"Gender Medicine" in der Nephrologie
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NephroScript 3_10_Nephro 31.05.11 10:24 Seite 1 Interdisziplinäre Fortbildungsreihe der ÖGN Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie 13. Jahrgang / Nr. 3 / 2010 Falls unzustellbar, bitte retour an: MEDMEDIA Verlag, Seidengasse 9/Top 1.1, 1070 Wien P.b.b. GZ 02Z031654 M, Benachrichtigungspostamt 1070 Wien „Gender Medicine“ in der Nephrologie MedMedia Verlags Ges.m.b.H.
NephroScript 3_10_Nephro 11.10.10 13:53 Seite 3 EDITORIAL Sehr geehrte Nephrologinnen und Nephrologen! ao. Univ.-Prof. Dr. Alexander Rosenkranz nfang diesen Jahres entstand die Idee, im NephroScript versucht, die speziellen Aspekte der chronischen Niereninsuf- A ein bisher in der Nephrologie unbehandeltes Thema aufzugreifen: Auf Vorschlag von Frau Prof. Sabine Schmaldienst sollte eine Themenheft „,Gender Medicine‘ in fizienz und Dialyse auf diesem Gebiet herauszustreichen. Der Bereich Intensivmedizin und akutes Nierenversagen wurde kri- tisch von Prof. Joannidis aufgearbeitet. Besonders freut es der Nephrologie“ entstehen. Die Durchführung und Organi- mich, dass ich zusätzlich Frau Prof. Hochleitner aus Innsbruck sation wurde mir dann „freundlicherweise“ übertragen. für einen Beitrag gewinnen konnte. Gerade ihr Wirken im Be- Wochen und Monate strichen ins Land, und ich begann mir reich der Gender-Medizin und auch der Frauenförderung hat Sorgen zu machen, welche Artikel zu diesem Thema und vor hier sowohl an der Medizinischen Universität Innsbruck als allem von wem geschrieben würden. Offensichtlich haben auch international dazu beigetragen, dass der Begriff der Gen- sich aber schon andere NephrologInnen diesbezüglich der-Medizin weite Teile der inneren Medizin erreicht hat. Ihr Gedanken gemacht und festgestellt, dass dieses Thema in der Artikel ist auch als Aufruf an uns NephrologInnen gedacht, Nephrologie unterrepräsentiert ist. Letztendlich war es Frau bestehende Defizite abzuarbeiten und nicht wie in anderen OA Dr. Petra Günther, die dann dankenswerterweise gemein- Teilbereichen (Stichwort randomisierte kontrollierte Studien) sam mit Frau Prof. Schmaldienst ein Symposium zum Thema hinter den Kardiologen zurückzubleiben. „,Gender Medicine‘ in der Nephrologie“ in Salzburg Anfang Mir bleibt zum Schluss nur mehr, mich nochmals bei den Au- September 2010 organisierte. Das Symposium selbst war ein torInnen für ihren unentgeltlichen Einsatz zu bedanken und zu voller Erfolg und darum denke ich, war die Wahl der Autoren hoffen, dass die Materie für Sie als Leser interessant aufbereitet dieses Heftes vorgegeben. An dieser Stelle darf ich mich auf wurde und Sie diese Ausgabe von NephroScript dazu animiert, das Herzlichste bei allen bedanken! Durch ihre Beiträge ist in der Zukunft vermehrt genderspezifische Aspekte in der dieses Heft eine „Ausnahmeheft“ geworden, das alle Nephro- Nephrologie zu beachten bzw. diese auch in Studien heraus- logInnen in die Richtung der „Gender Medicine“ und ihrer zuarbeiten. Ich möchte mich auch beim Verlag MedMedia Problematik sensibilisieren soll. unter der Ägide von Frau Friederike Maierhofer bedanken, die Neben den Organisatoren der Veranstaltung (Günther und durch ihre Beharrlichkeit und ihren Einsatz zum Gelingen die- Schmaldienst) hat auch Frau Prof. Kautzky-Willer als Inhabe- ses Heftes wesentlich beigetragen hat. rin des ersten Gender-Medizin-Lehrstuhls in Österreich einen einleitenden Artikel verfasst. Die renale Anämie wurden von Mit besten Grüßen Dr. Riegersperger und Prof. Sunder-Plassmann abgehandelt, die Transplantation durch Prof. Säemann, und ich selbst habe ao. Univ.-Prof. Dr. Alexander Rosenkranz IMPRESSUM Verlag: MEDMEDIA Verlag und Mediaservice Ges.m.b.H. Herausgeber: Österreichische Gesellschaft für Nephrologie, Univ.-Prof. DDr. Walter Hörl, Klinische Abteilung für Nephrologie und Dialyse, Universitätsklinik für Innere Medizin III, AKH Wien, und ao. Univ.-Prof. Dr. Sabine Schmaldienst, Klinische Abteilung für Nephrologie und Dialyse, Universitätsklinik für Innere Medizin III, AKH Wien. Chefredakteur: ao. Univ.-Prof. Dr. Alexander Rosenkranz, Universitätsklinik für Innere Medizin IV, Nephrologie und Hypertensiologie, Medizinische Universität Innsbruck. Anzeigen/Organisation: MEDMEDIA Verlag und Mediaservice Ges.m.b.H., Seidengasse 9/Top 1.1, 1070 Wien, Tel.: 01/407 31 11. Projektleitung/Produktion: Friederike Maierhofer. Redaktion: Dr. Claudia Uhlir. Layout/DTP: Gerald Mollay. Coverillustration: Martin Lachmair, creativedirector.cc. Druck: „agensketterl“ Druckerei, Mauerbach. Druckauflage: 8.600 Stück im 2. Halbjahr 2009, geprüft von der Österreichischen Auflagenkontrolle. Bezugsbedingungen: Die Zeitschrift ist zum Einzelpreis von Euro 9,50 plus MwSt. zu beziehen. Grundsätze und Ziele von NephroScript: Information für nephrologisch interessierte Krankenhaus- und niedergelassene Ärzte. Angaben über Dosierungen, Applikationsformen und Indikationen von pharmazeutischen Spezialitäten müssen vom jeweiligen Anwender auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Herausgeber und Medieninhaber übernehmen dafür keine Gewähr. Literatur zu den Fachbeiträgen bei den jeweiligen Autoren. Allgemeine Hinweise: Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die persönliche und/oder wissen- schaftliche Meinung des jeweiligen Autors wieder und fallen somit in den persönlichen Verantwortungsbereich des Verfassers. Mit „Freies Thema“ gekennzeichnete Beiträge sind entgeltliche Einschaltungen gem. § 26 Mediengesetz und fallen in den Verantwortungsbereich des jeweiligen Auftraggebers; sie müssen nicht die Meinung von Heraus- geber, Reviewer oder Redaktion wiedergeben. Angaben über Dosierungen, Applikationsformen und Indikationen von pharmazeutischen Spezialitäten müssen vom jeweiligen Anwender auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Trotz sorgfältiger Prüfung übernehmen Medieninhaber und Herausgeber keinerlei Haftung für drucktechnische und inhaltliche Fehler. Ausgewählte Artikel dieser Ausgabe finden Sie auch unter www.medmedia.at zum Download. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt, verwertet oder verbreitet werden. 3
