Georg Mylius - Industrie apotheker und Pionier der Farbfotographie* - TU ...
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ISSN 0939 - 334X | 71. Jahrgang | April 2019 | 1/2 Geschichte der Pharmazie DAZ Beilage | Redaktion Prof. Dr. Wolf-Dieter Müller-Jahncke | Prof. Dr. Christoph Friedrich Georg Mylius – Industrie EDITORIAL Bla bla bla … apotheker und Pionier der schrieb der Setzer in das drucktechni- sche „vacat“ dieser Ausgabe der „Ge- schichte“ und wollte damit andeuten, Farbfotographie* dass ihm der Text des Editorials noch nicht vorlag. Und doch waren diese ei- gentlich sinnlosen Buchstaben sehr sinnvoll, denn sie hinterfragen den Sinn eines Editorials in einem zwar Christoph Friedrich | Der Apotheker die er allerdings schon 1885 wieder weit gestreuten, aber vielleicht doch Georg Heinrich Mylius (1884–1979) verkaufte, um im gleichen Jahr die En- nur wenig gelesenen Periodikum. Diese fand in der Pharmaziegeschichte gel-Apotheke in Leipzig zu erwerben, Texte, die zur Gattung des „Tages- bisher kaum Erwähnung, auch in die er bis 1908 leitete. Ernst Mylius schrifttums“ zählen, haben dennoch der Deutschen Apotheker-Biogra- war ein Schüler des bedeutenden Che- ihre Berechtigung: Zum einen spiegeln sie allgemeine Richtungen und Trends phie fehlt sein Name. Dabei erwarb mikers August Wilhelm von Hofmann in der Pharmazie und der Pharmaziege- er sich als einer der Pioniere der (1818–1892) und hatte 1874 eine Stelle schichte wider, zum anderen weisen sie Farbfotographie – er widmete sich als Betriebschemiker in der Badischen auf den Inhalt der folgenden Seiten hin in Marburg, wo er promoviert wur- Anilin- und Sodafabrik (BASF) über- und stellen so einen Anreiz dar, weiter de, bereits sehr erfolgreich dem Lu- nommen, ehe er sich als praktischer zu lesen. Im Übrigen stehen sie in der mière-Verfahren –, aber ebenso als Apotheker niederließ. Möglicherweise Tradition der Hauptkommentare großer Industrieapotheker, u. a. als Be- weckte er bei seinem Sohn Interesse Tageszeitungen wie der FAZ, auch triebsleiter der Leo-Werke GmbH in an der industriellen Herstellung. Zu- wenn sie deren Wirkmächtigkeit nie er- reichen können. Soweit nun die Recht- Dresden, wie auch als Autor wissen- gleich galt er als hoch geschätzter fertigungs-Präludien – der Inhalt schaftlicher Werke große Fachschriftsteller, der nicht nur ein be- spricht hingegen für sich: Es wird der Anerkennung. Im Rahmen einer im deutendes Lehrbuch, die Schule der bisher nur wenig bekannte Apotheker Staatsarchiv Marburg veranstalte- Pharmacie. Bd. 1, praktischer Teil, 1893 Georg Mylius, ein Pionier der Farbfoto- ten Ausstellung werden seine Bio- verfasst hatte, sondern sich auch in der graphie des 20. Jahrhunderts und spä- graphie und seine Verdienste für Standespolitik engagierte. Seine Kritik terer Leiter der Leo-Werke in Dresden, die Pharmazie näher analysiert. am DAB 2, das noch in lateinischer vorgestellt. Zudem findet sich ein Bei- Sprache abgefasst war, führte dazu, trag über altägyptische Medizin, von einer Fachfrau auch für Laien (Nicht- Georg Heinrich Mylius wurde am 29. dass das DAB 3 dann in deutscher Ägyptologen) verständlich dargestellt, Juli 1884 als Sohn des Apothekenbesit- Sprache erschien. Zudem entwickelte sowie eine Abhandlung zu Karikaturen zers Dr. phil. Ernst Mylius (1846–1929) er als Spezialität den „Liquor Colchici auf die türkische Pharmazie, der offen- in Freiberg in Sachsen geboren. Sein compositus“, verfasste aber auch Bü- bart, wie sich trotz aller Gegensätze Vater Ernst Mylius hatte 1876 die Ele- cher zur Meteorologie.1 zwischen Orient und Okzident die Pro- fanten-Apotheke in Freiberg erworben, Seine Jugend verlebte Georg Mylius in bleme der Apotheker und die Sichtwei- Leipzig, wohin der Vater zwei Jahre se ihrer Patienten (zu denen auch die nach seiner Geburt übergesiedelt war. Karikaturisten gehören), gleichen. Die Redaktion der „Geschichte der Pharma- * Meinem Kollegen und Mitstreiter in der Phar- Hier besuchte er das Real-Gymnasium, zie“ wünscht den geneigten Lesern maziegeschichte Wolf-Dieter Müller-Jahncke in begann aber bereits am 9. Juli 1902 Freude und Belehrung bei der Lektüre. Dankbarkeit für die jahrzehntelange Freund- seine pharmazeutische Ausbildung in W.-D. Müller-Jahncke schaft zum 75. Geburtstag gewidmet der väterlichen Engel-Apotheke. Nr.1/2 | April 2019 | 71. Jahrgang | Geschichte der Pharmazie | 1 https://doi.org/10.24355/dbbs.084-201911081256-0
Geschichte der Pharmazie Im September 1905 bestand er das war erforderlich, denn Georg Mylius Pharmazeutische Vorexamen mit hatte, wie die meisten Apotheker, kein „sehr gut“ und wechselte ein Jahr spä- Abitur, sondern seine Gymnasialaus- ter in die Heidelberger Schwan-Apo- bildung 1901 mit der Berechtigung theke, die er aber bald verließ, um er- zum Einjährigen Freiwilligen Militär- neut in der Engel-Apotheke in Leipzig dienst beendet. Für Pharmazeuten war tätig zu werden. eine Promotion zwar ohne Abitur mög- lich, sie musste allerdings beim Minis- terium der geistlichen Unterrichts- Studium in Marburg und Medizinalangelegenheiten in Ber- 1906 immatrikulierte er sich an der lin speziell beantragt werden. Die Be- Universität Marburg, wo insbesondere fähigung zum Einjährigen Dienst, die die Pharmazeutischen Chemiker Ernst Mylius ebenso erworben hatte wie das Schmidt (1845–1921), Erwin Rupp Pharmazeutische Vorexamen, waren (1872–1956) und Oskar Keller (1877– dafür Bedingung. 1959), der Botaniker Arthur Meyer Betreuer seiner Dissertation war der (1850–1922),2 aber auch die Philoso- Apotheker und seit 1891 ordentliche phen Paul Gerhard Natorp (1854–1924) Abb. 1: Georg Mylius im Alter von 24 Professor der Botanik und Direktor und Hermann Cohen (1842–1918), der Jahren, Foto: Wilhelm Risse des Botanischen Gartens sowie des Bo- Meteorologe und Physiker Alfred tanischen und Pharmakognostischen Wegener (1880–1930), der Archäologe Instituts der Universität Marburg, Ar- Das Promotionsverfahren Ludwig von Sybel (1846–1929), der thur Meyer. Meyer, in Langensalza ge- Universitätsmusikdirektor Gustav Jen- von Georg Mylius boren, hatte die Pharmazeutische ner (1865–1920), der Mathematiker Im Februar 1912 sandte Georg Mylius Staatsprüfung in Straßburg absolviert und Kunsthistoriker Carl Alhard von seine Dissertation an den Dekan der und war anschließend Assistent bei Drach (1839–1915), der Kunsthistori- Philosophischen Fakultät, den Ordina- Friedrich August Flückiger (1828– ker Constanz Franz Bock (1876–?) und rius und Professor für neue deutsche 1894) gewesen, unter dem er 1882 pro- der Professor der Hygiene, Paul Hein- Sprache und Literatur, Ernst August moviert worden war. Drei Jahre später rich Römer (1876–1916) seine Lehrer Elster (1860–1940). Der Dissertation habilitierte er sich in Göttingen für waren.3 Die große Anzahl der in sei- war ein handschriftlicher Lebenslauf Botanik und übernahm ein Jahr später ner Dissertation erwähnten akademi- beigelegt sowie ein Gesuch um Dis- eine außerordentliche Professur für schen Lehrer zeigt seine vielseitigen pens nach § 1 Abs. B des Auszuges Pharmazeutische Chemie in Münster. Interessen: Neben pharmazeutischen, aus der Promotionsordnung der Philo- Als Schüler Flückigers6 erhielt er eine naturwissenschaftlichen und medizi- sophischen Fakultät. Dieses Gesuch hervorragende Ausbildung, die ihn für nischen Fächern erstreckten sich die- se auf Geschichte und Kunstgeschich- te, aber auch Musik. Mylius war als Schüler von Maximilian Schwedler (1853–1940) in Leipzig4 ein guter Flö- tist, der später mit seiner Ehefrau Ilse Hausmusik pflegte und als erster Solo- flötist des Mozart-Vereins in Dresden wirkte5. 