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sonderausgabe november 2019 Depression Medikamentöse Therapie Konsensus-Statement – State of the Art 2019 Aktualisiert von: Dr. Lucie Bartova, Dr. Markus Dold, Prim. Priv.-Doz. Dr. Andreas Erfurth, Ao.Univ.-Prof. Dr. Armand Hausmann, Univ.-Prof. DDr. Hans-Peter Kapfhammer, Dr. Alexander Kautzky, Assoc.Prof. Dr. Claudia Klier, Dr. Christoph Kraus, Univ.-Prof. DDr. Paul Plener, MHBA, Ao.Univ.-Prof. Dr. Nicole Praschak-Rieder, Prim. Dr. Christa Rados, Priv.-Doz. Dr. Michael Rainer, Ao.Univ.-Prof. Dr. Matthäus Willeit, Assoc.Prof. Priv.-Doz. Dr. Dietmar Winkler Unter der Patronanz: Editorial Board: Univ.-Prof. Dr. Stephan Doering, Ao.Univ.-Prof. Dr. Richard Frey, Prim. Dr. Ralf Gößler, Prim. Univ.-Prof. Dr. Christian Haring, Prim. Mag. Dr. Herwig Oberlerchner, Prim. Dr. Georg Psota, Assoc.Prof. Priv.-Doz. Dr. Eva Reininghaus, Univ.-Prof. Dr. Hans-Bernd Rothenhäusler, Dr. Marie Spies, Prim. Dr. Elmar Windhager, Dr. Margit Wrobel, Prim. Dr. Christian Wunsch Österreichische Vorsitz: O .Univ.-Prof. Dr.h.c.mult. Dr. Siegfried Kasper Gesellschaft für Prim. Univ.-Prof. DDr. Michael Lehofer Neuropsychophar- makologie und Biolo- Ao.Univ.-Prof. DDr. Gabriele-Maria Sachs gische Psychiatrie
Vorwort Die Behandlung depressiver Störungen ist eine zentrale Herausforderung für das Fach Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin. In der Diagnostik, Behandlung und dem Verständnis depres siver Erkrankungen haben sich in den vergangenen Jahren verschiedene Neuerungen ergeben, so- dass nun die vierte revidierte Fassung des ursprünglich im Jahr 2001 erstmals herausgegebenen ÖGPB-Konsensus-Statements zur Depression, das in den Jahren 2007 und 2012 revidiert wurde, vorliegt. Wie zuvor wurde dieses Konsensus-Statement sowohl im persönlichen Gespräch als auch im schriftlichen Austausch mit den teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen erarbeitet. O.Univ.-Prof. Dr.h.c.mult. Nach wie vor zählen Depressionen nicht nur zu den häufigsten Erkrankungen der Psychiatrie, Dr. Siegfried Kasper Universitätsklinik für Psychiatrie sondern werden auch bei verschiedenen organmedizinischen Erkrankungen, z.B. kardiovaskulären und Psychotherapie, Wien Erkrankungen, neuroendokrinologischen Erkrankungen, rheumatischen Erkrankungen und in der Onkologie beobachtet. Das Krankheitsmodell der Depressionen umfasst biopsychosoziale Gesichtspunkte, ohne deren Beachtung sich kein adäquater Behandlungserfolg einstellt. Der moderne Umgang mit Depressionen trägt zur Entmystifizierung depressiver Erkrankungen bei und im Sinne der Adhärenz werden die Patientinnen und Patienten in einem partnerschaftlichen Umgang über Entstehung, Verlauf und verschiedene Therapiemöglichkeiten aufgeklärt. Dies ist insbesondere für die meist notwendige Langzeittherapie wichtig. Heute stehen eine Reihe von neuen Therapiemöglichkeiten zur Verfügung. Insbesondere hinsicht- lich des Nebenwirkungsprofils haben sich dabei deutliche Fortschritte ergeben. Zusätzlich wurden Prim. Univ.-Prof. DDr. Michael Lehofer weitere syndromspezifische, psychotherapeutische und biologisch fundierte Therapiemethoden zur Landeskrankenhaus Depressionsbehandlung entwickelt, die als komplementär anzusehen sind. Eine besondere phar- Graz Süd-West makologische Innovation stellt die Entwicklung des nicht-kompetitiven NMDA-Antagonisten Es- ketamin dar, der in der Indikation „Therapie-resistente Depression“ von der US-amerikanischen „Food and Drug Administration“ (FDA) als erstes Antidepressivum einer neuen (nicht primär die monoaminerge Transmission beeinflussenden) Substanz-Klasse zugelassen wurde. Die in diesem Konsensus-Statement festgehaltenen Grundzüge der Diagnose und Therapiemöglichkeiten depres- siver Erkrankungen sollen nicht nur einen Anhalt für die tägliche Praxis geben, sondern auch ent- sprechenden politischen Gremien als Ausgangspunkt für einen effektiven und kostengünstigen Umgang mit Depressionen dienen. Wir danken für die finanzielle Unterstützung von Unternehmen der Arzneimittelindustrie, die am Ao.Univ.-Prof. DDr. Umschlag angeführt sind. An dieser Stelle möchten wir auch Medizin Medien Austria GmbH für Coverbild: Christoph Burgstedt/GettyImages; Fotos: MedUniWien/Matern, Barbara Krobath, MedUniWien Gabriele-Maria Sachs die ausgezeichnete Zusammenarbeit danken. Universitätsklinik für Psychiatrie Wir hoffen sehr, dass Ihnen das Konsensus-Dokument Depression für die Behandlung und das und Psychotherapie, Wien Verständnis depressiver Erkrankungen nützlich ist. In diesem Sinne zeichnen Österreichische Gesellschaft für Prim. Univ.-Prof. DDr. Michael Lehofer O.Univ.-Prof. Dr.h.c.mult. Dr. Siegfried Kasper Ao.Univ.-Prof. DDr. Gabriele-Maria Sachs Neuropsychophar- makologie und Biolo- gische Psychiatrie Liebe Leserin, lieber Leser! Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichten wir auf das Binnen-I und auf die gesonderte weibliche und männliche Form. 2 c li n i c u m n e u ro p s y s o n d e ra u s g a b e
Depression Inhalt 1. Einleitung 4 10. Antidepressiva bei somatischen Erkrankungen 21 1.1. Depression als besondere medizinische Herausforderung 10.1. Wirksamkeit von Antidepressiva bei somatischen 1.2. Biopsychosoziale Genese der Depression Erkrankungen 1.3. Geschlechtsspezifische Aspekte in der Prävalenz der 10.2. Antidepressiva-induziertes metabolisches Syndrom Depression 10.2.1. Diabetes mellitus Typ II 1.4. Biologische Korrelate bei Depression 10.2.2. Adipositas 10.3. Antidepressiva bei Bluthochdruck 2. Diagnostik 7 10.4. Antidepressiva bei kardiovaskulären Erkrankungen 2.1. Anamnese 2.2. Diagnostisches Vorgehen in der Praxis 11. „Therapieresistente Depression“ (TRD) 22 2.3. Kognitive Störungen bei Depression 11.1. Definitionen 2.4. Sozialanamnese 11.2. Empfohlene Maßnahmen bei Therapieresistenz 11.2.1. Ausschluss einer Pseudoresistenz 3. Medikamentöse Behandlung 10 11.2.2. Add-on-Strategien mit Antipsychotika der zweiten 3.1. Antidepressiver Therapiealgorithmus Generation und Lithium 3.2. Stationäres Setting 11.2.3. Kombinationstherapie mit mehreren Antidepressiva 3.3. Einflussgrößen auf die Therapie 11.2.4. Dosiseskalation und Wechsel des Antidepressivums 3.4. Auswahlkriterien für ein Psychopharmakotherapeutikum 11.2.5. Weitere Therapieoptionen bei Behandlungsresistenz 3.4.1. Antidepressiva: Therapie heute und in Zukunft 11.3. Sequenzielles Therapieschema für unipolare Depression 3.4.2. Rückfallschutz Phasenprophylaxe, Langzeittherapie 