Fragen der sexuellen Orientierung - Heirat

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Informationsblatt zur Rechtsprechung des Europäischen
                                                                 Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)erung

                                                                                              Dezember 2011
 Dieses Informationsblatt ist für den Gerichtshof nicht bindend und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Fragen der sexuellen Orientierung
Heirat
Schalk und Kopf gegen Österreich (30141/04)
24.06.2010
Die Beschwerdeführer sind ein homosexuelles Paar in einer stabilen Partnerschaft. Sie
beantragten bei den österreichischen Behörden die Erlaubnis zu heiraten. Ihr Antrag
wurde mit der Begründung abgelehnt, die Ehe könne nur zwischen zwei Personen
verschiedenen Geschlechts geschlossen werden; diese Ansicht wurde von den Gerichten
bestätigt.
Der Gerichtshof stellte zunächst fest, dass die Beziehung der Beschwerdeführer – ebenso
wie die Beziehung eines heterosexuellen Paars in der gleichen Situation – unter den
Begriff    des   „Familienlebens“     fiel.   Allerdings  begründet     die   Europäische
Menschenrechtskonvention       keine      Verpflichtung  der    Mitgliedstaaten,    einem
gleichgeschlechtlichen Paar den Zugang zur Ehe zu gewähren. Die nationalen Behörden
können die gesellschaftlichen Bedürfnisse in diesem Bereich am besten beurteilen und
auf diese eingehen, da die Ehe eine tief verwurzelte soziale und kulturelle Bedeutung
hat, die sich von einer Gesellschaft zur anderen deutlich unterscheidet. Keine Verletzung
von Artikel 12 (Recht auf Eheschließung) und keine Verletzung von Artikel 14
(Diskriminierungsverbot) in Verbindung mit Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und
Familienlebens) der Europäischen Menschenrechtskonvention.

 Anhängiges Verfahren
 Chapin und Charpentier gegen Frankreich (40183/07)
 Der Fall betrifft die Trauung zweier Männer durch den Bürgermeister von Bègles, die
 später durch Gerichtsbeschluss annulliert wurde.

Adoption
Fretté gegen Frankreich (36515/97)
26.02.2002
Der Fall betraf die Ablehnung des Antrags eines homosexuellen Mannes auf eine
Vorabgenehmigung für die Adoption eines Kindes.
Der Gerichtshof befand, dass die nationalen Behörden legitimer- und vernünftigerweise
annehmen durften, dass das Adoptionsrecht, auf das der Beschwerdeführer sich berief,
beschränkt war durch die Interessen zur Adoption freigegebener Kinder. Dessen
ungeachtet handelte es sich um ein legitimes Bestreben des Beschwerdeführers und
seine persönlichen Entscheidungen wurden nicht in Frage gestellt. Keine Verletzung von
Artikel 14 (Diskriminierungsverbot) in Verbindung mit Artikel 8 (Recht auf Achtung des
Privatlebens). Allerdings Verletzung von Artikel 6 (Recht auf ein faires Verfahren).

E.B. gegen Frankreich (43546/02)
22.01.2008
Der Fall betraf die Ablehnung eines Antrags einer Frau, die in einer festen Beziehung mit
einer anderen Frau lebte, eine Vorabgenehmigung für die Adoption eines Kindes zu
erhalten.
Informationsblatt – Fragen der sexuellen Orientierung