1908 legte Georg Mylius das Pharma- zeutische Staatsexamen ab und wid- mete sich anschließend im Botani- schen Institut der Universität Mar- burg im Alten Botanischen Garten seinen Studien zur Dissertation. Dane- ben dürfte er bei den angegebenen Professoren Vorlesungen zur Erweite- rung seiner Bildung gehört haben. Au- ßerdem arbeitete Georg Mylius ab 1910 in einer Apotheke in Wetter. 1912 erhielt er seine Approbation als Abb. 2: Der 26jährige Georg Mylius (l.) als Promovend im Botanischen Institut der Uni Apotheker. versität Marburg 2 | Geschichte der Pharmazie | 71. Jahrgang | April 2019 | Nr.1/2 https://doi.org/10.24355/dbbs.084-201911081256-0
Geschichte der Pharmazie hervorragende zu be- einer Spitzbergen-Expedition begleiten zeichnen“.8 Die Arbeit wolle. Wegen seiner Beinprobleme selbst war mit 120 Sei- lehnte Mylius aber ab, und die Expedi- ten für diese Zeit unge- tion fand ohne ihn statt. Wie er in sei- wöhnlich umfangreich 9 nem Brief sarkastisch feststellte, hatte und vorbildlich, sodass dann ein anderer durch Erfrieren sei- Meyer, nachdem er ne Füße verloren. nochmal betont hatte, Das Examen, so schreibt Mylius, fand dass der Kandidat auch jedoch nicht bei Wegener, sondern das Staatsexamen mit bei dem Ordinarius der Physik, Franz der Note 1 bestanden Richarz (1860–1920), statt.13 Auch die- habe, resümierend fest- ser kannte Myliusʼ Farbfotographien, stellte: „Besonders auch die, wie er betont, „damals etwas sen- mit Rücksicht auf die sationell Neues waren: das Lumière- Dienste, welche er durch Verfahren, denn Farbfilme gab es da- die exakt durchgeführ- mals noch nicht“.14 Mylius war Richarz ten Untersuchungen der auf einem „Pirschgang“, also auf der Botanik geleistet hatte, Jagd, begegnet und besuchte dessen befürworte ich sein Ge- Haus auch zum Musizieren. Hier wur- such angelegentlich“.10 de ihm erklärt, dass er an einem Pult Mylius schilderte rück- säße, an dem schon Felix Mendels- blickend in einem Brief sohn-Bartholdy (1809–1847) gespielt Abb. 3: Titelblatt der Dissertation von G. Mylius an seinen Sohn Gering hätte, denn Richarz war mit der Fami- Mylius (1920–2015) sein lie Mendelssohn bekannt. Seine Frau, seine Tätigkeit in Marburg bestens Promotionsverfahren und bemerkte, eine Tochter des Physiologen Emil du vorbereitete.7 dass er „in Marburg nicht ganz unbe- Bois-Reymond (1818–1896), hatte zu- Der Dekan der Philosophischen Fakul- kannt durch 24 Farbfotografien, die dem mit Mylius‘ Vater in Berlin in en- tät bat, ehe er das Promotionsverfah- ich als Postkarten veröffentlicht hat- gerem Kontakt gestanden. Georg Myli- ren von Mylius weiterführen wollte, te“, war. Außer in Botanik wurde er 11 us widmete sich gemeinsam mit der Arthur Meyer um ein Gutachten über auch in Physik geprüft, einem Fach, Frau von Richarz ferner dem Bogen- die Arbeit. Dieses Gutachten vom 25. das ihm, wie er erstaunlicherweise an- schießen, und auf der Hygiene-Aus- Februar 1912 findet sich in der Promo- gibt, nicht zusagte. Er wandte sich da- stellung in Dresden 1911 gab es ein tionsakte und ist ungewöhnlich posi- her an den Geophysiker und Meteoro- gemeinsames „Bogenschießmeeting“.15 tiv. Thema der Arbeit, die 1912 in Mar- logen Alfred Wegener, der seine 12 Vor dem Examen machte Mylius, wie burg gedruckt wurde, war Das Poly Farbfotographien kannte. Wegener er sich erinnerte, 1912 im Frack bei derm. Eine vergleichende Untersuchung fragte ihn, ob er ihn als Fotograph auf Wegener einen „Höflichkeitsbesuch“ über die physiologischen Scheiden Poly derm, Periderm und Endodermis. Meyer betont darin, dass Mylius in seiner Ar- beit „eine bisher unbekannte physiolo- gische Scheide der höheren Pflanzen [behandelt]. Es ist in ihr der Begriff des Polyderms aufgestellt worden, und es sind die unter diesem Begriff zu- sammengefassten anatomischen Tatsa- chen in sorgfältiger und umfassends- ter Weise dargestellt worden. So wird die Arbeit von Mylius für ein nicht un- wichtiges Gebiet der Anatomie der hö- heren Pflanzen grundlegend bleiben. Zugleich enthält die Arbeit eine kriti- sche Zusammenfassung dessen, was wir über das Periderm wissen. Diese Zusammenfassung würde allein für eine Dissertation ausreichen. Die ein- Abb. 4: Farbfotographie nach dem Lumière-Verfahren von Georg Mylius: Blick auf die gereichte Arbeit ist durchaus als eine Alte Universität und Weidenhäuser Brücke Nr.1/2 | April 2019 | 71. Jahrgang | Geschichte der Pharmazie | 3 https://doi.org/10.24355/dbbs.084-201911081256-0
Geschichte der Pharmazie und eröffnete seinem Prüfer, dass er legt. Ein Zeugnis von Dr. Friedrich wie Tetzner hervorhob, den gesamten zu allem geprüft werden könne, was Tetzner aus dem Jahre 1925 erlaubt Umzug des Unternehmens und lernte Heiterkeit hervorrief. Wegener stellte Einblicke in die Tätigkeit von Mylius die Arbeiter an, mit den entsprechen- ihm, wie er berichtet, dann unter an- in der kosmetischen Fabrik in Altona- den Maschinen umzugehen.19 derem eine knifflige Frage: „Wenn Ottensen. Tetzner schreibt, dass Myli- Georg Mylius schied während der eine kalte und eine warme Luftschicht us als Geschäftsführer „die betriebs- Wirtschaftsdepression 1927 aus dem übereinander gleiten, so entstehen technischen und wirtschaftlichen Ob- Unternehmen aus. Anschließend war Wellen. In welcher Schicht entstehen liegenheiten“ erfüllte und „den gestell- er in einigen Apotheken, so in Sülfeld die größeren Wellen?“ Mylius antwor- ten vielseitigen Anforderungen in in Holstein, in Altona-Othmarschen, tete gemäß eines Analogieschlusses: einer hervorragenden Weise gerecht in der Löwen-Apotheke Wismar und in „In der warmen Luftschicht.“ Mylius geworden“ sei. Er betont dessen beson- Falkenburg in Pommern tätig.20 bestand seine Prüfung insgesamt mit dere Erfahrungen „in der Zusammen- Eins.16 stellung und Ausarbeitung von kosme- Aufenthalt in Kirchen Von Marburg aus unternahm er eine tischen Präparaten und Parfümen jeg- Ballonfahrt nach Bremerförde, und er licher Art.