Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" - Presseinformation

 
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Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" - Presseinformation
Presseinformation

             Kompetenznetz
         „Depression, Suizidalität”

              Ein bundesweites Projekt
                zur Optimierung von
              Therapie und Forschung

„Forschung und Versorgung müssen zum Wohl der Patienten besser vernetzt werden.“
        Zitat Bundesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität" - Presseinformation
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
                                                             Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis
                                                                            Seite
Gesprächspartner                                                                   4
Das Netzwerk                                                                       5
Kurzfassung                                                                        6
Struktur                                                                           7
Allgemeine Informationen                                                           9
Zentrale Ziele                                                                    12
Schwerpunkte und Projekte                                                         13
Krankheitsbild Depression                                                         17
Symptome der Depression                                                           19
Suizid und Medien                                                                 21
Module                                                                            22
Gesundheitspolitische Brisanz • Wie entsteht eine Depression • Ein-
schneidende Lebensereignisse • Geschlecht und Depression • Alters-
depression • Depression in Kindheit und Jugend • Arbeitslosigkeit und
Depression • Stress und Depression • Veranlagung und Depression •
Biochemie der Depression • Wetter und Depression • Psychotherapie
oder Pharmakotherapie • Die Depressionsspirale/Kognitive Verhal-
tenstherapie • Antidepressiva • Elektrokrampftherapie und andere
Therapien • Internet und Depression
Quellennachweis                                                                   48
GABO Prozessmanagement                                                            50
Impressum                                                                         51

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Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
   Gesprächspartner

Ihre Gesprächspartner sind…

Prof. Dr. Ulrich Hegerl
Sprecher und Koordinator des Kompetenznetzes „Depression, Suizidalität“
Leiter der Abteilung für klinische Neurophysiologie der Psychiatrischen Klinik und
Poliklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München. Oberarzt der Depressions-
station und der Spezialambulanz „Rückfallverhütung affektiver Erkrankungen“.

Anke Schlee
Pressesprecherin des Kompetenznetzes „Depression, Suizidalität“

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Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
                                                                   Das Netzwerk

Das Netzwerk
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) schrieb im Herbst 1997
den Wettbewerb „Kompetenznetzwerke für die Medizin“ aus. Ziel war, die Bildung
überregionaler Netzwerke für spezifische Krankheiten anzuregen. Die Kooperation
und der Wissenstransfer zwischen den Forschungseinrichtungen einerseits und den
verschiedenen Versorgungsebenen andererseits sollen auf diese Weise verbessert
werden.

      Nach drei Begutachtungen durch eine internationale Jury gehört das
                   Kompetenznetz „Depression, Suizidalität“
                zu den Gewinnern dieses BMBF-Wettbewerbes.

Sprecher und Koordinator

Prof. Dr. Ulrich Hegerl,
Psychiatrische Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München

Antragsteller

Prof. Dr. Hans-Jürgen Möller,
Psychiatrische Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München
Prof. Dr. Dr. Florian Holsboer
Max-Planck-Institut für Psychiatrie München
Prof. Dr. Ulrich Hegerl,
Psychiatrische Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München

Korrespondenzadresse / V.i.S.d.P.

Prof. Dr. Ulrich Hegerl
Psychiatrische Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität, Nußbaumstraße 7,
80336 München, Telefon: 089 - 5160-5541, Fax: 089 - 5160-5542

Pressereferentin

Anke Schlee
Psychiatrische Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität, Nußbaumstraße 7,
80336 München, Telefon: 089 - 5160-5553, Fax: 089 - 5160-5557
eMail: presse@kompetenznetz-depression.de
Unsere Internet-Adresse: http://www.kompetenznetz-depression.de

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Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
   Kurzfassung

Kompetenz im Kampf gegen Depressionen

Nachdem die WHO die herausragende medizinische und gesundheitspolitische
Bedeutung depressiver Erkrankungen in den entwickelten Ländern mit über-
raschender Deutlichkeit belegt hat, wurden auf nationaler Ebene umfassende
Aktionsprogramme zur Bekämpfung dieser Erkrankung gefordert. Das
Kompetenznetz „Depression, Suizidalität“ nimmt nun entsprechend dieser WHO-
Forderung den Kampf gegen die Volkskrankheit „Depression“ auf. Prof. Dr. Ulrich
Hegerl von der Psychiatrischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München
gab im Juli 1999 nach der konstituierenden Mitgliederversammlung den Startschuss
für das Projekt.
In Deutschland leiden ca. 4 Millionen Menschen an einer depressiven Störung, doch
viele Betroffene können ihre Symptome wie Interessenverlust, Freudlosigkeit und
Schlafstörungen nicht richtig einordnen. Da häufig körperliche Beschwerden im Vor-
dergrund stehen, wird die Erkrankung oft von Hausärzten nicht erkannt, zum Teil
fehlt auch das Wissen über die optimale Behandlung. Diese Defizite im Erkennen
und Behandeln von Depressionen tragen mit zu den erschreckend hohen Suizid-
raten bei (ca. 12.000 Suizide pro Jahr).
Das Kompetenznetz „Depression, Suizidalität“ will die Krankheit, ihre Formen,
Symptome und Behandlungsmethoden bei den Betroffenen und in der Öffentlichkeit
bekannter machen und in enger Zusammenarbeit mit Hausärzten diagnostische und
therapeutische Defizite beheben. Darüber hinaus soll das Kompetenznetzwerk dazu
beitragen, die anwendungsorientierte Forschung zu verbessern und z.B. Fragen aus
dem ambulanten und hausärztlichen Bereich intensiver als bisher aufzugreifen.
Mit diesem Konzept konnten die Antragsteller des Kompetenznetzes auch das
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) überzeugen und unter 160
Vorschlägen als einer der neun Gewinner aus dem Wettbewerb
„Kompetenznetzwerke“ hervorgehen. Es handelt sich hierbei um ein europaweit
einmaliges, ehrgeiziges Projekt, das bereits in der Phase der Antragstellung
beträchtliche Bewegung in die medizinische Forschungslandschaft in Deutschland
gebracht hat. Das Projekt läuft über fünf Jahre. Das Kompetenznetz „Depression,
Suizidalität“ wird durch das BMBF für diesen Zeitraum mit 25 Millionen DM gefördert
und ist damit das größte Projekt zu dieser Thematik in der Geschichte des
deutschen Gesundheitswesens.

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Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
                                                                      Struktur

Struktur

Das      Kompetenznetz       „Depression,    Suizidalität“   vernetzt   führende
Forschungseinrichtungen und Universitätskliniken Deutschlands mit Bezirks- und
Landeskrankenhäusern, psychosomatischen Kliniken, niedergelassenen Ärzten und
Praxisnetzen.      Zum      Kompetenznetzwerk      gehören      außerdem      die
Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, Zentren für medizinische
Biometrie, Statistik und Didaktik, Krankenkassen, Vertreter der pharmazeutischen
Industrie, kassenärztliche Vereinigungen, Kriseninterventionseinrichtungen und
Selbsthilfegruppen:

                              Abb. 1: Struktur des Kompetenznetzes

Eine wesentliche Anforderung an die Kompetenznetzwerke ist, für ein angemesse-
nes Organisations- und Steuerungskonzept zu sorgen. Das Kompetenznetz
„Depression, Suizidalität“ entspricht dieser Vorgabe durch eine stringente
Organisationsstruktur sowie durch die Einbindung der Firma GABO (Gesellschaft für
Ablauforganisation, Informationsverarbeitung und Kommunikationsorganisation mbH
& Co. KG).
Die Grafik auf der folgenden Seite zeigt die konkrete Organisationsstruktur des
Kompetenznetzes „Depression, Suizidalität“.

