CO2-Emissionsgrenzwerte für Kraftwerke - Ausgestaltungsansätze und Bewertung einer möglichen Einführung auf nationaler Ebene
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IASS WorkING paper Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) Potsdam, April 2014 CO2-Emissionsgrenzwerte für Kraftwerke – Ausgestaltungsansätze und Bewertung einer möglichen Einführung auf nationaler Ebene Dr. Dominik Schäuble, Dr. Dolores Volkert, Dr. David Jacobs und Prof. Dr. Klaus Töpfer
CO2 -Emissionsgrenzwerte für Kraftwerke Inhalt 1. Einleitung 4 2. Hintergrund 6 2.1 Entwicklung der deutschen Treibhausgasemissionen und die Rolle der Stromerzeugung 6 2.2 Das Europäische Emissionshandelssystem 9 3. CO2-Emissionsgrenzwerte für Kraftwerke – Internationale Erfahrungen 10 3.1 Großbritannien 10 3.2 USA 12 3.3 Kanada 13 * Plattform Energiewende am IASS, Potsdam, 24. April 2014 2_IASS Working Paper
4. Mögliche Umsetzung in Deutschland 14 4.1 Ausgestaltungsansätze 14 4.1.1 Grundlegende Fragen/Typologie von Emissionsgrenzwerten 14 4.1.2 Ausgestaltungsansätze für Deutschland 17 4.2 Nebenwirkungen einer Einführung von Emissionsgrenzwerten für Kraftwerke 19 4.3 Rechtliche Umsetzbarkeit 20 4.3.1 Gesetzliche Ausgangslage 20 4.3.2 Änderungsbedarf im deutschen Recht 21 4.3.3 Umgang mit Bestandsanlagen 22 4.3.4 Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht 23 5. Zusammenfassung und Bewertung 27 6. Fazit 29 Literaturverzeichnis 30 Anhang 32 IASS Working Paper_3
CO2 -Emissionsgrenzwerte für Kraftwerke 1. Einleitung Die Treibhausgasemissionen Deutschlands waren im lichen jährlichen Emissionen der umfassten Anla- Jahr 2013 um 1,2 % höher als noch 2012. Das zeigen die gen. Das Ergebnis ist ein CO2-Preis von 5,00 €/t. 2 jüngsten Schätzungen des Umweltbundesamtes.1 Da- Der Beitrag dieses niedrigen CO2-Preises zu den mit setzte sich die Entwicklung der Jahre 2011/2012 Grenzkosten der Stromerzeugung, die für den Kraft- fort. Die relativ kalten Winter, zunehmende Stromex- werkseinsatz entscheidend sind, ist im Vergleich zu porte und die Verschiebung im Strommix von Erdgas den Brennstoffkosten klein. Derzeit bestimmt also zu Kohle werden als Hauptgründe für die steigenden die Differenz zwischen Gas- und Steinkohlepreis Treibhausgasemissionen angeführt. Über einen län- die Emissionen der deutschen Stromerzeugung und geren Zeitraum betrachtet, nehmen die deutschen nicht der Emissionshandel. Relativ hohe Gas- und Treibhausgasemissionen zwar ab, bei einem Fort- sinkende Kohlepreise haben seit 2011 zu einer Aus- schreiben der mittleren THG-Emissionsminderungs- weitung der Kohleverstromung geführt (Tab. 1). 3 rate der Jahre 2000 – 2013 wird Deutschland sein Der Rückgang der Stromerzeugung aus Kernener- 2020-Klimaziel (minus 40 % im Vergleich zum Basis- gie ist dagegen bilanziell komplett durch den jahr 1990) allerdings verfehlen (Abb. 2). Ausbau der erneuerbaren Energien kompensiert worden. 4 Die Treibhausgasemissionen der deutschen Kraft- werke, die für den Anstieg der deutschen Treib- Um den kumulierten Zertifikatsüberschuss im Emis- hausgasemissionen der letzten beiden Jahre sionshandel abzubauen werden derzeit Reformmaß- mitverantwortlich waren, werden im Rahmen nahmen durchgeführt (sog. Backloading 5). Weitere des EU-Emissionshandels reguliert. Allerdings ist Reformen werden für die vierte Handelsphase ab die Menge an CO2-Zertifikaten im Emissionshandel 2020 intensiv diskutiert.6 Der CO2-Preis könnte da- derzeit ungefähr doppelt so groß wie die tatsäch- durch leicht ansteigen. 1 Umweltbundesamt, Pressemitteilung: Treibhausgasausstoß im Jahr 2013 erneut um 1,2 Prozent leicht gestiegen, abrufbar unter: http://www.umweltbundesamt.de/presse/presseinformationen/treibhausgasausstoss-im-jahr- 2013-erneut-um-12, 10. März 2014. 2 European Energy Exchange, EU Emission Allowances, Primary Market Auction, http://www.eex.com/de/markt- daten/emissionsrechte/auktionsmarkt/european-emission-allowances-auction#!/2014/04/10, Stand: 10. April 2014. 3 Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, http://www.bafa.de/bafa/de/energie/steinkohle/drittlands- kohlepreis/ und http://www.bafa.de/bafa/de/energie/erdgas/, Stand: 15. April 2014. 4 Agora Energiewende, Das deutsche Energiewende-Paradox: Ursachen und Herausforderungen, April 2014. 5 Europäische Kommission, Pressemitteilung: „Backloading“ beschlossen: EU stärkt Handel mit CO 2 -Emissionen, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/deutschland/press/pr_releases/11960_de.htm, 09. Januar 2014. 6 Europäische Kommission, Commission Staff Working Document, Impact Assessment accompanying the docu- ment Proposal for a Decision of the European Parliament and of the Council concerning the establishment and operation of a market stability reserve for the Union greenhouse gas emission trading scheme and amending Directive 2003/87/EC, 22. Januar 2014. 4_IASS Working Paper
Die bislang beschlossenen Maßnahmen werden ohne CO2-Emissionsgrenzwerte für Kraftwerke sind ein weitergehende Veränderungen aber kaum dazu füh- weiteres interessantes Instrument, das international ren, dass der CO2-Preis bis 2020 einen nennenswer- bereits vielfach eingesetzt wird. Das Ziel einer Ein- ten Einfluss auf die deutsche Stromerzeugung haben führung von CO2-Emissionsgrenzwerten für Kraft- wird (Abb. 1). Inwieweit sich die Steuerungswirkung werke ist die kurz- und mittelfristige Verminderung zwischen 2020 und 2030 entfalten wird, hängt maß- der CO2-Emissionen der Stromerzeugung. Emissi- geblich von den politischen Entscheidungen in den onsgrenzwerte können Investitionen in emissions- nächsten beiden Jahren ab. 7 intensive Neu- und Bestandsanlagen verhindern und so einer Verfestigung der bestehenden Kraftwerks- Vor diesem Hintergrund sind in den vergangenen struktur mit potentiell negativer Rückwirkung auf Monaten vermehrt zusätzliche Instrumente vor allem die Klimapolitik vorbeugen. Zusätzlich können Emis- auf nationaler Ebene diskutiert worden, die die zu- sionsgrenzwerte die CO2-Emissionen von Bestands- künftigen CO2-Emissionen der deutschen Kraftwer- kraftwerken beschränken. ke begrenzen können. Hierzu gehören insbesondere das Verbot neuer Kohlekraftwerke, die Einführung Der folgende Beitrag untersucht die Einführung von Mindestwirkungsgraden, eine verpflichtende von CO2-Emissionsgrenzwerten auf nationaler Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung, Flexibilitäts- Ebene kritisch. Neben internationalen Beispielen vorgaben für Kraftwerke, Einschränkungen des Ta- und daraus abgeleiteten Ansätzen zur Umsetzung gebaus, ein gesetzlich festgelegter Kohleausstieg oder in Deutschland werden vor allem rechtliche Aspekte ein nationaler CO2-Mindestpreis. 