3.4.3. Wirkprofil 12. Compliance und Adhärenz 24 3.4.4. Nebenwirkungsprofil 13. Psychotherapeutische Maßnahmen 25 3.4.5. Rezeptorprofil 3.4.6. Metabolismus der Substanz 13.1. Allgemeine ärztliche Psychotherapie 3.4.7. Dosierungsmöglichkeiten 13.2. Psychoedukation und Beratung 3.4.8. Therapeutic Drug Monitoring (=TDM) 13.3. Krisenintervention 3.4.9. Sedierung 13.4. Psychotherapeutische Verfahren 3.4.10. Depressionen bei perimenopausalem Syndrom 14. Nicht medikamentöse, biologisch fundierte 3.4.11. Post-partum Depression therapeutische Maßnahmen 26 4. Depression und Angst 18 14.1. Schlafentzugsbehandlung (SE) 14.2. Lichttherapie (LT) 5. Depression und Suizidalität 18 14.3. Elektrokonvulsionstherapie (EKT) 14.4. Repetitive transkranielle Magnetstimulation (r-TMS) 6. Depression und Burn-out 18 14.5. Vagusnervstimulation (VNS) Coverbild: Christoph Burgstedt/GettyImages; Fotos: MedUniWien/Matern, Barbara Krobath, MedUniWien 14.6. Tiefe Hirnstimulation (THS) 7. D epressionsbehandlung bei älteren und multimorbiden Patienten 19 15. Therapieevaluation 27 8. Depression in der Schwangerschaft 19 16. Langzeittherapie 27 8.1. Antidepressiva während der Schwangerschaft 16.1. Langzeittherapie der unipolaren Depression 8.2. Antidepressiva während der Stillperiode 16.2. Langzeittherapie der bipolaren Depression 9. Depressionen bei Kindern und Jugendlichen 20 Weiterführende Literatur 29 Abkürzungsverzeichnis30 Einwilligungserklärung – Ketaminbehandlung 31 Zitierung der Arbeit wie folgt: Kasper K, Lehofer M, Sachs GM, Bartova L, Dold M, Erfurth A, Hausmann A, Kapfhammer HP, Kautzky A, Klier C, Kraus C, Plener P, Praschak-Rieder N, Rados C, Rainer M, Willeit M, Winkler D. Depression – Medikamentöse Therapie. Konsensus-Statement – State of the Art 2019. CliniCum neuropsy. Sonderausgabe November 2019 c linic um neurop s y s onderausgabe 3
1. Einleitung 1.1. Depression als besondere medizinische Herausforderung Abbildung 2 Die sozialmedizinische und die epidemiologische Forschung Ätiologie der Depression gehen von einem kontinuierlichen Ansteigen der Depressions Biopsychosoziale Bedingungskonstellation inzidenz aus. Es wird daher damit gerechnet, dass diese Erkran- kung in nicht allzu langer Zeit insgesamt die häufigste sein wird. auslösende Lebensereignisse chronische Belastung Depressive Erkrankungen treten bei Menschen aller sozialen Schichten, Kulturen und Nationalitäten auf. Weltweit sind depressive Erkrankungen die führende Ursache für Erwerbsun psychobiologische fähigkeit. In der Epidemiologie wird die Belastung durch einzelne Depression Verlauf Disposition Erkrankungen in Form von Disability Adjusted Life Years (DALYs) berechnet. Diese Maßzahl setzt sich zusammen aus den durch vorzeitigen Tod verlorenen Jahren (Years of life lost, YLLs) sowie erworbene Faktoren den Lebensjahren, die mit krankheitsbedingter Beeinträchtigung das Therapieergebnis und den gelebt wurden (Years lived with disability, YLDs). Bezüglich DALYs Verlauf beeinflussende Faktoren steht die unipolare Depression in den WHO-Statistiken der zu- rückliegenden Jahre weltweit an dritter Stelle, in den Industrie Quelle: Kasper et al., Depression – Medikamentöse Therapie. Konsensus-Statement – State of the Art 2012. nationen sogar an erster Stelle. CliniCum neuropsy Sonderausgabe, November 2012 Dennoch wird nur ein geringer Prozentsatz der Patienten in der neurohormonalen Regulation (insbesondere von Monoaminen, wo- Allgemeinbevölkerung, die an einer depressiven Erkrankung leiden, bei den glutamatergen und GABAergen Systemen zunehmend Be- medikamentös mit einer adäquaten antidepressiven Therapie nach- deutung zugeschrieben wird), neuroendokrinologische Störungen haltig behandelt (Abbildung 1). (insbesondere der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden- Achse), immunologische (inflammatorische), chronobiologische, 1.2. Biopsychosoziale Genese der Depression psychophysiologische, soziale und psychologische Faktoren, wie Die Frage nach Ursachen depressiver Erkrankungen wird heute mit z.B. plötzlicher unerwarteter oder chronischer Stress bzw. Trauma- dem Konzept der multifaktoriellen Ätiologie beantwortet. Aus- ta. Diese Faktoren zeigen untereinander Wechselwirkungen, so schließlich biologische, psychologische oder soziale Erklärungs können genetische Faktoren die Auswirkungen von Umweltbedin- ansätze werden als obsolet angesehen. Das bedeutet nicht, dass gungen modulieren, was als Gen-Umwelt-Interaktion bezeichnet man in einzelnen Fällen einen organischen Faktor (z.B. Enzephalitis wird. oder Hypothyreose), einen sogenannten „psychobiologischen Faktor“ (Gehirnstoffwechsel, einschließlich dysfunktioneller Schalt- Psychologische Betrachtungsweisen haben häufig einen psycho kreise bzw. genetischer Komponenten) bzw. einen entwicklungs dynamischen oder einen lerntheoretisch orientierten Ansatz als geschichtlich situativ-psychologischen Faktor in das Zentrum Grundlage für Modellvorstellungen. Aus psychodynamischer Sicht ursächlicher Betrachtung stellen kann. sind frühe Verlusterlebnisse und ein in der frühen Kindheit wurzeln- der Autonomie-Dependenz-Konflikt mit Schwierigkeiten, aggres In empirischen Untersuchungen wurden im Wesentlichen folgende sive Gefühle auszudrücken, als Disposition zur depressiven Persön- Faktoren als Ursachen für depressive Erkrankungen identifiziert: lichkeit bzw. zur Depression anzusehen. Traumatischen Erfahrun- genetische Faktoren, Störungen der Neurotransmission und der gen in der frühen Individualentwicklung kommen sowohl für Abbildung 1 Behandlungsbedürftigkeit versus tatsächliche Behandlung (Zahl der Betroffenen auf Österreich adaptiert) Behandlungsbedürftige Depressionen in der In hausärztlicher Als Depression Suffizient Nach drei Monaten Gesamtbevölkerung Behandlung diagnostiziert behandelt Behandlung noch (Punktprävalenz 5%, (240.000–280.000 (120.000–140.000 (24.000–36.000 compliant (10.000– ca. 400.000 Betroffene) Betroffene) Betroffene) Betroffene) 16.000 Betroffene) 60–70% 30–35% 6–9% 2,5–4% n Optimierungsspielraum durch Fortbildung und Kooperation mit hausärztlich tätigen Kollegen n Optimierungsspielraum durch Awareness-Programme, Öffentlichkeitsarbeit Quelle: nach Henkel et al. 2001 4 c li n i c u m n e u ro p s y s o n d e ra u s g a b e
