Der heilbare Krieg Diskurse um Traumatisierung und PTBS bei Bundeswehr-Veteranen
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Der heilbare Krieg Diskurse um Traumatisierung und PTBS bei Bundeswehr-Veteranen von Thomas Rahmann PTBS – eine Diagnose aus militärischem Kontext Zwischen Anerkennung und Diskriminierung Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) als Da die ‚psychische Wunde‘ im Rahmen der PTBS- klinische Beschreibung eines Syndroms ist zugleich Diagnose einen äußeren Auslöser benötigt, stellt sich Produkt und Gegenstand politischer Auseinander- die Frage um Anerkennung von entstandenen Ver- setzung. In den USA ‚Posttraumatic Stress Disorder‘ letzungen als, wie Brunner es in seinem Werk ‚Die (PTSD) genannt, geht diese aus den Auseinanderset- Politik des Traumas‘ formuliert, „tief greifende, trau- zungen um den Vietnamkrieg hervor. Dies ist beson- matisierende Verletzung des Gesellschaftsvertrags“.7 ders zu betonen, da es in Bezug auf Traumatisierungen Im Gegensatz zu anderen Diagnosen, die infolge von zeitgleich eine weitere Syndrombeschreibung gab: die Traumatisierungen gestellt werden, betont die PTBS des ‚Rape Trauma Syndroms‘ (RTS), das die Reak- durch die Fixierung auf ein traumatisierendes Ereig- tionen traumatisierter Betroffener von Vergewaltigun- nis keine psychische ‚Abnormalität‘, sondern ist „das gen umschreibt.1 RTS hat es als „Gegensyndrom“2 Resultat einer normalen Reaktion auf ein unerträgli- nicht in die Diagnose-Manuale geschafft – es wurde ches, nicht in die Lebenswelt integrierbares Ereignis. im Rahmen von feministischer Bewegung außerhalb Mit anderen Worten: zwar ist die PTBS, wie im DSM [das US-amerikanische Diagnosemanual, Anm. T.R.] von traditionellen Krankenhaushierarchien entwic- definiert, eine durch eine psychische Verletzung her- kelt, sollte möglichst offen für die Vielseitigkeit von vorgerufene Störung, doch zugleich ist sie geradezu der Reaktionen auf so ein traumatisches Ereignis sein und Ausweis der Normalität“.8 Dies ist der Grund, warum ist somit auch als Untergrabung von Vorurteilen zu beispielsweise eine als depressiv diagnostizierte Reak- verstehen, die Betroffenen typische Verhaltensweisen tion auf ein traumatisches Ereignis theoretisch genauso zuschreiben.3 Verglichen dazu stellten die Bemühun- von politischer Relevanz sein sollte, allerdings eindeu- gen, das PTBS-Syndrom wissenschaftlich haltbar und tiger unter das Label einer ‚psychischen Krankheit‘ möglichst exakt zu belegen, einen Trauma-Diskurs her, fällt und somit in politischen und medialen Diskursen der vergleichsweise technisch ablief.4 Im Gegensatz in der Regel als individuelles Problem und nicht als zum ‚Rape Trauma Syndrom‘ unterscheidet die PTBS gesellschaftliches gehandhabt wird. Dass aber auch nicht zwischen Opfer und Täter. Dass auch ‚selbst trau- die Anerkennung eines Traumas unter der PTBS-Dia- matisierte Täter‘ mit in die PTBS eingeschlossen sind, gnose eine Kehrseite hat, beschreibt beispielsweise war eine bewusste Entscheidung, um allen traumati- die Bundeswehrärztin Heike Groos, die mehrere Aus- sierten Heimkehrern eine therapeutische Behandlung landseinsätze in Afghanistan zwischen 2002 und 2007 und rechtliche Unterstützung zu ermöglichen. absolvierte. Sie hat ihre PTBS-Diagnose als stigmati- Ein Trauma führt dabei weder notwendig zu psychi- sierend im Sinne einer ‚psychischen Krankheit‘ wahr- schen Symptomen, noch treten diese ausschließlich in