Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" - Presseinformation
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Presseinformation Kompetenznetz „Depression, Suizidalität” Ein bundesweites Projekt zur Optimierung von Therapie und Forschung „Forschung und Versorgung müssen zum Wohl der Patienten besser vernetzt werden.“ Zitat Bundesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Seite Gesprächspartner 4 Das Netzwerk 5 Kurzfassung 6 Struktur 7 Allgemeine Informationen 9 Zentrale Ziele 12 Schwerpunkte und Projekte 13 Krankheitsbild Depression 17 Symptome der Depression 19 Suizid und Medien 21 Module 22 Gesundheitspolitische Brisanz • Wie entsteht eine Depression • Ein- schneidende Lebensereignisse • Geschlecht und Depression • Alters- depression • Depression in Kindheit und Jugend • Arbeitslosigkeit und Depression • Stress und Depression • Veranlagung und Depression • Biochemie der Depression • Wetter und Depression • Psychotherapie oder Pharmakotherapie • Die Depressionsspirale/Kognitive Verhal- tenstherapie • Antidepressiva • Elektrokrampftherapie und andere Therapien • Internet und Depression Quellennachweis 48 GABO Prozessmanagement 50 Impressum 51 Seite 3
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Gesprächspartner Ihre Gesprächspartner sind… Prof. Dr. Ulrich Hegerl Sprecher und Koordinator des Kompetenznetzes „Depression, Suizidalität“ Leiter der Abteilung für klinische Neurophysiologie der Psychiatrischen Klinik und Poliklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München. Oberarzt der Depressions- station und der Spezialambulanz „Rückfallverhütung affektiver Erkrankungen“. Anke Schlee Pressesprecherin des Kompetenznetzes „Depression, Suizidalität“ Seite 4
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Das Netzwerk Das Netzwerk Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) schrieb im Herbst 1997 den Wettbewerb „Kompetenznetzwerke für die Medizin“ aus. Ziel war, die Bildung überregionaler Netzwerke für spezifische Krankheiten anzuregen. Die Kooperation und der Wissenstransfer zwischen den Forschungseinrichtungen einerseits und den verschiedenen Versorgungsebenen andererseits sollen auf diese Weise verbessert werden. Nach drei Begutachtungen durch eine internationale Jury gehört das Kompetenznetz „Depression, Suizidalität“ zu den Gewinnern dieses BMBF-Wettbewerbes. Sprecher und Koordinator Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Psychiatrische Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München Antragsteller Prof. Dr. Hans-Jürgen Möller, Psychiatrische Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München Prof. Dr. Dr. Florian Holsboer Max-Planck-Institut für Psychiatrie München Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Psychiatrische Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München Korrespondenzadresse / V.i.S.d.P. Prof. Dr. Ulrich Hegerl Psychiatrische Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität, Nußbaumstraße 7, 80336 München, Telefon: 089 - 5160-5541, Fax: 089 - 5160-5542 Pressereferentin Anke Schlee Psychiatrische Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität, Nußbaumstraße 7, 80336 München, Telefon: 089 - 5160-5553, Fax: 089 - 5160-5557 eMail: presse@kompetenznetz-depression.de Unsere Internet-Adresse: http://www.kompetenznetz-depression.de Seite 5
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Kurzfassung Kompetenz im Kampf gegen Depressionen Nachdem die WHO die herausragende medizinische und gesundheitspolitische Bedeutung depressiver Erkrankungen in den entwickelten Ländern mit über- raschender Deutlichkeit belegt hat, wurden auf nationaler Ebene umfassende Aktionsprogramme zur Bekämpfung dieser Erkrankung gefordert. Das Kompetenznetz „Depression, Suizidalität“ nimmt nun entsprechend dieser WHO- Forderung den Kampf gegen die Volkskrankheit „Depression“ auf. Prof. Dr. Ulrich Hegerl von der Psychiatrischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München gab im Juli 1999 nach der konstituierenden Mitgliederversammlung den Startschuss für das Projekt. In Deutschland leiden ca. 4 Millionen Menschen an einer depressiven Störung, doch viele Betroffene können ihre Symptome wie Interessenverlust, Freudlosigkeit und Schlafstörungen nicht richtig einordnen. Da häufig körperliche Beschwerden im Vor- dergrund stehen, wird die Erkrankung oft von Hausärzten nicht erkannt, zum Teil fehlt auch das Wissen über die optimale Behandlung. Diese Defizite im Erkennen und Behandeln von Depressionen tragen mit zu den erschreckend hohen Suizid- raten bei (ca. 12.000 Suizide pro Jahr). Das Kompetenznetz „Depression, Suizidalität“ will die Krankheit, ihre Formen, Symptome und Behandlungsmethoden bei den Betroffenen und in der Öffentlichkeit bekannter machen und in enger Zusammenarbeit mit Hausärzten diagnostische und therapeutische Defizite beheben. Darüber hinaus soll das Kompetenznetzwerk dazu beitragen, die anwendungsorientierte Forschung zu verbessern und z.B. Fragen aus dem ambulanten und hausärztlichen Bereich intensiver als bisher aufzugreifen. Mit diesem Konzept konnten die Antragsteller des Kompetenznetzes auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) überzeugen und unter 160 Vorschlägen als einer der neun Gewinner aus dem Wettbewerb „Kompetenznetzwerke“ hervorgehen. Es handelt sich hierbei um ein europaweit einmaliges, ehrgeiziges Projekt, das bereits in der Phase der Antragstellung beträchtliche Bewegung in die medizinische Forschungslandschaft in Deutschland gebracht hat. Das Projekt läuft über fünf Jahre. Das Kompetenznetz „Depression, Suizidalität“ wird durch das BMBF für diesen Zeitraum mit 25 Millionen DM gefördert und ist damit das größte Projekt zu dieser Thematik in der Geschichte des deutschen Gesundheitswesens. Seite 6
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Struktur Struktur Das Kompetenznetz „Depression, Suizidalität“ vernetzt führende Forschungseinrichtungen und Universitätskliniken Deutschlands mit Bezirks- und Landeskrankenhäusern, psychosomatischen Kliniken, niedergelassenen Ärzten und Praxisnetzen. Zum Kompetenznetzwerk gehören außerdem die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, Zentren für medizinische Biometrie, Statistik und Didaktik, Krankenkassen, Vertreter der pharmazeutischen Industrie, kassenärztliche Vereinigungen, Kriseninterventionseinrichtungen und Selbsthilfegruppen: Abb. 1: Struktur des Kompetenznetzes Eine wesentliche Anforderung an die Kompetenznetzwerke ist, für ein angemesse- nes Organisations- und Steuerungskonzept zu sorgen. Das Kompetenznetz „Depression, Suizidalität“ entspricht dieser Vorgabe durch eine stringente Organisationsstruktur sowie durch die Einbindung der Firma GABO (Gesellschaft für Ablauforganisation, Informationsverarbeitung und Kommunikationsorganisation mbH & Co. KG). Die Grafik auf der folgenden Seite zeigt die konkrete Organisationsstruktur des Kompetenznetzes „Depression, Suizidalität“. Seite 7
