Salicylsäure und ihr Debüt als Antiseptikum und Konservierungsmittel - TU Braunschweig

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Salicylsäure und ihr Debüt als Antiseptikum und Konservierungsmittel - TU Braunschweig
ISSN 0939 - 334X | 68. Jahrgang | August 2016 |             2/3

       Geschichte der Pharmazie
             DAZ Beilage | Redaktion Prof. Dr. Wolf-Dieter Müller-Jahncke | Prof. Dr. Christoph Friedrich

     Salicylsäure und ihr                                                                                Editorial
                                                                                                         „Die schönen Tage von Aranjuez sind

     Debüt als Antiseptikum                                                                              nun vorüber…“ sagt in Friedrich
                                                                                                         Schillers Drama „Don Carlos“ Pater
                                                                                                         Domingo, der Beichtvater König Phil-

     und ­Konservierungsmittel
                                                                                                         ipps II. von Spanien, zum Kronprin-
                                                                                                         zen Don Carlos. Nun, dies gilt auch –
                                                                                                         allerdings ohne den dramatischen
                                                                                                         Ausgang – für die Biennale in Meißen
     Ursula Lang | Als einer der bedeu-      sche und antimikrobiell Wirkung                             vom 22. bis 24. April diesen Jahres.
     tendsten Chemiker seiner Zeit über-     stellte die entscheidende Triebfeder                        Eine wunderschöne Stadt an der Elbe,
                                                                                                         ein reichhaltiges und gelehrtes Pro-
     nahm Hermann Kolbe (1818–1884)          für ihre großtechnische Herstellung
                                                                                                         gramm und vor allem die glänzende
     1851, vor nunmehr 165 Jahren, das       dar. Später diente sie auch als Aus-
                                                                                                         Organisation von Frau Dr. Pierroth
     Ordinariat für Chemie an der Uni-       gangsstoff für Salicylsäurederivate
                                                                                                         und Frau Mörschner lassen diesen
     versität Marburg und folgte damit       wie beispielsweise die Acetylsalicyl-
                                                                                                         Kongress im bunten Blumenstrauß
     Robert Wilhelm Bunsen (1811–            säure.
                                                                                                         der Biennalen hell leuchten. Ebenso
     1899), dessen Assistent er von 1842
                                                                                                         vielfältig wie die Themen in Meißen
     bis 1845 gewesen war.1 Kolbe und
                                             Weidenrinde, Mädesüßblüten                                  erscheinen die Beiträge dieser Ausga-
     seine Schüler beschäftigten sich in-                                                                be der „Geschichte der Pharmazie“.
     tensiv mit Reaktionen organischer
                                             und Wintergrünöl – natürliche
                                                                                                         Neben neuen Ergebnissen zur Salicyl-
     Verbindungen und im Jahr 1859 ge-       Salicylsäurequellen
                                                                                                         säure, deren Geschichte man eigent-
     lang die erste Salicylsäure-Synthese    Im Jahr 1818 wurde Johann Andreas                           lich zu kennen glaubte, führt der
     im Labor. Nachdem Hermann Kolbe         Buchner (1783–1852), der von Johann                         Briefwechsel des Vaters von Dr. Will-
     1865 dem Ruf auf den Lehrstuhl für      Bartholomäus Trommsdorff (1770–                             mar Schwabe, Carl Robert Schwabe,
     Chemie in Leipzig gefolgt war, ver-     1837) in Erfurt in der „Chemisch-phy-                       das Berufsleben und die Sozialge-
     besserte er das Syntheseverfahren       sikalischen und Pharmaceutischen                            schichte der Apotheker des 19. Jahr-
     der Salicylsäure und ließ dieses pa-    Pensionsanstalt für Jünglinge“ zu ei-                       hunderts vor Augen und zeigt unter
     tentieren. Mit der auf Vorschlag Kol-   nem wissenschaftlich denkenden Apo-                         anderem, wie die Apothekenangestell-
     bes erfolgten Gründung der Salicyl-     theker ausgebildet worden war, zum                          ten mit der „kleinen Eiszeit“, die bis
     säure-Fabrik Dr. F. von Heyden im       ersten Professor für Pharmazie, Ar-                         etwa 1850 reichte, zurecht kommen
     Jahr 1874 durch den Chemiker            zeneiformellehre [!] und Toxikologie                        mussten. Das Leben und Treiben in
     Friedrich von Heyden (1838–1926),       an die Universität in Landshut beru-                        der estnischen Universitätsstadt Dor-
     einem Schüler Rudolf Schmitts           fen. 1828 publizierte er einen Beitrag                      pat zu Ende des 19. Jahrhunderts do-
     (1830–1898), wurde eine neue Ära        Ueber das Rigatellische Fiebermittel                        kumentieren Auszüge einer Autobio-
     eingeläutet – das Zeitalter der in-     und über eine in der Weidenrinde ent-                       graphie von Georg Noël Dragendorff,
     dustriellen Wirkstoffsynthese.2 In      deckte alkaloidische Substanz. Buchner                      der mit dem Universalgelehrten Karl
                                                                                                         Ernst von Baer befreundet war und
     der Folgezeit war Salicylsäure nicht    erläuterte im Vorspann, dass der itali-
                                                                                                         manch Kurioses zu berichten weiß.
     nur wegen ihrer antipyretischen         enische Apotheker Rigatelli in Verona
                                                                                                         Ich wünsche Ihnen, geneigter Leser,
     oder analgetischen Wirkung von          ein „antifebrilisches Bittersalz“ ent-
                                                                                                         lehrreiche und unterhaltsame Stun-
     großem Interesse für Chemiker,          deckt habe, das aus einer in Europa
                                                                                                         den bei der Lektüre.
     Apotheker und Ärzte des 19. Jahr-       häufig vorkommenden Pflanze berei-
                                                                                                                           W.-D. Müller-Jahncke
     hunderts, sondern ihre antisepti-       tet werden könne und in der Wirksam-

                                                                                      Nr.2/3 | August 2016 | 68. Jahrgang | Geschichte der Pharmazie |   25

GdP_2_3_2016_Umb.indd 25                      http://publikationsserver.tu-braunschweig.de/get/64741                                               21.07.16 09:19
Salicylsäure und ihr Debüt als Antiseptikum und Konservierungsmittel - TU Braunschweig
Geschichte der Pharmazie

                                                                                                                     lierte der französische Chemiker Au-
                                                                                                                     guste André Thomas Cahours (1813–
                                                                                                                     1891) „salicylsaures Methyloxyd“ (Sa-
                                                                                                                     licylsäuremethylester).8 In der
                                                                                                                     Volksmedizin sind Einreibungen von
                                                                                                                     Gaultheriaöl gegen Gelenkrheumatis-
                                                                                                                     mus beschrieben.9

                                                                                                                     Kolbes erste Salicylsäuresynthese
                                                                                                                     an der Universität Marburg
                                                                                                                     Als Hermann Kolbe 1851 den Lehr-
                                                                                                                     stuhl für Chemie in Marburg über-
         Abb. 1: Cortex salicis albi pulv., Spanschachtel 2. Hälfte 19. Jahrhundert                                  nahm, interessierten ihn organische
                                                                                                                     Verbindungen, die aus dem Naturreich
                                                                                                                     gewonnen werden konnten. Viele Che-
     keit dem schwefelsauren Chinin völlig                ria über die Behandlung des Salicins                       miker und Apotheker isolierten und
     gleichkomme. Buchner hatte eine Pro-                 mit Kaliumdichromat und Schwefel-                          untersuchten Naturstoffe; seine Idee
     be des „Rigatellischen Arcanums“ zur                 säure. Dabei erhielt er eine „ölartige                     war es jedoch, Reaktionen und Syn-
     Untersuchung erhalten und vermutete                  Materie“, die er „Salicylwasserstoff“                      thesewege zu finden, um derartige
     aufgrund des bitteren Geschmacks,                    (Salicylaldehyd) nannte und durch De-                      Stoffe im Labor herstellen zu können.
     dass es von einer Weidenrinde stamm-                 stillation abtrennte. Den Geruch der                       Die Beobachtung, dass Salicylsäure
     te, da Cortex salicis seit langem als                resultierenden Flüssigkeit beschrieb                       (2-Hydroxy-Benzoesäure) beim Erhit-
     Arznei gegen Fieber und „Podagra“                    er als angenehm und an Bittermandel-                       zen mit „Kalihydrat“ (KOH) in „Phe-
     Verwendung fand. Buchner begann                      öl erinnernd. Nach anschließender                          nylsäure“ (Hydroxybenzol oder Phe-
     mit der Untersuchung von Rinden ver-                 Umsetzung mit ätzender Pottasche ge-                       nol) und Kohlensäure sowie Anthra-
     schiedener Salix-Arten und isolierte                 langte er zu einer Carbonsäure, die er                     nilsäure (2-Amino-Benzoesäure) in
     schließlich einen gelblichen, intensiv               „Acide salicylique“ (Salicylsäure)                         Anilin (Aminobenzol) und Kohlensäu-
     bitter schmeckenden Extrakt, der „mit                nannte.4                                                   re zersetzt werden können, war offen-
     vielen nadelförmigen Krystallen un-                  Obwohl Piria die exakte chemische                          sichtlich Anlass für Kolbe und seine
     termengt war“. Er nannte die so ge-                  Struktur noch nicht kannte, vermutete                      Mitstreiter, chemische Reaktionen der
     wonnene Substanz nach der Stamm-                     er die nahe chemische Verwandtschaft                       Anthranilsäure näher zu untersuchen.
     pflanze der Weidenrinde Salicin. Dass                zur Benzoesäure: „D´après cela,                            1853 veröffentlichte Kolbes Schüler
     er vom medizinischen Nutzen des von                  l´hydrure de salicyl est isomérique                        Wilhelm Gerland (1831–1915) eine Ar-
     ihm isolierten Inhaltsstoffs überzeugt               avec l´acide benzoïque hydraté“.5                          beit, in der er beschrieb, wie Salicyl-
     war, lässt sich seinen, den Beitrag ab-              Ebenso wie die Weidenrinde verwen-                         säure aus einer anderen Verbindung
     schließenden Worten entnehmen: „Es                   dete man auch Mädesüß (Spirea ulma-                        hergestellt werden konnte: Durch Re-
     ist wohl nicht daran zu zweifeln, dass               ria oder Filipendula ulmaria) als fie-
     dieses Salicin den fieberwidrigen Be-                bersenkendes und Gelenkentzündun-
     standteil der Weidenrinde ausmacht,                  gen linderndes Mittel in der Volksheil-
     und daß die medicinische Anwendung                   kunde.6 Die Untersuchung der Blüten
     desselben von grösserm Nutzen seyn                   von Spirea ulmaria führte zur Isolie-
     wird, als die des Extracts, welches                  rung einer Verbindung, die dem Sali-
     sehr viel Gerbestoff enthält, und da-                cin ähnelte. Jean-Baptiste Dumas be-
     durch leicht eine üble Nebenwirkung                  richtete darüber, dass der aus Bern
     ausüben kann“.3                                      stammende Apotheker Johann Samuel
     Dass Salicin kein Alkaloid, sondern                  Friedrich Pagenstecher (1783–1856)
     das Glykosid des Salicylalkohols Sali-               aus den Blüten von Spirea ulmaria ein
     genin (2-Hydroxy-Benzylakohol) dar-                  Öl isoliert hatte, das dem von Raffaele
     stellte, erkannte einige Jahre später                Piria bei der oxidativen Glykolyse von
     der italienische Arzt und Chemiker                   Salicin gefundenen „Salicylwasser-
     Raffaele Piria (1815–1865), als er unter             stoff“ chemisch sehr ähnelte.7
     Anleitung des französischen Chemi-                   Aus „wintergreen oil“, das in der Par-
     kers Jean-Baptiste Dumas (1800–1884)                 fümerie Verwendung fand und vom
     an der Pariser Sorbonne arbeitete und                amerikanischen Wintergrün (Gaulthe-
     forschte. Im Jahre 1838 berichtete Pi-               ria procumbens) gewonnen wurde, iso-                          Abb. 2: Hermann Kolbe