genommen9, was sie eindrücklich in einem Gespräch, Form von einer PTBS auf. Andersherum jedoch setzt das sie mit ihrem Kommandeur geführt und später in eine PTBS immer ein traumatisches Ereignis voraus.5 ihrem Buch veröffentlich hat, beschreibt: „‚Natürlich Grundsätzlich kann die Wirkung traumatischer Ereig- habe ich grauenvolle Dinge gesehen und erlebt. Aber nisse nicht linear eindeutig festgestellt werden.6 wäre es nicht schrecklich, wenn ich nicht darauf rea- giert hätte? Wäre ich nicht erst recht krank, wenn ich angesichts der Toten und Verwundeten, angesichts der 33
Gewalt und des Leidens nicht mitgefühlt hätte, unbe- zes der Bundeswehr politisch ein besonderes Gewicht rührt geblieben wäre? [...] Ja, sicher war ich trauma- zu, da der Bundeswehreinsatz fernab von Europa von tisiert, wenn Sie das so nennen wollen.‘“10 In diesem den meisten Bundesbürgern durch die Medien wahrge- Zitat tritt die PTBS-Diagnose nicht als subjektives nommen wird und eine kritische Berichterstattung vor Leiden, das (endlich) Anerkennung erfährt, sondern als Ort schwer möglich ist.19 leid-erzeugende Ausgrenzung aus ‚der Normalität‘ auf. Die PTBS trägt auch durch den Begriff einer ‚Störung‘ Selbstdarstellung der Bundeswehr: eindeutig normativen Charakter. ‚Die verstehen das‘ Als ‚psychisch krank‘ behandelte Personen werden in ihrem „Wahrnehmen, Fühlen, Denken und Verhal- Auf der aktuellen Webseite der Bundeswehr zum ten“11 in dem Sinne nicht ernst genommen, dass sie Thema PTBS bei Soldaten finden sich jeweils verlinkte als ‚anormale‘ Reaktionen auf ein ‚normales‘ Ereig- Unterseiten: „Was Angehörige tun können“ sowie „Wie nis gelten. Bezogen auf ihre eigene Definition gilt Ärzte, Kameraden, Kollegen und Vorgesetzte helfen die PTBS umgedreht als eine ‚normale‘ Reaktion auf können“.20 Auch Soldaten selbst werden auf einem ein ‚anormales‘ Ereignis. In diesem Paradox spiegelt Bereich der Webseite angesprochen. Aktiven Soldaten sich das zentrale Thema von Anerkennung und Dis- wird beispielsweise vor allem geraten, die PTBS als kriminierung im PTBS-Diskurs wieder. Der diskri- Diagnose zu akzeptieren und sich in die dafür vorgese- minierende Charakter einer PTBS-Diagnose ist auch hene Behandlung zu begeben21. Die Bundeswehr selbst wichtig, da wissenschaftliche Studien in verschieden hat dafür mittlerweile eigene Strukturen geschaffen, hohem Ausmaß von einer ‚Dunkelziffer‘ ausgehen – in so gibt es einen Online-PTBS-Test der Bundeswehr22, vielen Studien ist die Anzahl der Soldaten, die unter 8-tägige PTBS-Seminare für Familien23, Spezialisie- die Kriterien einer PTBS-Diagnose fallen, wesentlich rungen auf PTBS in den Bundeswehrkrankhäusern in höher als jene, die sich behandeln lassen.12 Berlin und Koblenz, eine sozialarbeiterische Stelle, eine Trauma-Hotline der Bundeswehr und Seelsorge- Medialer Diskurs zu PTBS in Deutschland Angebote.24 Zusätzlich gibt es nun auch eine App mit Namen ‚CoachPTBS‘. Auf der Webseite der Deutsch- Erst seit ungefähr 2005 sind Veteranen aus dem sprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie Afghanistan-Einsatz mit ihren traumatischen Erlebnis- (DeGPT) heißt es dazu: „Die App ist eine gute Mög- sen thematisiert worden.13 Dies hängt wohl auch damit lichkeit im Rahmen des Selbstmanagements bei Bela- zusammen, dass die deutsche Außenpolitik bemüht stungen die eigenen Ressourcen zu aktivieren, sich zu war, die ersten Auslandseinsätze der Bundeswehr als entlasten und bei Bedarf den Weg in