“ Im Einzelnen beschäftigte an der Sieg wurde gefragt, ob er mit seiner Farbfo- sich Georg Mylius hier, wie es im Von 1928 bis 1929 arbeitete Mylius in tographie nicht auch Wolkenaufnah- Zeugnis heißt, mit Herstellungsvor- der Privilegierten Apotheke in Kir- men machen könne. Das Lumière-Ver- schriften für Kopfwässer, Toiletten- chen an der Sieg bei Apotheker Walter fahren bewährte sich dazu aber nicht, wässer, Luxuslotiones, Parfüme, Zahn- Jahncke (1885–1943),21 dem Großvater da alle Bilder blaustichig wurden.17 wässer, Zahncremes, Puder, Schmin- des Pharmaziehistorikers Wolf-Dieter Das Lumière-Verfahren war zu Beginn ke, Brillantine, Seifen und Seifenpar- Müller-Jahncke. Wie Jahncke in sei- des 20. Jahrhunderts in Frankreich füme. Aber es waren nicht nur seine nem Zeugnis feststellte, hatte Mylius von den Brüdern Auguste Marie Louis fachlichen Kenntnisse als Chemiker, „die bei seinem Eintritt gestellte Auf- Nicolas Lumière (1862–1954) und Lou- Kosmetiker und Parfümeur, die Tetz- gabe“, ein Homöopathisches Laborato- is Jean Lumière (1864–1948) entwi- ner hervorhebt, sondern ebenso sein rium auszubauen,22 zu seiner „vollsten ckelt worden. Es erlaubte farbige foto- „feiner Geschmack an der Ausstattung Zufriedenheit ausgeführt“.23 graphische Direktaufnahmen mittels der Präparate“. Hier zeigen sich, wie Dabei erwies er sich, wie Jahncke be- nur einer Platte, indem es sich eines bei den von ihm gemachten Farbfotos, tonte, als hervorragender Organisator, Farbfilters aus Kartoffelstärkekörnern sein künstlerisches Talent und sein tüchtiger Kaufmann und konnte dank bediente. Sinn für Gestaltung. Hervorgehoben „genauer Kenntnis maschineller Ar- Bei den von Mylius erstellten Bildern wird ferner, dass er den gesamten Fab- beitsmethoden und der Behandlung mit Autochrom-Platten, die z. T. bis rikbetrieb auf maschinelle Arbeits von Maschinen [...] die Herstellung heute erhalten geblieben sind, handelt methoden umstellte und technische von Tabletten und Homöopathischen es sich höchstwahrscheinlich um die Fähigkeiten im durchkonstruierenden Globuli mit Geschick ausarbeiten.“ Zu- ersten – zumindest bekannten – Farb- Erfinden von Apparaten und Maschi- dem richtete er eine „kleine Druckerei aufnahmen der Stadt Marburg im Di- nen besaß. Mylius organisierte zudem, in mustergültiger Weise“ ein. Auch rekt-Diapositiv-Verfahren der Gebrü- der Lumière.18 Tätigkeit in der kosmetischen Industrie Die damaligen Schwierigkeiten in der öffentlichen Apotheke – Mylius war nach seiner Promotion bis 1914 in der St. Martini-Apotheke in Braunschweig tätig gewesen – veranlassten ihn kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in die Fabrik kosmetischer Präparate von Dr. Tetzner in Altona-Ottensen einzutreten. Während des Krieges stand er allerdings dem Roten Kreuz in Altona zur Verfügung. 1921 wurde die Fabrik, an der sich Mylius auch finanziell beteiligte, in ein größeres Gebäude in Altona ver- Abb. 5: Laboratorium in der Firma Dr. Friedrich Tetzner 4 | Geschichte der Pharmazie | 71. Jahrgang | April 2019 | Nr.1/2 https://doi.org/10.24355/dbbs.084-201911081256-0
Geschichte der Pharmazie Fabrikationsbetrieb, der ten des Betriebsleiters und des Ent- zunächst auf nur zwei wicklungslaboratoriums. Mir unter- Nebenräume der Apo- steht seitdem der gesamte technische theke beschränkt war, und wissenschaftliche Betrieb einschl. nannte er nach der Lö- Fabrik und seit 1945 auch das Calci- wen-Apotheke „Labora- um-Werk Riesa“.28 Mylius entwickelte torium Leo“. 1909 ver- in dieser Zeit eine Anlage zur Destilla- legte von Mayenburg tion von Pfefferminzöl für den werks- die Herstellung in die eigenen Betrieb in Rumänien und bau- Prager Straße 45, in der te die pharmazeutische Abteilung aus. Chlorodont® nun ma- Unter seiner Leitung wurde das weit- schinell produziert hin bekannte Abführmittel Leo-Pillen wurde. 1924 beschäftig- auf den Markt gebracht. te das Werk bereits 400 In seinem Lebenslauf bemerkt er über Mitarbeiter, und in der seine damalige Arbeit: „Im Laufe der Dresdner Neustadt ent- 24 Jahre habe ich die Fabrikationsme- standen große Produkti- thoden, die z. T. noch in der Form des onshallen sowie ein Kleinbetriebes liefen, grundlegend neues Verwaltungsge- modernisiert, habe neue Arbeitsver- bäude.25 Ein Jahr später fahren und Maschinen eingeführt, Ap- erfolgte die Umwand- parate für die speziellen Zwecke des lung des Laboratoriums Betriebes konstruiert und z. T. im Leo in die „Leo-Werke Werk selbst bauen lassen. Die Präpara- A. G.“, wobei sämtliche te der Leo-Werke wurden ihrer Zu- Aktien im Familienbe- sammensetzung nach kritisch durch- Abb. 6: 2. Seite des Zeugnisses von Walter Jahncke für sitz blieben. Die Pro- geprüft und vorhandene Störungsmo- Georg Mylius duktion lief im großen mente ausgemerzt. So wurden grund- Stil ab, und, um von legend stabilisiert und verbessert: hier bewies Mylius, wie Jahncke her- Rohstofflieferungen unabhängig zu Leo-Pillen, Leo-Dosierer, Chlorodont vorhob, erneut „viel Geschmack und sein, wurde Pfefferminze auf einer ca. und Valinervin“.29 Zugleich berichtet Erfahrung“. Er stellte das Homöopathi- 500 ha großen Fläche im rumänischen Mylius, eine große Anzahl von Ent- sche Zentrallaboratorium auf der Apo- Kronstadt (heute Brasov) angebaut so- wicklungsarbeiten für neue Präparate thekermesse in Heidelberg vor. Jahn- wie in einer Großdestil- cke bestätigte Mylius‘ Energie, Um- lationsanlage nach ame- sicht, Ordnungsliebe, gediegene rikanischem Muster zu Kenntnisse als praktischer Botaniker Pfefferminzöl verarbei- und Chemiker. Er hatte zudem noch tet.26 seinen Nachfolger selbst eingearbeitet Als Georg Mylius als und gab, Jahncke zufolge, seine An- Betriebsleiter in die Fir- stellung auf eigenen Wunsch auf, um ma eintrat, war im Jahr eine aussichtsreichere Stellung anzu- zuvor die Umwandlung treten. der Leo-Werke AG in eine GmbH mit Zweig- niederlassungen in Betriebsleiter der Leo-Werke Frankfurt am Main, in Dresden Hamburg, München Georg Mylius wurde 1929 Betriebslei- und Berlin sowie zahl- ter der Leo-Werke GmbH in Dresden, reichen Auslandsvertre- die von Apotheker Ottomar Heinsius tungen erfolgt.27 Mylius von Mayenburg (1865–1932) gegrün- selbst berichtet in sei- det worden waren. Dieser hatte 1907 nem Lebenslauf: „Am die altehrwürdige Dresdner Löwen- 1. 11. 29 wurde ich von Apotheke übernommen, in der er noch Herrn Dr. von Mayen- im gleichen Jahr eine selbst zubereite- burg für die Leo-Werke te Zahncreme in Metalltuben abfüllte, in Dresden engagiert Abb. 7: Die Leo-Werke in Dresden, in denen Mylius seit die er Chlorodont® nannte.24 Seinen und übernahm den Pos- 1929 tätig war Nr.1/2 | April 2019 | 71. Jahrgang | Geschichte der Pharmazie | 5 https://doi.org/10.24355/dbbs.084-201911081256-0