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Struktur Abb. 2: Organisationsstruktur Seite 8
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Allgemeine Informationen Depression und Suizidalität: Allgemeine Informationen Depressive Störungen gehören zu den häufigsten und hinsichtlich ihrer Schwere am meisten unterschätzten Erkrankungen Depressionen sind gekennzeichnet durch gedrückte Stimmung, Interessen- verlust, Freudlosigkeit, Schwunglosigkeit, Schlafstörungen und oft durch multiple körperliche Beschwerden. Derzeit erfüllen ca. 5% der Bevölkerung die Kriterien einer depressiven Störung. Der Verlauf ist häufig episodenhaft und unbehandelt meist rezidivierend oder chronisch. Depressionen führen auf Grund von Suizidalität und anderen sekundären Depressionsfolgen zu erhöhter Sterblichkeit. In der Gruppe von Patienten mit schweren depressiven Störungen liegt die Lebenszeit-Suizidalität bei er- schreckenden 15%. Bis zu 56% der Patienten mit depressiven Störungen bege- hen in ihrem Leben einen Suizidversuch. Umgekehrt besteht bei der Mehrheit der Patienten, die Suizide begehen, ein depressives Syndrom. Depression und Suizidalität sind also sich überlappende Bereiche. Depressionen beeinträchtigen wie keine andere Erkrankung in fundamentaler Weise die Lebensqualität der Betroffenen. So unterstreichen beispielsweise neuere Untersuchungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Welt- bank mit überraschender Deutlichkeit die herausragende medizinische und gesundheitspolitische Bedeutung depressiver Erkrankungen. 12000 Mit Beeinträchtigung gelebte Jahre 10000 8000 6000 4000 2000 0 n . . en ar le ie us s nk is k ge u Er äl l en rit ng po lit us a nf un S- rth kr el r ru ni ab u ph Er ör ZN m rs oa ,u tö l zo St ho eh s ss re e on e te hi st ko e lä iv rk g be i Sc iv O ss an at ku Ve Al kt ia re r Zw as ne fe D ep af v ge ro rD re de eb la o er aj a. po M C u. Bi t ia en em D © Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Abb. 3: Weltweite Belastung durch Krankheiten (Murray/Lopez 1997, WHO-Studie) Seite 9
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Allgemeine Informationen Gemessen an dem zentralen Indikator YLD (years lived with disability), ein u.a. nach der Schwere der Beeinträchtigung gewichtetes Maß für die Erkrankungsjahre in einer Bevölkerungsgruppe, kommt in den entwickelten Ländern den unipolaren Depressionen die größte Bedeutung zu - mit weitem Abstand vor allen anderen körperlichen und psychiatrischen Volkskrankheiten. Diese in ihrer Deutlichkeit für viele überraschenden Ergebnisse waren für die WHO Anlass, Aktionsprogramme auf nationaler Ebene zur Bekämpfung depressiver Erkrankungen zu fordern. Suizidalität – häufig unterschätzt In Deutschland nehmen sich pro Jahr ca. 12.000 Menschen das Leben, wobei die tatsächliche Zahl der Suizide (Dunkelziffer) sicher erheblich höher liegt. Die Zahl der Suizide übersteigt demnach die der jährlichen Verkehrstoten deutlich. In der Alters- gruppe der 15-35jährigen steht der Suizid nach Unfällen sogar an zweiter Stelle aller Todesursachen. Dabei liegt die Zahl ernsthafter Suizidversuche um das 10-15fache höher als die der vollzogenen Suizide. Für die Behandlung depressiver Erkrankungen stehen wirksame Verfahren zur Verfügung, die jedoch nur sehr ungenügend genutzt werden. Seite 10
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Allgemeine Informationen Durch pharmakotherapeutische Behandlung mit Antidepressiva und Psychotherapie (z.B. kognitive Verhaltenstherapie) kann der Mehrheit der depressiven Patienten geholfen werden. Wirksame Behandlungen werden jedoch sehr häufig nicht eingesetzt, da Depressionen übersehen und in ihrer Schwere unterschätzt werden. Die Größe des sich hieraus ergebenden Optimierungsspielraums wird in der folgen- den Abbildung deutlich: Behandlungsbedürftige In hausärztlicher Als Suffizient Nach 3 Monaten Depressionen Behandlung Depression behandelt Behandlung compliant Gesamtzahl diagnostiziert 240 - 360 100 - 160 ca. 4 Mio. 2,4 - 2,8 Mio. 1,2 - 1,4 Mio. Tausend Tausend 60-70% 30-35% 6-9% 2,5-4% Optimierungsspielraum durch Fortbildung und Kooperation mit Hausärzten Optimierungsspielraum durch bundesweite Awareness-Programme © Kompetenznetz “Depression, Suizidalität” Abb. 4: Optimierungsspielraum in den Bereichen Diagnose und Behandlung Die Abbildung weist als Ebene für Optimierungsmaßnahmen die hausärztliche Ver- sorgung aus, da die Mehrheit (ca. zwei Drittel) der depressiven Patienten sich an den Hausarzt wendet und hier die größten Verbesserungsmöglichkeiten hinsichtlich Diagnose und Behandlung der depressiven Erkrankung bestehen. Seite 11
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Zentrale Ziele Zentrale Ziele des Kompetenznetzes „Depression, Suizidalität“ Das Kompetenznetz „Depression, Suizidalität“ stellt in seiner Struktur und seinen Zielen einen qualitativ neuen Ansatz dar. Das Kompetenznetz bindet die niedergelassenen, insbesondere hausärztlich tätigen Ärzte sowie andere wichtige, an der Versorgung depressiver Patienten beteiligte Partner ein und will damit der Fragmentierung im Gesundheitssystem entgegenwirken und neue Kommunikationsstrukturen verankern. Über die geplanten Forschungsprojekte hinaus ist eine dauerhafte Verbesserung der Kooperation der verschiedenen Versorgungsebenen hinsichtlich Fragen der Forschung und Versorgung ein zentrales Anliegen. Neue Techniken der Kommunikation wie das Internet will das Kompetenznetz intensiv nutzen. Verbesserung des diagnostischen Defizits Die wirkungsvollsten Verbesserungsansätze ergeben sich durch eine enge Koope- ration mit hausärztlich tätigen Ärzten. In diesem Versorgungsbereich finden sich einerseits die meisten depressiven Patienten, andererseits werden aber bei mehr als 50% der Patienten die depressive Erkrankung und damit oft auch die drohende Suizidalität nicht erkannt. Verbesserung des therapeutischen Defizits