FORUM - RAHMENBEDINGUNGEN FÜR EINE GESICHERTE PLASMAVERSORGUNG 2 2021 - ix-media
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FORUM Gesundheitspolitik in der Diskussion Institut für Gesundheitssystem-Entwicklung 2 • 2021 RAHMENBEDINGUNGEN FÜR EINE GESICHERTE PLASMAVERSORGUNG
MEDIA Jenseits von Paragraphen und Verträgen lebt unser Gesundheitssystem vom Gespräch und vom Austausch der Akteu- re. Vor allem Weiterentwicklungen unseres Gesundheitssystems finden nicht am Reißbrett statt, sondern im Diskurs der Akteure miteinander. Mit iX-Media wird diesem Austausch eine Plattform gegeben. Wir laden „auf allen Kanälen“ zum Dialog ein: Print, Audio und Video stehen Ihnen zur Verfügung, um Ihre Positionen, Ihre Ideen, Ihre Erkenntnisse der gesundheitspolitischen Community mitzuteilen. Mit Dr. Albrecht Kloepfer, Dr. Jutta Visarius, Dr. Martina Kloepfer und dem übrigen iX-Media-Team stehen langjährige Systemexperten hinter dem Projekt, die wissen wie gesundheitspolitisch der Hase läuft (und zukünftig laufen wird), die der Komplexität des Themas auch mit einfachen Worten gerecht werden können und denen auch die technischen As- pekte medialer Umsetzungen vertraut sind. Wenden Sie sich an uns – wir sind für Sie da! HIGHLIGHTS GESUNDHEITSPOLITISCHER WOCHENRÜCKBLICK Die iX-Highlights informieren immer montags über aktuelle gesundheitspolitische Entwicklungen und liefern relevante Hintergrundinformationen. In seinem gesundheitspolitischen Editorial bewertet Dr. Albrecht Kloepfer ein herausragen- des Wochenthema. In der Rubrik „Mondphasen“ kommen einmal im Monat Vertreter aus Politik oder Selbstverwaltung zu Wort. Aktuelle Dateien der Woche (Bundestagsdrucksachen, Studien etc.) können als Service zusätzlich kostenlos abgerufen werden. FORUM GESUNDHEITSPOLITIK IN DER DISKUSSION Die Zeitschriften-Reihe iX-Forum greift die großen gesundheitspolitischen Themen des Gesundheitswesens auf und bietet Ihnen die Möglichkeit, mit ausreichend Platz und in ansprechendem Rahmen Ihre Positionen, Ihre Ideen, Ihre Erkenntnisse der gesundheitspolitischen Szene mitzuteilen. Der Clou an der Sache: Die Hefte werden bundesweit an mehr als 2.500 gesundheitspolitische Entscheider und Meinungsführer versandt. – Wir sorgen dafür, dass Ihre Gedan- ken Beachtung finden! RADIO GESUNDHEITSPOLITIK ZUM HÖREN In monatlicher Folge widmet sich iX-Radio einem aktuellen gesundheitspolitischen Thema und lässt dazu die wichtigs- ten Entscheider zu Wort kommen. Erläuternde Moderationen beleuchten die Hintergründe und stellen das jeweilige Thema in den Kontext der unterschiedlichen Interessen. Ziel dabei ist, dass nicht nur die Szene sich selbst bespiegelt, sondern dass unser komplexes Gesundheitssystem auch Außenstehenden nahe gebracht wird. SPOTLIGHT VISUELLE PRÄSENZ IM GESUNDHEITSWESEN iX-Spotlight ist die Video-Plattform für Ihre bildstarke Kommentierung des aktuellen Zeitgeschehens im Gesundheits- system. Denn um überzeugende Statements sichtbar in Szene zu setzen, sind nicht nur eindrucksvolle Bilder aus- schlaggebend, sondern vor allem auch fundierte Kenntnisse des Systems. Mit Dr. Martina Kloepfer haben wir eine büh- nen- und filmerfahrene Expertin im Team, die auch Sie medienwirksam „in Szene setzen“ kann.
Rahmenbedingungen für eine gesicherte Plasmaversorgung AUSGABE 2 · 2021 Inhalt 4 Editorial Dr. Albrecht Kloepfer Herausgeber 6 Vom Spender zum Patienten – Wie aus einer Plasmaspende ein Medikament wird Sándor Tóth Director Government Affairs & Health Policy PPTA Europe 11 Produkte aus Blutplasma – bei ärztlicher Therapie unverzichtbar Prof. Dr. Volker Wahn FIND-ID Steering Committee 15 Die nachhaltige Versorgung mit Plasmapräparaten gelingt nur in gemeinschaftlicher Anstrengung Michael Hennrich MdB Mitglied im Gesundheitsausschuss – CDU 17 Spenden generieren – ohne zu diskriminieren Prof. Dr. Andrew Ullmann MdB Mitglied im Gesundheitsausschuss – FDP 21 „Das Austarieren ethischer Belange fordert Zugeständnisse aller Prozessbeteiligten“ Dr. Janosch Dahmen MdB Mitglied im Gesundheitsausschuss – B90/Die Grünen 24 Lieferengpass – „Die Apotheke kann mein Immunglobulin nicht liefern“ Gabi Faust 1. Vorsitzende Deutsche GBS CIDP Selbsthilfe e.V. 27 Wir sind auf Medikamente aus Plasma angewiesen Gabriele Gründl Bundesvorsitzende Patientenorganisation für angeborene Immundefekte (dsai e.V.) 29 Sicherstellung der Versorgung mit Arzneimitteln: Besonderer Regulierungsrahmen für Blutplasmapräparate? Dr. Christian Rybak Rechtsanwalt; Partner Ehlers, Ehlers und Partner 32 Überlegungen zu Wirtschaftlichkeit und Nutzen von aus Plasma gewonnenen Arzneimitteln in Deutschland und Europa Dr. Silvia Rohr Senior Consultant Vintura Consulting 37 Plasma ist global: Eine internationale Plasma-Strategie für die Pandemie und die Zeit danach Sören Griebel Projektmanager iX-Institut 40 Die Bedeutung von Zugang zur Versorgung: Europäische und amerikanische Perspektiven Sören Griebel Projektmanager iX-Institut 44 Vorschläge zur verlässlichen Sicherung der Verfügbarkeit von Plasma und Plasmapräparaten Sándor Tóth Director Government Affairs & Health Policy PPTA Europe 48 Auswirkungen des bestehenden Apotheken-Rahmenvertrages auf die Arzneimittelversorgung mit Immunglobulinen Dr. rer. nat H. Buschmann, Dr. rer. nat T. Christoph, Prof. Dr. med. K. Heintze, Prof. Dr. med. K.-U. Petersen, Dr. vet. med. T. Pfaff, Prof. Dr. med. C. Steffen FORUM 3
Editorial Liebe Leserinnen, liebe Leser, Corona-technisch wird momentan alles von der Impfstoff- mit diesem Heft politisch und im Gesundheitssystem debatte überlagert. mRNA, Vektorimpfstoffe – die neuen mehr Aufmerksamkeit für diese unschöne Tatsache und und alten Technologien zur Entwicklung von Vakzinen sind weitere Probleme rund um plasmabasierte Arzneimittel Gesprächsthema, auch über Fachkreise hinaus. Letztes in Deutschland zu schaffen. Dann kam COVID, der Kon- Frühjahr hatte die Pandemie aber einem anderen, weniger gress fand schließlich im Oktober digital statt und be- bekannten Bereich der Medizin ungewohnte Aufmerksam- schäftigte sich eben auch mit den ganz besonderen Um- keit beschert: plasmabasierte Arzneimittel und Therapien. ständen und Herausforderungen für Hersteller und Pati- Schon kurz nach Beginn der Pandemie waren Behandlun- enten während der Pandemie. Wir haben ihn begleitet – gen mit Blutplasma von bereits genesenen Patienten eine Berichte über zwei besonders relevante Panels finden der ersten Hoffnungen auf eine COVID-Therapie. sich in dieser Ausgabe. Eines wurde klar: es ist noch einmal gutgegangen. Aber gerade im Frühjahr, als die Zu diesem Zeitpunkt waren wir längst in der Planung für Menschen nicht gern zum Arzt gingen (und schon gar das Heft, das nun vor