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Leonie Schulz, Rainer Faus Gesellschaft im Corona- Stresstest Sorgen und Hoffnungen in Zeiten der Pandemie
FES diskurs Januar 2022 Die Friedrich-Ebert-Stiftung Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) wurde 1925 gegründet und ist die traditionsreichste politische Stiftung Deutschlands. Dem Vermächtnis ihres Namensgebers ist sie bis heute verpflichtet und setzt sich für die Grundwerte der Sozialen Demokratie ein: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidari- tät. Ideell ist sie der Sozialdemokratie und den freien Gewerkschaften verbunden. Die FES fördert die Soziale Demokratie vor allem durch: – politische Bildungsarbeit zur Stärkung der Zivilgesellschaft; – Politikberatung; – internationale Zusammenarbeit mit Auslandsbüros in über 100 Ländern; – Begabtenförderung; – das kollektive Gedächtnis der Sozialen Demokratie mit u. a. Archiv und Bibliothek. Die Abteilung Analyse, Planung und Beratung der Friedrich-Ebert-Stiftung Die Abteilung Analyse, Planung und Beratung der Friedrich-Ebert-Stiftung versteht sich als Zukunftsradar und Ideenschmiede der Sozialen Demokratie. Sie verknüpft Analyse und Diskus- sion. Die Abteilung bringt Expertise aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Verwaltung und Politik zusammen. Ihr Ziel ist es, politische und gewerkschaftliche Entscheidungsträger_ innen zu aktuellen und zukünftigen Herausforderungen zu beraten und progressive Impulse in die gesellschaftspolitische Debatte einzubringen. FES diskurs FES diskurse sind umfangreiche Analysen zu gesellschaftspolitischen Fragestellungen. Auf Grundlage von empirischen Erkenntnissen sprechen sie wissenschaftlich fundierte Handlungs- empfehlungen für die Politik aus. Über die Autor_innen Leonie Schulz studierte Medien- und Politikwissenschaft sowie politische Kommunikation in Leipzig, Lyon und Berlin. Sie arbeitet als Beraterin bei der Forschungs- und Beratungsagentur pollytix strategic research gmbh. Hier ist sie vor allem für quantitative Forschungsprojekte und Analysen verantwortlich und berät Kund_innen aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft zu gesellschaftlichen und politischen Fragen. Rainer Faus ist Diplom-Sozialwissenschaftler, Autor sowie Gründer und Geschäftsführer der Forschungs- und Beratungsagentur pollytix strategic research gmbh. In den vergangenen zehn Jahren hat er zahlreiche Publikationen zu politischen und gesellschaftlichen Themen ver- öffentlicht. Mit pollytix berät er auf Basis qualitativer und quantitativer Forschung Kund_innen aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft strategisch zu gesellschaftlichen und politischen Fragen. Für diese Publikation ist in der FES verantwortlich Jan Niklas Engels, Arbeitsbereich Empirische Sozial- und Trendforschung, Abteilung Analyse, Planung und Beratung. GESELLSCHAFT IM CORONA-STRESSTEST JANUAR 2022 FES diskurs
Leonie Schulz, Rainer Faus Gesellschaft im Corona-Stresstest Sorgen und Hoffnungen in Zeiten der Pandemie 3 1. DIE WICHTIGSTEN ERGEBNISSE AUF EINEN BLICK 4 2. VERÄNDERT DIE KRISE DEN BLICK AUF GEMEINSCHAFT UND STAAT? 5 3. DER BLICK AUF DAS MITEINANDER – ZWISCHEN NACHBARSCHAFTSHILFE UND GEFÜHLTER POLARISIERUNG 13 4. DER BLICK ÜBER DAS PANDEMIEGESCHEHEN HINAUS – WAS JETZT WICHTIG WIRD 20 5. FAZIT: DIE PANDEMIE ALS KATALYSATOR? 21 ANHANG I: METHODISCHES VORGEHEN 23 Abbildungsverzeichnis 24 Literaturverzeichnis FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 1
1 DIE WICHTIGSTEN ERGEBNISSE AUF EINEN BLICK • Im Herbst 2021 fällt das Urteil der Bürger_innen darüber, der Gesellschaft ungleich verteilt ist. Je geringer das Einkom- wie sich die Corona-Pandemie auf den Zusammenhalt in men oder die formale Bildung, desto weniger Anerkennung der Gesellschaft ausgewirkt hat, deutlich aus: Die Krise habe und Respekt werden empfunden. Generell wird eine „Verro- den Zusammenhalt in Deutschland tendenziell verschlech- hung“ der Gesellschaft beklagt mit abnehmender Akzeptanz tert, so die Mehrheit (61 Prozent). Rund ein Viertel (24 Pro- gegensätzlicher Meinungen sowie dem Fehlen guter Umgangs- zent) sieht hingegen keine, zwölf Prozent eine positive Ver- formen und Höflichkeit. änderung durch die Krise. Tatsächlich beklagten aber bereits vor der Pandemie drei Viertel der Bürger_innen den Verlust • In der Bevölkerung besteht ein starker Wunsch nach einer des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Diese Zahlen sind auch anpackenden Politik mit Plan und Weitsicht. Bereits im während der Pandemie konstant geblieben. Mai 2021 stimmten 62 Prozent eher der Sichtweise zu, dass es eine neue Politik brauche, die Ideen für die Zukunft • Neu ist aber die Sorge, dass eine gesellschaftliche Konflikt- entwickelt, Dinge anpackt und zu Ende bringt. Breiter Kon- linie zwischen Geimpften und Ungeimpften entstehen sens besteht auch darin, dass Deutschland mehr investie- könnte. Im Oktober 2021 teilen 62 Prozent diese Sorge, die ren müsse, um die zukünftigen Herausforderungen zu be- besonders stark unter Ungeimpften (85 Prozent) und wältigen. Die präferierten Bereiche für Investitionen sind AfD-Wähler_innen (83 Prozent) präsent ist. Die Sorge kann dabei Pflege/Gesundheit, Schulen, Renten und Wohnraum. somit zum Teil auch als Ablehnung der Corona-Maßnah- Deutliche Unzufriedenheit herrscht (Stand Oktober 2021) men im Allgemeinen und der Impfungen im Speziellen in- bei der staatlichen Aufgabenerfüllung hinsichtlich bezahl- terpretiert werden. Insgesamt zeigt sich beim Blick auf baren Wohnraums, Renten, Energie- und Verkehrswende die Vorschläge, mit denen die Impfquote gesteigert werden sowie Digitalisierung. soll, keineswegs eine Spaltung der Gesellschaft in zwei gleich große Lager. Eine breite Mehrheit der Gesellschaft • Als größte langfristige Herausforderung wird der Klima befürwortet im Oktober 2021 Maßnahmen für mehr wandel gesehen. Aber auch soziale Gerechtigkeit, Migra C orona-Impfungen. tion und wirtschaftliche Entwicklung werden als wichtig er- achtet. Corona habe zwar einige Herausforderungen wie • Die Sorge um die Situation der Kinder ist größer als die die Digitalisierung deutlicher gemacht. Aber andere Problem- um eine gesellschaftliche Spaltung. 69 Prozent der Gesamt- lagen, die sich zum Teil sogar durch Corona verschärften, bevölkerung und 78 Prozent der Eltern haben eher große bis stünden nicht genug im Fokus, beispielsweise die soziale sehr große Sorgen, dass die Entwicklung der Kinder durch Ungleichheit in der Gesellschaft. Die Erwartung an die Poli- die Corona-Krise beeinträchtigt wird. Deutlich wird in der tik ist, dass alle Probleme angepackt und mit Weitsicht Rangfolge, dass Sorgen um Gesellschaft und andere vor und Plan gelöst werden. den Sorgen um die eigene Gesundheit rangieren. Nur rund ein Drittel sorgt sich um Ansteckung und mögliche Folgen für die Gesundheit wie Long-Covid. • Insgesamt korrelieren die Sorgen bezüglich der Pandemie mit der Zufriedenheit des Corona-Krisenmanagements der Bundesregierung. Wer unzufriedener mit dem Krisen- management ist, hat tendenziell auch eher Sorgen vor einem erneuten Lockdown, vor Einschränkung der Freiheits- rechte, möglichen Impfschäden sowie der Spaltung der Gesellschaft in Geimpfte und Ungeimpfte. • Nur rund die Hälfte der Bevölkerung hat das Gefühl, ge- nügend Anerkennung und Respekt zu erfahren. Im Dezem- ber 2018 fühlten sich 57 Prozent wertgeschätzt. Während der Pandemie ist ein leichter Rückgang auf 52 Prozent im Okto- ber 2020, 48 Prozent im Mai 2021 sowie 51 Prozent im Oktober 2021 zu verzeichnen. Die Auswertung nach soziodemogra fischen Subgruppen zeigt jedoch auch, dass das Gefühl in FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 3