Mehr als 80% der depressiven Erkrankungen sind heute erfolgreich behandelbar. Bei mehr als 50% der richtig diagnostizierten Patienten werden aber von hausärzt- licher Seite insuffiziente Behandlungsstrategien angewandt (Medikation zu kurz, zu niedrig, individuell nicht angepasst oder mit Substanzen ohne antidepressiven Wirk- samkeitsnachweis). Daher sind gerade in diesem Bereich dringend Maßnahmen erforderlich, die eine Behandlung nach klinisch bewährten Behandlungsleitlinien fördern. Verbesserung des Forschungsdefizits Drängende Forschungsfragen im ambulanten und hausärztlichen Bereich griff die universitäre Forschung bisher nur ungenügend auf. So sind z.B. Patienten mit leichteren depressiven Syndromen, die häufig in Kombination mit Ängsten und multiplen körperlichen Beschwerden auftreten, in der hausärztlichen Praxis sehr häufig. Doch die Frage nach der richtigen Behandlung hat die Forschung bisher nicht ausreichend beantwortet. Weitere wichtige Forschungsfragen betreffen die Behandlung chronischer und therapieresistenter schwerer Depressionen oder die Klärung der Pathogenese der Depression und Suizidalität. Seite 12
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Schwerpunkte und Projekte Geplante Schwerpunkte und Projekte des Kompetenznetzes „Depression, Suizidalität“ Die Netzwerkteilnehmer planen und realisieren insgesamt sechs Teilprojekte, die ihrerseits wieder aus mehreren Subprojekten bestehen. Im folgenden werden exemplarisch zwei zentrale Projekte kurz skizziert, die den Netzwerkcharakter und die Einbindung der Hausärzte in besonderer Weise um- setzen. 1. Suizidpräventives Awareness-Programm Gezielte Fortbildung der Hausärzte zu Diagnose und Therapie der Depression kann die Suizidrate deutlich senken. Das zeigt die bekannte Gotland-Studie. Aufbauend auf den Erfahrungen dieser schwedischen Studie soll in Nürnberg ein intensives Awareness-Programm zum Thema „Depression, Suizidalität“ stattfinden. Ziel ist, in messbarer Weise die Zahl der Suizide und Suizidversuche zu senken. Neben Fort- bildungen sind in Kooperation mit hausärztlich tätigen Kollegen weitere Maßnahmen geplant: Ein Informationsvideo für Patienten und deren Angehörige soll angefertigt und den Hausärzten zur Verfügung gestellt werden. Die Hausärzte können das Video den Patienten leihweise mit nach Hause geben. Das Video soll sachliche Information über Symptome, Ursachen und die Behandlung depressiver Erkran- kungen vermitteln. Niedergelassenen Kollegen in Nürnberg wird über eine Hotline unkompliziert Beratung zur Diagnose und Therapie depressiver Störungen angeboten. Die Durchführung von Qualitätszirkeln für Hausärzte in Nürnberg wird unter- stützt. Gezielte Öffentlichkeitsarbeit in Nürnberg soll das Wissen über Depression in der Allgemeinbevölkerung erhöhen sowie eine Enttabuisierung erreichen. Die Einrichtung von Notrufnummern und die Aushändigung einer Green Card an Patienten nach einem Suizidversuch soll den Zugang gefährdeter Patienten zur Behandlung rasch und unkompliziert gestalten. Um die Wirksamkeit dieses Awareness-Programms nachweisen zu können, wird der Verlauf der Suizidraten und Suizidversuchsraten in Nürnberg in den nächsten Jahren erfasst und mit den entsprechenden Zahlen des gesamten Bundesgebiets und anderer Städte verglichen. Nürnberger Bündnis gegen Depression: Internet-Adresse: www.buendnis-depression.de eMail: Depressionsnetz@web.de Seite 13
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Schwerpunkte und Projekte 2. Behandlung leichter und subdiagnostischer Depressionen Patienten mit leichten depressiven Syndromen, die häufig mit Angst und multiplen körperlichen Beschwerden einher gehen, sind in der hausärztlichen Praxis sehr häufig. Da diese Patienten in Universitätskliniken eher selten gesehen werden, ist das Wissen über die richtige Behandlung dieser Patienten unbefriedigend. In Kooperation mit Hausärzten in Nürnberg soll deshalb die Wirksamkeit verschiedener Behandlungsmethoden untersucht werden: Die Behandlung mit Antidepressiva und mit Verhaltenstherapie wird gegenüber Plazebobedingungen verglichen. Zudem soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Therapieerwartung, die Therapie- präferenz (Verhaltenstherapie versus Psychopharmakotherapie) und das Krank- heitsmodell (biologisches versus psychologisches Krankheitsmodell) für den Thera- pieerfolg bedeutsam sind. Es ist denkbar, dass Patienten, die sich eher etwas von Psychotherapie versprechen, schlechter auf Psychopharmaka ansprechen - und umgekehrt. Falls derartige Faktoren den Therapieerfolg entscheidend mitbestim- men, müssten sie zukünftig verstärkt in die Therapieplanung eingehen. Die einzelnen Teilprojekte im Überblick… Teilprojekt 1: Suizidalität – Modelle zur effektiveren Gestaltung von Suizidprävention Der Schwerpunkt liegt in der Durchführung und Evaluation suizidpräventiver Maß- nahmen. Ein wichtiges Subprojekt ist das Awareness-Programm zu Depression und Suizidalität in Nürnberg (siehe oben). Im Rahmen eines anderen Subprojektes soll erstmals der postulierte suizidpräven- tive Effekt einer frühzeitigen Lithiummedikation nachgewiesen werden. Weitere Projekte befassen sich mit biologischen Aspekten der Suizidalität oder dem Zusammenhang zwischen Strukturveränderungen der stationären Versorgung in den neuen Bundesländern und dem Auftreten stationärer Suizidhandlungen. Teilprojekt 2: Behandlung leichter depressiver Syndrome In einer kontrollierten Studie soll untersucht werden, ob Antidepressiva, kognitive Verhaltenstherapie oder eine Kombinationsbehandlung bei Patienten mit leichten und subdiagnostischen depressiven Störungen wirksam sind (siehe oben). Bei diesem Teilprojekt ist die aktive Beteiligung niedergelassener Ärzte und des Praxis- netzes Nürnberg Nord ein wesentlicher Bestandteil. Andere Subprojekte beschäftigen sich mit der Therapie der rezidivierenden kurzen depressiven Störung und der Frage, wie sich chronische Krankheitsverläufe bei Personen mit Depressionen und somatoformen Störungen verhindern lassen. Seite 14