NephroScript 3_10_Nephro 08.10.10 12:59 Seite 5 INHALT 03 Editorial 06 „Gender Medicine“ in der Nephrologie – gibt es das? ao. Univ.-Prof. Dr. Sabine Schmaldienst, OÄ Dr. Petra Günther 07 Gender-Medizin als Teil einer modernen, FREIE THEMEN individualisierten Medizin (entgeltliche Einschaltungen) Univ.-Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer 30 Sicherer Umgang mit dem Critical-Dose-Wirkstoff Tacrolimus in der Transplantation 09 Wie kommt Gendermedizin in die Nephrologie? (Advagraf®) ao. Univ.-Prof.in Dr. in Margarethe Hochleitner 13 Niereninsuffizienz unter genderspezifischen Aspekten 32 Die Nierenfunktion nach Nierentransplantation erhalten ao. Univ.-Prof. Dr. Alexander Rosenkranz (Certican®) 17 Anämie unter geschlechtsspezifischen Aspekten 34 Nebenwirkungsmanagement unter Dr. Markus Riegersperger, Sirolimus-Therapie Univ.-Prof. Dr. Gere Sunder-Plassmann (Rapamune®) 21 Sind Frauen und Männer an der Intensivstation gleich? 37 Intravenöse Eisengabe auf Herz und Niere geprüft (Ferinject®) Univ.-Prof. Dr. Michael Joannidis 26 Den Zugang von Frauen zur Nierentransplantation 38 Lanthancarbonat: Update 2010 (Fosrenol®) durch evidenzbasierte Klassifizierung verbessern. Doz. Dr. Marcus Säemann 5
NephroScript 3_10_Nephro 08.10.10 12:59 Seite 6 „Gender Medicine“ in der Nephrologie – gibt es das? ao. Univ.-Prof. Dr. Sabine Schmaldienst1, OÄ Dr. Petra Günther2 1 Abteilung für Nephrologie und Dialyse, Klinik für Innere Medizin III, Medizinische Universität Wien 2 Interne Abteilung, Krankenhaus Oberwart nfang September 2010 bot das bildungen bei ungewollten Schwan- A Seminar „Gender Medicine in der Nephrologie“ einen Ein- blick in den aktuellen Wissensstand gerschaften während einer Testphase besteht. Erstaunlicherweise bestehen auch erhebliche Unterschiede im zu nephrologischen Fragestellungen Zugang zu bestimmten medizini- aus gendermedizinischer Sicht. schen Leistungen. Alldem Rechnung tragend wurde mit Irrtümlicherweise wird Gender Medi- Anfang 2010 an der Medizinischen cine oft noch im Sinne von Frauenme- ao. Univ.-Prof. Dr. OÄ Dr. Universität Wien der österreichweit Sabine Schmaldienst Petra Günther dizin interpretiert. Jedoch handelt es erste Lehrstuhl für Gender Medicine sich bei Gender-Forschung um eine etabliert, mit deren Leitung Frau Prof. fachübergreifende Forschung, die Fragestellungen zu Dr. Alexandra Kautzky betraut wurde. geschlechtsabhängigen biologischen und psychosozialen In Zukunft werden Gender-spezifische Unterschiede auch in Gemeinsamkeiten und Unterschieden nachgeht. Dabei unserem klinischen Alltag zunehmend an Bedeutung gewinnen. werden komplexe Zusammenhänge physiologischer und Offen bleiben die Fragen, ob bereits relevante Erkenntnisse zu pathologischer Prozesse bei Männern und Frauen unter- nephrologische Themen vorliegen bzw. ob Gender-spezifische sucht. Die Gender Medicine beschäftigt sich Forschung in der Nephrologie interessant und nicht nur mit der Krankheitsentstehung, weiterführend wäre. Um diese Punkte näher sondern auch mit Gesundheitsverhal- zu beleuchten, fand am 9. und 10. Sep- ten und Krankheitsprävention aus tember 2010 ein Seminar über der Geschlechtsperspektive. Sie „Gender Medicine in der Nephro- beleuchtet neben der unter- logie“ statt. Neben der Präsenta- schiedlichen Anatomie die tion des Lehrstuhls für Gender psychosozialen Faktoren, Medicine durch Frau Prof. wie Einflusse der Kultur, Kautzky konnte für dieses der Umwelt und der neue Feld eine Reihe Lebensweisen von Män- renommierter Vortragender nern und Frauen. So aus den Reihen der österrei- spielt z. B. die emotionale chischen Nephrologie ge- Ebene hinsichtlich der wonnen werden. Die Prä- Medikamenten-Adhärenz sentation der bislang vorlie- bei Frauen eine größere genden Daten gab einen Rolle als bei Männern. Überblick über interessante Pharmakologische Untersu- Erkenntnisse aus verschiedenen chungen wurden häufiger bei nephrologischen und intensiv- Männern durchgeführt, da seit den medizinischen Themengebieten, die 1960er-Jahren eine verständliche hoffentlich zukünftig zur Durchführung Angst vor embryonalen oder fötalen Miss- von zahlreichen Untersuchungen anregen. ■ 6
NephroScript 3_10_Nephro 08.10.10 12:59 Seite 7 VON DER FORSCHUNG IN DIE PRAXIS Gender-Medizin als Teil einer modernen, individualisierten Medizin Univ.-Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer Professorin für Gender-Medizin der Medizinischen Universität Wien, Abteilung für Endokrinologie & Stoffwechsel, Klinik für Innere Medizin III, AKH Wien icht nur biologische Unterschiede (Sex), sondern kung für das junge Querschnittsfach N auch psychosoziale und gesellschaftliche Gegeben- heiten (Gender) beeinflussen die Gesundheit und Krankheit bei Männern und Frauen in unterschiedlicher Gender-Medizin. Generell sind die Lifestyle-Erkrankungen für die Gen- der-Medizin besonders spannend, da Weise. Mit den jeweiligen geschlechtsspezifischen Auswir- neben den biologischen Unterschie- kungen beschäftigt sich die Gender-Medizin. den auch das soziale Umfeld, die Familie, der Kulturkreis, Stresssitua- Der wissenschaftliche Zugang der Gender-Medizin befasst tionen und psychologische Faktoren sich mit den biologischen und psychosozialen Unterschieden sowie gesellschaftliche Erwartungen zwischen Männern und Frauen, die sowohl das Gesundheits- Univ.-Prof. Dr. Alexandra und Rollenbilder einen wesentlichen Kautzky-Willer verhalten als auch die Entstehung und Wahrnehmung von Einfluss haben. Auf dem Gebiet der Krankheiten betreffen („bio-psycho-soziales Modell“). Die Nephrologie gibt es viele interessante biologischen Unterschiede (Sex) sind genetisch, hormonell geschlechtsspezifische Fragestellungen, von der Diagnose und und durch die Anatomie bestimmt. Aber auch psychosoziale Progression der Erkrankungen, Biomarkern und Risikofakto- und gesellschaftliche Unterschiede (Gender) beeinflussen ren, Therapiemaßnahmen bis zur Lebensqualität und Unter- Gesundheit und Krankheit von Männern und Frauen unter- schieden in der Mortalität. schiedlich. Die Frauengesundheitsforschung war der Grund- Weiters können Veränderungen in der Schwangerschaft stein und ist weiterhin ein wichtiger Bestandteil der Gender- geschlechtssensibel innerhalb von nur zwei Generationen Medizin, da Frauen über lange Zeit in der wissenschaftlichen weitreichende akute und langfristigen Veränderungen auslö- Forschung benachteiligt wurden und erst jüngst der Bedarf an sen. Biologische und psychosoziale mütterliche Einflüsse in frauen- und männergerechter medizinischer Versorgung der Gravidität können bei den Kindern, teils geschlechtsab- erkannt wurde. Aber die Gender-Forschung ist eine fachüber- hängig über „fetale Programmierung“, Krankheitsprozesse schreitende Wissenschaft, die wichtige geschlechtsabhängige triggern und modifizieren, so auch u. a. Hypertonie und Nie- Unterschiede, ebenso wie Gemeinsamkeiten in allen medizi- renerkrankungen. nischen Bereichen aufzeigt und komplexe Zusammenhänge Außerdem sind die Migration und die damit verbundenen zum Vorteil für Mann und Frau untersucht. Auch bei Män- unterschiedlichen Lebensbedingungen von Männern und Frau- nern besteht in bestimmten medizinischen Bereichen ein en wichtige Faktoren mit geschlechtsabhängigen Auswirkungen Nachholbedarf. auf die Krankheitsentstehung. Dies sollte in der Gesundheitsför- derung berücksichtigt werden und bedarf weiterer Untersu- Viele interessante, chungen in der Gender-Perspektive in allen Disziplinen. wenig beforschte Fragestellungen Aufruf Geschlechtsspezifische Unterschiede sind gerade im Bereich zur intensiven Kooperation Endokrinologie und Stoffwechsel auffällig. Der Diabetes bil- det wegen der Komplexität der Erkrankung, der mannigfalti- All diese Zusammenhänge gilt es in Zukunft interdisziplinär gen assoziierten Komplikationen und der notwendigen inter- besser zu erforschen, um somit zielgerichtete, geschlechtssensib- und multidisziplinären Betreuung eine Art Modellerkran- le Strategien bei wichtigen chronischen Erkrankungen zu ent- 7
