Zeit
Pufferzone bilden. So sollen Flüchtlinge daran       hend zurückgeschickt, ohne Zugang zu einem       diskutieren die Mitgliedsstaa-
gehindert werden, überhaupt in die EU einzu-         formalen Asylverfahren zu erhalten.              ten über die zukünftigen Rah-
reisen. Gleichzeitig verschließen die EU-Länder                                                       menbedingungen. Was jetzt
die Augen vor den Menschenrechtsverletzun-           AUF DEM MEER IN LEBENSGEFAHR. Die Hindernisse    diskutiert und beschlossen
gen in den Staaten, mit denen sie kooperieren.       der Flüchtlinge auf dem Landweg erscheinen       wird, beeinflusst alle weiteren
„Die EU-Regierungen bezahlen die Nachbar-            gering im Vergleich zu den Risiken der Men-      Schritte in diesem Bereich bis
länder dafür, dass sie die EU-Außengrenzen           schen, die in Booten über das Mittelmeer nach    2019. Amnesty International
für sie bewachen. Das Problem ist aber, dass         Italien oder Griechenland kommen wollen. Je-     fordert eine radikale Kehrtwen-
                                                                                                      de in der europäischen Flücht-
in vielen dieser Transitländer Menschenrechte        des Jahr sterben so Hunderte Flüchtlinge.
                                                                                                      lingspolitik.
verletzt werden, besonders jene von                  Nach der Tragödie vor Lampedusa im vergan-
Migrant_innen und Flüchtlingen. Sie haben be-        gen Jahr, bei der 400 Menschen ums Leben              ONLINE-APPELL
reits ihr Heim und all ihren Besitz verloren und     kamen, hat Italien das Such- und Rettungspro-    an führende europäische
werden auf der Flucht ausgebeutet und be-            gramm «Operation Mare Nostrum» gestartet.             Poltiker_innen
droht und haben keine Chance auf ein ordent-         So konnten seit dem Start im Oktober 2013                   auf
liches Asylverfahren“, so Dalhuisen.                 über 50.000 Menschen gerettet werden.                 www.amnesty.at
                                                     Trotzdem starben allein in den ersten sechs
ILLEGALE PUSH-BACKS. Flüchtlinge und Migrant         Monaten dieses Jahres mehr als 200 Boots-         Alle Fotos, wenn nicht gekenn-
_innen, die es dennoch bis nach Europa schaf-        flüchtlinge, Hunderte werden vermisst.           zeichnet: Amnesty International

                                                                SEITE 3
AKTIVISTIN NR. 131 / AMNESTY-NETZWERK FRAUENRECHTE                                                                     SEPTEMBER 2014

ÄGYPTEN
DREI FRIEDLICH DEMONSTRIERENDE STUDENTINNEN
VERURTEILT
Die ägyptischen Behörden haben drei Studentinnen aufgrund konstruierter Vorwürfe verurteilt. Die
Frauen sind gewaltlose politische Gefangene und werden nur deshalb in Haft gehalten, weil sie ihre
Rechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit friedlich wahrgenommen haben.

                                    Die 18-jährigen Studentinnen Abrar Al-Anany        triktiven neuen Demonstrationsgesetz „ohne
                                    und Menatalla Moustafa und die 21-jährige          Erlaubnis protestiert zu haben“, „sich rück-
                                    Lehrerin Yousra El Khateeb sind am 12. No-         sichtslos verhalten zu haben“ und „öffentli-
                                    vember 2013 nach Zusammenstößen zwi-               ches Eigentum zerstört zu haben“. Zudem
                                    schen Unterstützer_innen und Gegner_innen          wurden ihnen vorgeworfen, die Sicherheits-
                                    der inzwischen verbotenen Muslimbruder-            kräfte angegriffen zu haben.
 WERDEN SIE AKTIV!                  schaft auf dem Universitätscampus an der           Die drei jungen Frauen wurden während der
 Schicken Sie den Appellbrief       Mansoura-Universität festgenommen worden.          Untersuchungshaft im Öffentlichen Gefängnis
  an Präsident Abdel Fattah         Sie zählten zu mindestens 23 Studierenden,         von Mansoura festgehalten und durften nur
  al-Sisi ab und fordern Sie        die an diesem Tag festgenommen wurden.             fünf Minuten pro Woche von ihren Familien
 die sofortige Freilassung der      Nun wurden Abrar Al-Anany und Menatalla            besucht werden.
         Studentinnen.              Moustafa zu zwei Jahren, Yousra El Khateeb         Sie wurden mit verurteilten Straftäterinnen
                                    wegen der angeblichen Teilnahme an einer           festgehalten, die sie Berichten zufolge regel-
                                    früheren Demonstration zu sechs Jahren Haft        mäßig schikanierten und einschüchterten und
                                                                                       sie als Terroristinnen beschimpften. Nach An-
                                                                                       gaben der Familie ist Menatalla Moustafa
                                                                                       nicht bei guter Gesundheit: Sie leidet an Epi-
                                                                                       lepsie und hatte mehrere Anfälle, einen Arzt
                                                                                       hat sie jedoch nicht gesehen.
                                                                                       Seit Februar sind die drei Frauen mehrere
                                                                                       Male vor das Strafgericht von Mansoura ge-
                                                                                       bracht worden. Das Gericht hat ihren Fall wie-
                                                                                       derholt vertagt.
                                                                                       Laut Zeug_innen und den Rechtsbeiständen
                                                                                       hatten die drei Frauen an einer friedlichen De-
                                                                                       monstration teilgenommen, sich aber umge-
                                                                                       hend versteckt, als die Zusammenstöße be-
                                                                                       gannen. Amnesty International konnte einen
                                                                                       Brief der Sicherheitsabteilung der Universität
                                                                                       einsehen, in dem steht, dass die Frauen nicht
                                                                                       an den Ausschreitungen beteiligt waren und
                                                                                       deshalb freigelassen werden sollten.

      Menatalla Moustafa, Abrar     verurteilt. Das Urteil wurde in ihrer Abwese-      DER HINTERGRUND. Die Zusammenstöße an der
 Al-Anany und Yousra Elkhateeb      heit gefällt. Sie erfuhren erst vier Tage später   Mansoura-Universität, zu denen es bei einer
                         © privat   davon, als ihre Angehörigen sie im Gefängnis       Demonstration der studentischen Anhänger_
                                    besuchten.                                         innen der Muslimbruderschaft kam, dauerten
                                    Die Frauen wurden verurteilt, "einer verbote-      fünf Stunden und führten zu mindestens 70
                                    nen Organisation anzugehören, die terroristi-      Verletzten. Nachdem der universitäre Sicher-
                                    sche Methoden einsetzt" - eine Anklage, die        heitsdienst erfolglos versucht hatte, die Kon-
                                    regelmäßig gegen Menschen erhoben wird,            trolle über die Situation zu erlangen, rief der
                                    die die Muslimbruderschaft unterstützen. Ih-       Universitätspräsident die Sicherheitskräfte. Sie
                                    nen wird zudem vorgeworfen, unter dem res-         kamen mit gepanzerten Fahrzeugen und setz-

                                                                  SEITE 4
AKTIVISTIN NR. 131 / AMNESTY-NETZWERK FRAUENRECHTE                                                                             SEPTEMBER 2014