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Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
   Struktur

              Abb. 2: Organisationsstruktur

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Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
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                                                                                                                                                              Informationen

Depression und Suizidalität: Allgemeine Informationen
Depressive Störungen gehören zu den häufigsten und hinsichtlich ihrer
Schwere am meisten unterschätzten Erkrankungen
    Depressionen sind gekennzeichnet durch gedrückte Stimmung, Interessen-
    verlust, Freudlosigkeit, Schwunglosigkeit, Schlafstörungen und oft durch multiple
    körperliche Beschwerden.
    Derzeit erfüllen ca. 5% der Bevölkerung die Kriterien einer depressiven
    Störung.
    Der Verlauf ist häufig episodenhaft und unbehandelt meist rezidivierend oder
    chronisch.
    Depressionen führen auf Grund von Suizidalität und anderen sekundären
    Depressionsfolgen zu erhöhter Sterblichkeit. In der Gruppe von Patienten mit
    schweren depressiven Störungen liegt die Lebenszeit-Suizidalität bei er-
    schreckenden 15%. Bis zu 56% der Patienten mit depressiven Störungen bege-
    hen in ihrem Leben einen Suizidversuch. Umgekehrt besteht bei der Mehrheit
    der Patienten, die Suizide begehen, ein depressives Syndrom. Depression und
    Suizidalität sind also sich überlappende Bereiche.
    Depressionen beeinträchtigen wie keine andere Erkrankung in fundamentaler
    Weise die Lebensqualität der Betroffenen. So unterstreichen beispielsweise
    neuere Untersuchungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Welt-
    bank mit überraschender Deutlichkeit die herausragende medizinische und
    gesundheitspolitische Bedeutung depressiver Erkrankungen.

                                                        12000
                  Mit Beeinträchtigung gelebte Jahre

                                                        10000

                                                            8000

                                                            6000

                                                            4000

                                                            2000

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                                                                                                           r

                                                                                                                                          ru
                                                                 ni

                                                                          ab

                                                                                                                                                    u
                                                                                                        ph

                                                                                                                             Er
                                                                                                                   ör
                                                                                               ZN

                                                                                                                                                              m
                                                                                                                                                 rs
                                                                                    oa
                                                             ,u

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                                                                         l

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                                                                      ho

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                                                                                                                                      ss
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                                                                                            e

                                                                                                                                                        te
                                                                                                   hi
                                                                                st
                                                                     ko

                                                                                                               e

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                                                                                                                                            rk
                                                                                                                                   g

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                                                          i

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                                                                                         at

                                                                                                                       ku

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                                                                 Al

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                                                                                                                               Zw
                                                                                                                     as
                                                                                     ne

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                                                                                                 po
              M

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                                                                    en
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                                                                 D

                                                                                                                            © Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"

     Abb. 3: Weltweite Belastung durch Krankheiten (Murray/Lopez 1997, WHO-Studie)

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Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
   Allgemeine
   Informationen

Gemessen an dem zentralen Indikator YLD (years lived with disability), ein u.a. nach
der Schwere der Beeinträchtigung gewichtetes Maß für die Erkrankungsjahre in
einer Bevölkerungsgruppe, kommt in den entwickelten Ländern den unipolaren
Depressionen die größte Bedeutung zu - mit weitem Abstand vor allen anderen
körperlichen und psychiatrischen Volkskrankheiten. Diese in ihrer Deutlichkeit für
viele überraschenden Ergebnisse waren für die WHO Anlass, Aktionsprogramme
auf nationaler Ebene zur Bekämpfung depressiver Erkrankungen zu fordern.
Suizidalität – häufig unterschätzt
In Deutschland nehmen sich pro Jahr ca. 12.000 Menschen das Leben, wobei die
tatsächliche Zahl der Suizide (Dunkelziffer) sicher erheblich höher liegt. Die Zahl der
Suizide übersteigt demnach die der jährlichen Verkehrstoten deutlich. In der Alters-
gruppe der 15-35jährigen steht der Suizid nach Unfällen sogar an zweiter Stelle aller
Todesursachen. Dabei liegt die Zahl ernsthafter Suizidversuche um das 10-15fache
höher als die der vollzogenen Suizide.
Für die Behandlung depressiver Erkrankungen stehen wirksame Verfahren zur
Verfügung, die jedoch nur sehr ungenügend genutzt werden.

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Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
                                                                                     Allgemeine
                                                                                  Informationen

Durch pharmakotherapeutische Behandlung mit Antidepressiva und Psychotherapie
(z.B. kognitive Verhaltenstherapie) kann der Mehrheit der depressiven Patienten
geholfen werden. Wirksame Behandlungen werden jedoch sehr häufig nicht
eingesetzt, da Depressionen übersehen und in ihrer Schwere unterschätzt werden.
Die Größe des sich hieraus ergebenden Optimierungsspielraums wird in der folgen-
den Abbildung deutlich:

Behandlungsbedürftige   In hausärztlicher         Als        Suffizient       Nach 3 Monaten
    Depressionen           Behandlung        Depression      behandelt      Behandlung compliant
     Gesamtzahl                             diagnostiziert   240 - 360           100 - 160
      ca. 4 Mio.          2,4 - 2,8 Mio.    1,2 - 1,4 Mio.    Tausend             Tausend

                          60-70%            30-35%           6-9%                 2,5-4%

              Optimierungsspielraum durch Fortbildung und Kooperation mit Hausärzten

              Optimierungsspielraum durch bundesweite Awareness-Programme

                                                                 © Kompetenznetz “Depression, Suizidalität”

         Abb. 4: Optimierungsspielraum in den Bereichen Diagnose und Behandlung

Die Abbildung weist als Ebene für Optimierungsmaßnahmen die hausärztliche Ver-
sorgung aus, da die Mehrheit (ca. zwei Drittel) der depressiven Patienten sich an
den Hausarzt wendet und hier die größten Verbesserungsmöglichkeiten hinsichtlich
Diagnose und Behandlung der depressiven Erkrankung bestehen.

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Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
   Zentrale Ziele

Zentrale Ziele des Kompetenznetzes „Depression,
Suizidalität“
Das Kompetenznetz „Depression, Suizidalität“ stellt in seiner Struktur und
seinen Zielen einen qualitativ neuen Ansatz dar.
Das Kompetenznetz bindet die niedergelassenen, insbesondere hausärztlich tätigen
Ärzte sowie andere wichtige, an der Versorgung depressiver Patienten beteiligte
Partner ein und will damit der Fragmentierung im Gesundheitssystem
entgegenwirken und neue Kommunikationsstrukturen verankern. Über die geplanten
Forschungsprojekte hinaus ist eine dauerhafte Verbesserung der Kooperation der
verschiedenen Versorgungsebenen hinsichtlich Fragen der Forschung und
Versorgung ein zentrales Anliegen. Neue Techniken der Kommunikation wie das
Internet will das Kompetenznetz intensiv nutzen.
Verbesserung des diagnostischen Defizits
Die wirkungsvollsten Verbesserungsansätze ergeben sich durch eine enge Koope-
ration mit hausärztlich tätigen Ärzten. In diesem Versorgungsbereich finden sich
einerseits die meisten depressiven Patienten, andererseits werden aber bei mehr
als 50% der Patienten die depressive Erkrankung und damit oft auch die drohende
Suizidalität nicht erkannt.
Verbesserung des therapeutischen Defizits
Mehr als 80% der depressiven Erkrankungen sind heute erfolgreich behandelbar.
Bei mehr als 50% der richtig diagnostizierten Patienten werden aber von hausärzt-
licher Seite insuffiziente Behandlungsstrategien angewandt (Medikation zu kurz, zu
niedrig, individuell nicht angepasst oder mit Substanzen ohne antidepressiven Wirk-
samkeitsnachweis). Daher sind gerade in diesem Bereich dringend Maßnahmen
erforderlich, die eine Behandlung nach klinisch bewährten Behandlungsleitlinien
fördern.
Verbesserung des Forschungsdefizits
Drängende Forschungsfragen im ambulanten und hausärztlichen Bereich griff die
universitäre Forschung bisher nur ungenügend auf. So sind z.B. Patienten mit
leichteren depressiven Syndromen, die häufig in Kombination mit Ängsten und
multiplen körperlichen Beschwerden auftreten, in der hausärztlichen Praxis sehr
häufig. Doch die Frage nach der richtigen Behandlung hat die Forschung bisher
nicht ausreichend beantwortet. Weitere wichtige Forschungsfragen betreffen die
Behandlung chronischer und therapieresistenter schwerer Depressionen oder die
Klärung der Pathogenese der Depression und Suizidalität.