Geschichte der Pharmazie Veröffentlichungen voll freudiger Mitarbeit“, „in einem Land voller Schönheiten“, um die Pfef- Mylius veröffentlichte einige seiner ferminzdestillation kümmerte. Der Forschungsergebnisse in pharmazeu- Anbau von ersten „Mitscham Pfeffer- tischen und naturwissenschaftlichen minztrieben“ war noch von Mayen- Journalen. Bereits 1931 publizierte er burg initiiert worden, der diese mit in der „Medizinische Welt“ einen Auf- dem Flugzeug von England nach Sie- satz, in dem er sich mit der Zerfallge- benbürgen brachte und hier Versuchs- schwindigkeit von Tabletten befasst.32 felder anlegen ließ. Dem Unternehmen Darin beschreibt er anhand verschie- war Erfolg beschieden, und Mylius er- dener Versuchsanordnungen den Zer- lebte die Ernte riesiger Mengen Pfef- fall der von ihm entwickelten Leo-Pil- ferminzkraut. Ergänzt durch einige len®. Mylius weist nach, dass die Lös- anschauliche Bilder, berichtet er über lichkeit und Verteilung der Leo-Pille®, die Ernte und schließlich auch über bei der es sich um eine komprimierte die Destillation, bei der siebeneinhalb Tablette handelt, die aus schweren Liter Destillat in der Minute durch die Abb. 8: Leokrem an deren Entwick oder unlöslichen Stoffen besteht, ei- Vorlagen flossen. Das „spiegelblanke lung und Werbung Mylius beteiligt nerseits von der Temperatur des Lö- Öl“ wurde in Blechkannen zu 50 kg war sungsmittels, andererseits aber insbe- aufgefangen und nach Dresden ge- sondere von der mechanischen Bean- schickt, wo es noch rektifiziert wer- spruchung abhängt. Er stellt fest, dass den musste. Anschaulich und für je- durchgeführt zu haben, so für Leo- „der Zerfall bei einfachem Einlegen dermann verständlich erläutert Mylius Schweißkrem, Leodor fetthaltig, Leo- einer Tablette in ein Becherglas mit die Arbeitsvorgänge und seine Bemü- krem, Leo-Hautöl, Leo-Brillantine, Wasser und der Zerfall einer einge- hungen, diese zu rationalisieren.34 Leo-Stangenbrillantine, Chlorodont- nommenen Tablette im Darmkanal“ In einem 1941 erschienenen Aufsatz, Zahncremetten, Valinervin-Tabletten, ganz verschieden verlaufen. In weite- in der Pharmazeutische Industrie, wird Leo-Kaffetten, Leo-Kaffettenpaste. ren Versuchen wurden die physiologi- das Thema in wissenschaftlicher Form Daneben bemühte er sich um die Ent- schen Bedingungen nachgestaltet, behandelt. Einleitend bemerkt Mylius, wicklung von Gleitmitteln für die Tu- und hier konnte Mylius zei- benfabrik zum Tubenziehen sowie von gen, dass der Zerfall nach Innenschutzlacken und sonstigen 29 Minuten begann und technischen Maßnahmen. Mylius be- nach 221 Minuten beendet reiste zudem die zahlreichen Aus- war. Er schlussfolgert, dass landsfilialen und kontrollierte insbe- die Leo-Pille® etwa 20 Mi- sondere die Arbeit in Mailand sowie in nuten im Magen verweilt Kronstadt in Rumänien, wo er „mehre- und sich hier ihrer Zucker- re Jahre die Pfefferminz-Destillation hülle entledigt und dann geleitet und die Ausbeute an Öl durch im Darm zerfällt.33 neue Konstruktion von Apparaturen 1940 erschien in der Werks erhöhte“.30 zeitschrift der Chlorodont- Außerdem berichtet Mylius, dass er Fabrik „Die Gemeinschaft“ für die „Werbe-Abteilung“ Werbetexte ein Beitrag von Mylius mit und Anzeigen für fachwissenschaftli- dem Titel „Pfefferminz che Zeitschriften und Prospekte ent- Destillation in Brenndorf“. worfen und die Werbetexte auf wis- Im Unterschied zu seinen senschaftlich einwandfreien Ausdruck sonst überwiegend wissen- geprüft sowie auch wissenschaftliche schaftlichen Aufsätzen Artikel verfasst hatte. Hier konnte My- wendet sich Mylius mit die- lius seinen künstlerischen Interessen sem Artikel in leicht ver- nachgehen, denn in den Leo-Werken ständlicher Weise an die wurde eine aktuelle Bildsprache ent- Mitarbeiter des Unterneh- wickelt, die auf Plakaten, in Zeitungs- mens. Er berichtet, dass anzeigen und sogar auf aufwändig de- Brenndorf ein „kleines, un- korierten Lieferfahrzeugen, ja sogar scheinbares Dorf in Sieben- auf Bussen und Straßenbahnen für die bürgen“ ist, wo er sich „mit Firma warben.31 warmherzigen Menschen Abb. 9: Veröffentlichung von Georg Mylius 6 | Geschichte der Pharmazie | 71. Jahrgang | April 2019 | Nr.1/2 https://doi.org/10.24355/dbbs.084-201911081256-0
Geschichte der Pharmazie „man kann wohl sagen, daß wenige Heilpflanzen so unzweideutig und un- bestritten sich über Jahrhunderte der Gunst des Menschen erfreut haben, wie die Pfefferminze – Mentha piperi- ta“.35 Zunächst schildert er die Ge- schichte der Droge, die schon im Alten Ägypten angebaut worden sein soll. Ausführlich beschreibt er die Nutzung der Pflanze in der Nahrungsmittel- und kosmetischen Industrie, um schließlich auch auf den Anbau der Pflanze und die Gewinnung des Pfef- ferminzöls in den Leo-Werken in Sie- benbürgen einzugehen. Dieser Aufsatz enthält teils die gleichen Bilder wie in Abb. 10: Georg Mylius als Mitarbeiter des VEB Leo-Werke dem Bericht in der Firmenzeitschrift.36 schreitet der Aufbau vom Faschismus Überzugs der Stempel mit Silikonlack Mylius als leitender Mitarbeiter zerstörter Städte und vernichteter In- das Kleben an den Presswerkzeugen eines Volkseigenen Betriebes dustrien weiter. Der 2. Fünfjahrplan verhindern könne.41 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde stellt nun seine Aufgaben, die wir mit 1963 veröffentlicht Mylius schließlich Georg Mylius zum Hauptingenieur den gesammelten Erfahrungen, mit noch eine Arbeit über die Florentiner und Technischen Leiter der Leo-Werke gutem Willen und aller Bereitschaft lö- Flasche in der Zeitschrift „Riechstoffe ernannt. Er übernahm zugleich die sen werden. Mag 1956 das Jahr wer- und Aromen“. Hier beschreibt er eine wissenschaftliche Leitung des inzwi- den, das einmal in der Geschichte das durchkonstruierte Florentiner Fla- schen enteigneten Volkseigenen Be- Friedensjahr genannt wird. Unser ge- sche, die zur Großdestillation von Pfef- triebes (VEB).37 meinsames Wirken soll dazu beitra- ferminzöl Verwendung finden kann, Mylius verfasste auch als leitender gen, dieses hohe Ziel zum Wohle der die weitgehend Ölverluste verhindert Mitarbeiter des staatlichen Betriebes Menschheit zu erreichen“.39 Im Einzel- und eine Arbeitsersparnis sowie eine nach 1945 einige Publikationen, in de- nen berichtet Mylius über die Entwick- Qualitätsverbesserung des Öls ermög- nen er über seine wissenschaftlichen lung eines Glyzerin-Hautgelees. Resü- licht. Untersuchungen in den Leo-Werken mierend betont er am Ende, dass das Mylius wurde, wie er in einem hand- berichtet. 1951 erschien in der Zeit- „Leo-Glycerin-Hautgelee als Spitzen- schriftlichen Zusatz zu seinem Le- schrift „Chemische Technik“ eine Ar- präparat seiner Klasse überall da emp- benslauf aus dem Jahre 1953 festhält, beit, die sich mit der Entwicklung von fohlen werden [soll], wo der Verbrau- im Juni 1951 mit einem Einzelvertrag, Mund- und Zahnpflegemitteln be- cher ein Hautpflegemittel wünscht, den es in der DDR damals für heraus- schäftigt. Hier unterscheidet er ver- das nicht kremig ist und insbesondere ragende Vertreter der Intelligenz, ins- schiedene Arten, wie feste und pastö- nicht fettet und daher bei der täglichen besondere aber für Ärzte, Apotheker se Pflegemittel, Tabletten und flüssige Arbeit oder beim Hantieren mit emp- und Lehrer gab, zum Hauptingenieur Mund- und Zahnpflegemittel. In sei- findlichem Material nicht hinderlich ernannt. Wie er anführt, war er dann nem Aufsatz bemerkt Mylius ganz im ist“.40 In dem Werbeprospekt findet noch bis Ende 1957 als technischer Di- Sinne der DDR einleitend, dass „im sich schließlich noch eine Werbung für rektor der Werke in Dresden, Riesa Mittelpunkt aller Wirtschaftspläne [...] die Chlorodont-Zahnpasta. und Jena tätig.42 Während seiner Tätig- die Sorge um den schaffenden Men- 1961 erschien in der Deutschen Apo- keit im VEB Leo-Werk arbeitete Myli- schen, dessen Leistungsfähigkeit er- theker-Zeitung