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Schwerpunkte und Projekte Teilprojekt 3: Qualitätsmanagement in der Depressionsbehandlung In diesem Teilprojekt soll die Versorgungsqualität depressiver Patienten evaluiert und verbessert werden. Die Maßnahmen beinhalten u.a. Entwicklung von Leitlinien, Fort- und Weiterbildungsmaterialien, deren Etablierung bei hausärztlich tätigen Ärzten, Qualitätsmanagement im ambulanten und stationären Bereich sowie Evaluation des therapeutischen Drug-Monitorings im ambulanten Bereich. Teilprojekt 4: Wirkmechanismen antidepressiver Therapien Wie wirken antidepressive Medikamente biologisch? Diese Frage stellen sich die Forscher des Teilprojekts und gehen ihr u.a. mit molekularbiologischen Methoden nach. Die Suche nach den Wirkmechanismen antidepressiver Therapien soll neue Interventionspunkte für antidepressive Behandlungen aufspüren und einen gezielte- ren Einsatz solcher Behandlungen erreichen. Zwei Punkte sind besonders vielver- sprechend: die Signaltransduktion in der Zelle bei verschiedenen antidepressiven Therapieverfahren und die ursächliche Rolle einer gestörten Stresshormonregula- tion beim Entstehen einer Depression. Die Ergebnisse, die im Rahmen dieser und anderer Projekte gewonnen werden, sollen der pharmazeutischen Industrie Anregungen für die Entwicklung neuartiger Klassen von Antidepressiva liefern. Teilprojekt 5: Molekulargenetik / Pharmakogenetik Die Forscher suchen zum einen nach genetischen Anlagen, die für ein erhöhtes Erkrankungsrisiko hinsichtlich affektiver Erkrankungen verantwortlich sind. Zum anderen wollen sie genetische Faktoren aufspüren, die den medikamentösen Behandlungsverlauf beeinflussen. Dazu müssen die Wissenschaftler die für mole- kulargenetische und pharmakogenetische Untersuchungen erforderliche große Anzahl an Patienten und deren Familien untersuchen und die Daten mit einheit- lichen Instrumenten erheben. Das Kompetenznetz schafft die Voraussetzungen dafür. Seite 15
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Schwerpunkte und Projekte Teilprojekt 6: Chronizität, Therapieresistenz, Prädiktion Warum verläuft eine Depression manchmal chronisch? Warum schlägt manchmal keine Therapie an? Die Bedingungen von Chronizität und Therapieresistenz sind Gegenstand dieses Teilprojekts. Ob und wie sie mit verschiedenen, auch experi- mentellen Ansätzen wie z.B. der transkraniellen Magnetstimulation überwunden werden können, das wird untersucht. Eine zentrale Rolle spielt hierbei eine Ver- laufsstudie mit depressiven Patienten, zu denen der Kontakt in den beteiligten universitären Zentren und Bezirkskrankenhäusern hergestellt wird. Verschiedene Interventionen werden im Rahmen des Projekts geprüft, wie zum Beispiel die transkranielle Magnetstimulation und psychopharmakologische Ansätze. Seite 16
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Krankheitsbild Depression Niedergeschlagenheit als Alltagsphänomen Die Stimmung der meisten Menschen wechselt. Sie reagieren alltäglich auf freudige und traurige Ereignisse mit den entsprechenden Gefühlen. Heiterkeit und Traurigkeit lösen sich dabei in raschem Wechsel ab. „Depressionen werden Bei starken oder gehäuften positiven bzw. negativen oft unterschätzt und Erlebnissen kann eine Stimmung auch über einige irgendwo zwischen Stunden, ja sogar Tage anhalten, bis wieder eine neue Schnupfen und Befindlichkeit einsetzt. So ist die Traurigkeit nach dem Einbildung angesiedelt. Tod eines geliebten Menschen eine verständliche In Wirklichkeit aber Reaktion. In der „Trauerarbeit“ bewältigen die Zurück- handelt es sich um eine gebliebenen die Trennung, um sich dann wieder dem lebensgefährliche Leben zuzuwenden. In diesem Sinne gehört der Wech- Krankheit, die wie keine sel von gedrückten Stimmungen, Ausgeglichenheit und andere in gehobenen Stimmungen zum Gefühlsspektrum eines fundamentaler Weise jeden Menschen. die Lebensqualität der Der Begriff Depression kommt vom lateinischen betroffenen Menschen „deprimere“ und bedeutet soviel wie herunter- oder beeinträchtigt.“ niederdrücken. Die gedrückte Stimmung ist primär keine Krankheit, sondern steht wie das Schmerz- Prof. Dr. Ulrich Hegerl Empfinden als anthropologische Möglichkeit in einem Zusammenhang zur Lebensbewältigung. So wie der Schmerz ein wichtiges Frühwarnsystem vor Verletzungen ist, dient die Nieder- geschlagenheit nach Misserfolgen, Verlusten und Trennungen der Um- und Neu- orientierung der Betroffenen sowie der Suche nach alternativen Entfaltungsmöglich- keiten. Niedergeschlagenheit ist so gesehen ein vorübergehender Rückzug, ein Aufschub oder eine Art „Zwangspause“, in der man sich erholen und nachdenken kann. Depression als Krankheit Im Unterschied dazu ist die „Depression“ als psychische Krankheit ein affektiv unauslenkbarer und wochenlanger Rückzug, der keinerlei Neuorientierung mehr zulässt. Der ursprüngliche Sinn der gedrückten Stimmung als Anstoß zur Neuorien- tierung verkehrt sich ins Gegenteil. Statt Nachzudenken verfällt man ins Grübeln. Statt sich zu erholen, ermüdet man durch ständige Zweifel an sich selbst und der Welt. Depression als Krankheit ist ein meist lebensgefährlicher Zustand. Unbegrün- dete Schuldgefühle quälen den Patienten, wahnhafte Überzeugungen unheilbar erkrankt zu sein oder sich und die Familie durch eigenes Verschulden in tiefstes Unglück gestürzt zu haben können sich einstellen, meist verbunden mit Suizidideen oder sogar Suizidabsichten. Die depressive Erkrankung läuft meist phasenhaft ab, wobei diese Phasen über mehrere Monate, bei einigen Patienten auch 1-2 Jahre anhalten können. Seite 17
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Krankheitsbild Depression Weil aber die Übergänge fließend sind und jeder Mensch bereits Erfahrungen mit normaler Niedergeschlagenheit hat, ist es oft schwer, die Depression als eigen- ständiges Krankheitsbild zu erkennen. Dies gilt für Betroffene wie für Ärzte. Noch immer werden über 50% der depressiven Erkrankungen nicht diagnostiziert bzw. unzureichend behandelt. „Wenn wir uns den Knöchel verstauchen oder der Blutdruck erhöht ist, so können wir das objektiv, wie von außen als Erkrankung erkennen, weil unser Erleben und Denken hiervon nicht unmittelbar betroffen wird. Bei der Depression aber kommt es zu Störungen in Gehirnbereichen, die unmittelbar das Denken und Fühlen beeinflussen. Gegenüber diesen Veränderungen des eigenen Erlebens können wir dann nur schwer eine objektive Haltung einnehmen.“ Prof. Dr. Ulrich Hegerl Seite 18