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Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
                                                                Schwerpunkte
                                                                 und Projekte

Geplante Schwerpunkte und Projekte des Kompetenznetzes
„Depression, Suizidalität“
Die Netzwerkteilnehmer planen und realisieren insgesamt sechs Teilprojekte, die
ihrerseits wieder aus mehreren Subprojekten bestehen.
Im folgenden werden exemplarisch zwei zentrale Projekte kurz skizziert, die den
Netzwerkcharakter und die Einbindung der Hausärzte in besonderer Weise um-
setzen.

1. Suizidpräventives Awareness-Programm

Gezielte Fortbildung der Hausärzte zu Diagnose und Therapie der Depression kann
die Suizidrate deutlich senken. Das zeigt die bekannte Gotland-Studie. Aufbauend
auf den Erfahrungen dieser schwedischen Studie soll in Nürnberg ein intensives
Awareness-Programm zum Thema „Depression, Suizidalität“ stattfinden. Ziel ist, in
messbarer Weise die Zahl der Suizide und Suizidversuche zu senken. Neben Fort-
bildungen sind in Kooperation mit hausärztlich tätigen Kollegen weitere Maßnahmen
geplant:
    Ein Informationsvideo für Patienten und deren Angehörige soll angefertigt und
    den Hausärzten zur Verfügung gestellt werden. Die Hausärzte können das
    Video den Patienten leihweise mit nach Hause geben. Das Video soll sachliche
    Information über Symptome, Ursachen und die Behandlung depressiver Erkran-
    kungen vermitteln.
    Niedergelassenen Kollegen in Nürnberg wird über eine Hotline unkompliziert
    Beratung zur Diagnose und Therapie depressiver Störungen angeboten.
    Die Durchführung von Qualitätszirkeln für Hausärzte in Nürnberg wird unter-
    stützt.
    Gezielte Öffentlichkeitsarbeit in Nürnberg soll das Wissen über Depression in
    der Allgemeinbevölkerung erhöhen sowie eine Enttabuisierung erreichen.
    Die Einrichtung von Notrufnummern und die Aushändigung einer Green Card an
    Patienten nach einem Suizidversuch soll den Zugang gefährdeter Patienten zur
    Behandlung rasch und unkompliziert gestalten.
Um die Wirksamkeit dieses Awareness-Programms nachweisen zu können, wird der
Verlauf der Suizidraten und Suizidversuchsraten in Nürnberg in den nächsten
Jahren erfasst und mit den entsprechenden Zahlen des gesamten Bundesgebiets
und anderer Städte verglichen.
Nürnberger Bündnis gegen Depression:
Internet-Adresse: www.buendnis-depression.de
eMail: Depressionsnetz@web.de

                                                                         Seite 13
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
   Schwerpunkte
   und Projekte

2. Behandlung leichter und subdiagnostischer Depressionen

Patienten mit leichten depressiven Syndromen, die häufig mit Angst und multiplen
körperlichen Beschwerden einher gehen, sind in der hausärztlichen Praxis sehr
häufig. Da diese Patienten in Universitätskliniken eher selten gesehen werden, ist
das Wissen über die richtige Behandlung dieser Patienten unbefriedigend. In
Kooperation mit Hausärzten in Nürnberg soll deshalb die Wirksamkeit verschiedener
Behandlungsmethoden untersucht werden: Die Behandlung mit Antidepressiva und
mit Verhaltenstherapie wird gegenüber Plazebobedingungen verglichen. Zudem soll
der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Therapieerwartung, die Therapie-
präferenz (Verhaltenstherapie versus Psychopharmakotherapie) und das Krank-
heitsmodell (biologisches versus psychologisches Krankheitsmodell) für den Thera-
pieerfolg bedeutsam sind. Es ist denkbar, dass Patienten, die sich eher etwas von
Psychotherapie versprechen, schlechter auf Psychopharmaka ansprechen - und
umgekehrt. Falls derartige Faktoren den Therapieerfolg entscheidend mitbestim-
men, müssten sie zukünftig verstärkt in die Therapieplanung eingehen.

Die einzelnen Teilprojekte im Überblick…

                              Teilprojekt 1: Suizidalität – Modelle zur
                              effektiveren Gestaltung von Suizidprävention

Der Schwerpunkt liegt in der Durchführung und Evaluation suizidpräventiver Maß-
nahmen. Ein wichtiges Subprojekt ist das Awareness-Programm zu Depression
und Suizidalität in Nürnberg (siehe oben).
Im Rahmen eines anderen Subprojektes soll erstmals der postulierte suizidpräven-
tive Effekt einer frühzeitigen Lithiummedikation nachgewiesen werden. Weitere
Projekte befassen sich mit biologischen Aspekten der Suizidalität oder dem
Zusammenhang zwischen Strukturveränderungen der stationären Versorgung in
den neuen Bundesländern und dem Auftreten stationärer Suizidhandlungen.

                              Teilprojekt 2: Behandlung leichter depressiver
                              Syndrome

In einer kontrollierten Studie soll untersucht werden, ob Antidepressiva, kognitive
Verhaltenstherapie oder eine Kombinationsbehandlung bei Patienten mit leichten
und subdiagnostischen depressiven Störungen wirksam sind (siehe oben). Bei
diesem Teilprojekt ist die aktive Beteiligung niedergelassener Ärzte und des Praxis-
netzes Nürnberg Nord ein wesentlicher Bestandteil.
Andere Subprojekte beschäftigen sich mit der Therapie der rezidivierenden kurzen
depressiven Störung und der Frage, wie sich chronische Krankheitsverläufe bei
Personen mit Depressionen und somatoformen Störungen verhindern lassen.

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Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
                                                                        Schwerpunkte
                                                                         und Projekte

                                    Teilprojekt 3: Qualitätsmanagement in der
                                    Depressionsbehandlung

In diesem Teilprojekt soll die Versorgungsqualität depressiver Patienten evaluiert
und verbessert werden. Die Maßnahmen beinhalten u.a. Entwicklung von Leitlinien,
Fort- und Weiterbildungsmaterialien, deren Etablierung bei hausärztlich tätigen
Ärzten, Qualitätsmanagement im ambulanten und stationären Bereich sowie
Evaluation des therapeutischen Drug-Monitorings im ambulanten Bereich.