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Salicylsäure und ihr Debüt als Antiseptikum und Konservierungsmittel - TU Braunschweig
Geschichte der Pharmazie

     aktion von Anthranilsäure mit wässri-     Rudolf Wilhelm Schmitt im Jahr 1873                       führt aus, dass es eine dritte isomere
     ger salpetriger Säure erhielt Gerland     am Dresdner Polytechnikum in Che-                         Verbindung gäbe, die „Oxybenzoesäu-
     unter Stickstoffentwicklung Salicyl-      mie promoviert hatte: „Es wird gewiss                     re“ (3-Hydroxy-Benzoesäure): „Ueber
     säure.10                                  manchen Chemikern, welche künftig                         die räumliche Lagerung der Elemente
     Kolbes Hypothese, dass man aus Phe-       über Salicylsäure arbeiten wollen, er-                    in der Salicylsäure und Paraoxyben-
     nol durch Carboxylierung mit Kohlen-      wünscht sein, sich dieselbe in grossen                    zoesäure, wie auch der dritten isome-
     säure auch auf direktem Weg Salicyl-      Mengen fortan leicht beschaffen zu                        ren Verbindung, der Oxybenzoesäure,
     säure gewinnen könne, gelang einige       können und zu erfahren, dass Hr. Dr.                      ein Bild zu entwerfen, überlasse ich
     Jahre später. Er reichte am 17. Dezem-    von Heyden in Dresden dieselbe nach                       den Strukturchemikern, welchen ich
     ber 1859 eine „briefliche Mittheilung“    dem von mir beschriebenen neuen                           auf ihrem Weg nicht zu folgen ver-
     bei den Annalen der Chemie und Phar-      Verfahren in seiner Fabrik darstellt                      mag“.18 Vermutlich wollte Kolbe, der
     macie ein, in der er berichtet, dass es   und zu billigem Preise verkauft. Als                      seine Erkenntnisse durch zahlreiche
     ihm und seinem Schüler Eduard Lau-        Gegengabe erbitte ich mir das einjäh-                     Laborversuche gewonnen hatte, mit
     temann (1836–1868) gelungen sei, aus      rige Privileg, bis zum Herbst nächsten                    dieser Anmerkung auf die von ihm als
     „Phenyloxydhydrat“ (Phenol), metalli-     Jahres die Untersuchungen über Sali-                      zu theoretisch abgelehnte Lehre des
     schem Natrium und Kohlensäure im          cylsäure und Paraoxybenzoesäure,                          Chemikers August Kekulé (1829–1896)
     direkten Kontakt „Phenyloxydkohlen-       welche ich mit meinen Schülern in                         anspielen, der sich mit der Aufklärung
     säure“ (Salicylsäure) herzustellen. Aus   Angriff genommen habe und weiter                          der Konstitution des Benzolrings und
     dem entstehenden Reaktionsgemisch,        auszudehnen beabsichtige, ungestört                       anderer aromatischer Verbindungen
     das eine gewisse Menge an „salicyl-       und ohne das Dazwischentreten ande-                       befasste und die bis dahin geltenden
     saurem Natron“ enthielt, konnte durch     rer Chemiker fortsetzen zu dürfen“.15                     Theorien und insbesondere die Dar-
     Ansäuern mit Salzsäure und Verdamp-       Kolbe hatte 1873 mit Rudolf Schmitt in                    stellung der Strukturen aromatischer
     fen überschüssigen Phenols „eine be-      Dresden Kontakt aufgenommen und                           Verbindungen revolutionieren konn-
     trächtliche Menge“ Salicylsäure frei-     um die Empfehlung eines zuverlässi-                       te.19
     gesetzt und in kristalliner Form ge-      gen Chemikers gebeten, der seinen
     wonnen werden.11 Das nicht nachlas-       Plan einer großtechnischen Herstel-
     sende Interesse Kolbes an der             lung von Salicylsäure realisieren
                                                                                                         Salicylsäure – ein Carbolsäure-
     Salicylsäure zeigt sich daran, dass       konnte.16 Der von Schmitt empfohlene                      derivat?
     auch sein Schüler Rudolf Wilhelm          Friedrich von Heyden willigte in eine                     Im Anschluss an die Schilderung der
     Schmitt (1830–1898) sich im Jahr 1864     Zusammenarbeit ein und richtete ein                       Verbesserung der Salicylsäuresynthe-
     an der Universität Marburg mit einer      Laboratorium in seinem eigenen Leip-                      se fügte Kolbe in seiner Publikation
     wissenschaftlichen Arbeit über Sali-      ziger Wohnhaus, der Villa Adolpha,                        ausführliche Überlegungen einer
     cylsäurederivate habilitierte.12          ein, in der er 1874 die Salicylsäurefab-                  praktischen Anwendbarkeit von Sali-
                                               rik Dr. F. von Heyden eröffnete. Dass                     cylsäure hinzu. Kolbes Ansicht, dass
                                               Kolbe von dem Siegeszug der Salicyl-                      Salicylsäure aufgrund der im Molekül
     Kolbes weitere Forschungen zur
                                               säure überzeugt war, zeigt sich auch                      vorhandenen Phenolgruppe antisep-
     Salicylsäure an der Universität           darin, dass er für das neue Verfahren                     tisch sei, zeigt, dass er bereits gemäß
     Leipzig                                   in zahlreichen europäischen Ländern                       dem Prinzip einer Struktur-Wirkungs-
     Mit dem Ruf auf den Lehrstuhl für         sowie in den USA Patentanträge stell-                     Beziehung dachte: „Die Erfahrung,
     Chemie der Universität Leipzig im         te.17                                                     dass Salicylsäure sich aus Carbolsäure
     Jahr 1865 erhielt Hermann Kolbe die       Kolbe beschrieb in seinem Aufsatz Ue-                     und Kohlensäure leicht zusammen-
     Möglichkeit, ein chemisches Laborato-     ber eine neue Darstellungsmethode und                     setzten lässt, und die bekannte Eigen-
     rium nach seinen Vorstellungen ein-       einige bemerkenswerthe Eigenschaften                      schaft derselben, sich beim Erhitzen
     zurichten. 1874 veröffentlichte er ei-    der Salicylsäure die großen Fortschrit-                   über den Siedepunkt in Carbolsäure
     nen ausführlichen Aufsatz Ueber eine      te bei der Verbesserung der Ausbeute                      und Kohlensäure zu spalten, liessen
     neue Darstellungsmethode und einige       von Salicylsäure durch veränderte                         mich vermuthen, dass sie ähnlich der
     bemerkenswerthe Eigenschaften der Sa-     Synthesebedingungen wie besonders                         Carbolsäure Gährungs- und Fäulniss­
     licylsäure.13 Einleitend knüpfte er an    trockene Edukte, eine höhere Reakti-                      processe aufhält oder ganz verhindert,
     seine Publikationen aus dem Jahr          onstemperatur und den Einsatz von                         und dass sie überhaupt antiseptisch
     1860 mit Eduard Lautemann über die        „Natrium-Phenol“. Bei Verwendung                          wirkt. In dieser Richtung, theils von
     Salicylsäure-Synthese an14 und erläu-     von Kalium-Phenolat anstelle von Nat-                     mir selbst, theils vom Prof. Thiersch
     terte, dass er sich bereits seit einem    rium-Phenolat erhielt Kolbe beim Ein-                     hierselbst angestellten [!] Versuche
     Jahr wieder mit der Salicylsäure-Syn-     leiten von trockener Kohlensäure vor-                     ­haben zu merkwürdigen Ergebnissen
     these beschäftige. In einer Fußnote       wiegend „Paraoxybenzoesäure“ (4-Hy-                        geführt, durch welche meine Vermu­
     wies Kolbe auf Friedrich von Heyden       droxy-Benzoesäure) anstatt Salicyl-                        thung von den antiseptischen Eigen-
     (1838–1926) hin, der als Schüler von      säure (2-Hydroxy-Benzoesäure). Kolbe                       schaften der Salicylsäure eine überra-