die umfangreich „humanitäre Einsätze“14 und „Friedensmission“15 zu dargestellten Hilfsmöglichkeiten zu ebnen“.25 Somit deklarieren. Daten aus einer Langzeitstudie von Seif- werden auch betroffene Soldaten selbst in Verantwor- fert et al., die 2019 herauskam, zeigen die Häufigkeit tung gezogen, sich richtig ‚selbst zu managen‘. potentiell traumatisierender Ereignisse, denen Bun- Auch Youtube-Kanäle werden für die Themati- deswehr-Soldaten in Afghanistan ausgesetzt waren. sierung von PTBS durch die Bundeswehr genutzt, In dieser Studie des ‚Zentrums für Militärgeschichte aus denen nun zwei typische Beispiele folgen.26 Der und Sozialwissenschaften der Bundeswehr‘ über Sol- Videobeitrag ‚Homestory Steffi Matz | Unbesiegt | daten und Veteranen, die im 22. ISAF-Kontingent in Bundeswehr Exclusive‘ von 2018 handelt von Haupt- Afghanistan im Einsatz waren, sprechen 53 % davon, feldwebel Steffi Matz, bei dem nach einem Afgha- „feindlichen Beschuss erlebt“ zu haben, 44 % haben nistan-Einsatz eine PTBS diagnostiziert wurde. Sie den „Tod eines Kameraden erlebt“, jeweils 29 % haben berichtet von ihrer Arbeit in der Apotheke des Sani- den „Tod eines Zivilisten“ und den „Tod eines feind- tätsbereiches der Bundeswehr und ihren Symptomen, lichen Kämpfers erlebt“.16 Die PTBS hat mittlerweile vor allem Angst vor Kontrollverlust. Auch ihre Mutter ein besonderes Gewicht in der psychiatrischen Dia- kommt zu Wort in einer Spaziergangs-Szene, die eine gnostik der Bundeswehr, denn laut einer Statistik der gewisse Vertraulichkeit des Gesprächs suggeriert und Bundeswehr wurde von 2015 bis 2019 am häufigsten in der sie sichtlich mit aufkommenden Emotionen eine PTBS-Diagnose bezüglich einsatzbedingter psy- kämpft. Im Fokus steht aber die Teilnahme als Athle- chischer Folgeerkrankungen gestellt.17 Das Ärzteblatt tin bei den ‚Invictus Games‘ in Toronto, die als Grad- verzeichnet im Juli 2020 ein erneutes Anwachsen der messer der therapeutischen Fortschritte herausgestellt PTBS-Fälle in der Bundeswehr, nachdem es 2015 den wird. Auch die Musik setzt ein, als es näher um die letzten Höchststand mit 235 neu erfassten Fällen gab.18 sportlichen Spiele geht. Zu Wort kommt außerdem Besonders Dokumentationen und fiktionalen Dar- Oberstabsgefreiter Eric, der sowohl als guter Freund stellungen kommt bezüglich des Afghanistan-Einsat- als auch Bundeswehr-Kamerad von Steffi vorgestellt 34
wird und mit ihr auch schon einen Einsatz absolvierte. den Bemühungen erwähnt. Eine unkonkret formulierte Sowohl wird hier durch den Sanitätsdienst von Matz Angst bezüglich der Bundeswehr als Arbeitgeber findet die berufliche Perspektive innerhalb der Bundeswehr sich in Bezug darauf, dass beruflich negative Konse- nach einem Unfall oder einer Erkrankung erwähnt, die quenzen aus einer PTBS-Behandlung folgen könnten. seit dem Einsatz-Weiterverwendungsgesetz27 geregelt Auf diese Angst wird anschließend durch Darstellun- ist. Als militär-sportliches Ereignis dreht sich der Bei- gen der therapeutischen und wiedereingliedernden trag um die ‚Invictus Games‘, die als Rahmen für ein Angebote der Bundeswehr reagiert. Dabei ist auffäl- erfolgreiches Selbst-Management angesehen werden lig, dass in keinem Beitrag über die traumatisierenden können. Gerade im sportlichen Bereich zählt, zumin- Ereignisse gesprochen wird, außer dass das Trauma in dest in der Ideal-Vorstellung, vor allem der eigene Ein- einem Auslandseinsatz geschah. Die Bundeswehr tritt satz.28 hier