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Symptome der Depression Symptome der Depression Wenn der Wechsel der Stimmungen im Fluss der Ereignisse völlig ausbleibt und eine Stimmungslage dauerhaft (über 2 Wochen) die gesamte Wahrnehmung und Interaktion mit der Welt überschattet, liegt eine „affektive Störung“ vor. Depressiv erkrankten Menschen wird praktisch jede Handlung von einer alles beherrschenden Stimmung diktiert. Bei den betroffenen Menschen können wir sowohl physiologische Veränderungen als auch Veränderungen des Verhaltens und Erlebens beobachten. Die Depression erfasst alle drei Bereiche. Verändertes Erleben: Der Patient berichtet „Der psychisch Kranke wird in über verändertes Erleben. Es dominieren unserer Gesellschaft noch Gefühle der Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit, immer anders gesehen als der inneren Leere, Schuld und Angst, Verzweiflung körperlich Kranke. Symptome und Trauer, aber auch der Unfähigkeit über- einer psychischen Erkrankung haupt noch Gefühle empfinden zu können („Ich sind für viele schwer verständ- bin wie versteinert“). Negative Denkmuster sind lich, werden abgelehnt, als dominierend. Depressiv Erkrankte entwickeln schuldhaft interpretiert oder in vielen Fällen eine pessimistische Einstellung sogar als gefährlich gegenüber sich selbst, den eigenen Fähig- angesehen.“ keiten, dem eigenen Aussehen und der Zukunft, verbunden mit starker Grübelneigung. Prof. Dr. Hans-Jürgen Möller Permanente Selbstkritik, Konzentrations- probleme und Suizidgedanken sind häufig. Manche Patienten entwickeln auch Wahnvorstellungen, z.B. die Überzeugung unheilbar erkrankt zu sein, oder sich und die Familie finanziell ruiniert zu haben. Verändertes Verhalten: Die Patienten vermeiden soziale Kontakte, stellen Hobbys ein, können ihre Arbeit nicht mehr bewältigen und ziehen sich ins Bett zurück. Die Mimik und Gestik ist bei vielen Patienten wie erstarrt, die Stimme leise und monoton. Einige Patienten laufen rastlos, verzweifelt und wie getrieben hin und her (agitierte Depression). „Die Depression ist wie Physiologische Beschwerden: Schlaflosigkeit mit ein bleierner Mantel, Früherwachen, Appetitstörung mit Gewichtsverlust, Libi- der sich über Körper doverlust, schnelle Ermüdung und multiple körperliche und Geist legt.“ Beschwerden gehören zu den vielfältigen somatischen Begleiterscheinungen einer depressiven Störung. Prof. Dr. Ulrich Hegerl Seite 19
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Diagnose der Depression Diagnose der Depression Da die Symptome der Depression aber in unterschiedlicher Zusammensetzung, Dauer, Intensität und Periodik auftreten, ist es für den Arzt nicht immer leicht, eine „Depression“ als behandlungsbedürftige Krankheit sofort zu diagnostizieren. Zudem „Die allermeisten Menschen mit klagen die Patienten meist nicht über depressiven Störungen wenden depressive Verstimmung, sondern über körper- sich zuerst an den niederge- liche Beschwerden. Oft verlangen depressive lassenen Hausarzt und nicht an Patienten beim Hausarzt z.B. nur nach Kopf- den Facharzt (Psychiater). Es ist weh- oder Schlafmitteln. Nach einer Studie der daher von größter Wichtigkeit, Universität Mainz befürchten außerdem 80% gerade den Blick der Hausärzte depressiv erkrankter Menschen durch das Be- für diese oft versteckte kanntwerden einer psychi- Krankheit zu schärfen.“ „Die meisten Patienten schen Krankheit nachteilige Dr. Veit Wambach würden eine Folgen für ihr Berufs- und Diagnose Privatleben. Über die Hälfte ‚Migräne‘ aller Depressionen bleiben daher trotz Arztbesuch unerkannt. einer Das Kompetenznetz „Depression, Suizidalität“ will deshalb Diagnose geeignete Diagnoseverfahren etablieren und insbesondere die ‘Depression’ Hausärzte in Qualitätszirkeln u.a. mit Hilfe neuer Medien vorziehen.“ (Lehrvideos) für das Krankheitsbild Depression besonders sensibilisieren. Prof. Dr. Ein sowohl international als auch in Deutschland gebräuchliches Ulrich Hegerl Klassifikationssystem ist die sogenannte ICD 10 (International Classification of Disorders). Dabei werden systematisch in Abhängigkeit von Anzahl, Dauer und Schwere des Auftretens der Symptome ver- schiedene Arten der depressiven Erkrankungen unterschieden, so zum Beispiel die: depressive Episode im Rahmen einer unipolaren Depression. Diese wird in eine leichte, mittlere und schwere Form unterteilt. depressive Episode im Rahmen der bipolaren affektiven Störung. Bei Patienten mit dieser Erkrankung treten neben depressiven Episoden auch Manien mit gesteigertem Antrieb und gehobener Stimmung auf. Dysthymie. Hierbei handelt es sich um eine meist im jungen Erwachsenen- alter beginnende eher chronisch verlaufende Depression. Die depressiven Episoden können Wochen, Monate und unbehandelt manchmal auch 1-2 Jahre anhalten. Gerade bei lang dauernden Phasen besteht die große Gefahr, dass sich ein fatalistischer Gewöhnungsprozess bei den Angehörigen und auch dem Patienten selbst einstellt und die Beschwerden nicht als Ausdruck einer Erkrankung sondern der Persönlichkeit oder der Lebensumstände des Patienten angesehen werden. Seite 20
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Suizid und Medien Modulsystem Die Behandlung des Themas Suizidalität erfordert seitens der Medien höchste Sensibilität und Verantwortlichkeit sowie die Einhaltung bestimmter Richtlinien. Es ist klar belegt, dass durch die Thematisierung von Suiziden und Suizidversuchen in der Öffentlichkeit viele Patienten dazu veranlasst werden können, ihren Suizidgedanken nachzugeben (Werther-Syndrom). Die Mitarbeiter des Kompetenznetzes stehen für diesbezügliche Beratung jederzeit zur Verfügung. Bitte wenden Sie sich an: Anke Schlee, Tel. 089/51 60-5553 Modulsystem In den folgenden Modulen werden eine Reihe von Themen kurz angerissen, die erfahrungsgemäß auch für eine breite Öffentlichkeit von Interesse sind. Zu diesen Modulen können über das Kompetenznetz weiterführende Informationen und Experten vermittelt werden. Bitte wenden Sie sich an Anke Schlee, Telefon: 089/51 60-5553 Fax: 089/51 60-5557 eMail: presse@kompetenznetz-depression.de Seite 21
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Modul 1 Gesundheitspolitische Brisanz 10% der Bundesbürger erkranken einmal oder mehrmals im Leben an einer schweren depressiven Episode. 15% aller depressiv Erkrankten nehmen sich im weiteren Verlauf das Leben. Unter allen Krankheiten, die ein suizidales Risiko mit sich bringen, steht die Depression mit Abstand an der Spitze. Depressionen Persönlichkeitsstörungen Alkoholabhängigkeit andere Abb. 5: Suizidursachen (Gesundheitsbericht für Deutschland 1998) Während die Zahl der Verkehrsunfälle mit tödlichem Ausgang in den letzten Jahren durch eine kontinuierliche Aufklärungskampagne und durch verkehrsregulierende Maßnahmen der Bundesregierung stetig gesenkt werden konnte, sind die Suizid- zahlen in Deutschland fast unverändert hoch geblieben. Seite 22