                                                                   Möchten Sie unsere Appellaktionen gerne per E-Mail erhalten?
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                                                                       Für Action & News – den Newsletter über Veranstaltungen,
                                                                  Aktivitäten und Aktionen von Amnesty International in Wien und
                                                                                         Umgebung – melden Sie sich bitte an bei
                                                                                                 regionalteam.wien@amnesty.at

ten Tränengas ein, um die Studierenden aus-      rende sind laut Angaben der Vereinigung für
einanderzutreiben. 23 Studierende wurden         Gedanken- und Meinungsfreiheit bei Zusam-
festgenommen, darunter auch die drei Frau-       menstößen mit den Sicherheitskräften zu To-
en.                                              de gekommen. Die Gerichte haben mindes-
Laut Zeug_innen und Rechtsbeiständen wa-         tens drei Studierende der Al-Azhar-Universität
ren die drei jungen Frauen nicht an den Zu-      zu 18 Monaten bis 17 Jahren Gefängnis ver-
sammenstößen beteiligt. Sie hatten sich zwar     urteilt.
an den friedlichen Protesten beteiligt, sich     Ein neues Demonstrationsgesetz, das das
dann aber in einen Raum der pharmazeuti-         Recht auf Versammlungsfreiheit einschränkt
schen Fakultät zurückgezogen, als die Zu-        und von Interimspräsident Adly Mansour am
sammenstöße begannen. Amnesty Internatio-        24. November 2013 unterzeichnet wurde,
nal konnte ein Schreiben der Sicherheitsabtei-   entspricht nicht den internationalen Stan-
lung der Universität an den Staatsanwalt ein-    dards. Es räumt dem Innenministerium weit-
sehen, in dem steht, dass sie nicht an den       reichende Ermessensspielräume bei Protes-
Gewalttätigkeiten beteiligt waren und in dem     ten ein. So ermöglicht es z. B. den Einsatz
um ihre Freilassung gebeten wird. Nach ihrer     von Schusswaffen gegen friedlich Protestie-
Festnahme wurden die drei auf die Polizeiwa-     rende. Wenn Protestierende eines Verstoßes
che Menyat Al Nasr gebracht und dann in das      gegen das Gesetz schuldig gesprochen wer-
Öffentliche Gefängnis von Mansoura. Mena-        den, drohen ihnen bis zu fünf Jahre Gefäng-
talla Moustafa war zum Zeitpunkt ihrer Fest-     nis und Geldstrafen in Höhe von 100.000
nahme erst 17 Jahre alt. Sie wurde dennoch       ägyptischen Pfund (etwa 10.361 Euro).
sowohl auf der Polizeiwache als auch im Ge-
fängnis zusammen mit Erwachsenen festge-             MASSENVERFAHREN GEGEN PROTESTIERENDE
halten.
Seit Semesterbeginn im September 2013 sind           Vor einem Kairoer Gericht müssen sich 494      Mordes oder versuchten Mordes angeklagt -
von den regierungsfeindlichen Aktivist_innen-        Personen wegen ihrer angeblichen Beteili-      Straftaten, die in Ägypten unter Todesstrafe
gruppen „Studierende gegen den Staats-               gung an gewalttätigen Protesten im August      stehen. Die übrigen Anklagen reichen von
streich“ mehrere Protestveranstaltungen auf          2013 verantworten. Es ist mit einer Mas-       der „Zerstörung öffentlichen Eigentums“
Universitätsgeländen abgehalten worden. Uni-         senverhängung von Todesurteilen zu rech-       und „ungenehmigten Demonstrationen“
versitäts-campi und sogar Schlafräume sind           nen. Zu den Angeklagten gehören auch elf       über „Angriffe auf die Sicherheitskräfte“
häufig zum Austragungsort dieser Zusam-              Kinder sowie der 18-jährige Ibrahim Hala-      bis zur „Behinderung der Arbeit staatlicher
menstöße geworden.                                   wa, ein ägyptisch-irischer Staatsbürger, bei   Institutionen“.
                                                     dem es sich nach Auffassung von Amnesty        Nach Einsicht der Gerichtsakten durch
EXZESSIVE GEWALT. Universitäten in ganz Ägyp-        International um einen gewaltlosen politi-     Amnesty International handelt es sich bei
ten sind von den Protesten und Zusammen-             schen Gefangenen handelt.                      den meisten der über 100 Zeug_innen, de-
stößen betroffen, darunter auch die zwei größ-       Das Verfahren steht im Zusammenhang mit        ren Aussagen in dem Verfahren gehört wer-
ten Universitäten des Großraums Kairo, die           Protesten am 16. und 17. August 2013 am        den sollen, um Angehörige der Polizei oder
Universität Kairo und die Ain Shams. Die Al-         Ramses-Platz im Zentrum von Kairo. Min-        Regierungsbehörden. Unter den 494 Ange-
Azhar Universität ist ein weiteres Zentrum der       destens 97 Personen kamen bei den Protes-      klagten könnten sich weitere gewaltlose po-
Studierendenunruhen. Die Sicherheitskräfte           ten ums Leben, die meisten von ihnen we-       litische Gefangene befinden, die allein we-
haben exzessive Gewalt eingesetzt, darunter          gen des rücksichtslosen Einsatzes von Ge-      gen der friedlichen Ausübung ihrer Rechte
auch tödliche Gewalt, um die Protestierenden         walt durch die Sicherheitskräfte. Mehr als     auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit
auseinanderzutreiben. Mindestens 14 Studie-          400 der 494 Angeklagten wurden wegen           inhaftiert wurden.

                                                                SEITE 5
AKTIVISTIN NR. 131 / AMNESTY-NETZWERK FRAUENRECHTE                                                                     SEPTEMBER 2014

IRAN
EINGESCHÜCHTERT, AUSGESCHLOSSEN, VERHAFTET –
STUDIERENDE UNTER DAUERNDEM DRUCK
Studentischen Aktivist_innen wird an iranischen Unis das Leben schwer gemacht. Dasselbe gilt für
kritische Dozierende, aber auch für Frauen und religiöse Minderheiten. Universitäre Curricula werden
zudem zur Verhinderung „westlicher“ Einflüsse islamisiert.

                                      Der neue Bericht „Silenced, Expelled, Impri-      DIE GEHEIMPOLIZEI AUF DEM CAMPUS. Die Behör-
                                      soned: Repression of students and acade-          den hielten akademische Einrichtungen mit
                                      mics in Iran“ von Amnesty International be-       eisernem Griff unter Kontrolle. Selbst die
                                      legt, wie in den vergangenen drei Jahrzehn-       Staatssicherheit und die Geheimdienste wur-
                                      ten im Iran Studierende und AkademikerIn-         den eingeschaltet, um Disziplinarverfahren
                                      nen wegen ihrer friedlichen Aktivitäten, ihrer    an Unis zu überprüfen. Das akademische Le-
                                      Ansichten oder ihres Glaubens erbarmungs-         ben wurde regelrecht abgewürgt. Für Gedan-
                                      los verfolgt, schikaniert und am Studieren        ken- und Meinungsäusserungsfreiheit blieb
                                      oder Unterrichten gehindert wurden. Er zeigt      an Irans Universitäten nicht mehr viel Platz.
                                      weiter auf, wie Frauen und religiöse Minder-      Insbesondere nach der Wahl von Mahmoud
                                                                                        Ahmedinejad im Jahr 2005 wurden akademi-
                                                                                        sche Curricula zunehmend „islamisiert“.
                                                                                        Massnahmen wurden eingeführt, um die
                                                                                        Zahl der Frauen an Universitäten zu reduzie-
                                                                                        ren – im Jahr 2002 waren mehr als die Hälfte
                                                                                        der Studierenden an höheren Bildungsein-
                                                                                        richtungen weiblich. Studierende, die den
                                                                                        staatlich verordneten gesellschaftlichen und
                                                                                        sozialen Sichtweisen nicht entsprachen, wur-
                                                                                        den vorübergehend oder endgültig vom Stu-
                                                                                        dium ausgeschlossen.

