Georg Mylius - Industrie apotheker und Pionier der Farbfotographie* - TU ...

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Georg Mylius - Industrie apotheker und Pionier der Farbfotographie* - TU ...
ISSN 0939 - 334X | 71. Jahrgang | April 2019 |            1/2

  Geschichte der Pharmazie
       DAZ Beilage | Redaktion Prof. Dr. Wolf-Dieter Müller-Jahncke | Prof. Dr. Christoph Friedrich

Georg Mylius – Industrie­                                                                                   EDITORIAL
                                                                                                            Bla bla bla …

apotheker und Pionier der                                                                                   schrieb der Setzer in das drucktechni-
                                                                                                            sche „vacat“ dieser Ausgabe der „Ge-
                                                                                                            schichte“ und wollte damit andeuten,

Farbfotographie*
                                                                                                            dass ihm der Text des Editorials noch
                                                                                                            nicht vorlag. Und doch waren diese ei-
                                                                                                            gentlich sinnlosen Buchstaben sehr
                                                                                                            sinnvoll, denn sie hinterfragen den
                                                                                                            Sinn eines Editorials in einem zwar
Christoph Friedrich | Der Apotheker              die er allerdings schon 1885 wieder                        weit gestreuten, aber vielleicht doch
Georg Heinrich Mylius (1884–1979)                verkaufte, um im gleichen Jahr die En-                     nur wenig gelesenen Periodikum. Diese
fand in der Pharmaziegeschichte                  gel-Apotheke in Leipzig zu erwerben,                       Texte, die zur Gattung des „Tages-
bisher kaum Erwähnung, auch in                   die er bis 1908 leitete. Ernst Mylius                      schrifttums“ zählen, haben dennoch
der Deutschen Apotheker-Biogra-                  war ein Schüler des bedeutenden Che-                       ihre Berechtigung: Zum einen spiegeln
                                                                                                            sie allgemeine Richtungen und Trends
phie fehlt sein Name. Dabei erwarb               mikers August Wilhelm von Hofmann
                                                                                                            in der Pharmazie und der Pharmaziege-
er sich als einer der Pioniere der               (1818–1892) und hatte 1874 eine Stelle
                                                                                                            schichte wider, zum anderen weisen sie
Farbfotographie – er widmete sich                als Betriebschemiker in der Badischen                      auf den Inhalt der folgenden Seiten hin
in Marburg, wo er promoviert wur-                Anilin- und Sodafabrik (BASF) über-                        und stellen so einen Anreiz dar, weiter
de, bereits sehr erfolgreich dem Lu-             nommen, ehe er sich als praktischer                        zu lesen. Im Übrigen stehen sie in der
mière-Verfahren –, aber ebenso als               Apotheker niederließ. Möglicherweise                       Tradition der Hauptkommentare großer
Industrieapotheker, u. a. als Be-                weckte er bei seinem Sohn Interesse                        Tageszeitungen wie der FAZ, auch
triebsleiter der Leo-Werke GmbH in               an der industriellen Herstellung. Zu-                      wenn sie deren Wirkmächtigkeit nie er-
                                                                                                            reichen können. Soweit nun die Recht-
Dresden, wie auch als Autor wissen-              gleich galt er als hoch geschätzter
                                                                                                            fertigungs-Präludien – der Inhalt
schaftlicher Werke große                         Fachschriftsteller, der nicht nur ein be-
                                                                                                            spricht hingegen für sich: Es wird der
Anerkennung. Im Rahmen einer im                  deutendes Lehrbuch, die Schule der                         bisher nur wenig bekannte Apotheker
Staatsarchiv Marburg veranstalte-                Pharmacie. Bd. 1, praktischer Teil, 1893                   Georg Mylius, ein Pionier der Farbfoto-
ten Ausstellung werden seine Bio-                verfasst hatte, sondern sich auch in der                   graphie des 20. Jahrhunderts und spä-
graphie und seine Verdienste für                 Standespolitik engagierte. Seine Kritik                    terer Leiter der Leo-Werke in Dresden,
die Pharmazie näher analysiert.                  am DAB 2, das noch in lateinischer                         vorgestellt. Zudem findet sich ein Bei-
                                                 Sprache abgefasst war, führte dazu,                        trag über altägyptische Medizin, von
                                                                                                            einer Fachfrau auch für Laien (Nicht-
Georg Heinrich Mylius wurde am 29.               dass das DAB 3 dann in deutscher
                                                                                                            Ägyptologen) verständlich dargestellt,
Juli 1884 als Sohn des Apothekenbesit-           Sprache erschien. Zudem entwickelte                        sowie eine Abhandlung zu Karikaturen
zers Dr. phil. Ernst Mylius (1846–1929)          er als Spezialität den „Liquor Colchici                    auf die türkische Pharmazie, der offen-
in Freiberg in Sachsen geboren. Sein             compositus“, verfasste aber auch Bü-                       bart, wie sich trotz aller Gegensätze
Vater Ernst Mylius hatte 1876 die Ele-           cher zur Meteorologie.1                                    zwischen Orient und Okzident die Pro-
fanten-Apotheke in Freiberg erworben,            Seine Jugend verlebte Georg Mylius in                      bleme der Apotheker und die Sichtwei-
                                                 Leipzig, wohin der Vater zwei Jahre                        se ihrer Patienten (zu denen auch die
                                                 nach seiner Geburt übergesiedelt war.                      Karikaturisten gehören), gleichen. Die
                                                                                                            Redaktion der „Geschichte der Pharma-
* Meinem Kollegen und Mitstreiter in der Phar-   Hier besuchte er das Real-Gymnasium,
                                                                                                            zie“ wünscht den geneigten Lesern
maziegeschichte Wolf-Dieter Müller-Jahncke in    begann aber bereits am 9. Juli 1902                        Freude und Belehrung bei der Lektüre.
Dankbarkeit für die jahrzehntelange Freund-      seine pharmazeutische Ausbildung in
                                                                                                                                   W.-D. Müller-Jahncke
schaft zum 75. Geburtstag gewidmet               der väterlichen Engel-Apotheke.

                                                                                              Nr.1/2 | April 2019 | 71. Jahrgang | Geschichte der Pharmazie |   1
                                                    https://doi.org/10.24355/dbbs.084-201911081256-0
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Geschichte der Pharmazie

Im September 1905 bestand er das                                                                              war erforderlich, denn Georg Mylius
Pharmazeutische Vorexamen mit                                                                                 hatte, wie die meisten Apotheker, kein
„sehr gut“ und wechselte ein Jahr spä-                                                                        Abitur, sondern seine Gymnasialaus-
ter in die Heidelberger Schwan-Apo-                                                                           bildung 1901 mit der Berechtigung
theke, die er aber bald verließ, um er-                                                                       zum Einjährigen Freiwilligen Militär-
neut in der Engel-Apotheke in Leipzig                                                                         dienst beendet. Für Pharmazeuten war
tätig zu werden.                                                                                              eine Promotion zwar ohne Abitur mög-
                                                                                                              lich, sie musste allerdings beim Minis-
                                                                                                              terium der geistlichen Unterrichts-
Studium in Marburg                                                                                            und Medizinalangelegenheiten in Ber-
 1906 immatrikulierte er sich an der                                                                          lin speziell beantragt werden. Die Be-
 Universität Marburg, wo insbesondere                                                                         fähigung zum Einjährigen Dienst, die
 die Pharmazeutischen Chemiker Ernst                                                                          Mylius ebenso erworben hatte wie das
 Schmidt (1845–1921), Erwin Rupp                                                                              Pharmazeutische Vorexamen, waren
 (1872–1956) und Oskar Keller (1877–                                                                          dafür Bedingung.
 1959), der Botaniker Arthur Meyer                                                                            Betreuer seiner Dissertation war der
 (1850–1922),2 aber auch die Philoso-                                                                         Apotheker und seit 1891 ordentliche
 phen Paul Gerhard Natorp (1854–1924)                       Abb. 1: Georg Mylius im Alter von 24              Professor der Botanik und Direktor
 und Hermann Cohen (1842–1918), der                         Jahren, Foto: Wilhelm Risse                       des Botanischen Gartens sowie des Bo-
 Meteorologe und Physiker Alfred                                                                              tanischen und Pharmakognostischen
 Wegener (1880–1930), der Archäologe                                                                          Instituts der Universität Marburg, Ar-
                                                       Das Promotionsverfahren
 Ludwig von Sybel (1846–1929), der                                                                            thur Meyer. Meyer, in Langensalza ge-
 Universitätsmusikdirektor Gustav Jen-
                                                       von Georg Mylius                                       boren, hatte die Pharmazeutische
 ner (1865–1920), der Mathematiker                     Im Februar 1912 sandte Georg Mylius                    Staatsprüfung in Straßburg absolviert
 und Kunsthistoriker Carl Alhard von                   seine Dissertation an den Dekan der                    und war anschließend Assistent bei
 Drach (1839–1915), der Kunsthistori-                  Philosophischen Fakultät, den Ordina-                  Friedrich August Flückiger (1828–
 ker Constanz Franz Bock (1876–?) und                  rius und Professor für neue deutsche                   1894) gewesen, unter dem er 1882 pro-
 der Professor der Hygiene, Paul Hein-                 Sprache und Literatur, Ernst August                    moviert worden war. Drei Jahre später
 rich Römer (1876–1916) seine Lehrer                   Elster (1860–1940). Der Dissertation                   habilitierte er sich in Göttingen für
 waren.3 Die große Anzahl der in sei-                  war ein handschriftlicher Lebenslauf                   Botanik und übernahm ein Jahr später
 ner Dissertation erwähnten akademi-                   beigelegt sowie ein Gesuch um Dis-                     eine außerordentliche Professur für
 schen Lehrer zeigt seine vielseitigen                 pens nach § 1 Abs. B des Auszuges                      Pharmazeutische Chemie in Münster.
 Interessen: Neben pharmazeutischen,                   aus der Promotionsordnung der Philo-                   Als Schüler Flückigers6 erhielt er eine
 naturwissenschaftlichen und medizi-                   sophischen Fakultät. Dieses Gesuch                     hervorragende Ausbildung, die ihn für
 nischen Fächern erstreckten sich die-
 se auf Geschichte und Kunstgeschich-
 te, aber auch Musik. Mylius war als
 Schüler von Maximilian Schwedler
 (1853–1940) in Leipzig4 ein guter Flö-
tist, der später mit seiner Ehefrau Ilse
Hausmusik pflegte und als erster Solo-
flötist des Mozart-Vereins in Dresden
wirkte5.
 1908 legte Georg Mylius das Pharma-
zeutische Staatsexamen ab und wid-
mete sich anschließend im Botani-
schen Institut der Universität Mar-
burg im Alten Botanischen Garten
­seinen Studien zur Dissertation. Dane-
 ben dürfte er bei den angegebenen
 Professoren Vorlesungen zur Erweite-
 rung seiner Bildung gehört haben. Au-
 ßerdem arbeitete Georg Mylius ab
 1910 in einer Apotheke in Wetter.
 1912 erhielt er seine Approbation als                      Abb. 2: Der 26jährige Georg Mylius (l.) als Promovend im Botanischen Institut der Uni­
 Apotheker.                                                 versität Marburg