NephroScript 3_10_Nephro 31.05.11 10:24 Seite 8 wickeln. Diese müssen von der Prävention über die Therapie Mir ist ein großes Anliegen, möglichst viele Kolleginnen und bis zur Rehabilitation reichen und auch wichtige geschlechtsab- Kollegen für den neuen Forschungsansatz zu sensibilisieren, hängige Unterschiede in der Pharmakotherapie – sowohl im um in intensiver Zusammenarbeit wissenschaftliche Projekte Wirkungs- wie auch Nebenwirkungsbereich – umfassen. am Puls der Zeit zu realisieren. Eine Vision ist, durch inter- Ziel ist nun der Auf- und Ausbau eines nationalen und inter- disziplinäre Zusammenarbeit Grundlagenwissenschaft und nationalen Wissenschafts-Netzwerks sowie der fächerüber- klinischer Forschung zu verknüpfen, um neue wissenschaft- greifenden Etablierung der „Gender-Medizin“ an der Medizi- liche Erkenntnisse in der Geschlechterforschung in verschie- nischen Universität zur Realisierung fächerübergreifender denen Fachgebieten zu verfolgen. Gender-Medizin soll Teil Forschungsvorhaben sowie zur wissenschaftsbasierten Weiter- einer modernen zielgerichteten und individualisierten Medi- entwicklung der Lehre. zin sein. n 8
NephroScript 3_10_Nephro 08.10.10 12:59 Seite 9 GESCHLECHTSSPEZIFISCHE FORSCHUNG Wie kommt Gendermedizin in die Nephrologie? ao. Univ.-Prof.in Dr.in Margarethe Hochleitner Direktorin des Frauengesundheitszentrums an den Universitätskliniken Innsbruck uf dem Gebiet der Nephrologie fristet die genderme- Medizinische Universität Innsbruck A dizinische Forschung ein Schattendasein. Und dies, obwohl die Auswirkungen nephrologischer Erkran- kungen in so gut wie alle anderen medizinischen Fachge- Gendermedizin seit dem WS 2007/2008 in das Pflichtcurriculum für Human- und Zahnmedizin aufge- biete hineinreichen. Dieser Beitrag soll als Appell an alle nommen. Da Gendermedizin sich Nephrologinnen und Nephrologen verstanden werden, weitgehend als Querschnittmaterie ver- gendermedizinische Fragestellungen in ihre Forschungs- steht, wird auch mit Unterstützung des projekte einzubauen, die Daten genderspezifisch auszu- Ministeriums versucht, Gendermedi- werten und zu publizieren und die Ergebnisse in Lehre ao. Univ.-Prof.in Dr.in zin-Aspekte in alle Forschungsgebiete Margarethe Hochleitner und klinische Praxis zu integrieren. einzubauen. Dazu haben die Medizini- sche Universität Innsbruck und die Gendermedizin ist heute als Forschungsgebiet in der Medizin Medizinische Universität Wien eine „Checkliste Gender & etabliert. Seit den 1970er-Jahren erscheinen immer mehr Medizin“ erarbeitet und diese allen Lehrenden zur Verfügung Publikationen zum Thema Gendermedizin in der medizini- gestellt (http://www.i-med.ac.at/gleichstellung/). Im Jahr 2010 schen Fachliteratur. Die Ursachen für die Zunahme der For- wurde an der Medizinischen Universität Wien sogar eine Pro- schung auf diesem Gebiet sind multifaktorell. Einerseits ist es fessur für Gendermedizin eingerichtet. Gendermedizin hat also ein wirklich spannendes Forschungsgebiet mit vielen neuen auch in Österreich Eingang in Forschung und Lehre der Medi- Fragestellungen und Themen, andererseits gibt es auch zinischen Universitäten gefunden und sollte damit angekom- durchaus weitere Motive, wie Anregungen von Forschungs- men sein. förderungseinrichtungen, Wissenschaftspolitik und auch durch die „scientific community“. Vorreiterrolle der Kardiologie Nationale und internationale Verankerung der Gendermedizin Bei genauer Betrachtung der gendermedizinischen Themen in Publikationen, Kongressbeiträgen und Lehrinhalten zeigen Gendermedizin konnte sich in den Katalog der medizinischen sich allerdings enorme Unterschiede bezüglich des Anteils in Fachgebiete einreihen. Analog zu anderen Fachgebieten gibt es einzelnen Fachdisziplinen innerhalb der Medizin. Von Beginn mit der International Society of Gender Medicine eine internatio- an kam der größte Teil der Publikationen zum Thema Gen- nale Fachgesellschaft, zwischenzeitlich wurden nationale Fach- dermedizin aus dem Fachbereich Kardiologie, und dies ist im gesellschaften – in Österreich die Österreichische Gesellschaft für Wesentlichen auch heute noch so. In der Kardiologie sind alle geschlechtsspezifische Medizin – gegründet. Diese Fachgesell- Themengebiete untersucht, so gibt es zahllose Studien zur schaften veranstalten auch jährliche Kongresse und Meetings. Pathophysiologie, Epidemiologie, Symptomatik, Diagnostik, Der erste österreichische Genderkongress wurde im Jahr 2008 Therapie, Outcome, zu Prävention und Risikofaktoren. Prak- in Baden bei Wien abgehalten. Seither hat jährlich ein Kon- tisch alle Forschungsgebiete sind zumindest teilweise abge- gress stattgefunden. Der erste Gender-Weltkongress fand 2006 deckt und aufgearbeitet. Schon 1991 wurde in einem Edito- in Berlin statt. Seither wird ebenfalls jährlich von einer anderen rial im „New England Journal of Medicine“ die Frage der Fachgesellschaft ein Weltkongress ausgerichtet. Diese Fachge- Geschlechtsunterschiede in der Kardiologie thematisiert. sellschaften und ihre Mitglieder arbeiten auch daran, Gender- Warum besteht diese Fixierung auf Herz und Herzerkrankun- medizin in der Medizinforschung und -lehre zu etablieren. In gen und innerhalb dieser Spezialdisziplin wiederum auf koro- Österreich bieten alle medizinischen Universitäten Ringvorle- nare Herzerkrankungen? Herzerkrankungen sind die Hauptto- sungen zum Thema Gendermedizin an, zusätzlich hat die desursache für Frauen und Männer weltweit außer Afrika süd- 9