vor allem in einer fürsorglichen Rolle auf – durch Ein anderer Beitrag, ‚PTBS: Gemeinsam stark – den Fokus auf PTBS als ‚psychische Krankheit‘, der Bundeswehr‘ von 2018 beginnt mit langsamer, melan- in einem Video besonders durch die Psychologin als cholischer Klaviermusik, Patrick Triendl wird als Fachexpertin betont wird, wird dies verstärkt. Fallschirmjäger mit einer PTBS vorgestellt und berich- Der Band ‚Psychosoziale Belastungen‘ der für die tet von Symptomen, vor allem Schlafentzug, Aggressi- Mitglieder des Psychosozialen Netzwerkes der Bun- vität und ‚Flashbacks‘, also eine Art Wiedererleben des deswehr herausgegeben wurde, legt nahe, dass auch traumatischen Ereignisses, das durch bestimmte Reize ein wirtschaftlicher Nutzen für die Bundeswehr darin ausgelöst werden kann. Er wird immer wieder bei liegen kann, Betroffene einer PTBS frühzeitig zu seiner neuen Arbeit gezeigt, die als erfolgreiche Berufs- behandeln. Er bezieht sich dabei auf eine Studie des wiedereingliederung benannt wird, da er laut seiner RAND Centers for Military Health Policy Research.30 Psychotherapeutin „wieder fast voll in seinem Bereich Dadurch, dass die Bundeswehr sich auch medizinisch Fallschirmjäger eingesetzt ist“. Seine Therapeutin hebt als erste Anlaufstelle für traumatisierte Soldaten eta- besonders die Angehörigen als Warnsystem hervor, die bliert, sichert sie sich auch eine gewisse Kontrolle über es „als erstes merken“ und nimmt sie in gewisser Weise Behandlung und Erkenntnisse, die damit zusammen- damit in Verantwortung. Triendl selbst meint dazu: hängen. So wurden mit Abstand die meisten Studien „Ohne die Angehörigen, ohne Freunde und Kamera- über traumatisierte Bundeswehr-Soldaten von der Bun- den, die man noch hat, die noch zu einem stehen, wär deswehr selbst durchgeführt. ich wahrscheinlich nicht da, wo ich jetzt bin. Meine Freunde sind jetzt die, die ich in der Einheit habe. Die Darstellung in Funk und Fernsehen: verstehen das, die sind auch da, die sind für mich da“. Moment des Traumas Triendl betont besonders die Hilfe von Kameraden, die selbst „Gleiches“ erlebt hätten und einen auch im Viele Funk- und Fernsehreportagen ähneln sich Einsatz unterstützen könnten. Die Gefahr, dass die Ehe insofern, dass das traumatisierende Ereignis als recht zu Bruch geht, wird als Gipfel verschiedener famili- eindeutig beschrieben wird: eine Konfrontation mit ärer Probleme angesprochen. Doch wenn man nach der dem Tod. Die eine, vermeintlich auslösende Situation Therapeutin Alliger-Horn „diesen Prozess gemeinsam wird in den Reportagen ausführlich beschrieben und geht“, also mit professionellen Unterstützern und den real oder fiktiv dargestellt. Dr. Norbert Kröger, zu dem Familien, wird ein erfolgreicher Verlauf prognostiziert. Zeitpunkt leitender Psychologe im Bundeswehrkran- Vor allem gegen Ende wird auch die Klaviermusik kenhaus Berlin, sprach in der Reportage ‚Albtraum hoffnungsvoller. Der Videobeitrag über Triendl arbei- Auslandseinsatz‘ 2007 dagegen nicht von einem ein- tet sehr mit Emotionen und moralischen Apellen, da er zigen „großen Trauma“, das zu einer PTBS führe, son- sich vor allem um den privaten Bereich der Familien dern von mehreren kleinen Traumata, die aus Sicht der dreht. Besonders ihre Verantwortung zur Zusammenar- Betroffenen daher rührten, „die ganze Zeit misstrauisch beit mit Professionellen und zu einem Verständnis für zu sein“.31 Diese Aussage stimmt auch mit den Ergeb- die traumatisierten