       Der Gerichtshof stellte fest, dass die Homosexualität der Beschwerdeführerin der
       ausschlaggebende Grund für die Ablehnung ihres Antrags war, während das französische
       Recht gleichzeitig alleinstehenden Personen erlaubt, ein Kind zu adoptieren und somit die
       Möglichkeit der Adoption durch einen alleinstehenden Homosexuellen eröffnet.
       Verletzung von Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 8 der Konvention.
       Maßnahmen zur Umsetzung des Urteils
       Gas und Dubois gegen Frankreich (25951/07)
       15.03.2012
       Die Beschwerdeführerinnen, zwei lesbische Frauen in einer festen Beziehung, die
       zusammen lebten, rügten die Ablehnung des Antrags der ersten Beschwerdeführerin, das
       Kind ihrer Partnerin zu adoptieren.
       Keine Verletzung von Artikel 14 (Diskriminierungsverbot) in Verbindung mit Artikel 8
       (Recht auf Achtung des Privatlebens). Der Gerichtshof war der Auffassung, dass die
       rechtliche Situation der Beschwerdeführerinnen im Hinblick auf die Adoption durch das
       andere Elternteil nicht mit der eines Ehepaars vergleichbar war. Er fand außerdem
       keinen Beleg für Ungleichbehandlung aufgrund der sexuellen Orientierung der
       Beschwerdeführerinnen, da Partner unterschiedlichen Geschlechts, die eine eingetragene
       Partnerschaft eingegangen waren, ebenfalls von einer solchen Adoption ausgeschlossen
       waren. Im Hinblick auf das Argument der Beschwerdeführerinnen, Partner
       unterschiedlichen Geschlechts könnten das Verbot umgehen, indem sie heirateten,
       verwies     der    Gerichtshof   auf    seine   Schlussfolgerungen     hinsichtlich der
       gleichgeschlechtlichen Ehe im Fall Schalk und Kopf gegen Österreich (s.o.).

       Anhängig:
       X u.a. gegen Österreich (19010/07)
       Der Fall betrifft die Ablehnung des Antrags der ersten Beschwerdeführerin, das Kind ihrer
       Partnerin zu adoptieren (Mündliche Verhandlung vom 01.12.2011 – webcast)

       Elternrechte
       Salgueiro da Silva Mouta gegen Portugal (33290/96)
       21.12.1999
       Der Fall betraf den Entzug des gemeinsamen Sorgerechts des Vaters aufgrund dessen
       Homosexualität.
       Die Entscheidung der portugiesischen Gerichte gründete sich weitgehend auf die
       Tatsache, dass der Beschwerdeführer homosexuell ist und dass „das Kind in einer
       traditionellen portugiesischen Familie leben sollte“. Der Gerichtshof befand, dass diese
       Ungleichbehandlung, die sich in Erwägungen im Zusammenhang mit der sexuellen
       Orientierung begründete, mit der Konvention nicht vereinbar war. Verletzung von Artikel
       14 (Diskriminierungsverbot) in Verbindung mit Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat-
       und Familienlebens).
       Maßnahmen zur Umsetzung des Urteils

       J.M. gegen Vereinigtes Königreich (37060/06)
       28.09.2010
       Nach ihrer Scheidung wurde dem früheren Ehemann der Beschwerdeführerin das
       Sorgerecht     für    die   gemeinsamen      Kinder    zugesprochen    und    ihr   eine
       Unterhaltszahlungspflicht auferlegt. Seit 1998 lebte sie mit einer anderen Frau in einer
       intimen Beziehung. Das damals – vor der Einführung des Lebenspartnerschaftsgesetzes
       (Civil Partnership Act) – geltende Recht, das einen verminderten Kindesunterhalt vorsah,
       wenn der abwesende Elternteil eine neue Beziehung, ob verheiratet oder unverheiratet,
       eingegangen war, berücksichtigte gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht.
       Der Gerichtshof befand, dass die Vorschriften über den Kindesunterhalt vor Einführung
       des Lebenspartnerschaftsgesetzes (Civil Partnership Act) gleichgeschlechtliche
       Beziehungen diskriminierten. Verletzung von Artikel 14 (Diskriminierungsverbot) in
       Verbindung mit Artikel 1 Protokoll Nr. 1 (Schutz des Eigentums).

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Informationsblatt – Fragen der sexuellen Orientierung

        Anhängig:
        Hallier und Lucas gegen Frankreich (46386/10)
        Einer Frau wurde „Vaterschaftsurlaub“ verwehrt, als ihre Partnerin ein Kind gebar.

