FAMILIENALLTAG IN DER CORONA-PANDEMIE - MÄRZ 2022 01 VERGLEICHENDE PERSPEKTIVE VON ELTERN UND KINDERN IN SCHWERIN UND BREMERHAVEN - Infas
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
PROJEKTREPORT MÄRZ 2022 01 FAMILIENALLTAG IN DER CORONA- PANDEMIE VERGLEICHENDE PERSPEKTIVE VON ELTERN UND KINDERN IN SCHWERIN UND BREMERHAVEN
2 FAMILIENALLTAG IN DER CORONA-PANDEMIE PROJEKTREPORT MÄRZ 2022 Ergebnisse einer Befragung in Bremerhaven und Schwerin im Rahmen des Projekts „Nachhaltige Veränderungen und Un- gleichheiten im Familienalltag durch die Corona Pandemie“ der Universität Hamburg und dem infas Institut, Erhebungszeit- punkt: Sommer 2021 Bereich Regionalforschung FB Sozialökonomie/FG Soziologie Projekt: 7353 Bonn, März 2022 Version 1.0 Text und Analysen: Jana Hölscher, Lorenz Gaedke, Ammar Cuk, Robert Follmer, Katharina Manderscheid, Justin Treutlein Layout und Grafik: Mischa Frank Folgende Zitierweisen werden empfohlen: Kurzform: infas/Uni Hamburg 03/2022 Langform: Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH (infas)/Universität Hamburg (März 2022): Familienalltag in der Corona-Pandemie – Vergleichende Perspektive von Eltern und Kindern. Bonn
3 FAMILIENALLTAG IN DER CORONA-PANDEMIE PROJEKTREPORT MÄRZ 2022 ZU BEGINN Dies kann laut einer Publikation des Bundes- instituts für Bevölkerungsforschung über die Als im Februar 2021 das Projekt „Nachhaltige Belastungen von Kindern, Jugendlichen und Veränderungen und Ungleichheiten im Fami- Eltern in der Corona-Pandemie trotz bisher lienalltag durch die Corona-Pandemie“ von der begrenzter Forschungslage bereits festgestellt Universität Hamburg, Fachbereich Sozialökono- werden. Gerade die Kita- und Schulschließun- mie und dem infas Institut startete, ahnte wohl gen hatten nach diesen Ergebnissen weitrei- keiner der Projektbeteiligten, dass das Leben ein chende Folgen für die Bildung, Gesundheit, Jahr später immer noch so stark vom akuten Lebensqualität und Zukunftsperspektiven von Infektionsgeschehen bestimmt sein würde. Im Familien. Es seien jedoch auch große Unter- Winter 2021/22 stehen durch die Omikron-Wel- schiede feststellbar. Während einige Familien le Kinder und Jugendliche, und damit Familien, relativ gut durch die bisherige Pandemiezeit mehr denn je im Mittelpunkt des Infektions- gekommen seien, hätten andere „vielfältige geschehens. Und doch hat sich seit Pandemie- Beeinträchtigungen erfahren und befinden beginn vieles verändert: Mittlerweile können sich hinsichtlich Gesundheit, Bildung oder sich Eltern sowie ältere Kinder impfen lassen auch finanziell in schwierigen Lebenslagen.“ und somit vor schweren Krankheitsverläufen (BIB.BEVÖLKERUNGS.STUDIEN 2 2021: 71) schützen. Auch dadurch bleiben Schulen und Kitas trotz sehr hoher Inzidenzen bisher grund- Die Folgen der Pandemie für Familien in den sätzlich offen. Ungeachtet der Ungewissheit Blick zu nehmen, insbesondere vor dem Hin- über Verlauf und Ende der Pandemie, waren tergrund sozialer Ungleichheit, war ein Ziel die beiden Phasen der „harten Lockdowns“, in des Gemeinschaftsprojekts der Universität denen sowohl Geschäfte, Freizeit- und Sportein- Hamburg und des infas Instituts, das von richtungen als auch Schulen und Kitas ge- der Volkswagen Stiftung gefördert wurde. In schlossen waren, für viele Menschen besonders diesem ersten Projektreport soll zunächst Idee einschneidend. Familien, deren Kinder norma- und Umsetzung beschrieben werden, bevor in lerweise in die Kita oder Schule gehen, brach Kapitel 2 eine kurze Annäherung zum Konzept plötzlich ein wichtiger Bestandteil der Alltags- der „sozialen Ungleichheit“ folgt, das den ersten organisation weg – freiwillige oder angeordnete theoretischen Rahmen der Studie bildet. Die Kontaktbeschränkungen, zum Beispiel zu den im Anschluss daran illustrierten Ergebnisse, Großeltern, erschwerten die Situation für viele vorwiegend aus der Onlinebefragung, konzen- Familien zusätzlich. Die Pandemie mit ihren trieren sich auf die unterschiedliche Wahrneh- unterschiedlichen Phasen der Belastung und mung der Pandemie und ihrer Folgen zwischen Entspannung hat Spuren bei vielen Eltern und Eltern und Kindern. Dafür werden verschiedene Kindern hinterlassen. Themenschwerpunkte der Befragung getrennt ausgewertet und miteinander verglichen.