8,9,10 näher untersucht. Der Beitrag schließt mit einer Bewertung des analysierten Instruments. Abbildung 1: CO 2 - Preis, bei dem die Grenz- kosten der Stromer- zeugung eines alten Steinkohlekraftwerks (SK) und eines moder- CO2 -P reis/€/t nen Gas- und Dampf- X kraftwerks (GuD) gleich hoch sind, in Abhängig- keit der Energieträger- preise. Der hervorgehobene Datenpunkt zeigt den entsprechenden CO 2 - h th Preis für mittlere W /M Energieträgerpreise von /€ 2013.11 Die hier als Fläche Stein e is dargestellten CO 2 -Preise ko h l e preis pr /€ / t S as sind mindestens nötig, KE G damit eine Verschiebung des Energieträgerein- satzes in der Stromer- 7 Oliver Geden, Severin Fischer, Moving Targets – Die Verhandlungen über die Energie- und Klimapolitik- zeugung von Steinkohle Ziele der EU nach 2020. SWP-Studie, 2014. zu Gas bei unterschied- lichen Energieträger- 8 Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland/Deutsche Umwelthilfe, Rechtliche Instrumente zur Verhinderung preisen stattfindet. neuer Kohlekraftwerke und Braunkohletagebaue in Deutschland, Rechtsgutachten erstellt von Roda Verheyen, Eigene Berechnungen. Berlin, Mai 2013. Annahmen: Effizienz SK 36 %, Effizienz GuD 9 Greenpeace Deutschland, Kohleausstiegsgesetz, Verteilung der Reststrommengen und Folgenabschätzung für 58 %, CO 2 -Intensität den Kohlekraftwerkspark, erstellt von Ecofys Deutschland, Mai 2012. SK 0,94 t/MWh, CO 2 - 10 Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion, Eckpunkte für die Reform des Erneuerbare Energien Gesetzes Intensität GuD 0,35 t/ (EEG), Fraktionsbeschluss vom 17. Januar 2014. MWh. 11 Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Fn. 3). IASS Working Paper_5
CO2 -Emissionsgrenzwerte für Kraftwerke 2. Hintergrund 2.1 Entwicklung der deutschen Treib- licht, dass Deutschland die mittlere jährliche Reduk- hausgasemissionen und die Rolle der tionsrate steigern muss, um das von der Bundesregie- Stromerzeugung rung ausgegebene Ziel für 2020 zu erreichen (Abb. 2). Diese Tatsache mag angesichts des enormen Ausbaus In ihrem Energiekonzept aus dem Jahr 2010 hat die der erneuerbaren Energien in der Stromerzeugung in Bundesregierung das Ziel festgeschrieben, den Treib- den vergangenen Jahren durchaus überraschen. hausgasausstoß bis zum Jahr 2020 gegenüber 1990 um 40 % zu reduzieren. 12 Eine genaue Betrachtung der Emissionsreduktion der Jahre 2000 bis 2013 verdeut- 1300 Abbildung 2: Treibhaus- gasemissionen in Deut- X schland in Millionen Ton- 1200 X nen CO 2 -äquivalent 13. X Blau: Gemessene Emis- X X X X sionen. Rot: Lineare 1100 X X Regression über die X X X Jahre 2000 bis 2013 X X und Ziel der Bundes- X 1000 X X regierung.14 X X Mio. t CO2 eq X X X X X 900 800 X 700 Ziel der Bundesregierung 600 2000 2004 2006 2009 2008 2005 2003 2002 2020 2007 1990 2001 2010 1994 1996 1999 2014 2016 1998 2019 2018 1995 2015 1993 1992 2013 2012 1997 2017 1991 2011 X Gemessene Emissionen Lineare Regression (2000 – 2013) 12 Bundesregierung, Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung, 2010, S. 4. 13 1 kg CO 2 -äquivalent entspricht der Masse eines Treibhausgases mit der Strahlungswirksamkeit von 1 kg CO 2 . 14 Bundesregierung (Fn. 12). 6_IASS Working Paper
Deutschland hat im Jahr 2013 Treibhausgase mit Stromerzeugung (33 % der Gesamtemissionen 17) einer CO2-äquivalenten Masse von 951 Millionen und die brennstoffveredelnde Industrie, wie z. B. Tonnen ausgestoßen, was wiederum einem Ausstoß Raffinerien. Die Emissionen der Stromerzeugung von 11,8 Tonnen pro Person pro Jahr entspricht. 15 Gut resultieren zu einem großen Teil aus der Strompro- 80 % dieser Emissionen waren energiebedingt, 16 duktion durch Kohlekraftwerke. Bei einem Anteil an d. h. sie entstanden bei der Verbrennung von Ener- der Stromerzeugung von 45 % (Tab. 1) verursacht der gieträgern wie Öl, Kohle und Gas in den Sektoren Betrieb von Kohlekraftwerken durch die relativ ho- Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Haushalt und hen spezifischen Emissionen (Tab. 2) mehr als 80 % Gewerbe. Die Energiewirtschaft verursachte dabei des Treibhausgasausstoßes des gesamten Strom knapp 40 % des gesamten Treibhausgasausstoßes erzeugenden Sektors.18,19 in Deutschland. Sie umfasst im Wesentlichen die 800 60 Abbildung 3: Spezi- fische Emissionen des Anteil der Kohle und Wirkungsgrad/% 58 deutschen Strommixes 750 56 (blau, linke Achse), Anteil der Kohle an der Emissionsfaktor/g/kWh 54 Bruttostromerzeugung (rot, rechte Achse) und 700 52 mittlerer Brennstoffnut- 50 zungsgrad der deut- schen Kraftwerke mit 650 48 fossilen Brennstoffen (grün, rechte Achse). 20 46 600 44 42 550 40 38 500 36 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 Emissionsfaktor Kohleanteil Wirkungsgrad 15 Umweltbundesamt (Fn. 1). 16 Umweltbundesamt, Hintergrund: Treibhausgasaustoß in Deutschland 2012 – vorläufige Zahlen aufgrund erster Berechnungen und Schätzungen des Umweltbundesamtes, 2013. 17 Umweltbundesamt, Entwicklung der spezifischen Kohlendioxid-Emissionen des deutschen Strommix in den Jahren 1990 bis 2012, Climate Change 07/2013. 18 AG Energiebilanzen, Bruttostromerzeugung in Deutschland von 1990 bis 2013 nach Energieträgern, Stand: 12. Dezember 2013. 19 Umweltbundesamt (Fn. 17). 20 Umweltbundesamt (Fn. 17). © pixelio/Rainer IASS Sturm Working Paper_7
CO2 -Emissionsgrenzwerte für Kraftwerke Die mittleren spezifischen Emissionen des deutschen als die genannten Mittelwerte. Abbildung 3 zeigt, Kraftwerksparks lagen im Jahr 2012 bei 576 g/kWh dass trotz dieser technischen Entwicklung und trotz (Abb. 3). Während bei der Stromproduktion aus er- des Ausbaus der erneuerbaren Energien der mittlere neuerbaren Energien oder auch aus Kernenergie die Emissionsfaktor des deutschen Kraftwerksparks seit spezifischen CO2-Emissionen bei annähernd 0 g/ 2010 zugenommen hat. Dieser Umstand ist im We- kWh liegen, sind die spezifischen Emissionen von sentlichen auf die Verschiebung der Anteile an der Stein- und Braunkohlekraftwerken mit 900 bzw. Stromerzeugung von Kernenergie und Erdgas hin zu 1160 g/kWh im Mittel weit über dem durchschnitt- Braun- und Steinkohle zurückzuführen (Tab. 1). Im lichen Emissionsfaktor des Strommixes (Tab. 2). Jahr 2013 dürfte sich dieser Trend durch die Auswei- Gaskraftwerke emittieren im Mittel ca. 410 g/kWh. tung der Stromerzeugung aus Steinkohle fortgesetzt Die spezifischen CO2-Emissionen moderner Kraft- haben. werke sind für alle Energieträger deutlich niedriger Tabelle 1: Anteile der Brennstoff 2011 in % 2012 in % 2013 in % Energieträger an der Bruttostromerzeugung in Deutschland. 21 Braunkohle 24,5 25,5 25,8 Steinkohle 18,3 18,5 19,7 Kernenergie 17,6 15,8 15,4 Erdgas 14,0 12,1 10,5 Tabelle 2: Mittlere Brennstoff Mittlerer Mittlerer Mittlerer CO2-Emissions- Brennstoffnutzungs- Wirkungsgrad im CO2-Emissions- CO2-Emissions- faktor, Stand der grade und mittlere Jahr 2010 faktor im faktor Strommix Technik 2009 Emissionsfaktoren des deutschen Kraftwerk- Jahr 2010 (g/kWh) 2010 (g/kWh) (g/kWh) sparks im Jahr 2010. CO 2 -Emissionsfaktoren Braunkohle 35 % 1161 940 moderner Kraftwerke im Jahr 2009. 22,23 Steinkohle 38 % 902 546 735 Erdgas 49 % 411 347 21 AG Energiebilanzen (Fn. 18). 22 Umweltbundesamt (Fn. 17). 23 Umweltbundesamt, Klimaschutz und Versorgungssicherheit – Entwicklung einer nachhaltigen Stromversorgung, Climate Change 13/2009. 8_IASS Working Paper