2 | Geschichte der Pharmazie | 71. Jahrgang | April 2019 | Nr.1/2
                                                           https://doi.org/10.24355/dbbs.084-201911081256-0
Georg Mylius - Industrie apotheker und Pionier der Farbfotographie* - TU ...
Geschichte der Pharmazie

                                                                      hervorragende zu be-        einer Spitzbergen-Expedition begleiten
                                                                      zeichnen“.8 Die Arbeit      wolle. Wegen seiner Beinprobleme
                                                                      selbst war mit 120 Sei-     lehnte Mylius aber ab, und die Expedi-
                                                                      ten für diese Zeit unge-    tion fand ohne ihn statt. Wie er in sei-
                                                                      wöhnlich umfangreich    9
                                                                                                  nem Brief sarkastisch feststellte, hatte
                                                                      und vorbildlich, sodass     dann ein anderer durch Erfrieren sei-
                                                                      Meyer, nachdem er           ne Füße verloren.
                                                                      nochmal betont hatte,       Das Examen, so schreibt Mylius, fand
                                                                      dass der Kandidat auch      jedoch nicht bei Wegener, sondern
                                                                      das Staatsexamen mit        bei dem Ordinarius der Physik, Franz
                                                                      der Note 1 bestanden        Richarz (1860–1920), statt.13 Auch die-
                                                                      habe, resümierend fest-     ser kannte Myliusʼ Farbfotographien,
                                                                      stellte: „Besonders auch    die, wie er betont, „damals etwas sen-
                                                                      mit Rücksicht auf die       sationell Neues waren: das Lumière-
                                                                      Dienste, welche er durch Verfahren, denn Farbfilme gab es da-
                                                                      die exakt durchgeführ-      mals noch nicht“.14 Mylius war Richarz
                                                                      ten Untersuchungen der      auf einem „Pirschgang“, also auf der
                                                                      Botanik geleistet hatte,    Jagd, begegnet und besuchte dessen
                                                                      befürworte ich sein Ge-     Haus auch zum Musizieren. Hier wur-
                                                                      such angelegentlich“.10     de ihm erklärt, dass er an ­einem Pult
                                                                      Mylius schilderte rück-     säße, an dem schon Felix Mendels-
                                                                      blickend in einem Brief     sohn-Bartholdy (1809–1847) gespielt
     Abb. 3: Titelblatt der Dissertation von G. Mylius                an seinen Sohn Gering       hätte, denn Richarz war mit der Fami-
                                                                      Mylius (1920–2015) sein lie Mendelssohn bekannt. Seine Frau,
seine Tätigkeit in Marburg bestens                  Promotionsverfahren und bemerkte,             eine Tochter des Physiologen Emil du
vorbereitete.7                                      dass er „in Marburg nicht ganz unbe-          Bois-Reymond (1818–1896), hatte zu-
Der Dekan der Philosophischen Fakul-                kannt durch 24 Farbfotografien, die           dem mit Mylius‘ Vater in Berlin in en-
tät bat, ehe er das Promotionsverfah-               ich als Postkarten veröffentlicht hat-        gerem Kontakt gestanden. Georg Myli-
ren von Mylius weiterführen wollte,                 te“, war. Außer in Botanik wurde er
                                                              11
                                                                                                  us widmete sich gemeinsam mit der
Arthur Meyer um ein Gutachten über                  auch in Physik geprüft, einem Fach,           Frau von Richarz ferner dem Bogen-
die Arbeit. Dieses Gutachten vom 25.                das ihm, wie er erstaunlicherweise an- schießen, und auf der Hygiene-Aus-
Februar 1912 findet sich in der Promo-              gibt, nicht zusagte. Er wandte sich da-       stellung in Dresden 1911 gab es ein
tionsakte und ist ungewöhnlich posi-                her an den Geophysiker und Meteoro-           gemeinsames „Bogenschießmeeting“.15
tiv. Thema der Arbeit, die 1912 in Mar-             logen Alfred Wegener, der seine
                                                                               12
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burg gedruckt wurde, war Das Poly­                  Farbfotographien kannte. Wegener              er sich erinnerte, 1912 im Frack bei
derm. Eine vergleichende Untersuchung               fragte ihn, ob er ihn als Fotograph auf       Wegener einen „Höflichkeitsbesuch“
über die physiologischen Scheiden Poly­
derm, Periderm und Endodermis. Meyer
betont darin, dass Mylius in seiner Ar-
beit „eine bisher unbekannte physiolo-
gische Scheide der höheren Pflanzen
[behandelt]. Es ist in ihr der Begriff
des Polyderms aufgestellt worden, und
es sind die unter diesem ­Begriff zu-
sammengefassten anatomischen Tatsa-
chen in sorgfältiger und umfassends-
ter Weise dargestellt worden. So wird
die Arbeit von Mylius für ein nicht un-
wichtiges Gebiet der Anatomie der hö-
heren Pflanzen grundlegend bleiben.
Zugleich enthält die Arbeit eine kriti-
sche Zusammenfassung dessen, was
wir über das Periderm wissen. Diese
Zusammenfassung würde allein für
eine Dissertation ausreichen. Die ein-                  Abb. 4: Farbfotographie nach dem Lumière-Verfahren von Georg Mylius: Blick auf die
gereichte ­Arbeit ist durchaus als eine                 Alte Universität und Weidenhäuser Brücke

                                                                                            Nr.1/2 | April 2019 | 71. Jahrgang | Geschichte der Pharmazie |   3
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Georg Mylius - Industrie apotheker und Pionier der Farbfotographie* - TU ...
Geschichte der Pharmazie