Soldaten stehen im Zentrum.29 nissen einer Studie der TU Dresden von 2011 überein, Zu den Videos der Bundeswehr zum Thema PTBS die Dichte und Häufigkeit traumatisierender Ereignisse lässt sich zusammenfassend sagen, dass der klinische als Ursache der PTBS herausstellten.32 Aspekt hervorgehoben wird sowie die Auswirkungen Zum großen Teil sprechen die Veteranen in den der PTBS auf das soziale Umfeld. Vor allem an die Reportagen sehr gefasst, ihre Klarheit und Normalität Verantwortung von Kameraden, Familie und Freun- wird anhand des verständlich beschriebenen, als tra- den sowie an die Eigenverantwortung der Betroffenen gisch dargestellten Ereignisses betont. Wenn vor allem wird appelliert. Die staatlich-institutionelle Verantwor- an die Verantwortung von staatlicher Seite appelliert tungsebene wird vor allem in ihren bereits existieren- wird, enden die Reportagen eher unversöhnlich. Wenn 35
die Eigenverantwortung der traumatisierten Soldaten, Zorn, beispielsweise auf verantwortliche Vorgesetzte, sich in professionelle Behandlung zu begeben, zentraler sich selbst oder die lokale Bevölkerung, eine Rolle. Inhalt der Reportage darstellt, fällt das Ende eher opti- Dies nage nach seiner langjährigen Erfahrung tiefgrie- mistisch aus. Während die Bundeswehr den Umgang fender an einer Person als eine Angst, die im Zentrum mit PTBS-diagnostizierten Soldaten und Veteranen des klassischen PTBS-Konzeptes steht.36 Ein in einer im Großen und Ganzen schon als zufriedenstellend Studie von Hellenthal et al. vorgestelltes Therapiepro- beschreibt, finden sich in Funk- und Fernseh-Reporta- gramm soll „die Bereitschaft von Soldaten fördern, gen oft Appelle an Gesetzgeber und Bundeswehr. sich mit Einsatzerfahrungen mit moralischer Dimen- Die Ergebnisse dieses Kapitels lassen sich nach sion auseinanderzusetzen und diese kognitiv umzu- Brunner als „Politik der Verantwortung“33 deuten. strukturieren. Dabei sollen die betroffenen Soldaten Damit beschreibt er, „wie die psychischen Wunden, mit über imaginative Dialoge mit moralischen Autoritäten denen die Afghanistan-Heimkehrer der Bundeswehr lernen, eine neue Perspektive auf die Auswirkungen nach Hause kommen, durch die deutschen Medien der Einsatzerlebnisse einzunehmen und somit diesen in ein politisch-moralisches Narrativ eingebunden Erfahrungen auch eine neue Bedeutung zuzuschrei- wurden, das eine für Heilung notwendige verantwor- ben“.37 Dieser Therapieansatz steht in einem gewissen tungsbewusste Haltung aller involvierten Akteure – des Kontrast zu einer möglichen präventiven Empfeh- Staates, der Gesellschaft, der Fachleute und auch der lung, die die Studie vorschlägt: „Trainings zur mora- Heimkehrer selbst – formuliert“.34 lischen Sensibilisierung gegenüber der einheimischen Bevölkerung“.38 So gäbe es Studien zu moralischen Weiterentwicklung des PTBS-Konzeptes: Das kranke Gewissen und der saubere Krieg Trainings, die „zu einem signifikanten Rückgang an Berichten über unethisches Verhalten gegenüber der Das Konzept der ‚moral injury‘ aus den USA ist Zivilbevölkerung und zu einer signifikant gestiegenen in den Bundeswehrkliniken als Ergänzung zur PTBS Bereitschaft, unethisches Verhalten anderer Soldaten zu angekommen. Oberstarzt Zimmermann spricht in melden“39 geführt hätten. Während der erste Vorschlag einem PTBS-Podcast der Bundeswehr 2020 davon, der Studie also eine therapeutische Maßnahme zur dass die Behandlung ‚moralischer Verletzungen‘ die moralischen