Gentests in der Medizin - ein Update Tests génétiques en médecine - L'actualité - Zentrum für Kardiovaskuläre Genetik und ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
CME-FORTBILDUNG P P M MEDIC Humangenetik Génétique humaine Gentests in der Medizin – ein Update Tests génétiques en médecine – L’actualité Caroline Henggeler, Gabor Matyas, Schlieren -Zürich ―― Gentest ist nicht gleich Gentest: Die verwendeten Methoden bestimmen ■■ Die stetigen Fortschritte in der Humangenetik, die massgeblich die jeweilige Aussagekraft. mit der exponenziellen Entwicklung der Computer- ―― Mit entsprechenden modernsten Gentests können heute Diagnosen technik vergleichbar sind, führen zur Identifizierung gestellt werden, die sonst nicht möglich wären. der Ursache von immer mehr genetisch bedingten ―― In der Familie gehäuftes und/oder frühes bzw. syndromales Auftreten Krankheiten. So kann heute zunehmend eine Diag- einer Krankheit kann auf eine genetische Ursache hinweisen. nose mittels genetischer Untersuchung (Gentest) des ―― Die genetische Abklärung hat Bedeutung nicht nur für Diagnose, Erbguts (DNA) gestellt, bestätigt oder ausgeschlos- Prognose, Prävention und Familienberatung, sondern auch für die sen werden. Solche Gentests zu medizinischen Zwe- ursächliche bzw. pharmakologische Behandlung. cken (Gendiagnostik), auf die der vorliegende Artikel fokussiert, sind nicht zu verwechseln mit (Lifestyle-) ―― Il y a test génétique et test génétique: les méthodes utilisées déter- Gentests zu nicht-medizinischen Zwecken aus dem minent fortement la valeur informative correspondante. Internet oder der Apotheke (Abb. 1). ―― Avec les tests génétiques appropriés les plus modernes, il est actuelle- ment possible de poser des diagnostics qui seraient autrement impos- Zunehmende Bedeutung der Gendiagnostik sibles. Monogene Krankheiten werden durch die Mutation ―― L’apparition fréquente et/ou précoce, voire syndromique d’une maladie eines einzelnen Gens verursacht, während bei häufi- au sein d’une famille peut indiquer une cause génétique. gen multifaktoriellen Krankheiten die (genetischen) ―― L’évaluation génétique est importante non seulement pour le diagnostic, Einflüsse meist vielfältig und erst in der Summe stark le pronostic, la prévention et le conseil familial, mais également pour sind. Gendiagnostik kann prä- oder postnatal durch le traitement étiologique ou pharmacologique. Untersuchung der Chromosomen (Zytogenetik) und/ oder der Gene (Molekulargenetik) erfolgen und wird hauptsächlich in Situationen eingesetzt, in denen klini- sche Untersuchungen keine abschliessende Diagnose erlauben. Dies ist besonders wichtig in der Frühphase einer Krankheit sowie bei Kindern und Jugendlichen. Wenn die krankheitsverursachende Mutation bekannt ist, kann bei Blutsverwandten auch präsymptomatisch abgeklärt werden, ob eine genetische Veranlagung für die familiäre Krankheit vorliegt oder nicht. Dabei ist zu beachten, dass die genetische Abklärung einer spätma- nifestierenden Krankheit und des Trägerstatus einer rezessiven Krankheit Volljährigen vorbehalten ist. Die Diagnose des zugrunde liegenden Gende- fekts ermöglicht ein gezieltes Krankheitsmanagement und in einigen Fällen können therapeutische Strate- gien auf die individuell ursächliche Mutation ange- passt werden. Die Forschung sucht stets nach neuen massgeschneiderten Medikamenten, welche die indivi- duellen genetischen Eigenschaften der Patienten mit- berücksichtigen («personalized/precision medicine»). Auch die Bedeutung der Pharmakogenetik, welche Credits auf die Wahl und Dosierung eines geeigneten Medika- ments ermöglicht, nimmt stetig zu, da damit Neben- wirkungen, unnötige Zeitverluste bei der Medika- menteneinstellung sowie diesbezüglich entstehende Einloggen, Fragen beantworten und direkt zum Zertifikat gelangen Kosten vermieden werden können. 14