4 FAMILIENALLTAG IN DER CORONA-PANDEMIE PROJEKTREPORT MÄRZ 2022 1. PROJEKTIDEE UND METHODIK wegweisend für die empirische Sozialforschung ist. Die Marienthal-Studie untersuchte die Auswirkun- Forschungsschwerpunkt des hier beschriebenen gen der Massenarbeitslosigkeit während der Welt- Projekts ist die Untersuchung von ungleichen wirtschaftskrisen in den 1930er Jahren in der Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Alltag Arbeitersiedlung Marienthal, einem Ort in der Nähe von Familien aus verschiedenen sozio-ökonomi- Wiens. Das interdisziplinäre Forschungsteam schen Milieus. Dabei stehen sowohl kurz- als auch beobachtete insbesondere die Veränderungen der mittelfristige Folgen für das Familienleben durch Lebensführung von Familien und des kollektiven Einschränkungen der Erwerbs-, Lern- und Betreu- Lebens nach der Schließung einer örtlichen Fabrik. ungsmöglichkeiten, der sozialen Kontakte und des In dieser Feldstudie wurden verschiedene Daten- Freizeitangebotes seit Pandemiebeginn im Fokus. quellen und unterschiedliche methodische Instru- Das Projektteam beschäftigt unter anderem die mente genutzt und auf innovative Weise kombiniert. Frage, welche verfügbaren Ressourcen und Rahmen- bedingungen Familien helfen konnten, mit den GUTE UND SCHLECHTE WOHNQUARTIERE IN neuen Anforderungen umzugehen und was die SCHWERIN UND BREMERHAVEN IM VERGLEICH Situation dahingegen eher verschärft. Für unsere Studie wurden als konkrete Untersu- Bei der Corona-Pandemie handelt es sich um eine chungsorte Bremerhaven und Schwerin ausgewählt, dynamische Entwicklung, sowohl was die Ausbrei- um regionalspezifische Faktoren (z. B. Corona-Inzi- tung des Virus als auch die politischen Maßnahmen, denzen, Corona-Maßnahmen, zivilgesellschaftliche die wirtschaftliche Entwicklung und die gesell- Unterstützungsangebote) in die Untersuchung schaftlichen Reaktionen betrifft. Daher wurde ein beziehungsweise Auswertung mit einbeziehen zu explorativer Forschungsansatz gewählt, der Anpas- können und Vor-Ort-Daten zu subjektiven Erfahrun- sungen an veränderte Situationen und auf der Basis gen und Wahrnehmungen während der verschiede- der gewonnenen Erkenntnisse ermöglicht. Dabei nen Phasen der Krise zu sammeln. In diesem Zusam- orientieren wir uns an der Marienthal-Studie menhang wurde zu Projektbeginn auch eine (Jahoda u. a. 1975), die in mehrfacher Hinsicht Medienanalyse zu beiden Städten durchgeführt.