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Modul 1 14000 12000 10000 8000 Suizide 6000 Verkehrstote 4000 2000 0 1994 1995 1996 1997 © Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Abb. 6: Vergleich der Anzahl von Suiziden und Verkehrstoten in Deutschland 1994-1997 Diese Tatsache ist inakzeptabel, da über 80% aller Depressionen therapierbar wären. Insbesondere die Entwicklung neuer antidepressiver Medikamente in Kombination mit abgestimmten psychotherapeutischen Maßnahmen ermöglichen grundsätzlich einen großen Behandlungserfolg. Deshalb ist die Verbesserung der Diagnostik und die konsequente Behandlung depressiv Erkrankter ein gesundheitspolitisches Ziel mit höchster Priorität. Das Kompetenznetz „Depression, Suizidalität“ wird daher speziell in diesem Bereich Schwerpunkte setzen. Depressionen führen zunehmend zu Arbeitsunfähigkeit und Arbeitsausfällen. Allein im Jahr 1993 wurden beispielsweise in Deutschland 11 Millionen Ausfalltage durch depressive Erkrankungen registriert. 1995 wurde 18.629 Frühberentungen aufgrund depressiver Erkrankungen bewilligt. Seite 23
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Modul 2 Wie entsteht eine Depression? Eine Depression hat selten eine einzige Ursache. Meist führt ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren zur Erkrankung. Die genetische Veranlagung spielt eine Rolle. Ebenso könnten bestimmte Persönlichkeitsfaktoren (also bestimmte Persön- lichkeitsstörungen) von Bedeutung sein. Akute psychosoziale Belastungen, wie der Verlust oder Tod einer Bezugsperson, treten vermehrt vor dem Beginn einer Depression auf. Das zeigen epidemiologische Studien. Auch körperliche Erkrankun- gen, z.B. Schilddrüsenfunktionsstörungen, können eine Depression mit verur- sachen. Von Belang sind außerdem soziale Faktoren, die eine Anpassung an neue Umstände erfordern wie zum Beispiel Heirat, Arbeitslosigkeit und Berentung. Die verschiedenen Faktoren führen zu neurobiologischen Veränderungen im Hirn- stoffwechsel, die dann bei manchen Personen in eine Depression münden können. Entstehungsmodell depressiver Erkrankungen Genetische Prädisposition Persönlichkeitsfaktoren Psychosoziale Neurobiologische Körperliche Belastung Veränderungen Erkrankungen Depressive Symptomatik Abb. 7: Entstehungsmodell depressiver Erkrankungen Seite 24
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Modul 3 Einschneidende Lebensereignisse Zwei Drittel der depressiven Patienten hatten vor ihrer Erkrankung ein belastendes oder zumindest einschneidendes Lebensereignis. Nach einem solchen Ereignis ist das Depressionsrisiko etwa ein halbes „Unter den Auslösern kommt Jahr lang erhöht. Ein belastendes besonders den Konflikten in Ereignis muss aber nicht zwangsweise zwischenmenschlichen Beziehungen zum Ausbruch einer Depression führen. eine große Bedeutung zu. Hier muss Denn alle Menschen müssen in ihrem der Arzt ein besonderes Augenmerk Leben Verluste und Trennungen erleiden, auf die Situation in der Familie, in der aber nicht jeder erkrankt. Insofern haben Partnerschaft und am Arbeitsplatz Ereignisse dieser Art in erster Linie eine richten. Gerade unter dem erhöhten auslösende Bedeutung. Einschneidende ökonomischen Druck der 90er Jahre Lebensereignisse können zum Beispiel häufen sich auch Mobbing- der Tod eines nahen Angehörigen, Part- Situationen.“ nerkonflikte oder die Veränderung der Tobias Müller, Psychiater Lebensverhältnisse und der sozialen Rolle (z.B. Berentung) sein. Seite 25
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Modul 4 Geschlecht und Depression Frauen erkranken zwei- bis dreimal so oft an einer Depression wie Männer. Für diesen Geschlechterunterschied gibt es verschiedene Erklärungen. Es handelt sich um einen Artefakt: Bei Männern ist eine Depression schwieriger zu erkennen. Frauen sprechen eher über ihre Ängste und Stimmungs- schwankungen und werden eher als „depressiv“ eingeordnet, während bei Männern oft organische Ursachen vermutet werden. Das unterschiedliche Ver- halten der Geschlechter und das unterschiedliche Diagnoseverhalten der Ärzte spielen also eine Rolle. Eine biologische Erklärung geht davon aus, dass Depression durch dominante Mutationen auf dem X-Chromosom hervorgerufen wird. Die Hypothese konnte allerdings nicht belegt werden. Die soziokulturelle Erklärung stellt die gesellschaftliche Rolle der Frau in den Mittelpunkt. So wird zum Beispiel die Hausfrauenrolle immer mehr entwertet und immer weniger honoriert; erwerbstätige Frauen müssen die Doppelbelastung von Hausarbeit und Erwerbsarbeit tragen. Beides könnte dazu führen, dass Frauen eher zu Depressionen neigen. Der Geschlechterunterschied kann allerdings auch hormonell bedingt sein. So sind Frauen zu bestimmten Zeiten anfälliger für eine Depression: vor der Menstruation oder nach einer Geburt. Beim prämenstruellen Syndrom treten depressive Störungen immer nur vor der Menstruation auf. Die Anfälligkeit scheint genetisch veranlagt zu sein und durch Umwelteinflüsse verstärkt zu werden. Schwere Fälle des prämenstruellen Syndroms werden mit Medikamenten behandelt. Die postpartale Depression tritt nach der Geburt auf. Viele Frauen leiden im Wochenbett an einer depressiven Verstimmung, doch meistens handelt es sich um eine kurzlebige Erscheinung. Erst wenn die Symptome über einen längeren Zeit- raum andauern, handelt es sich um eine Depression. Ob Frauen während oder nach der Menopause (Wechseljahre) anfälliger für eine Depression sind, konnte bis jetzt nicht abschließend geklärt werden. Doch wenn es einen Zusammenhang geben sollte, so führen ihn die Wissenschaftler auf den Östrogenmangel während der Menopause zurück. Hormone werden daher in dieser Zeit auch gegeben, um die mögliche Anfälligkeit für eine Depression zu senken. Bei der bipolaren Depression gibt es übrigens keinen Geschlechterunterschied. Seite 26