Bis zum Ende des Jahres 2022 werden die letzten rend auch die Nachfrage nach Emissionszertifikaten neun Kernkraftwerke in Deutschland vom Netz stark zurückgegangen. Das Angebot an Zertifikaten genommen. Zusätzlich werden weitere Kraftwerke und deren jährliche Abnahme wurden allerdings altersbedingt ihren Betrieb einstellen. Bis 2018 noch vor der Krise festgesetzt. Neben dieser fal- erwartet die Bundesnetzagentur einen Rückbau schen Vorhersage des Wirtschaftswachstums haben von Kraftwerken mit einer Gesamtleistung von weitere Faktoren, wie eine starke Nutzung interna- ca. 12.300 MW (Tab. 3). 24 Den größten Anteil am tionaler Emissionsgutschriften und zusätzliche Zer- Rückbau haben die Energieträger Steinkohle tifikatsauktionen, zu einem Überschuss von derzeit (3.600 MW), Kernenergie (2.600 MW) und Erd- ungefähr zwei Milliarden Zertifikaten geführt. 26 Das gas (2.500 MW). Dem steht ein Zubau von insge- entspricht in etwa den jährlichen Emissionen der im samt 8.400 MW gegenüber, der von Steinkohle- EU-ETS teilnehmenden Anlagen. Aufgrund dieses (6.700 MW) und Erdgaskraftwerken (1.700 MW) Überschusses beträgt der Preis für ein Emissionszer- bestimmt wird (Tab. 4). Was die installierte steuer- tifikat, das zur Emission von einer Tonne CO2 berech- bare Kapazität betrifft, könnte es in den nächsten tigt, derzeit ungefähr 5,00 €. 27 Jahren also eine weitere Verschiebung hin zu relativ emissionsintensiven Kohlekraftwerken geben. 25 Um den Zertifikatsüberschuss abzubauen, haben die Mitgliedsstaaten im Januar 2014 eine verzögerte Auk- 2.2. Das Europäische tionierung von Zertifikaten beschlossen. 900 Millio- Emissionshandelssystem nen CO2-Zertifikate werden statt zwischen 2014 und 2016 nun erst in den Jahren 2019 und 2020 auf den Mit Beginn der dritten Handelsperiode (2013 – 2020) Markt kommen. 28 wurde erstmals eine europaweite Emissionsober- grenze gesetzt. Kraftwerksbetreiber müssen nun- Darüber hinaus schlägt die Europäische Kommissi- mehr 100 % der Zertifikate, die sie für ihre Anlage on vor, den Emissionshandel durch eine sog. Markt- vorhalten müssen, ersteigern. Die Zuteilung der Zer- stabilitätsreserve überzähliger Emissionsrechte zu tifikate auf Industrieanlagen erfolgt über Produkt- stärken. 29 Hiernach sollen ab dem Jahr 2021 jährlich benchmarks. Für jedes Produkt werden spezifische 12 Prozent des kumulierten Überschusses an Emissi- Emissionen (pro Produkteinheit) berechnet. Der onszertifikaten in eine Reserve fließen, sofern die zu Mittelwert der spezifischen Emissionen der sau- überführende Menge eine bestimmte Mindestmenge bersten 10 % der Anlagen ist der Benchmark. Dieser überschreitet. Sinkt hingegen der kumulierte Über- Benchmark wird mit der Anzahl an Produkten mul- schuss unter einen Schwellenwert, werden Zertifika- tipliziert, die eine bestimmte Anlage in einem vergan- te wieder aus der Reserve in den Markt transferiert. genen Referenzzeitraum produziert hat. 80 % der so bestimmten Emissionsmenge wird der Anlage kos- Die Marktstabilitätsreserve ist ein Mengensteue- tenlos zugeteilt. Die Zertifikate für darüber hinaus rungsinstrument, das darauf abzielt den Zertifikats- gehende Emissionen müssen ersteigert werden. überschuss abzubauen und den Einfluss makroöko- nomischer Entwicklungen (z. B. Konjunktur) auf den Mit dem Beginn der Wirtschaftskrise 2008/2009 CO2-Preis zu dämpfen. sind der Treibhausgasausstoß und daraus resultie- 24 Bundesnetzagentur, Kraftwerksliste zum erwarteten Zu- und Rückbau 2014 bis 2018, Stand: 02.04.2014. 25 Derzeit ist südlich von Frankfurt am Main zwischen 2014 und 2018 ein Zubau von ca. 1.900 MW und ein Rückbau von ca. 7.300 MW geplant. Falls die Netto-Abnahme an installierter Leistung in Süddeutschland zu Versorgungsengpässen führen sollte, könnten Kraftwerksbetreiber angewiesen werden, ihre Kraftwerke weiter als Reservekraftwerke zu betreiben, was die genannten Rückbauzahlen verändern könnte. 26 Karsten Neuhoff, Anne Schopp, Europäischer Emissionshandel: Durch Backloading Zeit für Strukturreform gewinnen, DIW Wochenbericht Nr. 11, 2013. 27 European Energy Exchange (Fn. 2). 28 Europäische Kommission (Fn. 5). 29 Europäische Kommission, Proposal for a Decision of the European Parliament and of the council concerning the establishment and operation of a market stability reserve for the Union greenhouse gas emission trading scheme and amending Directive 2003/87/EC, 2014. IASS Working Paper_9
CO2 -Emissionsgrenzwerte für Kraftwerke 3. CO2 -Emissionsgrenzwerte für Kraftwerke – Internationale Erfahrungen CO2-Emissionsgrenzwerte sind gesetzlich festge- Gas- und Dampfkraftwerken (GuD) und liegen damit schriebene Obergrenzen meist für spezifische Emis- bei 400 – 500 g/kWh. Auch internationale Kapital- sionen von Anlagen zur Energieumwandlung, wie geber schreiben in ihren Bewertungskriterien fest, bspw. Autos oder auch Kraftwerke. Spezifisch be- dass fossile Kraftwerke nur noch finanziert werden deutet, dass die Emissionen zu einer für die Anwen- dürfen, wenn ihre mittleren spezifischen Emissionen dung typischen Größe ins Verhältnis gesetzt wer- gewisse Grenzwerte nicht überschreiten. Die Euro- den. CO2-Emissionsgrenzwerte für Autos werden päische Investitionsbank verwendet beispielsweise beispielsweise in g/km angegeben. Bei Kraftwerken einen Grenzwert von 550 g/kWh. 30,31 werden die CO2-Emissionen ins Verhältnis zur pro- duzierten elektrischen Energie gesetzt, die Einheit 3.1 Großbritannien ist also g/kWh. Neben Grenzwerten für spezifische Emissionen gibt es Grenzwerte für die kumulierten Das Parlament in Großbritannien hat im Rah- Jahresemissionen von Kraftwerken. Diese Art der men der Elektrizitätsmarktreform einen CO2- Emissionsbeschränkung wurde beispielsweise in Emissionsgrenzwert für Kraftwerke mit fossilen Großbritannien eingeführt. Brennstoffen beschlossen (Emissions performance standards, EPS).32 Der CO2-Emissionsgrenzwert liegt Es gibt weltweit bereits einige Länder, Bundesstaaten für Grundlastkraftwerke bei 450 g/kWh. Genauer und Provinzen, die CO2-Emissionsgrenzwerte einge- gesagt, dürfen die Kraftwerke pro Jahr nicht mehr führt haben oder einführen werden, um die Emissio- ausstoßen als ein Kraftwerk mit gleicher Leistung, das nen ihres Kraftwerksparks zu begrenzen. Die Rege- 7446 Stunden im Jahr auf Volllast läuft (85 % Auslas- lungen sind im Detail unterschiedlich, beziehen sich tung) und pro kWh 450 g CO2 emittiert. 