ein Aufsatz über „Tal- us in einigen Kommissionen mit, so halten und gefördert werden muss“, cum in der Tabletten-Fabrikation“ von im Zentralen Arbeitsausschuss Fließ- steht.38 Mylius. Darin beschäftigt er sich mit pressen Kammer der Technik, in ei- 1956 erschien unter der Rubrik „Chlo- der Verhütung des Klebens der Press- nem Ausschuss zur Standardisierung rodont Leo“ ein Werbeheft „Der Kon- masse beim Tablettieren durch Tal- der Kunststofftuben und Schraubhüt- takt“, in dem Mylius in geradezu sozia- kum. Er unterscheidet verschiedene chen, im Kosmetischen Kollektiv, im listischer Manier über die Erfolge der Talkumsorten hinsichtlich ihrer Eig- Arbeitskreis Kunststofftuben und in Leo-Werke berichtet: „Weit öffnen sich nung und bietet Prüfmethoden zur der Kommission Standardisierung: die Tore des neuen Jahres, voller Zu- Qualifizierung ihrer Fettigkeit. Zum Entwicklung chemischer und physika- versicht blicken wir vorwärts. Unend- Schluss erwähnt er, dass man auch lischer Prüfmethoden für Kreide und lich viel wurde geschaffen. Rastlos ohne Zusatz von Talkum mittels eines Calcium carbonicum praecipitatum.43 Nr.1/2 | April 2019 | 71. Jahrgang | Geschichte der Pharmazie | 7 https://doi.org/10.24355/dbbs.084-201911081256-0
Geschichte der Pharmazie 1954 feierte er sein 25-jähriges gersegel 1923 beschreibt. Außer zu In seinen letzten Lebensjahren ent- Dienstjubiläum, das im großen Rah- den mecklenburgischen Seen segelten standen von Mylius über 50 genealogi- men begangen wurde. Erst 1958, im sie auf dem Wannsee, Tegeler See, sche Arbeiten, die zu vielen neuen fa- vorgerückten Alter von fast 74 Jahren, Stoltsee, Schwedtsee, nach Steinförde miliengeschichtlichen Erkenntnissen gab er seine Tätigkeit auf, um sich nun und zur Steinhavelmühle.49 führten.50 So forschte er zur Familie ganz seinen genealogischen und fami- Mylius-Schleiz, beispielsweise zum liengeschichtlichen Studien zu wid- Lehnsgut der Familie Gering zu men.44 Privates Schleiz, und entdeckte die Grundmau- In erster Ehe war Georg Mylius mit Il- ern der Davidmühle in Schleiz. Georg se Marie Schulz verheiratet, der Toch- Mylius erwies sich als Seele des Fami- Weitere wissenschaftliche ter des Hamburger Großkaufmanns lienverbandes Mylius-Schleiz. Bereits Arbeiten Richard Schulz (1864–1919), Besitzer seit 1918 hatte er als Schriftführer der Neben Untersuchungen, die Mylius im der Hamburger Exportfirma Hengs- Mitteilungen des Verbandes der Familie Rahmen seiner Tätigkeit als Industrie- tenberg & Schulz, und dessen Ehefrau gewirkt51 sowie seit 1916 für 55 Jahre apotheker publizierte, entstanden Anna Lührs (1874–1936). Die Heirat als Archivar der Familie. Allerdings auch Veröffentlichungen zu anderen ermöglichte ihm einen Aufstieg in das beendete 1941 der Entzug der Drucker- Themen. Bereits 1926 verfasste Mylius Hamburger Bürgertum und dürfte laubnis das weitere Erscheinen dieser einen pharmaziehistorischen Aufsatz, ihm auch den Einstieg in die kosmeti- Mitteilungen. Nach dem Krieg gab My- der in der Pharmazeutischen Zeitung sche Industrie bei Dr. Friedrich Tetz- lius dann Nachrichten der Familie Myli in der von Georg Edmund Dann (1898– ner erleichtert haben, an der er sich ja us heraus, die 1962 erstmalig erschie- 1979) begründeten Reihe „Deutsche finanziell auch beteiligt hatte. Die nen und bis 1990 jährlich veröffent- Apothekerfamilien“ erschien.45 Mylius Hochzeit fand in Hamburg-Blankenese licht wurden. In über 300 Gedichten berichtet hier über seine eigene Fami- am 9. September 1919 statt. und Sentenzen verarbeitete er Erinne- lie unter der Überschrift „Die Familie In zweiter Ehe war er mit Charlotte rungen seines Lebens. Mylius und ihre Apotheker“. Der Auf- Tschirschky, verwitwete Walz (1908– Georg Mylius verstarb am 10. Mai satz beginnt mit genealogischen Un- 1995), verheiratet. 1937 bezog die Fa- 1979 im gesegneten Alter von 95 Jah- tersuchungen, in deren Verlauf er den milie Mylius ein selbst erbautes Haus ren in Dresden. Er wurde unter einer Ursprung der Familie von ihrem an der Elbe in Dresden, Bautzner Stra- Sandsteinstele mit Greifenwappen auf Stammherrn Gering dives, den um ße 100 a, das Haus „Drei Rosen“ mit dem Urnenfriedhof in Dresden Tolke- 1150 geborenen Gering den Reichen, einem prachtvollen Garten, das aber witz beigesetzt.52 herleitet. Mylius beschreibt weiterhin bei der Zerstörung Dresdens am 13. einzelne Apothekerpersönlichkeiten Februar 1945 schwer beschädigt wur- und stützt sich auf seine Geschichte de. Vor dem Einzug der sowjetischen Resümee der Familie Mylius-Schleiz 1895–1917, Truppen evakuierte Georg Mylius sei- Georg Mylius gehört ohne Frage zu die 1917 im Selbstverlag des Verban- ne Familie ins Erzgebirge und blieb den bedeutenden Apothekern des 20. des der Familie Mylius-Schleiz er- im Haus, in dem das im Keller depo- Jahrhunderts. Bereits sehr früh, noch schienen war.46 Als ältesten Vertreter nierte Familienarchiv erhalten blieb. als Student und Doktorand in Mar- der Pharmazie nennt er Polycarpus burg, erwarb er sich große Verdienste Mylius (1589–1649), der als Apotheker um die Entwicklung der Farbfotogra- in der freien Reichsstadt Regensburg phie. 24 heute noch erhalten gebliebe- wirkte.47 Neben zahlreichen weiteren ne farbige Ansichtskarten von Mar- Apothekern der Familie erwähnt er burg und Umgebung spiegeln seine auch seinen Vater, Dr. Ernst Mylius, erfolgreiche Anwendung des Lumière- und dessen Bruder Franz Mylius so- Verfahrens wider. Mit seiner Dis wie Johann Carl Mylius (1864–1914). sertation in Marburg leistete er einen Die Arbeit endet mit seiner eigenen überdurchschnittlichen Beitrag zur Biographie sowie der Erwähnung von botanischen Forschung. zwei Vettern, die gleichfalls als Apo- Eingang in die Geschichte der Phar- theker tätig waren.48 mazie verdient Mylius aber vor allem Schließlich veröffentlichte Mylius als Industrieapotheker. Die Dresdner auch einige Beiträge, die in der Zeit- Leo-Werke verdanken ihm nicht nur schrift Der Segelsport – Der Motorsport die Entwicklung zahlreicher neuer erschienen, beispielsweise in zwei Präparate, wie das Abführmittel Leo- Fortsetzungen über seine „Amphibi- Pillen. Hier war er auch ganz entschei- sche Ferienreise“, in der er eine Boots- Abb. 11: Altersbildnis von Georg dend am Aufbau der maschinellen fahrt mit einer offenen Jolle mit Lug- M ylius Produktion beteiligt und entwickelte 8 | Geschichte der Pharmazie | 71. Jahrgang | April 2019 | Nr.1/2 https://doi.org/10.24355/dbbs.084-201911081256-0