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Modul 4 Bei den Suiziden zeigt sich ein ganz anderes Bild. Im Gegensatz zur Depression ist der Suizid bei den Männern häufiger. Bei den 12.265 Suiziden 1997 in Deutschland handelt es sich zu 72,1% um Männer und nur zu 27,9% um Frauen. Auch in allen anderen Ländern Europas ist die Suizidrate der Männer höher als die der Frauen. In der letzten Dekade ist in mehreren Ländern ein Anstieg der Suizidrate bei jungen Männern zu verzeichnen. 50 Je 100 000 Einwohner (standardisiert) 40 30 Männer 20 10 Frauen 0 1980 1983 1986 1989 1992 1995 Abb. 8: Suizidsterblichkeit nach Geschlecht (Gesundheitsbericht für Deutschland 1998, alte Bundesländer) Bei den Frauen gibt es wiederum mehr Suizidversuche. Zwar werden Suizid- versuche offiziell nicht erfasst, aber es gibt Schätzungen, nach denen über 60% der Suizidversuche von Frauen verübt werden. Seite 27
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Modul 5 Altersdepression Altern geht mit zahlreichen Verlusterlebnissen einher: Verlust des Lebenspartners, der Wohnung, der sozialen Rolle, der körperlichen Leistungsfähigkeit. Viele ältere Menschen fühlen sich von der Gesellschaft ausgeschlossen. Und das nicht ohne Grund: Alte Menschen genießen in unserer modernen Gesellschaft nicht mehr so ein hohes Ansehen wie noch in der agrarischen Gesellschaft. Man könnte deshalb erwarten, dass alte Menschen deutlich häufiger an Depressionen erkranken. Zumindest für schwere Depressionen gibt es jedoch hierfür keine überzeugenden Belege. Erschreckend ist allerdings die Zunahme der Suizidrate mit dem Alter, besonders bei Männern. Männer Alter Frauen über 84 75-84 65-74 55-64 45-54 35-44 25-34 15-24 200 150 100 50 0 0 50 100 150 200 je 100 000 Männer bzw. Frauen Westen Osten Abb. 9: Altersspezifische Suizidsterblichkeit (Gesundheitsbericht für Deutschland 1998) Suizidalität und Depression sind sich über- „Erfolgreiches Altern ist nicht lappende Bereiche. Bei mindestens der Hälfte selbstverständlich. Auch Altern aller Suizide älterer Menschen spielt will gelernt sein.“ Depression eine wichtige Rolle. Prof. Dr. Martin Hautzinger Seite 28
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Modul 6 Depression in Kindheit und Jugend Kleine Kinder können keine schwere Depression entwickeln – davon gingen bis in die 80er Jahre Ärzte und Forscher aus. Heute gilt das nicht mehr. Wenn ein Kind ständig weint, ein negatives Selbstbild hat, seine Aktivität herabgesetzt ist und es davon spricht, nicht mehr leben zu wollen, so handelt es sich um depressive Symptome wie bei einem Erwachsenen auch. Vor der Pubertät gibt es keinen deutlichen Unterschied in der Depressionshäufigkeit zwischen Mädchen und Jungen. Nach der Pubertät jedoch sind wesentlich mehr Mädchen als Jungen depressiv. Die 15-19jährigen Frauen haben außerdem die höchste Suizidversuchsrate über- haupt, nämlich 340 je 100.000 Einwohner. Alarmierend ist die in mehreren Ländern zu beobachtende Zunahme der Suizidrate bei männlichen Jugendlichen. Der Reifeprozess der Jugendlichen geht mit zahlreichen neuen Erfahrungen des sich Verliebens, des Trennens bzw. der Ablösung vom Elternhaus einher, was Phasen der Verunsicherung mit sich bringt. Dies könnte ein Auslöser für Depression und/oder Suizidgedanken sein. Seite 29
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Modul 7 Arbeitslosigkeit und Depression Erforscht wird auch, inwieweit Arbeitslosigkeit ein erhöhtes Risiko mit sich bringt, an einer Depression zu erkranken. Der Verlust des Arbeitsplatzes bedeutet in der Leistungsgesellschaft nicht nur eine materielle Schlechterstellung des Betroffenen, sondern in der Regel auch eine erhebliche psychische Belastung. Das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden, „Kein Zweifel besteht auch soziale Nicht-Anerkennung, ungeregelter Tages- daran, dass Arbeitslosigkeit ablauf sowie Kontaktverlust und Minderwertigkeits- zu einem Ansteigen sowohl gefühle können dabei eine Rolle spielen. In zahl- von Suiziden als auch von reichen Untersuchungen fanden sich drastische Suizidversuchen führt. Unterschiede in der psychischen Gesundheit Weiterhin zeigt sich, dass Arbeitsloser und vergleichbarer Gruppen Beschäf- mit zunehmender Dauer der tigter (Bundesgesundheitsbericht 98). Arbeitslosigkeit auch die Untersucht man allerdings die säkulare Entwick- Zahl der Suizide steigt.“ lung der Suizide des Kaiserreichs, der Weimarer Republik, des III. Reiches und der Bundesrepublik, Prof. Dr. Thomas Bronisch zeigt sich eine evidente Korrelation zwischen Arbeitslosigkeit und Suizidzahlen nur bis 1935. Speziell in der Weltwirtschaftskrise, als die Arbeitslosenzahl in den frühen dreißiger Jahren auf über 6 Millionen ansteigt, ist zugleich eine drastische Zunahme der Suizide festzustellen. In der Nachkriegs- entwicklung verliert sich die Korrelation. 25000 20000 15000 10000 keine Daten vorhanden, 2. Weltkrieg 5000 Arbeitslosenzahlen erst ab 1921 erfaßt 0 1900 1905 1910 1915 1920 1925 1930 1935 1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 Suizide Arbeitslose in Tausend © Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Abb. 10: Suizidalität und Arbeitslosigkeit in Deutschland (Kaiserreich, Weimarer Republik, 3. Reich, alte Bundesländer) Seite 30
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Modul 7 Einen deutlichen Zusammenhang zwischen Wirtschaftskrise und Suizid haben Behörden in Japan festgestellt. Die Zahl der Suizide ist dort 1998 um 35% nach oben gesprungen, auf fast 33.000. Die Suizidrate (26 pro 100.000) ist damit fast doppelt so hoch wie in Deutschland (15 pro 100.000). Dieser in der Geschichte ein- zigartige Anstieg wird nach einer polizeilichen Analyse auf die vorausgehende Banken- und Finanzkrise zurückgeführt. Über 6000 Personen nahmen sich wegen wirtschaftlicher Probleme das Leben. Innerhalb dieser Kategorie waren „Schulden“ der häufigste Suizidgrund (2.977 Fälle, eine Zunahme von 58%), gefolgt von „Geschäftsflaute“ (1.165 Fälle), „Existenznot“ (735 Fälle) und „Arbeitslosigkeit“ (409 Fälle). Die Arbeitssituation und damit die Einbindung in den gesellschaftlichen Produktions- und Konsumprozess muss somit ebenfalls als ein Risikofaktor für depressive Erkrankung Ernst genommen werden. Ein Projekt des Kompetenznetzes wird daher im Rahmen eines eigenen Awareness-Programms zur Suizidprävention auch in Arbeitsämtern das Problem diskutieren und über Therapie-Möglichkeiten informieren. Seite 31