HAUSARZT PRAXIS 2017; Vol. 12, Nr. 9 CME-FORTBILDUNG Hochdurchsatz-Gendiagnostik Abb. 1: Gentest ist nicht gleich Gentest Die wichtigste Methode der gezielten Untersuchung von Genen ist die DNA-Sequenzierung, welche die Gentest ≠ Gentest Abfolge der Nukleotidbasen des Erbguts (A, T, G, C) bestimmen und dadurch Genmutationen genau erfas- Ausserhalb des Innerhalb des sen kann. Solche Genanalysen werden mit einer noch medizinischen Bereichs medizinischen Bereichs nie da gewesenen Effizienz mittels Hochdurchsatz- (Molekulargenetik/SNP-Arrays) (Zytogenetik, Molekulargenetik) Sequenzierung («next generation sequencing», NGS) à «direct-to-consumer testing» à vom Arzt veranlasst durchgeführt. NGS ist effizienter als die klassische Einzelgenanalyse mittels Sanger-Sequenzierung und Apotheke (z.B. Progenom) Wissen Wissen nicht besonders erfolgreich in der Erkennung von Krank- Internet (z.B. 23andme) vorhanden vorhanden heitsursachen sowie der Analyse von im Blut zirkulie- render zellfreier DNA und der Einzelzelluntersuchung von kleinsten Bioproben. Testen ausgewählter Testen bekannter Studien/ Bei NGS wird entweder eine ausgewählte Kom- Sequenzabweichungen Gene (alle Sequenz- Forschung bination (sog. Panel) von Genen («targeted sequen- abweichungen) cing», TS), das ganze Genom («whole genome sequen- cing», WGS; ~3 Milliarden Nukleotidbasen) oder Kosten (CHF) = Kosten (CHF) = Kosten (CHF) = dessen kodierender Bereich («whole exome sequen- von 100 bis 1000 von 400 bis 6600 mehrere cing», WES; ~20 000 Gene) untersucht. Schon aus die- nach Marktwirtschaft nach Analysenliste (Zehn-)Tausend sem Grund ist NGS nicht gleich NGS (Abb. 2). Hinzu kommt noch der gendiagnostisch relevante Leistungs- Gentests im medizinischen Bereich (vom Arzt veranlasste Gendiagnostik) unterscheiden sich von Gentests ausserhalb des medizinischen Bereichs (Lifestyle-Gentests, sog. «direct-to- bzw. Qualitätsunterschied zwischen den NGS-Metho- consumer genetic testing») nicht nur anhand der verwendeten Technologien und des Unter den. suchungsspektrums, sondern vor allem in der Aussagekraft der Resultate für die untersuchte TS kann bestimmte Genbereiche besonders inten- Person. siv analysieren, indem man die Sequenz von mehr als 1000 DNA-Kopien («reads») erfasst und dadurch kleine Mengen (
CME-FORTBILDUNG P P M MEDIC Abb. 2: N GS ist nicht gleich NGS Genomische Zeit/Kosten Positionen/Abweichungen Hochdurchsatz-Sequenzierung Positionen (Panel, WES, WGS) Tage bis Wochen bis ~3 Milliarden Wahl der passenden Technik aufgrund von Menge 2300 TP (WGS) und Qualität des Ausgangsmaterials, «read depth», «read»-Länge, Fehlerrate, Zeit Vergleich mit Referenzgenom Abweichungen Abhängig von Hardware/Software bzw. Referenz- bis ~3 000 000 genom-Version existieren Unterschiede betreffend (WGS) Genauigkeit, Zeit, Speicherbedarf, Datenschutz und -sicherheit Stunden bis Tage 1–10 Gene: 600 TP 11–100 Gene: 1000 TP In-silico-Interpretation >100 Gene: 1500 TP Schwierigkeiten betreffend Sequenzabweichungen