                                                                                        PRÄSIDENT ROHANI GEFORDERT. Unter dem neu-
                                                                                        en Präsidenten Hassan Rohani wurden zwar
                                                                                        einige dieser Maßnahmen gelockert und
                                                                                        manche der ausgeschlossenen Studierenden
                                                                                        wieder zugelassen. Doch noch immer ist die
                                                                                        akademische Freiheit mit vielen Einschrän-
                                                                                        kungen belegt. Wiederkehrende „Islamisie-
Seit Jahren gibt es Proteste an       heiten im höheren Bildungssystem systema-         rungswellen“ halten weiterhin viele Frauen
den Universitäten. Demo der Stu-      tisch diskriminiert werden.                       vom Studium ab, und auch religiöse Minder-
dent_innen der Universität von         „Iranische Universitäten galten lange Zeit als   heiten wie die Baha’i werden am Studieren
Teheran 2007.                         Brutstätte von Dissidenz“, erläutert Hassiba      gehindert.
   © Islamic Student Association of
                                      Hadj Sahraoui, stellvertretende Leiterin des      Amnesty International fordert die iranische
              Amir Kabir University
                                      Nahost- und Nordafrika-Programms von              Regierung dringend auf, das Recht auf Bil-
                                      Amnesty International. „Entsprechend hart         dung ohne Diskriminierung einzuhalten und
                                      griffen die iranischen Behörden durch – mit       Chancengleichheit für alle zu gewähren. “Für
                                      einer Politik der Nulltoleranz gegen jegliche     die iranische Regierung unter Präsident Ro-
                                      als abweichend wahrgenommene Stimme               hani ist das ein wichtiger Test“, so Sahraoui.
                                      unter Studierenden oder Dozierenden. Es           „Universitäten müssen endlich wieder die
                                      reichte schon, sich kritisch zu äußern oder       Freiheiten erhalten, damit sie den Nährbo-
                                      oppositionelle Politiker zu unterstützen, um      den für unabhängiges Denken und für die
                                      umgehend entlassen, verhaftet, gefoltert oder     Meinungsäußerungsfreiheit bereitstellen kön-
                                      eingesperrt zu werden.“                           nen.“

                                                                   SEITE 6
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SCHIKANEN GEGEN STUDIERENDE FRAUEN:
ZUGANGSBESCHRÄNKUNGEN UND STUDIENVERBOTE
Trotz des in der Verfassung garantierten Gleichheitsgrundsatzes ist Diskriminierung von Frauen an
iranischen Universitäten verbreitet. Frauen sollen in ihre Rolle als Hausfrau und Mutter zurückgedrängt
werden.

Zwischen 1989 und 2005 (dem Jahr der                 wicklung nicht, da diese im Widerspruch zur
Wahl von Ahmadinejad zum Präsidenten)                Rolle der Frau als Mutter und Ehefrau stehe.       WERDEN SIE AKTIV!
nahm die Zahl von Frauen an Universitäten            Einige meinten, das trage zum Rückgang der         Bitte schicken Sie den
stark zu. Das ist umso bemerkenswerter,              Geburtenrate bei. Andere meinten, Frauen           Appelbrief an Ayatollah
wenn man die starke Diskriminierung von              würden nach dem Studienende heiraten und          Sadegh Larijani (Oberste
Frauen und Mädchen durch Gesetze und im              Kinder bekommen und das erworbene Wis-             Justizautorität) ab und
Alltag bedenkt. So finden sich unter den Ent-        sen nicht anwenden. Außerdem trage eine           verlangen Sie die Freilas-
scheidungsträger_innen in Exekutive und              solche Studienrate bei Frauen zur hohen             sung der inhaftierten
Justiz kaum Frauen. Nur neun der 230 Sitze           Männerarbeitslosigkeit bei.                            Student_innen.
im Parlament sind von Frauen besetzt.                2005 wurden die Zugangsbeschränkungen
Auch im „Council of Guardians“ (Wächter-             wieder erhöht. So wurde die Geschlechter-
rat), der die Verfassung interpretiert, gibt es      trennung am Campus forciert. Verbote für
keine Frauen. Zu Präsidentenwahlen wurde             bestimmte Studien und Quoten bei anderen
bisher keine Frau zugelassen.                        Studienrichtungen wurden eingeführt.
Auch von diskriminierenden Gesetzen sind             2008 zeigte eine Studie, dass die hohen Stu-
Frauen massiv betroffen. So gibt es keine
Gleichstellung von Frauen im Familienrecht,
wo Heirat, Scheidung, Obsorge und Erbrecht
geregelt werden. 2013 trat ein neuer Straf-
rechtskodex in Kraft. Seither zählt die Zeu-
genaussage einer Frau nur mehr die Hälfte.                                                          Die Studentin Bahareh Hedayat –
Das beim Tod einer Frau zu bezahlende                                                               seit 2009 in Haft – musste nach
„Blutgeld“ ist nur halb so hoch wie bei Män-                                                        einer Operation im August wieder
nern. Auch das Alter der Strafmündigkeit bei                                                        ins Gefängnis.
Frauen ist viel niedriger. Außereheliche Be-                                                                     © Campaign for Equality
ziehungen sind weiterhin verboten. Ehebruch
wird mit Steinigung bedroht; diese Strafe trifft
überproportional oft Frauen.
Während der Kulturrevolution wurde der Zu-
gang von Frauen zu Universitäten be-
schränkt. Bei 91 von 169 Studienrichtungen
gab es ein Studienverbot. Bei anderen Studi-
en gab es eine Quote. So lag der Frauenan-
teil bei den Studien der Landwirtschaft und
Veterinärmedizin nur bei 10 bis 20 Prozent
(abhängig von der jeweiligen Universität).
1989 wurden die Beschränkungen teilweise
aufgehoben. Die Zahl der Studentinnen stieg          dentinnenzahlen zu massiven administrativen
von 29,9 Prozent im Jahr 1986 auf annä-              Problemen geführt haben, etwa durch Feh-
hernd 59 Prozent 2007. 2008 sank sie wie-            len von (Schlaf)Räumen für Frauen. Laut ei-
der auf 51 Prozent.                                  ner Studie wäre es auch zu fragwürdigen so-
                                                     zialen und wirtschaftlichen Entwicklungen,
ZURÜCK IN DIE FAMILIEN. Einflussreichen religiö-     etwa der „Gender Balance“, am Arbeitsmarkt
sen und politischen Führern gefiel diese Ent-        gekommen. Die Studie führte auch Argu

                                                               SEITE 7
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IRAN: SCHIKANEN GEGEN FRAUEN