ihnen liegt. Gemeinsam mit unse- nicht, um eine freiwillige Spende abzugeben) wurde es rem Kooperationspartner für dieses Heft, der PPTA durchaus eng in Deutschland und Europa. Dabei sind wir Deutschland, hatten wir uns ganz zufällig dafür entschie- noch eines der Länder, die bei den Plasmaspenden in Eu- den, diesem unterschätzen Feld eine Ausgabe zu widmen, ropa ganz vorne stehen! um die „Awareness“ in Deutschland bei Politik und Sta- keholdern zu erhöhen. Denn nicht nur für Corona gibt es Warum sind wir das, und warum ist Europa dennoch von plasmabasierte Therapien. Viele Menschen, gerade mit den Vereinigten Staaten abhängig? Nun, die Bedingungen seltenen Krankheiten, sind von einer soliden Versorgung für die Spende sind eben in den Staaten der EU sehr he- mit solchen Arzneimitteln abhängig. Für Hämophiliepati- terogen. Gerade, was eine Aufwandsentschädigung oder enten etwa ist sie wortwörtlich überlebenswichtig. Vergütung betrifft, gehen die Meinungen weit auseinan- der. Die je nach Land unterschiedlich beantwortete ethi- Die Menge an gewonnenem Plasma ist aber regional sehr sche Frage, ob es so etwas überhaupt geben darf (und unterschiedlich und weltweit erheblich im Ungleichge- wenn ja, in welcher Höhe), hat hier bisher eine einheitliche wicht – wenige Länder kommen für einen Großteil des europäische Lösung verhindert. Ob das dauerhaft so blei- weltweiten Bedarfs auf. Auch die europäische Union ist ben kann? Wenn wir wirklich unabhängiger werden wol- von Plasmaspenden aus dem Ausland abhängig, vor allem len, dann wird mancher da wohl oder übel etwas flexibler aus Nordamerika. werden müssen. Natürlich kann einen der Gedanke stö- ren, dass die Industrie mit gespendetem Material Gewinn Der Plasma Protein Congress in Berlin, ursprünglich für macht oder – und das ist noch viel mehr Grauzone – für den April 2020 geplant, sollte uns als Aufhänger dienen, solche Spenden, wie in den USA, tatsächlich Prämien 4
Rahmenbedingungen für eine gesicherte Plasmaversorgung AUSGABE 2 · 2021 zahlt. Das mentale Bild der Mexikaner, die über die Gren- Plasmaversorgung bleibt ein extrem wichtiges Thema, ze strömen um mit ihrem Blut an den begehrten Green- auch wenn der Zufall sie nicht gerade in die öffentliche back zu kommen, verursacht in Europa immer wieder Wahrnehmung spült. Deswegen ist es gut, gerade jetzt Empörung. Da muss dann aber auch die Frage erlaubt noch einmal auf die Lage aufmerksam zu machen. In die- sein, ob es dann wirklich so viel besser ist, das einem sem Zusammenhang danken wir unserem Kooperations- nicht genehme, aber aktuell notwendige Geschäft (denn partner und unseren Autorinnen und Autoren dafür, uns immerhin kommt ja der Großteil des Plasmas von eben- bei diesem Vorhaben mit Rat und Tat und Wort unterstützt dort) „outzusourcen“, nur um sich dann im eigenen Land zu haben. Die aktuelle Situation ist, verglichen mit ande- auf der richtigen Seite zu fühlen. Ja, Industrie darf und ren Ländern, sicher nicht schlecht – aber es könnte eben muss Geld verdienen und die Zahlen zeigen eben, dass auch noch deutlich besser werden. Der nächste Engpass die Spendenbereitschaft mit der Entschädigung steigt. kommt bestimmt! In diesem Sinne, liebe Leserinnen und Leser, wünschen wir eine anregende Lektüre. Ohne Kooperation und Abstimmung auf europäischer Ebene wird es nicht gehen. COVID war da nur Katalysator für Probleme, die es schon viel länger gibt. Was ist zu tun? Wir haben Stimmen aus Politik, Industrie und Patienten- vertretern für dieses Heft gewonnen, um möglichst viele Perspektiven zu vereinen und unseren Lesern die Mög- lichkeit zu geben, sich ein Bild der aktuellen Lage zu ma- chen. Denn auch abseits von COVID-bedingten Schwie- rigkeiten hat sich in Deutschland auf diesem Gebiet in der aktuellen Legislatur einiges getan. Das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) hat den Vertriebsweg der Hämophiliepräparate in Deutschland grundlegend verändert, was nicht nur von Applaus beglei- tet wurde. Bei vielen seltenen Krankheiten bauen wir Zentren zur besseren Versorgung auf – haben wir sie an dieser Stelle nun aber geschwächt? Für eine abschließen- de Betrachtung ist es noch viel zu früh, das Thema wird in diesem Heft nur angerissen. Man muss die Lage aber sicher im Auge behalten und – das ist am wichtigsten – Dr. Albrecht Kloepfer immer vom Wohl der Patienten her denken. FORUM 5
Plasmaproteinpräparate sind einzigartige biologische Me- Vom Spender zum dikamente, die aus menschlichem Plasma gewonnen und Patienten – Wie aus zur Behandlung einer Vielzahl von seltenen, lebensbe- drohlichen chronischen Erkrankungen verwendet werden, einer Plasmaspende wie z.B. der Hämophilie, primären (angeborenen) Immun- defekten, angeborenem Alpha1-Antitrypsinmangel oder ein Medikament wird dem hereditären (angeborenen) Angioödem. Plasmapro- teinpräparate werden aus menschlichem Plasma von frei- willigen, gesunden Spendern hergestellt. Plasma ist der flüssige Anteil des Blutes, der nach der Ab- trennung der Blutzellen, also der roten und weißen Blut- körperchen und der Blutplättchen, übrigbleibt. Plasma besteht zu ca. 90 % aus Wasser, der Rest sind zahlreiche verschiedene Eiweiße, Elektrolyte, Glukose und andere biochemische Stoffe. Die Aufgabe des Plasmas ist der Nährstofftransport von z.B. Salzen, Fetten, Spurenele- menten und Vitaminen. Jedes der im Plasma vorhande- nen Proteine hat eine spezifische Aufgabe. So reguliert Albumin die Flüssigkeitsverteilung zwischen Blut und Kör- pergewebe und hat eine allgemeine Transporterfunktion, da viele im Blut vorhandene Stoffe nur an Albumin gebun- den zu den Zellen transportiert werden können. Immun- globuline (Antikörper) sind ein wichtiger Bestandteil der körpereigenen Abwehr und wehren gemeinsam mit den weißen Blutkörperchen Infektionserreger ab. Die Gerin- nungsfaktoren sorgen mit den Blutplättchen für eine funk- tionierende Gerinnung. Plasma kann grundsätzlich auf 2 Wegen gewonnen wer- Sándor Tóth den: Durch eine Vollblutspende oder durch Plasmaphe- Director Government Affairs & rese. Bei einer Vollblutspende bleibt das Plasma nach der Abtrennung der verschiedenen Blutzellen „übrig“ und Health Policy PPTA Europe wird an die Industrie zur Weiterverarbeitung abgegeben, ausser das so gewonnene Plasma wird direkt zu thera- peutischen Zwecken eingesetzt. Bei der direkten Plas- maspende, der Plasmapherese, wird dem Spender mit Menschliches Plasma ist ein einzigartiger einer Maschine nur das eigentliche Plasma entnommen, Ausgangsstoff für Arzneimittel, die durch die zellulären Blutbestandteile werden wieder in den Kör- die sog. Plasmafraktionierung aus dem per zurückgeführt. gespendeten Plasma isoliert werden. 6
