Geschlechterdarstellungen in den Medien: eine unendliche (Klischee-)Geschichte
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Schwerpunkt Geschlechterdarstellungen in den Medien: eine unendliche (Klischee-)Geschichte Heike vom Orde Geschlechterbilder in den Medien sind seit fast in den Medien von ungebrochener Aktualität. fünf Jahrzehnten Gegenstand der Forschung Die vorliegende kommunikationswissenschaft- in der deutschsprachigen Medien- und Kom- liche Genderforschung weist gerade in populären munikationswissenschaft. Bereits 1975 stellte medialen Inhalten auf eine andauernde Stereoty- Küchenhoff lakonisch als Fazit seiner Studie zur pisierung in der Darstellung von „Männlichkeit“ Darstellung der Frau im deutschen Fernsehen und „Weiblichkeit“ hin. Und dieser Tatbestand ist fest: „Männer handeln, Frauen kommen vor“. Die nicht nur im Fernsehen, sondern über viele medi- Autorinnen einer neueren repräsentativen Un- ale Formen und Genres hinweg zu beobachten. tersuchung (Prommer & Linke, 2019) konstatieren Im Folgenden wird anhand ausgewählter nach wie vor eine „Schieflage in den Geschlechter- Forschungsergebnisse aufgezeigt, welche Ge- darstellungen im deutschen TV und Kino“. Nicht schlechterbilder und Stereotypisierungen in nur wegen der empirisch hinreichend belegten Medien vorliegen und inwieweit diese medialen Marginalisierung von Frauen ist die Frage nach Konstrukte Einfluss auf die Geschlechtsidentität den Bildern und der Konstruktion von Geschlecht ihrer Rezipient*innen haben können.1 9 BPJMAKTUELL 2/2020__
Mediale Geschlechterbilder: beträgt das Verhältnis sogar 3:1. Damit zeigt sich eine Auswahl an Befunden keine Veränderung hinsichtlich der Sichtbarkeit im Vergleich zu den Forschungsergebnissen von Mit einer deutlichen Verzögerung zu den anglo- Weiderer (1993). amerikanischen Feminist Media Studies bildete Auch jenseits der Geschlechterkategorien sich in Deutschland die kommunikationswissen- zeigt sich das deutsche Fernsehen wenig divers: schaftliche Geschlechterforschung ab Mitte der Menschen mit Migrationshintergrund kommen 70er Jahre heraus. Die Kategorie „Gender“, also das signifikant weniger vor als es der Verbreitung in von sozialen und kulturellen Umständen abhän- der Bevölkerung entspricht. Sexuelle Diversität gige Geschlecht, wurde in ihrer Bedeutung ab jenseits der Heterosexualität ist ebenfalls kaum Mitte der 1990er Jahre auch in der deutschspra- sichtbar. Und neben dem vorherrschenden Bild chigen Forschung berücksichtigt und der Prozess der jüngeren, schlanken Frau steht der Mann, der des „Doing Gender“ trat in den Mittelpunkt der die Welt als Experte oder Moderator erklärt. Er Studien (Dorer & Klaus, 2008). Dieser Forschungs- ist alt oder jung und in vielen Berufen und Funk- perspektive liegt die Hypothese zugrunde, dass tionen präsent (Prommer & Linke, 2019). Bereits Medien das symbolische System der Zweige- Lukesch (2004) sah die größten Unterschiede in schlechtlichkeit reproduzieren und stützen, weil den Geschlechterbildern des Fernsehens im äuße- „Realität“ von den Medien nicht nur abgebildet, ren Erscheinungsbild der gezeigten Frauen und in sondern auch interpretiert und konstruiert wird. der Einbettung von Männern und Frauen in die Zentrales Ziel ist es, soziale Konstruktionsprozesse Berufswelt begründet. in und durch die Medien aufzuzeigen. Eine Studie zu „Familienbildern im Fernsehen“ Vorliegende nationale und internationale stellte in fiktionalen Formaten des deutschen Studien, die eine Analyse von audiovisuellen Fernsehens zwar eine häufige Präsenz von starken, Medieninhalten hinsichtlich der Quantität und berufstätigen und wohlsituierten Frauen (Han- des thematischen