2 VERÄNDERT DIE KRISE DEN BLICK AUF GEMEINSCHAFT UND STAAT? Am 27.1.2020 wurde in Deutschland der erste Corona-Fall gemeldet. Damals ahnten nur wenige, welche Auswirkun- gen dies für die Gesellschaft haben würde. Spätestens mit dem ersten Lockdown ab März 2020 hat die Pandemie den Alltag der Menschen in Deutschland fest im Griff. Seitdem ist mit dem Kontakt zu Mitbürger_innen un- weigerlich auch immer ein gewisses Ansteckungsrisiko verbunden. Was macht es mit den Menschen, wenn sie po- tenziell eine Gefahr füreinander sind? Erfährt der gesell- schaftliche Zusammenhalt eher einen Auf- oder Abschwung in der Krise. Und wie groß ist die Gefahr einer neuen Konfliktlinie durch die Pandemie, beispielsweise in Geimpfte und Ungeimpfte? Klar ist, dass Politik und Zivilgesellschaft in dieser Zeit gefordert sind wie selten zuvor. Entscheidungen der Poli- tik, die im Alltag für viele Bürger_innen normalerweise kaum wahrnehmbar sind, werden in der Krise deutlich spürbar. Wie wird die Arbeit der Bundesregierung in der Krise wahr- genommen? Und was wird jetzt erwartet? Trotz weiter an- haltender Pandemie soll im Rahmen dieser Studie ein Zwischenfazit zu folgenden Fragestellungen gezogen werden: • Was haben fast zwei Jahre Leben in und mit der Pandemie mit der Bevölkerung gemacht? • Wie entwickelt sich der Blick auf die Gemeinschaft und den Staat in einer Stresssituation wie der Corona-Pandemie? • Welche Themen spielen neben Corona weiterhin eine wichtige Rolle im Alltag der Menschen? Welche Themen rücken trotz oder durch Corona auf die Agenda? • Welche Aufgaben geben die Bürger_innen der neuen Bundes- regierung für die Zeit nach der Krise mit auf den Weg? Die Ergebnisse dieser Studie basieren auf einem mehr- stufigen Forschungsprozess mit drei Untersuchungszeit- räumen. Im Herbst 2020 sowie Frühjahr 2021 wurden in einem ersten Schritt jeweils sechs qualitative Fokusgruppen durchgeführt. In einem zweiten Schritt erfolgte daran an- schließend eine bundesweite repräsentative quantitative Befragung. Im dritten Untersuchungszeitraum im Herbst 2021 wurde eine repräsentative Befragung ohne vorherige Fokusgruppen durchgeführt.1 1 Detaillierte Ausführungen siehe Anhang I: Methodisches Vorgehen. 4 GESELLSCHAFT IM CORONA-STRESSTEST JANUAR 2022 FES diskurs
3 DER BLICK AUF DAS MITEINANDER – ZWISCHEN NACHBARSCHAFTSHILFE UND GEFÜHLTER POLARISIERUNG In der frühen Phase der Pandemie bestanden große Hoffnun- AUF GESAMTGESELLSCHAFTLICHER EBENE gen, dass die Krise die Menschen in Deutschland näher zu- (BISLANG) KEINE LANGFRISTIGE VER- sammenrücken lässt. Beobachtungen aktiver Nachbarschafts- ÄNDERUNG DES WAHRGENOMMENEN hilfe, zum Beispiel in Form von Einkaufsdiensten für Senior_ ZUSAMMENHALTS MESSBAR innen, sowie Solidaritätsbekundungen mit Gewerbetreiben- den und Pflegepersonal bestärkten diese Hoffnung. Lässt sich diese gefühlte Verschlechterung auch nachweisen? Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) über nach- Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsfor- barschaftlichen Zusammenhalt in einer Berliner Wohn schung misst für den Zeitraum April bis Juni 2020 einen An- gegend bestätigt diesen Eindruck zu Beginn der Pandemie. stieg des Vertrauens in andere Menschen im Vergleich zu Rund ein Drittel der befragten Anwohner_innen der den Vorjahren (vgl. Kühne et al. 2020). Die Autor_innen Nachbarschaft geben im August/September 2020 an, dass merken jedoch an, dass es sich bei dieser kollektiven sich der Zusammenhalt in der Nachbarschaft seit Beginn Wahrnehmung nur um eine Momentaufnahme handle und der Pandemie verbessert habe (vgl. Faus/Ickstadt 2020). sich diese wieder schnell ändern könne (vgl. Kühne et al. Die Studie kommt aber auch zu dem Schluss, dass sozialer 2020). Auch eine Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt für Zusammenhalt besser im Kleinen funktioniert und insbe- diese frühe Phase der Pandemie (Mai/Juni 2020) einen An- sondere dort, wo die Bürger_innen hinsichtlich ihrer (politi- stieg des Vertrauens in Mitmenschen und den gesellschaft- schen) Einstellungen homogen sind (vgl. Faus/Ickstadt 2020). lichen Zusammenhalt (vgl. Unzicker et al. 2021). Unzicker Im Herbst 2021 kommen die Bürger_innen allerdings be- et al. beziehen jedoch mehrere Datenpunkte im Jahr 2020 züglich des Einflusses der Corona-Pandemie auf den Zusam- mit ein, sodass die Autor_innen mit Blick auf die Gesamt- menhalt in der Gesellschaft zu einem klaren Urteil: Die Krise datenlage für das Jahr 2020 zu dem Fazit kommen, dass der habe den Zusammenhalt tendenziell verschlechtert, so die gesellschaftliche Zusammenhalt über das Jahr hinweg sta- Mehrheit (61 Prozent). Rund ein Viertel (24 Prozent) sieht bil geblieben ist und es sich bei dem Anstieg im frühen hingegen keine Veränderung, zwölf Prozent eine positive Sommer lediglich um eine temporäre Veränderung handelte Veränderung durch die Krise (vgl. Abbildung 1). (vgl. Unzicker et al. 2021). Eine Verschlechterung wird häufiger im ländlichen Raum Auch in unserer Studie können wir auf drei Messzeit- als im städtischen und häufiger in den ost- als den westdeut- punkte während der Pandemie zurückgreifen: Herbst 2020 schen Bundesländern gesehen. Zwischen verschiedenen Alters- sowie Frühjahr und Herbst 2021. Die vorliegenden Zahlen oder Bildungsgruppen zeigen sich hingegen kaum Unterschiede. verdeutlichen, dass der wahrgenommene Zusammenhalt bzw. der wahrgenommene fehlende Zusammenhalt zu den ABB. 1 drei Messzeitpunkten während der Corona-Krise kaum e iner Veränderung unterliegt (vgl. Abbildung 2). Stand Veränderung des Zusammenhalts durch Oktober 2020 stimmen 77 Prozent der Bevölkerung der die Corona-Krise Aussage „Der Zusammenhalt in der Gesellschaft geht zu- Glauben Sie, die Corona-Krise hat den gesellschaftlichen nehmend verloren, jeder denkt nur noch an sich“ zu. Im Zusammenhalt in Deutschland ...? Mai 2021 ist die Zustimmung genauso hoch, im Oktober 2021 nur geringfügig abgefallen. Auch im Vergleich zu Messzeitpunkten vor der Pandemie verbessert 12 % zeigt sich keine signifikante Veränderung.2 Die Wahrneh- mung, dass Zusammenhalt in der Gesellschaft zunehmend nicht verändert 24 % verloren gehe, scheint über die vergangenen Monate und Jahre hinweg stabil zu sein. Die Corona-Pandemie hat hier verschlechtert 61 % (bislang) kein langfristiges Signal gesetzt: Zwar beklagen Bürger_innen einen verschlechterten Zusammenhalt wäh- rend der Corona-Krise (siehe Abbildung 1), dies ist aber Basis: Alle Wahlberechtigten. Fehlende Werte: Weiß nicht/keine Angabe. lediglich ein Ausdruck des Gefühls mangelnden Zusammen- Datengrundlage: Oktober 2021. halts, das bereits seit Jahren vorherrscht. 