NephroScript 3_10_Nephro 08.10.10 12:59 Seite 10 Tabelle: Geschlechtssortierte Daten zur Nephrologie aus öffentlich zugänglichen Quellen Frauen Männer insgesamt n % n % n % Gestorbene 2009 – Krankheiten 542 56,7 414 43,3 956 100,0 der Niere und des Ureters (N00–N29) Operative und nicht-operative 2.507 47,0 2.826 53,0 5.333 100,0 med. Leistungen bei Spitalsentlas- sungen 2007 – Nieren, Nierenbecken (3401–3449), Ureter (3451–3499) Nierenersatztherapie – neue 471 38,5 753 61,5 1.224 100,0 PatientInnen 2008* Quellen: Statistik Austria, * ÖDTR Jahresbericht 2008 lich der Sahara. Damit sind Herzerkrankungen und Herztod – Daten gibt. So sind die Daten zu Nierenersatztherapien nach und hier wiederum schwerpunktmäßig koronare Herzerkran- Alter und nach Krankenhausstandort aufgearbeitet. Die abruf- kungen – von unglaublicher gesundheitspolitischer Relevanz, baren geschlechtsbezogenen Daten sind rudimentär und ermög- damit auch eines der Hauptziele von Präventionsaktivitäten. In lichen keine gendermedizinische Diskussion (siehe Tab.). der Bevölkerung sind Herzerkrankungen als lebensbedrohen- des Risiko verankert, allerdings – was die Bevölkerung, aber Gendermedizinische Aspekte auch den Gesundheitsbetrieb betrifft – weitgehend auf Männer in der nephrologischen Forschung fokussiert. Herztod war und ist großteils nach wie vor männ- lich besetzt. In zahlreichen Studien sind Frauen-benachteiligen- Zahlreiche Publikationen zu gendermedizinischen Aspekten de Geschlechtsunterschiede, „sex und gender differences“ und mit nephrologischem Bezug kommen aus der Grundlagenfor- ein „gender bias“ bezüglich des Zugangs zur kardiologischen schung und der Onkologie oder behandeln Fragestellungen Spitzenmedizin – wie Koronarangiographie, Bypass – bis zum zum Thema Schwangerschaft und/oder Diabetes oder zu ein- Rehabzentrum nachgewiesen. Entsprechend fokussierten viele zelnen Krankheiten wie Lupus erythematodes und Nierener- Forschungs- und auch Aufklärungsaktivitäten auf Herz, Herz- satztherapien, besonders Nierentransplantation. tod, Herztodprävention, Zugang zu diversen Diagnostik- und Ein Schwerpunkt der Gesundheitspolitik war in den letzten Therapiemaßnahmen. Dazu kommt in Österreich noch, dass Jahren Prävention, allen voran die kardiovaskuläre Prävention seit Jahrzehnten mehr Frauen als Männer am Herztod sterben, und Krebsprävention. In diesem Zusammenhang wurden was die Diskussion um die Zugangsprobleme zur kardiologi- auch nephrologische Tumoren erforscht. Als Schwerpunkt der schen Spitzenmedizin anfachte. Prävention und damit auch der Forschung gerade im Gender- bereich wurde aber Brustkrebs als häufigste Krebsart bei Frau- Wo bleibt en favorisiert. Tatsache ist, dass mehr Männer als Frauen an die Nephrologie? Krebs versterben, was auch auf nephrologische Tumoren zutrifft. Nierentumoren treten häufiger bei Männern auf, Es stellt sich die Frage, wo in diesem Kontext die Nephrologie sind auch häufigere Todesursache von Männern als von Frau- bleibt. So fehlt im Lehrbuch „Principles of Gender Specific en. Nierentumoren sind aber nicht annähernd so dominieren- Medicine“ von Marianne J. Legato – auch eine Kardiologin, de mit Angst besetzt wie Brust- oder Prostatakrebs. Sie erklärt wohl die Frontfrau der Gendermedizin – ein Kapitel zur sich allein schon durch die weit geringere Inzidenz von Nie- Nephrologie. Bei Gendermedizin-Kongressen gibt es kaum rentumoren (siehe Abb.). nephrologische Themen, und auch in der Literatur finden sich Analog zur jahrzehntelangen Diskussion zu Zuweisungsnach- wenige Publikationen, und diese großteils aus dem Bereich der teilen für Frauen zur kardiologischen Spitzenmedizin würde Grundlagenforschung, aber kaum im klinischen Bereich. In der sich in der Nephrologie die Analyse des Zugangs zu Nieren- Nephrologie besteht ein Mangel an klinischen Studien zur Sym- ersatztherapien, wie Dialyse, Hämodialyse, Peritonaldialyse ptomatik, Diagnostik, Therapie und zum Outcome von und Nierentransplantation, bzw. der gendermedizinische nephrologischen Erkrankungen. Mögliche Gründe dafür sind, Therapieerfolg dieser Verfahren in Österreich lohnen. Kol- dass tödlich endende nephrologische Erkrankungen nicht so portiert wird eine höhere Zahl von Frauen unter den Lebend- angstbesetzt sind wie Herz- oder Krebstod und auch zahlenmä- spendern und eine höhere Zahl von Männern unter den ßig nicht an diese heranreichen. Daneben ist eine Benachteili- Empfängern. Zumindest die österreichischen Zahlen der Nie- gung von Frauen nicht so auffällig und leicht nachweisbar wie rentransplantationen sind aber geschlechtsneutral ausgewie- in der Kardiologie und es fehlen daher Studien, die einen Bias sen. Amerikanische Daten zeigen, dass mehr Männer Nieren- beweisen oder widerlegen. Es ist schon bemerkenswert, dass es transplantationen erhalten. Hier sind wohl die üblichen Ursa- auf dem Gebiet der Nephrologie kaum geschlechtsbezogene chen von höherer Risikobereitschaft über einen gewissen 10
NephroScript 3_10_Nephro 08.10.10 12:59 Seite 12 Frauen Männer 7.000 – 6.586 6.208 6.000 – 5.000 – 4.000 – 3.000 – 2.495 2.000 – 1.594 1.186 1.125 1.000 – 185 263 0 – – – – – – Kehlk., Luftr., Bronch. Brustdrüse (C50), Niere (C64) restl. bösart. Neubild. und Lunge (C32–C34) Prostata (C61) Quelle: Statistik Austria, Todesursachenstatistik Abb. : Onkologische Todesfälle 2009 Zuweisungsbias bis hin zu finanziellen Überlegungen zu dis- dermedizin. Die derzeit vorliegenden Publikationen zu Gen- kutieren. Dies ist bisher in Österreich nicht erfolgt. Auch dermedizin und Nephrologie beschäftigen sich vorrangig mit genaue Auswertungen der Wartelisten bezüglich Frauen und Themen wie Schwangerschaft und Diabetes mellitus, Inzi- Männern, Wartezeiten, Spenderorgane an das gleiche denz und Prävalenz von Tumoren, Zugang zur Spitzenmedi- Geschlecht oder anderes Geschlecht sind nicht ausgewiesen. zin wie der Nierenersatztherapie, der Dialyse, Hämodialyse, Dazu kommt auch z. B. die Problematik der österreichischen Peritonaldialyse und der Transplantation oder auch dem Datenaufbereitung, die kaum geschlechtssortierte Daten aus- Lupus erythematodes, aber weniger mit den klassischen Nie- weist und so keine genaue Auswertung möglich macht. renerkrankungen. Sehr viele wissenschaftlich lohnende und Ein Schwerpunkt der Genderforschung auf dem Gebiet der für unseren klinischen Alltag wichtige Fragestellungen warten Nierenersatztherapien scheint sich bei der Osteoporose als noch darauf, entsprechend nephrologisch aufgearbeitet zu Folgeerscheinung und der dafür notwendigen medikamentö- werden. Mein Artikel ist ein Aufruf an alle Nephrologinnen sen Behandlung abzuzeichnen. Zahlreiche Forschungsergeb- und Nephrologen, gendermedizinische Fragestellungen in nisse gibt es auf dem