Geschichte der Pharmazie neue Verfahren und Techniken, die er Keywords: 4 Maximilian Schwedler war Soloflötist im Pharmacist biography, pharmaceutical indust- Gewandhausorchester Leipzig und Profes- auch in Publikationen bekannt mach- sor am Leipziger Konservatorium. Johan- ry, pharmaceutical industry of the GDR, Leo- te. Dank seiner künstlerischen Inter- Werke, beginnings of colour photography, pro- nes Brahms (1833–1897) lobte sein Flöten- essen – Mylius hatte in Marburg auch motion of medicinal products spiel und Carl Reinecke (1824–1910) wid- mete ihm sein Flötenkonzert op. 283. Er kunstgeschichtliche Vorlesungen be- Der Autor dankt Frau Ulrike Mylius-Fauler für Auskünfte und vielfältige Einblicke in das Fa- verfasste 1897 den Katechismus der Flöte legt – nahm er erheblichen Einfluss und des Flötenspiels, siehe dazu Musik in milienarchiv. auf die Werbung, für die die Leo-Wer- Geschichte und Gegenwart. Kassel u. a. ke bekannt waren. Nach 1945 über- 1965, Bd. 12, Sp. 367f. Abbildungsnachweise 5 Horst Gering Mylius: Geschichte der Fami- trug man Mylius zeitweise die Leitung lien Mylius-Schleiz aus dem Hause Gering Abb. 1: Georg Mylius im Alter von 24 Jahren, des nunmehr staatlichen Betriebes. Foto Wilhelm Risse, Eigentum Ulrike Myli- und Mylius-Ansbach, 1375–1990. Freiburg Seine Publikationen lassen zwar eine us-Fauler, Familienarchiv Mylius im Breisgau 1992, S. 514–516, hier S. 515. 6 Zu Flückiger vgl. Thomas Haug: Friedrich Anpassung an die neuen Machthaber Abb. 2: Der 26jährige Georg Mylius als Promo- vend im Botanischen Institut der Universi- August Flückiger (1828–1894). Leben und erkennen, zugleich hatte er mit seinen Werk. Stuttgart 1985 (Quellen und Studien tät Marburg, Eigentum Ulrike Mylius-Fau- vielfältigen Aktivitäten großen Anteil ler, Familienarchiv Mylius zur Geschichte der Pharmazie; 32). an der erfolgreichen Entwicklung des Abb. 3: Titelblatt der Dissertation von G. Myli- 7 Zur Biographie von Arthur Meyer vgl. Ru- us, Universitätsarchiv Marburg dolf Schmitz: Die Naturwissenschaften an Volkseigenen Betriebes in der DDR, in der Philipps-Universität Marburg 1527– Abb. 4: Farbfotographie nach dem Lumière-Ver- dem er weit über sein Rentenalter hin- fahren von Georg Mylius: Blick auf die Alte 1977. Marburg 1978, S. 133–135. aus tätig war. Universität und Weidenhäuser Brücke, 8 Universitätsarchiv Marburg 307d Nr. 244, Promotionsakte G. Mylius (ohne Paginie- Daneben widmete sich Mylius mit gro- Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 5: Laboratorium in der Firma Dr. Friedrich rung). ßem Erfolg der genealogischen For- 9 Mylius [wie Anm. 3]. Tetzner, Eigentum Ulrike Mylius-Fauler, schung, insbesondere in seinen letzten Familienarchiv Mylius 10 Promotionsakte G. Mylius [wie Anm. 8]. Lebensjahren, wobei er auch auf phar- Abb. 6: 2. Seite des Zeugnisses von Walter Jahn- 11 Brief nach Diktat von Mylius an Gering cke für Georg Mylius, Eigentum Ulrike My- vom 23. März 1978. In: Privatarchiv Ulrike maziehistorischem Gebiet publizierte. lius-Fauler, Familienarchiv Mylius Mylius-Fauler; vgl. auch Georg Mylius: Bil- Eine Ausstellung in Marburg, die sei- Abb. 7: Die Leo-Werke in Dresden, in denen My- der aus Marburg und Umgebung. 24 farbfo- ne Bedeutung für die Entwicklung der lius seit 1929 tätig war, Bildarchiv des In- tografische Aufnahmen. Elwerts Verlags- Farbfotographie in den Mittelpunkt stitutes für Geschichte der Pharmazie Mar- buchhandlung. Marburg [um 1912]. Zu My- burg lius‘ Farbfotographien vgl. Theodor Birt: stellt, soll an diesen Apotheker erin- Marburg an der Lahn. In: Westermanns Abb. 8: Leokreme, an deren Entwicklung und nern, der bisher auch in der Deutschen Werbung Mylius beteiligt war, Bildarchiv Monatshefte 57. Bd. 114, 2. Teil Juni – Au- Apotheker-Biographie fehlte. des Institutes für Geschichte der Pharma- gust, Braunschweig 1913, S. 537–552, in zie Marburg dem sich viele Farbabbildungen befinden. Abb. 9: Veröffentlichung von Georg Mylius, Ei- 12 Zu Alfred Wegener vgl. Franz Gundlach: Summary gentum Ulrike Mylius-Fauler, Familienar- Catalogus professorum academiae Marbur- Georg Mylius (1884–1979) was a pharmacist, chiv Mylius gensis. Die akademischen Lehrer der Phi who has remained unknown in pharmaceuti- Abb. 10: Georg Mylius als Mitarbeiter des VEB lipps-Universität in Marburg von 1527 bis cal-historical literature until today. He was a Leo-Werke, Eigentum Ulrike Mylius-Fauler, 1910. Marburg 1927, S. 397. son of the pharmacist Ernst Mylius (1846–1929) Familienarchiv Mylius 13 Zu Richarz vgl. Gundlach [wie Anm. 12], S. of Freiberg, Saxonia, who had also been active Abb. 11: Altersbildnis von Georg Mylius, Eigen- 393. in publishing. Georg Mylius spent his adole- tum Ulrike Mylius-Fauler, Familienarchiv 14 Brief von Mylius [wie Anm. 11]. scence in Leipzig where he started his phar- Mylius 15 Brief von Mylius [wie Anm. 11]. maceutical education in his father’s own phar- 16 Brief von Mylius [wie Anm. 11]; die Prü- macy, the Engel-Apotheke. fungsprotokolle sind im Universitätsarchiv He studied at Marburg University where he be- Anmerkungen nicht mehr erhalten. came a disciple of Ernst Schmidt (1845–1921), 1 [Wolfgang-Hagen] Hein: Mylius, Ernst. In: 17 Brief von Mylius [wie Anm. 11]. but also attended philosophical and art history Wolfgang-Hagen Hein/Holm-Dietmar 18 Zum Lumière-Verfahren siehe Jean-Paul classes. In 1912 he graduated in Marburg under Schwarz (Hrsg.): Deutsche Apotheker-Bio- Gandolfo / Bertrand Lavédrine: The Lumi- Arthur Meier (1850–1922), a student of Flücki- graphie. Bd. II. Stuttgart 1978, S. 457f.; N. ère Autochrome: History, Technology, and ger. In the same year, he published 24 coloured N.: Dr. Ernst Mylius zum 50jährigen Be- Preservation. Los Angeles 2013 (englische illustrations (post cards) of Marburg with the rufsjubiläum. In: Pharmazeutische Zeitung Übersetzung der französischen Original- Lumière procedure, making him one of the pio- 57 (1912), S. 781; Georg Mylius: Die Familie ausgabe) und zum „revolutionären“ Cha- neers of colour photography. Mylius und ihre Apotheker. In: Pharmazeu- rakter des Autochromes im Gegensatz zu After working in the factory of cosmetic prepa- tische Zeitung 71 (1926), S. 430f. früheren Farbfoto-Verfahren siehe Michel rations of Dr. Tetzner in Altona-Ottensen and in 2 Zum Pharmaziestudium in Marburg vgl. Frizot: Neue Geschichte der Photographie. the Privileged Pharmacy in Kirchen, Georg My- Christoph Friedrich: Pharmazie als selb- Köln 1998 (deutsche Übersetzung der fran- lius became factory manager of the Leo-Werke ständige Disziplin an der Universität Mar- zösischen Originalausgabe), S. 411–430, be- GmbH of Dresden in 1829. He participated in burg. In: Peter Dilg (Hrsg.): Pharmazie in sonders S. 423. the development of various preparations like Marburg. Historische und aktuelle Aspek- 19 Zeugnis für Georg Mylius von Dr. Friedrich the Leo-Pills and Leo Creme, and he was also te. Marburg 2007 [2015] (Stätten pharma- Tetzner vom 9. Juli 1925. In: Privatarchiv involved in their marketing. After the Second zeutischer Praxis, Lehre und Forschung; Ulrike Mylius-Fauler. World War, Mylius became the scientific direc- 6), S. 62–88. 20 Mylius [wie Anm. 5], S. 515. tor of the factory – now, in GDR, a nationally- 3 Georg Mylius: Das Polyderm. Eine verglei- 21 Walter Karl Louis Jahncke wurde in Arend- owned enterprise – remaining in the position chende Untersuchung über die physiologi- see, in der Altmark, als Sohn eines Fabrik- until 1958. After retiring, he dedicated himself schen Scheiden Polyderm, Periderm und besitzers geboren, besuchte das Dresdner to genealogic and family-history related stu- Endodermis. Phil. Diss. Marburg 1912, S. Kreuz-Gymnasium und bestand seine dies. 121 (mit Lebenslauf). pharmazeutische Vorprüfung 1905 in Mer- Nr.1/2 | April 2019 | 71. Jahrgang | Geschichte der Pharmazie | 9 https://doi.org/10.24355/dbbs.084-201911081256-0