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Modul 8 Stress und Depression Langanhaltender Stress kann ebenfalls ein Risikofaktor für depressive Erkrankun- gen sein. Das Gefühl dauernder Überforderung in der Arbeit, der Nicht- Anerkennung durch Kollegen und Vorgesetzte oder gar der gezielten Demütigung durch „Mobbing“ stellt für viele Betroffene einen unlösbaren psychischen Konflikt dar. Die Sorge um den Arbeitsplatz einerseits und die Erfahrung der Ablehnung andererseits lässt einen rationalen Ausweg oft unmöglich erscheinen und kann zu einem unbewussten Rückzug in Form einer depressiven Erkrankung führen. Die depressiven Erkrankungen in modernen Industrienationen werden oft in einem Zusammenhang mit den rasanten Veränderungen von Gesellschaft und Wirtschaft gesehen. Dabei spielen Faktoren wie Arbeitsplatzunsicherheit, wachsende Anforde- rungen an Mobilität und Flexibilität, Auflösung vertrauter Strukturen, Leistungsdruck und innerbetrieblicher Konkurrenzkampf eine zunehmende Rolle. Dass langanhaltender Stress zu Depressionen führen kann, gilt als erwiesen. Auf der anderen Seite gibt es das epidemiologisch ausgewiesene Phänomen, dass in Kriegszeiten – also in Phasen größter psychischer Verunsicherung und existen- zieller Bedrohung – die Zahl der depressiven Erkrankungen und suizidalen Hand- lungen deutlich zurückgeht. Dieser Effekt zeigt sich in allen europäischen Ländern und gilt sowohl für Männer als auch für Frauen. Abb. 11: Suizidraten für England und Wales (Reg.Gen. 1961) Seite 32
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Modul 8 Stress hat primär die evolutionsbiologische Funktion, durch die Ausschüttung von Stresshormonen im Organismus die Aufmerksamkeit und Anspannung zu erhöhen, um in Gefahrensituationen blitzschnell reagieren zu können. Jedes Mal, wenn wir eine Situation erleben, die den Körper in außergewöhnlicher Weise fordert, wird unser Stresshormon-System aktiviert. Ein frühes Anzeichen einer Stressreaktion ist die erhöhte Freisetzung eines Peptids namens Corticotropin- freisetzendes Hormon (CRH) durch das limbische System, einen Hirnbereich, der Stimmungen und Ängste beeinflusst. CRH wiederum regt die Produktion des bekannten Stresshormons Cortisol an, „Normalerweise sind Glück und welches, sobald es in den Blutkreislauf Unglück nicht von Dauer. Die gelangt, den Körper darauf vorbereitet, der Endorphine im Hirn, die uns ein belastenden Situation zu begegnen. Die Hochgefühl geben, haben eine Freisetzung von Cortisol ist während einer Halbwertszeit von nur fünf Infektionskrankheit, bei einem akuten psychi- Minuten. Wir können uns nicht schen Trauma oder chronischem Stress lange freuen, nicht lange trauern, erhöht. Beide Hormone, CRH und Cortisol, nicht lange Angst haben. Das sind wichtige Faktoren, um die Reaktionen Gehirn tut alles, um wieder in den auf Stress zu koordinieren; dieses Kontroll- Zustand der Normalität system wird durch mannigfache biologische zurückzukommen.“ Vorgänge und Prozesse aufrechterhalten. Prof. Dr. Dr. Florian Holsboer Forschungen am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München haben gezeigt, dass das Kontrollsystem für Stresshormone bei Depressionskranken gestört ist. Es wurde untersucht, ob das vom Gehirn freigesetzte Stresshormon CRH auch auf der Ver- haltensebene die für eine Depression charakteristischen Anzeichen und Symptome hervorrufen kann. Zahlreiche Versuche an Menschen, Ratten und Mäusen weisen darauf hin, dass CRH tatsächlich Verhaltensänderungen hervorruft, die der Psycho- pathologie der Depression entsprechen. Beispielsweise verstärkt eine erhöhte Konzentration von CRH im Gehirn die Angst, stört das Denkvermögen, vermindert den Appetit, den Schlaf sowie die sexuellen Bedürfnisse – alles Kardinalsymptome der Depression. Die Auswirkungen von CRH werden durch einen spezifischen Rezeptor übertragen. Mit Hilfe von molekulargenetischen Techniken wurde eine Mäusemutante ent- wickelt, der dieser besondere CRH-Typ-1-Rezeptor fehlt. Bei diesen Mäusen ist die psychologische Reaktion auf Stress vermindert, d.h. sie haben in Stresssituationen weniger Angst und weniger kognitive Störungen. Aufgrund dieser Experimente nimmt man an, dass die Kardinalsymptome der Depression mit einer erhöhten Aktivität des CRH-Systems im Gehirn zusammenhängen, welche ihrerseits die Symptome der Depression bewirkt. Durch Substanzen, welche die Aktivität des CRH am CRH-Rezeptor verhindern, kann die depressiogene Wirkung des CRH ausgeschaltet werden. Solche Substanzen konnten inzwischen identifiziert werden; bei einer davon wird zur Zeit am Max-Planck-Institut für Psychiatrie untersucht, ob sich ihre antidepressive Wirkung bestätigen lässt. Seite 33
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" Modul 9 Veranlagung und Depression Beim Entstehen einer Depression spielt auch die Veranlagung eine Rolle. Die Wissenschaft unterscheidet zwischen genetischer und erworbener Veranlagung. Eine erworbene Veranlagung wird im Gegensatz zur genetischen Veranlagung nicht vererbt, sondern entsteht zum Beispiel durch ein frühkindliches Trauma. Im folgen- den ist nur von der genetischen Veranlagung die Rede. Familien-, Zwillings- und Adoptionsstudien belegen, dass bei manchen Menschen eine genetische Prädisposition für Depression besteht. So zeigen Familienuntersuchungen, dass Verwandte depressiver Patienten zu mindestens 20% ebenfalls depressiv sind. Damit tritt die Depression im Familien- kreis öfter auf als in der Allgemeinbevölkerung (5-10%). Bei eineiigen Zwillingen ist das Phänomen noch häufiger: Hat ein Zwilling eine Depression, hat der andere Zwilling sie in über 40% der Fälle ebenfalls. Bei zweieiigen Zwillingen beträgt die Rate 20%. Und Adoptionsstudien zeigen, dass die biologischen Eltern depressiver Adoptierter ebenfalls häufig depressiv sind. Die Zwillingsstudien zeigen allerdings auch, dass der genetische Faktor nur ein Teilfaktor ist. Selbst bei identischer genetischer Ausstattung erkrankt der Zwillings- partner des depressiven Patienten in weniger als der Hälfte der Fälle. Beim Ent- stehen einer Depression spielen immer auch Umweltfaktoren eine Rolle. Wie die mögliche genetische Grundlage der Depression allerdings aussehen könnte, darüber besteht keine Einigkeit. Einvernehmen herrscht im Moment nur darüber, dass es ein isoliertes „Depressions-Gen“ nicht gibt. In einem Teilprojekt des Kompetenznetzes suchen Forscher jetzt nach den Genen, die an der Anfälligkeit für eine depressive Erkrankung beteiligt sind, und wollen aufklären, wie diese Gene jeweils den Krankheitsverlauf beeinflussen. Außerdem möchten sie herausfinden, ob genetische Faktoren Einfluss darauf haben, wie Patienten auf Psychopharmaka ansprechen. Diese Forschung soll dabei helfen, Depression besser zu verhüten und gezielter zu behandeln. Seite 34
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