                                                                                 schlechtertrennungen. 2012 wurde ein Pa-
                                                                                 pier zu nationalen Strategien und Maßnah-
                                                                                 men zur Verhinderung des Sinkens der Ge-
                                                                                 burtenrate veröffentlicht. Dieses propagierte
                                                                                 ein „Lebensmodell zur Förderung von sozia-
                                                                                 len Aktivitäten, Ausbildung und Beschäfti-
                                                                                 gung von Frauen im Einklang mit islami-
                                                                                 schen Grundsätzen und im Interesse der Fa-
                                                                                 milie zum Zweck der kompletten Erfüllung
                                                                                 der Rolle als Mutter und Ehefrau.” Das Pa-
                                                                                 pier enthielt auch politische Aussagen zur
                                                                                 Beschäftigung und Ausbildung von Frauen.
                                                                                 Das Ausbildungssystem sollte das Bevölke-
                                                                                 rungswachstum unterstützen. Der Stunden-
                                                                                 plan sollte geändert werden, so dass Kurse
                                                                                 mit Fokus auf Rolle und Status der Familie
                                                                                 und die Rolle der Frau auf Grundlage der is-
                                                                                 lamischen Kultur angeboten werden.
                                                                                 Als Folge ersetzten Universitäten Kurse für
                                                                                 Familienplanung durch Kurse zum Thema
                                                                                 Familie, in denen es um Heirat, Partnerschaft
                                                                                 und Kindererziehung ging. Das Gesundheits-
                                                                                 ministerium bot ab Herbst 2013 keine Kurse
                                                                                 über Familienplanung für verheiratete Paare
                                                                                 mehr an. Medizinische Einrichtungen vertei-
                                                                                 len seit 2012 keine kostenlose Verhütung
                                                                                 mehr.
                                mente gegen eine hohe Studienzahl bei
                                Frauen an. Nationale Ressourcen würden
                                                                                 KAMPAGNE FÜR DAS RECHT AUF BILDUNG. Trotz der
                                vergeudet, ein Beitrag zur hohen Männerar-
                                                                                 Zunahme an Repressionen und Druck auf
                                beitslosigkeit geleistet werden. Die höheren
                                                                                 FrauenrechtsaktivistInnen setzen diese ihre
                                Erwartungen akademisch gebildeter verheira-
                                                                                 Kampagnen für das Recht auf Bildung fort.
                                teter Frauen führten zu höheren Scheidungs-
                                                                                 Im März 2013 wurde bei Gericht eine Be-
                                raten. Das Heiratsalter sei gestiegen, die Mo-
                                                                                 schwerde gegen das Wissenschaftsministeri-
                                ral jedoch gesunken.
                                                                                 um und 36 Universitäten eingebracht. Darin
                                Als Folge der Studie verschlechterten sich
                                                                                 wird argumentiert, dass die Zugangsbe-
                                wiederum die Zugangsbedingungen, wobei
                                                                                 schränkungen für Frauen gegen iranische
                                diese von Universität zu Universität unter-
                                                                                 Gesetze und internationale Verträge versto-
                                schiedlich waren. Insgesamt kam es zu einer
                                                                                 ßen. Es wird gefordert, die Beschränkungen
                                Zunahme an Studienverboten und Quoten.
                                                                                 aufzuheben und betroffene Frauen zu ent-
                                Ein Grund für diese Beschränkungen mag
                                                                                 schädigen.
                                auch das Sinken der Geburtenrate sein.
                                                                                 Die Beschwerde liegt beim Verwaltungsge-
                                                                                 richtshof, seither kann leider über keine wei-
                                FRAUEN PROTESTIERTEN. An den Massenprotes-
                                                                                 teren Entwicklungen berichtet werden.
                                ten gegen die Wiederwahl Ahmadinejads
                                nahmen auch viele Frauen teil. Auch die Pro-      Den englischen Bericht „Silenced, Expelled,
                                teste in Ägypten und Tunesien wurden von             Imprisoned: Repression of students and
                                Frauen unterstützt. Dem begegnete der Wis-                  academics in Iran“ finden Sie auf
                                senschaftsminister 2012 mit stärkeren Ge-                                   www.amnesty.org

                                                            SEITE 8
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MOSAMBIK
LEICHTE VERBESSERUNGEN IM NEUEN STRAFGESETZ
Die Zivilgesellschaft in Mosambik setzt sich für zusätzliche Änderungen des Gesetzesentwurfs zum
Schutz von Frauen ein.

Eine leicht verbesserte Vorlage für ein neues        setzen Mosambiks und den internationalen
Strafgesetz wurde vom mosambikanischen               Menschenrechtsverpflichtungen des Landes
Parlament am 11. Juli verabschiedet. Der Ent-        zusteht.
wurf, der immer noch mit den Menschenrech-
ten nicht vereinbare Absätze enthält, liegt nun      DER HINTERGRUND. Das aktuelle Strafgesetzbuch
dem Präsidenten zur Unterzeichnung vor.              Mosambiks stammt aus dem Jahr 1886. Seit
Mit Stand vom 21. August hatte der Staatsprä-        2010 wird über eine Überarbeitung des Ge-
sident Mosambiks das neue Strafgesetz noch           setzbuchs diskutiert. Im De-
nicht unterzeichnet. Zahlreiche zivilgesell-         zember 2012 wurde der Ge-
schaftliche Organisationen versuchen den Prä-        setzesentwurf durch das
sidenten noch dazu zu bewegen, einige Be-            Parlament angenommen.
stimmungen des Strafgesetzbuchs abzuän-              Dieser Entwurf enthielt je-
dern.                                                doch eine Reihe proble-
                                                     matischer Paragrafen, die
VERGEWALTIGER WERDEN ENDLICH BESTRAFT. Der           Relikte des 19. Jahrhun-
vom Parlament verabschiedete Gesetzentwurf           derts waren. Dazu ge-
enthält nicht mehr den umstrittenen Paragra-         hörte auch jener Para-
fen 223. Dieser Paragraf sah vor, dass Ankla-        graf, der es Vergewaltigern ermög-
gen wegen Vergewaltigung ausgesetzt werden,          licht, der Strafverfolgung zu entgehen, wenn
wenn die beschuldigte Person das mutmaßli-           sie das Opfer heiraten. Im Zuge der Überprü-
che Opfer heiratet. Somit können nach dem            fung der strafrechtlichen Bestimmungen blieb
jetzt vorliegenden Entwurf mutmaßliche Verge-        dieser Paragraf in dem Entwurf stehen. Im De-
waltiger der Strafverfolgung nicht mehr da-          zember 2013 wurde dieser Entwurf des Straf-
durch entgehen, dass sie das mutmaßliche             gesetzbuchs vorläufig durch das Parlament
Opfer heiraten. Eine weitere Bestimmung des          bewilligt.
neuen Strafgesetzbuchs enthält ebenfalls eine        Aufgrund nationaler Lobbyarbeit und interna-
leichte Verbesserung. Sexualstraftaten gegen         tionalen Drucks erklärte die parlamentarische
unter 16-Jährige führen nun automatisch zur          Kommission für menschenrechtliche und ver-
Strafverfolgung. Nach wie vor besorgniserre-         fassungsrechtliche sowie andere rechtliche
gend ist jedoch, dass Minderjährige im Alter         Angelegenheiten am 20. März 2014 schließ-
zwischen 16 und 18 Jahren diesen besonde-            lich, dass der Paragraf, der Vergewaltiger vor
ren rechtlichen Schutz nicht erhalten, und           Strafverfolgung schützt, wenn sie die Vergewal-
dass über 16-Jährige nach wie vor selbst An-         tigte heiraten, aus dem Entwurf für ein neues
zeige erstatten müssen, bevor eine strafrechtli-     Strafgesetz gestrichen werden soll.
che Verfolgung wegen einer Sexualstraftat ein-       Der Vorsitzende der Kommission sagte, der
geleitet wird.                                       Entwurf für die Gesetzesreform werde im Par-
Das Parlament hat einige Änderungsvorschlä-          lament debattiert, der entsprechende Paragraf       WERDEN SIE AKTIV!
ge nicht in den Entwurf aufgenommen. Der             sei in der Vorlage aber nicht mehr enthalten.       Bitte schicken Sie den
jetzige Entwurf bezieht sich in einer Bestim-        Am 30. April debattierte die parlamentarische      Appellbrief an die Parla-
mung immer noch auf die Vergewaltigung von           Kommission eine neue Version des Gesetzent-       mentspräsidentin Verónica
Minderjährigen, wobei mit Minderjährigen Kin-        wurfs, in welcher der Paragraf 223 nicht mehr      Nataniel Macamo Dlhovo
der unter 12 Jahren gemeint sind. Damit              auftaucht.                                        ab und unterstützen Sie die
nimmt man den Kindern zwischen zwölf und             Die Zivilgesellschaft in Mosambik setzt sich       Forderungen der Frauen-
18 Jahren, die Opfer von sexueller Nötigung          nach wie vor für zusätzliche Änderungen des             organisationen.
geworden sind, den besonderen rechtlichen            Gesetzesentwurfs ein.
Schutz, der ihnen gemäß den nationalen Ge-