Rahmenbedingungen für eine gesicherte Plasmaversorgung AUSGABE 2 · 2021 Eine Blutspende dauert etwa 20 Minuten und darf von Die tatsächliche Häufigkeit der Spende hängt vom allge- Männern 6 mal im Jahr und von Frauen 4 mal im Jahr meinen Gesundheitszustand des Spenders ab und wird durchgeführt werden, wobei zwischen 2 Spenden min- von den Spendezentren regelmässig kontrolliert. Zum Bei- destens 8 Wochen liegen müssen. spiel wird der Eiweiß-, Immunglobulin- und Eisengehalt im Blut des Spenders regelmässig gemessen, weil die Re- generationsfähigkeit dieser wichtigen Blutbestandteile bei jedem Spender anders ist. Die Liste der aus menschlichem Spenderplasma herge- stellten Arzneimittel ist lang und deren Einsatzgebiete sind vielfältig: • So kommen z.B. die Gerinnungsfaktoren FV, FVII, FVIII, FIX, FX und FXIII und der von Willenbrand-Faktor bei einem angeborenen Mangel der einzelnen Faktoren zum Einsatz; oder auch, wenn diese Faktoren im Blut des Patienten zwar vorhanden sind, ihre Funktion aber nicht erfüllen können. • Fibrinkleber wird in der Chirurgie verwendet, Alpha1- Antitrypsin bei einem angeborenen Mangel dieses Pro- teins und C1-Esterase-Inhibtor bei hereditärem (ange- borenem) Angioödem. Angioödeme sind schwere Schwellungen am ganzen Körper und können tödlich sein, z. B. wenn die Atemwege durch Ödeme blockiert werden. • Das wichtigste Plasmaproteinpräparat, bezogen auf sei- ne vielfältige klinische Verwendung und seine allgemei- ne therapeutische Bedeutung, ist polyvalentes Immun- globulin (IgG). Die Haupteinsatzgebiete von polyvalen- ten Immunglobulinpräparaten sind primäre (angebore- ne) und sekundäre (erworbene) Immundefekte, bei wel- chen die Patienten durch eine mangelnde oder geschwächte körpereigene Abwehr Infektionserreger gar nicht oder nicht ausreichend abwehren können weil ihr Körper keine oder nicht genug Antikörper produziert. Abb. 1 Zusammensetzung von Blut und Plasma • Hyperimmunglobuline enthalten hohe Titer (Konzent- (Quelle: PPTA) rationen) eines bestimmten Antikörpers und werden zur Therapie einer bestimmten Krankheit meistens im Akut- Die Spendepause dient dazu, dass der Körper das ent- zustand eingesetzt, z.B. gegen Tetanus oder Tollwut. nommene Blut wieder ersetzen kann. Eine Plasmaspende • Die wichtigsten Präparate aus dieser Gruppe, die leider darf in Deutschland bis zu 60 mal im Jahr und maximal 2 oft gar nicht als Plasmapräparate wahrgenommen wer- mal pro Woche durchgeführt werden und dauert etwa 1 den, sind die Anti-D-Immunglobuline. bis 1,5 Stunden. FORUM 7
Rahmenbedingungen für eine gesicherte Plasmaversorgung lung, Filtration, Chromatographie und Adsorption in meh- rere Fraktionen (Portionen) aufgetrennt und gereinigt. Der Fraktionierungsprozess beginnt, indem mehrere Tau- send Plasmaspenden zusammengeführt und gemischt („gepoolt“) werden. Diese werden in zunächst tiefgefro- renem Zustand in einem großen, sterilen Stahltank lang- sam von -30° C bis auf +2° C aufgetaut. Beim langsamen Auftauen bildet sich ein trüber Nieder- schlag, das Kryopräzipitat, das durch Zentrifugieren vom übrigen, „kryoarmen“ Plasma abgetrennt werden kann. Das Kryopräzipitat enthält die Hauptmenge des im Plasma enthaltenen Gerinnungsfaktors VIII, sowie den von Wille- brand-Faktor und Fibrinogen.1 Der Überstand aus der Zen- trifugation, das kryoarme Plasma, enthält noch andere wichtige Plasmaproteine und wird daher zur Gewinnung Abb. 2: Anzahl an benötigten Spenden, um einen dieser Proteine weiterverarbeitet. Zunächst werden mit Hil- Patienten ein Jahr lang zu versorgen (Quelle: PPTA) fe verschiedener Adsorptionsverfahren die Gerinnungsfak- toren des Prothrombinkomplexes (FII, FVII, FIX und FX) Diese werden eingesetzt, wenn Mutter und Kind ver- und der C1-Esterase-Inhibitor isoliert. Danach befinden schiedene Rhesusfaktoren im Blut haben und dadurch sind im kryoarmen Plasma noch weitere Proteine, die als das Leben des Kindes gefährdet ist. Arzneimittel eine große Bedeutung haben. Diese werden • „Last but not least“ wird Albumin z.B. bei Unfallpatien- in mehreren Schritten mit Hilfe der sog. Cohn-Extraktion ten als Volumenersatz bei hohem Blutverlust oder bei gewonnen. Dabei werden durch stufenweise Zugabe von Verbrennungen eingesetzt. Ethanol nacheinander der Gerinnungsfaktor XIII, Anti- thrombin III, die Immunglobuline und Albumin ausgefällt.2 Wann kommen Plasmaproteine zum Einsatz? Eine wichtige Besonderheit der Herstellung von Plasma- Albumin Volumenmangel bei Sepsis, hypovolämer Schock, präparaten ist, dass im Laufe des Herstellungsprozesses Parazentese, spontan bakterielle Peritonitis, hepatorenales Syndrom, Verbrennungen, respiratorisches Distresssyndrom, Herzchirurgie aus jedem Liter Spenderplasma nicht nur eines, sondern Immunglobuline Intravenös und subkutan anwendbar mehrere verschiedene Plasmapräparate isoliert werden. Primäre und sekundäre Immundefekte, Autoimmunerkrankungen Anders wäre eine Plasmafraktionierung nur sehr schwer Alpha-1 Antitrypsin Alpha-1-Antitrypsinmangel (genetisches Emphysem) wirtschaftlich nachhaltig darstellbar. Gerinnungsfaktoren (u.a Faktor VIII, Faktor IX, Faktor XIII, Antithrombin, Fibrinogen) Die Produktion wird im Wesentlichen von der Verfügbar- Hämophilie A & B, Von-Willebrand-Jürgens- Syndrom, Blutgerinnungsstörungen keit der Ressource Spenderplasma und dem Bedarf an Abb. 3: Beispiele für Plasmaproteinpräparate und Immunglobulinen bestimmt. Der klinische Bedarf an Im- wo sie eingesetzt werden (Quelle: PPTA) munglobulinen bestimmt, wieviel Plasma benötigt wird. Der Weg von der Plasmaspende über die Plasmafraktio- Bei der Plasmafraktionierung wird das Plasma mit Hilfe nierung zum fertigen Plasmaproteinpräparat ist durch verschiedener physiko-chemischer Methoden wie Fäl- zahlreiche Gesetze und Vorschriften streng reglementiert. 8