                                    Teilprojekt 4: Wirkmechanismen antidepressiver
                                    Therapien

Wie wirken antidepressive Medikamente biologisch? Diese Frage stellen sich die
Forscher des Teilprojekts und gehen ihr u.a. mit molekularbiologischen Methoden
nach. Die Suche nach den Wirkmechanismen antidepressiver Therapien soll neue
Interventionspunkte für antidepressive Behandlungen aufspüren und einen gezielte-
ren Einsatz solcher Behandlungen erreichen. Zwei Punkte sind besonders vielver-
sprechend: die Signaltransduktion in der Zelle bei verschiedenen antidepressiven
Therapieverfahren und die ursächliche Rolle einer gestörten Stresshormonregula-
tion beim Entstehen einer Depression. Die Ergebnisse, die im Rahmen dieser und
anderer Projekte gewonnen werden, sollen der pharmazeutischen Industrie
Anregungen für die Entwicklung neuartiger Klassen von Antidepressiva liefern.

                                    Teilprojekt 5: Molekulargenetik /
                                    Pharmakogenetik

Die Forscher suchen zum einen nach genetischen Anlagen, die für ein erhöhtes
Erkrankungsrisiko hinsichtlich affektiver Erkrankungen verantwortlich sind. Zum
anderen wollen sie genetische Faktoren aufspüren, die den medikamentösen
Behandlungsverlauf beeinflussen. Dazu müssen die Wissenschaftler die für mole-
kulargenetische und pharmakogenetische Untersuchungen erforderliche große
Anzahl an Patienten und deren Familien untersuchen und die Daten mit einheit-
lichen Instrumenten erheben. Das Kompetenznetz schafft die Voraussetzungen
dafür.

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Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
   Schwerpunkte
   und Projekte

                            Teilprojekt 6: Chronizität, Therapieresistenz,
                            Prädiktion

Warum verläuft eine Depression manchmal chronisch? Warum schlägt manchmal
keine Therapie an? Die Bedingungen von Chronizität und Therapieresistenz sind
Gegenstand dieses Teilprojekts. Ob und wie sie mit verschiedenen, auch experi-
mentellen Ansätzen wie z.B. der transkraniellen Magnetstimulation überwunden
werden können, das wird untersucht. Eine zentrale Rolle spielt hierbei eine Ver-
laufsstudie mit depressiven Patienten, zu denen der Kontakt in den beteiligten
universitären Zentren und Bezirkskrankenhäusern hergestellt wird. Verschiedene
Interventionen werden im Rahmen des Projekts geprüft, wie zum Beispiel die
transkranielle Magnetstimulation und psychopharmakologische Ansätze.

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Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
                                                                         Krankheitsbild
                                                                            Depression

Niedergeschlagenheit als Alltagsphänomen
Die Stimmung der meisten Menschen wechselt. Sie reagieren alltäglich auf freudige
und traurige Ereignisse mit den entsprechenden Gefühlen. Heiterkeit und Traurigkeit
lösen sich dabei in raschem Wechsel ab.

 „Depressionen werden              Bei starken oder gehäuften positiven bzw. negativen
 oft unterschätzt und              Erlebnissen kann eine Stimmung auch über einige
 irgendwo zwischen                 Stunden, ja sogar Tage anhalten, bis wieder eine neue
 Schnupfen und                     Befindlichkeit einsetzt. So ist die Traurigkeit nach dem
 Einbildung angesiedelt.           Tod eines geliebten Menschen eine verständliche
 In Wirklichkeit aber              Reaktion. In der „Trauerarbeit“ bewältigen die Zurück-
 handelt es sich um eine           gebliebenen die Trennung, um sich dann wieder dem
 lebensgefährliche                 Leben zuzuwenden. In diesem Sinne gehört der Wech-
 Krankheit, die wie keine          sel von gedrückten Stimmungen, Ausgeglichenheit und
 andere in                         gehobenen Stimmungen zum Gefühlsspektrum eines
 fundamentaler Weise               jeden Menschen.
 die Lebensqualität der      Der Begriff Depression kommt vom lateinischen
 betroffenen Menschen        „deprimere“ und bedeutet soviel wie herunter- oder
 beeinträchtigt.“            niederdrücken. Die gedrückte Stimmung ist primär
                             keine Krankheit, sondern steht wie das Schmerz-
 Prof. Dr. Ulrich Hegerl
                             Empfinden als anthropologische Möglichkeit in einem
                             Zusammenhang zur Lebensbewältigung. So wie der
Schmerz ein wichtiges Frühwarnsystem vor Verletzungen ist, dient die Nieder-
geschlagenheit nach Misserfolgen, Verlusten und Trennungen der Um- und Neu-
orientierung der Betroffenen sowie der Suche nach alternativen Entfaltungsmöglich-
keiten. Niedergeschlagenheit ist so gesehen ein vorübergehender Rückzug, ein
Aufschub oder eine Art „Zwangspause“, in der man sich erholen und nachdenken
kann.

Depression als Krankheit
Im Unterschied dazu ist die „Depression“ als psychische Krankheit ein affektiv
unauslenkbarer und wochenlanger Rückzug, der keinerlei Neuorientierung mehr
zulässt. Der ursprüngliche Sinn der gedrückten Stimmung als Anstoß zur Neuorien-
tierung verkehrt sich ins Gegenteil. Statt Nachzudenken verfällt man ins Grübeln.
Statt sich zu erholen, ermüdet man durch ständige Zweifel an sich selbst und der
Welt. Depression als Krankheit ist ein meist lebensgefährlicher Zustand. Unbegrün-
dete Schuldgefühle quälen den Patienten, wahnhafte Überzeugungen unheilbar
erkrankt zu sein oder sich und die Familie durch eigenes Verschulden in tiefstes
Unglück gestürzt zu haben können sich einstellen, meist verbunden mit Suizidideen
oder sogar Suizidabsichten. Die depressive Erkrankung läuft meist phasenhaft ab,
wobei diese Phasen über mehrere Monate, bei einigen Patienten auch 1-2 Jahre
anhalten können.

                                                                                   Seite 17
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
   Krankheitsbild
   Depression

Weil aber die Übergänge fließend sind und jeder Mensch bereits Erfahrungen mit
normaler Niedergeschlagenheit hat, ist es oft schwer, die Depression als eigen-
ständiges Krankheitsbild zu erkennen. Dies gilt für Betroffene wie für Ärzte. Noch
immer werden über 50% der depressiven Erkrankungen nicht diagnostiziert bzw.
unzureichend behandelt.

 „Wenn wir uns den Knöchel verstauchen oder der Blutdruck erhöht ist, so können
 wir das objektiv, wie von außen als Erkrankung erkennen, weil unser Erleben und
 Denken hiervon nicht unmittelbar betroffen wird.
 Bei der Depression aber kommt es zu Störungen in Gehirnbereichen, die
 unmittelbar das Denken und Fühlen beeinflussen.
 Gegenüber diesen Veränderungen des eigenen Erlebens können wir dann nur
 schwer eine objektive Haltung einnehmen.“

 Prof. Dr. Ulrich Hegerl

Seite 18
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
                                                                           Symptome
                                                                       der Depression