Kontexts von Geschlechter- nover & Birkenstock, 2005) fest, in der Kinderer- darstellungen vornehmen, stellen folgende ge- ziehung und bei der Haushaltsarbeit dominiert nerelle Tendenzen fest (Appel, 2008): Mädchen jedoch das traditionelle Rollenmodell. Döveling und Frauen sind unterrepräsentiert. Die gezeigten & Kick (2015) konnten neue Formen dieser alten Frauen sind im Durchschnitt jünger als die Män- Festschreibungen finden. Zwar existiert mittler- ner und haben oft eine sehr schlanke Statur. weile eine Vielfalt an Frauentypen in deutschen Zudem werden Frauen und Männer überwiegend Fernsehserien, die aber oft als unerreichbarer in eng definierten Geschlechterrollen gezeigt. For- Idealtypus der perfekt funktionierenden berufs- schungsergebnisse zu einzelnen medialen Formen tätigen Frau, Mutter und (attraktiven) Partnerin und Genres bestätigen diese Tendenzen. des Mannes gezeigt wird. Die sehr reale Doppel- belastung vieler Frauen mit Kindern wird nicht thematisiert. Fernsehen Nationale wie internationale Untersuchungen Seit Jahren belegen Analysen zur Geschlechterre- zu Genres des Reality-TV, insbesondere zu Ca- präsentation im deutschen Fernsehen die generel- stingshows, stellen fest, dass in diesen gerade le Unterrepräsentanz von Menschen weiblichen bei Heranwachsenden sehr beliebten Formaten Geschlechts (u.a.: Küchenhoff, 1975; Weiderer, Geschlechterstereotype (oft in Form einer „post- 1993; Lukesch, 2004; Prommer & Linke, 2019), was feministischen Maskerade“ hinsichtlich eines der faktischen Realität der Geschlechterverteilung „karrierefördernden“ Einsatzes weiblicher Attrak- in der deutschen Bevölkerung widerspricht. tivität) dominieren und eine „natürliche“ Hetero- Doch Frauen kommen nicht nur seltener im normativität vermittelt wird. Castingshows stellen TV vor, auch ihre Marginalisierung im zuneh- für jugendliche Fans vielfältiges Material bereit, menden Lebensalter ist gut dokumentiert. Schon die diese nutzen, um Alltagsprobleme zu bearbei- bei Küchenhoff (1975) waren ältere Frauen we- ten und Geschlechtsidentitäten zu konstruieren. sentlich weniger sichtbar als ältere Männer. In Hinsichtlich des dargestellten Ideals weiblicher der Analyse von Prommer & Linke (2019) werden Attraktivität konnten Studien nachweisen, dass Frauen bereits ab Mitte 30 zunehmend ausge- diese Formate zwar keine neuen Schönheitsi- blendet: In dieser Altersgruppe kommen zwei deale erschaffen, vorhandene Einstellungen aber Männer auf eine gezeigte Frau und ab 50 Jahren verstärken und vor allem bei Mädchen zu einer 10__BPJMAKTUELL 2/2020
kritischen bis ablehnenden Haltung dem eigenen Figuren, die dem Konzept der „Girl Power“ fol- Körper gegenüber führen können (Luca & Lenzen, gen), dennoch sind diese neuen Bilder häufig als 2011). ambivalent anzusehen, da sie sich wiederum ste- reotyper Eigenschaftszuschreibungen bedienen. So nehmen traditionelle Geschlechterstereotype Kinderfernsehen im Kinderfernsehen zwar ab, aber meist nur, um Das Fernsehen ist nach wie vor das Leitmedium durch neue ersetzt zu werden. der Kinder. Umso besorgniserregender ist es, dass sich auch hier seit Jahren konstante deut- liche Ungleichheiten und Stereotypisierungen Kinderbilderbücher finden lassen. 