AUSGABE 2 · 2021 Plasma Evolution of plasma fractionation scheme FVII Thawing aFII Chromatography FIX Cryoprecipitate Cryo-poor plasma Chromatography PCC Precipitation/adsorption Chromatography PC Chromatography AT Chromatography Fibrinogen FVIII vWF Fraction (I+) II+III Fibrinogen Chromatography Ethanol fractionation + viral reduction Alpha 1-AT treatments integrated Chromatography in this process Albumin IgG Abb. 4: Schematische Darstellung der Plasmafraktionierung (Quelle: Th. Burnouf, 4th Asia IPFA workshop Hanoi, March 6-7,2019) Seit 2003 legt die europäischen Arzneimittelbehörde EMA Das PEI ist u.a. für die staatliche Chargenprüfung von aus im sog. „Plasma Master File“ (PMF) fest, welche Anforde- Plasma hergestellten Arzneimitteln verantwortlich. rungen an Qualität und Sicherheit erfüllt werden müssen für die Zulassung aller Arzneimittel aus Humanplasma.3 Darüberhinaus gelten in Deutschland die Vorschriften des Transfusionsgesetztes (TFG)5 und die „Richtlinie Hämo- Zusätzlich zu dieser PMF-Zertifizierung ist ein weiteres therapie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen Zulassungsverfahren für das fertige Plasmaproteinpräpa- und zur Anwendung von Blutprodukten“ der Bundesärz- rat notwendig. tekammer.6 Das bedeutet, dass Plasmaproteinpräparate einem dop- Alle Plasmaspendezentren und alle Herstellungsanlagen pelten Zulassungsverfahren unterliegen – einerseits der werden regelmäßig von den europäischen (EMA, PEI) und Zertifizierung des Ausgangsstoffes und andererseits der den US-amerikanischen (FDA) Zulassungsbehörden Zulassung des fertigen Arzneimittels! auditiert (geprüft). Daneben müssen die Vorschriften der Europäischen Blut- Dazu kommen die Audits der PPTA nach ihren eigenen, richtlinie eingehalten werden. 4 weltweit geltenden freiwilligen Industriestandards, dem Dazu kommen nationale Auflagen, die in den einzelnen sog. „IQPP“7 und dem „QSEAL“8 Standard und Audits EU-Mitgliedsstaaten von den Herstellern der Plasmapro- deutscher Landesbehörden (Regierungspräsidien), in de- teinpräparate eingehalten werden müssen. In Deutsch- ren Zuständigkeitsbereich sich Produktionsanlagen für land ist das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) seit 1994 die für Plasmaproteinpräparate befinden. Plasmaproteinpräparate zuständige Zulassungs- und Überwachungsbehörde. FORUM 9
Rahmenbedingungen für eine gesicherte Plasmaversorgung Jeder Plasmaspender muss einen umfangreichen Ge- durch den zuverlässig auch kleinste Krankheitserreger, sundheitsfragebogen ausfüllen und wird von einem Arzt vor allem aber unbehüllte Viren, entfernt werden. gründlich medizinisch untersucht. Darüber hinaus wird das gespendete Plasma im Labor umfangreich getestet, Grundsätzlich ist der Fraktionierungsprozess bei allen z.B. ob bestimmte Virusmarker vorhanden sind oder ob Herstellern gleich. Allerdings unterscheiden sich die Her- die Gesamteiweißmenge im Plasma bestimmte gesund- stellungsverfahren im Detail ganz erheblich und am Ende heitsrelevante Werte nicht unterschreitet. Diese Unter- auch die verschiedenen Plasmaproteinpräparate – z.B. suchungen und Labortests werden bei allen Spendern durch die Verwendung unterschiedlicher Stabilisatoren regelmäßig wiederholt. Es gelten dabei strenge Kriterien, und Hilfstoffe im fertigen Produkt. Bei klassischen Arz- die auch zum Auschluss eines Spenders führen können. 7 neimitteln „ist der Wirkstoff das Produkt“. Bei biologi- Es werden nur Plasmaspenden von regelmäßigen Spen- schen Arzneimitteln wie den Plasmapräparaten „ist der dern weiterverarbeitet. Das heißt, erst wenn ein Spender Herstellungsprozess das Produkt“. Deshalb unterschei- mindestens ein zweites Mal Plasma spendet, alle Tests in den sich Plasmaproteinpräparate auch dann voneinander, Ordnung sind und nach Ablauf einer Quarantänelagerung wenn sie den gleichen Wirkstoff (z.B. Faktor VIII oder Im- von mindestens 60 Tagen wird die Plasmaspende zur Wei- munglobuline) enthalten und sind nicht ohne weiteres un- terverarbeitung freigegeben. tereinander austauschbar. Im Prozess der Plasmafraktionierung selbst findet durch Der Weg von der Plasmaspende zum fertigen Medikament die verschiedenen Prozessschritte bereits eine Abreiche- ist ein hochkomplexer, sehr zeitintensiver Prozess, der im rung von potenziell vorhandenen Krankheitserregern (Pa- Durchschnitt 7 bis 12 Monate dauert und von umfangrei- thogenen) statt. Eine komplette Elimierung oder Inakti- chen Sicherheitsmaßnahmen geprägt ist. Am Ende dieses vierung (Abtötung) kann aber nicht zu 100% garantiert Prozesses stehen hochwirksame, sichere, lebensrettende werden. Deshalb ist es notwendig und vorgeschrieben, Arzneimittel für Menschen mit seltenen, chronischen Er- dass während des Herstellungsprozesses mindestens krankungen, die ihr Leben lang auf diese Medikamente zwei voneinander unabhängige Pathogeninaktivierungs- angewiesen sind, aber auch für Patienten, deren Leben bzw. Abreicherungsschritte enthalten sein müssen. akut gefährdet ist wie Verbrennungsopfer oder Neugebo- rene mit einer Rhesusfaktorunverträglichkeit. Die beiden wichtigsten Methoden zur Inaktivierung von potenziell vorhandenen Krankheitserregern sind die Pas- 1. Pool JG et al., Nature 1964; 18: 203-312 2. Cohn EJ et al., J Amer Chem Soc 1946; 68: 459-75 teurisierung und das Solvent/Detergent (Lösungs-/ 3. https://www.ema.europa.eu/en/human-regulatory/ Reinigungsmittel)-Verfahren. Bei der Pasteurisierung wird research-development/non-pharmaceutical-products/ das Plasma 10 Stunden bei +60° C erhitzt. Durch die Hit- plasma-master-file-pmf-certification zeeinwirkung werden die potenziellen Krankheitserreger 4. https://ec.europa.eu/health/sites/health/files/files/ in ihrer Struktur zerstört. Im Solvent/Detergent-Verfahren eudralex/vol-4/annex14_rev30-03_2011_en.pdf werden dem Plasma bestimmte Lösungs- und Reinigungs- 5. http://www.gesetze-im-internet.de/tfg/BJNR175200998. html mittel (wie z. B. Triton X-100) zugesetzt, die die Lipidhül- 6. http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_up- le von umhüllten Viren zerstören und diese dadurch ab- load downloads/pdf-Ordner/MuE/Richtlinie_Haemothera- töten. Zusätzlich wird heute bei allen Plasmaproteinprä- pie_2017.pdf paraten ein separater Nanofiltrationsschritt eingesetzt, 7. https://www.pptaglobal.org/safety-quality/standards/iqpp 8. https://www.pptaglobal.org/safety-quality/standards/qseal 10
AUSGABE 2 · 2021 Blut und Plasma Produkte aus Unser Blut besteht zu etwa 45% aus Zellen, zu 55% aus Blutplasma – bei Plasma. Das Plasma wiederum enthält in erster Linie Was- ser, daneben Elektrolyte, Lipide, Zucker und Eiweiße. Die- ärztlicher Therapie se Eiweiße sind für Ärzte von besonderem Interesse, da wichtige biologische Funktionen davon anhängen. Bei- unverzichtbar spiele sind • Transport von diversen biochemischen Faktoren • Hormone • Botenstoffe • Gerinnungsfaktoren • Entzündungseiweiße • Antikörper • u.a.m. Einige dieser Eiweiße sind von der Plasma-verarbeitenden Industrie mit proteinchemischen Verfahren gereinigt/kon- zentriert worden und stehen zum Einsatz bei Patienten zur Verfügung. Woher kommt das Plasma? Die folgende Grafik verdeutlicht: Der größte Teil des Plas- mas stammt aus der Apherese, bei der dem Spender nur Plasma entnommen wird, während er die zellulären An- teile wieder zurück bekommt. Gesamtmenge 61,5 Millionen Liter weltweit Prof. Dr. Volker Wahn 6,5 FIND-ID Steering Committee 55 Insbesondere bei der Behandlung von Immundefekten kommt Blutplasmaprodukten Aus Vollblut Aus Aphereseplasma eine herausragende Bedeutung zu Der größte Anteil des Plasmas wird in den USA gewonnen, ein kleiner Teil aus einheimischen Blut/Plasmaspenden. 11