und eröffnete seinem Prüfer, dass er                   legt. Ein Zeugnis von Dr. Friedrich                    wie Tetzner hervorhob, den gesamten
zu allem geprüft werden könne, was                     Tetzner aus dem Jahre 1925 erlaubt                     Umzug des Unternehmens und lernte
Heiterkeit hervorrief. Wegener stellte                 Einblicke in die Tätigkeit von Mylius                  die Arbeiter an, mit den entsprechen-
ihm, wie er berichtet, dann unter an-                  in der kosmetischen Fabrik in Altona-                  den Maschinen umzugehen.19
derem eine knifflige Frage: „Wenn                      Ottensen. Tetzner schreibt, dass Myli-                 Georg Mylius schied während der
eine kalte und eine warme Luftschicht                  us als Geschäftsführer „die betriebs-                  Wirtschaftsdepression 1927 aus dem
übereinander gleiten, so entstehen                     technischen und wirtschaftlichen Ob-                   Unternehmen aus. Anschließend war
Wellen. In welcher Schicht entstehen                   liegenheiten“ erfüllte und „den gestell-               er in einigen Apotheken, so in Sülfeld
die größeren Wellen?“ Mylius antwor-                   ten vielseitigen Anforderungen in                      in Holstein, in Altona-Othmarschen,
tete gemäß eines Analogieschlusses:                    einer hervorragenden Weise gerecht                     in der Löwen-Apotheke Wismar und in
„In der warmen Luftschicht.“ Mylius                    geworden“ sei. Er betont dessen beson-                 Falkenburg in Pommern tätig.20
bestand seine Prüfung insgesamt mit                    dere Erfahrungen „in der Zusammen-
Eins.16                                                stellung und Ausarbeitung von kosme-
                                                                                                              Aufenthalt in Kirchen
Von Marburg aus unternahm er eine                      tischen Präparaten und Parfümen jeg-
Ballonfahrt nach Bremerförde, und er                   licher Art.“ Im Einzelnen beschäftigte
                                                                                                              an der Sieg
wurde gefragt, ob er mit seiner Farbfo-                sich Georg Mylius hier, wie es im                      Von 1928 bis 1929 arbeitete Mylius in
tographie nicht auch Wolkenaufnah-                     Zeugnis heißt, mit Herstellungsvor-                    der Privilegierten Apotheke in Kir-
men machen könne. Das Lumière-Ver-                     schriften für Kopfwässer, Toiletten-                   chen an der Sieg bei Apotheker Walter
fahren bewährte sich dazu aber nicht,                  wässer, Luxuslotiones, Parfüme, Zahn-                  Jahncke (1885–1943),21 dem Großvater
da alle Bilder blaustichig wurden.17                   wässer, Zahncremes, Puder, Schmin-                     des Pharmaziehistorikers Wolf-Dieter
Das Lumière-Verfahren war zu Beginn                    ke, Brillantine, Seifen und Seifenpar-                 Müller-Jahncke. Wie Jahncke in sei-
des 20. Jahrhunderts in Frankreich                     füme. Aber es waren nicht nur seine                    nem Zeugnis feststellte, hatte Mylius
von den Brüdern Auguste Marie Louis                    fachlichen Kenntnisse als Chemiker,                    „die bei seinem Eintritt gestellte Auf-
Nicolas Lumière (1862–1954) und Lou-                   Kosmetiker und Parfümeur, die Tetz-                    gabe“, ein Homöopathisches Laborato-
is Jean Lumière (1864–1948) entwi-                     ner hervorhebt, sondern ebenso sein                    rium auszubauen,22 zu seiner „vollsten
ckelt worden. Es erlaubte farbige foto-                „feiner Geschmack an der Ausstattung                   Zufriedenheit ausgeführt“.23
graphische Direktaufnahmen mittels                     der Präparate“. Hier zeigen sich, wie                  Dabei erwies er sich, wie Jahncke be-
nur einer Platte, indem es sich eines                  bei den von ihm gemachten Farbfotos,                   tonte, als hervorragender Organisator,
Farbfilters aus Kartoffelstärkekörnern                 sein künstlerisches Talent und sein                    tüchtiger Kaufmann und konnte dank
bediente.                                              Sinn für Gestaltung. Hervorgehoben                     „genauer Kenntnis maschineller Ar-
Bei den von Mylius erstellten Bildern                  wird ferner, dass er den gesamten Fab-                 beitsmethoden und der Behandlung
mit Autochrom-Platten, die z. T. bis                   rikbetrieb auf maschinelle Arbeits­                    von Maschinen [...] die Herstellung
heute erhalten geblieben sind, handelt                 methoden umstellte und technische                      von Tabletten und Homöopathischen
es sich höchstwahrscheinlich um die                    Fähigkeiten im durchkonstruierenden                    Globuli mit Geschick ausarbeiten.“ Zu-
ersten – zumindest bekannten – Farb-                   Erfinden von Apparaten und Maschi-                     dem richtete er eine „kleine Druckerei
aufnahmen der Stadt Marburg im Di-                     nen besaß. Mylius organisierte zudem,                  in mustergültiger Weise“ ein. Auch
rekt-Diapositiv-Verfahren der Gebrü-
der Lumière.18

Tätigkeit in der
kosmetischen Industrie
Die damaligen Schwierigkeiten in der
öffentlichen Apotheke – Mylius war
nach seiner Promotion bis 1914 in der
St. Martini-Apotheke in Braunschweig
tätig gewesen – veranlassten ihn kurz
vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges,
in die Fabrik kosmetischer Präparate
von Dr. Tetzner in Altona-Ottensen
einzutreten. Während des Krieges
stand er allerdings dem Roten Kreuz
in Altona zur Verfügung.
1921 wurde die Fabrik, an der sich
Mylius auch finanziell beteiligte, in
ein größeres Gebäude in Altona ver-                         Abb. 5: Laboratorium in der Firma Dr. Friedrich Tetzner

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Georg Mylius - Industrie apotheker und Pionier der Farbfotographie* - TU ...
Geschichte der Pharmazie

                                                                  Fabrikationsbetrieb, der      ten des Betriebsleiters und des Ent-
                                                                  zunächst auf nur zwei         wicklungslaboratoriums. Mir unter-
                                                                  Nebenräume der Apo-           steht seitdem der gesamte technische
                                                                  theke beschränkt war,         und wissenschaftliche Betrieb einschl.
                                                                  nannte er nach der Lö-        Fabrik und seit 1945 auch das Calci-
                                                                  wen-Apotheke „Labora-         um-Werk Riesa“.28 Mylius entwickelte
                                                                  torium Leo“. 1909 ver-        in dieser Zeit eine Anlage zur Destilla-
                                                                  legte von Mayenburg           tion von Pfefferminzöl für den werks-
                                                                  die Herstellung in die        eigenen Betrieb in Rumänien und bau-
                                                                  Prager Straße 45, in der      te die pharmazeutische Abteilung aus.
                                                                  Chlorodont® nun ma-           Unter seiner Leitung wurde das weit-
                                                                  schinell produziert           hin bekannte Abführmittel Leo-Pillen
                                                                  wurde. 1924 beschäftig-       auf den Markt gebracht.
                                                                  te das Werk bereits 400       In seinem Lebenslauf bemerkt er über
                                                                  Mitarbeiter, und in der       seine damalige Arbeit: „Im Laufe der
                                                                  Dresdner Neustadt ent-        24 Jahre habe ich die Fabrikationsme-
                                                                  standen große Produkti- thoden, die z. T. noch in der Form des
                                                                  onshallen sowie ein           Kleinbetriebes liefen, grundlegend
                                                                  neues Verwaltungsge-          modernisiert, habe neue Arbeitsver-
                                                                  bäude.25 Ein Jahr später      fahren und Maschinen eingeführt, Ap-
                                                                  erfolgte die Umwand-          parate für die speziellen Zwecke des
                                                                  lung des Laboratoriums        Betriebes konstruiert und z. T. im
                                                                  Leo in die „Leo-Werke         Werk selbst bauen lassen. Die Präpara-
                                                                  A. G.“, wobei sämtliche       te der Leo-Werke wurden ihrer Zu-
                                                                  Aktien im Familienbe-         sammensetzung nach kritisch durch-
    Abb. 6: 2. Seite des Zeugnisses von Walter Jahncke für        sitz blieben. Die Pro-        geprüft und vorhandene Störungsmo-
    Georg Mylius                                                  duktion lief im großen        mente ausgemerzt. So wurden grund-
                                                                  Stil ab, und, um von          legend stabilisiert und verbessert:
hier bewies Mylius, wie Jahncke her-              Rohstofflieferungen unabhängig zu             Leo-Pillen, Leo-Dosierer, Chlorodont
vorhob, erneut „viel Geschmack und                sein, wurde Pfefferminze auf einer ca.        und Valinervin“.29 Zugleich berichtet
Erfahrung“. Er stellte das Homöopathi- 500 ha großen Fläche im rumänischen Mylius, eine große Anzahl von Ent-
sche Zentrallaboratorium auf der Apo-             Kronstadt (heute Brasov) angebaut so-         wicklungsarbeiten für neue Präparate
thekermesse in Heidelberg vor. Jahn-              wie in einer Großdestil-
cke bestätigte Mylius‘ Energie, Um-               lationsanlage nach ame-
sicht, Ordnungsliebe, gediegene                   rikanischem Muster zu
Kenntnisse als praktischer Botaniker              Pfefferminzöl verarbei-
und Chemiker. Er hatte zudem noch                 tet.26
seinen Nachfolger selbst eingearbeitet            Als Georg Mylius als
und gab, Jahncke zufolge, seine An-               Betriebsleiter in die Fir-
stellung auf eigenen Wunsch auf, um               ma eintrat, war im Jahr
eine aussichtsreichere Stellung anzu-             zuvor die Umwandlung
treten.                                           der Leo-Werke AG in
                                                  eine GmbH mit Zweig-
                                                  niederlassungen in
Betriebsleiter der Leo-Werke
                                                  Frankfurt am Main,
in Dresden                                        Hamburg, München
Georg Mylius wurde 1929 Betriebslei-              und Berlin sowie zahl-
ter der Leo-Werke GmbH in Dresden,                reichen Auslandsvertre-
die von Apotheker Ottomar Heinsius                tungen erfolgt.27 Mylius
von Mayenburg (1865–1932) gegrün-                 selbst berichtet in sei-
det worden waren. Dieser hatte 1907               nem Lebenslauf: „Am
die altehrwürdige Dresdner Löwen-                 1. 11. 29 wurde ich von
Apotheke übernommen, in der er noch               Herrn Dr. von Mayen-
im gleichen Jahr eine selbst zubereite-           burg für die Leo-Werke
te Zahncreme in Metalltuben abfüllte,             in Dresden engagiert          Abb. 7: Die Leo-Werke in Dresden, in denen Mylius seit
die er Chlorodont® nannte.24 Seinen               und übernahm den Pos-         1929 tätig war

                                                                                           Nr.1/2 | April 2019 | 71. Jahrgang | Geschichte der Pharmazie |   5
                                                 https://doi.org/10.24355/dbbs.084-201911081256-0
Georg Mylius - Industrie apotheker und Pionier der Farbfotographie* - TU ...
Geschichte der Pharmazie