5 FAMILIENALLTAG IN DER CORONA-PANDEMIE PROJEKTREPORT MÄRZ 2022 Durch die Auswahl der Städte Bremerhaven und der befragten Haushalte weisen einen hohen oder Schwerin sollte der oftmals stereotype Vergleich sehr hohen ökonomischen Haushaltsstatus auf. einer wohlhabenderen Weststadt mit einer ökono- Der qualitative Teil des Projektes begann mit einer misch schwächeren Stadt in Ostdeutschland be- Auswertung der Presseartikel für Schwerin und wusst umgedreht werden. Bremerhaven hinsichtlich stadtspezifischer Aktivitä- In beiden Städten wohnen jeweils etwa 100.000 ten während der Pandemie. Für eine erste Explorati- Menschen. Doch weist Schwerin im Gegensatz zu on wurden dann Interviews mit Expertinnen und Bremerhaven durchweg günstigere Kennwerte etwa Experten, beispielsweise ausgewählte Vertreterin- bei Kaufkraft und Arbeitslosigkeit auf. Zusätzlich nen und Vertreter städtischer und zivilgesellschaftli- wurden gezielt eher gut situierte sowie eher schlecht cher Einrichtungen geführt, die durch ihre berufliche situierte Wohnquartiere ausgewählt. Ziel ist also Tätigkeit oder ihr zivilgesellschaftliches Engagement nicht das repräsentative Abbild beider oder einer der Einblicke in das Alltagsleben von Familien während Städte. Vielmehr steht der Quartiersvergleich in zwei der Pandemie hatten. Die inhaltsanalytische Aus- unterschiedlichen Umfeldsituationen im Vorder- wertung dieser Interviews bildete die Basis für die grund. Ähnlich wie bei der Marienthal-Studie ist der Strukturierung der im Anschluss daran folgenden Ansatz dieses Projekts, das subjektive Erleben sowie Familieninterviews. Die Auswahl der zu befragen- die Deutungen des Geschehens durch die betroffe- den Familien zielte auf eine nach sozio-ökonomi- nen Kinder und Eltern mittels der Kombination schen Merkmalen möglichst heterogene Stichprobe, verschiedener methodischer Ansätze in den Mittel- um die diversen Problemlagen verschiedener punkt zu rücken. Dafür werden sowohl quantitative Familien während der Pandemie breit zu erfassen. als auch qualitative Methoden angewendet. Eingeladen wurden sowohl ausgewählte Befragte der Onlineerhebung als auch von den befragten QUALITATIVE UND QUANTITATIVE ZUGÄNGE Expertinnen und Experten vermittelte Familien. KOMBINIERT Jeweils vor Ort befragten zwei Sozialforscher der Als quantitativer Ansatz wurde eine Onlinebefra- Universität Hamburg unabhängig voneinander gung von Familien in Bremerhaven und Schwerin beide Elternteile (bei Alleinerziehenden nur eines) gewählt. Familien mit mindestens einem Kind und ein mindestens 10-jähriges Kind der Familie. unter 12 Jahren, die zuvor mit Hilfe einer Einwoh- Insgesamt konnten zwischen September und nermeldestichprobe identifiziert worden waren, November 2021 pro Stadt sechs Familien interviewt wurden zwischen Juni und August 2021 per Brief werden, bevor aufgrund der erneut steigenden zu einer etwa 15-minütigen Onlinebefragung Covid-Fallzahlen die persönlichen Interviews eingeladen. Alle Familienmitglieder ab 12 Jahren ausgesetzt wurden. Die Fortsetzung ist für das konnten einen eigenen Fragebogen ausfüllen, Eltern Frühjahr 2022 geplant. hatten zudem die Möglichkeit, stellvertretend für Die in dieser Broschüre dargestellten Ergebnisse der ihre kleineren Kinder einen Fragebogen zu beant- Onlinebefragung erheben keinen Anspruch auf worten. In Bremerhaven beteiligten sich 174 Bevölkerungsrepräsentativität, können jedoch Haushalte, während in Schwerin 328 Haushalte an wertvolle Befunde in Bezug auf ungleiche Auswir- der Onlinebefragung teilnahmen. Insgesamt kungen der Corona-Pandemie liefern – in diesem wurden insgesamt etwa 6.000 Haushalte ange- Bericht schwerpunktmäßig in Bezug auf Unter- schrieben, sodass sich eine Gesamt-Teilnahmequote schiede zwischen Eltern und Kindern. Weitere von rund acht Prozent ergibt. Besonders sozio-öko- Auswertungen, beispielsweise im Hinblick auf nomisch schlechter gestellte Familien waren sozioökonomische oder räumliche Rahmenbedin- deutlich seltener zu einer Teilnahme an der Online- gungen der Familien, werden Fokus weiterer befragung zu motivieren – knapp über 60 Prozent Veröffentlichungen zur Studie sein.