Umwertung des Geschehens darstellt, soll wichtigste Neuerung im Therapiekonzept des Bun- mit dem zweiten eine präventive Sensibilisierung der deswehrkrankenhauses darstelle.35 Im Konzept von Soldaten angestrebt werden. Diese Therapievorschläge ‚moralischer Verletzung‘ geht es im Gegensatz zum dürften auch einige Fragen aufwerfen, die nicht allein klassischen PTBS-Konzept zentral um die Rolle als psychologisch zu beantworten sind. Inwiefern kann ein Täter. Wenn Soldaten Menschen verletzen oder töten, durch Töten oder Verletzen von Menschen entstande- spielten auch Schuldgefühle, Scham und hartnäckiger nes schlechtes Gewissen als krank betrachtet werden? 36
Kann es durch präventive Sensibilisierungen einen bar kausal begründet: „Negative Einstellungen (vor ethisch unproblematischen, ‚sauberen‘ Krieg geben? allem Wut und Enttäuschung) gegenüber der Zivilbe- Was können zeitgemäße ‚moralische Autoritären‘ sein, völkerung wurden von etwa der Hälfte der Teilnehmer die im ersten Therapievorschlag imaginativ hervor- berichtet, gelegentlich gekoppelt mit Schamgefühlen gerufen werden könnten, um das eigene Gewissen zu darüber. Grund war nicht selten die erlebte oder beob- beruhigen? achtete Gewalt gegen Kameraden oder auch einhei- Ein Trauma-Diskurs, der sich um Werthaltungen von mische Frauen und Kinder. Dieser Ärger drückte sich Individuen dreht, verschiebt sich weiter in Richtung nicht selten in abwertenden Bezeichnungen für Einhei- Individualisierung der Verantwortung: Nicht das Töten mische aus (‚Klingonen‘, ‚Knispel‘).“48 und Verletzen von Menschen steht beispielsweise Der Diskurs um moralische Verletzungen scheint im Mittelpunkt der Diskussion, sondern die morali- sich zudem noch exklusiver auf Soldaten zu beziehen sche Bewertung von Seiten der ‚Täter‘. Jemanden zu als jener um PTBS. Eine Anwendung der Diagnose auf töten, zu verletzen oder zumindest (mit)verantwortlich die zivile Bevölkerung, insbesondere geflüchtete Men- dafür zu sein, dass eine andere Person stirbt oder ver- schen, stellt sich als noch schwieriger heraus. letzt wird, scheint nach der Studie von Hellenthal et al. besonders „Soldaten, bei denen das Empfinden für Einsatzfähigkeit oder Frieden? Schicksale und das Leid anderer Menschen besonders stark ausgeprägt“40 ist, zu traumatisieren. Damit wird Die Diskussion um die Verantwortung, sich gesell- wiederum eine Bewertung von Wertorientierungen und schaftlich um traumatisierte Veteranen zu kümmern, damit zusammenhängenden Weltanschauungen vor- verdeckt schnell eine dem zu Grunde liegende Ver- genommen. So führten „humanitäre oder christliche antwortungsfrage: die Verantwortung der deutschen Wertorientierungen“41 zu inneren Konflikten, wenn Sol- Politik, die sich an Kriegen beteiligt und einen erheb- daten Menschen töten oder verletzen und stellen damit lichen Teil der eigenen wirtschaftlichen Grundlage auf einen Faktor für die Anfälligkeit einer ‚moralischen der Rüstungsindustrie aufbaut. Die Verantwortung der Verletzung‘ dar. Dies gilt generell bei „altruistischen, Medien, über militärische Auseinandersetzungen kri- gemeinschaftsbezogenen Werten (wie Benevolenz und tisch zu berichten und dabei nicht nur Vertreter der Universalismus)“42, die auch als „traditionelle Werte“43 Bundeswehr zu Wort kommen zu lassen. Letztendlich bezeichnet werden. „Moderne Werte“44 wie „‚Hedo- die Verantwortung einer Gesellschaft, sich ein klares nismus‘ [...] und ‚Leistung‘“45 stünden diesen traditio- Bild