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AKTIVISTIN NR. 131 / AMNESTY-NETZWERK FRAUENRECHTE                                                                 SEPTEMBER 2014

KOLUMBIEN
LANDRECHTSAKTIVISTINNEN BEDROHT
Mehrere Mitglieder der Bäuerinnenvereinigung ASOMUPROCA erhielten Morddrohungen, weil sie die
Rückgabe ihres Landes im Departamento Magdalena im Norden Kolumbiens fordern.

                                Am 8. August nahm Sol Carranza als Vertreterin     zehnten währenden bewaffneten Konflikts in
                                der Vereinigung landwirtschaftlicher Erzeugerin-   Kolumbien sind Millionen Hektar Land geraubt
                                nen ASOMUPROCA (Asociación de Mujeres              worden. Dies geschah häufig unter Einsatz von
                                Productoras del Campo) an einem Treffen bei        Gewalt gegen die rechtmäßigen Eigentümer_in-
                                der staatlich geschaffenen Stelle UARIV (Uni-      nen, insbesondere indigene, afrokolumbiani-
                                dad para la Atención y Reparación Integral a las   sche und kleinbäuerliche Gemeinschaften. Die
                                Víctimas) in der Stadt Ciénaga im Departamen-      verschiedenen Konfliktparteien – Paramilitärs
                                to Magdalena teil. Während der Veranstaltung       und Sicherheitskräfte, die entweder allein oder
                                klingelte immer wieder ihr Telefon. Als sie        im Einvernehmen miteinander agieren, sowie
                                schließlich abnahm, wurde sie folgendermaßen       Guerillagruppen – haben seit 1985 beinahe
                                bedroht: „Wenn du auf diesem Land auf-             sechs Millionen Menschen aus ihrem Zuhause
                                tauchst, bringen wir dich um, denn ihr werdet      vertrieben.
                                dieses Land nicht kriegen.“ (Como te aparezcas     Sprecher_innen der vertriebenen Gemeinschaf-
                                por las tierras, te matamos porque ustedes no      ten und Menschen, die sich für die Rückgabe
                                van a recibir esas tierras). Sowohl Sol Carranza   des gestohlenen Landes einsetzen, werden be-
                                als auch andere Mitglieder von ASOMUPROCA          droht und getötet, insbesondere seit das Gesetz
                                sind in der Vergangenheit bereits mit dem Tode     1448 (Gesetz über die Landrückgabe und Ent-
                                bedroht und eingeschüchtert worden. In den         schädigung von Opfern) im Juni 2011 verab-
                                vergangenen Monaten hat auch Mauris Herazo         schiedet wurde und Anfang 2012 in Kraft trat.
                                López, ebenfalls Mitglied von ASOMUPROCA,          Dieses Gesetz erkennt den bewaffneten Konflikt
                                Drohanrufe erhalten. Sie erhielt zum Teil bis zu   im Land sowie die Rechte seiner Opfer an. Es
                                16 Anrufe pro Tag von derselben Nummer, von        stellt für viele Überlebende von Menschen-
                                der auch der Drohanruf an Sol Carranza getä-       rechtsverletzungen eine Chance auf Wiedergut-
                                tigt wurde.                                        machung dar. Dies gilt auch bei Verstößen
                                                                                   durch Angehörige der Behörden und beinhaltet
                                LANDRÜCKGABE GEFORDERT. Die Mitglieder von         u. a. auch die Möglichkeit der Landrückgabe.
                                ASOMUPROCA fordern die Rückgabe des                Doch viele andere Betroffene des Konflikts wer-
                                Grundstücks Playones de Pivijay in der Ge-         den von Entschädigungsforderungen ausge-
                                meinde Pivijay im Departamento Magdalena.          nommen, und weite Teile gestohlenen Landes
                                Grundlage hierfür ist das Gesetz über die Land-    werden möglicherweise nicht an die rechtmäßi-
   WERDEN SIE AKTIV!            rückgabe und Entschädigung von Opfern (Ge-         gen Eigentümer_innen zurückgegeben. Es fehlt
     Bitte schicken Sie den     setz 1448). Am 27. Juni wurden 66 Mitglieder       auch an Schutzmaßnahmen, um zu gewähr-
   Appellbrief an Präsident     von ASOMUPROCA in das Register für gewalt-         leisten, dass Menschen, die ihr Land zurücker-
  Juan Manuel Santos ab und     sam enteignete und brachliegende Landflächen       halten haben, nicht gezwungen werden, die
   verlangen Sie Schutz für     (Registro de Tierras Despojadas y Abandonadas      Kontrolle über dieses Land erneut an diejenigen
       die Mitglieder der       Forzosamente – RTDAF) aufgenommen, was             abzugeben, die sie zuvor vertrieben hatten. In
    Bäuerinnenvereinigung.      ein wichtiger Schritt im Prozess der Landrück-     der Vergangenheit sind einige derjenigen, die
                                gabe ist. Weitere fünf Mitglieder warten noch      für die Rückgabe von Land eintreten bzw. auf
                                darauf, in das Register aufgenommen zu wer-        ihre Ländereien zurückkehren wollten, bedroht
                                den. Seit die Anliegen der Frauen durch die        oder getötet worden; dies könnte die Umset-
                                Aufnahme in das Register offiziell anerkannt       zung des Gesetzes beeinträchtigen.
                                wurden, werden ASOMUPROCA-Mitglieder zu-
                                nehmend bedroht und eingeschüchtert.               SPRECHERIN ERMORDET. Im Rahmen eines Pilot-
                                                                                   projekts zur Verbesserung der Einkommenssi-
                                DER HINTERGRUND. Im Laufe des bereits seit Jahr-   tuation von Frauen erhielten 75 Mitglieder von

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ASOMUPROCA im Jahr 1996 das Grundstück             nachdem im Januar 1999 eine ihrer Spreche-
Playones de Pivijay. Dies geschah auf der          rinnen, Luisa Borrero Celedon, und im Laufe
Grundlage des Gesetzes 160 aus dem Jahr            des Jahres noch weitere Mitglieder getötet wor-
1994, nach dem landlose Kleinbauern und -          den waren. Auch nach ihrer Vertreibung wur-
bäuerinnen Subventionen und Kredite in An-         den die Frauen weiterhin bedroht. Am 20. Au-
spruch nehmen können, um Land zu erwer-            gust 2000 wurde Dora Camacho, die damalige
ben. Als die Frauen das Land in Besitz nehmen      rechtliche Vertreterin von ASOMUPROCA, in
wollten, waren in der Gegend Guerillagruppen       Ciénaga im Departamento Magdalena getötet.
aktiv, und kurz danach begannen auch parami-       Trotz anhaltender Drohungen und Einschüchte-
litärische Gruppen, dort zu operieren. Diese be-   rungsversuche reichten die Mitglieder von ASO-
waffneten Gruppen kontrollierten das Gebiet        MUPROCA im Juni 2013 auf der Grundlage
und damit auch das Leben der ASOMUPRO-             des Gesetzes 1448 einen Antrag auf Landrück-
CA-Mitglieder. Die Frauen konnten ihren An-        gabe ein.
spruch auf das Land daher nie in vollem Um-        Die Frauenrechtsorganisation Colectivo Mujeres
fang geltend machen. Gegen Ende 1999 wur-          al Derecho unterstützt die Mitglieder von ASO-
den die Frauen von dem Land vertrieben,            MUPROCA in dem Landrückgabeprozess.