                                                       Veröffentlichungen                                     voll freudiger Mitarbeit“, „in einem
                                                                                                              Land voller Schönheiten“, um die Pfef-
                                                       Mylius veröffentlichte einige seiner                   ferminzdestillation kümmerte. Der
                                                       Forschungsergebnisse in pharmazeu-                     Anbau von ersten „Mitscham Pfeffer-
                                                       tischen und naturwissenschaftlichen                    minztrieben“ war noch von Mayen-
                                                       Journalen. Bereits 1931 publizierte er                 burg initiiert worden, der diese mit
                                                       in der „Medizinische Welt“ einen Auf-                  dem Flugzeug von England nach Sie-
                                                       satz, in dem er sich mit der Zerfallge-                benbürgen brachte und hier Versuchs-
                                                       schwindigkeit von Tabletten befasst.32                 felder anlegen ließ. Dem Unternehmen
                                                       Darin beschreibt er anhand verschie-                   war Erfolg beschieden, und Mylius er-
                                                       dener Versuchsanordnungen den Zer-                     lebte die Ernte riesiger Mengen Pfef-
                                                       fall der von ihm entwickelten Leo-Pil-                 ferminzkraut. Ergänzt durch einige
                                                       len®. Mylius weist nach, dass die Lös-                 anschauliche Bilder, berichtet er über
                                                       lichkeit und Verteilung der Leo-Pille®,                die Ernte und schließlich auch über
                                                       bei der es sich um eine komprimierte                   die Destillation, bei der siebeneinhalb
                                                       Tablette handelt, die aus schweren                     Liter Destillat in der Minute durch die
    Abb. 8: Leokrem an deren Entwick­                  oder unlöslichen Stoffen besteht, ei-                  Vorlagen flossen. Das „spiegelblanke
    lung und Werbung Mylius beteiligt                  nerseits von der Temperatur des Lö-                    Öl“ wurde in Blechkannen zu 50 kg
    war                                                sungsmittels, andererseits aber insbe-                 aufgefangen und nach Dresden ge-
                                                       sondere von der mechanischen Bean-                     schickt, wo es noch rektifiziert wer-
                                                       spruchung abhängt. Er stellt fest, dass                den musste. Anschaulich und für je-
durchgeführt zu haben, so für Leo-                     „der Zerfall bei einfachem Einlegen                    dermann verständlich erläutert Mylius
Schweißkrem, Leodor fetthaltig, Leo-                   einer Tablette in ein Becherglas mit                   die Arbeitsvorgänge und seine Bemü-
krem, Leo-Hautöl, Leo-Brillantine,                     Wasser und der Zerfall einer einge-                    hungen, diese zu rationalisieren.34
Leo-Stangenbrillantine, Chlorodont-                    nommenen Tablette im Darmkanal“                        In einem 1941 erschienenen Aufsatz,
Zahncremetten, Valinervin-Tabletten,                   ganz verschieden verlaufen. In weite-                  in der Pharmazeutische Industrie, wird
Leo-Kaffetten, Leo-Kaffettenpaste.                     ren Versuchen wurden die physiologi-                   das Thema in wissenschaftlicher Form
Daneben bemühte er sich um die Ent-                    schen Bedingungen nachgestaltet,                       behandelt. Einleitend bemerkt Mylius,
wicklung von Gleitmitteln für die Tu-                  und hier konnte Mylius zei-
benfabrik zum Tubenziehen sowie von                    gen, dass der Zerfall nach
Innenschutzlacken und sonstigen                        29 Minuten begann und
technischen Maßnahmen. Mylius be-                      nach 221 Minuten beendet
reiste zudem die zahlreichen Aus-                      war. Er schlussfolgert, dass
landsfilialen und kontrollierte insbe-                 die Leo-Pille® etwa 20 Mi-
sondere die Arbeit in Mailand sowie in                 nuten im Magen verweilt
Kronstadt in Rumänien, wo er „mehre-                   und sich hier ihrer Zucker-
re Jahre die Pfefferminz-Destillation                  hülle entledigt und dann
geleitet und die Ausbeute an Öl durch                  im Darm zerfällt.33
neue Konstruktion von Apparaturen                      1940 erschien in der Werks­
erhöhte“.30                                            zeitschrift der Chlorodont-
Außerdem berichtet Mylius, dass er                     Fabrik „Die Gemeinschaft“
für die „Werbe-Abteilung“ Werbetexte                   ein Beitrag von Mylius mit
und Anzeigen für fachwissenschaftli-                   dem Titel „Pfefferminz­
che Zeitschriften und Prospekte ent-                   Destillation in Brenndorf“.
worfen und die Werbetexte auf wis-                     Im Unterschied zu seinen
senschaftlich einwandfreien Ausdruck                   sonst überwiegend wissen-
geprüft sowie auch wissenschaftliche                   schaftlichen Aufsätzen
Artikel verfasst hatte. Hier konnte My-                wendet sich Mylius mit die-
lius seinen künstlerischen Interessen                  sem Artikel in leicht ver-
nachgehen, denn in den Leo-Werken                      ständlicher Weise an die
wurde eine aktuelle Bildsprache ent-                   Mitarbeiter des Unterneh-
wickelt, die auf Plakaten, in Zeitungs-                mens. Er berichtet, dass
anzeigen und sogar auf aufwändig de-                   Brenndorf ein „kleines, un-
korierten Lieferfahrzeugen, ja sogar                   scheinbares Dorf in Sieben-
auf Bussen und Straßenbahnen für die                   bürgen“ ist, wo er sich „mit
Firma warben.31                                        warmherzigen Menschen           Abb. 9: Veröffentlichung von Georg Mylius

6 | Geschichte der Pharmazie | 71. Jahrgang | April 2019 | Nr.1/2
                                                           https://doi.org/10.24355/dbbs.084-201911081256-0
Georg Mylius - Industrie apotheker und Pionier der Farbfotographie* - TU ...
Geschichte der Pharmazie

„man kann wohl sagen, daß wenige
Heilpflanzen so unzweideutig und un-
bestritten sich über Jahrhunderte der
Gunst des Menschen erfreut haben,
wie die Pfefferminze – Mentha piperi-
ta“.35 Zunächst schildert er die Ge-
schichte der Droge, die schon im Alten
Ägypten angebaut worden sein soll.
Ausführlich beschreibt er die Nutzung
der Pflanze in der Nahrungsmittel-
und kosmetischen Industrie, um
schließlich auch auf den Anbau der
Pflanze und die Gewinnung des Pfef-
ferminzöls in den Leo-Werken in Sie-
benbürgen einzugehen. Dieser Aufsatz
enthält teils die gleichen Bilder wie in      Abb. 10: Georg Mylius als Mitarbeiter des VEB Leo-Werke
dem Bericht in der Firmenzeitschrift.36

                                           schreitet der Aufbau vom Faschismus                      Überzugs der Stempel mit Silikonlack
Mylius als leitender Mitarbeiter
                                           zerstörter Städte und vernichteter In-                   das Kleben an den Presswerkzeugen
eines Volkseigenen Betriebes               dustrien weiter. Der 2. Fünfjahrplan                     verhindern könne.41
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde           stellt nun seine Aufgaben, die wir mit                   1963 veröffentlicht Mylius schließlich
Georg Mylius zum Hauptingenieur            den gesammelten Erfahrungen, mit                         noch eine Arbeit über die Florentiner
und Technischen Leiter der Leo-Werke       gutem Willen und aller Bereitschaft lö-                  Flasche in der Zeitschrift „Riechstoffe
ernannt. Er übernahm zugleich die          sen werden. Mag 1956 das Jahr wer-                       und Aromen“. Hier beschreibt er eine
wissenschaftliche Leitung des inzwi-       den, das einmal in der Geschichte das                    durchkonstruierte Florentiner Fla-
schen enteigneten Volkseigenen Be-         Friedensjahr genannt wird. Unser ge-                     sche, die zur Großdestillation von Pfef-
triebes (VEB).37                           meinsames Wirken soll dazu beitra-                       ferminzöl Verwendung finden kann,
Mylius verfasste auch als leitender        gen, dieses hohe Ziel zum Wohle der                      die weitgehend Ölverluste verhindert
Mitarbeiter des staatlichen Betriebes      Menschheit zu erreichen“.39 Im Einzel-                   und eine Arbeitsersparnis sowie eine
nach 1945 einige Publikationen, in de-     nen berichtet Mylius über die Entwick-                   Qualitätsverbesserung des Öls ermög-
nen er über seine wissenschaftlichen       lung eines Glyzerin-Hautgelees. Resü-                    licht.
Untersuchungen in den Leo-Werken           mierend betont er am Ende, dass das                      Mylius wurde, wie er in einem hand-
berichtet. 1951 erschien in der Zeit-      „Leo-Glycerin-Hautgelee als Spitzen-                     schriftlichen Zusatz zu seinem Le-
schrift „Chemische Technik“ eine Ar-       präparat seiner Klasse überall da emp-                   benslauf aus dem Jahre 1953 festhält,
beit, die sich mit der Entwicklung von     fohlen werden [soll], wo der Verbrau-                    im Juni 1951 mit einem Einzelvertrag,
Mund- und Zahnpflegemitteln be-            cher ein Hautpflegemittel wünscht,                       den es in der DDR damals für heraus-
schäftigt. Hier unterscheidet er ver-      das nicht kremig ist und insbesondere                    ragende Vertreter der Intelligenz, ins-
schiedene Arten, wie feste und pastö-      nicht fettet und daher bei der täglichen                 besondere aber für Ärzte, Apotheker
se Pflegemittel, Tabletten und flüssige    Arbeit oder beim Hantieren mit emp-                      und Lehrer gab, zum Hauptingenieur
Mund- und Zahnpflegemittel. In sei-        findlichem Material nicht hinderlich                     ernannt. Wie er anführt, war er dann
nem Aufsatz bemerkt Mylius ganz im         ist“.40 In dem Werbeprospekt findet                      noch bis Ende 1957 als technischer Di-
Sinne der DDR einleitend, dass „im         sich schließlich noch eine Werbung für                   rektor der Werke in Dresden, Riesa
Mittelpunkt aller Wirtschaftspläne [...]   die Chlorodont-Zahnpasta.                                und Jena tätig.42 Während seiner Tätig-
die Sorge um den schaffenden Men-          1961 erschien in der Deutschen Apo-                      keit im VEB Leo-Werk arbeitete Myli-
schen, dessen Leistungsfähigkeit er-       theker-Zeitung ein Aufsatz über „Tal-                    us in einigen Kommissionen mit, so
halten und gefördert werden muss“,         cum in der Tabletten-Fabrikation“ von                    im Zentralen Arbeitsausschuss Fließ-
steht.38                                   Mylius. Darin beschäftigt er sich mit                    pressen Kammer der Technik, in ei-
1956 erschien unter der Rubrik „Chlo-      der Verhütung des Klebens der Press-                     nem Ausschuss zur Standardisierung
rodont Leo“ ein Werbeheft „Der Kon-        masse beim Tablettieren durch Tal-                       der Kunststofftuben und Schraubhüt-
takt“, in dem Mylius in geradezu sozia-    kum. Er unterscheidet verschiedene                       chen, im Kosmetischen Kollektiv, im
listischer Manier über die Erfolge der     Talkumsorten hinsichtlich ihrer Eig-                     Arbeitskreis Kunststofftuben und in
Leo-Werke berichtet: „Weit öffnen sich     nung und bietet Prüfmethoden zur                         der Kommission Standardisierung:
die Tore des neuen Jahres, voller Zu-      Qualifizierung ihrer Fettigkeit. Zum                     Entwicklung chemischer und physika-
versicht blicken wir vorwärts. Unend-      Schluss erwähnt er, dass man auch                        lischer Prüfmethoden für Kreide und
lich viel wurde geschaffen. Rastlos        ohne Zusatz von Talkum mittels eines                     Calcium carbonicum praecipitatum.43