Symptome der Depression
Wenn der Wechsel der Stimmungen im Fluss der Ereignisse völlig ausbleibt und
eine Stimmungslage dauerhaft (über 2 Wochen) die gesamte Wahrnehmung und
Interaktion mit der Welt überschattet, liegt eine „affektive Störung“ vor. Depressiv
erkrankten Menschen wird praktisch jede Handlung von einer alles beherrschenden
Stimmung diktiert.
Bei den betroffenen Menschen können wir sowohl physiologische Veränderungen
als auch Veränderungen des Verhaltens und Erlebens beobachten. Die Depression
erfasst alle drei Bereiche.
Verändertes Erleben: Der Patient berichtet              „Der psychisch Kranke wird in
über verändertes Erleben. Es dominieren            unserer Gesellschaft noch
Gefühle der Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit,     immer anders gesehen als der
inneren Leere, Schuld und Angst, Verzweiflung      körperlich Kranke. Symptome
und Trauer, aber auch der Unfähigkeit über-        einer psychischen Erkrankung
haupt noch Gefühle empfinden zu können („Ich       sind für viele schwer verständ-
bin wie versteinert“). Negative Denkmuster sind    lich, werden abgelehnt, als
dominierend. Depressiv Erkrankte entwickeln        schuldhaft interpretiert oder
in vielen Fällen eine pessimistische Einstellung   sogar als gefährlich
gegenüber sich selbst, den eigenen Fähig-          angesehen.“
keiten, dem eigenen Aussehen und der
Zukunft, verbunden mit starker Grübelneigung.      Prof. Dr. Hans-Jürgen Möller
Permanente       Selbstkritik,     Konzentrations-
probleme und Suizidgedanken sind häufig. Manche Patienten entwickeln auch
Wahnvorstellungen, z.B. die Überzeugung unheilbar erkrankt zu sein, oder sich und
die Familie finanziell ruiniert zu haben.
Verändertes Verhalten: Die Patienten vermeiden soziale Kontakte, stellen
Hobbys ein, können ihre Arbeit nicht mehr bewältigen und ziehen sich ins Bett
zurück. Die Mimik und Gestik ist bei vielen Patienten wie erstarrt, die Stimme leise
und monoton. Einige Patienten laufen rastlos, verzweifelt und wie getrieben hin und
her (agitierte Depression).

 „Die Depression ist wie          Physiologische Beschwerden: Schlaflosigkeit mit
 ein bleierner Mantel,            Früherwachen, Appetitstörung mit Gewichtsverlust, Libi-
 der sich über Körper             doverlust, schnelle Ermüdung und multiple körperliche
 und Geist legt.“                 Beschwerden gehören zu den vielfältigen somatischen
                                  Begleiterscheinungen einer depressiven Störung.
 Prof. Dr. Ulrich Hegerl

                                                                                 Seite 19
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
   Diagnose
   der Depression

Diagnose der Depression
Da die Symptome der Depression aber in unterschiedlicher Zusammensetzung,
Dauer, Intensität und Periodik auftreten, ist es für den Arzt nicht immer leicht, eine
„Depression“      als    behandlungsbedürftige
Krankheit sofort zu diagnostizieren. Zudem           „Die allermeisten Menschen mit
klagen die Patienten meist nicht über                depressiven Störungen wenden
depressive Verstimmung, sondern über körper-         sich zuerst an den niederge-
liche Beschwerden. Oft verlangen depressive          lassenen Hausarzt und nicht an
Patienten beim Hausarzt z.B. nur nach Kopf-          den Facharzt (Psychiater). Es ist
weh- oder Schlafmitteln. Nach einer Studie der       daher von größter Wichtigkeit,
Universität Mainz befürchten außerdem 80%            gerade den Blick der Hausärzte
depressiv erkrankter Menschen durch das Be-          für diese oft versteckte
                   kanntwerden einer psychi-         Krankheit zu schärfen.“
  „Die meisten
  Patienten        schen Krankheit nachteilige       Dr. Veit Wambach
  würden eine      Folgen für ihr Berufs- und
  Diagnose         Privatleben. Über die Hälfte
  ‚Migräne‘        aller Depressionen bleiben daher trotz Arztbesuch unerkannt.
  einer            Das Kompetenznetz „Depression, Suizidalität“ will deshalb
  Diagnose         geeignete Diagnoseverfahren etablieren und insbesondere die
  ‘Depression’     Hausärzte in Qualitätszirkeln u.a. mit Hilfe neuer Medien
  vorziehen.“      (Lehrvideos) für das Krankheitsbild Depression besonders
                   sensibilisieren.
 Prof. Dr.
                 Ein sowohl international als auch in Deutschland gebräuchliches
 Ulrich Hegerl
                 Klassifikationssystem ist die sogenannte ICD 10 (International
                 Classification of Disorders). Dabei werden systematisch in
Abhängigkeit von Anzahl, Dauer und Schwere des Auftretens der Symptome ver-
schiedene Arten der depressiven Erkrankungen unterschieden, so zum Beispiel die:
       depressive Episode im Rahmen einer unipolaren Depression. Diese wird in
       eine leichte, mittlere und schwere Form unterteilt.
       depressive Episode im Rahmen der bipolaren affektiven Störung. Bei
       Patienten mit dieser Erkrankung treten neben depressiven Episoden auch
       Manien mit gesteigertem Antrieb und gehobener Stimmung auf.
       Dysthymie. Hierbei handelt es sich um eine meist im jungen Erwachsenen-
       alter beginnende eher chronisch verlaufende Depression.
Die depressiven Episoden können Wochen, Monate und unbehandelt manchmal
auch 1-2 Jahre anhalten. Gerade bei lang dauernden Phasen besteht die große
Gefahr, dass sich ein fatalistischer Gewöhnungsprozess bei den Angehörigen und
auch dem Patienten selbst einstellt und die Beschwerden nicht als Ausdruck einer
Erkrankung sondern der Persönlichkeit oder der Lebensumstände des Patienten
angesehen werden.

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Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
                                                                Suizid und Medien
                                                                     Modulsystem

        Die Behandlung des Themas Suizidalität erfordert seitens der
        Medien höchste Sensibilität und Verantwortlichkeit sowie die
        Einhaltung bestimmter Richtlinien. Es ist klar belegt, dass durch die
        Thematisierung von Suiziden und Suizidversuchen in der
        Öffentlichkeit viele Patienten dazu veranlasst werden können, ihren
        Suizidgedanken nachzugeben (Werther-Syndrom). Die Mitarbeiter
        des Kompetenznetzes stehen für diesbezügliche Beratung jederzeit
        zur Verfügung. Bitte wenden Sie sich an:

                             Anke Schlee, Tel. 089/51 60-5553

Modulsystem
In den folgenden Modulen werden eine Reihe von Themen kurz angerissen, die
erfahrungsgemäß auch für eine breite Öffentlichkeit von Interesse sind. Zu diesen
Modulen können über das Kompetenznetz weiterführende Informationen und
Experten vermittelt werden. Bitte wenden Sie sich an
Anke Schlee, Telefon: 089/51 60-5553
Fax: 089/51 60-5557
eMail: presse@kompetenznetz-depression.de

                                                                                Seite 21
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
   Modul 1

Gesundheitspolitische Brisanz
10% der Bundesbürger erkranken einmal oder mehrmals im Leben an einer
schweren depressiven Episode. 15% aller depressiv Erkrankten nehmen sich im
weiteren Verlauf das Leben. Unter allen Krankheiten, die ein suizidales Risiko mit
sich bringen, steht die Depression mit Abstand an der Spitze.

                           Depressionen            Persönlichkeitsstörungen

                           Alkoholabhängigkeit     andere

             Abb. 5: Suizidursachen (Gesundheitsbericht für Deutschland 1998)

Während die Zahl der Verkehrsunfälle mit tödlichem Ausgang in den letzten Jahren
durch eine kontinuierliche Aufklärungskampagne und durch verkehrsregulierende
Maßnahmen der Bundesregierung stetig gesenkt werden konnte, sind die Suizid-
zahlen in Deutschland fast unverändert hoch geblieben.