                                                                                        Nr.2/3 | August 2016 | 68. Jahrgang | Geschichte der Pharmazie |   27

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Salicylsäure und ihr Debüt als Antiseptikum und Konservierungsmittel - TU Braunschweig
Geschichte der Pharmazie

     schende Bestätigung erfahren hat“.20                 Ob der schottische Chirurg Joseph Lis-                     sie dem Wundfieber von verletzten
     Auf die desinfizierenden Eigenschaf-                 ter (1827–1912) die Arbeiten Friedlieb                     Soldaten gegenüberstanden, wenn die
     ten von „l´acide phénique“ („Phenol-                 Ferdinand Runges oder des französi-                        Verhältnisse auf dem Schlachtfeld und
     säure“), die Kolbe 1860 noch als „Phe-               schen Apothekers Jule Lemaire über                         in den überfüllten Lazaretten die so-
     nyloxydhydrat“ bezeichnet hatte, und                 die Carbolsäure als „désinfectant“                         fortige Entfernung von Fremdkörpern
     deren Einsetzbarkeit bei infektiösen                 kannte oder Kenntnis hatte von der                         aus den Wunden, die rasche operative
     Krankheiten hatte erstmals der fran-                 Dissertation Bucholtz´ über den hem-                       Resektion zerstörter Knochen und Ge-
     zösische Apotheker Francois Jules Le-                menden Einfluss der Carbolsäure auf                        webe sowie die anschließende Rein-
     maire (1814–1886) in Beiträgen im                    Fermentationsprozesse, ist ungewiss.                       haltung der Wunden erschwerten. Der
     Jahr 1860 und 1865 hingewiesen.21                    Er war aber mit der von Louis Pasteur                      Chirurg und Lehrstuhlinhaber der
     Der Apotheker und Chemiker Fried-                    (1822–1892) publizierten Entdeckung                        Greifswalder Universität Carl Hueter
     lieb Ferdinand Runge (1795–1867) hat-                über die Beteiligung von Mikroorga-                        (1838–1882) vertrat in einem Vortrag
     te bereits 1834 bei der Untersuchung                 nismen an Fäulnisprozessen ver-                            im Mai 1871 jedoch die Ansicht, dass
     von Destillationsprodukten des Stein-                traut.24 Mitte der 1860er Jahre führte                     eine „Minimaldiphtheritis“ zwar
     kohlenteers Carbolsäure (Phenol) ent-                Lister Carbolsäure in die medizinische                     durch Carbolsäure getilgt werden kön-
     deckt und seine fäulniswidrigen Ei-                  Praxis ein, um die nach Operationen                        ne, schwere Fälle von Hospitalbrand
     genschaften in Poggendorffs Annalen                  sehr häufig auftretende postoperative                      jedoch weiterhin mit dem Glüheisen
     der Physik und Chemie beschrieben.22                 Wundinfektion einzudämmen, an der                          behandelt werden müssten, weil die
     Im Jahr 1866 wurde Woldemar Bu-                      viele der behandelten Patienten ver-                       Carbolsäure nicht in die tiefen, von
     choltz an der Medizinischen Fakultät                 starben. Lister war davon überzeugt,                       Wundinfektion befallenen Gewebs-
     der Universität Dorpat mit seiner Dis-               dass „septische Fermente“, die in der                      schichten eindringen würde.26
     sertation zum Thema Ueber die Einwir-                Luft als winzige Partikel präsent wa-                      Als am 10. April 1872 die Deutsche Ge-
     kung der Phenylsäure (Carbolsäure) auf               ren, Wundinfektion auslösten. Im Jahr                      sellschaft für Chirurgie in Berlin ge-
     einige Gärungsprozesse promoviert, die               1867 war er von der Effektivität seiner                    gründet wurde und der erste Kongress
     unter Anleitung des Pharmakologen                    antiseptischen Wundbehandlungsme-                          stattfand, berichtete Richard Volk-
     Rudolf Buchheim (1820–1879) entstan-                 thode so überzeugt, dass er sie veröf-                     mann (1830–1889), der Leiter der chir-
     den war. In dieser experimentellen Ar-               fentlichte.25                                              urgischen Universitätsklinik Halle, in
     beit wies Bucholtz in der Einleitung                 Auch einige deutsche Chirurgen be-                         seinem Vortrag Zur vergleichenden Sta-
     darauf hin, dass Runge die fäulni-                   gannen nach Bekanntmachung der                             tistik analoger Kriegs- und Friedensver-
     shemmenden Eigenschaften der Car-                    Listerschen Methode Carbolsäure in                         letzungen, dass bei offenen, die Haut
     bolsäure durch Experimente mit fri-                  die Wundbehandlung einzuführen.                            perforierenden Knochenverletzungen
     schem Fleisch und Milch untersucht                   Der Deutsch-Französische Krieg zwi-                        die Sterblichkeitsrate deutlich höher
     hatte. Er erwähnte auch mehrfach Jule                schen Juli 1870 und Mai 1871 hatte                         sei als bei Frakturen ohne Hautverlet-
     Lemaires Publikationen über die „aci-                viele Militärärzte auf schreckliche                        zung. Der Zustand der Wunde und der
     de phénique“ und berichtete dann                     Weise erfahren lassen, wie machtlos                        Weichteile sei für die Mortalität folg-
     über seine, auf den Vorarbeiten Le-
     maires und Runges aufbauende Vorge-
     hensweise zur Ermittlung der antifer-
     mentativen Aktivität der „Phenylsäu-
     re“. Woldemar Bucholtz untersuchte
     die Verlangsamung und Aufhebung
     der Gärung von Zucker-Hefe-Lösungen
     sowie die Verzögerung des durch
     „Milchpilze“ und „Infusorien“ verur-
     sachten Verderbens von Milch bei Zu-
     satz unterschiedlich konzentrierter Lö-
     sungen von „Phenylsäure“. Ferner tes-
     tete er den Einfluss von „Phenylsäure“
     auf die Hemmung weiterer fermentati-
     ver Prozesse, beispielsweise die abge-
     schwächte oder aufgehobene enzyma-
     tische Wirkung von Speichel gegen
     Stärke oder von „Emulsin“ gegen das
     in Mandelsuspensionen vorhandene
     Amygdalin sowie von „Myrosin“ ge-
     genüber gemahlenen Senfkörnern.23                        Abb. 3: Sprüh-Apparatur zum Vernebeln antiseptischer Flüssigkeiten

     28 | Geschichte der Pharmazie | 68. Jahrgang | August 2016 | Nr.2/3

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Salicylsäure und ihr Debüt als Antiseptikum und Konservierungsmittel - TU Braunschweig
Geschichte der Pharmazie