6 FAMILIENALLTAG IN DER CORONA-PANDEMIE PROJEKTREPORT MÄRZ 2022 METHODENSTECKBRIEF PROJEKT „NACHHALTIGE VERÄNDERUNGEN UND UNGLEICHHEITEN IM FAMILIENALLTAG DURCH DIE CORONA-PANDEMIE“ Projektlaufzeit: 02/2021 bis voraussichtlich 06/2022 Methodik: Medienanalyse, Kombination aus Onlinebefragung von Fami- lien, qualitativen Interviews in Familien und mit Expertinnen und Experten, Realisierung eines Filmprojekts noch in Planung Befragungsorte: Bremerhaven und Schwerin Befragungsquartiere: gut vs. schlecht situierte Quartiere in beiden Städten (siehe Karte) Bisheriger Befragungszeitraum: Interviews mit Expert/innen: Mai/Juni 2021 Onlinebefragung: Ende Juni bis Ende August 2021 Qualitative Interviews: September bis November 2021 Bisherige Anzahl der Befragten: 502 Haushalte in der Onlinebefragung 926 Personeninterviews (davon 532 Erwachsene, 109 Interviews mit Kindern ab 12 Jahren und 285 Stellvertreter-Interviews für Kinder unter 12 Jahren) 6 Interviews mit Expert/innen in Bremerhaven und Schwerin, 8 qualitative (teilnarrative) Interviews mit Familien (jeweils 1-2 Elterninterviews und ein Interview mit einem Kind ab 12 Jahren) in Bremerhaven und Schwerin Medienanalyse: Inhaltsanalyse Standardisierte Onlinebefragung: quantitative Auswertung mit Stata (Erstellung analytischer Variablen, Darstellung bivariater Zusammenhänge) Interviews mit Expert/innen: Transkription und Inhaltsanalyse Qualitative Familieninterviews: Habitushermeneutik und rekonstruktive Analyse
7 FAMILIENALLTAG IN DER CORONA-PANDEMIE PROJEKTREPORT MÄRZ 2022 AUSGEWÄHLTE QUARTIERE IN BREMERHAVEN UND SCHWERIN Bremerhaven Schwerin In beiden Städten wurden verschiedene für die Typisierung der Ortsteile Stadtteile verfügbaren Kennwerte betrachtet. Hierzu Gut situiert zählten beispielsweise Angaben zur Arbeitslosigkeit, Schlecht situiert zum Anteil von Hilfeempfängern nach verschiede- Nicht für Stichprobe ausgewählt nen SGB-Leistungen, zur Kaufkraft, zum Familienan- teil und der Altersstruktur. Auf dieser Grundlage Kartengrundlagen wurden besonders gegensätzliche Quartiere ausge- Orsteile Schwerin: Vermessungs- und Geoinformationsbehörde Schwerin. wählt und kategorisiert. Nur in diesen Stadtteilen Orsteile Bremerhaven: Magistrat der erfolgte die Befragung und auf diese konzentrieren Stadt Bremerhaven – Vermessungs- sich die qualitativen Projektbausteine. und Katasteramt.
8 FAMILIENALLTAG IN DER CORONA-PANDEMIE PROJEKTREPORT MÄRZ 2022 2. WARUM BETRIFFT DIE PANDEMIE WELCHE VERLAUFSMUSTER IN WELCHEN FAMILIEN? NICHT ALLE FAMILIEN GLEICH? – EINE THEORETISCHE ANNÄHERUNG Die Krankheit und die Maßnahmen betreffen jedoch nicht alle Familien in gleichem Maße und mit Die Corona-Pandemie und die umfangreichen vergleichbaren Folgen. In unserem Forschungspro- Regeln zur Eindämmung der Infektionen haben jekt ist insbesondere von Interesse, welche Merkma- tiefgreifende Folgen für den Alltag von Familien. le der Familien und Rahmenbedingungen ihres Diese sahen sich unvorbereitet und abrupt vor neue Alltags dazu beitragen, dass sie gut oder schlecht Probleme und Herausforderungen gestellt: Schulen durch die Pandemie kommen. Lassen sich Unter- und Kindertagesstätten wurden phasenweise und schiede entlang der Dimensionen sozialer Ungleich- wiederholt geschlossen. Für viele Erwerbstätige heit feststellen? Bereits bekannt ist, dass das Infek- veränderte sich der Arbeitsalltag, etwa weil Arbeits- tions-, Hospitalisierungs- und Sterberisiko von stätten temporär geschlossen waren (z.B. Gastrono- Personen mit geringerer Bildung und geringerem mie, Kultur- und Freizeitbetriebe), weil Arbeitneh- Einkommen höher ist (z.B. Wachtler et al. 2020; mende in Kurzarbeit geschickt oder Bürotätigkeiten Wahrendorf et al. 2021). Forschungslücken bestehen ins Homeoffice verlagert wurden. Zusätzlich stellten jedoch hinsichtlich des Zusammenspiels der spezifi- die Kontaktbeschränkungen insbesondere zu Beginn schen Konstellationen, der konkreten Alltagsorgani- der Pandemie die Organisation der Kinderbetreuung sation und Lebensbedingungen für Familien. für manche Familien auf den Kopf, beispielsweise Welche Familienmitglieder sind besonders betroffen wenn die Unterstützung der Großeltern wegfiel. und welche Familien können die Herausforderun-