Rahmenbedingungen für eine gesicherte Plasmaversorgung Plasmamengen und Bedarf Beispiel: Einsatz von IgG Während sich z.B. der Bedarf an Gerinnungsfaktoren gut Die Bedeutung der Therapie mit Immunglobulin G, das ja abschätzen lässt und keine Mangelsituation zu erwarten spezifische Antikörper enthält, wird besonders deutlich ist, muss man mit Sorge auf die Immunglobuline schau- bei den Patienten, die keine oder nur wenige spezifische en. Hier ist in den nächsten Jahren eine weitere Steige- Antikörper bilden können. Wir sprechen von Erkrankun- rung des Bedarfs zu erwarten. Grund dafür sind zum einen gen, die dominierend durch Antikörpermangel gekenn- neu entdeckte Patienten mit Antikörpermangelerkran- zeichnet sind. Es besteht eine pathologische Infektions- kungen, aber auch der steigende Verbrauch im Bereich anfälligkeit, meist mit rezidivierenden Infektionen der der Neurologie. Atemwege. Mit diesem zunehmenden Bedarf hält die Plasmaspende Die ständigen Infektionen bleiben nicht ohne Folgen: In nicht Schritt. Hochrechnungen zeigen, dass bereits in we- vielen Fällen bilden sich Bronchiektasen aus, somit irre- nigen Jahren ein Defizit von bis zu 11 Mio. Litern an Plas- versible Schäden der Lunge. Das Ärztenetzwerk FIND-ID ma bestehen wird. Verantwortlich dafür ist besonders die setzt sich dafür ein, dass Patienten mit angeborenen Im- mangelnde Verfügbarkeit von einheimischem Plasma. Die mundefekten, auch solche mit Antikörpermangel, früh- Defizitsituation wurde durch die Coronapandemie ver- zeitig identifiziert und behandelt werden. Im Zentrum der schärft, da die Apheresezentren mit zusätzlichen Hygie- Therapie steht dabei der Ersatz der fehlenden Antikörper neregeln umzugehen hatten. Falls sich die Situation nicht auf intravenösem oder subkutanem Wege. Damit können bessert, ist eine Mangelsituation insbesondere bei der rezidivierende Pneumonien und Bronchiektasen in den Therapie mit Immunglobulinen absehbar. meisten Fällen verhindert werden. Ein zusätzlicher Zukauf von Plasma aus den USA ist nicht 1981 wurde erstmals bei der kindlichen ITP gezeigt, dass anzustreben, da im US-Plasma Antikörper enthalten sind, IgG-Präparate nicht nur zur Substitution fehlender Anti- die das US-amerikanische Erregerspektrum abbilden. Na- körper therapeutisch eingesetzt werden können, sondern türlich entspricht dieses Spektrum weitgehend dem eu- auch zur Modulation bestimmter überschießender Immun- ropäischen Erregerspektrum, dennoch kann man speku- reaktionen. Ausgehend von dieser Schlüsselpublikation lieren, dass insbesondere einheimische Patienten mit An- wurde weltweit versucht, auch andere immunpathologi- tikörpermangelerkrankungen mehr Benefit von einheimi- sche Reaktionen mit Hilfe von IgG-Präparaten zu dämpfen. schen Produkten haben würden. In der anderen Richtung Die folgende Abb. verdeutlicht, in welchen Bereichen der ist es in den USA verboten, europäischen Plasma für die Medizin nach weiteren Indikationen gesucht wurde. Immunglobulinproduktion einzusetzen. Immunmodulation durch IgG: Was nun sind gesicherte Indikationen Von der ITP zu anderen Anwendungen für Plasmaprodukte Neurologie Die folgende Tabelle liefert ein paar Beispiele: Hämatologie Rheumatologie Produkt Einsatzgebiete (Beispiele) Albumin Hypovolämie, Hypalbuminämie ITP Gerinnungsfaktoren Hämophilie Dermatologie Organ Tx Polyvalentes IgG Agammaglobulinämie, CVID u.a. ITP, CIDP u.a. Gynäkologie C1 Inhibitor (C1 INH) Hereditäres Angioödem α1-Antitrypsin AAT-Mangel Anwendungen von IgG-Präparaten zur Immunmodulation FORUM 12
AUSGABE 2 · 2021 Viele dieser Anwendungen wurden bei Patienten ver- sucht, die an z.T. extrem seltenen Erkrankungen litten. Prinzipielle Unterschiede Daher war es nicht möglich, für Placebo-kontrollierte Dop- pelblindstudien ausreichen Probanden zu rekrutieren. Bei Kriterium Plasmaprodukt Monoklonaler Rekombinantes einer Reihe von Erkrankungen sind aber überzeugende Antikörper Protein Verfügbarkeit Limitiert Unbegrenzt Unbegrenzt Studien durchgeführt worden, so dass für diese Erkran- Immer identisch Nein Ja Ja kungen eine Zulassung erteilt wurde. Herstellung Aufreinigung Biotechnisch Biotechnisch Zulassungsverfahren Ja Ja Ja Risiken Wenn man als Arzt Plasmaprodukte therapeutisch ein- setzt, muss man die möglichen Risiken kennen. Die fol- Manche Eiweiße sind sowohl als Plasmaprodukt als auch gende Tabelle gibt ein paar Beispiele: als anderes Biotherapeutikum verfügbar. Damit werden die Möglichkeiten bei der ärztlichen Behandlung betrof- fener Patienten erweitert. Die folgende Tabelle zeigt Bei- Risiken spiele: Produkt Risiko (Beispiele) Faktor VIII HIV-Übertragung (historisch) Entwicklungen: Beispiele Polyvalentes IgG, anti-D HCV-Übertragung (historisch) Produkt Zulassung Polyvalentes IgG (i.v.) Unverträglichkeitsreaktionen Rekombinante Gerinnungsfaktoren VII, VIII, IX, XIII, vWF Zugelassen Akutes Nierenversagen Rekombinantes α1-Antitrypsin Nicht zugelassen Thrombembolien Rekombinantes Albumin Nicht zugelassen Aseptische Meningitis Rekombinanter C1-Inhibitor Zugelassen Hämolyse Monoklonaler Antikörper gegen RSV Zugelassen Mischung zweier monoklonaler Ak gegen SARS-CoV-2 (noch) nicht zugelassen Monoklonale Antikörper zur Therapie bei Krebs-/ > 100 zugelassen Erfreulicherweise gehören Übertragungen von Viren der Autoimmunerkrankungen Polyvalente IgG Präparate (bis 1016 Antikörper) Vermutlich nur aus Plasma Vergangenheit an. Seit mehr als 30 Jahren sind solche Über- tragungen nicht mehr beschrieben worden. Daher kann man die heutigen Produkte in dieser Hinsicht als sicher betrach- ten. Dies gilt auch für die Übertragung von Prionen. Einige Plasmaprodukte können also durch andere Biothe- rapeutika ersetzt werden. Man muss aber im Auge behal- Sind Plasmaprodukte durch andere ten, dass gentechnisch hergestellte Proteine nicht zu Biotherapeutika ersetzbar? 100% identisch mit dem Plasmaprotein sind. Dafür ist In erster Linie ist hier an rekombinante Proteine und mo- inbesondere die abweichende Glykosilierung verantwort- noklonale Antikörper zu denken. Zwischen diesen und den lich, die sowohl die biologische Halbwertszeit wie auch Produkten aus Plasma bestehen ein paar prinzipielle Un- die Immunogenität eines Produktes mit bestimmt. terschiede: Daher können Plasmaprodukte nur zum Teil durch ande- re Biotherapeutika ersetzt werden. FORUM 13