psychologische als auch für neurobiologische Dispositionen bzw. Vulnerabilitäten eine besondere Bedeutung zu. Tabelle 1 Kognitiv-behaviorale Modellvorstellungen gehen von unterschied Orientierende Auswahl psychotroper lichen psychologischen Theorien aus. Nach dem derzeitigen Stand Substanzen und Erkrankungen, die zu der Forschung wird ein multifaktorieller Ansatz der Depressions depressiven Symptomen führen können entstehung am ehesten gerecht. Die Modellvorstellungen umfas- Endokrine Störungen Neurologische Störungen sen unter anderem das Depressionsmodell dysfunktionaler Sche- • Morbus Addison • Demenz (insb. subkortikal) mata, das Verstärker-Verlust-Modell sowie das Modell der erlernten • Morbus Cushing • Epilepsie (insb. Temporal- Hilflosigkeit. • Hypopituitarismus lappenepilepsie) • Hypothyreoidismus • Insult In Abbildung 2 sind die biopsychosozialen Bedingungen für die • Morbus Huntington Entstehung und den Verlauf einer depressiven Erkrankung skizziert. Infektionen • Morbus Parkinson Dabei ist das multifaktorielle Modell erkennbar, das sowohl konsti- • Enzephalitis • Multiple Sklerose tutionelle Dispositionen, im weiteren Leben erworbene Vulnerabili- • Epstein-Barr-Virus • Postkommotionelles • Hepatitis Syndrom tätsfaktoren als auch auslösende chronische Belastungen bzw. • HIV • Progressive supranukleäre Lebensereignisse für die akute Episode, aber auch für das Therapie- • Pneumonie Blickparese ergebnis und den Verlauf beeinflussende Faktoren berücksichtigt. • Postinfluenza • Schlafapnoe Aus diesem Modell ist ableitbar, dass die antidepressive Wirkung ein • Tertiäre Syphilis • Subarrachnoidalblutung Resultat unterschiedlichster therapeutischer Interventionen ist, seien • Zerebrovaskuläre sie biologisch, sozial oder psychologisch. Es ist ein agonistisches Medikamente und Erkrankungen bzw. antagonistisches Zusammenwirken im Einzelfall denkbar. psychotrope Substanzen • Amphetamin-Entzug Tumore Eine Monopsychotherapie ohne eine begleitende medikamentöse • Antihypertensiva: Methyl • Zentralnervensystem Therapie ist bei Vorliegen entsprechenden Leidensdrucks in der dopa, Clonidin, Guanethidin, • Lunge Pragmatik des klinischen Alltags nicht sinnvoll. Häufig ist eine Reserpin • Pankreas • Barbiturate psychopharmakologische Basisbehandlung Voraussetzung für die • Benzodiazepine Verschiedenes Psychotherapie. Umgekehrt bedeutet eine Pharmakotherapie ohne • Chemotherapeutika: • Alkoholabhängigkeit eine begleitende psychotherapeutische Maßnahme (siehe Kapitel Vinblastin, Vincristin, Pro- • Anämie 12), dass eine zusätzliche nachgewiesenermaßen effektive carbazin, L-Asparaginase, • Hyperkalzämie Therapieoption nicht genützt wird. Pharmakologisch-psychothera- Interferon-alpha • Hypermagnesämie peutische Kombinationsbehandlungen sind daher das Mittel der • GnRH-Agonisten • Hypokalzämie Wahl. Den jeweiligen Schwerpunkt, abhängig vom Verlauf der • Interferon-alpha-2 • Schwermetall-Intoxikation Erkrankung, zu finden, ist eine therapeutische Herausforderung. In • Interleukin • Systemischer Lupus unterschiedlichen Regionen sind Möglichkeiten für angezeigte • Kokain-Entzug erythematodes psychopharmakologische und psychotherapeutische Kombinations- • Kortikosteroide behandlungen leider häufig in einem zu geringen Ausmaß verfüg- • Metoclopramid • Opiate bar. Ländliche Bezirke sind hiervon stärker betroffen. • Progesteron-freisetzende implantierte Kontrazeptiva Tabelle 1 stellt eine Übersicht zu Substanzen und somatischen Quelle: Philbrick et al. 2012 Erkrankungen dar, die ebenfalls zu einer Depression führen können. tragen auch psychosoziale Faktoren zu den unterschiedlichen Präva- 1.3. Geschlechtsspezifische Aspekte in der Prävalenz lenzraten zwischen Frauen und Männern bei. der Depression Neuere Forschungen haben jedoch ergeben, dass sich die männli- Die Jahresprävalenz für eine Major Depression liegt laut der Welt che Depression durch ein anderes Depressionssysndrom auszeich- gesundheitsorganisation zwischen drei und sechs Prozent. Kessler et al. beschrieben 1993, dass Frauen die Kriterien einer depressiven Tabelle 2 Episode etwa doppelt so häufig erfüllen wie Männer. So lag das Diagnostische Charakteristika der Depression Morbiditätsrisiko für eine Major Depression in dieser Arbeit für beim Mann Frauen zwischen zehn und 25 Prozent, für Männer dagegen „nur“ Depression beim Mann zeichnet sich häufiger aus durch: zwischen fünf und zwölf Prozent. Dabei ergaben sich die höchsten • geringe Stresstoleranz Prävalenzraten bei Männern zwischen 18 und 44 Jahren und bei • erhöhte Risikobereitschaft Frauen zwischen 35 und 45 Jahren. • Ausagieren, d.h. Aktionen setzen Auch im German Health Interview and Examination Survey (GHS) • geringe Impulskontrolle aus 2004 (Jacobi et al.) wurde für Frauen eine Lebenszeitprävalenz • antisoziales Verhalten für Major Depression von 23,3 Prozent errechnet, für Männer da- • Irritabilität, Unruhe, Unzufriedenheit gegen lag sie bei 11,1 Prozent. Die Folgestudie nach zahn Jahren • depressive Denkinhalte kam zu sehr ähnlichen geschlechterdifferenziellen Zahlen (Jacobi • Substanzmissbrauch et al. 2014). • Genetik: Depression, Suizid, Alkoholismus Als Erklärungsmodell wird dafür ein multifaktorieller Ansatz herange- • Aggressivität (Ärgerattacken) zogen. Neben biologischen Faktoren, wie einer Dysfunktion des sero- Quelle: Kasper et al., Depression – Medikamentöse Therapie. tonergen und dopaminergen Neurotransmittersystems, endokrino Konsensus-Statement – State of the art 2012. CliniCum neuropsy Sonderausgabe, November 2012; nach Rutz et al. 1997 logischen und zyklischen Veränderungen sowie genetischen Faktoren c linic um neurop s y s onderausgabe 5
net, das lange Zeit nicht ausreichend charakterisiert wurde. Bei (Single Photon Emission Computed Tomography = SPECT) und Männern bestehen einerseits eine deutliche Unterdiagnostizierung andere zur Verfügung. Den fMRT-Ergebnissen kann man z.B. ent- sowie ein mangelndes Hilfesuchverhalten. Die von Rutz und Kolle- nehmen, dass es bei der Depression Gehirnregionen mit reduzierter gen durchgeführte sogenannte Gotland-Studie hat die Charakteri- neuronaler Aktiviät, wie z.B. im anterioren cingulären Cortex, aber stika der Depression beim Mann zusammengefasst, wobei die er- auch Hyperaktivität, z.B. in den Mandelkernen, geben kann. Außer- höhte Suizidalität, die geringe Stresstoleranz sowie der Substanz- dem wird von einer gestörten funktionellen Konnektivität ausge- missbrauch besonders hervorhebenswert sind (siehe Tabelle 2, gangen, vor allem von einer Hyperkonnektivität des zerebralen Seite 5). Darüber hinaus weisen Männer auch häufiger sogenannte Ruhenetzwerkes. Durch standardisierte