Abweichungen mit unbekannter Bedeutung (VUS), insbesondere ~1500 (WGS) intronische und intergenische Abweichungen, Splicing-Abweichungen sowie infolge mono allelischer Expression Konsequenz der Abweichung bekannt? Problem: Funktion für ~50% aller Gene unbekannt ja nein Bestätigung der Forschung Abweichung Schwierigkeiten (Sanger- betreffend Sanger-Sequenzierung: Sequenzierung) Segregationsanalyse Wochen Schwierigkeiten à Erreichbarkeit von 1−6× 215 TP Abweichungen betreffend Primer- Familienmitgliedern 1–6 design, spezifische à späte Manifestation Forschung: Amplifikation des der Krankheit Monate bis Jahre PCR-Produkts mit der zu funktionelle Analyse nicht vergütet bestätigenden Sequenz à Zeit abweichung à Translation zum Mensch Monate bis Jahre Molekulare Diagnose 2900–6575 TP Testen von Familienmitgliedern Wochen bis Monate Erreichbarkeit von Familienmitgliedern 400 TP pro Person Übersicht der einzelnen Schritte der Hochdurchsatz-Sequenzierung, wobei bei jedem Schritt die technischen und fachlichen Herausforderungen, die ungefähre Anzahl der dabei vorliegenden Sequenzabweichungen sowie Zeit- und Kostenangaben ersichtlich sind TP = Taxpunkte gnostischer Sicherheit zumindest einer aufwendigen sind [3]. Schon dies zeigt, dass Resultate einer geneti- Segregationsanalyse in der Familie (falls möglich) schen Untersuchung nicht mit anderen medizinischen und/oder funktioneller Assays/Studien (z.B. anhand Labortests vergleichbar sind und deren Auswertung in eines entsprechenden Tiermodells). fachkundige Hände von Spezialisten für Medizinische Genetik FAMH/FMH gehört. Die aktuelle Analysen- Klinisch relevante Zufallsbefunde liste regelt daher, dass NGS von mehr als zehn Genen Vor einer genetischen Untersuchung muss mit der zu nur durch Ärzte mit eidgenössischem Weiterbildungs- untersuchenden Person auch besprochen werden, ob titel «Medizinische Genetik» verordnet werden darf. allfällige Zufallsbefunde mit klinischer Bedeutung, Auch soll die vor und nach einer genetischen Untersu- aber ohne Bezug zur Fragestellung (sog. «incidental chung gesetzlich vorgeschriebene genetische Beratung findings») nur dann mitgeteilt werden sollen, wenn durch Medizinische Genetiker erfolgen (GUMG Art. Vorsorge- oder Behandlungsmassnahmen bekannt 14). Die Beratung darf nur der individuellen und fami- 16
HAUSARZT PRAXIS 2017; Vol. 12, Nr. 9 CME-FORTBILDUNG nach [1,2] Abb. 3: Vergleich von drei Hochdurchsatz-Sequenzierungstechnologien (WES sowie WGS mit und ohne PCR-Anreiche- rung) am Beispiel einer DNA-Sequenz mit hohem GC-Gehalt: Da die Anreicherung von GC-reichen Sequenzen schwierig ist, können Technologien, die einen Anreicherungsschritt beinhalten (hier 100× WES mit Hybridisierung bzw. 60× WGS mit PCR), solche DNA-Abschnitte nur lückenhaft abdecken (d.h. «read depth»
CME-FORTBILDUNG P P M MEDIC Literatur: 1. Meienberg J, et al.: New insights into the performance of human whole-exome capture platforms. Nucleic Acids Res 2015; 43: e76. 2. Meienberg J, et al.: Clinical Sequencing: Is WGS the better WES? Hum Genet 2016; 135: 359–362. 