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Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
                                                                                                      Modul 1

                   14000

                   12000

                   10000

                    8000
                                                                                Suizide
                    6000                                                        Verkehrstote

                    4000

                    2000

                       0
                             1994          1995   1996      1997
                                                         © Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"

        Abb. 6: Vergleich der Anzahl von Suiziden und Verkehrstoten in Deutschland
                                        1994-1997

Diese Tatsache ist inakzeptabel, da über 80% aller Depressionen therapierbar
wären. Insbesondere die Entwicklung neuer antidepressiver Medikamente in
Kombination mit abgestimmten psychotherapeutischen Maßnahmen ermöglichen
grundsätzlich einen großen Behandlungserfolg.
Deshalb ist die Verbesserung der Diagnostik und die konsequente Behandlung
depressiv Erkrankter ein gesundheitspolitisches Ziel mit höchster Priorität. Das
Kompetenznetz „Depression, Suizidalität“ wird daher speziell in diesem Bereich
Schwerpunkte setzen.
Depressionen führen zunehmend zu Arbeitsunfähigkeit und Arbeitsausfällen. Allein
im Jahr 1993 wurden beispielsweise in Deutschland 11 Millionen Ausfalltage durch
depressive Erkrankungen registriert. 1995 wurde 18.629 Frühberentungen aufgrund
depressiver Erkrankungen bewilligt.

                                                                                                        Seite 23
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
   Modul 2

Wie entsteht eine Depression?
Eine Depression hat selten eine einzige Ursache. Meist führt ein Zusammenspiel
verschiedener Faktoren zur Erkrankung. Die genetische Veranlagung spielt eine
Rolle. Ebenso könnten bestimmte Persönlichkeitsfaktoren (also bestimmte Persön-
lichkeitsstörungen) von Bedeutung sein. Akute psychosoziale Belastungen, wie der
Verlust oder Tod einer Bezugsperson, treten vermehrt vor dem Beginn einer
Depression auf. Das zeigen epidemiologische Studien. Auch körperliche Erkrankun-
gen, z.B. Schilddrüsenfunktionsstörungen, können eine Depression mit verur-
sachen. Von Belang sind außerdem soziale Faktoren, die eine Anpassung an neue
Umstände erfordern wie zum Beispiel Heirat, Arbeitslosigkeit und Berentung.
Die verschiedenen Faktoren führen zu neurobiologischen Veränderungen im Hirn-
stoffwechsel, die dann bei manchen Personen in eine Depression münden können.

           Entstehungsmodell depressiver Erkrankungen

           Genetische Prädisposition              Persönlichkeitsfaktoren

     Psychosoziale               Neurobiologische                   Körperliche
     Belastung                    Veränderungen                     Erkrankungen

                               Depressive Symptomatik

                   Abb. 7: Entstehungsmodell depressiver Erkrankungen

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                                                                         Modul 3

Einschneidende Lebensereignisse
Zwei Drittel der depressiven Patienten hatten vor ihrer Erkrankung ein belastendes
oder zumindest einschneidendes Lebensereignis. Nach einem solchen Ereignis ist
                                          das Depressionsrisiko etwa ein halbes
 „Unter den Auslösern kommt               Jahr lang erhöht. Ein belastendes
 besonders den Konflikten in              Ereignis muss aber nicht zwangsweise
 zwischenmenschlichen Beziehungen         zum Ausbruch einer Depression führen.
 eine große Bedeutung zu. Hier muss       Denn alle Menschen müssen in ihrem
 der Arzt ein besonderes Augenmerk        Leben Verluste und Trennungen erleiden,
 auf die Situation in der Familie, in der aber nicht jeder erkrankt. Insofern haben
 Partnerschaft und am Arbeitsplatz        Ereignisse dieser Art in erster Linie eine
 richten. Gerade unter dem erhöhten       auslösende Bedeutung. Einschneidende
 ökonomischen Druck der 90er Jahre        Lebensereignisse können zum Beispiel
 häufen sich auch Mobbing-                der Tod eines nahen Angehörigen, Part-
 Situationen.“                            nerkonflikte oder die Veränderung der
 Tobias Müller, Psychiater                Lebensverhältnisse und der sozialen
                                          Rolle (z.B. Berentung) sein.

                                                                            Seite 25
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
   Modul 4

Geschlecht und Depression
Frauen erkranken zwei- bis dreimal so oft an einer Depression wie Männer. Für
diesen Geschlechterunterschied gibt es verschiedene Erklärungen.
   Es handelt sich um einen Artefakt: Bei Männern ist eine Depression schwieriger
   zu erkennen. Frauen sprechen eher über ihre Ängste und Stimmungs-
   schwankungen und werden eher als „depressiv“ eingeordnet, während bei
   Männern oft organische Ursachen vermutet werden. Das unterschiedliche Ver-
   halten der Geschlechter und das unterschiedliche Diagnoseverhalten der Ärzte
   spielen also eine Rolle.

   Eine biologische Erklärung geht davon aus, dass Depression durch dominante
   Mutationen auf dem X-Chromosom hervorgerufen wird. Die Hypothese konnte
   allerdings nicht belegt werden.

   Die soziokulturelle Erklärung stellt die gesellschaftliche Rolle der Frau in den
   Mittelpunkt. So wird zum Beispiel die Hausfrauenrolle immer mehr entwertet und
   immer weniger honoriert; erwerbstätige Frauen müssen die Doppelbelastung
   von Hausarbeit und Erwerbsarbeit tragen. Beides könnte dazu führen, dass
   Frauen eher zu Depressionen neigen.

Der Geschlechterunterschied kann allerdings auch hormonell bedingt sein. So sind
Frauen zu bestimmten Zeiten anfälliger für eine Depression: vor der Menstruation
oder nach einer Geburt.
Beim prämenstruellen Syndrom treten depressive Störungen immer nur vor der
Menstruation auf. Die Anfälligkeit scheint genetisch veranlagt zu sein und durch
Umwelteinflüsse verstärkt zu werden. Schwere Fälle des prämenstruellen Syndroms
werden mit Medikamenten behandelt.
Die postpartale Depression tritt nach der Geburt auf. Viele Frauen leiden im
Wochenbett an einer depressiven Verstimmung, doch meistens handelt es sich um
eine kurzlebige Erscheinung. Erst wenn die Symptome über einen längeren Zeit-
raum andauern, handelt es sich um eine Depression.
Ob Frauen während oder nach der Menopause (Wechseljahre) anfälliger für eine
Depression sind, konnte bis jetzt nicht abschließend geklärt werden. Doch wenn es
einen Zusammenhang geben sollte, so führen ihn die Wissenschaftler auf den
Östrogenmangel während der Menopause zurück. Hormone werden daher in dieser
Zeit auch gegeben, um die mögliche Anfälligkeit für eine Depression zu senken.
Bei der bipolaren Depression gibt es übrigens keinen Geschlechterunterschied.

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                                                                                                                 Modul 4

Bei den Suiziden zeigt sich ein ganz anderes Bild. Im Gegensatz zur Depression ist
der Suizid bei den Männern häufiger. Bei den 12.265 Suiziden 1997 in Deutschland
handelt es sich zu 72,1% um Männer und nur zu 27,9% um Frauen. Auch in allen
anderen Ländern Europas ist die Suizidrate der Männer höher als die der Frauen. In
der letzten Dekade ist in mehreren Ländern ein Anstieg der Suizidrate bei jungen
Männern zu verzeichnen.