PET-Untersuchungen konnte „Ärger-Attacken” auf als Frauen (Winkler et al. 2005). dargestellt werden, dass das Verhältnis der Serotonin-Transporter- dichte zwischen serotonergen Kern- und Assoziationsgebieten mit 1.4. Biologische Korrelate bei Depression dem Ansprechen auf eine antidepressive serotonerge Medikation Unter einem biologischen Aspekt werden Depressionen als hete- korreliert. In Zukunft werden Netzwerkanalysen der komplexen rogene systemische Erkrankungen von Netzwerken im zentralen neuronalen Abläufe weiter zum Verständnis beitragen. Für die Nervensystem angesehen, die darüber hinaus durch relevante Depression haben neben dem Serotonin-Transporter auch weitere systemische Beteiligung z.B. am Herz-Kreislauf-System, serotonerge Rezeptorstrukturen eine wichtige Bedeutung, z.B. der Gastrointestinalsystem oder neuroendokrinen- oder Immunsystem inhibitorische Serotonin-1A- und der exzitatorische Serotonin-2A- gekennzeichnet sind. Depressionen sind Erkrankungen des Ge- Rezeptor. Neue PET-Befunde zeigen auch neuronale Veränderungen hirns mit Beeinträchtigung des Gesamtorganismus bis hin zu im glutamatergen Neurotransmittersystem sowie die Relevanz der psychosozialen Funktionen. Neuroinflammation. Während frühe biologische Forschung methodenbedingt vorwie- gend biochemische und neuroendokrinologische Ansätze verwen- Die Rolle der Genetik bei Depressionen wird seit Jahren intensiv dete, brachten in den letzten zwei Jahrzehnten bildgebende Ver- untersucht. Kausal scheint eine Beteiligung mehrerer Gene und de- fahren und molekularbiologische Untersuchungen große ren Interaktion mit nicht genetischen Umweltfaktoren vorzuliegen, Erkenntnisgewinne über die neurobiologische Pathophysiologie. d.h., es besteht bei Depressionen eine multifaktorielle Genese. Bevor die einzelnen Befunde referiert werden, sei festgehalten, Genetische Untersuchungen haben aufgezeigt, dass im Gegensatz dass derzeit – trotz intensiver F orschung – noch keine „biologi- zu z.B. Autismus oder bipolaren Erkrankungen der Effekt von gene- schen Marker“ bestehen, die abgerufen werden können, um tischen Veränderungen zwar deutlich schwächer, jedoch vorhanden Diagnose oder Verlaufsprognose e iner Depression im klinischen ist. Dieses machte gepoolte Untersuchungen mit mehreren Hun- Alltag zu erleichtern. Der psychopathologische und anamnesti- derttausend Probanden notwendig, wobei die Ergebnisse auf multi- sche Phänotyp ist nach wie vor aussagekräftiger als die neurobio- genetische Veränderungen hindeuten, die zu einer Vulnerabilität für logische Pathophysiologie, die in den vorhandenen wissenschaft weitere pathophysiologische Prozesse führen. Einzelne Risikogene lichen Untersuchungen jedoch e indeutig gezeigt werden kann. wurden ausführlich untersucht, was ebenso gezeigt hat, dass nur wenige Effekte auf einzelne Gene fallen und damit der Einsatz von Bei den erhobenen biochemischen Variablen konnte man z.B. genetischen Untersuchungen für die Pathohysiologie zurzeit noch nachweisen, dass die 5-Hydroxy-Indolessigsäure (5-HIES) im Liquor limitiert ist. Da genomweite Sequenzierungstechniken immer effizi- cerebrospinalis depressiver, suizidal impulsiver Patienten reduziert enter und günstiger werden, kann in Zukunft auch an den Einsatz ist. Auch der Metabolit von Noradrenalin, das MHPG, wurde bei solcher Methoden zur wissenschaftlichen Untersuchung von Risiko- depressiven Patienten in einer reduzierten Konzentration gefunden. und Verlaufseinstufungen gedacht werden. Die Untersuchungen der neuroendokrinologischen Parameter Die zurzeit durchgeführten Untersuchungen zur Bildgebung und haben sich meist auf die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennie- Molekularbiologie lassen erhoffen, dass in den nächsten Jahren renrinden-Achse (HPA-Achse) konzentriert. Es gilt als belegt, dass weitere Einsichten in die Pathophysiologie psychiatrischer Erkran- bei akut erkrankten depressiven Patienten verglichen zu gesunden kungen gewonnen werden mit dem Ziel, eine patientengerechte Kontrollen und zu Patienten in Remission eine Überfunktion der Charakterisierung und Individualisierung für das Ansprechen auf HPA-Achse mit resultierendem Hyperkortisolismus im Tagesverlauf eine spezifische Therapie zur Verfügung zu haben. bestehen kann. Hierbei existieren auch Rückkoppelungsmechanis- men zwischen psychosozialen Faktoren wie Stress und aversiven In den letzten Jahren hat eine Anzahl von Studien die Rolle der Ereignissen und individueller Vulnerabilität. Die Hypothalamus/ Entzündung in der Ätiologie depressiver Störungen untersucht. Hypophysen-Schilddrüsen-Achse kann bei depressiven Patienten ebenso im Sinne einer Unterfunktion verändert sein. Aus den Aktualisiert von: biochemischen und neuroendokrinologischen Parametern kann man jedoch nicht entnehmen, dass eine einmalige Messung von z.B. Cortisol im Blut eine Aussagekraft hinsichtlich der D iagnostik der Depression und der nachzufolgenden Behandlung hat. Verän- derungen der HPA-Achse stehen in engem Zusammenhang mit der Neurodegenerations/Neuroplastizitätstheorie der depressiven Pathophysiologie. Dr. Lucie Bartova Dr. Markus Dold Prim. Priv.-Doz. Dr. Universitätsklinik Universitätsklinik Andreas Erfurth An bildgebenden Verfahren stehen heute die strukturelle für Psychiatrie und für Psychiatrie und 1. Abt. für Psychiatrie Magnetresonanztomographie (MRT), die funktionelle Magnet Psychotherapie, Wien Psychotherapie, Wien und Psychotherapeuti- resonanztomographie (fMRT), die Positronenemissionstomographie sche Medizin, Kranken- (PET) sowie die Einzelphotonen-Emissionscomputertomographie haus Hietzing, Wien 6 c li n i c u m n e u ro p s y s o n d e ra u s g a b e