33 Kraftwerke aber weitestgehend auf Neuanlagen oder Anlagen, mit einer jährlichen Auslastung von z. B. 40 % dür- deren Laufzeit durch Investitionen signifikant verlän- fen folglich mehr als 900 g CO2 pro kWh ausstoßen gert werden soll (retrofits) sowie z. T. auf Bestandser- (Abb. 4). Tatsächlich handelt es sich also um ein jährli- weiterungen. Die meisten CO2-Emissionsgrenzwerte ches Emissionsbudget pro Kraftwerk. orientieren sich am spezifischen CO2-Ausstoß von 30 Europäische Investitionsbank, Finanzierungskriterien der EIB für Energieprojekte, 25. Juli 2013, S. 30. 31 Die KfW Bankengruppe finanziert in begrenztem Umfang sowohl den Bau als auch die Modernisierung von Kohlekraftwerken in Industrie-, Entwicklungs- und Schwellenländern. Für Kraftwerksneubauten mit Blockgrößen über 500 MWe gilt dabei ein geplanter elektrischer Mindestwirkungsgrad von 43 %. Bei mit Kohle befeuerten, neuen Anlagen, die der Kraft-Wärme-Kopplung bzw. der Heizwärmeerzeugung dienen, wird ein geplanter Brenn- stoffnutzungsgrad von mindestens 75 Prozent vorausgesetzt. Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW-Position zur Finanzierung von Kohlekraftwerken, 10. März 2014. 32 British Parliament, Energy Act 2013, 2013, S. 56 – 62. 33 British Parliament, Energy Act 2013, 2013, S. 56 – 57. 10_IASS Working Paper
Abbildung 4: Ausgestal- CO 2 -Jahresemissionen tung des Emissionsgren- in t CO2 /(MW Jahr) zwerts in Großbritan- 3350 nien. h Höhere spezifische W h M Emissionen einer Anlage W k g/ können durch eine ger- /M 0 45 ingere Jahresauslastung kg kompensiert werden. 0 96 Betriebsstunden pro Jahr 3500 7446 8760 Auslastung 40 % 85 % 100% Der Emissionsgrenzwert gilt für alle neuen Kraft- Die Ausgestaltung des Emissionsgrenzwertes ist im werke, die mit fossilen Brennstoffen betrieben wer- Kontext der britischen Energiestrategie zu betrach- den. Zusätzlich gilt der Grenzwert für retrofits und ten. Großbritannien setzt im Gegensatz zu Deutsch- Erweiterungen, d. h. für Bestandskraftwerke, wenn land weiterhin auf Kernenergie und plant den Bau ein oder mehrere Hauptkessel ersetzt werden oder neuer Kernkraftwerke mit Hilfe von Einspeisevergü- ein zusätzlicher Kessel installiert wird. Die Emissi- tungen. Gleichzeitig ist Großbritannien deutlich we- onsgrenzwerte finden keine Anwendung, wenn ein niger von Erdgasimporten abhängig als Deutschland. Bestandskraftwerk auf CCS 34 oder Biomassever- Der Anteil des Gasverbrauchs, der aus heimischer brennung oder zur Erfüllung europäischer Umwelt- Produktion gedeckt werden kann, hat in den vergan- schutzrichtlinien umgerüstet wird. Für Kraftwerke, genen Jahren zwar stark abgenommen, er betrug im die nach Inkrafttreten des Grenzwerts genehmigt Jahr 2013 aber immer noch 45 %. 35 Darüber hinaus ist werden, hat er bis Ende 2044 Gültigkeit. Der Emissi- die Nutzung von CCS für Großbritannien eine wich- onsgrenzwert soll regelmäßig nach drei Jahren evalu- tige Option um den breiten Energieträgermix inklusi- iert werden und in ganz Großbritannien gelten. ve Kohle und Erdgas zu erhalten. Für Kraftwerke, deren CO2-Emissionen zum Teil Im Jahr 2012 hatte Kohle einen Anteil von 39 % an der durch Carbon-Capture-Technologie aufgefangen Bruttostromerzeugung in Großbritannien, Erdgas werden, gilt der CO2-Emissionsgrenzwert in den einen Anteil von 28 % und Kernenergie von 19 %. 36 ersten drei Jahren nach Inbetriebnahme der CCS- Der Anteil der Kohle an der Stromerzeugung hat von Anlage nicht. Diese Ausnahmeregelung ist bis Ende 2011 auf 2012 um fast 10 % zugenommen, während der 2027 wirksam. Darüber hinaus kann der CO2-Emis- Anteil von Gas um mehr als 12 % zurückgegangen ist. sionsgrenzwert ausgesetzt oder kurzzeitig verändert Allerdings sind 11 von 14 britischen Kraftwerken, die werden, wenn eine Stromknappheit droht. primär mit Steinkohle befeuert werden, um das Jahr 1970 gebaut worden. 37 Diese Kraftwerke nähern sich dem Ende ihrer technischen Lebenszeit. Sie werden voraussichtlich in den kommenden Jahren stillgelegt oder umfassend erneuert. 34 CCS – Carbon-Capture-(Transport)-and-Storage: Das Herausfiltern von CO 2 aus dem Rauchgas der Kraftwerke mit anschließendem Transport zu einer unterirdischen Lagerstätte, in der das CO 2 dauerhaft gespeichert wird. 35 Department of Energy and Climate Change, Digest of UK energy statistics – Natural gas, 2013. 36 Department of Energy and Climate Change, Digest of UK energy statistics, Chapter 5 – Electricity, 2013. 37 Department of Energy and Climate Change, Digest of UK energy statistics, Chapter 5 – Electricity, 2013, S. 143 – 150. IASS Working Paper_11
CO2 -Emissionsgrenzwerte für Kraftwerke 3.2 USA Die EPA schlägt unterschiedliche Grenzwerte für Gas- und Kohlekraftwerke vor. Bei Gaskraftwerken Auch in den USA haben mehrere Bundesstaaten CO2- soll wiederum zwischen großen (>250 MW) und Emissionsgrenzwerte für Kraftwerke eingeführt. kleinen Kraftwerken unterschieden werden. Der Hierzu gehören Illinois und fünf Staaten aus dem Grenzwert für große Gaskraftwerke soll 454 g/kWh Westen der USA: Kalifornien, Montana, New Mexico, und der Grenzwert für kleine Gaskraftwerke 500 g/ Oregon und Washington. 38 kWh betragen. Betreiber von Kohlekraftwerken sol- len die Wahl zwischen zwei möglichen Grenzwerten Kalifornien führte bereits im Jahr 2006 CO2-Emis- haben, die sich hauptsächlich durch unterschiedliche sionsgrenzwerte für Kraftwerke ein. Ziel des Geset- Mittelungszeiträume unterscheiden: Entweder gilt zes ist es, die Grundlasterzeugung mit einem CO2- ein Emissionsgrenzwert von 500 g/kWh für einen Emissionsgrenzwert zu versehen. Deshalb gilt der Mittelungszeitraum von zwölf Monaten oder ein Grenzwert von 500 g/kWh (Jahresmittel) für alle Grenzwert zwischen 454 und 500 g/kWh 41 für einen neuen Kraftwerke (Betriebsgenehmigung nach dem Mittelungszeitraum von sieben Jahren. Mit dieser 30. Juni 2007), die zum Zweck der Grundlastver- Ausgestaltung soll die Implementierung und Opti- sorgung (mindestens 60 % Jahresauslastung) gebaut mierung von CCS-Technologie in den Anfangsjahren werden. 