3. Kalia SS, et al.: Recommendations for reporting of secon- dary findings in clinical exome and genome sequencing, 2016 update (ACMG SF v2.0): a policy statement of the American College of Medical Genetics and Genomics. Dipl. Biol. Caroline Henggeler Genet Med 2017; 19: 249–255. henggeler@genetikzentrum.ch Weiterführende Literatur: –– Henggeler C, Matyas G: Wege der Diagnostik – Gentests zu medizinischen Zwecken. Hausarzt Praxis 2015; 10(3): 4. –– Matyas G, Henggeler C, Oexle K: Kardiovaskuläre Genetik und Gendiagnostik. Medinfo 2015; 2: 16–24. –– Matyas G, Spiegel R: Genetische Abklärungen zu medizi- nischen Zwecken. Medinfo 2012; 2: 50–58. –– Oexle K, Henggeler C, Matyas G: Die zunehmende Bedeu- tung der Genetik in der Medizin. Hausarzt Praxis 2015; 10(9): 9. PD Dr. sc. nat. Gabor Matyas matyas@genetikzentrum.ch Spezialisten für Medizinische Genetik FAMH Genetikzentrum der Stiftung für Menschen mit seltenen Krankheiten Wagistrasse 25 8952 Schlieren-Zürich 18
HAUSARZT PRAXIS 2017; Vol. 12, Nr.9 CME-FORTBILDUNG Facetten der Labormedizin Aspects de la médecine de laboratoire Junges Fachgebiet mit grosser Relevanz Un domaine récent d’une grande importance ■■ Diese Ausgabe der HAUSARZT PRAXIS wid- matisiert und in einem Praxislabor durchgeführt wer- met sich mit zwei Schwerpunktartikeln dem Thema den. Resultate genetischer Untersuchungen sind «Labormedizin». Obwohl die Labormedizin ein rela- zudem keine Momentaufnahme des Gesundheitszu- tiv junges Fachgebiet der Medizin darstellt, wäre die stands, sondern gelten lebenslang. Trotz der rasan- moderne Medizin ohne sie nicht mehr vorstellbar. ten Entwicklung von genetischen Untersuchungsme- Immerhin werden rund zwei Drittel aller diagnosti- thoden ist und bleibt in der absehbaren Zukunft die schen und therapeutischen Entscheidungen von den Interpretation von genetischen Daten mit diagnosti- Resultaten labormedizinischer Analysen beeinflusst. scher Sicherheit oft eine Herausforderung, die je nach Laborresultate leisten somit einen wichtigen, in der Fall viel Zeit in Anspruch nehmen kann. Warum dies Öffentlichkeit kaum bekannten Beitrag zur hohen so ist und wieso Gentest nicht gleich Gentest ist, wird Qualität unseres Gesundheitswesens. Dabei machen im zweiten Schwerpunktartikel zum Thema «Human- alle labormedizinischen Analysen zusammen nur genetik» näher erläutert, wobei Leserinnen und Leser wenige Prozente der Gesamtkosten im schweizeri- auf den neuesten Stand gebracht werden. schen Gesundheitswesen aus. Es ist daher zu hoffen, dass die Labormedizin in der Zukunft ohne unnötigen Wir wünschen Ihnen eine interessante und berei- Preisdruck weiterhin nach neuesten Standards arbei- chernde Lektüre und viel Vergnügen beim Lesen! ten kann. Labormedizinische Analysen – seien sie in einem Praxis- oder Auftragslabor durchgeführt – werden in der Regel zum Ausschluss bzw. zur Bestätigung, The- rapiekontrolle oder Risikoevaluation einer Erkran- kung/Krankheit eingesetzt. Dank der technologischen Entwicklung ist eine rasche Verfügbarkeit von Labor- werten in den meisten Bereichen der Labormedizin heute Alltag. So wird in dieser Ausgabe im Artikel über praxisrelevante Notfälle jeweils am Beispiel von Dyspnoe/Herzinsuffizienz, Hyperglykämie, akutem Herzinfarkt und akutem Nierenversagen eindrücklich erklärt, wie in diesen vier exemplarischen Notfallsitu- ationen die im Praxislabor verwendeten Labormetho- den rasch eingesetzt und die gemessenen Laborwerte interpretiert werden sollen. Im Gegensatz zu raschen Routinetests stellen genetische Untersuchungen einen besonderen Bereich der Labormedizin dar. Sie können nur bedingt auto- Dipl. Biol. Caroline Henggeler, Schlieren-Zürich Credits auf Einloggen, Fragen beantworten und direkt zum Zertifikat gelangen 13
Sie können auch lesen