Zahlreiche Belege deuten auf eine Beziehung zwischen einer Dere- gulierung des Entzündungsprozesses und depressiven Symptomen Tabelle 3 hin. Einige Metaanalysen zeigen, dass bei Depressionen verschiede- Die Kodierung verschiedener depressiver ne Entzündungsmarker besonders die proinflammatorischen Zyto- Erscheinungsbilder gemäß ICD-10 kine (u.a. TNF-α, IL-1) erhöht sind. Eine verstärkte Entzündungsre- F00: Organische Störungen aktion beeinflusst verschiedene Aspekte der Pathogenese der De- F31: bipolare affektive Störungen pression, darunter die verminderte Produktion und Verfügbarkeit F32: Depressive Episode von Neurotransmittern und von Wachstumsfaktoren. F32.0: leichte depressive Episode Vor diesem Hintergrund können Therapeutika, die die Entzündung F32.1: mittelgradige depressive Episode regulieren, in Kombination mit vorhandenen Strategien besonders F32.2: schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome nützlich sein. Omega-3-Fettsäuren, die bei depressiven Patienten F32.3: schwere depressive Episode mit psychotischen erniedrigt sind, verfügen unter anderem über antiinflammatorische Symptomen Eigenschaften. F33: rezidivierende depressive Störung Mittlerweile mehren sich die Hinweise, dass die Omega-3-Gabe ei- F33.0: gegenwärtig leichte Episode ne wirksame Komponente in der Depressionsbehandlung darstellen F33.1: gegenwärtig mittelgradige Episode kann, insbesondere bei Supplementen mit einem Eicosapentaen- F33.2: gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische säure (EPA)-Anteil ≥ 60 Prozent, bei Patienten mit schwerer Depres- Symptome sion und Patienten, die bereits Antidepressiva einnehmen. Ferner F33.3: gegenwärtig schwere Episode mit psychotischen konnte mittlerweile in mehreren Studien gezeigt werden, dass die Symptomen Kombination aus Omega-3-Supplementierung und Antidepressiva F33.4: gegenwärtig remittiert einer Monotherapie überlegen ist. Omega-3-Fettsäuren sind in die F34: anhaltende affektive Störungen F34.0: Zyklothymie Regulation entzündlicher Prozesse involviert und stellen einen gut F34.1: Dysthymie verträglichen Ansatz für eine begleitende Supplementationsthera- F43: Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungs pie bei einer Depression dar. (Hallahan et al. 2016) störungen F43.2: depressive Anpassungsstörung 2. Diagnostik 2.1. Anamnese Wie bei jeder psychiatrischen Erkrankung, so ist auch bei Verdacht Tabelle 4 auf eine depressive Störung eine umfassende Anamnese Vorausset- Kernsymptome der depressiven Erkrankung zung für die Diagnosestellung. Neben der spezifischen Symptom nach ICD-10 ebene (psychopathologischer Befund) umfasst diese alle weiteren (auch somatischen) Symptome und Erkrankungen im Verlauf sowie andere häufige Hauptsymptome Symptome alle psychiatrisch-psychotherapeutischen und somatischen Vorbe- handlungen inklusive aktueller Medikation. Des Weiteren müssen 1. gedrückte Stimmung 1. Konzentration folgende Faktoren erhoben werden: Suchtmittelkonsum, die aktu- 2. Interesse-/Freudlosigkeit 2. Selbstwertgefühl elle soziale und berufliche Lebenssituation (Auslösesituation, 3. Antriebsstörung/Müdigkeit 3. Schuldgefühle aktuelle Belastungsfaktoren) und wichtige Aspekte der Lebens geschichte (Kindheit und Adoleszenz, phasenhafter Verlauf, Hin- 4. Hemmung/Unruhe weise auf Traumatisierungen, Verlusterfahrungen, Vernachlässi- 5. Selbstbeschädigung gung, Intoxikationen, Suizidversuche, etc.). Von Bedeutung ist die 6. Suizid Familienanamnese (insbesondere affektive Störungen und Angst- störungen, Suizide und Suizidversuche sowie Suchterkrankungen 7. Schlafstörung bei Angehörigen), wichtig ist die Möglichkeit anamnestische An 8. Appetitminderung gaben rasch durch Fremdanamnesen zu e rgänzen. zwei oder drei Hauptsymptome zwei bis vier andere Symptome Durch diese Informationen und durch eine lege artis durchge müssen vorhanden sein müssen vorhanden sein führte organische Abklärung kann eine genaue Depressions diagnose erleichtert werden sowie frühzeitig ein Ausschluss ande- Dauer mindestens zwei Wochen rer Diagnosen erfolgen (z.B. organisch bedingte Depression, bipo- Ao.Univ.-Prof. Dr. Univ.-Prof. DDr. Hans- Dr. Alexander Kautzky Assoc.Prof Dr. Dr. Christoph Kraus Univ.-Prof. DDr. Armand Hausmann Peter Kapfhammer Universitätsklinik für Claudia Klier Universitätsklinik Paul Plener, MHBA Department Psychiatrie, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psycho- Universitätsklinik für für Psychiatrie und Universitätsklinik für Psychotherapie und Psychiatrie und Psycho- therapie, Wien Kinder- und Jugend Psychotherapie, Wien Kinder- und Jugend- Psychosomatik, Medizini- therapeutische Medizin, heilkunde, Wien psychiatrie, Wien sche Universität Innsbruck Graz c linic um neurop s y s onderausgabe 7
emäß ICD-10 ist eine depressive Verstimmung für die Diagnose G Tabelle 5 nicht erforderlich: Auch beim Vorliegen der Symptome „Interesse-/ Depressive Störungen im DSM-5 Freudlosigkeit“ und „Antriebsstörung“ sind zwei der drei Haupt- Die depressiven Störungen im DSM-5 umfassen folgende symptome erfüllt. Störungsdiagnosen: Dieser Umstand und die Tatsache, dass Patienten oft andere Symp • disruptive Affektregulationsstörung tome als Hauptbeschwerde vorbringen (Schlaflosigkeit, somatische • Major Depression Beschwerden) macht die Diagnostik einer depressiven Episode mit- • persistierende depressive Störung (Dysthymie) unter schwierig. Interessanterweise wird häufiger eine Depression • prämenstruelle dysphorische Störung bei jenen Patienten mit psychosozialen als bei jenen mit körperli- • substanz-/medikamenteninduzierte depressive Störung chen Problemen diagnostiziert (siehe Tabelle 4, Seite 7). • depressive Störung aufgrund eines anderen medizinischen Einen Überblick über die depressiven Störungen gemäß dem Krankheitsfaktors Diagnostischen und Statistischen Manual 5 (DSM-5) bietet • andere näher bezeichnete depressive Störung Tabelle 5. In Abbildung 3 ist das praktische diagnostische Vorgehen mit lare Depression, affektiver Mischzustand, Depression bei Schizo nachfolgenden Handlungsschritten bei Verdacht einer Depression phrenie, Depression bei beginnender neurodegenerativer skizziert. Erkrankung). Die diagnostische Einordnung ist von zentraler Als weitere Möglichkeit zur Abklärung des Vorliegens einer Bedeutung für die Durchführung der Therapie. Depression kann der WHO-Fragebogen Verwendung finden (siehe Tabelle 6). Derartige Fragebögen können aber nur erste Hinweise 2.2. Diagnostisches Vorgehen in der Praxis auf das Vorhandensein einer Depression geben. Eine genaue Ab- Um die Diagnose einer Depression zu stellen, müssen nach der klärung mit Erhebung der aktuellen Psychopathologie und der zehnten Revision der ICD-Diagnostik (ICD-10) zumindest zwei der Anamnese sind die Voraussetzung für eine exakte Diagnose und Grundsymptome über zumindest zwei Wochen vorhanden sein. Je die darauf folgende Behandlung. nach Anzahl und Intensität dieser und der übrigen Symptome spricht man dann von einer leichten, mittelschweren oder schwe- 2.3. Kognitive Störungen bei Depression ren depressiven Episode. Darüber hinaus kann es auch zum Auf- Kognitive Störungen treten im Rahmen einer Depression häufig treten psychotischer Symptome kommen (ICD-10 33.3). auf (Sachs und Erfurth 2015). Das DSM-5 führt die Beeinträchti- Die Kodierung verschiedener depressiver Erscheinungsbilder ge- gung der Kognition (die verminderte Fähigkeit, zu denken oder mäß ICD-10 ist in Tabelle 3 (Seite 7) angeführt. sich zu konzentrieren oder eine verringerte Entscheidungsfähig- Oft steht bei depressiven Menschen nicht so sehr die gedrückte keit an fast allen Tagen, entweder nach subjektivem Bericht oder Stimmungslage im Vordergrund, sondern andere Symptome. von anderen beobachtet) als A-Kriterium für die Diagnose einer Abbildung 3 Fragenkatalog zur Diagnostik von Depressionen Beantworten Sie zuerst diese zwei Fragen: 1. Haben Sie sich im letzten Monat niedergeschlagen, depressiv oder hoffnungslos gefühlt? 