39 Darüber hinaus gilt der Grenzwert für ermöglicht werden. Bestandsanlagen mit einer Jahresauslastung von mindestens 60 %, wenn neue Stromlieferverträge Die klimapolitische Strategie der USA stützt sich mit einer Laufzeit von mindestens fünf Jahren ab- auf die Verdrängung von Kohle durch Erdgas in der geschlossen werden. Der Grenzwert erlangt für Stromversorgung. Hintergrund ist die starke Aus- Bestandsanlagen Gültigkeit, wenn in diese investiert weitung der heimischen Schiefergasförderung, die wird um zu einem deutlichen Rückgang der Gaspreise in den USA geführt hat. CO2-Emissionsgrenzwerte, die sich a) die Lebenszeit mindestens eines Blockes um min- an den spezifischen CO2-Emissionen von Gaskraft- destens fünf Jahre zu verlängern, werken orientieren, entsprechen dieser Marktent- b) die Leistung des Kraftwerks zu erhöhen, wicklung und der damit verbundenen Klimaschutz- c) aus einem Mittel- oder Spitzenlastkraftwerk ein strategie. Kohlekraftwerke haben zwar immer noch Grundlastkraftwerk zu machen oder den größten Anteil an der Stromerzeugung. Dieser d) die Leistung eines Gas- und Dampfkraftwerks um Anteil nahm allerdings von 50 % im Jahr 2005 auf 37 % mindestens 50 MW zu erhöhen. im Jahr 2012 ab. Im gleichen Zeitraum erhöhte sich der Anteil der Stromerzeugung aus Erdgas von 19 % Im September 2013 hat die Umweltschutzbehörde der auf 30 %.42 USA EPA (Environmental Protection Agency) einen Regulierungsentwurf auf Bundesebene vorgelegt, der CO2-Emissionsgrenzwerte für alle neuen Kraft- werke auf Basis von Erdgas und Kohle vorsieht. 40 Bis zum 9. Mai 2014 kann die Öffentlichkeit Stellungnah- men zum Regulierungsentwurf einreichen. 38 Regulatory Assistance Project, Emissions Performance Standards in Selected States, 2010. 39 Regulatory Assistance Project (Fn. 38). 40 Environmental Protection Agency, Standards of Performance for Greenhouse Gas Emissions from New Stationary Sources: Electric Utility Generating Units, 20. September 2013. 41 Der exakte Wert steht noch nicht fest. 42 Energy Information Administration, Annual Energy Overview 2014 Early Release Overview, 2014, S. 14. 12_IASS Working Paper
3.3 Kanada Die Erkenntnisse, die aus den Regelungen in den genannten Ländern gezogen werden können, sind In Kanada wurden Ende 2012 Emissionsgrenzwerte begrenzt, da die meisten Grenzwerte erst jüngst ein- für Kohlekraftwerke festgelegt, die am 1. Juli 2015 in geführt wurden oder noch eingeführt werden und Kraft treten werden. 43 Der Grenzwert liegt dort bei sich überwiegend auf Neuanlagen beziehen. Die kom- einem Jahresmittel von 420 g/kWh und gilt sowohl menden Jahre werden zeigen, in wie weit die Emis- für neue Kraftwerke als auch für Altanlagen. Für sionsgrenzwerte in UK, USA und Kanada steuernde Kraftwerke, die vor 1975 ans Netz gingen, gilt der Wirkung haben werden. Grenzwert nach 50 Betriebsjahren oder ab 2020 (der frühere Stichtag zählt). Für Kraftwerke, die zwischen 1975 und 1986 ans Netz gingen, gilt der Grenzwert ebenfalls nach 50 Betriebsjahren oder ab 2030. Kraft- werke, die mit CCS-Technologie ausgerüstet werden sollen, sind bis 2025 vom Grenzwert ausgenommen. Die Betreiber dieser Kraftwerke sind verpflichtet, ab 2020 jährlich Berichte über den Fortschritt der Implementierung der CCS-Technik einzureichen. In Kanada wurden 2012 63 % des Stroms aus Wasser- kraft erzeugt und jeweils 15 % aus Kernenergie und Kohle. 44 43 Parliament of Canada, Reduction of Carbon Dioxide Emissions from Coal-fired Generation of Electricity Regulations, 2012. 44 Canadian Electricity Association, Canada's Electricity Industry, 2013 IASS Working Paper_13
CO2 -Emissionsgrenzwerte für Kraftwerke 4. Mögliche Umsetzung in Deutschland 4.1 Ausgestaltungsansätze 30 – 40 Jahre lang Strom produzieren und damit ver- bunden auch CO2 emittieren, ist es selbstverständ- 4.1.1 Grundlegende Fragen/Typologie von lich, dass Emissionsgrenzwerte für Neuanlagen gel- Emissionsgrenzwerten ten müssten. Da potenzielle Kraftwerksinvestoren in diesem Fall vor der Investitionsentscheidung wissen, In Anlehnung an die bereits existierenden Regelun- dass ihr Kraftwerk den Emissionsgrenzwert erfüllen gen in den zuvor genannten Ländern gibt es verschie- muss, herrscht Planungssicherheit. Emissionsgrenz- dene Möglichkeiten CO2-Emissionsgrenzwerte in werte ausschließlich für neue Kraftwerke können Deutschland auszugestalten. Die zentralen Fragen dazu führen, dass Investitionen in neue Kraftwerke bei der praktischen Ausgestaltung dieser Emissions- hinausgezögert werden, was aus ökologischer Sicht grenzwerte sind: kontraproduktiv wäre. 1) Welche Kraftwerke sollen erfasst werden (Neuan- Aus Gründen des Vertrauensschutzes ist die Einfüh- lagen, Altanlagen 45, Bestandsanlagen)? rung von CO2-Emissionsgrenzwerten für Bestands- 2) Auf welcher Ebene setzen die Emissionsgrenz- anlagen kritischer zu beurteilen. In den meisten werte an (Kraftwerke 46, Erzeugungsunternehmen, Ländern werden Kraftwerke in eine solche Regelung Vertriebsunternehmen)? integriert, die entweder ein bestimmtes Alter erreicht 3) Gibt es einen Emissionsgrenzwert für alle Energie- haben (Kanada), an denen Retrofits vorgenommen träger oder energieträgerspezifische Grenzwerte? werden oder die zu Grundlastkraftwerken umgebaut 4) Zu welcher Größe werden die Emissionen ins Ver- werden (z. B. Kalifornien). Kraftwerke werden typi- hältnis gesetzt: Stromerzeugung oder installierte scherweise mit einer Nutzungsdauer von 30 (Erdgas) Leistung? bis 40 Jahren (Kohle) geplant. Je nach Marktsituati- 5) Wie hoch soll/sollen der/die CO2-Emissionsgrenz- on kann die Amortisationszeit deutlich kürzer sein. wert/e sein? Emissionsgrenzwerte, die sich auf amortisierte Anla- 6) Wie soll sich der Emissionsgrenzwert zeitlich gen beziehen, sind leichter zu rechtfertigen als Grenz- entwickeln? werte für jüngere Anlagen. Die Amortisationszei- ten unterscheiden sich allerdings von Kraftwerk zu Frage 1: Welche Kraftwerke sollen erfasst werden? Kraftwerk und sind in der Regel nicht bekannt. Aus ökologischer Sicht ist es sinnvoll die im Durchschnitt Fast alle internationalen Beispiele umfassen sämtli- verhältnismäßig ineffizienten und emissionsintensi- che Neuanlagen, d. h. Kraftwerke, die ihre Betriebs- ven alten Kraftwerke unter einen Emissionsgrenz- genehmigung nach Inkrafttreten des CO2-Emissi- wert zu stellen. onsgrenzwertes bekommen. Da neue Kraftwerke 45 Mit Altanlagen sind Anlagen gemeint, deren Alter größer als die typische Amortisationszeit von 20 – 30 Jahren ist. Kraftwerk: Eine oder mehrere Feuerungsanlage(n), die auf demselben Betriebsgelände liegen, mit gemeinsamen 46 Betriebseinrichtungen verbunden sind und einem vergleichbaren technischen Zweck dienen. In Anlehnung an §1 der 4. BImSchV. Die Begriffe Kraftwerk und Anlage werden synonym verwendet. 14_IASS Working Paper