     lich von größerer Bedeutung als die      Wundbehandlungsmethode erneut Ge-                          kung von Salicylsäure als Antisepti-
     Knochenverletzung selbst. Er äußerte     genstand der Diskussion. Richard                           kum in der Wundbehandlung zu er-
     sich auch zum Listerschen System,        Volkmann stellte in seinem Vortrag                         proben. Thiersch schrieb am 7. Mai
     wollte aber aufgrund mangelnder per-     Ueber den antiseptischen Occlusivver-                      1874 an Kolbe: „Auf noch nicht gerei-
     sönlicher Erfahrung noch kein ab-        band und seinen Einfluss auf den Hei-                      nigten Quetschwunden und auf schor-
     schließendes Urteil darüber abgeben.     lungsprocess der Wunden die Resultate                      fenden Krebsflächen als ­Pulver für
     Volkmanns Vortrag stieß auf großes       der Überprüfung der Listerschen Me-                        sich oder, mit Stärkemehl vermischt,
     Interesse und führte zu einer lebhaf-    thode bei schweren Verletzungen und                        aufgestreut, zerstört die ­Salicylsäure
     ten Diskussion. Teilweise äußerten die   größeren Operationen an der chirurgi-                      für längere Zeit die Fäulnissgerüche,
     anwesenden Chirurgen jedoch auch         schen Klinik Halle im Zeitraum De-                         ohne nennenswerthe e­ ntzündliche Er-
     Skepsis und Widerspruch.27               zember 1872 bis Februar 1874 vor. An-                      scheinungen hervorzurufen“. Weiter-
     Am 22. April 1872 hielt der Stabsarzt    hand der statistischen Zahlen und der                      hin hatte Thiersch versuchsweise an-
     August Wilhelm Schultze (1840–1924)      Schilderung des Verlaufs der vorgetra-                     statt Carbolsäurelösung eine 1:300
     in der militärärztlichen Gesellschaft    genen beispielhaften Fälle hielt er ein                    verdünnte Salicylsäurelösung wäh-
     zu Berlin einen Vortrag Ueber Lister´s   eindringliches Plädoyer zur Verwen-                        rend der Operation versprüht und
     antiseptische Wundbehandlung. Schult-    dung des Lister-Verfahrens. Volkmann                       Wunden mit Watte verbunden, die mit
     ze verfügte über persönliche Erfah-      wies aber auch auf unangenehme und                         Salicylsäure anstatt mit Carbolsäure
     rungen, denn er war im Oktober 1871      unerwünschte Begleiterscheinungen                          imprägniert war: „Die bisherigen Er-
     zu einem vierwöchigen Aufenthalt zu      wie die durch Carbolsäure stark ange-                      fahrungen berechtigen zu der Hoff-
     Lister nach Edinburgh gereist, um das    griffene Haut der Hände der Chirur-                        nung, dass Salicylsäure die guten Wir-
     inzwischen verbesserte Verfahren         gen hin. Zudem warnte er vor der „Ge-                      kungen ohne die unangenehmen der
     durch eigene Anschauung kennenzu-        fahr der Carbolsäureintoxikation für                       Carbolsäure hat“. Dass Kolbe nicht nur
     lernen, nachdem der in Berlin an der     den Kranken“, die sich in „wiederhol-                      über äußerliche Infektionsbekämp-
     Universität und am „Medicinisch-chi­     ten Collapszuständen und Erbrechen,                        fung nachdachte, sondern auch hoffte,
     rurgischen Friedrich-Wilhelm-Institut“   und sehr oft infolge von Theeraus-                         dass orale, parenterale oder rektale
     wirkende Professor Heinrich Adolf von    scheidung schwarz-grünem Urin“ äu-                         Gaben von Salicylsäure krankheits-
     Bardeleben (1819–1895) bereits positi-   ßerten. Ferner berichtete er über den                      auslösende „Fermente“ oder „Pilze“ im
     ve Erfahrungen damit gemacht hatte.      Tod eines operierten kleinen, „sehr re-                    Körper bekämpfen könnten, zeigt sich
     Er erläuterte in seinem Vortrag sehr     duzierten“ Knaben und über die allge-                      in seinem Schlusswort: „Die bemer-
     detailliert das von Lister inzwischen    meine Beobachtung, dass insbesonde-                        kenswerthe Eigenschaft der Salicyl-
     verbesserte Prinzip, bei der Wunden      re kleine Kinder die Carbolsäurebe-                        säure, die Pilzbildung zu verhindern,
     nicht mehr mit einer Carbolsäurepaste    handlung oft sehr schlecht vertragen                       und die Fermente unwirksam, un-
     oder konzentrierter und stark gewebe-    würden.29                                                  schädlich zu machen, lässt mich ver-
     reizender Carbolsäure, sondern nur       Kolbe schilderte nun in seiner Ver-                        muthen, dass sie für gewisse Krank-
     noch mit verdünnter Carbolsäurelö-       öffentlichung vom Juli 1874 eine Reihe                     heiten auch in den Arzneischatz Auf-
     sung in direkten Kontakt kommen          von Versuchen zum Beleg der vermu-                         nahme finden wird. Es ist gewiss der
     sollten. Operative Maßnahmen sollten     teten antiseptischen Wirkung von Sa-                       Mühe werth zu versuchen welche Wir-
     unter dem Schutz eines Carbolsäure-      licylsäure, die er gemeinsam mit sei-                      kungen kleinere oder grössere Dosen
     Nebels durch Verwendung eines Zer-       nem Schüler Ernst von Meyer (1847–                         von Salicylsäure, bei den ersten Anzei-
     stäubungsapparates vorgenommen           1916) durchgeführt hatte. Salicylsäure                     chen ausbrechender Cholera dem Pati-
     werden.                                  hemmte die Wirkung verschiedener                           enten innerlich gegeben, oder injicirt,
     Schultze erklärte mehrmals eindring-     Fermente gegen Zucker, Amygdalin in                        oder durch Klystiere applicirt, auf den
     lich, dass eine antiseptische Behand-    Mandeln oder Senfmehl und verhin-                          Verlauf der Krankheit ausüben“.31
     lung nur dann erfolgreich sein könne,    derte das Verderben von Milch, Bier                        Thiersch berichtete 1875 der Deut-
     wenn sie äußerst konsequent durchge-     und frischem Fleisch.30                                    schen Gesellschaft für Chirurgie in
     führt würde. Weiterhin wies er auf die   Diese Art des Nachweises hatte bereits                     zwei Vorträgen über die Ergebnisse
     Bedeutung der Verwendung von anti-       Woldemar Bucholtz 1866 mit Phenyl-                         einer großen Anzahl antiseptischer
     septischem Catgut zur Unterbindung       säure durchgeführt, und die Methode                        Wundbehandlungen, die mit Carbol-
     von Gefäßen hin, das mindestens zwei     wurde nun offensichtlich von Kolbe                         säure und Salicylsäure in der Zeit zwi-
     Monate bei niedrigen Temperaturen in     und Ernst von Meyer zur Prognose                           schen April 1874 und Januar 1875 er-
     einer „Carbolölemulsion“ behandelt       einer antiseptischen Wirksamkeit der                       zielt worden waren.32 In umfangrei-
     worden war und beschrieb im Detail       Salicylsäure genutzt.                                      chen Tabellen legte er dar, dass mit
     die von Lister entwickelte Herstel-      Kolbe hatte sich außerdem an den                           wässriger Salicylsäurelösung 1:300
     lungsweise.28                            Chirurgen und Leipziger Universitäts-                      sowie mit 3%-iger und 10%-iger Sali-
     Auf dem dritten chirurgischen Kon-       professor Carl Thiersch (1822–1895)                        cylsäurewatte eine mit der Carbolsäu-
     gress am 10. April 1874 war Listers      mit dem Vorschlag gewandt, die Wir-                        re vergleichbare, antiseptische Wund-

                                                                                       Nr.2/3 | August 2016 | 68. Jahrgang | Geschichte der Pharmazie |   29

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Salicylsäure und ihr Debüt als Antiseptikum und Konservierungsmittel - TU Braunschweig
Geschichte der Pharmazie

     behandlung möglich war. Salicylsäu-                                                                             che Aufgaben geschaffen worden, die
     relösung war sowohl während der                                                                                 ihm Carl Thiersch übertrug. Thiersch
     Operation versprüht, als auch zur Be-                                                                           berichtete über die von Blaser entwi-
     rieselung bei offener Wundbehand-                                                                               ckelte Verfahrensweise zur Erzielung
     lung oder zur Feuchthaltung von Sali-                                                                           möglichst gleichmäßig imprägnierter
     cylsäureverbänden verwendet worden.                                                                             Salicylwatten. Die Herstellung erfolgte
     Hergestellt wurden die von Thiersch                                                                             mit entfetteter Baumwollwatte in Por-
     versuchsweise eingesetzte Salicylsäu-                                                                           tionen zu etwa zwei bis drei Kilo-
     relösung, sowie 3%-ige und 10%-ige                                                                              gramm und mit heißer, alkoholischer
     Salicylwatte in der Apotheke des städ-                                                                          Salicylsäurelösung in „geräumigen,
     tischen St. Jakobshospitals, die in der                                                                         flachen Holzbottichen“. Zur Erreichung
     Waisenhausstraße untergebracht war:                                                                             einer guten Verteilung der Salicylsäu-
     „Der städtische Apotheker am Jacobs­                                                                            re wurden die Baumwoll-Lagen unter
     hospitale, Herr Blaser, dessen Eifer                                                                            „Anwendung von gelindem Druck“ mit
     und Bereitwilligkeit, mir mit seiner                                                                            der entsprechend konzentrierten Sali-
     Kunst bei den Versuchen behülflich zu                                                                           cylsäurelösung „vollständig imbibiert“,
     sein, ich nicht genug rühmen kann,                                                                              umgewendet und kurze Zeit liegen ge-
     hat die nachfolgende Bereitungsart als                                                                          lassen. Danach entnahm man die
     die beste befunden“.33                                   Abb. 4: Seite aus Hermann Blasers                      durchtränkten Baumwolllagen und
                                                              Schreiben vom 21. Mai 1873                             schichtete sie „in kleinen Posten (nicht
                                                                                                                     über 3 Kilogramm)“ aufeinander. Wäh-
      Der Krankenhaus-Apotheker
                                                          geprüft werden. Er beantragte daher                        rend die Baumwoll-Lagen erkalteten,
      Hermann Blaser entwickelt                           am 21. Mai 1873 bei der Stadtverwal-                       kristallisierte die Salicylsäure aus. Da-
     ­S alicylsäure-Verbände                              tung Leipzig die Stelle eines weiteren                     nach wurden die imprägnierten Wat-
     Apotheker Hermann Blaser (1849–                      Apothekers. Blaser begründete diesen                       telagen etwa zwölf Stunden lang an ei-
     1902) hatte nach Absolvierung von                    Antrag damit, dass die Anzahl der an-                      nem „mässig warmen Ort“ zum Trock-
     Lehr- und Konditionszeit vom April                   zufertigenden Präparate von 1.178 im                       nen ausgebreitet. Das Aufhängen
     1865 bis Mai 1866 in Leipzig Pharma-                 Jahr 1870 auf 1.432 im Jahr 1872 ange-                     feuchter Watte wurde von Blaser nicht
     zie studiert. Er bewarb sich im Sep-                 wachsen war und von Januar bis Ende                        empfohlen, da „hierbei durch Herab-
     tember 1868 bei der Stadt Leipzig um                 April 1873 bereits 582 Präparate in                        fließen der Feuchtigkeit die gleichmä-
     eine Stelle als Apotheker im städti-                 der Apotheke angefertigt worden wa-                        ßige Vertheilung der Salicylsäure ge-
     schen „Jacobshospital“, das nahe dem                 ren. 1870 hatte die Anzahl der ärztli-                     stört wird“. Thiersch erkannte als
     parkartigen Waldgebiet Rosenthal lag,                chen Verordnungen pro Tag 210 und                          Schwäche des neuen Verbandstoffes,
     und übernahm im Januar 1869 die Lei-                 im Jahr 1873 bereits 405 betragen. Für                     dass bei einer ungenügend großen
     tung der Apotheke.34 Im Jahr 1871 zog                die Berechnung der Anzahl an tägli-                        Menge an Salicylsäure die antisepti-
     das St. Jakobshospital aus dem veralte-              chen Zubereitungen legte Blaser 365                        sche Wirkung versagen konnte: „Es ist
     ten und beengten Gebäude in ein neu                  Kalendertage zugrunde, was zeigt,                          nicht zu erwarten, dass die Salicylsäu-
     errichtetes Gebäude in der Waisenh-                  dass die Krankenhausapotheke auch                          re in jedem Theil der Watte in gleicher
     ausstraße 28, das zugleich zum Haupt-                am Wochenende dienstbereit war und                         Menge auscrystallisiert, und auch
     standort der Leipziger Universitätsme-               täglich ärztliche Verordnungen ange-                       nach dem Trocknen des Verbandstof-
     dizin und Wirkstätte von Carl                        fertigt wurden.                                            fes kann durch Hantiren damit die
     Thiersch wurde.35                                    Tatsächlich konnte Hermann Blaser                          Vertheilung der Säure eine ungleiche
     Eine Publikation Hermann Blasers im                  die Administration überzeugen, und                         werden. […] Ein Mehr schadet in kei-
     Jahr 1872 zur Verbesserung der Halt-                 zu Beginn des Jahres 1874 trat Hein-                       nem Falle, dagegen sollte das Weniger
     barkeit von Apomorphinlösung zeigt                   rich Poppitz (1845–1892) als zweiter                       bei der 3%-igen nicht über 1%, bei der
     sein Interesse an der technologischen                Apotheker seinen Dienst in der St. Ja-                     10%-igen nicht über 3% betragen, und
     Bearbeitung pharmazeutischer Frage-                  kobs-Apotheke an. Trotz aller Belas-                       das Weniger durch ein Mehr an ande-
     stellungen.36 Eine wissenschaftliche                 tung bestätigten bei einer Apotheken-                      ren Stellen aufgewogen sein“.
     Betätigung war vermutlich neben der                  revision am 11. April 1874 der Apothe-                     Um ein therapeutisches Versagen zu
     Fülle an Arbeit in der Krankenhaus-                  kenrevisor Julius Sußdorf und der Me-                      verhindern, spielte die pharmazeuti-
     apotheke nur schwer zu bewerkstelli-                 dicinalrath Hugo Sonnenkalb                                sche Qualität der antiseptischen Ver-
     gen. Zahlreiche Rezepturen, Defektu-                 (1816–1887), dass Hermann Blaser die                       bandstoffe folglich eine wichtige Rolle.
     ren und Präparate mussten von Blaser                 Apotheke vorschriftsgemäß und sehr                         Hermann Kolbe hatte empfohlen, die
     selbst, sowie seinen Gehilfen und                    ordentlich führte.37                                       Menge an Salicylsäure in der Watte
     Lehrlingen für den täglichen Stations-               Offensichtlich waren damit im April                        quantitativ mit Natron- oder Kalilauge
     und Operationsbetrieb hergestellt und                1874 die Voraussetzungen für zusätzli-                     gegen Lackmustinktur zu bestimmen.