2 Die Vergleichswerte aus dem Jahr 2015 stammen hier und in nachfolgenden Grafiken aus der Studie „Kartographie der politischen Landschaft in Deutschland“ (Faus et al. 2016), bei der die Frage bzw. Aussage in gleicher Weise gemessen wurde. FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 5
ABB. 2 Wahrnehmung gesellschaftlichen Zusammenhalts im Zeitverlauf Der Zusammenhalt in der Gesellschaft geht zunehmend verloren, jeder denkt nur noch an sich. 75 % 79 % 77 % 77 % 74 % 13 % 10 % 10 % 14 % 9% Okt 15 Apr 16 Okt 16 Apr 17 Okt 17 Apr 18 Okt 18 Apr 19 Okt 19 Apr 20 Okt 20 Apr 21 Okt 21 überhaupt keine/eher keine Zustimmung (0–4) eher/sehr starke Zustimmung (6–10) Basis: Alle Wahlberechtigten. Dargestellte Werte: Zustimmung zur Aussage auf Skala von 0–10. Fehlende Werte: (5)/weiß nicht/keine Angabe. SORGE VOR EINER NEUEN GESELLSCHAFT Mich bewegt diese Spaltung der Gesellschaft LICHEN KONFLIKTLINIE DURCH CORONA in normaldenkende Bürger und Querdenker. Wie entwickelt sich das in der Zukunft, wenn Corona In den Fokusgruppendiskussionen im September 2020 ist ein mal vorbei ist? Dann haben wir eine riesige Menge an möglicher neuer gesellschaftliche Konflikt durch die Pande- Leuten, die überhaupt keiner Regierung mehr vertrauen, mie noch selten ein Thema. Die Stimmung ist zu diesem Zeit- und eine andere Ecke, die regierungstreu ist. Wie kommt punkt geprägt von Erleichterung, dass Deutschland durch die Gesellschaft in Zukunft wieder zusammen? schnelle und besonnene Maßnahmen (erst mal) gut wegge- Wie wird man wieder vereint nach so einer Pandemie? kommen sei und sehr gut dastehe, insbesondere im Vergleich (Fokusgruppen April 2021) zu anderen Ländern. Im April 2021 ist die Stimmung im Vergleich zum Herbst Diese Zusammenhänge zwischen Corona-Verschwörungs- des Vorjahres dann deutlich gekippt. Die Bürger_innen sind mythen und politisch-extremen Einstellungen sowie gerin- von gut einem Jahr Corona-Pandemie inzwischen deutlich gem Vertrauen in die Regierung, belegt unter anderem eine zermürbt. Die Pandemie dominiert alle Lebensbereiche und Studie des Thinktanks dpart (vgl. Spöri/Eichhorn 2021). die im April geltenden Maßnahmen werden als starker Ein- Allerdings zeigt diese Studie zugleich, dass 2021 weniger Per- schnitt empfunden. In den Fokusgruppen wird ein zuneh- sonen in Deutschland Corona-Verschwörungsmythen anhän- mendes Auseinanderdriften der Gesellschaft aufgrund unter- gen als im Jahr zuvor und beziffert den Anteil an Befragten, schiedlicher Einstellungen und Umgangsweisen bezüglich die an Corona-Verschwörungserzählungen glauben, im Früh- der Pandemie diskutiert. Die Corona-Pandemie sei ein Brand- jahr 2021 mit neun Prozent (vgl. Spöri/Eichhorn 2021). Dieser beschleuniger: Bereits vorhandene Polarisierungen würden gemessene Rückgang deckt sich allerdings nicht mit dem sich weiter zuspitzen und sich gleichzeitig neue Gräben öffnen. subjektiven Eindruck der Teilnehmer_innen der Fokusgrup- Die Polarisierung wird zu diesem Zeitpunkt entlang Befür- pen. Das Thema der gesellschaftlichen Polarisierung ist für wortung und Ablehnung der Corona-Maßnahmen wie Lock- diese im Frühjahr 2021 deutlich präsenter als sechs Mona- down oder Maskenpflicht vermutet. Befürworter_innen und te zuvor. Dies könnte zum Beispiel daran liegen, dass im Gegner_innen der Maßnahmen ständen sich unversöhnlich Untersuchungszeitraum April 2021 nach mehreren Wo- gegenüber.3 Bei ihren Ausführungen greifen die Teilnehmer_ chen des Lockdowns Debatten um (Angemessenheit der) innen aber selten auf Erfahrungen aus ihrem persönlichen Maßnahmen sowohl in den Medien als auch im Privaten Umfeld zurück. Vielmehr werden medial vermittelte Ein- häufiger geführt werden als noch im Oktober 2020.4 drücke, insbesondere die Berichterstattung über die Querdenker- Schon im April 2021, also bevor die Impfkampagne an szene, als Belege für die Polarisierung und voranschreitende Fahrt aufgenommen hat und allen Bürger_innen ein Impf- Spaltung der Gesellschaft herangezogen. Es fände eine politi- angebot gemacht wurde, wurde von Bürger_innen bereits sche Radikalisierung eines Teils der Gesellschaft statt, der die Entstehung eines neuen gesellschaftlichen Konflikts schließlich der Regierung nicht mehr vertrauen und sich mit- entlang des Impfstatus befürchtet. unter gesetzlichen Corona-Maßnahmen widersetzen würde – und dabei deutlich antidemokratische Tendenzen aufweise. 3 Dieser subjektive Eindruck der Teilnehmer_innen wird durch Befunde des RAPID-COVID-Projekts gestützt. Die Autor_innen weisen eine hohe affektive Polarisierung zwischen den beiden Gruppen nach (vgl. RAPID-COVID 2021, Juni). 4 Eine Studie im Auftrag der Rudolf Augstein Stiftung weist jedoch keinen signifikanten Zuwachs der Berichterstattung über Corona-Skeptiker_innen vom Oktober 2020 zu April 2021 aus. Diese würden insgesamt nur sehr selten, nämlich mit einem Anteil von 1,6 Prozent in der Berichterstattung zum Thema Corona auftauchen (vgl. Maurer et al. 2021: 26f.). 6 GESELLSCHAFT IM CORONA-STRESSTEST JANUAR 2022 FES diskurs
Die Gesellschaft wird sich weiter spalten: Im Oktober 2021 teilen 62 Prozent die Sorge, dass sich die Ein Teil, der sich impfen lässt oder geimpft ist, wird wieder Gesellschaft zunehmend in Geimpfte und Ungeimpfte spaltet mehr Freiheiten im Leben haben und die andere Hälfte, (vgl. Abbildung 3). die vielleicht noch nicht dran ist oder das nicht möchte, wird in ihrem Leben eingeschränkt. (Fokusgruppen April 2021) ABB. 3 Sorge vor der Spaltung in Geimpfte und Ungeimpfte Inwiefern sorgen Sie die folgenden Bereiche in Bezug auf die Corona-Pandemie? Dass sich die Gesellschaft zunehmend in Geimpfte und Ungeimpfte spaltet. alle 36 % 62 % Impfstatus* geimpft/geplant 40 % 58 % ungeimpft/ungeplant 13 % 85 % Geschlecht Frauen 33 % 65 % Männer 40 % 58 % Alter 18–39 32 % 66 % 40–59 30 % 68 % 60+ 45 % 54 % Schulbildung niedrig 34 % 64 % mittel 36 % 63 % hoch 39 % 59 % Region Ost 33 % 66 % West 37 % 61 % Wahlabsicht SPD 39 % 58 % CDU / CSU 46 % 54 % Grüne 43 % 56 % FDP 34 % 65 % AfD 18 % 83 % Linke 43 % 56 % sehr geringe Sorge eher geringe Sorge eher große Sorge sehr große Sorge Basis: Alle Wahlberechtigten. Fehlende Werte: Weiß nicht/keine Angabe. Datengrundlage: Oktober 2021. * Ungeimpft = Befragte, die angeben, nicht gegen Covid geimpft zu sein und dies auch nicht vorzuhaben. Geimpft = Befragte, die angeben, gegen Covid geimpft zu sein oder dies noch vorhaben. FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 7