2007 wurde im Rahmen der Studie Bilderbücher sind ein wichtiger Indikator für „Children’s Television Worldwide: Gender Re- soziale Normen und liefern den Rezipient*innen presentation“ in 24 Ländern eine Stichprobe des Anhaltspunkte für akzeptiertes soziales Verhal- jeweiligen Kinderfernsehens erhoben und ana- ten. Doch auch in diesen Inhalten finden sich lysiert (Götz, 2013). Die Auswertung der Haupt- verzerrte Geschlechterbilder, die hinsichtlich der figuren der fiktionalen Sendungen ergab, dass bereits früh einsetzenden Stereotypenbildung im internationalen Kinderfernsehen auf eine bei Kindern wenig hilfreich sind. So konnten weibliche Hauptfigur mindestens zwei männliche Studien zu Bilderbüchern (Anderson et al., 2006) kommen. Die Analyse der Figuren förderte be- eine besonders starke Stereotypisierung der dort kannte Geschlechterstereotype zutage: Weibliche dargestellten Elternfiguren belegen: Väter sind Figuren sind signifikant häufiger blond und rot- signifikant unterrepräsentiert, entweder völlig haarig, was dem Stereotyp des hilflosen und sexy „unsichtbar“ oder kaum in die Betreuung ihrer gezeichneten Charakters entspricht. Bösewichte Kinder involviert, während vorrangig die Mütter sind zumeist männliche erwachsene Dunkel- für das körperliche und emotionale Wohlbefinden haarige, während bei den Frauen und Mädchen des Nachwuchses zuständig sind (Anderson & der Typus der blonden oder rothaarigen „Zicke“ Hamilton, 2005). vorherrscht. Eine Folgestudie (Götz et al., 2018) Eine Analyse der Repräsentation von Eltern- bestätigte im wesentlichen diese Ergebnisse und rollen in 300 US-amerikanischen Kinderbilder- konnte nur eine geringe Zunahme an diversen büchern, die zwischen 1902 und 2000 erschienen Geschlechterbildern feststellen. sind, konnte unter Berücksichtigung des Erschei- Besonders alarmierend sind die Befunde zum nungsjahres als Variable keine Entwicklung zu unrealistischen Aussehen von Mädchenfiguren in egalitärem Rollenverhalten der dargestellten Vä- animierten Formaten des Kinderfernsehens: Drei ter und Mütter feststellen (DeWitt et al., 2013). So von vier Charakteren besitzen Körper, „die auf na- sind in den Bilderbüchern aus den 1970er Jahren türliche Weise nicht erreichbar sind und keinesfalls die Väter zwar als „Kumpel“ und Betreuer ihrer als wünschenswerte Vorbilder“ präsentiert werden Kinder anwesend, diese emanzipatorische Dar- sollten (Götz & Herche, 2013). Es sind sexualisierte stellung nimmt jedoch in den danach folgenden Körper kleiner Frauen, die unnatürlich schlank Jahren wieder ab und die Kinderbetreuung wird sind und die sich durch extrem weibliche Kurven wiederum überwiegend von den Frauenfiguren und unverhältnismäßig lange Beine auszeichnen. übernommen. Trotz tendenzieller Verbesserungen Auch bei den Jungen und Männer herrschen in ist die Darstellung der Geschlechter weiterhin der Zeichentrickwelt unnatürliche Körperbilder unausgeglichen zugunsten männlicher Figuren. vor, wobei diese nicht so stark von natürlichen Sogar in Schweden, einem der gendergerech- Körperproportionen abweichen wie bei den Mäd- testen Länder weltweit, dominieren männliche chen. Figuren in den Bilderbüchern und Geschichten, Die Hypersexualisierung von Mädchen im über die Lebenswelten von Mädchen wird kaum Kinderfernsehen wird auch in der internationa- erzählt (Lynch, 2016). len Forschungsliteratur breit diskutiert (Lemish, 2010). Lemish kommt nach Sichtung der vor- handenen Literatur zu dem Ergebnis, dass zwar Bildschirm- und Computerspiele, einige Stereotype aufgebrochen wurden (z.B. Social Media durch das Aufkommen „aktiver“ und „schlauer“ So wie die traditionellen Medien Geschlechter- Mädchencharaktere wie „Dora the Explorer“ oder klischees (re)produzieren können, bieten auch 11 BPJMAKTUELL 2/2020__