9 FAMILIENALLTAG IN DER CORONA-PANDEMIE PROJEKTREPORT MÄRZ 2022 gen gut auffangen? Welche verfügbaren Ressourcen auch die Beziehungen innerhalb der Familie und die und Organisationsfähigkeiten des Alltags werden Familienkonstellation – ob ein- oder zwei Elternteile im Pandemiealltag relevant? Auch die Frage nach sowie Alter und Zahl der Kinder, die Einbettung in den langfristigen Folgen der Pandemie für die größere Verwandtschaftszusammenhänge und Familien bzw. ihre Mitglieder wird eines der For- darin enthaltene Unterstützungsleistungen bzw. schungsthemen in den kommenden Jahren sein. Konflikte können während der Pandemie ent- oder belastend wirken. Die Arbeitsbedingungen in Form Um das Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren von Arbeitszeiten, Arbeitsbelastung und gesundheit- in Familien zu verstehen, ist zunächst eine sozial- lichen Risiken am Arbeitsplatz haben als Dimension wissenschaftliche Konzeptualisierung sozialer sozialer Ungleichheit einen Einfluss auf die Lebens- Ungleichheit hilfreich. Solga et al. (2009: 15) spre- führung (ebd.: 130). Gerade zu Beginn der Corona- chen von sozialer Ungleichheit, wenn Menschen als Pandemie konnten besser Gebildete mit höheren Angehörige sozialer Gruppen „einen ungleichen Einkommen eher im Homeoffice arbeiten, während Zugang zu sozialen Positionen haben.“ Dabei gehen Industriearbeiter und Beschäftigte im Dienstleis- mit diesen sozialen Positionen systematisch günsti- tungsbereich häufig von Kurzarbeit, Beurlaubung, ge oder unvorteilhafte Lebens- und Handlungsbe- Arbeitsplatzverlust und einem höheren Infektionsri- dingungen einher (ebd.). Dimensionen sozialer siko am Arbeitsplatz betroffen waren (Möhring et al. Ungleichheit sind „[p]ersönliche oder strukturbe- 2020; Möhring et al. 2021). Entsprechend zählen dingte Merkmale, welche die Erscheinungsformen auch Gesundheitsrisiken zu den Dimensionen ungleicher Lebens- und Handlungsbedingungen […] sozialer Ungleichheit. Auch unabhängig der Pande- der Menschen charakterisieren“ (Huinink/Schröder mie gehen viele Tätigkeiten für Geringqualifizierte 2014: 106). Von der Dimension Einkommen und Vermögen hängen materieller Wohlstand und die Möglichkeit der Befriedigung materieller Lebenszie- le (Huinink/Schröder 2014: 114) sowie die der gesell- schaftlichen Partizipation (vgl. Schäfer 2010) ab und sie tragen zur Steigerung des sozialen Ansehens bei (Huinik/Schröder 2014: 114). WELCHER STELLENWERT WELCHER HINTER- GRUNDFAKTOREN? Weitere Dimensionen, die die Lebenssituationen beeinflussen, sind Bildung, soziale Beziehungen, aber auch die Arbeitsbedingungen und die Wohnsi- tuationen. Bildungschancen werden stark von der sozialen Herkunft bedingt. Kinder aus Familien mit geringen Einkommen erzielen statistisch schlechtere schulische Ergebnisse als Gleichaltrige aus anderen Verhältnissen (vgl. Hradil 2016: 257). Auch soziale Beziehungen sind als „wichtige Quelle von instru- mentellen Unterstützungsleistungen und persönli- cher Anerkennung“ (ebd.: 132) eine Dimension sozialer Ungleichheit. Wer über ein großes und heterogenes soziales Netzwerk verfügt, findet darin in verschiedenen Situationen Unterstützung. Aber