     30 | Geschichte der Pharmazie | 68. Jahrgang | August 2016 | Nr.2/3

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Salicylsäure und ihr Debüt als Antiseptikum und Konservierungsmittel - TU Braunschweig
Geschichte der Pharmazie

     Hermann Blaser arbeitete für die St.                                                                   Die Vermarktung der Salicylsäure
     Jakobs-Apotheke ein volumetrisches
     Bestimmungsverfahren aus, bei dem                                                                      Nicht nur die Salicylsäurefabrik Dr. F.
     er eine mit Aetzkali eingestellte Nor-                                                                 von Heyden, deren Produktionsmen-
     mal-Lösung verwendete, der er als                                                                      gen so rasch anwuchsen, dass sie be-
     Farbindikator „Alkannatinktur“ hin-                                                                    reits 1875 in größere Räumlichkeiten
     zusetzte, die in der Apotheke durch                                                                    in Radebeul umziehen musste, ver-
     Ausziehen von Wurzeln der Alkanna                                                                      suchte von der antibakteriellen Wirk-
     tinctoria mit Alkohol gewonnen wur-                                                                    samkeit der Salicylsäure zu profitie-
     de. Die Watte kochte man mit destil-                                                                   ren. Die Chemische Fabrik auf Aktien
     liertem Wasser, filtrierte und titrierte                                                               (vormals E. Schering), die 1871 in Ber-
     dann eine genau bemessene Menge                                                                        lin gegründet worden war, veröffent-
     des Filtrats mit Normal-Kalilauge. Bla-                                                                lichte im März 1875 in einem Supple-
     ser gestaltete die quantitative Bestim-                                                                ment der Pharmaceutischen Zeitung
     mungsmethode der Einfachheit halber            Abb. 6: Ausschnitt aus Dieterichs                       einen ausführlichen Beitrag über Die
     so, dass der Salicylsäuregehalt anhand         Neuem Manual 1887, Salicylwatte                         Salicylsäure und ihre Verwendung in
     der Menge an verbrauchter Kalilauge            nach Thiersch                                           der Technik und Medicin. Darin wurde
     direkt an der Bürette abgelesen wer-                                                                   die Erwartung deutlich zum Aus-
     den konnte. Darüber hinaus musste           benden, weichen, geschmeidigen, dem                        druck gebracht, dass mit Salicylsäure
     die Watte auf Abwesenheit von phos-         Flachs ähnlichen Verbandstoff, wel-                        nun ein universell einsetzbares und
     phorsaurem Natron geprüft werden,           cher dickflüssigen Eiter bei neuntägi-                     unschädliches Antiseptikum mit an-
     da die Bildung des Natronsalzes die         gem Liegenbleiben des Verbandes voll-                      genehmen geruchlichen und ge-
     Wirksamkeit der Salicylsäure herab-         ständig in sich aufnahm, und zur                           schmacklichen Eigenschaften verfüg-
     setzte. Thiersch führte ferner aus,         gleichmässigen Vertheilung brachte“.                       bar war. Salicylsäure wurde nicht nur
     dass es von Nachteil sei, wenn die ver-     Als pflichtbewusster Apothekenleiter                       als Ersatzmittel der Carbolsäure in
     wendete Salicylwatte nicht durchläs-        berechnete Hermann Blaser die je                           der Wundbehandlung und als Hände-
     sig genug war, um Wundflüssigkeiten         nach antiseptischer Verfahrensweise                        desinfektionsmittel gepriesen, son-
     hindurchtreten zu lassen und es zum         unterschiedlichen Kosten, die theore-                      dern auch als mögliches Konservie-
     Stau an Sekreten komme. Er suchte           tisch für einen zehn Meter langen Am-                      rungsmittel von Bier, Wein, Fruchtsäf-
     nach einem Verbandstoff, der ähnlich        putationsverband des Oberschenkels                         ten, Milch und Fleisch angesehen.
     der Carbolgaze über eine Gitterstruk-       anfielen. Er kalkulierte den Preis für                     Ferner sollte Salicylsäure als geruch-
     tur für Wundsekrete durchlässig war.        einen trockenen Salicyl-Jute-Verband                       stilgender Wirkstoff in Zahnpulvern,
     Versuchsweise ließ er 2.500 Gramm           mit 0,92 Mark, für einen trockenen                         Mundwässern und Fußpudern einge-
     „Jute von arrcanischem Hanf“ in der         10%-igen Salicylwatte-Verband mit                          setzt werden und man setzte große
     St. Jakobs-Apotheke zu einer 4%-igen        1,52 Mark und für einen Lister´schen                       Hoffnungen in eine Zukunft als inner-
     Salicyl-Jute verarbeiten. Für die Im-       Carbolverband mit 2,35 Mark.                               lich anzuwendende Arznei: „Als Arz-
     prägnierung wurde eine Glycerin-            Als störend empfand Thiersch, dass                         neimittel für innerlichen Gebrauch
     Wasser-Mischung als Lösungsmittel           der bei der Operation angewendete                          scheint die Salicylsäure bis jetzt noch
     der Salicylsäure eingesetzt: „Auf diese     Sprühnebel mit Salicylwasser in einer                      wenig benutzt worden zu sein und
     Weise erhielten wir einen wenig stäu-       Konzentration von 1:300 zum Husten                         verspricht dieselbe wegen ihrer anti-
                                                 und Niesen reizte und dass der Stahl                       septischen Eigenschaften bei allen
                                                 chirurgischer Instrumente durch die                        Blutkrankheiten, speciell bei solchen,
                                                 Säurewirkung angegriffen wurde.38                          welche durch Contagien erzeugt sind,
                                                 Die Berichte von Carl Thiersch führten                     ein Heilmittel zu werden, und bei
                                                 dazu, neben Carbolsäure auch Salicyl-                      Diphteritis, Scharlach, Masern, Po-
                                                 säure als antiseptisches Mittel in der                     cken, Syphilis, Dysenterie, Thyphus,
                                                 Wundbehandlung zu etablieren. Apo-                         Cholera etc. zu versuchen sein“.40
                                                 theker konnten beispielsweise seit                         1875 erschien der Aufsatz Ein Beitrag
                                                 1887 auf Vorschriften im Neuen Phar-                       zur Kenntnis der antifebrilen Wirksam-
                                                 maceutischen Manual des Apothekers                         keit der Salicylsäure, in dem über expe-
                                                 und Fabrikanten pharmazeutischer                           rimentelle Untersuchungen an Kanin-
                                                 Präparate Eugen Dieterich (1840–                           chen berichtet wurde, die am Pharma-
                                                 1904) zurückgreifen, wenn sie im                           kologischen Institut unter Anleitung
                                                 Apothekenlabor mit Salicylsäure im-                        des Medizinprofessors Albert Eulen-
                                                 prägnierte Gaze, Watte und Jute her-                       burg (1840–1917) an der Universität
         Abb. 5: Standgefäß Salicylsäure, 1912   stellen wollten.39                                         Greifswald vorgenommen worden wa-