darüber zu machen, was es bedeutet, Bundes- nellen Werten gegenüber und erwiesen sich gegenüber wehrsoldaten in ein anderes Land zu entsenden. Die einer ‚moralischen Verletzung‘ als widerstandsfähiger: Auseinandersetzung mit traumatisierten Soldaten „So waren Werte wie Hedonismus und Stimulation mit könnte dazu einen Beitrag leisten. Die Anerkennung einer verminderten Häufigkeit und Schweregrad post- des Leidens, das jene erfahren haben, verschwimmt traumatischer Symptombildung wie der posttraumati- jedoch in Diskursen um PTBS und moralischer Ver- schen Belastungsstörung assoziiert, Universalismus, letzung leicht mit der Anerkennung der Auslandsein- Tradition und Benevolenz führten hingegen offenbar sätze selbst, die als notwendig hingenommen werden. zu schwerwiegenderen Erkrankungen“.46 Unter einem Demgegenüber stünde der Ansatz des Psychoanalyti- rein medizinischen Aspekt ergibt sich somit das Bild, kers Thomas Auchter, der schlussfolgert: „[L]etztlich dass ein Wertewandel weg von diesen als ‚traditionell‘ bedürfe es nicht der Therapie des Einzelnen, damit bezeichneten Werten hin zu ‚modernen‘ Werten anzu- dieser wieder einsatzfähig wird, sondern der Erkennt- streben wäre. nis, dass die Menschheit lernen müsse, Konflikte ohne Dabei fällt auch auf, dass manche Veränderungen in Krieg und Gewalt zu lösen“.49 Dieser Ansatz würde zu der Werthaltung dagegen nicht problematisiert werden ganz anderen wissenschaftlichen, medialen und poli- – wohl weil sie nicht zu einer ‚moralischen Verlet- tischen Diskursen – und vielleicht letzten Endes zu zung‘ beitragen. Beispielsweise berichten Veteranen weniger Traumatisierungen – führen. mit einer PTBS-Diagnose in Reportagen teilweise von ihrer Angst vor ‚arabisch aussehenden Menschen‘ und begründen dies mit ihrer Traumatisierung: „Alles was Die vollständige Version dieses Textes findet sich als so in die Richtung geht, Irak, Afghanen und so ist halt IMI Studie 2021/1 unter: imi-online.de. schwer für den Kopf, weil ich so Leute überhaupt nicht gerne mag, seitdem die Sachen halt waren. Also jetzt nicht als Menschen, nur weil das halt viel triggert“.47 Diese Einstellungen werden in der Studie von Zim- mermann et al. nicht problematisiert, sondern schein- 37
Anmerkungen 23 Redaktion der Bundeswehr: „Beratung und Unterstüt- 1 Vgl. Brunner, José, „Die Politik des Traumas – Gewalter- zung bei PTBS“, bundeswehr.de, Chefredaktion: Dames, fahrungen und psychisches Leid in den USA, in Deutsch- Simone, Berlin 2020. land und im Israel/ Palästina-Konflikt“, Berlin 2014, 56. 24 Redaktion der Bundeswehr: „PTBS bei ehemaligen Sol- 2 Brunner, José, 69. daten und Reservisten“, bundeswehr.de, Chefredaktion: 3 Ebd. Dames, Simone, Berlin 2020. 4 Vgl. Brunner, José, 88. 25 Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie: 5 Vgl. Brunner, José, 105. „App CoachPTBS“, Koblenz. 6 Vgl. Brunner, José, 107. 26 https://www.youtube.com/user/Bundeswehr, https:// 7 Brunner, José, 23. www.youtube.com/c/BundeswehrExclusive/about 8 Brunner, José, 90. 