Frage 2: Auf welcher Ebene setzen die Emissionsgrenz- Flottenregelungen auf Vertriebsseite wären sowohl werte an? für kleine als auch für große Vertriebsunternehmen handhabbar. Die Transaktionskosten einer solchen Die Emissionsgrenzwerte in UK, USA und Kanada Regelung wären allerdings beträchtlich, da jede pro- beziehen sich auf einzelne Anlagen. Es wird festge- duzierte Kilowattstunde mit einem spezifischen legt, wie viel CO2 ein einzelnes Kraftwerk pro kWh Emissionsindex gekennzeichnet sein müsste, mit oder pro Jahr emittieren darf. Alle Kraftwerke, die Hilfe dessen der mittlere Emissionsindex des an der unter diese Regelung fallen, müssen den Grenzwert Börse angebotenen Graustroms berechnet werden erfüllen. könnte. Die spezifischen Emissionen eines Kraft- werks würden durch eine solche Regelung zu einem Im Gegensatz dazu sind – ähnlich wie bei den EU- zweiten Kauf- und Verkaufskriterium für Strommen- Emissionsgrenzwerten im Verkehrssektor – auch in gen neben den Grenzkosten der Erzeugung. Eine der Stromerzeugung Flottenregelungen denkbar. Bepreisung der Emissionen über CO2 -Zertifikate Flottenregelung bedeutet, dass ein Unternehmen, oder CO2-Steuern scheint in diesem Zusammenhang welches mehrere Kraftwerke betreibt, den CO2- deutlich praxistauglicher als Emissionsgrenzwerte Emissionsgrenzwert nur im Mittel erfüllen muss. für Vertriebe. Einzelne Kraftwerke, deren Emissionen über dem Grenzwert liegen, dürften folglich weiter Strom pro- Frage 3: Gibt es einen Emissionsgrenzwert für alle Ener- duzieren, wenn das Unternehmen andere Kraftwer- gieträger oder energieträgerspezifische Grenzwerte? ke im Portfolio hat, deren Emissionen unterhalb des Emissionsgrenzwerts liegen. Eine Flottenregelung Die CO2-Emissionsfaktoren der Energieträger Erd- könnte auch auf der Vertriebseite eingeführt werden. gas, Steinkohle und Braunkohle unterscheiden sich Jedes Vertriebsunternehmen wäre dann verpflichtet relativ stark (Tab. 2). Die mittleren spezifischen CO2- Strom an seine Endkunden zu liefern, der den festge- Emissionen der mit Erdgas befeuerten Kraftwerke setzten Emissionsgrenzwert erfüllt. sind weniger als halb so groß wie die mittleren spezi- fischen CO2-Emissionen von Steinkohlekraftwerken. Vorteile von Flottenregelungen bestehen in der leich- Die Emissionen der Steinkohlekraftwerke sind wie- teren Bestimmung eines sinnvollen Emissionsgrenz- derum mehr als 20 % niedriger als die von Braunkoh- wertes über einen Top-down-Ansatz 47 und in der lekraftwerken. höheren Flexibilität in der Zielerreichung. Zusätzlich ermöglichen Flottenlösungen zumindest theore- Diese relativ großen Unterschiede können je nach tisch eine kontrollierte, fließende Verminderung der Zielsetzung sowohl als Argument für, als auch als Stromerzeugung aus Kohle zu Gunsten von Erdgas. Argument gegen energieträgerspezifische Emissi- Ein Nachteil einer Flottenregelung auf Erzeugungs- onsgrenzwerte angeführt werden. Wenn ein breites seite ist die Benachteiligung von Unternehmen, die Portfolio an Energieträgern erwünscht ist, z. B. zur nur wenige Kraftwerke betreiben und dadurch kaum Begrenzung der Abhängigkeit von einem einzelnen Kompensationsmöglichkeiten innerhalb ihres Port- Energieträger, sind energieträgerspezifische Grenz- folios haben. Diese Kompensationsmöglichkeiten werte das Mittel der Wahl. Mit einem einheitlichen sind teilweise auch dadurch beschränkt, dass sich Grenzwert für alle Energieträger wird dagegen der Unternehmen auf einzelne Energieträger speziali- sauberste Brennstoff bevorzugt. In diesem Fall wer- siert haben. Allerdings sind die emissionsintensiven den die Emissionen in erster Linie durch die Auswei- Braunkohlekraftwerke überwiegend im Besitz gro- tung des Marktanteils des saubersten Energieträgers ßer Energieversorgungsunternehmen, deren Portfo- gemindert anstatt durch technologische Verbesse- lien eine Verlagerung der Erzeugung innerhalb des rung der Kraftwerke. Unternehmens am ehesten zulassen. 47 Top-down bedeutet hier, dass europäische oder nationale Emissionsbudgets als Ausgangspunkt dienen. Diese werden in weiteren Schritten auf Erzeugungsunternehmen oder einzelne Kraftwerke heruntergebrochen (Vgl. Frage 5). IASS Working Paper_15
CO2 -Emissionsgrenzwerte für Kraftwerke Durch die großen Unterschiede der CO2-Emissions- Beitrag des Ausbaus der erneuerbaren Energien zur faktoren der unterschiedlichen Energieträger hat ein Emissionsminderung müsste dann abgezogen wer- einheitlicher Emissionsgrenzwert ein deutlich grö- den, um als Ergebnis den Beitrag der konventionellen ßeres Potenzial die Emissionen des Kraftwerksparks Kraftwerke zu erhalten. Aus diesem Ergebnis und zu senken als energieträgerspezifische Grenzwerte. der erwarteten Stromerzeugung dieser Kraftwerke Investitionen in relativ emissionsintensive Techno- könnte der mittlere spezifische Emissionsindex des logien, die auch eine Verlängerung der Lebenszeit konventionellen Kraftwerksparks bestimmt wer- dieser Technologien zur Folge haben, werden durch den, der bei einer umfassenden Flottenregelung für energieträgerspezifische Emissionsgrenzwerte ten- Erzeugungs- oder Vertriebsunternehmen direkt als denziell gefördert und durch einen einheitlichen Grenzwert übernommen werden könnte. Grenzwert tendenziell unterdrückt. Die Festlegung individueller Grenzwerte innerhalb Frage 4: Zu welcher Größe werden die Emissionen ins der Flotte der konventionellen Kraftwerke z.B. für Verhältnis gesetzt: Stromerzeugung oder installierte Altanlagen ist schwierig, da die Stromerzeugung der Leistung? Altanlagen, die durch die Emissionsgrenzwerte ver- hindert wird, von jüngeren Kraftwerken ersetzt wird. Ein typischer CO2-Emissionsgrenzwert für Kraft- Wieviel CO2 netto eingespart wird, hängt von den werke setzt die CO2-Emissionen eines Kraftwerks Emissionen der Kraftwerke ab, die die Erzeugung der innerhalb eines Jahres ins Verhältnis zur Stromer- Altanlagen ersetzen. Umfassende Modellsimulatio- zeugung dieses Kraftwerks im selben Zeitraum. Das nen sind hier nötig, um zu belastbaren Ergebnissen Ergebnis ist ein Jahresmittel der spezifischen Emis- zu kommen. sionen dieses Kraftwerks mit der Einheit g CO2 pro kWh. Der Bottom-up-Ansatz nutzt die Emissionen von relativ emissionsarmen Alternativen als Grenzwert. Alternativ dazu können die Jahresemissionen ins Dieser Ansatz ist für neue Kraftwerke plausibel. Die Verhältnis zur installierten Leistung des Kraftwerks typische Lebenszeit von Kraftwerken liegt zwischen gesetzt werden. Eine sinnvolle resultierende Einheit 30 und 40 Jahren. Das heißt, Kraftwerke, die 2014 wäre dann t pro MW pro Jahr. Ein solcher Grenz- ans Netz gehen, könnten zwischen 2044 und 2054 wert erlaubt höhere spezifische Emissionen (g/kWh) noch immer am Netz sein. Die klimapolitischen Zie- durch eine geringere