2. Waren Sie lustlos und hatten kein Interesse, etwas zu tun? Ja bei beiden Fragen Ja nur zu einer Frage Nein Nein Beobachten und Abwarten weitere standardisierte Tests Beeinträchtigt die Depression die Arbeit bzw. unterstützende Beratung Ja Nehmen Sie sich die Zeit, einen DSM-IV-Fragebogen auszufüllen oder verweisen Neubewertung nach zwei Sie den Patienten an einen Facharzt für Psychiatrie bis vier Wochen Quelle: nach Hoffmann et Weiner 2007 Ao.Univ.-Prof. Dr. Prim. Dr. Christa Rados Priv.-Doz. Dr. Ao.Univ.-Prof. Dr. Assoc.Prof. Priv.-Doz. Nicole Praschak-Rieder Abteilung für Psychia- Michael Rainer Matthäus Willeit Dr. Dietmar Winkler Universitätsklinik trie und psychothera- Psychiatrische Abteilung, Universitätsklinik Universitätsklinik für Psychiatrie und peutische Medizin, Sozialmedizinisches für Psychiatrie und für Psychiatrie und Psychotherapie, Wien Landeskrankenhaus Zentrum Ost, Wien Psychotherapie, Wien Psychotherapie, Wien Villach 8 c li n i c u m n e u ro p s y s o n d e ra u s g a b e
Tabelle 6 WHO-Fragebogen zum Wohlbefinden Die folgenden Aussagen betreffen Ihr Wohlbefinden in den letzten zwei Wochen. Bitte markieren Sie bei jeder Aussage die Rubrik, die Ihrer Meinung nach am besten beschreibt, wie Sie sich in den letzten zwei Wochen gefühlt haben: In den letzten zwei Die ganze Meistens Etwas mehr Etwas weniger Ab und zu Zu keinem Wochen … Zeit als die Hälfte als die Hälfte Zeitpunkt der Zeit der Zeit … war ich froh und gu- 5 4 3 2 1 0 ter Laune … habe ich mich ruhig 5 4 3 2 1 0 und entspannt gefühlt … habe ich mich ener- 5 4 3 2 1 0 gisch und aktiv gefühlt … habe ich mich beim Aufwachen frisch und 5 4 3 2 1 0 ausgeruht gefühlt … war mein Alltag vol- ler Dinge, die mich inter- 5 4 3 2 1 0 essieren Punktberechnung: Der Rohwert kommt durch einfaches Addieren der Antworten zustande. Der Rohwert erstreckt sich von 0 bis 25, wobei 0 das geringste Wohlbefinden/die niedrigste Lebensqualität und 25 das größte Wohlbefinden/die höchste Lebensqualität bezeichnen. Den Prozentwert von 0–100 erhält man durch Multiplikation mit 4. Der Prozentwert 0 bezeichnet das schlechteste Befinden, 100 das beste. Quelle: Psychiatric Research Unit, WHO Collaborating Centre in Mental Health Major Depression an. Die häufigsten kognitiven Beeinträchtigun- Abbildung 4 gen, die bei depressiven Patienten auftreten, sind Störungen in Therapiealgorithmus bei Depression den exekutiven Funktionen, Informationsverarbeitungsstörungen, Beeinträchtigungen des Lernens und des Gedächtnisses, Konzen- Partielles Ansprechen oder Non-Response nach trationsstörungen und Aufmerksamkeitsstörungen. Die k ognitiven zwei bis vier Wochen Therapie Störungen beeinflussen die Alltagsaktivitäten und die Lebens mit einem Antidepressivum qualität. Diese Beeinträchtigungen dauern an und können auch auslösend für erneute depressive Episoden gesehen werden. Eine Optimierung der Dosis (Dosiserhöhung) Reihe von Studien zeigt, dass depressive Patienten auch in der Remissionsphase kognitive Störungen haben, vor allem in der Kombination Wechsel zu einem Konzentration und Entscheidungsfindung. zweier AD mit Augmentations- neuen AD der Im Vergleich zu anderen psychischen Störungen, wie Schizophre- unterschiedlicher strategien selben oder einer nie oder bipolare Störung, wurde diesen Defiziten bei depressiven Pharmakodynamik anderen Klasse Störungen bisher weniger Beachtung geschenkt. Sie sind eine große Herausforderung in der Behandlung. Erwäge Psychotherapie Erwäge EKT zu egal Verbesserungen in den kognitiven Funktionen können nachweis- zu egal welchem Zeitpunkt welchem Zeitpunkt lich durch Antidepressiva erreicht werden, vor allem von solchen der Therapie der Therapie mit einem multimodalen Wirkmechanismus. Neurobiologische AD: Antidepressivum/a, EKT: Elektrokonvulsionstherapie Untersuchungen konnten feststellen, dass bei der Depression Quelle: nach Bauer et al., WFSBP-Guidelines 2007 Veränderungen in den zentralen Neurotransmittersystemen eine Editorial Board Univ.-Prof. Dr. Stephan Ao.Univ.-Prof. Dr. Prim. Dr. Ralf Gößler Prim. Univ.-Prof. Dr. Prim. Mag. Dr. Prim. Dr. Georg Psota Doering Richard Frey Kinder- und Jugend- Christian Haring Herwig Oberlerchner Psychosoziale Dienste Universitätsklinik Universitätsklinik psychiatrie Rosenhügel, Landeskrankenhaus Klinikum Klagenfurt (PSD) in Wien für Psychoanalyse und für Psychiatrie und Krankenhaus Hietzing, Hall in Tirol am Wörthersee Psychotherapie, Wien Psychotherapie, Wien Wien c linic um neurop s y s onderausgabe 9
Rolle spielen. Studien deuten darauf hin, dass kognitive Verände- 3. Medikamentöse Behandlung rungen sich durch Effekte auf multiple monaminerge Systeme 3.1. Antidepressiver Therapiealgorithmus ergeben, die sich v.a. in einer Verbesserung von exekutiven Nach sorgfältiger Diagnose, insbesondere dem Ausschluss anderer Funktionen zeigten. Pathologien, welche einen unterschiedlichen therapeutischen Zu- gang erforderlich machen würden (Dysthymie, bipolare Depression, Auch nicht-pharmakologische Behandlungsmöglichkeiten, wie ko- Angststörung, somatoforme Störung, schizodepressive Episode, gnitive Remediation, können zur Therapie kognitiver Störungen bei depressives Syndrom bei Schizophrenie, depressives Syndrom bei Depression ergänzend zur Psychopharmakotherapie hilfreich sein. organischer Erkrankung oder Suchterkrankung), dient das aufklä- rende, verständnisvolle, stützende ärztliche Gespräch zur Erstellung 2.4. Sozialanamnese eines optimalen Gesamtbehandlungsplanes. Bei jedem Patienten in der Psychiatrie und Psychotherapeutischen Medizin ist es unabdingbar, sich vor Beginn der Behandlung ein Der Schwerpunkt der Therapiemaßnahmen orientiert sich zum Bild von dessen sozialer Situation zu machen. Dies dient zum einen einen