Geschichte der Pharmazie seburg. Das Pharmaziestudium absolvierte 33 Mylius [wie Anm. 32], S. 1789. 43 Privatarchiv Ulrike Mylius-Fauler, Blatt er in Leipzig bei Ernst Beckmann (1853– 34 G[eorg] Mylius: Pfefferminz-Destillation in „Kommissionen, in denen Dr. Mylius als 1923). 1911 erwarb er die Apotheke in Kir- Brenndorf. In: Die Gemeinschaft. Werks- Mitglied mitarbeitet“. chen, die er bis zu seinem Tode leitete. Vgl. zeitschrift der Chlorodont-Fabrik. Februar 44 Lebenslauf [wie Anm. 42]. dazu Wolf-Dieter Müller-Jahncke: 175 Jahre 1940, S. 71–74. In: Privatarchiv Ulrike My- 45 Zu Georg Edmund Dann und seinen Arbei- Privilegierte Apotheke Kirchen 1808–1983. lius-Fauler. ten zu Apothekerfamilien vgl. Thomas Kirchen/Sieg 1983, S. 33–40. 35 Georg Mylius: Pfefferminze und Pfeffer- Rötz: Georg Edmund Dann (1898–1979). Le- 22 Zum Aufbau des Homöopathischen Zentral- minzöl. In: Die Pharmazeutische Industrie ben und Werk eines Pharmaziehistorikers laboratoriums in Kirchen / Sieg vgl. Wolf- 8 (1941), S. 187–192. im 20. Jahrhundert. Stuttgart 2012 (Quellen Dieter Müller-Jahncke: Microcosmos in Ma- 36 Mylius [wie Anm. 35] und Mylius [wie und Studien zur Geschichte der Pharmazie; crocosmo. Der „Bund der Homöopathischen Anm. 34]. 96), S. 159–162. Apotheken“ und das „Homöopathische 37 Zur Geschichte der pharmazeutischen In- 46 Georg Mylius: Geschichte der Familie Myli- Zentrallaboratorium Kirchen-Sieg. In: Ge- dustrie in der DDR siehe Christoph Fried- us-Schleiz 1895–1917 mit einer Stammta- schichte der Pharmazie 66 (2014), S. 22–28, rich / Wolf-Dieter Müller-Jahncke: Geschich- fel. Selbstverlag des Verbandes der Familie hier S. 24f. te der Pharmazie. Von der Frühen Neuzeit Mylius-Schleiz 1917. 23 Zeugnis für Georg Mylius von Walter Jahn- bis zur Gegenwart (Geschichte der Pharma- 47 Mylius [wie Anm. 1], S. 429; auch Christa cke vom 31. Oktober 1929. In: Privatarchiv zie / R. Schmitz; 2). Eschborn 2005, S. 1056– Habrich erwähnt Polycarp Müller (Mylius), Ulrike Mylius-Fauler. 1074 und Gerhard Alcer: Entwicklung der vgl. Christa Habrich: Apothekengeschichte 24 Christoph Friedrich: Chlorodont. Vater der Pharma-Industrie in der DDR. In: Pharma- Regensburgs in reichsstädtischer Zeit. Zahnpasta. In: Pharmazeutische Zeitung zeutische Zeitung 2 (1994), S. 102–105. München 1970, S. 95. 160 (2015), S. 3664–3668. 38 G[eorg] Mylius: Über die Entwicklung der 48 Mylius [wie Anm. 1], S. 430f. 25 T. Gubig / S. Köpcke: Alles begann mit Mund- und Zahnpflegemittel. In: Chemi- 49 Georg Mylius: Amphibische Ferienreise. Chlorodont. Eine Firmengeschichte aus sche Technik 3 (1951), S. 337–339. Die En- [vier Folgen]. In: Der Segelsport – Der Mo- Dresden. Dental-Kosmetik GmbH & Co KG kelin von Mylius bemerkt dazu, dass Georg torsport 11 (1925), S. 195f., 226–228, 252f Dresden 2007, S. 41. Mylius zwar „eine gewisse Anpassungsfä- und 276–278. 26 Gubig / Köpcke [wie Anm. 25]. higkeit [besaß], aber alles andere als ein 50 Hier können nur einige wichtige Arbeiten 27 Friedrich [wie Anm. 24], S. 3666. überzeugter Sozialist [war]. Er hatte das genannt werden: Mylius [wie Anm. 46], 28 Maschinengeschriebener Lebenslauf von Glück, nicht in die SED eintreten zu müs- Georg Mylius: Geschichte der Familie Myli- Georg Mylius von 1953. In: Privatarchiv Ul- sen wie andere in ähnlicher Position. Er us-Schleiz 1917–1959 mit zwei Stammta- rike Mylius-Fauler. war ein ziemlich unpolitischer Mensch und feln. Dresden 1959. 29 Lebenslauf [wie Anm. 28]. außer gelegentlichen ironischen Bemer- 51 Georg Mylius: Mitteilungen des Verbandes 30 Lebenslauf [wie Anm. 28]. kungen zu den politischen Verhältnissen der Familie Mylius-Schleiz. O. O. 1916– 31 Friedrich [wie Anm. 24]; zur Werbung in äußerte er sich nicht dazu.“ Mitteilung von 1941. der Pharmaindustrie vgl. Ursula Lill: Die Ulrike Mylius-Fauler vom 3.5.2018. 52 Horst Gering Mylius [wie Anm. 5], S. 516. pharmazeutisch-industrielle Werbung in 39 [Georg] Mylius: Chlorodont Leo. In: Der der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Kontakt, Dresden 1955. In: Privatarchiv Stuttgart 1990 (Quellen und Studien zur U lrike Mylius-Fauler. Anschrift des Verfassers: Geschichte der Pharmazie; 56); Lill er- 40 Mylius [wie Anm. 39], S. 3. Prof. Dr. Christoph Friedrich wähnt auch die Leo-Werke auf S. 210 sowie 41 Georg Mylius: Talkum in der Tablettenfab- Inst. für Geschichte der Pharmazie Wolf-Dieter Müller-Jahncke (Hrsg.): Wer rikation. Seine Funktion, Einschränkung Roter Graben 10 nicht wirbt, stirbt. Eschborn 2015. und Ausschaltung. In: Deutsche Apotheker- 35037 Marburg 32 Georg Mylius: Zerfallgeschwindigkeit von Zeitung 101 (1961), S. 1243–1245. E-Mail: Ch.friedrich@staff.uni-marburg.de medizinischen Tabletten unter Einfluß von 42 Handschriftlicher Zusatz (nach 1958) zu ei- Wärme und Reibung. In: Die Medizinische nem Lebenslauf vom 13.4.1953. In: Privat- Welt 5 (1931), S. 1789. archiv Ulrike Mylius-Fauler. Deutsches Apotheken-Museum im Heidelberger Schloss Erleben Sie die Faszination dieser weltweit herausragenden Sammlung zur Geschichte der Pharmazie – am besten im Rahmen einer Führung! Schlosshof 1 · 69117 Heidelberg Tel.: 0 62 21 / 2 58 80 · Fax: 0 62 21 / 18 17 62 · E-Mail: info@deutsches-apotheken-museum.de Öffnungszeiten: 1. April bis 31. Oktober: Tägl. 10.00 – 18.00. Letzter Einlass um 17.40 Uhr 1. November bis 31. März: Tägl. 10.00 – 17.30. Letzter Einlass um 17.10 Uhr Eintrittspreis: Regulär: € 8,00. Ermäßigt: € 4,00 (Schwerbehinderte, Schüler, Studenten, Azubis) Der Eintritt berechtigt zum Besuch des Deutschen Apotheken-Museums, des Schlossinnenhofes und des Großen Fasses. Führungen: Umfangreiches Angebot an Überblicks- und Themenführungen, tagsüber oder am Abend. Nach telefonischer Voranmeldung. 10 | Geschichte der Pharmazie | 71. Jahrgang | April 2019 | Nr.1/2 https://doi.org/10.24355/dbbs.084-201911081256-0