Eine Spaltung der Gesellschaft nach Impfstatus sorgt zwar Die verschiedenen Vorschläge, die die Impfquote steigern nicht nur, aber insbesondere Ungeimpfte (85 Prozent) und sollen, werden im Gegensatz zum allgemeinen Management AfD-Wähler_innen (83 Prozent). Die Sorge kann somit zum der Politik bei der Impfkampagne allesamt mehrheitlich positiv Teil auch als Ablehnung der Corona-Maßnahmen im Allge- bewertet (vgl. Abbildung 5). Am besten schneiden unkom meinen und der Impfungen im Speziellen interpretiert werden. plizierte Impfangebote außerhalb von Arztpraxen und Impf- zentren ab, wie sie im Sommer bereits bundesweit ermög- Nichtgeimpfte werden verstoßen, dabei sind licht wurden. Der Vorschlag stößt unter Wähler_innen aller die Impfstoffe fragwürdig. Parteien und sogar unter Ungeimpften auf Zustimmung. (Repräsentative Befragung Oktober 2021) Die Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen halten 71 Prozent für eine gute Idee. Ablehnend stehen dem Vor- Personen, die sich nicht impfen lassen wollen, werden schlag Ungeimpfte (82 Prozent) und AfD-Wähler_innen ausgegrenzt. Die Freiheitsrechte werden eingeschränkt. (52 Prozent) gegenüber, wobei sich diese beiden Gruppen (Repräsentative Befragung Oktober 2021) stark überschneiden. Auffällig ist ebenfalls, dass Jüngere dem Vorschlag deutlich skeptischer gegenüberstehen als Ältere. POLARISIERUNGSTREIBER IMPFUNGEN? Auch bei der Befürwortung bzw. Ablehnung der 2G-Regel zeigen sich Unterschiede zwischen den Altersgruppen. Bezüglich der Arbeit der Politik bei der Impfkampagne zeigt Insgesamt befürwortet eine Mehrheit von 67 Prozent der sich im Herbst 2021 rund die Hälfte (49 Prozent) zufrieden, Bürger_innen diesen Vorschlag, allerdings unter Jüngeren die andere Hälfte (46 Prozent) eher unzufrieden (vgl. Abbil- nur knapp mit 53 Prozent, unter Älteren hingegen eine dung 4). Unzufriedenheit kommt dabei aus beiden Richtun- Mehrheit von 82 Prozent. Deutliche Ablehnung erfährt der gen: von Impfgegner_innen, die die Einführung einer Impf- Vorschlag von Ungeimpften, also den „Ausgeschlossenen“, pflicht durch die Hintertür beklagen, aber auch von Befür- bei Durchsetzung der Regel. Auch bezüglich der Wahl worter_innen der Impfkampagne, denen diese nicht schnell absicht zeigen sich Unterschiede, wobei erneut nur Wähler_ und nicht weit genug ging. In der Tendenz zeigen sich aber innen der AfD den Vorschlag mehrheitlich ablehnen. Bürger_innen, die bislang nicht geimpft sind und dies auch Unter FDP-Wähler_innen lehnt rund ein Drittel die Idee nicht vorhaben, unzufriedener (57 Prozent). ab. Unter Wähler_innen von SPD, CDU/CSU sowie Grünen ist die Befürwortung der 2G-Regel am höchsten. ABB. 4 Insgesamt zeigt sich beim Blick auf die Vorschläge, mit denen die Impfquote gesteigert werden soll, also keineswegs Zufriedenheit mit der Impfkampagne eine Spaltung der Gesellschaft in zwei gleich große Lager. Wie zufrieden sind Sie aktuell mit der Arbeit der Politik in den Eine breite Mehrheit der Gesellschaft befürwortet im Oktober folgenden Bereichen? Sind Sie sehr zufrieden, eher zufrieden, 2021, also sogar zu einem Zeitpunkt, an dem die neuen eher unzufrieden, sehr unzufrieden? Höchststände an Infektionen der vierten Welle noch nicht eingetreten sind, Maßnahmen für mehr Corona-Impfungen. Allerdings ist der Widerstand gegen die Maßnahmen ins Für eine hohe Impfquote in der Bevölkerung sorgen 46 % 49 % besondere bei Wähler_innen der AfD konzentriert, einer Minderheit, die schon bei anderen Themenkomplexen den Einstellungen der Mehrheit der Bevölkerung diametral gegenübersteht (vgl. Faus/Storks 2019; Hartl/Faus 2020). sehr unzufrieden eher unzufrieden eher zufrieden sehr zufrieden SORGE VOR SOZIALER UNGLEICHHEIT Basis: Alle Wahlberechtigten. Fehlende Werte: Weiß nicht/keine Angabe. Datengrundlage: Oktober 2021. BLEIBT AUCH IN PANDEMIE BESTEHEN Die Impfkampagnen sind sehr gut, auch wenn diese erst sehr spät gestartet sind. Neben einem zunehmenden Konflikt aufgrund der Impffrage (Repräsentative Befragung Oktober 2021) wird durch die Pandemie auch eine Verschärfung der so zialen Ungleichheit befürchtet. Vor allem kleinere Unterneh- Die Impfungen haben nach anfänglichen Schwierigkeiten men, Selbstständige oder kleine Geschäfte seien aufgrund einen guten Verlauf gehabt. Es gilt jetzt, der Pandemie bereits pleitegegangen. Größere Unternehmen die Impfpflicht einzuführen, damit auch von den Unge- sowie der Onlinehandel würden hingegen profitieren. impften keine unnötige Welle der Krankheit kommen kann. (Repräsentative Befragung Oktober 2021) Ich denke, dass die soziale Schere noch weiter auseinandergehen wird. Viele Selbstständige mit Es wird zwar gesagt, dass es keinen Impfzwang gibt, kleinen Geschäften werden pleitegehen. aber in meinen Augen laufen die Regelungen darauf hinaus. Andere Anbieter werden vom Onlinehandel abgelöst. Das ist für mich keine Demokratie mehr, wenn eine Die Reichen werden noch mehr verdienen, und Zweiklassengesellschaft geschaffen oder unterstützt wird. das Loch wird eben nach unten immer tiefer gebuddelt. (Repräsentative Befragung Oktober 2021) (Fokusgruppen April 2021) 8 GESELLSCHAFT IM CORONA-STRESSTEST JANUAR 2022 FES diskurs
ABB. 5 Bewertung von Vorschlägen zur Steigerung der Impfquote eher schlechte Idee eher gute Idee Halten Sie die folgenden Vorschläge eher für eine gute oder eine schlechte Idee? unkomplizierte Impfangebote eine Impfpflicht in die 2-G-Regel bei öffentlichen Ver- außerhalb von Arztpraxen und bestimmten Berufen, z. B. im anstaltungen, also dass nur Geimpfte Impfzentren Gesundheitswesen und Genesene Zutritt haben alle 17 % 80 % 25 % 71 % 31 % 67 % Ungeimpfte* 46 % 41 % 82 % 16 % 86 % 13 % Geschlecht Frauen 17 % 80 % 26 % 70 % 33 % 65 % Männer 16 % 80 % 25 % 73 % 28 % 69 % Alter 18–39 18 % 76 % 39 % 56 % 42 % 53 % 40–59 21 % 75 % 30 % 67 % 37 % 62 % 60+ 11 % 87 % 11 % 88 % 16 % 82 % Wahlabsicht SPD 7% 92 % 12 % 85 % 17 % 81 % CDU / CSU 14 % 84 % 17 % 81 % 17 % 80 % Grüne 7% 91 % 12 % 85 % 21 % 79 % FDP 16 % 80 % 34 % 62 % 36 % 61 % AfD 31 % 62 % 52 % 43 % 61 % 34 % Linke 17 % 81 % 24 % 76 % 29 % 69 % Basis: Alle Wahlberechtigten. Fehlende Werte: Weiß nicht/keine Angabe. Datengrundlage: Oktober 2021. * Befragte, die angeben, nicht gegen Covid geimpft zu sein und dies auch nicht vorzuhaben. Viele Restaurants wird es nicht mehr geben. der Kinder. Dass diese durch die Corona-Krise in ihrer Ent- Die werden nicht