                                                                                       Nr.1/2 | April 2019 | 71. Jahrgang | Geschichte der Pharmazie |   7
                                             https://doi.org/10.24355/dbbs.084-201911081256-0
Georg Mylius - Industrie apotheker und Pionier der Farbfotographie* - TU ...
Geschichte der Pharmazie

1954 feierte er sein 25-jähriges                       gersegel 1923 beschreibt. Außer zu                     In seinen letzten Lebensjahren ent-
Dienstjubiläum, das im großen Rah-                     den mecklenburgischen Seen segelten                    standen von Mylius über 50 genealogi-
men begangen wurde. Erst 1958, im                      sie auf dem Wannsee, Tegeler See,                      sche Arbeiten, die zu vielen neuen fa-
vorgerückten Alter von fast 74 Jahren,                 Stoltsee, Schwedtsee, nach Steinförde                  miliengeschichtlichen Erkenntnissen
gab er seine Tätigkeit auf, um sich nun                und zur Steinhavelmühle.49                             führten.50 So forschte er zur Familie
ganz seinen genealogischen und fami-                                                                          Mylius-Schleiz, beispielsweise zum
liengeschichtlichen Studien zu wid-                                                                           Lehnsgut der Familie Gering zu
men.44
                                                       Privates                                               Schleiz, und entdeckte die Grundmau-
                                                       In erster Ehe war Georg Mylius mit Il-                 ern der Davidmühle in Schleiz. Georg
                                                       se Marie Schulz verheiratet, der Toch-                 Mylius erwies sich als Seele des Fami-
 Weitere wissenschaftliche
                                                       ter des Hamburger Großkaufmanns                        lienverbandes Mylius-Schleiz. Bereits
­Arbeiten                                              Richard Schulz (1864–1919), Besitzer                   seit 1918 hatte er als Schriftführer der
Neben Untersuchungen, die Mylius im                    der Hamburger Exportfirma Hengs-                       Mitteilungen des Verbandes der Familie
Rahmen seiner Tätigkeit als Industrie-                 tenberg & Schulz, und dessen Ehefrau                   gewirkt51 sowie seit 1916 für 55 Jahre
apotheker publizierte, entstanden                      Anna Lührs (1874–1936). Die Heirat                     als Archivar der Familie. Allerdings
auch Veröffentlichungen zu anderen                     ermöglichte ihm einen Aufstieg in das                  beendete 1941 der Entzug der Drucker-
Themen. Bereits 1926 verfasste Mylius                  Hamburger Bürgertum und dürfte                         laubnis das weitere Erscheinen dieser
einen pharmaziehistorischen Aufsatz,                   ihm auch den Einstieg in die kosmeti-                  Mitteilungen. Nach dem Krieg gab My-
der in der Pharmazeutischen Zeitung                    sche Industrie bei Dr. Friedrich Tetz-                 lius dann Nachrichten der Familie Myli­
in der von Georg Edmund Dann (1898–                    ner erleichtert haben, an der er sich ja               us heraus, die 1962 erstmalig erschie-
1979) begründeten Reihe „Deutsche                      finanziell auch beteiligt hatte. Die                   nen und bis 1990 jährlich veröffent-
Apothekerfamilien“ erschien.45 Mylius                  Hochzeit fand in Hamburg-Blankenese                    licht wurden. In über 300 Gedichten
berichtet hier über seine eigene Fami-                 am 9. September 1919 statt.                            und Sentenzen verarbeitete er Erinne-
lie unter der Überschrift „Die Familie                 In zweiter Ehe war er mit Charlotte                    rungen seines Lebens.
Mylius und ihre Apotheker“. Der Auf-                   Tschirschky, verwitwete Walz (1908–                    Georg Mylius verstarb am 10. Mai
satz beginnt mit genealogischen Un-                    1995), verheiratet. 1937 bezog die Fa-                 1979 im gesegneten Alter von 95 Jah-
tersuchungen, in deren Verlauf er den                  milie Mylius ein selbst erbautes Haus                  ren in Dresden. Er wurde unter einer
Ursprung der Familie von ihrem                         an der Elbe in Dresden, Bautzner Stra-                 Sandsteinstele mit Greifenwappen auf
Stammherrn Gering dives, den um                        ße 100 a, das Haus „Drei Rosen“ mit                    dem Urnenfriedhof in Dresden Tolke-
1150 geborenen Gering den Reichen,                     einem prachtvollen Garten, das aber                    witz beigesetzt.52
herleitet. Mylius beschreibt weiterhin                 bei der Zerstörung Dresdens am 13.
einzelne Apothekerpersönlichkeiten                     Februar 1945 schwer beschädigt wur-
und stützt sich auf seine Geschichte                   de. Vor dem Einzug der sowjetischen
                                                                                                              Resümee
der Familie Mylius-Schleiz 1895–1917,                  Truppen evakuierte Georg Mylius sei-                   Georg Mylius gehört ohne Frage zu
die 1917 im Selbstverlag des Verban-                   ne Familie ins Erzgebirge und blieb                    den bedeutenden Apothekern des 20.
des der Familie Mylius-Schleiz er-                     im Haus, in dem das im Keller depo-                    Jahrhunderts. Bereits sehr früh, noch
schienen war.46 Als ältesten Vertreter                 nierte Familienarchiv erhalten blieb.                  als Student und Doktorand in Mar-
der Pharmazie nennt er Polycarpus                                                                             burg, erwarb er sich große Verdienste
Mylius (1589–1649), der als Apotheker                                                                         um die Entwicklung der Farbfotogra-
in der freien Reichsstadt Regensburg                                                                          phie. 24 heute noch erhalten gebliebe-
wirkte.47 Neben zahlreichen weiteren                                                                          ne farbige Ansichtskarten von Mar-
Apothekern der Familie erwähnt er                                                                             burg und Umgebung spiegeln seine
auch seinen Vater, Dr. Ernst Mylius,                                                                          ­erfolgreiche Anwendung des Lumière-
und dessen Bruder Franz Mylius so-                                                                             Verfahrens wider. Mit seiner Dis­
wie Johann Carl Mylius (1864–1914).                                                                            sertation in Marburg leistete er einen
Die Arbeit endet mit seiner eigenen                                                                            überdurchschnittlichen Beitrag zur
Biographie sowie der Erwähnung von                                                                             botanischen Forschung.
zwei Vettern, die gleichfalls als Apo-                                                                         Eingang in die Geschichte der Phar-
theker tätig waren.48                                                                                          mazie verdient Mylius aber vor allem
Schließlich veröffentlichte Mylius                                                                             als Industrieapotheker. Die Dresdner
auch einige Beiträge, die in der Zeit-                                                                         Leo-Werke verdanken ihm nicht nur
schrift Der Segelsport – Der Motorsport                                                                        die Entwicklung zahlreicher neuer
erschienen, beispielsweise in zwei                                                                             Präparate, wie das Abführmittel Leo-
Fortsetzungen über seine „Amphibi-                                                                             Pillen. Hier war er auch ganz entschei-
sche Ferienreise“, in der er eine Boots-                     Abb. 11: Altersbildnis von Georg                  dend am Aufbau der maschinellen
fahrt mit einer offenen Jolle mit Lug-                      ­M ylius                                           Produktion beteiligt und entwickelte