am syndromalen klinischen Zustandsbild, zum anderen am dazu, Informationen über potenzielle psychosoziale Belastungen zu Subtyp der Depression (im Sinne der DSM-5 Specifier). Nach kor- gewinnen, die mit auslösend oder verlaufsbestimmend für die De- rekter Diagnosestellung kann nach dem in Abbildung 4 (Seite 9) pression sein können, und zum anderen dazu, die therapeutische dargestellten Diagramm vorgegangen werden. Abweichungen von Beziehung zu festigen. dieser Vorgangsweise sollten nur mit ausreichender klinischer Argumentation geschehen. Folgende Lebensbereiche sollten exploriert werden: 1. Familiäre Situation: Gibt es Partnerschaft/Familie? Wer sind Nach der Akutbehandlung einer ersten depressiven Episode sollte die Familienmitglieder? Wie ist die Qualität der Beziehungen? die weitere medikamentöse Behandlungsdauer im Sinne eines Liegen familiäre oder partnerschaftliche Belastungen vor? Rückfallschutzes mindestens sechs Monate ab dem Zeitpunkt der 2. Berufliche Situation: Ist der Patient berufstätig? Wenn ja, was Remission betragen. Hierbei kann die antidepressive Therapie in der tut er? Ist die Tätigkeit zufriedenstellend? Gibt es berufliche Regel in jener Tagesdosis, welche zur Remission führte, fortgesetzt Belastungen? werden. Wenn keine Indikation für eine prophylaktische Therapie 3. Soziales Umfeld: Gibt es freundschaftliche Beziehungen besteht (siehe Abbildung 5) und weiterhin keine Anzeichen von oder Engagement in Gruppen/Vereinen etc.? Welche Hobbys depressiver Symptomatik gegeben sind, kann nach Ablauf von min- und Freizeitbeschäftigungen gibt es? Ist der Patient sozial destens 6 Monaten ein langsames Ausschleichen des Antidepressi- isoliert? Gibt es Belastungen, die aus dem sozialen Umfeld vums erwogen werden. Der Zeitpunkt der optimalen Länge eines herrühren? Rückfallschutzes wurde z.B. bereits von Reimherr et al. 1998 syste- Des Weiteren ist es wichtig, sich einen Überblick über die Biografie matisch untersucht. Die Autoren fanden, dass bei Patienten, die in des Patienten zu verschaffen: Wie waren die Beziehungen in der zwölf bis 14 Wochen unter Fluoxetin remittiert waren, eine weitere Herkunftsfamilie? Gab es Traumatisierungen? Wie war die schuli- 38-wöchige Behandlung mit Fluoxetin einer 14-wöchigen Therapie sche/berufliche Entwicklung? Wie war die partnerschaftliche/ signifikant überlegen war. Rezentere Studien zur Erhaltungsthera- familiäre Entwicklung? Wie hat der Patient auf „Schwellen“-Situa- pie mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern (SSRIs) tionen reagiert (z.B. Einschulung, Matura, Auszug aus dem Eltern- und Reboxetin zeigten ähnliche Ergebnisse. haus, erste Berufstätigkeit, etc.). Aus der Zusammenschau der bio- grafischen und aktuellen sozialen Informationen lassen sich 3.2. Stationäres Setting Hypothesen über das Grundtemperament und die Persönlichkeit Bei Vorliegen einer mittelschweren oder schweren Depression (insbe- des Patienten ableiten. Der erhobene psychopathologische Befund sondere mit folgenden Risikofaktoren: Suizidgefahr, psychotische wird auf dem Hintergrund dieses Persönlichkeitsbildes verständli- Symptomatik, Impulsivität bzw. starke innere Unruhe mit Agitation, cher: Es wird deutlich, wo der Patient nach einer Remission wieder Therapieresistenz, signifikante psychosoziale Belastungen) ist vor- „hin möchte”. Die Planung der medikamentösen und psychothera- zugsweise eine stationäre Behandlung indiziert. Dies gilt ebenso bei peutischen Maßnahmen zur Rückfallprophylaxe ist mit den Ergeb- nachfolgenden Komorbiditäten: Suchterkrankungen, andere psychi nissen der Sozialanamnese verknüpft (z.B. Beginn eines Sportpro- atrische Erkrankungen und relevante somatische Erkrankungen. gramms, das Erlernen von Entspannungsverfahren, einzel- oder Auch die Art der Behandlung kann eine Indikation zur stationären gruppenpsychotherapeutische Maßnahmen, Paartherapie, Therapie Aufnahme darstellen (z.B. bei Elektrokonvulsionstherapie oder Initiie- der Impulskontrollstörung, etc.). rung einer antidepressiven und antisuizidalen Therapie mit Ketamin). Assoc.Prof. Priv.-Doz. Univ.-Prof. Dr. Hans- Dr. Marie Spies Prim. Dr. Elmar Dr. Margit Wrobel Prim. Dr. Christian Dr. Eva Reininghaus Bernd Rothenhäusler Universitätsklinik Windhager Fachärztin für Wunsch Universitätsklinik Universitätsklinik für für Psychiatrie und Psychiatrie und Psychiatrie und Psychiatrie und Psycho- für Psychiatrie und Psychiatrie, Graz Psychotherapie, Wien psychotherapeutische Neurologie, Prim. i.R., therapeutische Medizin, psychotherapeutische Medizin, Klinikum Wels Wien Landesklinikum Medizin, Graz Neunkirchen 10 c li n i c u m n e u ro p s y s o n d e ra u s g a b e
Bei Bestehen von psychotischen Symptomen ist die Kombination Abbildung 5 eines Antidepressivums mit einem atypischen Antipsychotikum zu Verlaufsstadien der Depression empfehlen. Bei akuter Suizidalität kann die Off-Label-Verabrei- chung von Ketamin rasche und sehr günstige Effekte zeigen (siehe Remission vollst. Gesundung Kapitel „Off-Label-Behandlung mit Ketamin“). Patienten mit einer schweren Depression mit psychotischen Symptomen oder Suizidali- Ansprechen Rückfall Wiedererkrankung tät sollten ausnahmslos fachärztlich-psychiatrisch behandelt werden, vorzugsweise in einem stationären Setting. Gesundheit Was bringt die Zukunft? Die Beeinflussung glutamaterger Strukturen wird zurzeit intensiv untersucht, ein Wirkmechanis- Symptom mus, der uns von der bereits erhältlichen Substanz Tianeptin Symptom bekannt ist. Die Blockade von NMDA-Rezeptoren, wie durch Krankheit Ketamin, ist in präklinischen, aber auch in klinischen Studien durch eine robuste und schnell wirksame antidepressive Wirksam- keit gekennzeichnet. 6 Monate lang monate-/jahrelang Derzeit werden mehrere Verabreichungsmethoden (intravenös, oral, intranasal) untersucht (Kraus et al. 2017, Rosenblat et al. Prophylaktische Akuttherapie Rückfallschutz 2019). Während in früheren kleineren Studien zur intravenösen Therapie Verabreichung von Ketamin großteils seine razemische Formulati- on untersucht wurde, konnte für die intranasale Applikation von Quelle: nach Bauer et al., WFSBP-Guidelines 2007 Esketamin bereits ein vollständiges Zulassungsprogramm mit einer großen Patientenzahl durchgeführt werden. 