mehr aufmachen können. Manch einen wicklung beeinträchtigt werden, ist die größte geteilte Veranstalter wird es nicht mehr geben. Die wirtschaftliche S orge: 69 Prozent der Gesamtbevölkerung und 78 Prozent Situation wird bei vielen ein Thema werden. der Eltern haben hier eher große bis sehr große Sorgen (Fokusgruppen April 2021) (vgl. Abbildung 6). Auch die Annahme, dass die Ansteckung von Kindern, die sich noch nicht impfen lassen können, Die Pandemie wirke sich auch negativ auf die Bildungsgerech- in den Schulen und Kitas in Kauf genommen wird, sorgt tigkeit aus, so die Fokusgruppenteilnehmenden. Nicht alle eine Mehrheit (55 Prozent) der Bürger_innen. Familien hätten die gleichen zeitlichen und finanziellen Res- Die Sorge, dass das Leben nicht mehr so wird wie vor der sourcen, um Kinder während des Homeschoolings gleicher- Krise, teilen alle Altersgruppen mehrheitlich. Die Sorgen maßen zu unterstützen und die digitalen Geräte für die Teil- sind noch größer unter denjenigen, die subjektiv unter finan- nahme am Onlineunterricht anzuschaffen. ziellem Druck stehen (67 Prozent) oder während der Pan- demie in Kurzarbeit waren oder noch sind (70 Prozent). Auf dem Elternabend hieß es, es muss ein bestimmtes Dass die Zahl der Neuinfektionen wieder deutlich an- Tablet sein. Manche Eltern haben nur Internetzugang steigen wird, sorgt zum Zeitpunkt der Befragung 55 Prozent über ein Handy mit eingeschränktem Datenvolumen. der Bürger_innen, 43 Prozent sind diesbezüglich eher nicht Das ist dann irgendwann aufgebraucht! oder nur in geringem Ausmaß besorgt. Ältere (64 Prozent) (Fokusgruppen April 2021) fürchten einen Neuanstieg der Fallzahlen dabei häufiger als Jüngere (49 Prozent). Ungeimpfte sind wegen eines erneu- Der Blick auf die gemessenen Sorgen bezüglich der Pandemie ten Anstiegs der Fallzahlen seltener besorgt (23 Prozent). bestätigt diese Eindrücke. Neben einer gesellschaftlichen Dass es erneut zu Lockdowns und Ausgangssperren Spaltung besorgt die Bürger_innen vor allem die Situation kommen wird, besorgt rund die Hälfte der Bürger_innen, FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 9
ABB. 6 Sorgen in Bezug auf die Corona-Pandemie Inwiefern sorgen Sie die folgenden Bereiche in Bezug auf die Corona-Pandemie? Netto Dass Kinder in ihrer Entwicklung beeinträchtigt werden. 28 % 69 % +41 Dass sich die Gesellschaft zunehmend in Geimpfte und Ungeimpfte spaltet. 36 % 62 % +26 Dass das Leben nicht mehr so wird wie vor der Krise. 41 % 57 % +16 Dass die Ansteckung ungeimpfter Kinder in Schulen und Kitas in Kauf 40 % 55 % +15 genommen wird. Dass die Zahl der Neuinfektionen wieder deutlich ansteigen wird. 43 % 55 % +12 Dass es erneut zu Lockdowns und Ausgangssperren kommen wird. 52 % 47 % –5 Dass langfristig Freiheitsrechte eingeschränkt werden. 54 % 45 % –9 Dass ich mich mit Corona anstecke und möglicherweise unter Langzeitfolgen 65 % 34 % –31 wie Long-Covid leide. Dass ich durch die Corona-Impfung langfristige Impfschäden davontragen könnte. 68 % 29 % –39 sehr geringe Sorge eher geringe Sorge eher große Sorge sehr große Sorge Basis: Alle Wahlberechtigten. Fehlende Werte: Weiß nicht/keine Angabe. Datengrundlage: Oktober 2021. die andere Hälfte eher nicht. Dass Freiheitsrechte langfristig bezüglich Impfschäden unter den abgefragten Sorgen aber eingeschränkt werden, bereitet 45 Prozent Sorgen. Unter AfD- am geringsten ausgeprägt. Wähler_innen (76 Prozent) sowie FDP-Wähler_innen (59 Pro- Insgesamt korrelieren die Sorgen bezüglich der Pandemie zent) ist jedoch eine absolute Mehrheit besorgt. Dagegen tei- mit der Zufriedenheit des Corona-Krisenmanagements der len Ältere über 60 Jahren diese Sorge seltener (35 Prozent). Bundesregierung. Wer unzufriedener mit dem Corona-Krisen- Deutlich wird in der Rangfolge, dass Sorgen um Gesell- management ist, hat tendenziell auch eher Sorgen vor einem schaft und andere vor den Sorgen um die eigene Gesundheit erneuten Lockdown, der Einschränkung der Freiheitsrechte, rangieren. Nur rund ein Drittel sorgt sich um Ansteckung möglichen Impfschäden sowie der Spaltung der Gesellschaft und mögliche Folgen für die Gesundheit wie Long-Covid. in Geimpfte und Ungeimpfte. Überraschenderweise sind bei Jüngeren unter 40 Jahren (37 Prozent) diese Sorgen etwas ausgeprägter als bei der als Risikogruppe eingestuften Altersgruppe 60+ (29 Prozent). RESPEKT UND ANERKENNUNG IN DER Geringste Sorge vor Ansteckung und gesundheitlichen Folgen GESELLSCHAFT WERDEN ZUNEHMEND von Covid haben Ungeimpfte (22 Prozent). VERMISST Im Gegensatz zur Sorge vor der Erkrankung an Covid ist bei Ungeimpften die Sorge vor Impfschäden entsprechend Veränderungen im Verlauf der Pandemie sowie im Vergleich stärker ausgeprägt. 77 Prozent von ihnen geben an, diesbe- zur Zeit5 vor ihr zeigen sich bei der Wahrnehmung des entge züglich sehr große oder eher große Sorgen zu haben. Unter gengebrachten Respekts und der Anerkennung für die eigene Geimpften bzw. denjenigen, die noch vorhaben, sich impfen Person in der Gesellschaft. zu lassen, sorgt sich rund jede_r Fünfte (21 Prozent) vor Im Dezember 2018 hatten 57 Prozent, also immerhin die möglichen Impfschäden. Jüngere (35 Prozent) haben bezüg- deutlich absolute Mehrheit, das Gefühl, genügend Anerken- lich der Covid-Impfung mehr Sorgen als Ältere (18 Prozent), nung und Respekt zu erfahren. Während der Pandemie ist und unter Bürger_innen mit niedriger schulischer Bildung ein leichter Rückgang auf 52 Prozent im Oktober 2020, (36 Prozent) sind Bedenken bezüglich der Impfung ausge- 48 Prozent im Mai 2021 sowie 51 Prozent im Oktober 2021 prägter als bei Bürger_innen mit hoher schulischer Bil- zu verzeichnen (vgl. Abbildung 7). dung (24 Prozent). Eltern zeigen sich mit einem Anteil von Nur rund die Hälfte der Bevölkerung fühlt sich also wert- 40 Prozent ebenfalls überdurchschnittlich häufig bezüg- geschätzt. Die Auswertung nach soziodemografischen Sub- lich möglicher Folgen der Impfung besorgt. Mit einem An- gruppen zeigt jedoch auch, dass das Gefühl in der Gesell- teil von 29 Prozent unter allen Bürger_innen ist die Sorge schaft ungleich verteilt ist. 5 Datengrundlage ist hier und nachfolgend für alle Angaben mit dem Zeitraum 2018 die Studie „Das pragmatische Einwanderungsland“ (Faus/Storks 2019) in der die Frage bzw. Aussage in gleicher Weise gemessen wurde. 10 GESELLSCHAFT IM CORONA-STRESSTEST JANUAR 2022 FES diskurs