Rahmenbedingungen für eine gesicherte Plasmaversorgung Das Hauptproblem besteht bei den polyvalenten Immun- den. Es droht eine Unterversorgung unserer Patienten, globulinen. Je nach Publikation ist davon auszugehen, die uns behandelnde Ärzte mit großer Sorge erfüllt. dass wir in der Lage sind, zwischen 10 11 und 10 16 ver- schiedene Antikörper zu bilden. Es ist bisher keine Tech- Weitere Plasmakäufe aus den USA sind ungeeignet, das nologie in Sicht, die in der Lage wäre, diese Vielfalt von europäische Problem zu lösen, zumal die Plasmaspenden Antikörpern im Plasma durch biotechnologische Verfah- in den USA durch Corona drastisch zurückgegangen sind. ren zu ersetzen. Damit bleiben Patienten mit Antikörper- So bleiben nur 3 Faktoren, die den Plasmabedarf für die mangelerkrankungen langfristig auf IgG-Produkte aus Zukunft absichern können: Plasma angewiesen. 1. Es bedarf einer breit angelegten Aufklärungskampa- Kann man Immundefekte nicht gne, um die Bereitschaft zur Plasmaspende zu ver- anders behandeln? bessern Bei einigen Immundefekten sind andere Therapieverfah- 2. Wir brauchen neue Apheresezentren, um mehr Plas- ren zu erwägen, die in der folgenden Tabelle aufgeführt maspender wohnortnah erreichen zu können sind: 3. Plasmaspender sollten eine angemessene Aufwands- entschädigung erhalten, da gerade junge Menschen • Somatische Gentherapie in der Zeit der Spende ihren Arbeitsplatz für mehrere • ADA-Mangel zugelassen, Therapiepriorität 2 Stunden verlassen müssen • Andere auf dem Wege der Zulassung • Stammzell Tx Wir sollten nicht warten, bis der Zeitpunkt einer Unter- • Diverse SCID versorgung erreicht ist, sondern proaktiv handeln, um ei- • Diverse CID ne angemessene Behandlung unserer Patienten in Zu- • CGD kunft bereits jetzt abzusichern. • SCN • XLA? • CVID? Die Erkrankungen, die derzeit durch IgG-Ersatz therapiert werden, sind unterstrichen. Stammzelltransplantationen sind in wenigen Einzelfällen von Agammaglobulinämie und CVID versucht worden. Sie gelten in Anbetracht des Risikos nach wie vor als experimentell. Was ist zu tun? Derzeit ist die Behandlung von Patienten mit Antikörper- mangelerkrankungen mit IgG-Konzentraten gesichert. Re- alistische Hochrechnungen für die nächsten Jahre lassen aber erwarten, dass in den nächsten Jahren die Verfüg- barkeit von IgG nicht mehr dem zunehmenden Bedarf entsprechen wird. Diese Schere zwischen Bedarf und Ver- fügbarkeit ist durch die Coronapandemie verschärft wor- 14
AUSGABE 2 · 2021 Die nachhaltige Versorgung mit Plasmapräparaten gelingt nur in Das GSAV hat den Markt neu geordnet Wie steht es um die Plasmaversorgung in Deutschland? gemeinschaftlicher Das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversor- Anstrengung gung (GSAV) war diesbezüglich der große Aufreger des Jahres 2019. Der Gesetzgeber kippte den bisher beste- henden Sondervertriebsweg für Hämophilie-Medikamen- te und öffnete den Markt in der Form, dass diese nun wie andere Medikamente regulär nur über Apotheken bezo- gen werden können. Diese Änderung hat zu Beginn große Verunsicherung unter Patienten und Behandlern hervor- gerufen. Befürchtet wurde eine Schwächung der wichti- gen Zentrenstruktur in Deutschland. Wir haben diese Än- derung dennoch für richtig gehalten. Die CDU steht Son- dervertriebswegen in der Arzneimittelversorgung prinzi- piell eher kritisch gegenüber. Der Bundestag hatte ver- sprochen, auf eventuell auftretende Brüche im System schnellstmöglich zu reagieren. Der Gesundheitsaus- schuss entschloss sich schließlich nach langer Beratung und umfassender Anhörung aller Beteiligten zu einer Ab- schaffung des Sondervertriebsweges nach §47. Nun, fast zwei Jahre später, lässt sich feststellen: Die Neuorgani- sation des Vertriebsweges hat die Versorgung nicht ge- fährdet. Tatsächlich hat es auch positive Effekte gegeben: Die ge- stiegene Transparenz im Vertrieb hat sich entlastend auf die Preisentwicklung ausgewirkt. Dies ist, in Zeiten stei- Michael Hennrich MdB gender Beiträge, immer positiv zu betrachten. Klar ist aber Mitglied im Gesundheits- auch: Wir haben versprochen, ein Auge auf die zukünftige Entwicklung zu haben. Dazu gehört auch, dass wir War- ausschuss – CDU nungen vor einem Kellertreppeneffekt der Preise durch Kostendruck der gesetzlichen Krankenkassen ernst neh- men. Die Kostenstrukturen der Hersteller müssen berück- sichtigt werden, wenn wir eine gesicherte Versorgung mit Blutplasmaspenden und Plasmapräparate sind Plasmaprodukten in Deutschland sicherstellen wollen. für viele Bürgerinnen und Bürger überlebenswichtig. Nachhaltige Rahmenbedingungen in der Produktion gibt Eine geordnete, zuverlässige Versorgung der es nicht zum Nulltarif. Bevölkerung genießt eine hohe Priorität im deutschen Gesundheitssystem. 15
Rahmenbedingungen für eine gesicherte Plasmaversorgung Es hakt bei der Spende dem Plasma gewonnenen Immunglobuline angewiesen Der „Knackpunkt“ der Sicherstellung der Versorgung ist sind, schnell ein Problem. Eine Überwindung dieses Zu- allerdings immer wieder die Plasmaspende – in Zeiten von stands muss mittelfristig ein Ziel europäischer Gesund- Corona gilt dies sogar verstärkt, da viele Bürgerinnen und heitspolitik sein. Bürger den Spendezentren tendenziell eher fernbleiben. Probleme bestanden aber auch schon vor der Pandemie. Unterschiedliche Standards Wir erkennen an, dass dieses Thema dringend angegan- und der Weg nach vorn gen werden muss. Das Bewusstsein der Bürgerinnen und Wie kann man dies gewährleisten? Es lohnt tatsächlich Bürger dafür, welche wichtige Funktion die Plasmaspende den Blick in das Land, das durch seine erheblich höhere hat, muss gestärkt werden. Dies kann und sollte nicht al- Anzahl an Spenden auch unsere Versorgung sicherstellt: lein der Industrie zufallen. Auch der Staat ist hier gefragt. die USA. Dort ist eine kleine Aufwandsentschädigung für Denkbar sind etwa Neuauflagen der Kampagnen der Bun- die Plasmaspende, anders als in Europa, gut etabliert und deszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), die wird nicht in Frage gestellt. Zwar darf auch in Deutschland, auch schon in der Vergangenheit zu einem deutlich erhöh- Ungarn, Tschechien und Österreich der zeitliche Aufwand ten Spendeaufkommen geführt haben. Wichtig wäre es der Spender finanziell kompensiert werden, die anderen aus meiner Sicht, diese Kampagnen längerfristiger und EU-Mitgliedsländer sperren sich jedoch überwiegend ge- nachhaltiger zu planen, damit sie nicht ausschließlich zu gen eine solche Regelung. Teil einer europäischen An- einem Kurzzeit-Effekt führen, der schnell wieder verpufft. strengung müsste es also auch sein, hier endlich für eine Eine Bewusstseinsänderung der Bevölkerung lässt sich einigermaßen einheitliche Regelung in den Mitgliedslän- nicht innerhalb weniger Monate erreichen, wie wir auch dern zu sorgen. Es ist schlicht scheinheilig, sich über die schon bei der Organspende, bei Impfkampagnen, bei der vermeintliche Ausbeutung von Mexikanern