MEXIKO: SOLIDARITÄT MIT BÁRBARA ITALIA MÉNDEZ
Bárbara Italia Méndez, die ehrenamtlich für eine Kinderhilfs-       handelt wurden. Die Menschenrechtskommission wird in Kür-
organisation arbeitete, machte sich am Abend des 3. Mai             ze einen Bericht mit Empfehlungen an die mexikanische Re-
2006 von Mexiko-Stadt auf den Weg nach San Salvador Aten-           gierung veröffentlichen. Wenn die Regierung den Empfehlun-
co im Bundesstaat México, nachdem sie gehört hatte, dass            gen nicht nachkommt, wird der Fall an den Inter-amerikani-
dort bei Zusammenstößen zwischen Protestierenden und der            schen Gerichtshof für Menschenrechte weitergeleitet. Weil der
Polizei ein Kind getötet worden war.                                Bericht noch nicht vorliegt, sollen die mexikanischen Behör-
Am Morgen des 4. Mai wurde sie in dem Haus, in dem sie              den derzeit nicht direkt angeschrieben werden.
übernachtet hatte, von Angehörigen der mexikanischen Bun-
despolizei ohne Begründung festgenommen. Die Polizisten             BITTE SCHREIBEN SIE KURZE NACHRICHTEN an Bárbara Italia Mén-
zogen sie an den Haaren, zwangen sie dazu, sich hinzuho-            dez, in denen Sie Ihre Unterstützung zum Ausdruck bringen.
cken und schlugen auf sie ein. Bárbara Italia Méndez erlitt         Vorschläge auf Spanisch und Deutsch:
Kopfverletzungen und zahlreiche Prellungen. Mit über den            Querida Bárbara:
Kopf gezogener Bluse musste sie in ein Fahrzeug der bundes-         Les apoyamos en su lucha digna por la justicia. Esperamos
staatlichen Polizei einsteigen und sich auf mehrere weitere         que pronto las autoridades reconozcan su responsabilidad
Festgenommene legen. Während der Fahrt zum Gefängnis                tanto por los hechos como por la impunidad y que pronto se
wurde sie gezwungen, mehrere Kleidungsstücke auszuziehen.           haga justicia.
Dann schlugen Polizisten auf sie ein, bedrohten und vergewal-       Abrazos de solidaridad y apoyo!
tigten sie, wobei einige Polizisten ihre Kollegen anfeuerten.       Liebe Barbara,
                                                                    Wir/ich unterstütze/n Ihren Kampf für Gerechtigkeit. Wir/ich
KEINE GERECHTIGKEIT. Am 5. Mai wurde Bárbara Italia Méndez          hoffe/n, dass die Behörden endlich ihre Verantwortung über-
der Staatsanwaltschaft des Bundesstaates vorgeführt. Sie wei-       nehmen und dafür sorgen, dass die Verantwortlichen für das,
gerte sich, eine Aussage zu machen, da sie keinen Rechtsbei-        was Ihnen angetan wurde, vor Gericht gestellt werden.
stand hatte. Stattdessen versuchte sie, Anzeige wegen der           Mit solidarischen Grüßen
Vergewaltigung und Misshandlung zu erstatten. Diese wurde           Die Menschenrechtsorganisation wird Ihre Nachricht an Bár-
jedoch nicht aufgenommen. Auch die medizinischen Untersu-           bara Italia Méndez weiterleiten:
chungen waren unzureichend. Die Täter sind bis heute nicht          Bárbara Italia Méndez
vor Gericht gestellt worden. Derzeit beschäftigt sich díe Intera-   c/o: Centro de Derechos Humanos Miguel Agustín Pro Juárez,
merikanischen Menschenrechtskommission mit dem Fall von             Serapio Rendón no.57/B
Bárbara Italia Méndez und weiteren Frauen, die im Mai 2006          Col. San Rafael
in San Salvador Atenco von Polizisten vergewaltigt und miss-        C.P. 06470 / México D.F. / MEXIKO

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AFGHANISTAN
„DEMOKRATIE IST DER GRÖSSTE ERFOLG FÜR FRAUEN.“
Zwei afghanische Frauenrechtsaktivistinnen sprachen in Wien über die Lage und die Perspektiven der
Frauen in ihrem Land.

                                  Am 10.07.2014 fand im Vienna International        können. So können sie über ihren Schmerz
                                  Center das Kolloquium „Perspektiven afgha-        sprechen.
                                  nischer Frauen 2014 und danach“ statt.
                                  Farkhunda Zahra Naderi und Mahbouba Se-           FRAUEN ERSTMALS IN DER POLITIK. Die Einführung
                                  raj, zwei bekannte afghanische Frauenrechts-      der Demokratie ermöglichte, dass Frauen
                                  aktivistinnen, sprachen über die Situation af-    heute in Verwaltung, Gesetzgebung und Jus-
                                  ghanischer Frauen.                                tiz arbeiten. Nur beim Obersten Gerichtshof
                                  Farkhunda Zahra Naderi wurde 1981 in Af-          gibt es noch keine Frauen. Sie betonte, dass
                                  ghanistan geboren. Sie studierte in Großbrita-    es sehr wichtig wäre, wenn auch dort Frauen
                                  nien und Taschkent, wo sie ihr Jurastudium        vertreten wären. Der Oberste Gerichtshof ist
                                  abschloss. Seit 2010 ist sie Mitglied des af-     der Machtfaktor in Afghanistan, da er das is-
                                  ghanischen Parlaments.                            lamische Recht interpretiert. Frau Naderi be-
                                                                                    richtete, dass vor den Wahlen versprochen
                                                                                    wurde, eine Richterin aufzunehmen. Diese
                                                                                    würde das muslimische Recht aus dem Blick-
                                                                                    winkel der Frauen interpretieren.
                                                                                    Sie betonte, dass auf Grund der Demokratie
                                                                                    erstmals Frauen in der Politik seien.
                                                                                    Sie erzählte auch darüber, wie wichtig die
                                                                                    psychologische Sicherheit für Frauen sei. Da-
                                                                                    mit meinte sie, dass die Präsenz von Frauen
                                                                                    in verschiedenen Gebieten bei den Frauen
                                                                                    ein Gefühl der Sicherheit erzeugt. Das sei
                                                                                    wichtig, da der afghanische Krieg ein psycho-
                                                                                    logischer Krieg sei. Physische Präsenz und
                                                                                    psychologische Sicherheit sind daher sehr
                                                                                    wichtig.
                                                                                    „Der politische Wechsel ist ein großer Erfolg
                                                                                    für uns. Vor acht Monaten wurde noch darü-
                                                                                    ber diskutiert, ob die Wahlen stattfinden wür-
     Frauen lassen sich für die   Mahbouba Seraj wurde in Kabul geboren.            den.“ Frau Naderi berichtete, dass es in den
     Wahl registrieren.           Nach ihrem Universitätsabschluss in Kabul         letzten beiden Jahren viel Panik gab, ob 2014
                                  war sie nach dem Einmarsch der Sowjetunion        tatsächlich gewählt würde. Es bestand die
                                  in Haft. Nach ihrer Entlassung ging sie in die    Angst, dass das Erreichte wieder verloren ge-
                                  USA. 26 Jahre später, im Jahr 2003 kehrte         hen könnte. Daher wurde hart gearbeitet,
                                  sie nach Afghanistan zurück. Seither kämpft       dass das nicht eintraf.
                                  sie für die Rechte von Frauen. Sie ist Mitglied
                                  des „Afghanischen Frauennetzwerks“. Darü-         DEMOKRATIE DEFINIEREN. Schwierig sei es für Af-
                                  ber hinaus entwickelte und präsentiert sie        ghanistan aber zu definieren, was Demokratie
                                  „Unser geliebtes Afghanistan“, eine landes-       sei. Es sei ein neues Konzept, das man erst
                                  weit ausgestrahlte Radiosendung, die sich mit     erlernen müsse. „Die Opposition muss ler-
                                  dem Leben und den Herausforderungen af-           nen, geduldig zu sein. Wenn sie fünf Jahre
                                  ghanischer Frauen beschäftigt.                    warten, dann kann sich durch die nächste
                                  Farkhunda Zahra Naderi betonte, dass der          Wahl wieder etwas ändern. Sie muss das
                                  größte Erfolg für afghanische Frauen die De-      Konzept von Regierung und Opposition ler-
                                  mokratie sei, da Frauen ihre Stimme erheben       nen.“