       Beschäftigung
       Lustig-Prean und Beckett gegen Vereinigtes Königreich (31417/96 und
       32377/96) und Smith und Grady gegen Vereinigtes Königreich (33985/96 und
       33986/96)
       27.09.1999
       Perkins und R. gegen Vereinigtes Königreich (43208/98 und 44875/98) und
       Beck, Copp und Bazeley gegen Vereinigtes Königreich (48535/99, 48536/99
       und 48537/99)
       22.10.2002
       Entlassung der Beschwerdeführer aus der Armee allein aufgrund ihrer Homosexualität
       nach Untersuchung zu ihrer sexuellen Orientierung.
       Der Gerichtshof entschied, dass die den Beschwerdeführern gegenüber verhängten
       Maßnahmen besonders schwere Eingriffe in ihr Privatleben darstellten und nicht durch
       „überzeugende und gewichtige Gründe“ gerechtfertigt waren. Verletzung von Artikel 8
       (Recht auf Achtung des Privatlebens). In manchen Fällen Verletzung von Artikel 13
       (Recht auf wirksame Beschwerde). Im Fall Beck, Copp und Bazeley: Keine Verletzung
       von Artikel 3 (Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung).
       Maßnahmen zur Umsetzung des Urteils

       Soziale Rechte
       Mata Estevez gegen Spanien (56501/00)
       10.05.2001 Unzulässigkeisentscheidung
       Der Fall betraf das Fehlen eines Anspruchs auf eine Hinterbliebenenrente für ein
       homosexuelles Paar.
       Die spanische Gesetzgebung hinsichtlich des Anspruchs auf eine Hinterbliebenenrente
       verfolgte ein legitimes Ziel (Schutz der Familie, die auf dem Bund der Ehe basiert) und
       die Ungleichbehandlung fiel in den staatlichen Beurteilungsspielraum. Der Gerichtshof
       erklärte die Beschwerde für unzulässig.
       P.B. und J.S. gegen Österreich (18984/02)
       22.07.2010
       Der Fall betraf die Weigerung der Behörden, den Krankenversicherungsschutz auf den
       homosexuellen Partner eines Versicherten zu erweitern. Vor einer Gesetzesänderung im
       Juli 2007 sah das österreichische Recht vor, dass lediglich nahe Verwandte des
       Versicherten oder ein Lebenspartner des anderen Geschlechts als Angehörige gelten
       können.
       Der Gerichtshof befand, dass vor Juli 2007 eine Verletzung von Artikel 14
       (Diskriminierungsverbot) in Verbindung mit Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und
       Familienlebens) vorlag. Die Gesetzesänderung von Juli 2007 bewirkte, dass das
       entsprechende Gesetz nun neutral in Bezug auf die sexuelle Orientierung des
       Lebensgefährten formuliert ist, wodurch nach Auffassung des Gerichtshofs keine
       Verletzung mehr vorliegt.

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Informationsblatt – Fragen der sexuellen Orientierung

       Mietrecht
       Karner gegen Österreich (40016/98)
       24.07.2003
       Ein homosexueller Mann konnte nach dem Tod seines Partners dessen Mietvertrag für
       die gemeinsam bewohnte Wohung nicht übernehmen.
       Der Gerichtshof konnte nicht anerkennen, dass der generelle Ausschluss von in einer
       homosexuellen Beziehung lebenden Personen aus der Nachfolge in den Mietvertrag für
       den    Schutz    der   Familie    notwendig    war.    Verletzung    von    Artikel 14
       (Diskriminierungsverbot) in Verbindung mit Artikel 8 (Recht auf Achtung der Wohnung).
       Maßnahmen zur Umsetzung des Urteils
       Kozak gegen Polen (13102/02)
       02.03.2010
       Ein homosexueller Mann konnte nach dem Tod seines Partners dessen Mietvertrag für
       die gemeinsam bewohnte Wohung nicht übernehmen.
       Der Gerichtshof konnte nicht anerkennen, dass der generelle Ausschluss von in einer
       homosexuellen Beziehung lebenden Personen aus der Nachfolge in den Mietvertrag für
       den    Schutz    der   Familie    notwendig    war.    Verletzung    von    Artikel 14
       (Diskriminierungsverbot) in Verbindung mit Artikel 8 (Recht auf Achtung der Wohnung).

       Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
       Bączkowski u.a. gegen Polen (1543/06)
       03.05.2007
       Die Beschwerdeführer setzen sich für die Rechte Homosexueller ein. Im Jahr 2005
       verweigerten ihnen die örtlichen Behörden die Erlaubnis für eine Demonstration in
       Warschau, die auf die Diskriminierung von Minderheiten, Frauen und Menschen mit
       Behinderungen aufmerksam machen sollte. Der Demonstrationszug fand schließlich
       trotzdem statt.
       Zwar hatte die Demonstration letztendlich stattgefunden, die Beschwerdeführer hatten
       jedoch ein Risiko auf sich genommen, da der Umzug zu diesem Zeitpunkt nicht offiziell
       genehmigt war. Sie hatten lediglich im Nachhinein die Möglichkeit, Rechtsmittel
       hinsichtlich der abgelehnten Genehmigung einzulegen. Es war vernünftigerweise
       anzunehmen, dass der wahre Grund für die Verweigerung der Erlaubnis in der Ablehnung
       von Homosexualität durch die örtlichen Behörden lag. Verletzung von Artikel 11
       (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit), Artikel 13 (Recht auf wirksame Beschwerde)
       und Artikel 14 (Diskriminierungsverbot)
       Alekseyev gegen Russland (4916/07, 25924/08 und 14599/09)
       21.10.2010
       Der Fall betraf die Beschwerden eines russischen Aktivisten, der sich für Rechte
       Homosexueller einsetzt, über die wiederholte Weigerung der Moskauer Behörden (2006,
       2007, 2008), die von ihm beantragten „Gay-Pride-Umzüge“ zu genehmigen.
       Der Gerichtshof befand, dass die Verbote der umstrittenen Demonstrationen und
       Mahnwachen in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig waren. Er stellte
       weiter fest, dass Herrn Alekseyev kein wirksames Rechtsmittel zur Verfügung stand, um
       die Verbote anzugreifen und dass die Verbote ihn zudem aufgrund seiner sexuellen
       Orientierung diskriminierten. Verletzung von Artikel 11 (Versammlungs- und
       Vereinigungsfreiheit), Artikel 13 (Recht auf wirksame Beschwerde) und Artikel 14
       (Diskriminierungsverbot).

        Anhängige Verfahren
        Genderdoc-M gegen Republik Moldau (9106/06)
        Weigerung der Behörden, einen Demonstrationszug in Chişinău zu genhemigen
        Zhdanov and Rainbow House gegen Russland (12200/08)

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Informationsblatt – Fragen der sexuellen Orientierung

        Weigerung der Behörden, eine Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen- und Transsexuellen-
        Organisation offiziell einzutragen.

       Homophobie und Misshandlung im Gefängnis
       Vincent Stasi gegen Frankreich (25001/07)
       Der Fall betraf die Maßnahmen der Gefängnisleitung im Anschluss an die Misshandlung
       eines Häftlings.
       Der Gerichtshof stellte fest, dass unter den Umständen des Falles und unter
       Berücksichtigung der Tatsachen, die ihnen zur Kenntnis gelangt waren, die Behörden alle
       Maßnahmen ergriffen hatten, die vernünftigerweise erwartet werden konnten, um den
       Beschwerdeführer vor körperlichen Verletzungen zu schützen. Der Gerichtshof stellte
       keine Verletzung von Artikel 3 fest.

        Anhängiges Verfahren
        X. gegen die Türkei (24626/09)
        Der Beschwerdeführer macht geltend, unter anderem aufgrund seiner Homosexualität
        diskriminiert zu werden, was sich in seiner Inhaftierung in einer 5 m2 großen Zelle,
        ohne Kontakt zu anderen Inhaftierten oder die Möglichkeit, sich an der frischen Luft zu
        bewegen, zeige.

       Gefahr für Homosexuelle im Fall der Abschiebung

        Anhängiges Verfahren
        K.N. gegen Frankreich (47129/09)
        Ein homosexueller Mann macht geltend, dass er im Falle seiner Abschiebung in den
        Iran in Lebensgefahr wäre und riskiere, misshandelt zu werden.

                Pressekontakt: echrpress@echr.coe.int Tel: +33 3 90 21 42 08

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