                                                                                           Nr.2/3 | August 2016 | 68. Jahrgang | Geschichte der Pharmazie |   31

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Salicylsäure und ihr Debüt als Antiseptikum und Konservierungsmittel - TU Braunschweig
Geschichte der Pharmazie

     ren. Mehrere Kaninchen waren mit                     der Säfte in ihrer Wirkungsfähigkeit
     „putriden Flüssigkeiten“ wie zersetz-                eingeschränkt“.41
     tem Harn oder fauligem Blut infiziert                Trotz dieser ernüchternden Einschät-
     worden und nach Eintreten des „septi-                zung hielten nicht nur Hermann Kolbe
     cämischen Fiebers“ mit oralen oder                   und Friedrich von Heyden Salicylsäu-
     subkutanen Salicylsäuregaben behan-                  re weiterhin für ein umsatzstarkes
     delt worden: „Ausgehend von der An-                  Produkt der Zukunft, sondern auch
     nahme, dass die Auslösung fieberhaf-                 konkurrierende Fabriken wie die Che-
     ter septischer Processe durch diessel-               mische Fabrik auf Aktien (vormals E.
     ben Reize bedingt werde, wie die Ent-                Schering). Hermann Kolbe und Fried-
     zündung, darf man bei denselben auch                 rich von Heyden begannen um die
     den meisten Erfolg von der innerlichen               Vormachtstellung bei der Vermark-
     Darreichung der Antiseptica erwarten.                tung zu kämpfen. Es entspann sich
     Und gerade das Ac. Salicyl. musste für               ein Rechtsstreit zwischen der Chemi-
     diese Therapie recht geeignet erschei-               schen Fabrik auf Aktien (ehemals E.
     nen, weil es nach den Erfahrungen                    Schering) und Hermann Kolbe. Ange-                            Abb. 8: Patentschrift Nr. 426
     von Kolbe und Anderen selbst in gro-                 fochten wurde Kolbes Patent Nr. 3575,
     ßen Dosen vom Organismus sehr gut                    das von Sachsen am 12. Februar 1874                        tente zum Deutschen Reichspatent Nr.
     vertragen wird“. Die Hoffnung auf ein                erteilt worden war, mit der Begrün-                        426 zusammengefasst.43
     universelles Mittel zur Heilung von                  dung, dass Kolbe bereits vor 1874 über
     Infektionskrankheiten erfüllte sich je-              die Synthese von Salicylsäure aus
                                                                                                                     Das mikrobiologische Labor
     doch nicht. Obwohl das Fieber sank,                  Kohlensäure und Phenol berichtet hat-
     verstarben die Kaninchen nach eini-                  te. Nach einem ausführlichen Gutach-
                                                                                                                     des Pharmazieprofessors
     ger Zeit: „Nach diesen Resultaten aber               ten der technischen Deputation des                         Georg Dragendorff in Dorpat
     glaube ich berechtigt zu sein, den an-               Königlich-Sächsischen Ministerium                          Im Jahr 1876 promovierte der Medi-
     tifebrilen Wert der Salicylsäure nicht               des Inneren wurde aber zugunsten                           zinstudent Leonid Bucholtz (1850–
     so hoch anzuschlagen, wie es von vie-                Kolbes entschieden und der Antrag                          1893) in Dorpat mit dem Thema Ueber
     len Seiten geschieht. Wahrscheinlich                 auf Aufhebung des Patents am 28. No-                       das Verhalten von Bakterien zu einigen
     wird dieselbe, soweit sie in die Circu-              vember 1876 abgewiesen.42 Im Jahr                          Antisepticis, nachdem er bereits 1875
     lation gelangt, durch die Alkalescenz                1877 wurden die deutschen Einzelpa-                        zwei umfangreiche Arbeiten über Bak-
                                                                                                                     terien veröffentlicht hatte.44 Die Dis-
                                                                                                                     sertation entstand unter der Leitung
                                                                                                                     des Chirurgen Ernst von Bergmann
                                                                                                                     (1836–1907), der von 1871 bis 1878 als
                                                                                                                     Professor in Dorpat wirkte, des Pädia-
                                                                                                                     ters Alfred Vogel (1829–1890) sowie
                                                                                                                     des Apothekers Johann Georg Noël
                                                                                                                     Dragendorff (1836–1898), der 1864 als
                                                                                                                     Pharmazieprofessor an die Universität
                                                                                                                     von Dorpat (heute Tartu) berufen wor-
                                                                                                                     den war. Dragendorff arbeitete zur Be-
                                                                                                                     antwortung fachübergreifender Frage-
                                                                                                                     stellungen auch mit Ärzten der medi-
                                                                                                                     zinischen Fakultät zusammen und be-
                                                                                                                     treute gemeinsam mit ärztlichen
                                                                                                                     Kollegen Dissertationen angehender
                                                                                                                     Mediziner.45 Dragendorff befasste sich
                                                                                                                     mit chemischen Pflanzenanalysen,
                                                                                                                     führte toxikologisch-forensische Un-
                                                                                                                     tersuchungen durch, bearbeitete Alka-
                                                                                                                     loid-Reaktionen und untersuchte Nah-
                                                                                                                     rungsmittel. Es scheint sicher, dass
                                                                                                                     Dragendorff sich mit seinem Universi-
                                                                                                                     tätskollegen Ernst von Bergmann, der
                                                                                                                     Mitglied der Deutschen Gesellschaft
         Abb. 7: Werbung für Salicylsäure als Zahn- und Fußmittel, 1875                                              für Chirurgie war, auch über aktuelle

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Salicylsäure und ihr Debüt als Antiseptikum und Konservierungsmittel - TU Braunschweig
Geschichte der Pharmazie

     Aspekte der antiseptischen Wundbe-
     handlung austauschte, zumal dieser
     ein Verfechter der Listerschen Methode
     war. Er entwickelte ein ausgeprägtes
     Interesse an mikrobiologischen Frage-
     stellungen und gründete in seinem In-
     stitut ein bakteriologisches Labor.46
     Dass die Mitglieder der Deutschen Ge-
     sellschaft für Chirurgie großes Interes-
     se an der Aufklärung und ursächli-
     chen Bekämpfung der Wundinfektion
     hatten, zeigt auch eine Abhandlung
     des Chirurgen Theodor Billroth (1829–
     1894) über Coccobacteria septica im
     Jahr 1874.47                                  Abb. 9: Ausschnitt aus der Dissertation von Leonid Bucholtz (Tabelle)
     Leonid Bucholtz beschritt einen gänz-
     lich anderen Weg als noch Woldemar
     Bucholtz im Jahr 1866, um die Wir-         Georg Dragendorffs großes Interesse                        Theodor Haberkorn schloss seine Pro-
     kung verschiedener Antiseptika zu          an der Bearbeitung mikrobiologischer                       motionsarbeit über Das Verhalten von
     messen und somit vergleichbar zu ma-       Fragestellungen und der Etablierung                        Harnbacterien gegen einige Antiseptica
     chen. Er züchtete nun „Bacterien“ in       von geeigneten Labormethoden kann                          noch im Jahr 1879 ab.50 1880 wurden
     einem „faulenden Tabacksinfus“ und         man an weiteren, unter seiner Anlei-                       sogar fünf Dissertationen zu bakterio-
     impfte einige Tropfen davon in eine        tung in Dorpat entstandenen Disserta-                      logischen Themen unter Anleitung
     „der Pasteurschen Nährflüssigkeit          tionen ablesen. 1879 vollendete Wolde-                     Dragendorffs angefertigt. Hermann
     nachgebildeten Nährflüssigkeit aus 10      mar Werncke seine Doktorarbeit Ueber                       Meyer verfasste eine Arbeit Ueber das
     Grm. käuflichem Candiszucker, 1            die Wirkung einiger Antiseptica auf He-                    Milchsäureferment und sein Verhalten
     Grm. weinsaurem Ammoniak und 0,5           fe. Er überprüfte auch die Hemmwir-                        gegen Antiseptica.51 Mit einer Arbeit
     Grm. phosphorsaurem Kali pro 100 ml        kung von Salicylsäure auf Hefe und                        über Das Verhalten der Bacterien des
     destilliertem Wasser“. Sobald die Trü-     ermittelte die Einschränkung oder                         Fleischwassers gegen einige Antiseptica
     bung der Nährflüssigkeit anzeigte,         Aufhebung der Gärung anhand der                           wurde Nicolai Jalan de la Croix promo-
     dass sich die Bakterien gut vermehrt       konzentrationsabhängigen Abnahme                          viert.52 Das Thema, mit dem sich Iwan
     hatten, verwendete er einige Tropfen       der Kohlendioxidentwicklung zucker-                       Wernitz auseinandersetzte, lautete
     der Bakterienkultur, um sie den zu         haltiger Lösungen.48                                      ­Ueber die Wirkung der Antiseptica auf
     überprüfenden Antiseptika verschie-        Peter Kuehn reichte ebenfalls im Jahr                     ungeformte Fermente.53 Bronislaw
     dener Konzentration zuzusetzen. In         1879 bei der „Hochverehrten medicini-                      Wenckiewicz untersuchte Das Verhal-
     festgelegten Zeitabständen überprüfte      schen Facultät der Kaiserlichen Uni-                       ten des Schimmelgenus Mucor zu Anti-
     er dann das Ausmaß an Wachstums-           versität zu Dorpat“ eine Doktorarbeit                      septicis und einigen verwandten Stoffen
     hemmung oder auch die völlige Abtö-        zum Thema Ein Beitrag zur Biologie                         mit besonderer Berücksichtigung seines
     tung der Bakterien. Obwohl diese Me-       der Bacterien ein.49 Auch der Arzt                         Verhaltens in zuckerhaltigen Flüssigkei-
     thode sicherlich fehleranfällig und un-
     genau war, gelang es Leonid Bucholtz
     festzustellen, dass in seiner Versuchs-
     anordnung die antiseptische Wirkung
     von Salicylsäure deutlich größer war
     als die der Carbolsäure.
     Leonid Bucholtz untersuchte zahlrei-
     che weitere Substanzen auf ihre anti-
     septische Wirkstärke, beschrieb
     gründlich seine Methode und listete
     die Ergebnisse übersichtlich und unter
     Einfügung aussagekräftiger Tabellen
     auf. Mit seinen Experimenten gelang
     es ihm zu zeigen, dass keineswegs nur
     die Carbolsäure, sondern auch Salicyl-
     säure und weitere Substanzen als anti-
     bakterielle Wirkstoffe in Frage kamen.        Abb. 10: Ausschnitt aus der Dissertation von Woldemar Werncke (Tabelle)