digitale Spiele und Social Media solches Materi- se Ergebnisse sind umso erstaunlicher, als der al an. Studien zeigen, dass in Computerspielen Journalismus zunehmend weiblicher wird, was weibliche Figuren zwar zunehmend öfter, aber sich in Deutschland an der annähernd gleichen im Vergleich zur sozio-demographischen Reali- Verteilung von Männern und Frauen in den tät immer noch seltener als Männer und zudem Redaktionen (besonders im Fernsehjournalismus) überwiegend in Nebenrollen oder als „Trophäe“ festmachen lässt. der männlichen Figur auftreten (Klug, 2012). Seit vielen Jahren untersucht die kommuni- Zudem unterliegen weibliche Körper oft einer kationswissenschaftliche Geschlechterforschung Übersexualisierung: Ein prominentes Beispiel für die Berichterstattung über Politikerinnen in die Überformung weiblicher Geschlechtsmerk- Nachrichtenmedien. Die Begriffe „Marginalisie- male ist die Figur Lara Croft aus „Tomb Raider“. rung“ und „Trivialisierung“ sind kennzeichnend Sie repräsentiert das Dilemma des binären Ge- für die Forschungsergebnisse aus den 1970er und schlechterschemas (Kennedy, 2002) zwischen 1980er Jahren. Trivialisierung meint in diesem sexistischer Zurschaustellung des Körpers und Kontext, dass die politische Rolle und Leistun- einem tatkräftigen, unabhängigen weiblichen gen von Frauen tendenziell heruntergespielt Rollenvorbild. Neben der Zementierung der und abgewertet werden. Trotz einer zunehmend binären Geschlechterordnung wird insbesondere sachlicheren und differenzierten Darstellung von bei männlichen Figuren Heterosexualität als ein Politikerinnen ab der Jahrtausendwende weisen integraler Bestandteil ihrer Identität festgestellt Studien darauf hin, dass Rollenstereotype weiter- (Klug, 2012). Digitale Spiele sind offensichtlich hin Bestand haben und subtil verwendet werden männlich konnotiert und auch vorwiegend für (Holtz-Bacha, 2007; Pantti, 2007). Weise (2018) diese Zielgruppe konzipiert. Zudem verhindern zeigt in ihrer Bildtypenanalyse junger Politike- die wenigen Protagonistinnen, dass sich Mädchen rinnen auf, dass einige - aber nicht alle - gefun- mit diesen Spielen beschäftigen, weil ihnen die denen Typen geschlechtlich konstruiert sind, was angebotenen männlichen Rollen wenig Identifi- sie als einen Bedeutungsverlust des Faktors Ge- kationsspielraum bieten. schlecht interpretiert. Neuere Studien zur Selbstinszenierung in den neuen Medien (MaLisa Stiftung, 2019; Döring Werbung et al., 2016) zeigen zum einen, wie stark sich die Die internationalen Befunde zu Geschlechterdar- Nichtsichtbarkeit von Mädchen und Frauen in stellungen in der Werbung gleichen überwiegend digitalen Angeboten, wie etwa YouTube, fortsetzt. den Ergebnissen vorliegender deutscher Studien Zum anderen machen sie auch deutlich, wie (Holtz-Bacha, 2011; Eisend, 2009; Furnham & vor allem weibliche Heranwachsende fragwür- Paltzer, 2010). Die dargestellten Frauen verfügen dige Geschlechterbilder aus der Populärkultur mittlerweile zwar über ein größeres Rollenreper- (etwa aus Musikvideos, der Werbung oder von toire, aber „allein die Identifikation einer größeren Influencer*innen) aufgreifen, um sie in ihrer per- Bandbreite von Frauenrollen bedeutet nicht, dass sönlichen Selbstdarstellung, wie z.B. in Instagram, es die lange beklagten Geschlechterstereotypen und distanzlos zu übernehmen. auch die subtilen Signale der Ordnung der Ge- schlechter in der Fernsehwerbung nicht mehr gibt Nachrichten und sich die Klagen nun erledigt haben“ (Venne- Das Global Media Monitoring Project (GMMP), mann & Holtz-Bacha, 2011). Eine umfangreiche das in Deutschland vom Journalistinnenbund international vergleichende Studie stellt ebenfalls unterstützt wird, untersucht seit 1995 die Prä- eine abnehmende Geschlechterungleichheit fest, senz von Frauen in den Nachrichten in über 100 bescheinigt der deutschen Werbung aber eine Ländern der Welt. Die internationalen Ergebnisse Fortschreibung traditioneller Geschlechterrollen der letzten Erhebung aus dem Jahr 2015 zeigen, (Matthes et al., 2016). dass die