Geschichte der Pharmazie Von der Textquelle zur Interpretation Können wir heute noch von überlieferten Rezepturen aus altägyptischer Zeit profitieren? Tanja Pommerening | Altägyptische Heilkunde übt ihre Faszination durch eine breite Vielfalt an Quel- len aus. Dazu zählen neben Texten sowie Bild- und Sachquellen auch Mumien und Skelette. Vor allem Ägyptologen, aber auch Wissen- schaftshistoriker, Mediziner, Paläo- pathologen, Biologen und Pharma- zeuten beschäftigen sich mit ihrer Erforschung. Publikationen sind dementsprechend auf unterschiedli- che Fachorgane verteilt (ägyptologi- Abb. 2: Papyrus Ebers, col. 1-3, 16. Jh. v. Chr., Universitätsbibliothek Leipzig sche, wissenschaftshistorische, me- dizinische und naturwissenschaftli- che), inhaltlich stets der anvisierten teil dessen überliefert ist, was einst in Vom Umgang mit altägyptischen Leserschaft Rechnung tragend. der mehr als 3000 Jahre währenden heilkundlichen Textquellen Geschichte der altägyptischen Heil- Pharmaziehistorische Sachverhalte kunde bewusst oder unbewusst hin- Textquellen bilden die Basis der lassen sich allerdings erst nachzeich- terlassen wurde. Die Frage nach der Kenntnis und des Verständnisses der nen, wenn Quellengattungen zusam- Positionierung eines textlichen, bildli- altägyptischen Heilkunde (Abb. 2). mengeführt und vernetzt betrachtet chen oder sonstigen Fundobjekts (Abb. Insgesamt sind Textzeugen aus dem werden und dies unter angemessener 1) in dessen vollständigem, damali- 19. Jh. vor Chr. bis zum 3. Jh. n. Chr. Berücksichtigung des kulturhistori- gem Lebens- oder Gebrauchsumfeld, erhalten. Rund 20 umfangreichere Pa- schen und naturkundlichen Umfelds. die Rekontextualisierung also, spielt pyri liegen ediert vor.1 Vor allem die Dabei muss man sich natürlich stets hier wie bei jeder historischen Inter- Papyri aus der Spätzeit und deren Fol- vor Augen führen, dass nur ein Bruch- pretation eine ganz wesentliche Rolle. geepochen (d. h. ab ca. 650 v. Chr.) sind der Öffentlichkeit noch nicht zu- gänglich und stehen daher im Zen trum umfangreicherer Editionsprojek- te. Die Edition bereitet die Handschrift durch deren Umsetzung in die wesent- lich leichter lesbare hieroglyphische Monumentalschrift sowie durch Text- Emendation, Lückenausfüllung, Über- setzung und Kommentar auf.2 In der Edition des heilkundlichen Textguts war Deutschland bis in die 1970er Jah- re führend; so wurde der größte Teil des heute zugänglichen Materials be- reits 1954 bis 1973 von den Mitarbei- tern der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Hermann Grapow, Hildegard von Deines und Wolfhart Westendorf, in einem Lang- zeitprojekt erstmals zusammenhän- gend erschlossen. Das Ergebnis war der neunbändige Grundriß der Medizin Abb. 1: Schale mit Früchten, Deir el-Medineh, um 1300 v. Chr., Musée du Louvre (Pa der Alten Ägypter3 als Basis jeder wei- ris), Inv.-Nr. E 14574 teren Bearbeitung der medizinischen Nr.1/2 | April 2019 | 71. Jahrgang | Geschichte der Pharmazie | 11 https://doi.org/10.24355/dbbs.084-201911081256-0
Geschichte der Pharmazie konnte sich das trügeri- nen Disziplinen angefertigt worden sche Bild einer, wie es sind. So werden besonders die Überset gern ausgedrückt wur- zungen des Mediziners Bendix Ebbell7 de, „empirisch-rationa- häufig zitiert. Was machen sie so at- len“ Medizin durchset- traktiv? Ebbell hat 1937 im Papyrus zen, die einer „magisch- Ebers retrospektiv-diagnostisch ägyp- religiösen“ Heilkunde tische Krankheitsbezeichnungen für im Alten Ägypten ge- Rheuma, Gonorrhoe, Lepra, Asthma, genübergestanden habe. Hämorrhoiden, Bilharziose usw. zu Rezepte ohne Spruchgut finden gemeint und bewegte sich da- galten in der Konse- mit in einer medizinischen Fachtermi- quenz dieser Sichtweise nologie, die seiner wie auch unserer als „empirisch-rational“ Kultur immanent war und ist. Gene- (Abb. 3), solche mit Be- rell kann man feststellen, dass Natur- schwörungen als „ma- wissenschaftler und Mediziner häufi- gisch-religiös“. Derarti- ger dazu tendieren, in alten Texten ge Einschätzungen prä- Modernes wiederzuentdecken, wohin- gen auch das neueste gegen Vertreter der historischen Kul- deutschsprachige Stan- turwissenschaften eher dazu neigen, dardwerk zur altägypti- vor allem die Differenzen von Konzep- schen Medizin, das ten zu betonen.8 Abb. 3: Ausschnitt Papyrus Ebers, col. 8-9, 16. Jh. v. Chr., 1999 von Wolfhart Jeder Übersetzungsvorgang bringt Universitätsbibliothek Leipzig Westendorf veröffent- zwangsläufig den eigenen Erfahrungs- lichte Handbuch der alt horizont mit ins Spiel. Je weniger nun ägyptischen Medizin, versucht wird, ein möglichst kultur Texte. Er umfasst auch zwei Spezial- obwohl dort vermehrt auch Überset- immanentes Grundverständnis für wörterbücher, darunter ein Wörter- zungen des magischen Spruchguts eine Kultur zu entwickeln, desto eher buch der Drogennamen. Hinzu kom- aufgenommen sind.5 Wie im Folgen- wird deren Heilkunde im heutigen men auswertende Hintergrundinfor- den noch gezeigt wird, ist die Abtren- Licht erscheinen. Je deutlicher man mationen, in die Kenntnisse aus nicht- nung eines „magisch-religiösen Den- aber in einer Textübersetzung die medizinischen Texten integrativ kens“ modernen, nachägyptischen Welt einer vergangenen oder fremden einbezogen sind. Sichtweisen geschuldet.6 Kultur nachzuvollziehen versucht, Wenn man sich an der altägyptischen Die eben genannten Standardwerke desto unverständlicher wird man un- Sicht orientiert, dann fallen unter die mit ihrer im Wesentlichen sehr soli- ter Umständen für die Leserschaft. Die „medizinischen“ Texte auch die in den den Materialbasis für weitere Unter- Autorin dieses Beitrags votiert daher heilkundlichen Papyri enthaltenen suchungen sind aber nicht die einzi- dafür, dass ein Hauptaugenmerk bei „magischen“ Passagen, d. h. vor allem gen, die auf die Erforschung der ägyp- der Bereitstellung von Textquellen auf die Beschwörungsformeln und die zu- tischen Heilkunde bis heute einwir- einer Erläuterung des kulturellen Kon- gehörigen Handlungsanweisungen.4 ken. Denn die deutlich philologische textes und der zugrundeliegenden Die Autoren des Grundriß haben den Ausrichtung beider Werke hat häufig Konzepte liegt, was durch entspre- Begriff „Medizin“ hingegen in ihrer auch abgeschreckt und manch einen chend ausführliche Kommentare ge- und unserer eigenen Zeit und Kultur Nicht-Philologen auf andere Überset- lingen kann. Aufgabe der Pharmazie- kontextualisiert, denn sie ließen die zungen zurückgreifen lassen: Die Be- geschichte ist es, die entsprechenden meisten magischen Passagen in ihrer trachtung der Rezeption auch solcher kulturhistorischen Kompetenzen im Gesamtausgabe bedauerlicherweise Übersetzungen zeigt, dass auf diesem Umgang mit vorliegenden Übersetzun- weg. Dies konnte relativ unauffällig Gebiet zwischen den wissenschaftli- gen und Quelleneditionen zu vermit- gelingen, weil die heilkundlichen Ein- chen Erkenntnisbehauptungen von teln, sodass übereilte Trugschlüsse zeltexte nicht in der Überlieferungsge- Ägyptologen, Medizinern, Naturwis- unterbleiben, und Wege aufzuzeigen, meinschaft und Anordnung der Origi- senschaftlern und Wissenschaftshisto- die den Anschluss an die heutige nalpapyri, sondern unter anatomi- rikern gravierende Diskrepanzen be- Pharmazie ermöglichen. schen und pathologischen Gesichts- stehen, und das schon deshalb, weil so punkten neu zusammengestellt gut wie kein interdisziplinärer Aus- Neue Wege zur Annäherung an wurden, sodass ein verzerrtes Bild der tausch stattfindet. altägyptischen Medizin entstand. Auf- Insbesondere Naturwissenschaftler eine kulturimmanente Sicht grund dieser Aussonderung und Ver- und Mediziner bevorzugen Überset Von den rund 2000 bislang edierten, bannung des magischen Textmaterials zungen, die von Vertretern der eige- zumeist aus mehreren Bestandteilen 12 | Geschichte der Pharmazie | 71. Jahrgang | April 2019 | Nr.1/2 https://doi.org/10.24355/dbbs.084-201911081256-0
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