                                                             50
                     Je 100 000 Einwohner (standardisiert)

                                                             40

                                                             30

                                                                                                     Männer
                                                             20

                                                             10                                      Frauen

                                                              0

                                                                  1980   1983   1986   1989   1992        1995

                        Abb. 8: Suizidsterblichkeit nach Geschlecht
                (Gesundheitsbericht für Deutschland 1998, alte Bundesländer)

Bei den Frauen gibt es wiederum mehr Suizidversuche. Zwar werden Suizid-
versuche offiziell nicht erfasst, aber es gibt Schätzungen, nach denen über 60% der
Suizidversuche von Frauen verübt werden.

                                                                                                                   Seite 27
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   Modul 5

Altersdepression
Altern geht mit zahlreichen Verlusterlebnissen einher: Verlust des Lebenspartners,
der Wohnung, der sozialen Rolle, der körperlichen Leistungsfähigkeit. Viele ältere
Menschen fühlen sich von der Gesellschaft ausgeschlossen. Und das nicht ohne
Grund: Alte Menschen genießen in unserer modernen Gesellschaft nicht mehr so
ein hohes Ansehen wie noch in der agrarischen Gesellschaft.
Man könnte deshalb erwarten, dass alte Menschen deutlich häufiger an
Depressionen erkranken. Zumindest für schwere Depressionen gibt es jedoch
hierfür keine überzeugenden Belege. Erschreckend ist allerdings die Zunahme der
Suizidrate mit dem Alter, besonders bei Männern.

                    Männer                       Alter                    Frauen

                                                über 84

                                                75-84

                                                65-74

                                                55-64

                                                45-54

                                                35-44

                                                25-34

                                                15-24

                   200   150   100   50     0             0   50    100   150   200
                                 je 100 000 Männer bzw. Frauen

                                          Westen              Osten

                   Abb. 9: Altersspezifische Suizidsterblichkeit
                   (Gesundheitsbericht für Deutschland 1998)

Suizidalität und Depression sind sich über-
                                                                   „Erfolgreiches Altern ist nicht
lappende Bereiche. Bei mindestens der Hälfte
                                                                   selbstverständlich. Auch Altern
aller   Suizide  älterer   Menschen   spielt
                                                                   will gelernt sein.“
Depression eine wichtige Rolle.
                                                                   Prof. Dr. Martin Hautzinger

Seite 28
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
                                                                         Modul 6

Depression in Kindheit und Jugend
Kleine Kinder können keine schwere Depression entwickeln – davon gingen bis in
die 80er Jahre Ärzte und Forscher aus. Heute gilt das nicht mehr. Wenn ein Kind
ständig weint, ein negatives Selbstbild hat, seine Aktivität herabgesetzt ist und es
davon spricht, nicht mehr leben zu wollen, so handelt es sich um depressive
Symptome wie bei einem Erwachsenen auch.
Vor der Pubertät gibt es keinen deutlichen Unterschied in der Depressionshäufigkeit
zwischen Mädchen und Jungen. Nach der Pubertät jedoch sind wesentlich mehr
Mädchen als Jungen depressiv.
Die 15-19jährigen Frauen haben außerdem die höchste Suizidversuchsrate über-
haupt, nämlich 340 je 100.000 Einwohner. Alarmierend ist die in mehreren Ländern
zu beobachtende Zunahme der Suizidrate bei männlichen Jugendlichen.
Der Reifeprozess der Jugendlichen geht mit zahlreichen neuen Erfahrungen des
sich Verliebens, des Trennens bzw. der Ablösung vom Elternhaus einher, was
Phasen der Verunsicherung mit sich bringt. Dies könnte ein Auslöser für Depression
und/oder Suizidgedanken sein.

                                                                            Seite 29
Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
   Modul 7

Arbeitslosigkeit und Depression
Erforscht wird auch, inwieweit Arbeitslosigkeit ein erhöhtes Risiko mit sich bringt, an
einer Depression zu erkranken. Der Verlust des Arbeitsplatzes bedeutet in der
Leistungsgesellschaft nicht nur eine materielle Schlechterstellung des Betroffenen,
sondern in der Regel auch eine erhebliche psychische Belastung.
Das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden,
                                                                                            „Kein Zweifel besteht auch
soziale Nicht-Anerkennung, ungeregelter Tages-
                                                                                            daran, dass Arbeitslosigkeit
ablauf sowie Kontaktverlust und Minderwertigkeits-
                                                                                            zu einem Ansteigen sowohl
gefühle können dabei eine Rolle spielen. In zahl-
                                                                                            von Suiziden als auch von
reichen Untersuchungen fanden sich drastische
                                                                                            Suizidversuchen führt.
Unterschiede in der psychischen Gesundheit
                                                                                            Weiterhin zeigt sich, dass
Arbeitsloser und vergleichbarer Gruppen Beschäf-
                                                                                            mit zunehmender Dauer der
tigter (Bundesgesundheitsbericht 98).
                                                                                            Arbeitslosigkeit auch die
Untersucht man allerdings die säkulare Entwick-                                             Zahl der Suizide steigt.“
lung der Suizide des Kaiserreichs, der Weimarer
Republik, des III. Reiches und der Bundesrepublik,     Prof. Dr. Thomas Bronisch
zeigt sich eine evidente Korrelation zwischen
Arbeitslosigkeit und Suizidzahlen nur bis 1935. Speziell in der Weltwirtschaftskrise,
als die Arbeitslosenzahl in den frühen dreißiger Jahren auf über 6 Millionen ansteigt,
ist zugleich eine drastische Zunahme der Suizide festzustellen. In der Nachkriegs-
entwicklung verliert sich die Korrelation.

             25000

             20000

             15000

             10000
                                                              keine Daten
                                                              vorhanden,
                                                              2. Weltkrieg
              5000

                        Arbeitslosenzahlen erst
                        ab 1921 erfaßt
                 0
                     1900 1905 1910 1915 1920 1925 1930 1935 1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995

                                                         Suizide        Arbeitslose in Tausend

                                                                                           © Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"

                  Abb. 10: Suizidalität und Arbeitslosigkeit in Deutschland
               (Kaiserreich, Weimarer Republik, 3. Reich, alte Bundesländer)

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Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
                                                                           Modul 7

Einen deutlichen Zusammenhang zwischen Wirtschaftskrise und Suizid haben
Behörden in Japan festgestellt. Die Zahl der Suizide ist dort 1998 um 35% nach
oben gesprungen, auf fast 33.000. Die Suizidrate (26 pro 100.000) ist damit fast
doppelt so hoch wie in Deutschland (15 pro 100.000). Dieser in der Geschichte ein-
zigartige Anstieg wird nach einer polizeilichen Analyse auf die vorausgehende
Banken- und Finanzkrise zurückgeführt. Über 6000 Personen nahmen sich wegen
wirtschaftlicher Probleme das Leben. Innerhalb dieser Kategorie waren „Schulden“
der häufigste Suizidgrund (2.977 Fälle, eine Zunahme von 58%), gefolgt von
„Geschäftsflaute“ (1.165 Fälle), „Existenznot“ (735 Fälle) und „Arbeitslosigkeit“ (409
Fälle).
Die Arbeitssituation und damit die Einbindung in den gesellschaftlichen Produktions-
und Konsumprozess muss somit ebenfalls als ein Risikofaktor für depressive
Erkrankung Ernst genommen werden. Ein Projekt des Kompetenznetzes wird daher
im Rahmen eines eigenen Awareness-Programms zur Suizidprävention auch in
Arbeitsämtern das Problem diskutieren und über Therapie-Möglichkeiten
informieren.