                                                                                         Nr.2/3 | August 2016 | 68. Jahrgang | Geschichte der Pharmazie |   33

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Salicylsäure und ihr Debüt als Antiseptikum und Konservierungsmittel - TU Braunschweig
Geschichte der Pharmazie

     ten54 und Hermann von Boehlendorff                   Namen Salol als Desodorant in Streu-                       reits eingeführten Carbolsäure als
     leistete einen experimentellen Beitrag               pudern, Verbänden und Mundwässern                          Antiseptikum etablieren zu können,
     zur Biologie der Schizomyceten.55 Edu-               verwendet und nach oraler Gabe zur                         wurde nicht nur von Chemikern und
     ard Schwartz promovierte schließlich                 Desinfektion der Harnwege in die The-                      Ärzten, sondern auch von Apothekern
     1891 mit einer Arbeit Ueber das Vor-                 rapie eingeführt. In der Blase be-                         wertvolle Arbeit geleistet. Der Kran-
     kommen von Bacterien in kohlensäure-                 kämpften die freigesetzten Verbindun-                      kenhausapotheker Hermann Blaser
     haltigen Wässern und kam zum Ergeb-                  gen Salicylsäure und Phenol lokal                          stellte erstmals mit Salicylsäure im-
     nis, dass die Bakterienzahl umso klei-               bakteriell bedingte Harnwegsinfek-                         prägnierte Verbandstoffe her, um de-
     ner war, je größer der Kohlensäurean-                te.57 Weitere unternehmerische Bemü-                       ren antiseptischen Effekt mit dem des
     teil im jeweiligen Wasser war.56                     hungen der Chemischen Fabrik von                           Listerschen Carbolsäureverbands ver-
     Die vielen bearbeiteten Themen zei-                  Heyden Salicylsäure als Konservie-                         gleichen zu können und befasste sich
     gen, dass Dragendorff nicht nur Inter-               rungsmittel zu vermarkten, finden                          mit chemischen, technologischen, ana-
     esse an medizinischen Aspekten wie                   sich in der 1896 veröffentlichten Bro-                     lytischen und ökonomischen Frage-
     der Verhinderung einer bakteriell be-                schüre Die Salicylsäure als Conservir-                     stellungen. Der in Dorpat lehrende
     dingten Wundinfektion hatte, sondern                 mittel für Consumartikel.58                                Pharmazieprofessor Georg Dragen-
     insbesondere auch mikrobiologische                   Ein neues Kapitel in der Geschichte der                    dorff errichtete ein mikrobiologisches
     Fragen der Lebensmittelsicherheit und                Salicylsäure wurde aufgeschlagen, als                      Labor an der Universität Dorpat und
     Hygiene erforschte. Dragendorff und                  mit Acetylsalicylsäure ein Arzneistoff                     entwickelte gemeinsam mit seinen
     seine Schüler stellten bei ihren Expe-               synthetisiert wurde, den die Farbenfab-                    Schülern ab 1875 mikrobiologische La-
     rimenten fest, dass Bakterien sich in                riken Friedrich Bayer & Co. ab 1899 un-                    bormethoden, mit denen die mikrobi-
     unterschiedlichen Nährmedien völlig                  ter dem von Spirea (Mädesüß) abgelei-                      zide Wirkung der Salicylsäure und an-
     verschieden entwickelten. Eine stan-                 teten Markennamen Aspirin (Acetylspi-                      derer Stoffe im Vergleich zu Carbol-
     dardisierte Kultivierung sowie eine                  rin) in den Handel brachte. Dass die                       säure in vitro gemessen werden konn-
     von Zufällen unabhängige und insbe-                  Chemische Fabrik von Heyden ebenfalls                      te. Salicylsäure spielt in der
     sondere selektive Anzüchtung ganz                    Acetylsalicylsäure herstellte, die sie                     pharmazeutischen Rezeptur bis heute
     bestimmter Mikroorganismen war zur                   später unter dem Markennamen Acety-                        eine wichtige Rolle. Sie wird äußerlich
     Erzielung aussagekräftiger und repro-                lin vertrieb, konnte den Siegeszug des                     angewendet in Salben sowie in alkoho-
     duzierbarer Versuche mit antisepti-                  Aspirins nicht mehr aufhalten.59                           lischen oder öligen Lösungen, bei-
     schen Wirkstoffen jedoch essentiell.                                                                            spielsweise zur Behandlung von
     Im Hinblick auf die Fortschritte in Mi-                                                                         schuppenden, entzündlichen Haut-
     krobiologie und bakterieller Diagnos-
                                                          Resümee                                                    erkrankungen und in höheren Kon-
     tik, die in den Folgejahren durch den                Obwohl Salicylsäure antimikrobielle                        zentrationen als Keratolytikum gegen
     Einsatz sich immer stärker spezialisie-              Eigenschaften aufweist, war Kolbes                         Warzen und Hühneraugen.
     render Wissenschaftler erreicht wur-                 hypothetischer Ansatz, der Salicylsäu-
     den, muss dem mikrobiologischen La-                  re aufgrund ihrer chemischen Struk-                        Summary:
     bor des Pharmazieprofessors Georg                    tur als Phenolabkömmling ein anti-                         The chemist Hermann Kolbe (1818–1884) mana-
     Dragendorffs hoher Respekt für die                   septisches Potential zuzuweisen, nicht                     ged to synthesize salicylic acid (2-hydroxy-ben-
                                                                                                                     zoic-acid) in 1859 by chemical reaction of sodi-
     geleistete Pionierarbeit gezollt werden,             zutreffend. Die Wirksamkeit der Sali-                      um phenolate with carbonic acid. However, the
     die es ermöglichte, die Wirkung ver-                 cylsäure gegen Mikroorganismen ist                         impulse for the large-scale production by Fried-
     schiedener Antiseptika in vitro mess-                auf die aromatische Carbonsäurefunk-                       rich von Heyden (1838–1926), which started in
                                                                                                                     1874, was the hope and the expectation to get a
     bar zu machen.                                       tion zurückzuführen. Im Vergleich zu                       non-toxic surrogate for carbolic acid (phenol) to
                                                          Benzoesäure, 3-Hydroxy-Benzoesäure                         be used as antiseptic spray and in the so-called
                                                          oder 4-Hydroxy-Benzoesäure weist Sa-                       Lister´s dressing as microbicide substance for
     Der weitere Weg der Salicylsäure                     licylsäure als 2-Hydroxy-Benzeosäure                       the treatment of wounds. This was confirmed by
                                                                                                                     the surgeon Carl Thiersch (1822–1895), who int-
     Im Jahr 1885 gab Friedrich von Hey-                  eine deutlich größere Acidität auf.60                      roduced wound dressings with salicylic acid in
     den aus gesundheitlichen Gründen die                 Wie bei allen Säuren wird die anti-                        1874. Furthermore salicylic acid was anticipa-
     Firmenleitung auf und verkaufte die                  mikrobielle Wirkung stark vom pH-                          ted as potential remedy against infectious dis-
                                                                                                                     eases and as preservative agent for food. At the
     Fabrik an Carl Kolbe (1855–1909), den                Wert beeinflusst. Nur der undissozi-                       University of Dorpat Johann Georg Noël Dragen-
     Sohn Hermann Kolbes, und den Kauf-                   ierte Anteil ist für die Wirkung ver-                      dorff (1836–1898) established a laboratory for
     mann Carl Rentsch. Im gleichen Jahr                  antwortlich, da ionisierte Moleküle                        novel microbiological testing and started to
                                                                                                                     compare the antibacterial effect of salicylic acid
     wurde Richard Seifert (1861–1919),                   Bakterienmembranen nicht durch-                            and other microbicide agents in 1875. Kolbe´s
     ebenfalls ein Schüler Rudolf Schmitts,               dringen können. Salicylsäure entwi-                        hypothesis that salicylic acid would act compa-
     als Chemiker eingestellt, der durch                  ckelt deshalb nur in einem sauren pH-                      rable to carbolic acid proved incorrect. It is ef-
                                                                                                                     fective against microorganisms based on its mi-
     Derivatisierung der Salicylsäure wei-                Bereich unter 5 antimikrobielle Eigen-
                                                                                                                     crobizide at pH values lower than 5. Acetic acid
     tere potente Wirkstoffe herstellte. Sali-            schaften gegen Bakterien und Pilze.61                      is today still used as keratolytic and bacteriosta-
     cylsäurephenylester wurde unter dem                  Um ab 1874 Salicylsäure neben der be-                      tic substance in dermatological formulations.

     34 | Geschichte der Pharmazie | 68. Jahrgang | August 2016 | Nr.2/3

GdP_2_3_2016_Umb.indd 34                                    http://publikationsserver.tu-braunschweig.de/get/64741                                               21.07.16 09:19
Geschichte der Pharmazie