Auslastung des Kraftwerks le der EU und der Bundesregierung sehen vor, dass (Volllaststunden pro Jahr) zu kompensieren, wo- die Stromerzeugung in Europa und Deutschland bis durch die Zielerreichung flexibilisiert wird. Gleich- dahin weitgehend dekarbonisiert ist. Um diesem Ziel zeitig könnten Modernisierungsmaßnahmen, die die gerecht zu werden, müssen neue Kraftwerke strengs- spezifischen Emissionen senken, angereizt werden, te Emissionsanforderungen erfüllen. In der Praxis da sie zu einer Erhöhung der möglichen Auslastung würde das bedeuten, dass die spezifischen Emissi- beitragen. Das Zurückfahren der Stromerzeugung onen der effizientesten Gas- und Dampfkraftwerke aus Stein- und Braunkohle könnte mit Hilfe von Jah- den Grenzwert setzen würden. resemissionsgrenzwerten fließend vollzogen werden. Eine kosteneffiziente Alternative für die Stromer- Frage 5: Wie hoch soll/sollen der/die CO2 -Emossions- zeugung durch alte emissionsintensive Kraftwerke grenzwert/e sein? ist die Erzeugung durch nicht voll ausgelastete Gas- und Dampfkraftwerke (Bestandsanlagen). Deren Hierbei handelt es sich um die wohl am schwierigs- durchschnittliche Emissionen können zur Bestim- ten zu beantwortende Frage. Die Bestimmung von mung eines Emissionsgrenzwertes für Altanlagen zielführenden Emissionsgrenzwerten für Kraftwer- herangezogen werden. Um eine Alternative zur ke könnte über einen Top-down-Ansatz erfolgen: sofortigen Abschaltung von Altanlagen zu bieten, Ausgehend von den Emissionsminderungszielen der könnte – ähnlich wie in UK – ein Jahresgrenzwert, Bundesrepublik könnte die Emissionsminderung in- d. h. ein jährliches absolutes Emissionsbudget, pro nerhalb der Stromerzeugung bestimmt werden. Der MW installierter Leistung eingeführt werden, das 16_IASS Working Paper
den Emissionen eines durchschnittlich effizienten in neue Anlagen. 48 Die Integration des Bestandes in Gas- und Dampfkraftwerks mit einer Auslastung von die Emissionsgrenzwerteregelung beugt diesem Ef- 80 – 90% (Grundlast) entspricht. Auch beim Bottom- fekt vor. Eine signifikante zeitnahe Verminderung der up-Ansatz sind ausführliche Modellsimulationen not- CO2-Emissionen der Stromerzeugung ist ohnehin wendig, um die erzielbaren Emissionsminderungen nur möglich, wenn auch Bestandskraftwerke in die abschätzen zu können. Emissionsgrenzwerteregelung integriert werden. 49 Frage 6: Wie soll sich der Emissionsgrenzwert zeitlich Aus ökologischer Sicht ist es effizient die Kraftwerke entwickeln? mit den höchsten spezifischen Emissionen in eine sol- che Regelung miteinzubeziehen. Eine mehrheitsfähi- Um durch die Emissionsgrenzwerte für neue Kraft- ge Regelung muss allerdings dem Umstand Rechnung werke nicht den Stand der Technik festzuschreiben, tragen, dass die Braunkohle bei der Verstromung könnten die Grenzwerte einer zeitlichen Degression zwar zu den höchsten spezifischen Emissionen führt, unterworfen werden. Die spezifischen Emissionen sie allerdings auch die mit Abstand größten Vorkom- haben in der Vergangenheit im Wesentlichen durch men in Deutschland aufweist und am kostengüns- Wirkungsgradsteigerungen abgenommen. Durch tigsten ist. eine Analyse der Wirkungsgradentwicklung von neuen Gas- und Dampfkraftwerken in den letzten Der Zugriff auf den Bestand ist aus ökologischer Sicht z. B. 15 Jahren könnten sinnvolle Degressionsraten zwar nicht zu vermeiden. In der Vergangenheit ge- für den Emissionsgrenzwert bestimmt werden. tätigte Investitionen in Kraftwerke sollten dennoch bestmöglich geschützt werden, indem primär amor- 4.1.2 Ausgestaltungsansätze für Deutschland tisierte Anlagen durch die Emissionsgrenzwerte reguliert werden. Das Ziel einer Einführung von CO2-Emissionsgrenz- werten in Deutschland ist die kontrollierte Verminde- Auf Basis der internationalen Beispiele und der rung der CO2-Emissionen der deutschen Kraftwerke angestellten Grundüberlegungen könnten Emis- als Beitrag zum Erreichen der gesetzten Klimaziele. sionsgrenzwerte für deutsche Kraftwerke folgen- Durch den derzeit großen Überschuss an CO2-Zerti- dermaßen ausgestaltet werden: fikaten im Emissionshandel und den daraus resultie- renden niedrigen CO2-Preis sollen die CO2-Emissi- Das Altersstufenmodell onsgrenzwerte vor allem kurz- und mittelfristig ihre Wirkung entfalten. Die Unsicherheit über die weitere Strikter Grenzwert für spezifische Emissionen Entwicklung des Emissionshandels legt allerdings (in g/kWh, Jahresmittel) von neuen Kraftwerken, nahe, die Emissionsgrenzwerte so auszugestalten, der sich an den Emissionen moderner hocheffizien- dass sie klare Signale an Kraftwerksinvestoren geben, ter Gas- und Dampfkraftwerke orientiert. Die Un- dass Investitionen in emissionsintensive Erzeugungs- sicherheit der langfristigen Entwicklung des CO2- technologien mit der deutschen Klimapolitik nicht Preises lässt den Neubau von Kohlekraftwerken als vereinbar sind. Möglichkeit zumindest offen. Emissionsgrenzwer- te sind insoweit als Sicherheitsnetz sinnvoll. CO2-Emissionsgrenzwerte für neue Kraftwerke sind zwingend geboten, da diese mit Nutzungsdauern von Jahresemissionsgrenzwerte (in t/(MW Jahr)) mindestens 30 bis 40 Jahren potentiell bis in die Mitte für Kraftwerke, die 40 Jahre oder älter sind. Der des Jahrhunderts Strom produzieren werden. Emis- Grenzwert soll den Jahresemissionen eines durch- sionsgrenzwerte ausschließlich für neue Kraftwerke schnittlich effizienten Gas- und Dampfkraft- bergen die Gefahr der Verzögerung von Investitionen werks (400 – 450 g/kWh) mit einer Auslastung 48 Edward S. Rubin, A Performance Standards Approach to Reducing CO 2 Emissions from Electric Power Plants, Carnegie Institute of Technology, Department of Engineering and Public Policy, Paper 60, 2009. 49 European Climate Foundation, Scenarios on the introduction of CO 2 emission performance standards for the EU power sector, erstellt durch Ecofys Germany GmbH, 2009. Diese Studie zeigt für den europäischen Kontext, dass die Potenziale zur Emissionsminderung durch Integration von Bestandsanlagen stark zunehmen. Die genauen Zahlen hängen natürlich von der Altersstruktur des Kraftwerksparks ab und sind nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar. IASS Working Paper_17