Anzahl von Berichten mit namentlicher Zunehmend werden auch Männerdarstel- Nennung von Frauen in Presse, Hörfunk und lungen in der Werbung dem Schönheitsdiktat Fernsehen kontinuierlich angestiegen sind. Den- unterworfen, gekennzeichnet durch einen trai- noch sind 3 von 4 genannten Personen in den nierten und muskulösen Körper. Ein Vergleich Nachrichten männlichen Geschlechts; in den von Geschlechterinszenierungen zwischen der Online- und Twitternachrichten wurde 2015 ein Jugend- und Elterngeneration (Derra et al., 2008) ebenso niedriger Frauenanteil festgestellt. Die- konnte zeigen, dass die Anzeigenwerbung zwar 12__BPJMAKTUELL 2/2020
einerseits auf veränderte gesellschaftliche Rah- und wirken sich auf bildliche und sprachliche menbedingungen reagiert und mit traditionellen Muster aus, die diese Vorgaben weiter tradieren. Geschlechterstereotypen weitgehend gebrochen Die Realitätsvorstellungen und Identitätsange- hat. Es lassen sich aber signifikante Differenzen bote vom Geschlecht in den Medien liefern nicht in den Darstellungsschemata der Generationen nur ein verzerrtes Spiegelbild der Gesellschaft, feststellen: Besonders bei den dargestellten sondern verfestigen im ungünstigsten Fall proble- Heranwachsenden (14- bis 19-Jährige) ist eine matische Geschlechterbilder (Prommer & Linke, starke werbliche Zentrierung auf Körperlichkeit, 2019). Wissenschaftler*innen sehen deshalb die Schlankheit und Schönheit festzustellen. So ist es Medien im Hinblick auf die Entwicklung einer fraglich, ob die Auflösung der Geschlechterstereo- Geschlechtsidentität in einer besonderen Verant- type in der Werbung ausschließlich positiv bewer- wortung, denn sie „fungieren als zentrale Vermitt- tet werden kann. lungsinstanzen für Geschlechterrollenbilder in der ganzen Bandbreite der Möglichkeiten, diese auszugestalten“ (Stauber, 2006). Kinder sollten Geschlechterstereotype, Identität nicht beiläufig aus den Medien lernen, was beim jeweiligen Geschlecht als „normal“ oder als „ab- und die Medien weichend“ zu bewerten ist. Stereotype sollten Geschlechterstereotype sind kognitive Struk- nicht ihren Gedanken-, Gefühls- und Handlungs- turen, die sozial geteiltes Wissen über die cha- spielraum einschränken, auch, weil sie entwick- rakteristischen Merkmale von Männern und lungsbedingt solche Verallgemeinerungen und Frauen enthalten. Sie sagen uns, wie Männer und Verzerrungen noch nicht selbst erkennen und Frauen „zu sein haben“. Vor allem das soziale (und einordnen können. kulturelle) Geschlecht ist dabei für die Identi- Aus diesen Gründen haben die schon seit tätsfindung ausschlaggebend. Stereotype bilden Jahren geäußerten Forderungen nach einem eine zentrale Komponente impliziter Geschlech- „geschlechtergerechten“, „geschlechtersen- tertheorien („gender belief system“) und sind in siblen“ und „geschlechterreflektierten“ Handeln hohem Maße änderungsresistent (Eckes, 2010). der Medien nichts an ihrer Aktualität verloren. Dieses Wissen wird bereits im frühen Kindesalter Mediennutzer*innen, insbesondere Kinder und erworben, setzt sich als Lernprozess bis in das Jugendliche, brauchen mediale Angebote, die Erwachsenenalter fort und wird in Interaktionen ihnen eine eigenständige Interpretation ihres ein Leben lang immer wieder hergestellt (Mühlen Geschlechts und der Geschlechterrolle ermög- Achs, 2004). Renate Luca (2003) spricht von einer lichen: „Es geht nicht von einem „spezifischen“ „symbolischen Ordnung“, die für jedes Geschlecht Mädchen- oder Junge-Sein aus, sondern davon, Regeln in Bezug auf Mode, Verhaltensweisen, dass Mädchen und Jungen in ihren vielfältigen Verbote und Gebote bereitstellt. Interaktionen untereinander, mit Geschwistern, Es