ABB. 7 Entgegengebrachter Respekt und Anerkennung in der Gesellschaft im Zeitverlauf Alles in allem bekommen Menschen wie ich in Deutschland den Respekt und die Anerkennung, die sie verdienen. 57 % 52 % 48 % 51 % 32 % 32 % 32 % 22 % Dez. 18 Mär. 19 Jun. 19 Sep. 19 Dez. 19 Mär. 20 Jun. 20 Sep. 20 Dez. 20 Mär. 21 Jun. 21 Sep. 21 überhaupt keine/eher keine Zustimmung (0–4) eher/sehr starke Zustimmung (6–10) Basis: Alle Wahlberechtigten. Dargestellte Werte: Zustimmung zur Aussage auf Skala von 0–10. Fehlende Werte: (5)/weiß nicht/keine Angabe. ABB. 8 Entgegengebrachter Respekt und Anerkennung in der Gesellschaft – Detailauswertung Alles in allem bekommen Menschen wie ich in Deutschland den Respekt und die Anerkennung, die sie verdienen. alle 32 % 48 % überhaupt keine Zustimmung (0–1) eher keine Zustimmung (2–4) Geschlecht Frauen 33 % 45 % eher Zustimmung (6–8) Männer 32 % 53 % sehr starke Zustimmung (9–10) Alter 18–39 32 % 53 % 40–59 35 % 45 % 60+ 30 % 49 % Schulbildung niedrig 39 % 39 % mittel 33 % 48 % hoch 25 % 58 % Haushaltsnetto unter 2.000 Euro 43 % 38 % einkommen 2.000–3.000 Euro 32 % 50 % 3.000 Euro und mehr 23 % 59 % berufliche (Fach-)Arbeiter_in/Meister_in 38 % 47 % Stellung Selbstständige 35 % 48 % einfache/mittlere Angestellte 27 % 51 % gehobene/leitende Angestellte 25 % 59 % Region Ost 39 % 43 % West 30 % 51 % Basis: Alle Wahlberechtigten. Dargestellte Werte: Zustimmung zur Aussage auf Skala von 0–10. Fehlende Werte: (5)/weiß nicht/keine Angabe. Deutliche Unterschiede bestehen zwischen Menschen mit zu werden, zeigen Menschen mit niedriger formaler Bildung. unterschiedlichem Einkommen (vgl. Abbildung 8): In der nied Unter Menschen mit Haupt- oder Volksschulabschluss ist die rigsten Einkommensgruppe gibt es mehr Ablehnung (43 Pro- Zustimmung mit 39 Prozent deutlich geringer als unter Men- zent) als Zustimmung (38 Prozent) zur Aussage, Menschen in schen mit (Fach-)Abitur (58 Prozent Zustimmung). Auch zwi- Deutschland erhalten den Respekt, den sie verdienen. Dem- schen beruflichen Gruppen unterscheidet sich die Wahrneh- gegenüber stimmt bei hohen Einkommen eine deutliche Mehr- mung. (Fach-)Arbeiter_innen bzw. Menschen mit Meistertitel heit von 59 Prozent der Aussage zu. Ebenfalls geringere Zu- (47 Prozent) und Selbstständige (48 Prozent) fühlen sich selte- stimmung dazu, in der Gesellschaft respektiert und anerkannt ner von der Gesellschaft respektiert und anerkannt als beispiels- FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 11
weise Angestellte in leitender oder gehobener Position (59 Pro- zent). Auch zwischen Ost und West lässt sich ein Unterschied erkennen. 51 Prozent im Westen, aber nur 43 Prozent im Osten stimmen der Aussage zur Anerkennung in der Gesellschaft zu. In den Fokusgruppen wird fehlender Respekt in der Gesell- schaft zum ersten Untersuchungszeitpunkt vor allem am Beispiel von Berufsgruppen wie Pflegekräften und unter dem Schlagwort „Systemrelevanz“ diskutiert. Corona wird in die sem Zusammenhang zwar nicht als Ursache für die Abnahme von Respekt und Anerkennung für viele Menschen in der Ge- sellschaft gesehen, aber sorge deutlich für dessen Sichtbarwer- den. Bezogen auf Berufsgruppen herrscht Einigkeit, dass Res- pekt sich auch über eine angemessene Entlohnung ausdrücke. Wir brauchen mehr Menschen, die in der Pflege arbeiten. Sie sollten mehr gewertschätzt und gefördert werden. (Fokusgruppen September 2020) In den Fokusgruppen im Frühjahr 2021 werden weitere wahr- genommene Dimensionen von Respekt und Anerkennung deutlich. Vor dem Hintergrund der wahrgenommenen zuneh- menden Polarisierung in der Gesellschaft wird Respekt für Mitmenschen von den Teilnehmenden auch als Akzeptanz gegensätzlicher Meinungen sowie als gute Umgangsformen und Höflichkeit definiert. Andere nicht niederzumachen, obwohl sie eine andere Meinung haben, gehört für mich dazu. (Fokusgruppen April 2021) Ich sehe, dass es immer weniger in Mode ist, dass man mal „Danke“ und „Bitte“ sagt oder auch für den anderen einsteht. Jeder denkt zunehmend nur an sich, und auch die Umgangsformen gehen mehr und mehr den Bach runter. Das alles hat für mich auch was mit Respekt zu tun. (Fokusgruppen April 2021) Der Eindruck einer zunehmenden „Verrohung“ der Gesell- schaft wird von vielen geteilt und häufig wird vermutet, dass diese Entwicklung auch durch soziale Medien und den dort herrschenden rauen Ton befördert werde. Neben der Berufsgruppe der Pflegekräfte rücken in den Diskussionen im Frühjahr auch die Berufsgruppen Politiker_ innen und Polizist_innen in den Fokus, und auch hier wird eine Abnahme des entgegengebrachten Respekts gesehen. Man wünscht sich, dass wieder mehr Respekt da ist, a llgemein. Wenn ich in Fernsehberichten sehe, wie zum Beispiel die Polizei angegriffen wird bei Demonstrationen – das sind Sachen, die für mich nicht gehen. (Fokusgruppen April 2021) Mandatsträger, welcher Art auch immer, werden dafür niedergemacht, bedroht oder müssen Schelte dafür einstecken, dass sie sich für Teile der Bevölkerung engagieren. Das finde ich ganz furchtbar. (Fokusgruppen April 2021) 12 GESELLSCHAFT IM CORONA-STRESSTEST JANUAR 2022 FES diskurs
4 DER BLICK ÜBER DAS PANDEMIE GESCHEHEN HINAUS – WAS JETZT WICHTIG WIRD Der Wahlkampf und die Bundestagswahl 2021 fielen in eine Es wird zu wenig gegen den Klimawandel unternommen. Phase mit relativ geringen Fallzahlen, sodass der Umgang Die Arm-Reich-Schere klafft immer weiter auseinander, mit Corona nur ein Thema unter vielen im Wahlkampf war. die Mieten und Energiekosten sind viel zu hoch. Welche Hoffnungen, Sorgen und Erwartungen haben die Hartz IV gehört abgeschafft und die Grundrente ist ein Flop. Bürger_innen mit Blick auf die neue Regierung? (Repräsentative Befragung Oktober 2021) Es geht in die falsche Richtung, weil man WUNSCH NACH „ANPACKENDER POLITIK“ nicht ausreichend Energie in die Dinge investiert, die Aufmerksamkeit benötigen würden. Die allgemeine Stimmung im Land zeigt sich durch die Bundes- (Repräsentative Befragung Oktober 2021) tagswahl relativ unbeeinflusst. Im Oktober 2021 wie schon im Mai 2021 blickt eine absolute Mehrheit von 51 Prozent der Schon im April 2021 wird von Teilnehmenden der Fokus- Bürger_innen eher pessimistisch in die Zukunft des Landes. gruppen mit Blick auf die Pandemiebewältigung immer Deutschland entwickele sich tendenziell eher in die falsche als wieder bemängelt, dass die Regierung bzw. „die Politik“ zu in die richtige Richtung (vgl. Abbildung 9). tatenlos sei, Probleme aussitzen würde und keinen langfris- Als Beispiele werden hier zahlreiche Themenfelder ge- tigen Plan habe. nannt, in denen die Politik es bislang verschlafen habe, die richtigen Weichen zu stellen, oder die von der Politik Zurzeit verbinde ich eigentlich mit Deutschland weiterhin zu wenig Beachtung bekämen. Neben den Be Planlosigkeit. In anderen Ländern sind die reichen Bildung, Migration, Soziales und Digitalisierung ganzen Probleme schon besser im Griff. wird hier besonders häufig Klimaschutz angeführt. (Fokusgruppen April 2021) ABB. 9 Stimmung in Deutschland im Zeitverlauf Würden Sie sagen, dass sich die Dinge in Deutschland derzeit ganz allgemein falsche Richtung eher in die richtige Richtung oder eher in die falsche Richtung entwickeln? richtige Richtung 48 % 51 % 51 % 47 % 42 % 40 % Okt. 20 Nov. 20 Dez. 20 Jan. 21 Feb. 21 Mär. 21 Apr. 21 Mai 21 Jun. 21 Jul. 21 Aug. 21 Sep. 21 Okt. 21 Basis: Alle Wahlberechtigten. Fehlende Werte: Weiß nicht/keine Angabe. ABB. 10 Präferierter Politikstil im Zeitverlauf Welcher Sichtweise stimmen Sie eher zu? 62 % In Deutschland geht es nicht vorwärts. 49 % Wir brauc hen eine neue Politik, die Ideen für die Zukunft entwickelt, Dinge anpackt und auch zu Ende bringt. 47 % 31 % Die Zeiten sind unsicher genug. Gut, dass die Regierung nichts über- stürzt und Deutschland mit ruhiger Okt. 20 Nov. 20 Dez. 20 Jan. 21 Feb. 21 Mär. 21 Apr. 21 Mai 21 Hand durch die Krisen lenkt. Basis: Alle Wahlberechtigten. Fehlende Werte: Weiß nicht/keine Angabe. FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 13