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Die Präsidentschaftswahl in Afghanistan 2014      Den Mädchen wird
fand am 5. April 2014 statt. Der bisherige        aber nur erlaubt,
Amtsinhaber Hamid Karzai durfte nicht er-         die ersten sechs
neut kandidieren, da der Präsident sein Amt       Klassen zu besu-
nicht mehr als zwei Perioden innehaben darf.      chen. Danach ver-
Da keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang       bieten es die Eltern.
die absolute Mehrheit erreichte, fand am 14.      Da gibt es Verbes-
Juni 2014 eine Stichwahl zwischen den bei-        serungsbedarf.
den bestplatzierten Bewerbern Abdullah Ab-        Sie berichtete auch
dullah und Aschraf Ghani Ahmadsai statt. Vor      darüber, dass für
der zweiten Wahl gab es sehr viel Propaganda      die Jugend nicht
dafür, nicht hinzugehen. Die Bürger _innen        viel getan werde. Es
wählten dennoch. An der ersten Wahl nah-          sei wichtig, Arbeits-
men 36 Prozent teil. Bei der zweiten Wahl         plätze zu schaffen,
gab es eine Steigerung auf 38 Prozent.            den Zugang zu
                                                  Universitäten zu
NADERIS APPELL AN DEN WESTEN: „Bitte lasst uns    verbessern und sie
die Stimmen von der letzten Wahl auszählen        auch an der Politik
und Demokratie lernen.“                           teilhaben zu lassen.
Sie meinte damit, dass es, selbst wenn vom        Wichtig sei es
Westen Unregelmäßigkeiten befürchtet wer-         auch, die Drogen-
                                                                                                    Eine Straße in Kabul.
den, wichtig wäre, die Stimmen auszuzählen        sucht in Afghanistan zu bekämpfen. Der
und das Ergebnis der Wahl anzuerkennen.           Grund für die Sucht sei die Armut. Hätten die
Sonst droht Chaos mit möglichem Verlust der       Leute Arbeit, gäbe es das Problem nicht in
Demokratie.                                       diesem Ausmaß. Die Armut führt dazu, dass
Mahbouba Seraj ist seit 25 Jahren Mitglied        sich die Menschen beispielsweise im Krank-
des afghanischen Frauennetzwerks. „Es ist         heitsfall keine medizinische Betreuung leisten
die hauptsächliche, wenn nicht einzige Platt-     können. Daher nehmen sie ein wenig Opium
form, wo Frauen ihre Stimme erheben kön-          und werden so süchtig. Das sei ein soziales
nen.“ Beim Abzug der internationalen Trup-        Problem im Afghanistan.
pen gab es Angst, es könnte das Ende für Af-
ghanistan sein – insbesondere unter Frauen.       HILFE, DIE WIR BRAUCHEN. „In den letzten 13
Sie berichtete, dass es seit drei Jahren einen    Jahren gab es viele Erfolge und Herausforde-
Report zur Lage der Frauen in Afghanistan         rungen. Wir müssen an der fragilen Demokra-
gäbe. In allen Provinzen wird beschrieben,        tie festhalten. Bitte helft uns, diese zu stär-
wie die Situation aussieht. Dabei geht es ins-    ken. Aber gebt uns die Hilfe, die wir brau-
besondere um Ausbildung, Gesundheit, Zu-          chen und nicht jene, von der Ihr glaubt, dass
gang zur Justiz, Bewegungsfreiheit, Sicherheit    es das Richtige wäre. Fragt uns. Afghanistan
und wirtschaftliche Selbständigkeit. Die Situa-   sollte Teil der Staatengemeinschaft sein und
tion der Frauen hat sich insgesamt verbes-        nicht bloß eine Last.“
sert. In manchen Provinzen wurde sie leider       Sie betonte, dass es ohne internationale Hilfe
auch schlechter.                                  wohl nicht ginge. „Ohne diese wären wir
Als Beispiel brachte sie den Ausbildungssek-      nicht, was wir sind. Es gibt nun Professorin-
tor. Derzeit gehen 10 Millionen Mädchen in        nen und Politikerinnen. Vor 2001 war Afgha-
die Schule, was 40 Prozent der Mädchen ent-       nistan ein sehr trauriger Ort.“
spricht.

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AFGHANISTAN / USA
KEINE GERECHTIGKEIT FÜR DEN TOD VON TAUSENDEN
ZIVILIST_INNEN
Tausende zivile Opfer von NATO- und US-Einsätzen warten auf Gerechtigkeit. Kriegsverbrechen werden nicht
aufgeklärt.

                                 Tausende Zivilpersonen sind in Afghanistan bei      fenbar total ignoriert und die Täter nicht zur Re-
                                 Einsätzen der Nato und der USA ums Leben            chenschaft gezogen.“
                                 gekommen, doch in kaum einem Fall wurden            In zwei konkreten Fällen haben die Amnesty-
                                 die Umstände rechtlich aufgeklärt. Auch offen-      Recherchen erdrückende Beweise für Kriegs-
                                 sichtliche Kriegsverbrechen von US-Soldaten         verbrechen zutage gefördert, für die bis heute
                                 wurden nicht geahndet. Ein neuer Amnesty-Be-        niemand belangt wurde. Es handelt sich dabei
                                 richt dokumentiert zehn konkrete Fälle mit ins-     einerseits um einen Angriff der Special Operati-
                                 gesamt über 140 zivilen Opfern.                     on Forces auf ein Haus in der Provinz Paktia
                                 Der Bericht „Left in the Dark“ dokumentiert in      und andererseits um Vorkommnisse von Ver-
                                 erster Linie die Folgen von Luftschlägen und        schwindenlassen, Folter und Tötungen in der
                                 nächtlichen Razzien der US-Armee zwischen           Provinz Wardak zwischen November 2012 und
                                 2009 und 2013. Amnesty beschreibt detailliert       Februar 2013.
                                                                                     „Wir fordern die USA dringend auf, die von uns
                                                                                     dargestellte Fälle und alle andern, in denen Zi-
                                                                                     vilpersonen getötet wurden, sofort zu untersu-
                                                                                     chen“, so Richard Bennett. „Die Opfer und ihre
                                                                                     Familien haben Gerechtigkeit verdient.“