CO2 -Emissionsgrenzwerte für Kraftwerke von 80 – 90 % entsprechen. Durch die derzeitige Der Jahresgrenzwert für Altanlagen (>40 Jahre) Überkapazität in der Stromerzeugung und die re- könnte auf Bestandskraftwerke erweitert werden, gulatorische Unsicherheit hinsichtlich zukünftiger indem für weitere Altersstufen (>25 Jahre, >30 Jah- Kapazitätszahlungen werden im Moment keine re, >35 Jahre) Jahresgrenzwerte (in t/(MW Jahr)) Investitionsentscheidungen für neue Kraftwerke gesetzt werden. Um die Auslastung der relativ getroffen. Emissionsminderungen in der Strom- emissionsintensiven alten Kraftwerke zu reduzie- erzeugung werden vor allem dadurch erzielt, dass ren und gleichzeitig Modernisierungsmaßnahmen die Betriebszeiten bestehender Kraftwerke mit anzureizen, sollten die Jahresgrenzwerte mit zu- unterschiedlichen Energieträgern verändert wer- nehmendem Alter strikter werden. Eine solche den. Die Altersstruktur des deutschen Kraftwerk- Regelung ermöglicht eine fließende Reduktion der sparks offenbart ein beträchtliches Potenzial einer Emissionen durch den Braun- und Steinkohlebe- Regelung für Altanlagen (Abb. 5). stand. Die durch die Emissionsgrenzwerte unter- bundene Stromerzeugung durch alte Anlagen wird dabei auf moderne Kohle- und Gaskraftwerke ver- lagert. 30000 Abbildung 5: Alters- Kernenergie Erdgas Steinkohle Braunkohle struktur der in Betrieb, Netto-Nennleistung /MW 25000 in saisonaler Konser- vierung oder in Reserve befindlichen deutschen 20000 Kraftwerke mit fossilen oder radioaktiven Brenn- 15000 stoffen. 50 10000 5000 0 0 – 10 Jahre 11 – 20 Jahre 21 – 30 Jahre 31 – 40 Jahre 41 – 50 Jahre > 50 Jahre Das Flottenmodell Strikter Grenzwert für spezifische Emissionen Alternativ könnte statt eines spezifischen Emis- (in g/kWh, Jahresmittel) von neuen Kraftwerken, sionsgrenzwerts ein Jahresemissionsgrenzwert (in der sich an den Emissionen moderner hocheffizi- t/(MW Jahr)) definiert werden, der wiederum für enter Gas- und Dampfkraftwerke orientiert. jedes Erzeugungsunternehmen gälte. Auch dieser Jahresemissionsgrenzwert würde über einen Top- Einführung eines spezifischen CO2-Emissions- down-Ansatz bestimmt. Ausgangspunkt wäre das grenzwerts, der für jedes Stromerzeugungsunter- angestrebte jährliche Emissionsbudget der gesam- nehmen gilt. Dieser Grenzwert wäre über einen ten konventionellen Stromerzeugung. Dieser Wert Top-down-Ansatz relativ einfach zu bestimmen. würde durch die installierte Leistung dividiert. Die Unternehmen hätten die Möglichkeit die Wie im Absatz zum Altersstufenmodell erwähnt, Stromerzeugung innerhalb ihres Portfolios auf ermöglicht ein Jahresgrenzwert einzelnen Anlagen Kraftwerke mit geringeren spezifischen Emissio- den Grenzwert zu erfüllen, indem die Erzeugung nen zu verlagern. Die Erzeugung würde sich ten- reduziert wird. Jahresgrenzwerte würden kleinen denziell von älteren zu jüngeren und von Kohle- zu Unternehmen mit wenigen emissionsintensiven Gaskraftwerken verschieben. Kraftwerken im Portfolio Zeit zur Umstrukturie- rung ihres Portfolios verschaffen. 50 Bundesnetzagentur, Kraftwerksliste, Stand: 02. April 2014. 18_IASS Working Paper
Die hier vorgeschlagenen Modelle sind als Ansatz- Stromerzeugung berücksichtigt werden. Es handelt punkte zu verstehen. Vor einer Einführung von CO2- sich dabei um eine Prognose. Die tatsächlich realisier- Emissionsgrenzwerten für Kraftwerke wären etliche te Emissionsminderung wird in gewissem Maße von Detailfragen zu klären, wie z. B.: dieser Prognose abweichen. Ab welcher Anlagengröße sollen die Emissions- Die CO2-Preise für ein bestimmtes 2030-Cap werden grenzwerte gelten? mit wirksamen CO2-Emissionsgrenzwerten niedri- ger sein als ohne dieses Instrument, da Emissions- Wie wird die ausgekoppelte Wärme bei KWK- grenzwerte für deutsche Kraftwerke nicht zwingend Anlagen 51 berücksichtigt? die EU-weit kostengünstigste Emissionsreduktion bewirken. Beim Setzen des Emissionshandelscap für Wie wird ein Zufeuern von Biomasse oder Abfall- 2030 hätte eine Unterschätzung der Emissionsmin- stoffen berücksichtigt? derung durch die Emissionsgrenzwerte zur Folge, dass die CO2-Preise niedriger wären als prognosti- Inwieweit ändern sich die spezifischen Emissio- ziert. Umgekehrt folgt aus einer Überschätzung der nen von Grundlastkraftwerken, wenn sie durch die Emissionsminderung durch die Emissionsgrenzwer- Emissionsgrenzwerte zu Teillastbetrieb gezwun- te ein höherer CO2-Preis als prognostiziert. Um uner- gen werden? wünschte Preisentwicklungen zu vermeiden sollten vor dem Setzen des 2030-Cap detaillierte Prognosen Sind die Emissionsgrenzwerte in vollem Umfang zu den Auswirkungen der Emissionsgrenzwerte auf auf Industriekraftwerke anwendbar? die Emissionen in der deutschen Stromerzeugung er- stellt werden. Die Auswirkungen verschieden ausgestalteter Emis- sionsgrenzwerte auf die Entwicklung der Stromer- Ergebnis der Einführung von CO2-Emissions- zeugung, der installierten Kraftwerksleistung und grenzwerten für Kraftwerke ist eine Reduktion der der Struktur der Erzeugungsunternehmen muss in Stromerzeugung aus Kohle und eine Steigerung der jedem Fall mit Hilfe umfassender Modellsimulatio- Erzeugung aus Erdgas. Ausgehend von der Brut- nen untersucht werden. Die genannten Zahlenwerte tostromerzeugung aus Erdgas des Jahres 2013 von sind als mögliche Ausgangspunkte für Sensitivitäts- 66 TWh 52 und der installierten Kapazität an Gas- studien zu betrachten. Die eigentliche Zielgröße, die kraftwerken von 28,4 GW 53 ist eine Brennstoffver- die Höhe der Emissionsgrenzwerte bestimmt, ist die schiebung hin zu Erdgas in beträchtlichem Umfang gewünschte CO2-Emissionsreduktion im Stromer- möglich. Wenn die gesamte Gaskapazität mit 6.000 zeugungssektor. Volllaststunden ausgelastet wäre (68% Auslastung), könnten damit 170 TWh Strom produziert werden. 4.2 Nebenwirkungen einer Einführung Diese Strommenge würde ca. 28 % des deutschen von Emissionsgrenzwerten für Bruttostromverbrauchs des Jahres 2013 decken. 54 Kraftwerke Die Brennstoffverschiebung von Kohle zu Gas Die Einführung von CO2-Emissionsgrenzwerten für könnte zur Folge haben, dass in Zukunft häufiger Kraftwerke hätte Auswirkungen auf den EU-Emis- Gaskraftwerke den Börsenstrompreis setzen. Die sionshandel, da beide Instrumente den Stromerzeu- Grenzkosten von Gaskraftwerken sind höher als gungssektor betreffen. Beim Setzen des Cap für das die von Braun- und Steinkohlekraftwerken, sodass Jahr 2030 müsste die durch die Emissionsgrenzwer- im Mittel der Börsenstrompreis steigen würde. Da te erzielte Emissionsminderung in der deutschen steigende Börsenstrompreise von den Vertrieben 51 KWK-Anlage: Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlage, welche die bei der Verbrennung eines Energieträgers entstehende Wärme zum Teil in elektrische Energie umwandelt und zum Teil als Wärme (Gebäudewärme, Prozesswärme) nutzt. 52 AG Energiebilanzen (Fn. 18). 53 Bundesnetzagentur (Fn. 50), elektrische Netto-Nennleistung, schließt Reservekraftwerke, Sonderfälle, vorläufig stillgelegte und saisonal konservierte Kraftwerke mit ein. 54 AG Energiebilanzen (Fn. 18). IASS Working Paper_19
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