Der starke Wunsch nach einer anpackenden Politik mit von Grünen (67 Prozent) und Linken (58 Prozent) – aber Plan und Weitsicht wird auch in der quantitativen Analyse auch eine relative Mehrheit der SPD-Wähler_innen (47 Pro- deutlich. Den Befragten wurden zwei Sichtweisen präsentiert: zent). FDP- und CDU/CSU-Wähler_innen wünschen sich Braucht es eher eine Regierung mit ruhiger Hand – oder hingegen mehrheitlich keine Veränderung bei Steuern und eine verändernde, anpackende Politik? Ausgaben, wobei sich jede_r fünfte FDP-Wähler_in und Während im Oktober die Präferenzen fast gleichauf liegen, jede_r Dritte AfD-Wähler_in sogar eher für Steuersenkun- zeichnet sich im Mai 2021 ein deutlich anderes Bild ab (vgl. gen und weniger staatliche Ausgaben ausspricht. Unter Abbildung 10). 62 Prozent stimmen jetzt eher der Sicht- den Koalitionspartnern der nächsten Bundesregierung be- weise zu, dass es eine neue Politik brauche, die Ideen für die steht also, zumindest wenn sie den Präferenzen der eigenen Zukunft entwickelt, Dinge anpackt und auch zu Ende bringt. Wählerschaft folgen wollen, kein Konsens, wobei die Un- Nur noch rund ein Drittel ist der Ansicht, dass die aktuelle terschiede zwischen den Grünen-Wähler_innen und FDP- Regierung mit ruhiger Hand und nichts überstürzend durch Wähler_innen am größten sind. die Krise lenkt. Zusammenhängen kann diese Entwicklung Noch breitere Zustimmung als Steuererhöhungen für aber auch mit der gestiegenen Unzufriedenheit mit dem alle findet der Vorschlag, Steuererhöhungen nur für Einzelne Krisenmanagement. anzusetzen. Bei der Frage, wie mit den durch die Corona- Der Wunsch nach einer anpackenden Politik wurde im Mai Krise entstandenen Staatsschulden am besten umgegangen 2021 noch häufiger von Jüngeren unter 40 Jahren (67 Prozent), werden soll, spricht sich im Mai 2021 eine Mehrheit von insbesondere jungen Frauen unter 40 Jahren (71 Prozent), zwei Dritteln für Steuererhöhungen exklusiv für Reiche aus Eltern (67 Prozent) und Ostdeutschen (69 Prozent) geteilt. (vgl. Abbildung 13). Wähler_innen von Linken (87 Pro- zent), Grünen (80 Prozent) und SPD (74 Prozent) sprechen sich dabei am deutlichsten für Steuererhöhungen für INVESTITIONSBEREITSCHAFT VORHANDEN Reiche aus. CDU/CSU sowie FDP-Wähler_innen mit einem – AUCH ODER GERADE IN KRISENZEITEN Anteil von 59 bzw. 46 Prozent hingegen deutlich seltener. 18 Prozent aller Bürger_innen halten es hingegen für die Um die zukünftigen Herausforderungen zu bewältigen, müsse beste Lösung, die Staatsschulden zu einem späteren Zeit- Deutschland mehr investieren – so ist es immer wieder punkt zu bezahlen, unter FDP-Wähler_innen ist der Anteil breiter Konsens in den Fokusgruppendiskussionen. Corona mit 27 Prozent am höchsten. Insgesamt sehen nur neun habe gezeigt, dass im Bereich Gesundheit, insbesondere in Prozent der Bürger_innen das Kürzen von Sozialausgaben der Pflege, aber auch im Bereich Bildung, zum Beispiel bei als die beste Lösung an. Unter AfD-Wähler_innen (21 Pro- der digitalen Ausstattung der Schulen, in der Vergangen- zent) sowie FDP-Wähler_innen (18 Prozent) präferiert die- heit zu wenig investiert wurde. Die Folgen dessen müsse man se Lösung jedoch rund jede_r Fünfte. nun in der Krise ausbaden. Die Fokusgruppendiskussionen zeigen aber auch, dass der Vorschlag, Steuern für Reiche zu erhöhen, nicht unumstritten Gerade in so einer Krise sollte man ist. Viele sind unsicher, ob eine Belastung nur für Reiche gemeinsam investieren. tatsächlich fair sei, und befürchten langfristig negative Folgen (Fokusgruppen September 2020) für Deutschland durch Abwanderung reicher Mitbürger_ innen oder deutscher Unternehmen in Steueroasen. Auch in der aktuellen Corona-Krise bleibt die Tendenz, dass ein breiter Teil der Bevölkerung mehr staatliche Investitio- Die, die viel Geld haben, sind oft auch die, nen befürwortet, stabil – sogar dann, wenn dies mit Steuer- die Arbeitsplätze stellen und das Geld hier halten. erhöhungen einhergeht. Abbildung 11 zeigt, dass vor der Wenn das unattraktiv wird, suchen sie sich andere Orte. Krise eine relative Mehrheit Steuererhöhungen für mehr (Fokusgruppen September 2020) Investitionen in Kauf nehmen würde und dies im Vergleich zu Steuersenkungen und damit einhergehend weniger In- Die, die viel haben, sollten etwas abgeben. vestitionen deutlich befürwortet. Im Oktober 2020, also Das ist logisch. während der Corona-Pandemie, zeigt sich im Vergleich zu (Fokusgruppen September 2020) Vorkrisenzeiten ein leichter Rückgang der Bereitschaft zu mehr Steuern und ein stärkerer Wunsch, dass keine Mehr- Eine weitere Idee zum Umgang mit der Staatsverschuldung, belastungen hinzukommen. Ab Mai 2021 ist die Bereit- die von den Teilnehmer_innen der Fokusgruppen diskutiert schaft, Steuererhöhungen und gleichzeitig mehr Investitio- wird, ist, Unternehmen, die in der Pandemie unterstützt nen mitzutragen, wieder leicht erhöht. Der Wunsch nach wurden, zu einer Rückzahlung dieses „Bonus“ zu verpflichten. Steuersenkungen auf Kosten von Ausgaben für Soziales, Auch die Notwendigkeit, Steuerschlupflöcher für globale Bildung und Infrastruktur bleibt trotz – oder gerade in der Konzerne wie Amazon oder Google zu schließen, wird häu- Krise – unverändert niedrig. Nur zwischen 12 und 15 Prozent fig von den Teilnehmenden genannt. Weiterhin stehen sprechen sich hierfür aus. Sparmaßnahmen, die Bürger_innen vermeintlich nicht treffen, Unterschiede in den Präferenzen zeigen sich jedoch ent- wie die Senkung von Politikergehältern oder Kürzungen im lang der unterschiedlichen Wähler_innengruppen (vgl. Verwaltungsapparat, bei vielen hoch im Kurs. Dabei wird Abbildung 12). Mehr Ausgaben, auch wenn dafür Steuern der Hebel bzw. das Sparpotenzial, das vor allem die letzteren erhöht werden, befürworten insbesondere Wähler_innen Maßnahmen hätten, deutlich überschätzt. 14 GESELLSCHAFT IM CORONA-STRESSTEST JANUAR 2022 FES diskurs