Gebiet des Lupus erythematodes, der, ihre Forschungsprojekte zu implementieren, die Daten gen- wie schon lange vor der gendermedizinischen Forschung derspezifisch auszuwerten und zu publizieren und die Ergeb- bekannt war, bei Frauen häufiger auftritt als bei Männern. nisse sowohl in die Lehre als auch in die klinische Praxis zu integrieren. Einen wesentlichen Impuls dazu wird hoffentlich Kaum gendermedizinische Forschung diese Ausgabe von NephroScript geben. ■ zu häufigen Nierenerkrankungen Literatur bei der Verfasserin Warum gendermedizinische Untersuchungen zu häufigen nephrologischen Krankheitsbildern, wie der Niereninsuffi- zienz, nur in so geringem Ausmaß initiiert werden, ist primär schwer erklärbar. Schon vor den Zeiten der Gendermedizin Nephrologie ist abgesehen von der Grundlagenforschung im mussten wohl alle MedizinstudentInnen die geschlechtspezi- Bereich der gendermedizinischen Forschung unterrepräsentiert. fischen Unterschiede in der Nierenfunktion und der glome- Es gibt wenige Arbeiten zu klinischen Fragestellungen, wie ruläre Filtrationsrate kennen, die beispielsweise bei der Dosie- Krankheitssymptomen, Diagnostik, Therapie oder Outcome bei rung gewisser Medikamenten zu berücksichtigen sind. Bei der nephrologischen Krankheitsbildern. Die Studien fokussieren auf Dosisberechnung von Chemotherapien kommen sogar eigene Schwangerschaft, Diabetes mellitus, Osteoporose im Zuge von Berechnungsformeln zur Anwendung, die neben dem Kör- Nierenersatztherapien, Nierentumoren, Lupus erythematodes, pergewicht auch das Geschlecht einbeziehen. Die Nieren- kaum auf klassische Nierenerkrankungen. Dies, obwohl zumin- funktion ist dennoch kein wesentlicher Forschungsschwer- dest Geschlechtsunterschiede bei der glomerulären Filtrationsra- punkt innerhalb der Gendermedizin, obwohl die diagnosti- te schon vor den Forschungen der Gendermedizin bekannt waren. schen und therapeutischen Folgen einer eingeschränkten Nie- Die Forschung im klinischen Bereich wird auch dadurch renfunktion in fast alle anderen medizinischen Fachbereiche erschwert, dass die allgemein zugänglichen nephrologischen hineinreichen. Daten besonders zu Nierenersatztherapien kaum geschlechtssor- Zusammenfassend zeigt sich auf dem Gebiet der Nephrologie tiert ausgewiesen werden. Nephrologie ist ein Zukunftsthema der sowohl in der Literatur, in Unterrichtsmaterialien wie auch Gendermedizin. auf Kongressen eindeutig ein Nachholbedarf im Sachen Gen- 12
NephroScript 3_10_Nephro 08.10.10 12:59 Seite 13 CHRONIC KIDNEY DISEASE–MINERAL AND BONE DISORDER (CKD-MBD) Niereninsuffizienz unter genderspezifischen Aspekten ao. Univ.-Prof. Dr. Alexander Rosenkranz Universitätsklinik für Innere Medizin IV, Schwerpunkte Nephrologie und Hypertensiologie, Medizinische Universität Innsbruck rotz des Überhangs von Frauen im Stadium 3 der Nie- lich, der Abstand zwischen Mann und T reninsuffizienz kommen weniger Frauen als Männer an die Dialyse. Die Analyse der Datenlage lässt meh- rere Erklärungen für diese Tatsache zu, mit denen sich der Frau bleibt aber über die Jahre – so macht es den Eindruck – konstant. Dies liegt wahrscheinlich vor allem an folgende Beitrag beschäftigt. der geringeren Prävalenz von kardio- vaskulären Risikofaktoren und ent- Aus den Diskussionen der letzten Jahre ist zu ersehen, dass die sprechenden Ereignissen bei Frauen wissenschaftliche Gemeinde hinsichtlich der Ausgewogenheit im Vergleich zu Männern, sei es die der Rekrutierung von Frauen in klinische Studien gespalten ao. Univ.-Prof. Dr. koronare Verkalkung oder auch die Alexander Rosenkranz ist. Während im Wissenschaftsblatt „Science“ zu lesen war, erhöhte Intima-Media-Dicke und dass das Pendel nun in die Gegenrichtung ausschlägt und letztendlich auch die kardiovaskuläre überwiegend Frauen zu Studien rekrutiert werden, wurde Mortalität. Im Folgenden sollen Genderaspekte vor der Dia- rezent im Wissenschaftsmagazin „Nature“ gewarnt, dass hier lyse und Genderaspekte an der Dialyse beleuchtet werden. immer noch ein Missverhältnis zuungunsten der Frauen zu finden ist. Auch im experimentellen Bereich wird darauf hin- Genderaspekte vor der Dialyse gewiesen, dass ein gewisser „Gender Gap“ besteht. Der pro- zentuelle Anteil der von einer Erkrankung betroffenen Frauen Das männliche Geschlecht per se scheint einen „schlechten sei wesentlich höher, als sich dies in experimentellen Arbeiten Einfluss“ auf die Nierenfunktion zu haben, dies unabhängig zu den im Tiermodell nachgestellten Krankheiten widerspie- von der Grundkrankheit, sei es eine chronische Niereninsuf- gelt. Die Nephrologie selbst scheint noch nicht im Bereich fizienz auf vaskulärer Basis oder sei es z. B. eine IgA-Nephro- der „Gendermedizin“ angekommen zu sein, genderspezifische pathie. Weiters entwickeln Männer mit Typ-1-Diabetes Studien zur chronischen Niereninsuffizienz sind im Allgemei- wesentlich häufiger eine terminale Niereninsuffizienz als nen nicht wirklich bekannt. Die WHO hat in den letzten Jah- Frauen. Auch die Abnahme der glomerulären Filtrationsrate ren die Niereninsuffizienz als eine der wesentlichen chroni- ist bei Frauen mit oder ohne Diabetes im Vergleich zu Män- schen Erkrankungen anerkannt. Sie hielt auch fest, dass es nern signifikant niedriger. Während die glomeruläre Filtrati- Genderunterschiede im Feld der Nephrologie gibt, wobei onsrate (GFR) bei Frauen ohne Diabetes jährlich um 0,6 natürlich Gender auch die verschiedenen Ethnizitäten ml/min abnimmt, beträgt die jährliche Abnahme bei Män- umfasst, etwas, was den Nephrologen prinzipiell sicher nern 1,1 ml/min. Im Gegensatz dazu scheint das weibliche bekannt ist (zum Beispiel das schlechte „Outcome“ bei Afro- Geschlecht die Nierenfunktion positiv zu beeinflussen. Frau- amerikanern mit chronischer Niereninsuffizienz). en haben ein 65 % geringeres Risiko für chronisches Nieren- Prinzipiell wissen wir, dass Frauen länger leben als Männer. So versagen. Daten, die auch in der Baltimore Longitudinal beträgt beispielsweise die mittlere Lebenserwartung des 65- Study oder auch in einer Arbeit von Obermayr aus Wien jährigen Mannes in Europa 17 Jahre, die mittlere Lebenser- bestätigt wurden (Obermayr, Nephrol Dial Transplant 2008). wartung der Frau mit 65 Jahren 21 Jahre, was einen Unter- Analysiert man die Daten von Patienten im Stadium 3 der schied von 4 Jahren zugunsten der Frauen bedeutet. Zwar chronischen Niereninsuffizienz, so findet man in Europa steigt die Lebenserwartung beider Geschlechter kontinuier- (Daten aus Norwegen) doppelt so viele Frauen in diesem Sta- 13