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Kompetenznetz "Depression, Suizidalität"
   Modul 8

Stress und Depression
Langanhaltender Stress kann ebenfalls ein Risikofaktor für depressive Erkrankun-
gen sein. Das Gefühl dauernder Überforderung in der Arbeit, der Nicht-
Anerkennung durch Kollegen und Vorgesetzte oder gar der gezielten Demütigung
durch „Mobbing“ stellt für viele Betroffene einen unlösbaren psychischen Konflikt
dar. Die Sorge um den Arbeitsplatz einerseits und die Erfahrung der Ablehnung
andererseits lässt einen rationalen Ausweg oft unmöglich erscheinen und kann zu
einem unbewussten Rückzug in Form einer depressiven Erkrankung führen.
Die depressiven Erkrankungen in modernen Industrienationen werden oft in einem
Zusammenhang mit den rasanten Veränderungen von Gesellschaft und Wirtschaft
gesehen. Dabei spielen Faktoren wie Arbeitsplatzunsicherheit, wachsende Anforde-
rungen an Mobilität und Flexibilität, Auflösung vertrauter Strukturen, Leistungsdruck
und innerbetrieblicher Konkurrenzkampf eine zunehmende Rolle.
Dass langanhaltender Stress zu Depressionen führen kann, gilt als erwiesen. Auf
der anderen Seite gibt es das epidemiologisch ausgewiesene Phänomen, dass in
Kriegszeiten – also in Phasen größter psychischer Verunsicherung und existen-
zieller Bedrohung – die Zahl der depressiven Erkrankungen und suizidalen Hand-
lungen deutlich zurückgeht. Dieser Effekt zeigt sich in allen europäischen Ländern
und gilt sowohl für Männer als auch für Frauen.

              Abb. 11: Suizidraten für England und Wales (Reg.Gen. 1961)

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Stress hat primär die evolutionsbiologische Funktion, durch die Ausschüttung von
Stresshormonen im Organismus die Aufmerksamkeit und Anspannung zu erhöhen,
um in Gefahrensituationen blitzschnell reagieren zu können.
Jedes Mal, wenn wir eine Situation erleben, die den Körper in außergewöhnlicher
Weise fordert, wird unser Stresshormon-System aktiviert. Ein frühes Anzeichen
einer Stressreaktion ist die erhöhte Freisetzung eines Peptids namens Corticotropin-
freisetzendes Hormon (CRH) durch das limbische System, einen Hirnbereich, der
Stimmungen und Ängste beeinflusst. CRH wiederum regt die Produktion des
                                        bekannten Stresshormons Cortisol an,
  „Normalerweise sind Glück und         welches, sobald es in den Blutkreislauf
  Unglück nicht von Dauer. Die          gelangt, den Körper darauf vorbereitet, der
  Endorphine im Hirn, die uns ein       belastenden Situation zu begegnen. Die
  Hochgefühl geben, haben eine          Freisetzung von Cortisol ist während einer
  Halbwertszeit von nur fünf            Infektionskrankheit, bei einem akuten psychi-
  Minuten. Wir können uns nicht         schen Trauma oder chronischem Stress
  lange freuen, nicht lange trauern,    erhöht. Beide Hormone, CRH und Cortisol,
  nicht lange Angst haben. Das          sind wichtige Faktoren, um die Reaktionen
  Gehirn tut alles, um wieder in den    auf Stress zu koordinieren; dieses Kontroll-
  Zustand der Normalität                system wird durch mannigfache biologische
  zurückzukommen.“                      Vorgänge und Prozesse aufrechterhalten.
 Prof. Dr. Dr. Florian Holsboer      Forschungen am Max-Planck-Institut für
                                     Psychiatrie in München haben gezeigt, dass
das Kontrollsystem für Stresshormone bei Depressionskranken gestört ist. Es wurde
untersucht, ob das vom Gehirn freigesetzte Stresshormon CRH auch auf der Ver-
haltensebene die für eine Depression charakteristischen Anzeichen und Symptome
hervorrufen kann. Zahlreiche Versuche an Menschen, Ratten und Mäusen weisen
darauf hin, dass CRH tatsächlich Verhaltensänderungen hervorruft, die der Psycho-
pathologie der Depression entsprechen. Beispielsweise verstärkt eine erhöhte
Konzentration von CRH im Gehirn die Angst, stört das Denkvermögen, vermindert
den Appetit, den Schlaf sowie die sexuellen Bedürfnisse – alles Kardinalsymptome
der Depression.
Die Auswirkungen von CRH werden durch einen spezifischen Rezeptor übertragen.
Mit Hilfe von molekulargenetischen Techniken wurde eine Mäusemutante ent-
wickelt, der dieser besondere CRH-Typ-1-Rezeptor fehlt. Bei diesen Mäusen ist die
psychologische Reaktion auf Stress vermindert, d.h. sie haben in Stresssituationen
weniger Angst und weniger kognitive Störungen. Aufgrund dieser Experimente
nimmt man an, dass die Kardinalsymptome der Depression mit einer erhöhten
Aktivität des CRH-Systems im Gehirn zusammenhängen, welche ihrerseits die
Symptome der Depression bewirkt. Durch Substanzen, welche die Aktivität des
CRH am CRH-Rezeptor verhindern, kann die depressiogene Wirkung des CRH
ausgeschaltet werden. Solche Substanzen konnten inzwischen identifiziert werden;
bei einer davon wird zur Zeit am Max-Planck-Institut für Psychiatrie untersucht, ob
sich ihre antidepressive Wirkung bestätigen lässt.

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   Modul 9

Veranlagung und Depression
Beim Entstehen einer Depression spielt auch die Veranlagung eine Rolle. Die
Wissenschaft unterscheidet zwischen genetischer und erworbener Veranlagung.
Eine erworbene Veranlagung wird im Gegensatz zur genetischen Veranlagung nicht
vererbt, sondern entsteht zum Beispiel durch ein frühkindliches Trauma. Im folgen-
den ist nur von der genetischen Veranlagung die Rede.
Familien-, Zwillings- und Adoptionsstudien belegen, dass bei manchen Menschen
eine genetische Prädisposition für Depression besteht.
So zeigen Familienuntersuchungen, dass Verwandte depressiver Patienten zu
mindestens 20% ebenfalls depressiv sind. Damit tritt die Depression im Familien-
kreis öfter auf als in der Allgemeinbevölkerung (5-10%). Bei eineiigen Zwillingen ist
das Phänomen noch häufiger: Hat ein Zwilling eine Depression, hat der andere
Zwilling sie in über 40% der Fälle ebenfalls. Bei zweieiigen Zwillingen beträgt die
Rate 20%. Und Adoptionsstudien zeigen, dass die biologischen Eltern depressiver
Adoptierter ebenfalls häufig depressiv sind.
Die Zwillingsstudien zeigen allerdings auch, dass der genetische Faktor nur ein
Teilfaktor ist. Selbst bei identischer genetischer Ausstattung erkrankt der Zwillings-
partner des depressiven Patienten in weniger als der Hälfte der Fälle. Beim Ent-
stehen einer Depression spielen immer auch Umweltfaktoren eine Rolle.
Wie die mögliche genetische Grundlage der Depression allerdings aussehen
könnte, darüber besteht keine Einigkeit. Einvernehmen herrscht im Moment nur
darüber, dass es ein isoliertes „Depressions-Gen“ nicht gibt.
In einem Teilprojekt des Kompetenznetzes suchen Forscher jetzt nach den Genen,
die an der Anfälligkeit für eine depressive Erkrankung beteiligt sind, und wollen
aufklären, wie diese Gene jeweils den Krankheitsverlauf beeinflussen. Außerdem
möchten sie herausfinden, ob genetische Faktoren Einfluss darauf haben, wie
Patienten auf Psychopharmaka ansprechen. Diese Forschung soll dabei helfen,
Depression besser zu verhüten und gezielter zu behandeln.

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