10 FAMILIENALLTAG IN DER CORONA-PANDEMIE PROJEKTREPORT MÄRZ 2022 mit Gesundheitsbelastungen und entsprechend schränkt, was die „biografisch wichtige[-] Selbster- schlechterem Gesundheitszustand einher. Insbeson- kundung im Jugendalter“ (Andresen et al. 2020: 9) dere im Kontext der Corona-Krise wurden auch die beeinträchtigen kann, sie haben Zukunftsängste und Wohnbedingungen relevant für die Alltagsorganisa- fühlen sich zu wenig von der Politik berücksichtigt tion. Von großer Bedeutung sind in dem Zusammen- (vgl. ebd.). Die Schulschließungen und die Situation hang Art, Größe und Ausstattung des Wohnraums des Homeschoolings führen zu ungleichen Lernsitua- sowie die technische Ausstattung, die Voraussetzung tionen zu Hause und langfristig zu ungleichen für Homeschooling und -office sowie das Kontakt- Lernergebnissen. Besonders betroffen sind hier halten geworden ist. Und je nach Wohnquartier sind insbesondere jüngere und Kinder aus sozio-ökono- die Möglichkeiten, den Alltag und die Freizeit in der misch benachteiligten Familien (vgl. Hammerstein et näheren Umgebung zu organisieren, unterschiedlich al. 2021). Soziale Ungleichheit manifestiert sich gut und attraktiv. demnach auch zwischen verschiedenen Altersgrup- pen – über Generationengerechtigkeit, ein Begriff der SOZIALE UNGLEICHHEITEN ZWISCHEN DEN seit Beginn der 90er-Jahre im öffentlichen Diskurs zu QUARTIERN? finden ist, wird gerade im Zusammenhang mit der Diese Dimensionen sozialer Ungleichheit sind Pandemie wieder stärker diskutiert. systematisch durch scheinbar natürliche Merkmale Abschließend ist die Migrationsgeschichte als von Personen vorstrukturiert und sind nur in Teilen askriptives Merkmal zu nennen, wobei zu unterschei- auf ungleiche Leistungen in der Schule und auf dem den ist, ob eine Person selbst Migrationserfahrungen Arbeitsmarkt zurückzuführen. In der soziologischen gemacht hat oder Angehörige vorheriger Generatio- Ungleichheitsforschung wird von askriptiven (von nen und aus welcher Region die Einwanderung außen zugeschriebenen) und erworbenen persönli- stattfand (Huinink/Schröder 2014: 151f.). Davon chen Merkmalen gesprochen. Dazu gehört das gehen insbesondere ungleiche Chancen in den Geschlecht. Dieses Merkmal wird traditionell mit Bereichen Bildung, Beruf, Wohnen und Alltag aus, die bestimmten Fähigkeiten und Charaktereigenschaf- sich als rassistische Diskriminierung, Abwertung und ten assoziiert und beeinflusst sowohl die Berufs- Ausgrenzung äußern. Migrantisierte Personen waren chancen als auch Aufteilung von Care-Arbeit während der Pandemie überdurchschnittlich von (Huinink/Schröder 2014: 148). Einige Forschungser- Arbeitsplatzverlusten betroffen (vgl. Brückner et al. gebnisse konstatieren einen Trend, dass es v.a. die 2021). Kinder, deren Eltern kein Deutsch sprechen, Mütter sind, die während der Pandemie zusätzliche waren durch die Schulschließungen zusätzlich Aufgaben im Bereich von Kinderbetreuung und benachteiligt (vgl. Bujard et al. 2021) und insbesonde- Hausarbeit übernehmen (vgl. Zoch et al. 2021). re asiatisch gelesene Personen sowie Sinti und Roma machten im Alltag Rassismuserfahrungen im UND PERSONENBEZOGENE MERKMALE? Zusammengang mit der Pandemie (vgl. Antidiskrimi- Das Alter, als weiteres persönliches Merkmal, hat nierungsstelle des Bundes 2020). abhängig vom Lebensverlauf sehr unterschiedliche Die Grundannahme des Forschungsprojektes ist, Auswirkungen, die auch im Kontext der Pandemie dass die Möglichkeiten von Familien als sozialer Folgen haben können. Insbesondere das Risiko für Zusammenhang, mit den Problemlagen und Heraus- schwere Verläufe einer Corona-Infektion ist in forderungen der Pandemie umzugehen, systema- höheren Altersgruppen größer, aber auch Arbeitslo- tisch durch die genannten Merkmale und Dimensio- sigkeits- und Armutsrisiko sind statistisch höher nen sozialer Ungleichheit vorstrukturiert werden. (Huiniken/Schröder 2014: 151f.). Demgegenüber Die Beschreibung von Ergebnissen der Studie ist sind auch Kinder und Jugendliche besonders von in diesen theoretischen Rahmen eingebettet und den Pandemie-Maßnahmen betroffen: Ihre Freizeit- geht – je nach inhaltlichem Fokus – auf einzelne gestaltung und sozialen Kontakte waren stark einge- genannte Aspekte ein.