27 Das ‚Einsatz-Weiterverwendungsgesetz‘ wurde 2007 9 Vgl. Brunner, José, 120f. erlassen und seitdem reformiert. Soldaten mit schwerer 10 Brunner, José, 120 nach Groos, Heike: „Ein schöner gesundheitlicher Einschränkung aus einem Auslandsein- Tag zum Sterben. Als Bundeswehrärztin in Afghanistan“, satz sollte dadurch eine staatliche Anstellung gewährlei- Frankfurt am Main 2009, 259f. stet werden. Vgl. Brunner, José, DPdT, 150 11 Lauff, Sonja: „Die gemiedene Kategorie der Psyche in 28 „Homestory Steffi Matz | UNBESIEGT | Bundeswehr der intersektionalen Diskriminierungskritik. Psychismus Exclusive“, unbesiegt – die Kraft der invictus games, 18.10.2018. als Diskriminierungsform denken“ in: „Geschlechterfor- 29 Redaktion der Bundeswehr: „PTBS: Gemeinsam stark“, schung in und zwischen Disziplinen – Gender in Soziologie, 10.2018. Ökonomie und Bildung“, hrgs. von der Landesarbeitsge- 30 Vgl. Golth, Dietmar: „Sekundäre Traumatisierung von meinschaft der Einrichtungen für Frauen und Geschlech- Familienmitgliedern von Soldaten und Veteranen“ in: terforschung in Niedersachsen (LAGEN), Bd.5, Hahmann, „Psychosoziale Belastungen – Eine Orientierungshilfe für Julia et al., 63-80, Opladen/ Berlin/ Toronto 2020, 72. Mitglieder des Psychosozialen Netzwerkes der Bundes- 12 Vgl. Tegtmeier, Michael A.: „Traumatischer Stress bei wehr“, hrsg. Von Zimmermann, Peter; Eisenlohr, Volker, militärischen Kräften – Einsatz, Nachsorge, Herausfor- 2.Auflage, 159-176, Berlin 2015, 175. derungen“, Studien zur Stressforschung Band 31, Ham- 31 Kloss, Harriet; Thöß, Markus: „Albtraum Auslandsein- burg 2010, Zugl.: Dissertation der Bundeswehr München, satz - Posttraumatische Belastungsstörungen“, MDR 2007. 2010, 148. 32 Vgl. Brunner, José, 163. 13 Vgl. Brunner, José, 121. 33 Vgl. Brunner, José, 54. 14 Brunner, José, 124. 34 Brunner, José, 8. 15 Brunner, José, 124. 35 Redaktion der Bundeswehr: „Podcast #26: PTBS“, 16 Seiffert, Anja; Heß, Julius: „Leben nach Afghanistan – 5.2020. Die Soldaten und Veteranen der Generation Einsatz der 36 Ebd. Bundeswehr - Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen 37 Hellenthal et al.:„Einsatzerlebnisse, moralische Verlet- Langzeitbegleitung des 22. Kontingents ISAF“, hrsg. vom zungen, Werte und psychische Erkrankungen bei Einsatz- Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften soldaten der Bundeswehr“, in: Verhaltenstherapie 2017;27; der Bundeswehr, Potsdam 2019, Abbildung 12: Erfahrun- 244-252, Freiburg 2017, 251. gen des Kontingents mit direkter und indirekter Gewalt im 38 Hellenthal et al., 251. Einsatz, Befragung des ZMSBw des 22. Kontingents ISAF 39 Hellenthal et al., 252. Dezember 2012 bis März 2013 und Mai bis Oktober2013, 40 Hellenthal et al., 250. 83. 41 Zimmermann, Peter et al., „Werteveränderungen und 17 Vgl. Redaktion der Bundeswehr: „PTBS – Statistik und moralische Verletzungen bei im Einsatz psychisch Zahlen“, Chefredaktion: Dames, Simone, Berlin 2020 erkrankten Soldaten der Bundeswehr“, Wehrmedizini- 18 „Mehr Soldaten mit posttraumatischen Belastungsstörun- sche Monatszeitschrift, 60. Jahrgang (Ausgabe 1/2016: S. gen“, Ärzteblatt.de, Berlin, 8.7.2020. 8-14), 20.1.2016. 19 Vgl. Brunner, José, 122. 42 Zimmermann, Peter et al. 20 Redaktion der Bundeswehr: „Wie die Bundeswehr bei 43 Hellenthal et al., 247. PTBS hilft“, bundeswehr.de, Chefredaktion: Dames, 44 Hellenthal et al., 247 Simone, Berlin 2020. 45 Hellenthal et al., 247 21 Redaktion der Bundeswehr: „PTBS bei aktiven Solda- 46 Zimmermann, Peter et al. tinnen und Soldaten“, bundeswehr.de, Chefredaktion: 47 Möcklinghoff, Juliane; Höfle, Maren: „Verwundete Sol- Dames, Simone, Berlin 2020. daten – Wege aus dem Trauma“, 45 min, 2018, NDR. 22 Redaktion der Bundeswehr: „PTBS-Test“, bundeswehr. 48 Zimmermann, Peter et al. de, Chefredaktion: Dames, Simone, Berlin 2020. 49 Brunner, José, 146. 38
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