NephroScript 3_10_Nephro 08.10.10 12:59 Seite 14 dium der Niereninsuffizienz als Männer. Auch in der NHA- 125.000 Personen im Stadium 3 der Niereninsuffizienz befin- NES-Study aus den USA ist der überwiegende Anteil der den, im Stadium 4 und 5 aber nur mehr 10 % (ca. 12.000). Patienten im Stadium 3 weiblich. Nun könnte man meinen, Daher muss festgehalten werden, dass wir auf dem Weg zur Frauen leben länger, werden älter und daher ist der Frauenan- Dialyse viele Patienten verlieren, und es ist davon auszugehen, teil, analog zur Verteilung in der Allgemeinbevölkerung, dass wir hier vor allem viele Männer verlieren. Das kardiovas- höher. Es fällt jedoch ins Auge, dass der Unterschied eklatant kuläre Risiko nimmt mit der Abnahme der GFR signifikant größer ist als der in der Allgemeinbevölkerung! Auf Basis die- zu, ab einer GFR < 45 ml/min steigt es stark an. Daher macht ser Daten drängen sich aber auch zwei ganz andere Fragen es Sinn, das Stadium 3 in ein Stadium 3a (59–46 ml/min) auf: Gibt es einen Zusammenhang mit der natürlichen und ein Stadium 3b (30–44 ml/min) zu unterteilen. Das Abnahme der GFR im Alter, und ist der Nierenfunktionsver- Gesamtmortalitätsrisiko im Stadium 3a unterscheidet sich lust von Männern und Frauen im Alter unterschiedlich? nicht von jenem im Stadium 2 der chronischen Niereninsuf- Wir wissen, dass mit Abnahme der Nierenfunktion die Präva- fizienz (GFR > 60 ml/min) und ist damit nicht wesentlich lenz der Niereninsuffizienz dramatisch zunimmt, sodass die höher als in der Allgemeinbevölkerung. Allerdings ist festzu- Prävalenz bei über 70-Jährigen bereits bei über 40 % liegt. So halten, dass sich im Stadium 3a wahrscheinlich ein großer könnte man meinen, dass die Abnahme der Nierenfunktion Teil von Patienten mit alters- und geschlechtsadjustiert nor- im Alter auch ein natürlicher Vorgang sein könnte. Betrachtet maler geschätzter GFR befindet und dass das Mortalitätsrisi- man alters- und geschlechtsspezifische Referenzwerte der ko im (Gesamt-)Stadium 3 wesentlich durch die Patienten im geschätzten GFR in der weißen Bevölkerung, so stellt man Stadium 3b ausgemacht wird, während die Patienten im Sta- fest, dass die 25. Perzentile der Nierenfunktion bei Männern dium 3a wahrscheinlich ein geringes Risiko aufweisen. Rezen- im Alter zwischen 80 und 84 eine GFR von 60 ml/min te Untersuchungen, die die Rolle der MDRD-Formel bei erreicht, bei Frauen bereits um 10 Jahre früher, nämlich zwi- einer GFR > 60 ml/min evaluierten, konnten mit der neueren schen dem 70. und 74. Jahr. Wir wissen aus Langzeituntersu- CKD-EPI-Formel (Chronic Kidney Disease – Epidemilogy), chungen, wie der Baltimore Longitudinal Study, dass der welche vor allem im Bereich > 60 ml/min/1,73 m2 genauer Abfall der GFR nach dem 45. Lebensjahr 1 ml/min/Jahr sein dürfte, zeigen, dass meist Frauen, die anhand der beträgt. Ein Drittel der untersuchten Personen war stabil, bei MDRD-Formel dem Stadium 3a zugerechnet wurden, in einem Drittel kam es zu einem starken Abfall der GFR. Wir Wirklichkeit eine normale Nierenfunktion aufweisen. Es fin- wissen auch, dass sich – konservativ geschätzt – in Österreich den sich daher in den meisten vorliegenden Studien im Stadi- 90 – 80 – 70 – w = 65,48 60 – w = 63,86 Alter 50 – 100 – + + 90 – 40 – 80 – Bei den 2008 inzidenten 70 – NET-Patienten überwie- 30 – 60 – gen männliche Patienten. 50 – Frauen haben einen höheren Altersmedian- 20 – 40 – wert als Männer 30 – (69 a vs. 66 a). 10 – 20 – + w = 471 m = 753 10 – + w m Quelle: Österreichisches Dialyse- und Transplantationsregister, R. Kramar und R. Oberbauer, 2009 Abb.: Geschlechtsspezifische Verteilung der prävalenten Dialysepatienten im Jahre 2008 in Österreich 14
NephroScript 3_10_Nephro 08.10.10 12:59 Seite 16 um 3 eine erkleckliche Anzahl von Patienten, bei denen es schen Dialyse- und Transplantationsregister 2008 hervorgeht über die Jahre zu keiner Progredienz der Niereninsuffizienz (Männer 753, Frauen 471; OEDTR, Kramar & Oberbauer, kommt oder die tatsächlich eine normale Nierenfunktion auf- 2009; Abb.). Einer der wesentlichen Fakten an der Dialyse ist, weisen. Weiters zeigt die Mehrheit der Älteren eine minimale dass der Überlebensvorteil der Frauen wie in der Allgemein- Progression der GFR-Abnahme (über 50 %) und wird wahr- bevölkerung an der Dialyse komplett verloren geht, ein Vor- scheinlich auch überwiegend weiblich sein. gang, der auch durch die Nierentransplantation nicht mehr Weiters gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede hinsicht- wiederhergestellt werden kann. Die Erklärung, warum Frauen lich der Aussagekraft von Prädiktoren für die Progression der hier trotz 2-fach niedriger Prävalenz von kardiovaskulären chronischen Niereninsuffizienz. Die Albuminurie ist der Komorbiditäten am Beginn der Dialyse wesentlich gegenüber beste Prädiktor für die Abnahme der GFR bei den Männern, Männern aufholen, liegt in der Tatsache, dass vor allem dia- während dies der systolische Blutdruck bei den Frauen dar- betische Frauen eine signifikant höhere Mortalität aufweisen stellt. Albuminurie ist in jedem Lebensalter bei Männern als Männer. Dies deckt sich auch mit Erfahrungen aus der häufiger als bei Frauen. Das ist unabhängig vom Blutdruck, „nicht-renalen“ Population, wo festgestellt wurde, dass diabe- vom Body Mass Index und vom Blutzucker. Ein weiterer Prä- tische Frauen ein um 50 % höheres Risiko für eine koronare diktor für die GFR-Abnahme, der nur bei Frauen Signifikanz Herzkrankheit aufweisen als diabetische Männer. erreicht, ist interessanterweise der Cholesterinspiegel, obwohl Eine der möglichen Erklärungen für den Verlust des Überle- es hier auch in der Literatur andere Daten bei Männern gibt bensvorteils an der Dialyse liegt eventuell an der Tatsache, und dies wahrscheinlich auf die Inkonsistenz hinsichtlich der dass Frauen signifikant kürzer dialysiert werden als Männer Studienauswertungen und der Studiendauer zurückzuführen (Untersuchungen aus dem französischen Dialyseregister). Bis- ist. Weitere Fallstricke in der Auswertung dieser Studien lie- herige Studien belegten einen Zusammenhang zwischen gen darin, dass häufig die MDRD-Formel verwendet wird, Mortalität und Dialysezeit. Eine weitere mögliche Erklärung die sich besonders schlecht eignet, um hier einen Verlust der für das schlechtere Überleben bei Frauen an der Dialyse stellt GFR genau zu dokumentieren. Dies gilt besonders bei Perso- die signifikant häufigere Shuntdysfunktion dar. Frauen wei- nen mit einer GFR von > 60 ml/min und bei Personen mit sen wesentlich häufiger eine inadäquate Shuntfunktion auf, Adipositas. In diesen Fällen führt dies zu einer Unterschät- benötigen häufiger eine