                                                                                     VERSAGEN DER US-JUSTIZ. Formelle Strafuntersu-
                                                                                     chungen zu Tötungen von Zivilpersonen in Af-
                                                                                     ghanistan sind allgemein extrem selten. Amnes-
                                                                                     ty International sind seit 2009 insgesamt ledig-
                                                                                     lich sechs Fälle bekannt, in denen Angehörige
                                                                                     der US-Streitkräfte vor Gericht gestellt wurden.
                                                                                     „Die Militärjustiz der USA versagt fast immer,
                                                                                     wenn es darum geht, mutmaßlichen Kriegsver-
                                                                                     brechen nachzugehen“, stellt Richard Bennett
                                                                                     fest.
                                                                                     Tatsächlich ist das schlechte Funktionieren der
                                                                                     US-Militärjustiz der Hauptgrund, warum Opfer
                                                                                     keine Gerechtigkeit erhalten. Sie ist als eine Art
                                                                                     polizeiliche Selbstkontrolle konzipiert, die sich in
                                                                                     erster Linie auf das stützt, was Soldaten über
Kinder beten am Grab ihrer um-   zehn Fälle, in denen insgesamt über 140 Zivilis-    das Vorgefallene aussagen. Mangels unabhän-
gekommenen Angehörigen.          ten ums Leben kamen, darunter Schwangere            giger Untersuchungsinstanzen wird von Kom-
                                 und 50 Kinder. Für den Bericht interviewte          mandanten und Soldaten erwartet, dass sie
                                 Amnesty 125 Zeuginnen, Zeugen und Angehö-           selbst über potentielle Menschenrechtsverlet-
                                 rige von Opfern. Viele von ihnen sagten zum         zungen Bericht erstatten. Der Interessenkonflikt
                                 ersten Mal aus.                                     liegt auf der Hand.
                                 „In keinem der von uns untersuchten Fälle mit       In den wenigen Fällen, in denen es überhaupt
                                 insgesamt über 140 zivilen Toten wurde auch         zu einer Strafverfolgung kam, muss die Unab-
                                 nur ein Strafverfahren eingeleitet“, sagt Richard   hängigkeit der amerikanischen Militärgerichte
                                 Bennett, Direktor für die Region Asien-Pazifik      ernsthaft bezweifelt werden. Afghaninnen und
                                 von Amnesty International. „Selbst offensichtli-    Afghanen werden zum Beispiel kaum je zu ei-
                                 che Hinweise auf Kriegsverbrechen wurden of-        ner Zeugenaussage vor Gericht geladen.

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„Die US-Militärjustiz muss dringend von Grund
auf reformiert werden“, betont Richard Ben-
nett. „Die USA sollten sich andere Staaten zum                                                                       Die 18-jährige Aqel Bibi verlor
Vorbild nehmen, welche in den letzten Jahren                                                                         bei einem US-Luftangriff ein
enorme Fortschritte gemacht haben, was die                                                                           Auge und hat noch Schrapnell-
Zivilisierung der Militärjustiz angeht.“                                                                             splitter im Körper.

AUCH KÜNFTIGE REGIERUNG IN DER PFLICHT. Amnesty
International sieht auch die künftige afghani-
sche Regierung in der Verantwortung: Sie muss
bei künftigen Sicherheitsabkommen mit den
Nato-Staaten sicherstellen, dass die ungesetzli-
che Tötung von Zivilisten geahndet wird. „Aber
auch für seine eigenen Streitkräfte muss Afgha-
nistan ein funktionierendes Justizsystem auf-            Wenn Zivilpersonen jedoch gezielt oder wahl-
bauen, das Kriegsverbrechen effektiv unter-              los, oder als Teil eines nicht verhältnismäßigen
sucht und die Täter bestraft“, so Richard Ben-           Angriffs getötet werden, muss der Vorfall umge-
nett.                                                    hend, umfassend und unparteilich untersucht
Gemäß den Regeln des humanitären Völker-                 werden. Wenn sich dabei herausstellt, dass ge-
rechts (Kriegsvölkerrecht) bedeutet ein ziviles          gen Kriegsrecht verstossen wurde, muss eine
Opfer nicht in jedem Fall einen Rechtsbruch.             Strafverfolgung eingeleitet werden.

 LEBENDIG BEGRABEN: ISOLATIONSHAFT IN DEN USA
 Die grausame Praxis der US-Regierung, Gefangene für ausgedehnte          Das ADX Florence-Gefängnis hat Kapazitäten für 490 männliche In-
 und auf unbestimmte Zeit in Isolationshaft zu halten ist grausam, un-    sassen. Die Gefangenen verbringen mindestens zwölf Monate in Isola-
 menschlich und erniedrigend und verstößt gegen internationales           tionshaft, bevor erstmals die Möglichkeit einer Lockerung der Haftbe-
 Recht, sagt Amnesty International. Im im Juli veröffentlichten Bericht   dingungen besteht. Eine Studie von Rechtsanwält_innen zeigt jedoch,
 „Entombed: Isolation in the US General Prison System“ werden die         dass die Häftlinge im Schnitt 8,2 Jahre in Isolationshaft verbringen.
 Auswirkungen der harten Bedingungen im berüchtigtem US-Hochsi-           Um sicher zu gehen, dass die Gefangenen keinen Kontakt mit anderen
 cherheitsgefängnis in der Nähe von Florence, Colorado, (United States    Häftlingen haben können, werden sie zwischen 22 und 24 Stunden am
 Penitentiary, Administrative Maximum Facility, auch bekannt als ADX      Tag in 3,5 x 2,5 Meter großen Zellen verwahrt, umgeben von dicken
 Florence) offengelegt.                                                   Mauern. Durch einen kleinen Fensterschlitz können sie den Himmel
 „Die Auswirkungen, die solche eine exzessive Anwendung der Isolati-      oder eine Mauer erblicken. Ärztliche bzw. psychiatrische Visiten erfol-
 onshaft auf die mentale und physische Gesundheit der Gefangenen          gen oft telefonisch. Im September 2013 erhängte sich ein psychisch
 hat, können gar nicht dramatisch genug geschildert werden. Diese ex-     kranker Gefangener in seiner Zelle, nachdem er über ein Jahrzehnt in
 trem harten Maßnahmen werden hier tagtäglich und routinemäßig an-        Isolationshaft verbrachte. Psychotische Symptome wurden scheinbar
 gewandt und das ist klar völkerrechtswidrig“, sagt Heinz Patzelt, Ge-    noch wenige Tage vor dem Suizid ignoriert.
 neralsekretär von Amnesty International Österreich.                      Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Juan Mendez rief 2011 alle
 Der Report dokumentiert Fälle von Gefangenen, die sich in der Isolati-   Staaten auf, Isolationshaft abzuschaffen. Lediglich in extremen Aus-
 onshaft in ADX Florence selbst verletzten oder Suizid begingen. Auch     nahmefällen sei sie legitim, jedoch niemals bei Jugendlichen oder
 Angstzustände, Depressionen, Schlafstörungen, Bluthochdruck, Para-       mental erkrankten Menschen.
 noia, Wahnvorstellungen und Psychosen sind Folgen der Isolations-        Nun gibt es besorgniserregende Anzeichen dafür, dass die US-Regie-
 haft.                                                                    rung die Isolationshaft in Bundesgefängnissen auszuweiten will.

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