8 | Geschichte der Pharmazie | 71. Jahrgang | April 2019 | Nr.1/2
                                                           https://doi.org/10.24355/dbbs.084-201911081256-0
Georg Mylius - Industrie apotheker und Pionier der Farbfotographie* - TU ...
Geschichte der Pharmazie

neue Verfahren und Techniken, die er               Keywords:                                                  4    Maximilian Schwedler war Soloflötist im
                                                   Pharmacist biography, pharmaceutical indust-                    Gewandhausorchester Leipzig und Profes-
auch in Publikationen bekannt mach-                                                                                sor am Leipziger Konservatorium. Johan-
                                                   ry, pharmaceutical industry of the GDR, Leo-
te. Dank seiner künstlerischen Inter-              Werke, beginnings of colour photography, pro-                   nes Brahms (1833–1897) lobte sein Flöten-
essen – Mylius hatte in Marburg auch               motion of medicinal products                                    spiel und Carl Reinecke (1824–1910) wid-
                                                                                                                   mete ihm sein Flötenkonzert op. 283. Er
kunstgeschichtliche Vorlesungen be-                Der Autor dankt Frau Ulrike Mylius-Fauler für
                                                   Auskünfte und vielfältige Einblicke in das Fa-                  verfasste 1897 den Katechismus der Flöte
legt – nahm er erheblichen Einfluss                                                                                und des Flötenspiels, siehe dazu Musik in
                                                   milienarchiv.
auf die Werbung, für die die Leo-Wer-                                                                              Geschichte und Gegenwart. Kassel u. a.
ke bekannt waren. Nach 1945 über-                                                                                  1965, Bd. 12, Sp. 367f.
                                                   Abbildungsnachweise                                        5    Horst Gering Mylius: Geschichte der Fami-
trug man Mylius zeitweise die Leitung                                                                              lien Mylius-Schleiz aus dem Hause Gering
                                                   Abb. 1: Georg Mylius im Alter von 24 Jahren,
des nunmehr staatlichen Betriebes.                    Foto Wilhelm Risse, Eigentum Ulrike Myli-                    und Mylius-Ansbach, 1375–1990. Freiburg
Seine Publikationen lassen zwar eine                  us-Fauler, Familienarchiv Mylius                             im Breisgau 1992, S. 514–516, hier S. 515.
                                                                                                              6    Zu Flückiger vgl. Thomas Haug: Friedrich
Anpassung an die neuen Machthaber                  Abb. 2: Der 26jährige Georg Mylius als Promo-
                                                      vend im Botanischen Institut der Universi-                   August Flückiger (1828–1894). Leben und
erkennen, zugleich hatte er mit seinen                                                                             Werk. Stuttgart 1985 (Quellen und Studien
                                                      tät Marburg, Eigentum Ulrike Mylius-Fau-
vielfältigen Aktivitäten großen Anteil                ler, Familienarchiv Mylius                                   zur Geschichte der Pharmazie; 32).
an der erfolgreichen Entwicklung des               Abb. 3: Titelblatt der Dissertation von G. Myli-           7    Zur Biographie von Arthur Meyer vgl. Ru-
                                                      us, Universitätsarchiv Marburg                               dolf Schmitz: Die Naturwissenschaften an
Volkseigenen Betriebes in der DDR, in                                                                              der Philipps-Universität Marburg 1527–
                                                   Abb. 4: Farbfotographie nach dem Lumière-Ver-
dem er weit über sein Rentenalter hin-                fahren von Georg Mylius: Blick auf die Alte                  1977. Marburg 1978, S. 133–135.
aus tätig war.                                        Universität und Weidenhäuser Brücke,                    8    Universitätsarchiv Marburg 307d Nr. 244,
                                                                                                                   Promotionsakte G. Mylius (ohne Paginie-
Daneben widmete sich Mylius mit gro-                  Bildarchiv Foto Marburg.
                                                   Abb. 5: Laboratorium in der Firma Dr. Friedrich                 rung).
ßem Erfolg der genealogischen For-                                                                            9    Mylius [wie Anm. 3].
                                                      Tetzner, Eigentum Ulrike Mylius-Fauler,
schung, insbesondere in seinen letzten                Familienarchiv Mylius                                   10   Promotionsakte G. Mylius [wie Anm. 8].
Lebensjahren, wobei er auch auf phar-              Abb. 6: 2. Seite des Zeugnisses von Walter Jahn-           11   Brief nach Diktat von Mylius an Gering
                                                      cke für Georg Mylius, Eigentum Ulrike My-                    vom 23. März 1978. In: Privatarchiv Ulrike
maziehistorischem Gebiet publizierte.
                                                      lius-Fauler, Familienarchiv Mylius                           Mylius-Fauler; vgl. auch Georg Mylius: Bil-
Eine Ausstellung in Marburg, die sei-              Abb. 7: Die Leo-Werke in Dresden, in denen My-                  der aus Marburg und Umgebung. 24 farbfo-
ne Bedeutung für die Entwicklung der                  lius seit 1929 tätig war, Bildarchiv des In-                 tografische Aufnahmen. Elwerts Verlags-
Farbfotographie in den Mittelpunkt                    stitutes für Geschichte der Pharmazie Mar-                   buchhandlung. Marburg [um 1912]. Zu My-
                                                      burg                                                         lius‘ Farbfotographien vgl. Theodor Birt:
stellt, soll an diesen Apotheker erin-                                                                             Marburg an der Lahn. In: Westermanns
                                                   Abb. 8: Leokreme, an deren Entwicklung und
nern, der bisher auch in der Deutschen                Werbung Mylius beteiligt war, Bildarchiv                     Monatshefte 57. Bd. 114, 2. Teil Juni – Au-
Apotheker-Biographie fehlte.                          des Institutes für Geschichte der Pharma-                    gust, Braunschweig 1913, S. 537–552, in
                                                      zie Marburg                                                  dem sich viele Farbabbildungen befinden.
                                                   Abb. 9: Veröffentlichung von Georg Mylius, Ei-             12   Zu Alfred Wegener vgl. Franz Gundlach:
Summary                                               gentum Ulrike Mylius-Fauler, Familienar-                     Catalogus professorum academiae Marbur-
Georg Mylius (1884–1979) was a pharmacist,            chiv Mylius                                                  gensis. Die akademischen Lehrer der Phi­
who has remained unknown in pharmaceuti-           Abb. 10: Georg Mylius als Mitarbeiter des VEB                   lipps-Universität in Marburg von 1527 bis
cal-historical literature until today. He was a       Leo-Werke, Eigentum Ulrike Mylius-Fauler,                    1910. Marburg 1927, S. 397.
son of the pharmacist Ernst Mylius (1846–1929)        Familienarchiv Mylius                                   13   Zu Richarz vgl. Gundlach [wie Anm. 12], S.
of Freiberg, Saxonia, who had also been active     Abb. 11: Altersbildnis von Georg Mylius, Eigen-                 393.
in publishing. Georg Mylius spent his adole-          tum Ulrike Mylius-Fauler, Familienarchiv                14   Brief von Mylius [wie Anm. 11].
scence in Leipzig where he started his phar-          Mylius                                                  15   Brief von Mylius [wie Anm. 11].
maceutical education in his father’s own phar-                                                                16   Brief von Mylius [wie Anm. 11]; die Prü-
macy, the Engel-Apotheke.                                                                                          fungsprotokolle sind im Universitätsarchiv
He studied at Marburg University where he be-      Anmerkungen                                                     nicht mehr erhalten.
came a disciple of Ernst Schmidt (1845–1921),      1   [Wolfgang-Hagen] Hein: Mylius, Ernst. In:              17   Brief von Mylius [wie Anm. 11].
but also attended philosophical and art history        Wolfgang-Hagen Hein/Holm-Dietmar                       18   Zum Lumière-Verfahren siehe Jean-Paul
classes. In 1912 he graduated in Marburg under         Schwarz (Hrsg.): Deutsche Apotheker-Bio-                    Gandolfo / Bertrand Lavédrine: The Lumi-
Arthur Meier (1850–1922), a student of Flücki-         graphie. Bd. II. Stuttgart 1978, S. 457f.; N.               ère Autochrome: History, Technology, and
ger. In the same year, he published 24 coloured        N.: Dr. Ernst Mylius zum 50jährigen Be-                     Preservation. Los Angeles 2013 (englische
illustrations (post cards) of Marburg with the         rufsjubiläum. In: Pharmazeutische Zeitung                   Übersetzung der französischen Original-
Lumière procedure, making him one of the pio-          57 (1912), S. 781; Georg Mylius: Die Familie                ausgabe) und zum „revolutionären“ Cha-
neers of colour photography.                           Mylius und ihre Apotheker. In: Pharmazeu-                   rakter des Autochromes im Gegensatz zu
After working in the factory of cosmetic prepa-        tische Zeitung 71 (1926), S. 430f.                          früheren Farbfoto-Verfahren siehe Michel
rations of Dr. Tetzner in Altona-Ottensen and in   2   Zum Pharmaziestudium in Marburg vgl.                        Frizot: Neue Geschichte der Photographie.
the Privileged Pharmacy in Kirchen, Georg My-          Christoph Friedrich: Pharmazie als selb-                    Köln 1998 (deutsche Übersetzung der fran-
lius became factory manager of the Leo-Werke           ständige Disziplin an der Universität Mar-                  zösischen Originalausgabe), S. 411–430, be-
GmbH of Dresden in 1829. He participated in            burg. In: Peter Dilg (Hrsg.): Pharmazie in                  sonders S. 423.
the development of various preparations like           Marburg. Historische und aktuelle Aspek-               19   Zeugnis für Georg Mylius von Dr. Friedrich
the Leo-Pills and Leo Creme, and he was also           te. Marburg 2007 [2015] (Stätten pharma-                    Tetzner vom 9. Juli 1925. In: Privatarchiv
involved in their marketing. After the Second          zeutischer Praxis, Lehre und Forschung;                     Ulrike Mylius-Fauler.
World War, Mylius became the scientific direc-         6), S. 62–88.                                          20   Mylius [wie Anm. 5], S. 515.
tor of the factory – now, in GDR, a nationally-    3   Georg Mylius: Das Polyderm. Eine verglei-              21   Walter Karl Louis Jahncke wurde in Arend-
owned enterprise – remaining in the position           chende Untersuchung über die physiologi-                    see, in der Altmark, als Sohn eines Fabrik-
until 1958. After retiring, he dedicated himself       schen Scheiden Polyderm, Periderm und                       besitzers geboren, besuchte das Dresdner
to genealogic and family-history related stu-          Endodermis. Phil. Diss. Marburg 1912, S.                    Kreuz-Gymnasium und bestand seine
dies.                                                  121 (mit Lebenslauf).                                       pharmazeutische Vorprüfung 1905 in Mer-