ABB. 11 Investitionen vs. Steuersenkungen im Zeitverlauf Finden Sie Deutschland sollte, …? … Ausgaben und Steuern ungefähr so belassen, wie sie sind. 48 % 45 % … mehr für Soziales, 43 % 43 % Bildung und Infrastruktur 42 % ausg eben und dafür 38 % 37 % Steuern erhöhen. 34 % … weniger für Soziales, 14 % 13 % 12 % 15 % Bildung und Infrastruktur ausgeben und dafür Dez. 18 Mär. 19 Jun. 19 Sep. 19 Dez. 19 Mär. 20 Jun. 20 Sep. 20 Dez. 20 Mär. 21 Jun. 21 Sep. 21 Steuern senken. Basis: Alle Wahlberechtigten. Fehlende Werte: Weiß nicht/keine Angabe. ABB. 12 Investitionen vs. Steuersenkungen nach Wahlabsicht Finden Sie Deutschland sollte, …? … Ausgaben und Steuern … mehr für Soziales, Bildung und … weniger für Soziales, Bildung ungefähr so belassen, Infrastruktur ausgeben und dafür und Infrastruktur ausgeben und wie sie sind. Steuern erhöhen. dafür Steuern senken. alle 43 % 37 % 15 % Wahlabsicht SPD 43 % 47 % 8% CDU/CSU 57 % 29 % 13 % Grüne 28 % 67 % 3% FDP 57 % 18 % 21 % AfD 39 % 17 % 34 % Linke 23 % 58 % 10 % Basis: Alle Wahlberechtigten. Fehlende Werte: Weiß nicht/keine Angabe. Datengrundlage: Oktober 2021. ABB. 13 Umgang mit erhöhten Staatsschulden In der Corona-Krise hat Deutschland neue Schulden aufgenommen. Wie sollten mit den erhöhten Staatsschulden Ihrer Meinung nach umgegangen werden? Steuern für Reiche erhöhen 66 % Staatsschulden später bezahlen 18 % Sozialausgaben kürzen 9% Basis: Alle Wahlberechtigten. Fehlende Werte: Weiß nicht/keine Angabe. Datengrundlage: Mai 2021. FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 15
Insgesamt zeigt sich, dass über Höhe und Konsequenzen AKTUELLE THEMENPRIORITÄTEN der durch Corona entstandenen Staatsschulden wenig Wissen vorhanden ist. Klar scheint nur, dass Schulden in In welchen Bereich sollte nun als Erstes investiert werden? der Situation notwendig und alternativlos sind und dass Hier zeichnen sich vier präferierte Felder ab: Pflege/Gesund- Deutschland das verkraften könne. heit, Schulen, Renten und Wohnraum (vgl. Abbildung 14). Die Reihenfolge der Präferenzen variiert zwischen Egal sind die Schulden nicht, verschiedenen soziodemografischen Gruppen kaum. Es aber auch kein großes Drama. lassen sich nur leichte Unterschiede zwischen Männern und (Fokusgruppen September 2020) Frauen sowie zwischen den verschiedenen Altersgruppen bezüglich der Investitionspräferenzen feststellen. Männern Andere Länder sind viel schlechter dran und sind Investitionen in Energie- und Verkehrswende und in haben schon vor Corona viele Schulden gemacht. Digitalisierung noch wichtiger als Frauen. Diesen wiederum Ich finde es der Situation angemessen. sind die Bereiche Pflege/Gesundheit, Schulen und Rente (Fokusgruppen September 2020) überdurchschnittlich wichtig. Jüngeren sind die Bereiche ABB. 14 Wichtigster Investitionsbereich Pflege und Gesundheit 46 % Wenn Sie sich für einen dieser Schulen 37 % Bereiche entscheiden müssten, Rente 30 % in welchen sollte die Politik als Erstes investieren? Und in wel- Wohnraum 30 % chen als Zweites? Energie- & Verkehrswende 23 % Digitalisierung 22 % soziale Absicherung 10 % von Arbeitslosen Basis: Alle Wahlberechtigten. Dargestellte Werte: Erste und zweite Nennung kombiniert. Fehlende Werte: Keiner dieser Bereiche/weiß nicht/keine Angabe. Datengrundlage: Mai 2021. ABB. 15 Wichtigster Investitionsbereich – Detailauswertung Wenn Sie sich für einen dieser Bereiche entscheiden müssten, in welchen sollte die Politik als Erstes investieren? Und in welchen als Zweites? alle Frauen Männer Pflege und Gesundheit 46 % 49 % 42 % Schulen 37 % 38 % 34 % Rente 30 % 33 % 28 % Wohnraum 30 % 29 % 29 % Energie- & Verkehrswende 23 % 21 % 27 % Digitalisierung 22 % 16 % 27 % soziale Absicherung 10 % 9% 11 % von Arbeitslosen 18–39 Jahre 40–59 Jahre 60 Jahre und älter Pflege und Gesundheit 38 % 46 % 52 % Schulen 38 % 37 % 34 % Rente 25 % 36 % 29 % Wohnraum 31 % 27 % 31 % Energie- & Verkehrswende 27 % 21 % 24 % Digitalisierung 27 % 18 % 21 % soziale Absicherung 11 % 12 % 7% von Arbeitslosen Basis: Alle Wahlberechtigten. Dargestellte Werte: Erste und zweite Nennung kombiniert. Fehlende Werte: Keiner dieser Bereiche/weiß nicht/keine Angabe. Datengrundlage: Mai 2021. 16 GESELLSCHAFT IM CORONA-STRESSTEST JANUAR 2022 FES diskurs
Energie- und Verkehrswende und Digitalisierung wichtiger Der Digitalisierungsstand ist sehr schlecht als den anderen Altersgruppen. Die mittlere Altersgruppe in Deutschland – sogar fast nicht existent. sieht Renten überdurchschnittlich häufig als wichtigen Inves- Man muss mit der Zeit gehen, Geld investieren. titionsbereich, während in der Altersgruppe 60+ der Bereich (Fokusgruppen September 2020) Pflege und Gesundheit noch deutlicher priorisiert wird (vgl. Abbildung 15). In den Bereichen Schulen sowie Pflege- und Gesundheitssys- Deutliche Unzufriedenheit herrscht – Stand Oktober 2021 tem halten sich gute und schlechte Bewertungen in etwa die – bei den Themen bezahlbarer Wohnraum, Renten, Energie- Waage. Bei der Absicherung von Arbeitslosen wird tendenziell und Verkehrswende sowie Digitalisierung (vgl. Abbildung 16). eine gute Erfüllung der staatlichen Aufgabe gesehen. ABB. 16 Zufriedenheit mit der Erfüllung staatlicher Aufgaben Bitte sagen Sie mir für jede der folgenden Aufgaben, ob der Staat diese Ihrer Meinung nach sehr gut, gut, schlecht oder sehr schlecht erfüllt? Arbeitslose sozial absichern 42% 55 % für eine gute Schulausbildung sorgen 46 % 52 % ein gutes Pflege- und Gesundheitssystem bieten 51 % 48 % Digitalisierung vorantreiben 66 % 31 % Energie- und Verkehrswende vorantreiben 65% 30 % sehr schlecht eher schlecht Rentner_innen einen angemessenen Lebensstandard sichern 69 % 30 % eher gut für bezahlbaren Wohnraum sorgen 80 % 18 % sehr gut Basis: Alle Wahlberechtigten. Fehlende Werte: Weiß nicht/keine Angabe. Datengrundlage: Oktober 2021. ABB. 17 Zufriedenheit mit der Erfüllung staatlicher Aufgaben im Zeitverlauf Bitte sagen Sie mir für jede der folgenden Aufgaben, ob der Staat diese Ihrer Meinung nach sehr gut, gut, schlecht oder sehr schlecht erfüllt? Arbeitslose sozial ein gutes Pflege- und für eine gute Schulaus- Energie- und Verkehrs- absichern Gesundheitssystem bieten bildung sorgen wende vorantreiben 60 % 65 % 57 % 56 % 55 % 57 % 58 % 52 % 55 % 50 % 51 % 50 % 49 % 48 % 48 % 46 % 40 % 40 % 42 % 42 % 40 % 40 % 35 % 30 % Okt. 20 Apr. 21 Okt. 21 Okt. 20 Apr. 21 Okt. 21 Okt. 20 Apr. 21 Okt. 21 Okt. 20 Apr. 21 Okt. 21 Rentner_innen ange Digitalisierung für bezahlbaren messenen Lebens vorantreiben Wohnraum sorgen standard sichern 83 % 80 % 70 % 76 % 65 % 64 % 69 % 66 % 61 % 33 % 34 % 30 % 36 % 31 % 28 % 22 % 15 % 18 % eher/sehr schlecht Okt. 20 Apr. 21 Okt. 21 Okt. 20 Apr. 21 Okt. 21 Okt. 20 Apr. 21 Okt. 21 eher/sehr gut Basis: Alle Wahlberechtigten. Fehlende Werte: Weiß nicht/keine Angabe. Datengrundlage: Oktober 2021. FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG 17
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