Intervention, welche auch öfter nicht zung der GFR. Langzeitveränderungen sind ebenso schlecht erfolgreich ist. Bei Frauen treten mehr technische Probleme evaluierbar, zumal wir ja wissen, dass die Muskelmasse mit mit dem Shunt auf, und auch Shuntthrombosen und Rei- dem Alter abnimmt. fungsstörungen des Shunts sind häufiger. ■ Man kann daher für den Zeitraum vor der Dialyse zusam- Literatur beim Verfasser menfassen, dass Frauen offensichtlich vor einer chronischen Niereninsuffizienz und deren Progression geschützt sind und dass Frauen im Durchschnitt 10 Jahre später an die Dialyse kommen als Männer. Laut japanischem Dialyseregister ist die Inzidenz und Prävalenz bei Männern an der Dialyse höher als Trotz des Überhangs von Frauen im Stadium 3 der Niereninsuffi- bei Frauen und das Durchschnittsalter am Beginn der Dialyse zienz kommen weniger Frauen als Männer an die Dialyse. Dies bei Frauen höher als bei Männern. Dies liegt wahrscheinlich liegt wahrscheinlich daran, dass die Nierenfunktion von Frauen daran, dass Frauen einen um 10 mmHg niedrigeren Blut- wesentlich stabiler ist und sich viele der Frauen auf Grund einer druck haben, einen anderen hormonellen Status, (noch) falschen Einschätzung der Nierenfunktion durch die MDRD-For- einen anderen Lebensstil (Proteinzufuhr, Salzkonsum, Rau- mel eigentlich nicht im Stadium 3 befinden. Weiters haben Frauen chen, Alkohol) sowie weniger Adipositas. Vor allem Lebensstil signifikant geringere kardiovaskuläre Komorbiditäten. An der und Adipositas sind Faktoren, die sich auch bei Frauen zu Dialyse selbst scheint kein Unterschied hinsichtlich des Mortali- wandeln beginnen, sodass hier davon auszugehen ist, dass tätsrisikos zu bestehen, Frauen holen hier deutlich auf. Allerdings Frauen in diesem Bereich aufholen werden. gibt es Hinweise dafür, dass Frauen an der Dialyse möglicher- weise diskriminiert werden (kürzere Dialysezeiten, Shuntproble- Genderaspekte an der Dialyse matik!). Basierend auf diesen Daten wird es wohl auch in Zukunft notwendig sein, die Populationen bei größeren Untersuchungen An der Dialyse scheint sich die Geschlechterverteilung umzu- hinsichtlich Prädialyse und Dialyse nach Geschlecht getrennt zu drehen. In Österreich sind wesentlich mehr Männer als Frau- evaluieren. en an der Dialyse, wie aus dem Bericht aus dem Österreichi- 16
NephroScript 3_10_Nephro 08.10.10 12:59 Seite 17 Anämie unter geschlechtsspezifischen Aspekten Dr. Markus Riegersperger, Univ.-Prof. Dr. Gere Sunder-Plassmann Klinische Abteilung für Nephrologie und Dialyse, Universitätsklinik für Innere Medizin III, Medizinische Universität Wien owohl für Eisenhaushalts- -Untergrenzen bestehen. Bei den Alt- S Marker und Hämoglobinwerte als auch für die renale Anämie zeigt die Literatur geschlechts - weltaffen liegen die Hämoglobinspiegel in einem Bereich von 11–17,5 g/dl bei den männlichen und 10,3–15,1 g/dl abhängige Unterschiede. Auf Basis bei den weiblichen Tieren, und von der Datenlage besteht derzeit aber 9,6–18,4 g/dl bei den männlichen sowie kein Anlass dazu, bei niereninsuffi- 9,6–16 g/dl bei den weiblichen Prima- zienten Frauen unter ESA-Therapie ten. Das Hämoglobin-Intervall der andere Hämoglobinwerte anzu- Dr. Univ.-Prof. Dr. Gere nicht-menstruierenden Neuweltaffen- Markus Riegersperger Sunder-Plassmann streben als bei Männern. weibchen sowie das der Männchen liegt bei 12–20 g/dl2. Die Autoren kommen Die Diagnose „Anämie“ wird anhand des Hämoglobinspiegels aufgrund dieser Ergebnisse zu dem Schluss, dass beim Mensch gestellt. Tab. 1 gibt einen Überblick über die unterschiedlichen das Hämoglobin-Referenzintervall der Frau an den Wert des verwendeten Referenzintervalle. Die renale Anämie ist bei ne- Mannes angepasst werden sollte. phrologischen Patienten eine Komorbidität mit hoher Prävalenz. Da keine österreichischen Daten vorliegen, hier ein kurzer Blick Eisenmangel als häufigste Ursache auf US-amerikanische Daten aus dem Kidney Early Evaluation einer Anämie Program (KEEP) und dem National Health and Nutrition Examination Survey (NHANES). In der KEEP-Population mit Eisen liegt im menschlichen Organismus in 2- und 3-wertiger 70.069 Personen liegt die Anämie-Prävalenz bei 13,9 % ionisierter Form (Fe++ und Fe+++) und als Häm-Eisen vor, der Ge- (32 % Männer, 68 % Frauen), im NHANES-Kollektiv, das samtbestand beträgt 3.000–5.000 mg. Etwa 3.000 mg davon sind 17.061 Patienten umfasst, wurde eine Anämie-Prävalenz von an Hämoglobin gebunden, das Speichereisen beträgt beim Mann 6,3 % (48 % Männer, 52 % Frauen) verzeichnet. Anzumerken 500–1.000 mg und bei der Frau 300–400 mg, Plasma- und Ge- ist, dass in der KEEP-Population Frauen und Afroamerikaner webeeisen betragen zusammen 4–8 mg. Die Aufnahme von Eisen überrepräsentiert waren. Wie Tab. 2 veranschaulicht, variiert die erfolgt ausschließlich über die Nahrung. Die enterale Resorption Anämie-Prävalenz in Abhängigkeit von der zugrunde liegenden von etwa 5–10 % des Nahrungs-Eisengehaltes von 10–20 mg Anämie-Definition (Tab. 1). erfolgt pH-abhängig überwiegend als Fe+++ durch die beiden Frauen weisen im Vergleich zu Männern niedrigere Hämoglo- Transporter DMT-1 (Divalent Metal Transporter) und HCP-1 bin- und Hämatokritwerte auf und können diese über eine he- (Heme Carrier Proteine 1) in Enterozyten des Duodenums, rabgesetzte Sauerstoff-Bindungsaffinität des Hämoglobins besser wobei die Resorptionsrate über Drosselung der Hepcidin-Syn- tolerieren. Noch nicht gänzlich geklärt ist, woher diese Unter- these bedarfsgerecht auf bis zu 30 % gesteigert werden kann. Die schiede stammen und wie viel Einfluss der Hormonhaushalt auf Einspeisung in den Pfortaderstrom erfolgt über Ferroportin. die endogene Erythropoetin-Synthese und die Sensitivität der Nach Valenzwechseln und Bindung an Transferrin gelangt Fe++ Erythrozyten-Vorläuferzellen hat1. zu den eisenspeichernden Geweben, unter anderen Hepatozyten und Makrophagen und wird, an Ferritin gebunden, gelagert3. Ein Ausflug Bis zu 80 % der Anämien liegt ein Eisenmangel zugrunde. ins Tierreich Dessen Gesamtprävalenz liegt in Europa bei 5–10 % und bei gebärfähigen Frauen bei etwa 20 %. Der kindliche Eisen- Ein Vergleich mit dem Tierreich zeigt, dass bei Altweltaffen zwi- mangel aufgrund eines gesteigerten Eisenbedarfs in der Wachs- schen Männchen und menstruierenden Weibchen zwar Unter- tumsphase manifestiert sich in der Regel nicht in Form einer schiede bei den Hämoglobin-Obergrenzen, nicht jedoch den Eisenmangelanämie und bedarf keines Ausgleichs. 17