     Keywords:                                                 in Salicylsäure und Salicylalkohol. S: Orga-           17 Andreas Schuhmann/AWD. pharma GmbH
     Salicylic acid, Hermann Kolbe, Salicylsäure-Fa-           nikum. Organisch-chemisches Grundprak-                    & Co.KG (Hrsg.): Die chemische Fabrik van
     brik Dr. F. von Heyden, Carl Thiersch, Johann             tikum. 15. Aufl. Berlin 1977, S. 607 f.                   Heyden. In: Geschichte des Arzneimittel-
     Georg Noël Dragendorff (1836–1898), wound           5     Piria [wie Anm. 4], S. 291.                               werkes Dresden. Dresden 2002, S. 25–41.
     treatment, Lister´s dressing, carbolic acid, phe-   6     Gerhard Madaus: Lehrbuch der biologi-                  18 Kolbe [wie Anm. 13], S. 103.
     nol, microbizide agent, microbiological testing,          schen Heilmittel., Bd.3. Leipzig 1938, S.              19 August Kekulé: Untersuchungen ueber aro-
     acidity                                                   2394–2399 (Salix) und S. 2593–2597 (Spi-                  matische Verbindungen. In: Annalen der
                                                               rea).                                                     Chemie und Pharmacie 137 (1866), S. 129–
                                                         7     F[riedrich] Pagenstecher: Ueber das destil-               196. Kolbe war von der Richtigkeit der The-
     Abbildungsverzeichnis
                                                               lirte Wasser und Oel der Blüthen von Spi-                 orien des von ihm verehrten Chemikers
     Abb.1 Spanschachtel Cortex salicis albi pulv. 2.          rea Ulmaria. In: Repertorium für die Phar-                Jens Jakob Berzelius (1779–1848) über-
        Hälfte 19. Jahrhundert, Pharmaziemuseum                macie 49 (1834), S.337–360. Andreas Buch-                 zeugt und verteidigte dessen Theorien ge-
        Brixen, Fotograf Oswald Peer                           ner schlug als Herausgeber des Repertori-                 genüber Kekulés Auffassungen, die sich je-
     Abb. 2 Hermann Kolbe (Journal für praktische              ums in der Nachschrift zu Pagenstechers                   doch als richtig erweisen sollten.
        Chemie 30 (1885), S. 417)                              Arbeit vor, die neuartige Säure Ulmarsäure             20 Kolbe [wie Anm. 13], S.107f.
     Abb.3 Sprüh-Apparatur zum Vernebeln anti-                 zu nennen; s. auch J[ean-Baptiste] Dumas:              21 Jules Lemaire: Du coaltar saponiné, désin-
        septischer Flüssigkeiten, Science Museum               Ueber das ätherische Oel der Blüthen von                  fectant énergique arrêtant les fermenta-
        London/Wellcome Library, London,                       Spirea Ulmaria. In: Annalen der Pharmazie                 tions. Paris 1860, sowie ders.: De l´acide
        L0057189                                               29 (1839), S. 306–308. Vgl. Claudia Zero-                 phénique de son action sur les végétaux,
     Abb. 4 Seite aus Hermann Blasers Schreiben                bin: Drei Berner Apotheker des 19. Jahr-                  les animaux, les ferments, les venins, les
        vom 21. Mai 1873. Stadtarchiv Leipzig, Cap.            hunderts: Johann Samuel Friedrich Pagen-                  virus, les miasmes et de ses applications à
        16 Nr.6 Bd.1 Jakobshospital-Apotheke, Bl.              stecher, Carl Abraham Fueter, Leonhard                    l’industrie, à l’hygiène, aux sciences anato-
        138 R.                                                 Christian Müller. Bern 1994, S. 104–108.                  miques et à la thérapeutique. 2.Ed. Paris
     Abb. 5 Standgefäß Salicylsäure, 1912, Pharma-       8     Auguste André Thomas Cahours: Unter-                      1865.
        ziemuseum Brixen, Fotograf Oswald Peer                 suchungen ueber das Oel der Gaultheria                 22 Friedrich Runge: Ueber einige Produkte
     Abb.6 Ausschnitt aus Eugen Dieterich, Neues               Procumbens. In: Journal für praktische                    der Steinkohlendestillation. In: Poggen-
        Manual 1887 [wie Anm. 39]                              Chemie 29 (1843), S. 197–201.                             dorffs Annalen der Physik und Chemie 32
     Abb. 7: Werbung für Salicylsäure als Zahn- und      9     Madaus [wie Anm. 6] Bd.2, S. 1418–1422.                   (1834), S. 308–328.
        Fussmittel, Pharmaceutische Zeitung 20           10    Wilhelm Gerland: Ueber Anthranilsäure,                 23 Woldemar Bucholtz: Ueber das Einwirken
        (1875), Nr. 15, S. 120.                                Benzaminsäure und Carbanilidsäure. In:                    der Phenylsäure (Carbolsäure) auf einige
     Abb. 8 Patentschrift Nr. 426 vom 3. Juli 1877             Annalen der Chemie und Pharmazie 86                       Gärungsprozesse. Diss. Med. Dorpat 1866.
        für Hermann Kolbe                                      (1853), S. 143–156. Die beschriebene Reak-                Unter „Emulsin“ verstand man ein in der
     Abb.9 Ausschnitt aus Leonid Bucholtz: Ueber               tion der Anthranilsäure mit salpetriger                   Mandel vorkommendes Enzym, das aus
        das Verhalten von Bakterien zu einigen An-             Säure entspricht einer Diazotierungsreakti-               dem cyanogenen Glykosid Amygdalin Zu-
        tisepticis. Diss. Med. Dorpat 1876, S. 28              on der aromatischen Aminogruppe und an-                   cker, Benzaldehyd und Blausäure abspalten
        [wie Anm. 44].                                         schließendem Zerfallen des Diazoniumsal-                  konnte. Unter „Myrosin“ verstand man ein
     Abb. 10 Ausschnitt aus Woldemar Werncke: Ue-              zes unter Bildung einer phenolischen                      in Senfsamen vorkommendes Enzym, das
        ber die Wirkung einiger Antiseptica auf                Struktur, einer sogenannten „Verkochung“,                 Senfölglykoside in Glucose und stechend
        Hefe. Diss. Med. Dorpat 1879. S. 35 [wie               s. Organikum. Organisch-chemisches                        riechendes Senföl spaltet.
        Anm. 48].                                              Grundpraktikum. 15. Aufl. Berlin 1977, S.              24 Louis Pasteur: Recherches sur la putrefac-
                                                               654 und S. 659–661. Entdecker der Anthra-                 tion. In: Comptes rendus hebdomadaires
     Anmerkungen                                               nilsäure war Apotheker Carl Julius Fritz-                 des séances de l’Académie des sciences 56
     1   Grete Ronge: Kolbe, Hermann. In: NDB. Bd.             sche (1808–1871), der bei chemischen Expe-                (1863), S. 1189–1194.
         12. Berlin 1980, S. 446–451.                          rimenten mit dem blauen Naturstoff Indigo              25 Joseph Lister: On the antiseptic principle in
     2   Axel Kleemann/Heribert Offermann: Von                 das Anilin (Aminobenzol) und die Anthra-                  the practice of surgery. In: British Medical
         der Klostermedizin zu den synthetischen               nilsäure (2-Amino-Benzoesäure) gefunden                   Journal, 21. September 1867, S. 246–248.
         Arzneimittelwirkstoffen. Meilenstein Sali-            hatte.                                                    Durch Anwendung von Carbolsäure sollten
         cylsäuresynthese. In: Chemie in unserer         11    Hermann Kolbe: Ueber Synthese der Sali-                   die über die Luft in die Wunde gelangen-
         Zeit 46 (2012), S. 40–47.                             cylsäure. Briefliche Mittheilung. In: Anna-               den „low forms of life“ vernichtet und un-
     3   Andreas Buchner: Ueber das Rigatellische              len der Chemie und Pharmacie 113 (1860),                  schädlich gemacht werden, denn „septic
         Fiebermittel, und ueber eine in der Weiden-           S. 125–127, sowie Hermann Kolbe / Eduard                  germs“ waren nach Listers Auffassung ur-
         rinde entdeckte alkaloidische Substanz. In:           Lautemann: Ueber die Constitution und die                 sächlich für das Auftreten von Wundinfek-
         Repertorium für die Pharmazie 29 (1828),              Basizität der Salicylsäure. In: Annalen der               tion. Nach dem operativen Eingriff musste
         S. 405–420. Unter „Podagra“ verstand man              Chemie und Pharmacie 115 (1860), S. 157–                  die Wunde noch einige Zeit lang mit einem
         damals akute Erkrankungen des rheumati-               206.                                                      carbolsäurehaltigen Verband versorgt wer-
         schen Formenkreises wie Gicht, die zu ent-      12    Rudolf Wilhelm Schmitt: Ueber einige neue                 den. Die stetig aus dem Verbandstoff ver-
         zündlichen Gelenkschmerzen führten. Sie-              Derivate der Salicylsäure. Habilitations-Ab-              dunstende Carbolsäure sollte die in der
         he auch: Günter Kallinich: Buchner, Johann            handlung. Marburg 1864.                                   Luft suspendierten Mikroorganismen ver-
         Andreas. In: NDB. Bd. 2. Berlin 1955, S.        13    Hermann Kolbe: Ueber eine neue Darstel-                   nichten.
         706.                                                  lungsmethode und einige bemerkenswer-                  26 C[arl] Hueter: Die chirurgische Behandlung
     4   Raffaele Piria: Recherches sur la salicine et         the Eigenschaften der Salicylsäure. In:                   der Wundfieber bei Schusswunden. In:
         les produits qui en derivent. In: Annales de          Journal für praktische Chemie 10 (1874), S.               Sammlung klinischer Vorträge. Chirurgie
         chimie et de physique 39 (1838), S. 281–              89–112.                                                   Nr. 1–28 , Bd.1. Leipzig [o. J.], Nr. 7, S. 95–
         325, sowie ders.: Untersuchungen über das       14    Kolbe/Lautemann [wie Anm. 11].                            118.
         Salicin und die daraus entstehenden Pro-        15    Kolbe [wie Anm. 13], S. 90.                            27 Friedrich Trendelenburg: Die ersten 25 Jah-
         dukte. In: Annalen der Pharmazie 29             16    Rudolf Schmitt lehrte seit 1870 als Profes-               re der Deutschen Gesellschaft für Chirur-
         (1839), S. 300–306. Durch Hydrolyse spal-             sur für Allgemeine und Chemische Techno-                  gie. Berlin 1923, S. 8–11.
         tete Raffaele Piria den Zucker ab und setzte          logie am Polytechnikum in Dresden, wo                  28 A[ugust] W[ilhelm] Schultze: Ueber Lister´s
         Salicylakohol frei, der mit Dichromat zum             Friedrich von Heyden ab 1871 Chemie stu-                  antiseptische Wundbehandlung nach per-
         Salicylaldehyd oxidiert wurde. Im Sinne               dierte, s. Bernhard Sorms: Schmitt, Rudolf                sönlichen Erfahrungen. In: Sammlung kli-
         einer Cannizaro-Reaktion disproportioniert            Wilhelm. In: NDB. Bd. 23. Berlin 2007, S.                 nischer Vorträge. Chirurgie Nr. 1–28 , Bd.1.
         Salicylaldehyd im stark alkalischen Milieu            241 f.                                                    Leipzig [o. J.], Nr. 17, S. 333–358.

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