                                                                                                 Nr.1/2 | April 2019 | 71. Jahrgang | Geschichte der Pharmazie |   9
                                                       https://doi.org/10.24355/dbbs.084-201911081256-0
Georg Mylius - Industrie apotheker und Pionier der Farbfotographie* - TU ...
Geschichte der Pharmazie

     seburg. Das Pharmaziestudium absolvierte          33 Mylius [wie Anm. 32], S. 1789.                      43 Privatarchiv Ulrike Mylius-Fauler, Blatt
     er in Leipzig bei Ernst Beckmann (1853–           34 G[eorg] Mylius: Pfefferminz-Destillation in            „Kommissionen, in denen Dr. Mylius als
     1923). 1911 erwarb er die Apotheke in Kir-           Brenndorf. In: Die Gemeinschaft. Werks-                Mitglied mitarbeitet“.
     chen, die er bis zu seinem Tode leitete. Vgl.        zeitschrift der Chlorodont-Fabrik. Februar          44 Lebenslauf [wie Anm. 42].
     dazu Wolf-Dieter Müller-Jahncke: 175 Jahre           1940, S. 71–74. In: Privatarchiv Ulrike My-         45 Zu Georg Edmund Dann und seinen Arbei-
     Privilegierte Apotheke Kirchen 1808–1983.            lius-Fauler.                                           ten zu Apothekerfamilien vgl. Thomas
     Kirchen/Sieg 1983, S. 33–40.                      35 Georg Mylius: Pfefferminze und Pfeffer-                Rötz: Georg Edmund Dann (1898–1979). Le-
22   Zum Aufbau des Homöopathischen Zentral-              minzöl. In: Die Pharmazeutische Industrie              ben und Werk eines Pharmaziehistorikers
     laboratoriums in Kirchen / Sieg vgl. Wolf-           8 (1941), S. 187–192.                                  im 20. Jahrhundert. Stuttgart 2012 (Quellen
     Dieter Müller-Jahncke: Microcosmos in Ma-         36 Mylius [wie Anm. 35] und Mylius [wie                   und Studien zur Geschichte der Pharmazie;
     crocosmo. Der „Bund der Homöopathischen              Anm. 34].                                              96), S. 159–162.
     Apotheken“ und das „Homöopathische                37 Zur Geschichte der pharmazeutischen In-             46 Georg Mylius: Geschichte der Familie Myli-
     ­Zentrallaboratorium Kirchen-Sieg. In: Ge-            dustrie in der DDR siehe Christoph Fried-             us-Schleiz 1895–1917 mit einer Stammta-
      schichte der Pharmazie 66 (2014), S. 22–28,          rich / Wolf-Dieter Müller-Jahncke: Geschich-          fel. Selbstverlag des Verbandes der Familie
      hier S. 24f.                                         te der Pharmazie. Von der Frühen Neuzeit              Mylius-Schleiz 1917.
23    Zeugnis für Georg Mylius von Walter Jahn-            bis zur Gegenwart (Geschichte der Pharma-          47 Mylius [wie Anm. 1], S. 429; auch Christa
      cke vom 31. Oktober 1929. In: Privatarchiv           zie / R. Schmitz; 2). Eschborn 2005, S. 1056–         Habrich erwähnt Polycarp Müller (Mylius),
      Ulrike Mylius-Fauler.                                1074 und Gerhard Alcer: Entwicklung der               vgl. Christa Habrich: Apothekengeschichte
24    Christoph Friedrich: Chlorodont. Vater der           Pharma-Industrie in der DDR. In: Pharma-              Regensburgs in reichsstädtischer Zeit.
      Zahnpasta. In: Pharmazeutische Zeitung               zeutische Zeitung 2 (1994), S. 102–105.               München 1970, S. 95.
      160 (2015), S. 3664–3668.                        38 G[eorg] Mylius: Über die Entwicklung der            48 Mylius [wie Anm. 1], S. 430f.
25    T. Gubig / S. Köpcke: Alles begann mit              Mund- und Zahnpflegemittel. In: Chemi-              49 Georg Mylius: Amphibische Ferienreise.
      Chlorodont. Eine Firmengeschichte aus               sche Technik 3 (1951), S. 337–339. Die En-             [vier Folgen]. In: Der Segelsport – Der Mo-
      Dresden. Dental-Kosmetik GmbH & Co KG               kelin von Mylius bemerkt dazu, dass Georg              torsport 11 (1925), S. 195f., 226–228, 252f
      Dresden 2007, S. 41.                                Mylius zwar „eine gewisse Anpassungsfä-                und 276–278.
26    Gubig / Köpcke [wie Anm. 25].                       higkeit [besaß], aber alles andere als ein          50 Hier können nur einige wichtige Arbeiten
27    Friedrich [wie Anm. 24], S. 3666.                   überzeugter Sozialist [war]. Er hatte das              genannt werden: Mylius [wie Anm. 46],
28    Maschinengeschriebener Lebenslauf von               Glück, nicht in die SED eintreten zu müs-              Georg Mylius: Geschichte der Familie Myli-
      Georg Mylius von 1953. In: Privatarchiv Ul-         sen wie andere in ähnlicher Position. Er               us-Schleiz 1917–1959 mit zwei Stammta-
      rike Mylius-Fauler.                                 war ein ziemlich unpolitischer Mensch und              feln. Dresden 1959.
29    Lebenslauf [wie Anm. 28].                           außer gelegentlichen ironischen Bemer-              51 Georg Mylius: Mitteilungen des Verbandes
30    Lebenslauf [wie Anm. 28].                           kungen zu den politischen Verhältnissen                der Familie Mylius-Schleiz. O. O. 1916–
31    Friedrich [wie Anm. 24]; zur Werbung in             äußerte er sich nicht dazu.“ Mitteilung von            1941.
      der Pharmaindustrie vgl. Ursula Lill: Die           Ulrike Mylius-Fauler vom 3.5.2018.                  52 Horst Gering Mylius [wie Anm. 5], S. 516.
      pharmazeutisch-industrielle Werbung in           39 [Georg] Mylius: Chlorodont Leo. In: Der
      der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.             Kontakt, Dresden 1955. In: Privatarchiv
      Stuttgart 1990 (Quellen und Studien zur             ­U lrike Mylius-Fauler.                             Anschrift des Verfassers:
      Geschichte der Pharmazie; 56); Lill er-          40 Mylius [wie Anm. 39], S. 3.                         Prof. Dr. Christoph Friedrich
      wähnt auch die Leo-Werke auf S. 210 sowie        41 Georg Mylius: Talkum in der Tablettenfab-           Inst. für Geschichte der Pharmazie
      Wolf-Dieter Müller-Jahncke (Hrsg.): Wer             rikation. Seine Funktion, Einschränkung             Roter Graben 10
      nicht wirbt, stirbt. Eschborn 2015.                 und Ausschaltung. In: Deutsche Apotheker-           35037 Marburg
32    Georg Mylius: Zerfallgeschwindigkeit von            Zeitung 101 (1961), S. 1243–1245.                   E-Mail: Ch.friedrich@staff.uni-marburg.de
      medizinischen Tabletten unter Einfluß von        42 Handschriftlicher Zusatz (nach 1958) zu ei-
      Wärme und Reibung. In: Die Medizinische             nem Lebenslauf vom 13.4.1953. In: Privat-
      Welt 5 (1931), S. 1789.                             archiv Ulrike Mylius-Fauler.

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                        1. November bis 31. März: Tägl. 10.00 – 17.30. Letzter Einlass um 17.10 Uhr

       Eintrittspreis:	Regulär: € 8,00. Ermäßigt: € 4,00 (Schwerbehinderte, Schüler, Studenten, Azubis)
                        Der Eintritt berechtigt zum Besuch des Deutschen Apotheken-Museums, des
                        ­Schlossinnenhofes und des Großen Fasses.

       Führungen:	Umfangreiches Angebot an Überblicks- und Themenführungen, tagsüber oder am Abend.
                   Nach telefonischer Voranmeldung.

10 | Geschichte der Pharmazie | 71. Jahrgang | April 2019 | Nr.1/2
                                                           https://doi.org/10.24355/dbbs.084-201911081256-0
Geschichte der Pharmazie

Von der Textquelle zur Interpretation
      Können wir heute noch von überlieferten Rezepturen aus altägyptischer Zeit profitieren?