an Spenden- HIV-Prävention und in vielen anderen Bereichen der ge- zentren direkt hinter der Grenze in den Vereinigten Staa- sundheitlichen Vorsorge gesehen haben. ten zu beklagen, sich aber andererseits aus Gründen der Moral gegen eine klare Regelung zur Aufwandsentschädi- Klar ist aber auch: Die Plasmaversorgung ist kein rein gung in Europa zu verwehren. Europa kann die Abhängig- deutsches Problem. Insgesamt ist die Spendenbereit- keit von Plasmaimporten aus Drittstaaten nur verringern, schaft in der europäischen Union nicht auf einem Niveau, wenn alle europäischen Länder gemeinsam ihren ange- das eine ausreichende Versorgung der Industrie mit die- messenen Beitrag zur Versorgung der Patienten leisten. sem wichtigen medizinischen Rohstoff sicherstellen wür- de. Noch immer sind wir zu einem hohen Grad abhängig Denn wichtigstes und übergeordnetes Ziel muss es sein, von Blutplasma, das (vor allem) in Nordamerika, vorran- die Herstellung von Plasmaprodukten in Deutschland und gig den USA, gewonnen wird. Die letzten Monate haben Europa nachhaltig zu gestalten – sowohl wirtschaftlich uns gezeigt, dass eine solche Abhängigkeit von medizini- als auch in der Grundstoffversorgung. Wir nehmen die schen Rohstoffen aus Übersee hochproblematisch sein Sorgen der Patienten, der Behandler und der Industrie kann. Wären wir über einen längeren Zeitraum vom Im- ernst und werden als CDU/CSU-Fraktion auch weiterhin port aus den Vereinigten Staaten abgeschnitten, hätten die Entwicklung genau beobachten, proaktiv gestalten hiesige Patienten z.B. mit Immundefekten, die auf die aus und, falls nötig, gesetzgeberisch einschreiten. 16
AUSGABE 2 · 2021 Spenden generieren Zu lange haben wir in Deutschland, ja, auch in Europa, das – ohne zu diskrimi- Thema Blutplasma vernachlässigt. Das hat dazu geführt, dass wir jetzt dringend handeln müssen. Im politischen nieren Bereich sehe ich drei Handlungsfelder: 1. Wir müssen die Abhängigkeit von Drittländern verrin- gern und die Sicherheit von Spendern gewährleisten. 2. Wir müssen veraltete und widersprüchliche Entschä- digungsregelungen reformieren. Wenn möglich, dann sogar auf europäischer Ebene. 3. Wir müssen den technischen Fortschritt nutzen, um die Diskriminierung von Spendern zu beenden. Das Ende der Abhängigkeit In einer Kleinen Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion vom 26. März 2020 wurde die Bundesregierung u.a. nach der Strategie zur Deckung des Bedarfs an Blutprodukten ge- fragt. Zwar sinke, so die Bundesregierung in ihrer Antwort, die Zahl der Vollblut-Spender, aber die Zahl der Plasma- pheresespenden liege jährlich „relativ konstant im Be- reich von rund 2,55 Millionen Spenden pro Jahr“ (Druck- sache 19/18381). Was sich nach einer Menge anhört, wird recht schnell kleiner, wenn man sich vor Augen führt, wie viele Plasmaspenden zur Behandlung einzelner Krank- heiten benötigt werden. Die medikamentöse Behandlung eines einzigen Hämophilie-Patienten benötigt jährlich 1.200 Plasmaspenden. Für einen Patienten mit einem pri- mären Immundefekt sind es 130 Plasmaspenden. 900 Prof. Dr. Andrew Ullmann MdB Spenden werden gebraucht, wenn ein Mensch einen Al- Mitglied im Gesundheits- pha-1-Antitrypsinmangel hat. Zugegeben: all das sind sel- tene Erkrankungen. Aber der Begriff darf uns nicht in die ausschuss – FDP Irre führen. Allein in Deutschland leben derzeit etwa 6.000 Hämophilie-Patienten. Es braucht also kein Genie, um zu sehen, dass die 2,55 Millionen Plasmaspenden eher mickrig sind und nicht mal ausreichen, um die Me- Europa muss bei der dikamente für alle Hämophilie-Patienten in Deutschland Blutplasmagewinnung herzustellen. Sie würden nur für ein Drittel der Hämophi- endlich unabhängiger werden lie-Patienten reichen. 17
Rahmenbedingungen für eine gesicherte Plasmaversorgung So nimmt es denn auch nicht wunder, dass die Zahlen ei- Auch für ganz Europa lässt sich feststellen, dass eine im- ne andere Sprache sprechen, wenn man den Horizont jen- mense Abhängigkeit von Plasmaimporten aus den USA seits der Bundesregierung erweitert. Deutschland impor- besteht. 18,8 Millionen Liter jährlich werden importiert. tiert jährlich (Stand 2017) 6,5 Millionen Liter Blutplasma. An sich ist zwar am internationalen Austausch nichts aus- Denn wir brauchen die Plasmaprodukte nicht nur zur Be- zusetzen, aber die Abhängigkeit ist fatal, wenn das Kon- handlung seltener Krankheiten, wir brauchen sie auch in strukt fragil ist. den Krankenhäusern bei Notfällen wie Verbrennungen, In den USA liegen viele Spendezentren an der Grenze zu größeren Operationen, Organtransplantationen etc. Da- Mexiko. Viele Mexikaner kommen über die Grenze, um mit bei ist ein großer Vorteil des Blutplasmas, das es sich im der Plasmaspende Geld zu verdienen. Werbung dafür ist Gegensatz zum Vollblut sehr gut tiefgefroren lagern und erlaubt. Bis zu 400 Dollar im Monat lässt sich auf diese verarbeiten lässt. Weise verdienen. Die bezahlte Spende ist in Mexiko selbst 18
AUSGABE 2 · 2021 nicht möglich. Es besteht aufgrund einer drohenden in Ordnung. Auch wir als Freie Demokraten stehen zum finanziellen Abhängigkeitssituation die Gefahr, dass Altruismus in der Medizin und weigern uns, die körperli- dortige Dauerspender bestehende Beschwerden che Gesundheit zu kapitalisieren oder die Not von Men- oder Erkrankungen verheimlichen, um die Möglichkeit schen auszunutzen. Allerdings zeigen die Zahlen im eu- zur Spende und damit ihre primäre Einkommensquel- ropäischen Vergleich, dass die rein altruistische Spende le nicht zu gefährden. viel zu selten ist. Zudem ist keine ärztliche Überwachung wie hierzulan- In der oben abgebildeten Darstellung sind die grünen de gegeben. Dennoch gelangt das dort gespendete Plas- Länder diejenigen, in denen es gar keine Entschädigung ma über Exporte in die hiesige Versorgung. für die Spende gibt. In den gelben Ländern gibt es eine Entschädigung. Die Zahlen sprechen eine deutliche Spra- Während der Corona-Pandemie wurde die Grenze zu Me- che. Eine entschädigungsfreie Plasmaspende im ausrei- xiko allerdings geschlossen, was zu einem Einbruch der chenden Maß, um den Spendenbedarf in Europa zu si- Spenden führte. Hier zeigt sich, dass es dringend notwen- chern, wird es nicht geben. dig ist, dass Deutschland und die EU autark werden, wenn es um die Bereitstellung von qualitativ hochwertigen Plas- Dabei ist die moralische Sichtweise aus meiner Sicht oft maspenden geht. Allerdings ist keine Lösung in Sicht. nicht so eindeutig, wie es scheint. Denn die Schlussfolgerung, dass eine altruistische Spen- Entschädigung als Motivation de nicht entschädigt werden darf, ist keine notwendige. Die in Deutschland bestehende Empfehlung des ‘Arbeits- Sie setzt beim Spender die Mentalität des Warenhändlers kreises Blut’ des Robert Koch-Instituts zur Entschädigung voraus. Dieser verkauft am Markt (Spendezentrum) eine von Spendern ist nahezu 30 Jahre alt und führt entspre- Ware (sein Plasma). Aber so einfach sollten wir es uns chend 50 Deutsche Mark als maximale Entschädigung an. nicht machen. Denn was spricht dagegen, Gutes zu tun Grob umgerechnet sind das 25 Euro. Der Zeitaufwand für und dafür zusätzlich eine Entschädigung zu bekommen? eine Blutplasmaspende muss mit bis zu 90 Minuten ge- Ja, die Intention des Spenders sollte nie die finanzielle wertet werden. Das ist weder zeitgemäß noch moralisch Not sein. Aber diesen Faktor können und dürfen wir bei FORUM 19