3.3. Einflussgrößen auf die Therapie In den USA ist die intranasale Anwendung von Esketamin von der • tragfähige Arzt-Patienten-Beziehung Food and Drug Administration (FDA) am 5.3.2019 für die • Kompetenz und Professionalität der Ärzte Behandlung der therapieresistenten Depression (TRD) zugelassen • Psychoedukation worden. • Therapieadhärenz Der Ausschuss für Humanarzneimittel der Europäischen Zulas- • Einbeziehen der Angehörigen sungsbehörde (CHMP) hat am 17.10.2019 die Zulassung von • soziale Unterstützung intranasalem Esketamin (Handelsname Spravato®, der Firma Janssen-Cilag International N.V.) in Kombination mit einem SSRI 3.4. Auswahlkriterien für ein Psychopharmakotherapeutikum oder SNRI zur Behandlung der therapieresistenten Major Depressi- 3.4.1. Antidepressiva: Therapie heute und in Zukunft. Antide- on bei Erwachsenen, die in der aktuellen mittelgradigen bis pressiva, die sich als klinisch effektiv erwiesen haben (und von der schweren depressiven Episode auf mindestens zwei unterschiedli- österreichischen Zulassungsbehörde für die Indikation „Depression“ che Therapien mit Antidepressiva nicht angesprochen haben, zugelassen sind), sind in Tabelle 7 (Seite 12) aufgelistet. empfohlen. Johanniskrautpräparate eignen sich nur zur Behandlung leichter bis Um die rasch einsetzende antidepressive Wirksamkeit von Ketamin mittelschwerer Depressionen. Prinzipiell sollten bei suizidalen Pati- mit einer lang anhaltenden Wirkdauer zu verbinden, werden der- enten wegen der bestehenden Toxizität möglichst keine tri- oder zeit weitere vielversprechende NMDA-Rezeptor-Modulatoren wie tetrazyklischen Antidepressiva gegeben werden. z.B. Apimostinel, R-Ketamin, Hydroxynorketamin (HNK), Lachgas, bzw. Xenongas untersucht. Die Auswahl des Antidepressivums erfolgt nach: Außerdem zählen die sogenannten AMPA-kine sowie nicht glut- • syndromalen Kriterien, dem Nebenwirkungsprofil und möglichen amaterge Strategien, wie die Modulation des Endocannabinoid Wechselwirkungen systems zu den neuen pharmakotherapeutischen Strategien bei • der individuellen Verträglichkeit (Alter, Komorbidität, Verkehrs- affektiven Erkrankungen. tauglichkeit, vorhandene organische Erkrankungen) Weiters wird die Wirkstoffkombination aus Buprenorphin und • dem bisherigen Therapieansprechen Samidorphan (κ-Opioid-Rezeptorantagonist) derzeit unter der Be- • den Vorerfahrungen und Erwartungen der Patienten zeichnung ALKS5461 als Ergänzung zur antidepressiven Basisthera- • „Evidence based“-Daten pie bei der TRD untersucht. • Vorerfahrungen der Ärzte Das als Halluzinogen bekannte Psilocybin konnte ebenfalls eine im • Applikationsform (Saft, i.v. etc.) Vergleich zu Placebo überlegene antidepressive Wirksamkeit zei- Die Monotherapie mit einer antidepressiven Substanz ist zu Be- gen. Diese wurde mit neurobiologischen Befunden korreliert und ginn einer Behandlung grundsätzlich einer Kombinations kann eventuell über die dopaminerge Modulation im Belohnungs- behandlung vorzuziehen. Wenn mit einer Monotherapie kein system erklärt werden. Erfolg erzielt werden kann, erscheint die Kombination zweier Das als Nervengift bekannte Botulinumtoxin, welches eine innovati- Antidepressiva mit unterschiedlichem Wirkmechanismus aufgrund ve lokale antidepressive Therapieoption darstellt, hemmt die der vorliegenden Daten günstiger als der Wechsel auf ein anderes Signalübertragung zwischen Neuronen und Muskelzellen, sodass Antidepressivum. Hochselektive 5-HT2A-Rezeptorantagonisten eine Muskellähmung resultiert. Während Botulinumtoxin bei neuro- wie z.B. Trazodon oder Mirtazapin tragen zu einer Verbesserung logischen Erkrankungen, wie z.B. unerwünschten Spasmen effektiv der antidepressiven Wirksamkeit bei einer gleichzeitigen Gabe ist, wird es nun auf seine potenzielle antidepressive Wirkung getes von SSRIs bei (Maes et al. 1996, Dold et al. 2016, Bauer et al. tet, wobei es in die Glabella im frontalen Gesichtsbereich appliziert 2017, Dold und Kasper 2017). wird (Bartova und Winkler 2019). c linic um neurop s y s onderausgabe 11
Off-Label-Behandlung mit Ketamin. Unter anderem an der Uni- samkeit führten, off-label angewendet. Erste positive Erfahrungen versitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Wien wird konnten fallweise auch bei Patienten mit einer postpsychotischen Ketamin derzeit bei Patienten, welche an einer unipolaren und bi- Depression gesammelt werden. polaren Depression leiden und eine suizidale Symptomatik aufwei- Die Rechtslage verlangt, dass die Aufklärung und das Einverständnis sen bzw. bei denen die bisher angewendeten konventionellen der Patienten im Rahmen einer schriftlichen Einverständniserklä- Behandlungsoptionen zu einer unzureichenden klinischen Wirk- rung, welche sowohl von den Patienten als auch von den behan- Tabelle 7 Klinisch effektive Antidepressiva bei der Behandlung der Depression (Auswahl von in Österreich zugelassenen Substanzen) Antidepressiva Dosis mg/Tag Freiname Handelsname Start Bereich Standardtagesdosis Selektive Serotonin-Wiederaufnahmeinhibitoren (SSRIs) Seropram ® Citalopram 20 20–40 20 div. Generika Fluctine ® Fluoxetin 20 20–60 20 div. Generika Fluvoxamin Floxyfral 50 100–300 100 ® Seroxat ® Paroxetin 20 20–50 20 div. Generika Gladem ® Tresleen ® Sertralin 50 50–200 50 div. Generika Allosterischer Serotonin-Wiederaufnahmeinhibitor (ASRI) Escitalopram Cipralex , div. Generika 10 10–20 10 ® Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmeinhibitoren (SNRIs) Ixel ® Milnacipran 50 100 100 Venlafaxin Efectin , ® 50 75–375 100 div. Generika Duloxetin Cymbalta , div. Generika 60 60–120 60 ® Glutamat-Modulator (GM) Tianeptin Stablon 37,5 37,5 37,5 ® Noradrenalin- und Serotonin-spezifisches Antidepressivum (NaSSA) Remeron ® Mirtazapin 30 15–45 30 div. Generika Noradrenalin-Wiederaufnahmeinhibitor (NARI) Reboxetin Edronax 4 8–10 8 ® Reversibler Monoaminooxidase-A-Hemmer (RIMA) Moclobemid Aurorix 300 300–600 300 ® Phytopharmakon Johanniskraut z.B. Jarsin 900 900 900 ® Serotonin-5-HT -Antagonist und Wiederaufnahmeinhibitor (SARI) 2 Trazodon Trittico 50 75–600 200 ® Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahmeinhibitor (NDRI) Bupropion Wellbutrin 150 150–300 150 ® Andere Antidepressiva Agomelatin Valdoxan 25 25–50 25 ® Mianserin Tolvon 30 30–90 60 ® Vortioxetin Brintellix 10 5–20 10 ® Trizyklika z.B. Saroten (Amitriptylin), 50, 50–150, 100–150 ® Anafranil (Clomipramin) 25 50–250 ® Quelle: Arzneispezialitätenregister (https://aspregister.basg.gv.at), Austria Codex (https://medonline.at/arzneimittelsuche-index) und Hersteller-Fachinformationen 12 c li n i c u m n e u ro p s y s o n d e ra u s g a b e
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