NephroScript 3_10_Nephro 08.10.10 12:59 Seite 18 Tabelle 1: Definition der Anämie bei Männern und Frauen auf Basis unterschiedlicher Hämoglobinwerte Hämoglobin-Untergrenze (g/dl) URHEBER Männer Frauen World Health Organization (1968) 13 12 KDOQI (2006) 13,5 12 Jandl (1996) 14,2 12,2 Williams, Beutler (2001) 14 12,3 Wintrobe, Lee (1998) 13,2 11,6 Rapaport (1987) 14 12 Goyettle (1997) 13,2 11,7 Tietz (1995) 13,2 11,7 Hoffman (2004) 13,5 12 KDOQI = Kidney Disease Outcomes Quality Initiative Tabelle 2: Prävalenz und Odds-Ratio (OR) der Anämie in 2 Populationen in Abhängigkeit der Diagnosekriterien Prävalenz (%) Odds Ratio (OR) Diagnoskriterium NHANES KEEP KEEP M F M F M F WHO 2,8 7,6 8,9 13,2 0,68 1 KDOQI 4,9 7,6 15,5 13,2 1,3 1 NHANES = National Health and Nutrition Examination Survey, KEEP = Kidney Early Evaluation Program, WHO = World Health Organization, KDOQI = Kidney Disease Outcomes Quality Initiative, M = Männer, F = Frauen Modifiziert nach: McFarlane S.I. et al.18 Der tägliche Eisenbedarf bei Männern und postmenopausalen Mann und < 12 g/dl bei der Frau hinzu4. Tab. 3 zeigt die Frauen liegt bei 1 mg. Während der physiologischen Mens- Referenzwerte der Eisenparameter mit Angabe zu den truation gehen etwa 1–3 mg Eisen pro Tag beziehungsweise geschlechtsspezifischen Unterschieden, so vorhanden3. In der 25 mg pro Zyklus verloren. Eisenmangel entsteht über die 3 NHANES-Population fanden sich bei 8.434 Frauen und Mechanismen: 1. Blutverlust, 2. erhöhter Bedarf und 3. ver- 7.403 Männern Ferritinwerte von 90 ⫾ 122 ng/ml (median minderte Aufnahme, und durchläuft einen 3-phasigen Prozess. 54; ICR 26–110) bzw. 184 ⫾ 166 ng/ml (median 141; ICR Dem Speichereisenmangel (Stadium I) folgt eine eisendefizitäre 83–232)10. Erythropoese (Stadium II), welche in die Eisenmangelanämie Die Hauptursache für die geschlechtsspezifischen unterschied- (Stadium III) übergeht. Ein Speichereisenmangel wird definiert lichen Hämoglobinspiegel ist der menstruationsbedingte mit einem Ferritinwert < 20 µg/l bei Männern und < 15 µg/l Eisenmangel der Frau. Weitere Ursachen einer Eisenmangel- bei Frauen und sollte initial nur in den Situationen 1. Schwan- Anämie können chronische Blutungen des oberen und/oder gerschaft, 2. chronische Hämodialyse und 3. Hochleistungs- unteren Gastrointestinaltraktes5, Zöliakie, Helicobacter-pylori- sport behandelt werden. Die per se behandlungsbedürftigen assoziierte Gastritis und Zustände nach partieller bzw. totaler Zustände der eisendefizitären Erythropoese und der Eisenman- Gastrektomie sein6. Eine Studie aus dem Vereinigten König- gelanämie sind durch eine Veränderung der Erythrozyten-In- reich zeigt, dass etwa 90 % der Frauen den Eisenverlust nicht dizes gekennzeichnet. Diese können Hypochromasie (MCH über das mit der Nahrung aufgenommene Eisen kompensieren < 28 pg) und/oder Mikrozytose (MCV < 80 fl) aufweisen. Bei können, was möglicherweise mit der milch- und getreidelas- der Eisenmangelanämie kommt als weiterer Parameter je nach tigen westlichen Ernährung, welche die Eisenaufnahme Definition (siehe Tab. 1) ein Hämoglobinwert < 13 g/dl beim hemmt, in Zusammenhang steht. Bei gebärfähigen Frauen 18
NephroScript 3_10_Nephro 08.10.10 12:59 Seite 19 Tabelle 3: Referenzwerte des Eisenhaushaltes Normwerte Parameter Männer Frauen KM-Speichereisen ++ KM-Sideroblasten 15–50 % Mean Corpuscular Volume 80–96 fl Mean Corpuscular Hemoglobin 28–33 pg Hypochrome Erythrozyten < 2,5 % Retikulozyten-Hämoglobin ⱖ 26 pg Serum-Eisen 11–28 µmol/l 6,6–26 µmol/l Ferritin 30–400 µg/l 15–150 µg/l Transferrin 200–400 mg Transferrinsättigung 16–45 % Solubler Transferrinrezeptor* 0,81–1,75 mg/l TfR-Index* 0,9–3,4 0,9–3,7 Zinkprotoporphyrin ⱕ 40 µmol/mol Häm * Referenzwerte sind testabhängig; KM = Knochenmark; TfR = Transferrinrezeptor Modifiziert nach: Hatska et al.3 scheinen sich sowohl die Eisen-Supplementation als auch eine Eisenhaushalt von Frauen vor und nach der Menopause fest- eisenreiche Ernährung für den Ausgleich des Eisendefizits zu gestellt9. eignen, wobei täglich maximal 2,25 mg Eisen absorbiert werden können. Sowohl die Zufuhr in Form von 350 mg Renale Anämie Eisensulfat-Tabletten als auch die Versorgung über eine be- darfsgerechte Diät mit eisenhältigen Lebensmitteln über Mit Abnahme der glomerulären Filtrationsrate (GFR), aus- 12 Wochen führt zu einem ausreichenden und nachhaltigen gedrückt durch die Kreatinin-Clearance (CrCl), sinkt der Anstieg der Eisen- und Hämoglobinwerte zu Studienende und Hämoglobinspiegel unabhängig vom Geschlecht. Der Hämo- 6 Monate nach Interventionsende7. Die intravenöse Eisen- globinabfall beginnt jedoch bei den Männern früher als bei substitution bleibt als Low- bis Medium-Dose-Gabe für den Frauen (CrCl ⱕ 80 ml/min gegenüber ⱕ 50 ml/min). Mit Hämodialyse8, Therapieversagen oder absolute Unverträglich- weiterer Abnahme der GFR sinkt der Hämoglobinspiegel bei keit der oralen Substitution, Maladsorption sowie andere Männern verhältnismäßig stärker als bei Frauen, so zum Bei- seltene Indikationen5 vorbehalten. spiel bei einer CrCl ⱖ 30–40 ml/min um 0,8 g/dl vs. 0,4 g/dl. Der Eisenmangel ist nur während der reproduktionsfähigen Etwa 40 % der Frauen und 20 % der Männer mit normaler Lebensphase festzustellen, in Adoleszenz und Postmenopause Nierenfunktion haben eine Transferrinsättigung < 20 %. Dieser sind keine Geschlechtsunterschiede zu erkennen. Da die heute Anteil steigt bei den Frauen mit abnehmender GFR relativ gültigen Eisenhaushalts-Normen aus einem Kollektiv mit konstant auf etwa 60 % bei einer CrCl < 20 ml/min, bei den einem hohen Anteil an menstruierenden und daher eisendefi- Männern bleibt der Anteil mit abnehmender GFR nahezu un- zienten Frauen stammen und demnach zu niedrige untere verändert und steigt ab einer CrCl < 20 ml/min schlagartig auf Grenzwerte festgelegt wurden, sollte laut Rushton und Kolle- 70 % an10. gen die Beurteilung des Eisenstoffwechsels der Frau anhand Auch bei der renalen Anämie bestehen sowohl geschlechts- als des Referenzbereichs für Männer erfolgen2. auch altersabhängige Unterschiede. So beträgt die Prävalenz der Im Gegensatz dazu ergab eine Querschnittsstudie an einem renalen Anämie im NHANES-Kollektiv bei den 31- bis 40-jäh- großen US-amerikanischen Kollektiv, dass sich der Hämoglo- rigen Frauen in Abhängigkeit von der Nierenfunktion 11–34 % binwert von Männern und Frauen zwar unterscheidet, dies und nimmt in der Altersgruppe der 61- bis 70-Jährigen wieder jedoch unabhängig von Transferrinsättigung und Ferritin- ab (7–25 %). Bei den Männern ist das Verhältnis umgekehrt werten. In dieser Studie wurden auch keine Unterschiede im (31- bis 40-Jährige: 1–6 %; 61- bis 70-Jährige: 3–12 %). 19
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