Rahmenbedingungen für eine gesicherte Plasmaversorgung der Spende nicht überprüfen. In Deutschland sind wir ge- entsprechend überarbeitet werden. Dabei sollten auch sellschaftlich so aufgestellt, dass eine Grundsicherung andere Auswahlkriterien einer Prüfung auf ihre medizini- für jeden Bürger und jede Bürgerin gewährleistet ist. Rein sche Notwendigkeit hin unterzogen werden. um zu überleben, braucht also kein Mensch in Deutsch- land Plasma spenden. Aber wäre es auch richtig zu sagen, Das alles sollte auch unter dem Aspekt geschehen, dass dass Spendenwillige in der Grundsicherung kein zusätz- wir die Möglichkeiten des medizintechnologischen Fort- liches Geld erhalten sollen? Ich finde diesen Gedanken schritts zur Aufbereitung von Blutprodukten voranbringen absurd. Gerade vor dem Hintergrund, dass das Plasma und nutzen müssen, um die Zahl an Plasmaspenden zu nach der Spende ja so oder so zur Ware gemacht wird und erhöhen. Dazu gehört die Weiterentwicklung und konse- mit Gewinn veräußert und verarbeitet wird. Solange me- quente Anwendung von Technologien für das Screening dizinisch keine Gründe dafür sprechen, dass Spender ge- und diagnostische Tests. Ein besonderes Augenmerk sundheitlich geschädigt werden, sollten wir die Frage muss dabei auf das Potenzial pathogen-inaktivierender nach dem Altruismus dem Spender selbst überlassen. Ein Verfahren gelegt werden. Gerade auch vor dem Hinter- finanzielles Anreizsystem im Sinne eines Nudgings (Stup- grund neu auftretender Erreger (SARS-CoV-2, West-Nil- sens) erscheint mir jedenfalls notwendig. Dabei muss sich Virus) kommt dem eine immer größere Rolle zu. der Gesetzgeber ja nicht auf Bargeld beschränken. Von Steuererleichterungen bis zu Gutscheinen gibt es viele Zusammenfassung Möglichkeiten. Wir in Europa und Deutschland sind gefordert, wenn es darum geht, mehr Blutplasma für den medizinischen Ge- Das Ende der Diskriminierung brauch zur Verfügung zu stellen. Dabei geht es sowohl um Eine grundsätzliche Wartefrist bei homo- und bisexuellen lebenswichtige Versorgung von Patienten mit seltenen Er- Männern von 12 Monaten zwischen dem letzten Sexual- krankungen als auch um den klinischen Bedarf in akuten verkehr mit einem Mann kommt einem Spendeverbot sehr Fällen. Dazu müssen wir unabhängiger werden. Dies geht nahe. Das ist menschlich, rechtlich und medizinisch nicht nur durch die Generierung von mehr Spenderinnen und zu vertreten. Hier zeigt sich ein antiquiertes Bild von Spendern. Dazu muss eine Anreizstruktur geschaffen wer- homo- und bisexuellen Menschen. den, die dem Menschen nutzt, aber keine sozialen Schief- lagen ausnutzt. Der Qualitätsstandard muss höchsten me- Zudem sehen ich und wir als Fraktion der Freien Demo- dizinischen Anforderungen entsprechen. Deshalb darf kraten die separate Aufführung von heterosexuellen aber keine sinnlose Diskriminierung aus antiquierten me- Menschen mit Risikoverhalten und transsexuellen Men- dizinischen und moralischen Ansichten stattfinden. schen mit Risikoverhalten als nicht begründbar an. Diese formelle Unterscheidung muss gestrichen werden. Für die Eignung als Vollblut- oder Blutplasmaspender ist nicht die sexuelle Orientierung an sich maßgeblich, sondern der Gesundheitszustand und das individuelle Risi- koverhalten im Einzelfall. Die von der Bundesärztekam- mer und dem Paul-Ehrlich-Institut erarbeitete Richt- linie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten muss dringend 20
AUSGABE 2 · 2021 „Das Austarieren ethischer Belange fordert Zugeständ- Dr. Albrecht Kloepfer: Herr Dr. Dahmen, Sie sind auf- grund Ihrer Tätigkeit als Arzt im Not- und Rettungs- nisse aller Prozess- dienst außerordentlich bewandert. Inwieweit begeg- net Ihnen da die Thematik Blutplasmaversorgung? beteiligten“ Dr. Janosch Dahmen: Tatsächlich wird das Thema präkli- nischer Einsatz von Blutprodukten aktuell sehr heißt dis- kutiert. Aus der klassischen Logik der Notfallmedizin her- aus gilt die Regel, dass es nur eine Möglichkeit gibt, wenn einem draußen etwas zustößt: auf dem schnellsten Wege ab ins Krankenhaus. Im besten Fall ist es ein gutes Kran- kenhaus, das alle Möglichkeiten vorhält, mit denen einem geholfen werden kann. Das schließt natürlich auch Blut- produkte ein, die lebensrettend sein können. Auch aus Ihrer ärztlichen Perspektive: Haben wir genug Blutplasma? Grundsätzlich ist es ja so, dass es sich bei Blutplasma immer um ein wertvolles, da begrenztes Gut handelt, das mit Bedacht eingesetzt werden muss. Aber faktisch ist es tatsächlich – das habe ich selbst sehr deutlich erlebt – eine Frage der Verfügbarkeit von Ressourcen. Es gibt wohl keinen Ort in Deutschland, an dem es nicht zumindest punktuell zu Engpässen kommt. © Stefan Kaminski Haben Sie in dem Zusammenhang einen Überblick, inwieweit Deutschland in der Lage ist, seinen eigenen Bedarf zu decken? Dr. Janosch Dahmen MdB Deutschland deckt den eigenen Bedarf tatsächlich auch Mitglied im Gesundheits- über internationale Blutprodukte – seit vielen Jahren und auch ganz systematisch. Grundsätzlich wäre es natürlich ausschuss – B90/Die Grünen wünschenswert, wenn in Deutschland als großem, medi- zinisch-logistisch fortschrittlichem Land mehr gespendet würde, auch um hier unabhängiger zu sein. Das Ressour- Dr. Albrecht Kloepfer sprach mit Dr. Janosch cenproblem ist hier aber mehr ein europäisches als ein Dahmen MdB, seit letztem Jahr Mitglied im deutsches. Gesundheitsausschuss des deutschen Bundestags. Dabei waren sowohl Dr. Dahmens praktische Wie stehen Sie in diesem Zusammenhang zum Thema ärztliche Erfahrungen im Umgang mit Blutplasma der Aufwandsentschädigung bei der Plasmaspende? das Thema, als auch die Position der grünen Ich bin da durchaus zwiegespalten, auch weil ich erlebt Bundestagsfraktion zur Spendensituation von habe, dass es neben dem großen Teil der Menschen, der Blutplasma und Blutprodukten. vor allem aus karitativen Motiven spendet, durchaus auch FORUM 21
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