gibt keine linearen und simplen Erklä- mit Eltern und pädagogischen Bezugspersonen, rungen für die Wirkungen von Medien auf in ihren homo- und heterosozialen Bezügen, nicht Rezipient*innen, das legen Erkenntnisse der zuletzt auch in ihrem Medienhandeln ihr Mädchen- Medienwirkungsforschung nahe. Medien „produ- und Junge-Sein immer wieder (neu) herstellen“ zieren“ auch keine Geschlechtsidentitäten ihrer (Stauber, 2006). Medien können einen positiven Rezipient*innen, sie stellen aber das Material Beitrag zur Geschlechterkonstruktion ihrer dafür bereit und dienen als Ressource für das Nutzer*innen leisten, indem sie auf Sichtbarkeit eigene Selbstbild und -verständnis (Mikos, 2007). achten und dazu beitragen, Klischees aufzubre- Die Sozialisationsforschung zeigt, dass gerade für chen, stereotype Geschlechterrollen zu vermei- Heranwachsende Medien ein integraler Bestand- den und ihren Nutzer*innen neue Perspektiven teil beim Ausbilden von Geschlechter- und Gesell- auf Geschlecht in seiner Vielfalt zu eröffnen. schaftsbildern sind, denn durch sie werden diese Medienmacher*innen bleiben also weiterhin mit Bilder ausgewählt, geprägt und ausgehandelt. So der Herausforderung konfrontiert, der unend- geben die Medien - neben anderen Sozialisations- lichen (Klischee-)Geschichte der Geschlechter ein instanzen - den Interpretationsrahmen vor, was Ende zu bereiten und diversere Bilder anzubieten. „echte“ Mädchen oder Frauen und „echte“ Jungen oder Männer sind. Diese Geschlechterbilder ha- ben Einfluss auf das Selbstbild ihrer Nutzer*innen 13 BPJMAKTUELL 2/2020__
Lynch, Lisa (2016). Where are all the Pippis?: The under-repre- Zur Person: sentation of female main and title characters in children’s Heike vom Orde (M.A.) ist seit 2001 für die Leitung literature in the Swedish preschool. Sex Roles 75, 422-433. der wissenschaftlichen Literaturdokumentati- MaLisa Stiftung (Hrsg.) (2019). Weibliche Selbstinszenierung in on des Internationalen Zentralinstituts für das den neuen Medien. Berlin. Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) beim Baye- Matthes, Jörg et al. (2016). Gender-role portrayals in television advertising across the globe. Sex Roles 75, 314-327. rischen Rundfunk in München verantwortlich. Prommer, Elizabeth & Linke, Christine (2019). Ausgeblendet. Sie arbeitet u.a. den internationalen Forschungs- Frauen im deutschen Fernsehen. Köln: Herbert von Halem stand in Vorträgen und Publikationen auf. Verlag. Weise Ramona (2018). Modern, mutig, muttihaft: Eine qualitative Bildtypenanalyse junger Politikerinnen. In: Margreth Lünen- Weiterführende Literatur: borg & Saskia Sell (Hrsg.) Politischer Journalismus im Fokus der Journalistik (S. 113-138), Wiesbaden: Springer VS. Döring, Nicola et al. (2016). How gender-stereotypical are selfies? A content analysis and comparison with magazine ad- 1) Dieser Text ist eine überarbeitete und aktualisierte Fassung des verts. Computers in Human Behavior, 55, 955-962. Artikels „Geschlechterbilder in den Medien“ der Autorin, der Döveling, Katrin & Kick, Isabel (2015): „Die Frau in der Serie. 2013 in der TelevIZIon 26(2) erschienen ist: http://www.izi.de/ Küche und Karriere: Alles easy oder ein Drahtseilakt?“. In: deutsch/publikation/televizion/26-2013-2/vomOrde_ Elizabeth Prommer, Martina Schuegraf und Claudia Wegener Geschlechterbilder_Medien.pdf (Hrsg.). Medien – Gender – Screens (S. 39-64), Konstanz: UVK. Dort finden sich auch die Nachweise der verwendeten Götz, Maya et al. (2018). Whose story is being told? Results of an Literatur. analysis of children‘s TV in 8 countries. Televizion, 31(E), 61-65. 14__BPJMAKTUELL 2/2020
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