Tanja Pommerening | Altägyptische
Heilkunde übt ihre Faszination
durch eine breite Vielfalt an Quel-
len aus. Dazu zählen neben Texten
sowie Bild- und Sachquellen auch
Mumien und Skelette. Vor allem
Ägyptologen, aber auch Wissen-
schaftshistoriker, Mediziner, Paläo-
pathologen, Biologen und Pharma-
zeuten beschäftigen sich mit ihrer
Erforschung. Publikationen sind
dementsprechend auf unterschiedli-
che Fachorgane verteilt (ägyptologi-           Abb. 2: Papyrus Ebers, col. 1-3, 16. Jh. v. Chr., Universitätsbibliothek Leipzig
sche, wissenschaftshistorische, me-
dizinische und naturwissenschaftli-
che), inhaltlich stets der anvisierten         teil dessen überliefert ist, was einst in                 Vom Umgang mit altägyptischen
Leserschaft Rechnung tragend.                  der mehr als 3000 Jahre währenden                         heilkundlichen Textquellen
                                               Geschichte der altägyptischen Heil-
Pharmaziehistorische Sachverhalte              kunde bewusst oder unbewusst hin-                           Textquellen bilden die Basis der
lassen sich allerdings erst nachzeich-         terlassen wurde. Die Frage nach der                         Kenntnis und des Verständnisses der
nen, wenn Quellengattungen zusam-              Positionierung eines textlichen, bildli-                    altägyptischen Heilkunde (Abb. 2).
mengeführt und vernetzt betrachtet             chen oder sonstigen Fundobjekts (Abb.                       Insgesamt sind Textzeugen aus dem
werden und dies unter angemessener             1) in dessen vollständigem, damali-                         19. Jh. vor Chr. bis zum 3. Jh. n. Chr.
Berücksichtigung des kulturhistori-            gem Lebens- oder Gebrauchsumfeld,                           erhalten. Rund 20 umfangreichere Pa-
schen und naturkundlichen Umfelds.             die Rekontextualisierung also, spielt                       pyri liegen ediert vor.1 Vor allem die
Dabei muss man sich natürlich stets            hier wie bei jeder historischen Inter-                    Papyri aus der Spätzeit und deren Fol-
vor Augen führen, dass nur ein Bruch-          pretation eine ganz wesentliche Rolle.                    geepochen (d. h. ab ca. 650 v. Chr.)
                                                                                                         sind der Öffentlichkeit noch nicht zu-
                                                                                                         gänglich und stehen daher im Zen­
                                                                                                         trum umfangreicherer Editionsprojek-
                                                                                                         te. Die Edition bereitet die Handschrift
                                                                                                         durch deren Umsetzung in die wesent-
                                                                                                         lich leichter lesbare hieroglyphische
                                                                                                         Monumentalschrift sowie durch Text-
                                                                                                         Emendation, Lückenausfüllung, Über-
                                                                                                         setzung und Kommentar auf.2 In der
                                                                                                         Edition des heilkundlichen Textguts
                                                                                                         war Deutschland bis in die 1970er Jah-
                                                                                                         re führend; so wurde der größte Teil
                                                                                                         des heute zugänglichen Materials be-
                                                                                                         reits 1954 bis 1973 von den Mitarbei-
                                                                                                         tern der Deutschen Akademie der
                                                                                                         ­Wissenschaften zu Berlin, Hermann
                                                                                                          ­Grapow, Hildegard von Deines und
                                                                                                           Wolfhart Westendorf, in einem Lang-
                                                                                                           zeitprojekt erstmals zusammenhän-
                                                                                                           gend erschlossen. Das Ergebnis war
                                                                                                           der neunbändige Grundriß der Medizin
   Abb. 1: Schale mit Früchten, Deir el-Medineh, um 1300 v. Chr., Musée du Louvre (Pa­                     der Alten Ägypter3 als Basis jeder wei-
   ris), Inv.-Nr. E 14574                                                                                teren Bearbeitung der medizinischen

                                                                                           Nr.1/2 | April 2019 | 71. Jahrgang | Geschichte der Pharmazie |   11
                                                  https://doi.org/10.24355/dbbs.084-201911081256-0
Geschichte der Pharmazie

                                                                 konnte sich das trügeri-                     nen Disziplinen angefertigt worden
                                                                 sche Bild einer, wie es                      sind. So werden besonders die Überset­
                                                                 gern ausgedrückt wur-                        zungen des Mediziners Bendix Ebbell7
                                                                 de, „empirisch-rationa-                      häufig zitiert. Was machen sie so at-
                                                                 len“ Medizin durchset-                       traktiv? Ebbell hat 1937 im Papyrus
                                                                 zen, die einer „magisch-                     Ebers retrospektiv-diagnostisch ägyp-
                                                                 religiösen“ Heilkunde                        tische Krankheitsbezeichnungen für
                                                                 im Alten Ägypten ge-                         Rheuma, Gonorrhoe, Lepra, Asthma,
                                                                 genübergestanden habe.                       Hämorrhoiden, Bilharziose usw. zu
                                                                 Rezepte ohne Spruchgut                       finden gemeint und bewegte sich da-
                                                                 galten in der Konse-                         mit in einer medizinischen Fachtermi-
                                                                 quenz dieser Sichtweise                      nologie, die seiner wie auch unserer
                                                                 als „empirisch-rational“                     Kultur immanent war und ist. Gene-
                                                                 (Abb. 3), solche mit Be-                     rell kann man feststellen, dass Natur-
                                                                 schwörungen als „ma-                         wissenschaftler und Mediziner häufi-
                                                                 gisch-religiös“. Derarti-                    ger dazu tendieren, in alten Texten
                                                                 ge Einschätzungen prä-                       Modernes wiederzuentdecken, wohin-
                                                                 gen auch das neueste                         gegen Vertreter der historischen Kul-
                                                                 deutschsprachige Stan-                       turwissenschaften eher dazu neigen,
                                                                 dardwerk zur altägypti-                      vor allem die Differenzen von Konzep-
                                                                 schen Medizin, das                           ten zu betonen.8
    Abb. 3: Ausschnitt Papyrus Ebers, col. 8-9, 16. Jh. v. Chr., 1999 von Wolfhart                            Jeder Übersetzungsvorgang bringt
    Universitätsbibliothek Leipzig                               Westendorf veröffent-                        zwangsläufig den eigenen Erfahrungs-
                                                                 lichte Handbuch der alt­                     horizont mit ins Spiel. Je weniger nun
                                                                 ägyptischen Medizin,                         versucht wird, ein möglichst kultur­
Texte. Er umfasst auch zwei Spezial-              obwohl dort vermehrt auch Überset-                          immanentes Grundverständnis für
wörterbücher, darunter ein Wörter-                zungen des magischen Spruchguts                             eine Kultur zu entwickeln, desto eher
buch der Drogennamen. Hinzu kom-                  aufgenommen sind.5 Wie im Folgen-                           wird deren Heilkunde im heutigen
men auswertende Hintergrundinfor-                 den noch gezeigt wird, ist die Abtren-                      Licht erscheinen. Je deutlicher man
mationen, in die Kenntnisse aus nicht-            nung eines „magisch-religiösen Den-                         aber in einer Textübersetzung die
medizinischen Texten integrativ                   kens“ modernen, nachägyptischen                             Welt einer vergangenen oder fremden
einbezogen sind.                                  Sichtweisen geschuldet.6                                    Kultur nachzuvollziehen versucht,
Wenn man sich an der altägyptischen               Die eben genannten Standardwerke                            desto unverständlicher wird man un-
Sicht orientiert, dann fallen unter die           mit ihrer im Wesentlichen sehr soli-                        ter Umständen für die Leserschaft. Die
„medizinischen“ Texte auch die in den             den Materialbasis für weitere Unter-                        Autorin dieses Beitrags votiert daher
heilkundlichen Papyri enthaltenen                 suchungen sind aber nicht die einzi-                        dafür, dass ein Hauptaugenmerk bei
„magischen“ Passagen, d. h. vor allem             gen, die auf die Erforschung der ägyp-                      der Bereitstellung von Textquellen auf
die Beschwörungsformeln und die zu-               tischen Heilkunde bis heute einwir-                         einer Erläuterung des kulturellen Kon-
gehörigen Handlungsanweisungen.4                  ken. Denn die deutlich philologische                        textes und der zugrundeliegenden
Die Autoren des Grundriß haben den                Ausrichtung beider Werke hat häufig                         Konzepte liegt, was durch entspre-
Begriff „Medizin“ hingegen in ihrer               auch abgeschreckt und manch einen                           chend ausführliche Kommentare ge-
und unserer eigenen Zeit und Kultur               Nicht-Philologen auf andere Überset-                        lingen kann. Aufgabe der Pharmazie-
kontextualisiert, denn sie ließen die             zungen zurückgreifen lassen: Die Be-                        geschichte ist es, die entsprechenden
meisten magischen Passagen in ihrer               trachtung der Rezeption auch solcher                        kulturhistorischen Kompetenzen im
Gesamtausgabe bedauerlicherweise                  Übersetzungen zeigt, dass auf diesem                        Umgang mit vorliegenden Übersetzun-
weg. Dies konnte relativ unauffällig              Gebiet zwischen den wissenschaftli-                         gen und Quelleneditionen zu vermit-
gelingen, weil die heilkundlichen Ein-            chen Erkenntnisbehauptungen von                             teln, sodass übereilte Trugschlüsse
zeltexte nicht in der Überlieferungsge- Ägyptologen, Medizinern, Naturwis-                                    unterbleiben, und Wege aufzuzeigen,
meinschaft und Anordnung der Origi-               senschaftlern und Wissenschaftshisto-                       die den Anschluss an die heutige
nalpapyri, sondern unter anatomi-                 rikern gravierende Diskrepanzen be-                         Pharmazie ermöglichen.
schen und pathologischen Gesichts-                stehen, und das schon deshalb, weil so
punkten neu zusammengestellt                      gut wie kein interdisziplinärer Aus-
                                                                                                              Neue Wege zur Annäherung an
wurden, sodass ein verzerrtes Bild der            tausch stattfindet.
altägyptischen Medizin entstand. Auf-             Insbesondere Naturwissenschaftler
                                                                                                              eine kulturimmanente Sicht
grund dieser Aussonderung und Ver-                und Mediziner bevorzugen Überse­t­                          Von den rund 2000 bislang edierten,
bannung des magischen Textmaterials zungen, die von Vertretern der eige-                                      zumeist aus mehreren Bestandteilen

12 | Geschichte der Pharmazie | 71. Jahrgang | April 2019 | Nr.1/2
                                                           https://doi.org/10.24355/dbbs.084-201911081256-0
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