11 FAMILIENALLTAG IN DER CORONA-PANDEMIE PROJEKTREPORT MÄRZ 2022 50 % der Bremerhavener Haus- halte in schlechten Quar- tieren berichten über eine gute Stimmung. In den gut situierten Vierteln Schwerins sind es 67 Prozent.
12 FAMILIENALLTAG IN DER CORONA-PANDEMIE PROJEKTREPORT MÄRZ 2022 3. BELASTUNGEN UND ENTLASTUN- als die Sommermonate 2020 und 2021, in denen das gesellschaftliche Leben weniger von der Pandemie GEN IN DER CORONA-ZEIT bestimmt wurde. Der höchste gemessene Mittel- In den folgenden Kapiteln werden die Wahrneh- wert auf einer 5er-Skala von 1 (= überhaupt nicht mungen und Bewertungen der Pandemie zwischen schwierig) bis 5 (=s ehr schwierig) liegt bei 3,4 wäh- den online befragten Eltern und Kindern miteinan- rend der Phase des zweiten Lockdowns. Knapp jede der verglichen. Kinder ab 12 Jahren konnten den vierte befragte Person bewertet die Situation für die Fragebogen selbstständig oder mit Hilfe ihrer Eltern eigene Familie zu diesem Zeitpunkt als „(überhaupt) ausfüllen. Die Ergebnisse für Kinder zwischen Zwei nicht schwierig“, während 44 Prozent der Befragten und 12 Jahren beruhen auf den Einschätzungen ihrer diese Zeit als „(sehr) schwierig“ wahrnahmen. Der Eltern (Stellvertreterinterviews). Zunächst wird ein Mittelwert zeigt, dass selbst in der von den Befrag- Blick auf die Gesamtbewertung der Pandemie durch ten (bis zum Zeitpunkt der Erhebung) am schwie- die Befragten geworfen. Dabei zeigt sich deutlich, rigsten wahrgenommenen Phase der Pandemie die dass es in der Pandemie sowohl Phasen der besonde- Belastung von den befragten Familien sehr unter- ren Belastung als auch der Entspannung gab. schiedlich wahrgenommen wird. Über die Hälfte der Befragten empfindet die persönliche familiäre DER ZWEITE LOCKDOWN – DIE BISHER Lage im zweiten Lockdown als weniger oder zumin- SCHWIERIGSTE PHASE DER PANDEMIE?! dest nur mittelmäßig schwierig. Die Abbildung zur Die beiden Lockdown-Phasen werden von den Be- wahrgenommenen Belastung zeigt aber auch die fragten insgesamt als deutlich schwieriger beurteilt Unterschiede zwischen den Erwachsenen und den Die Corona-Regeln finde ich... Satzvervollständigung von befragten Eltern und Kindern …sehr wichtig und völlig ange- …wichtig und für ein gemeinsa- …meiner Meinung nach richtig …nervig. Aber man gewöhnt sich messen, manchmal allerdings mes Zusammenleben erforder- getroffen. Es hätten sich sonst dran (w, 15 Jahre) nicht einheitlich. (w, 43 Jahre) lich (m, 44 Jahre) viel mehr Leute mit dem Covid 19 Virus angesteckt! (w, 14 Jahre) …gut und halte mich dran. …viel zu einschränkend und …teilweise angemessen, aber (m, 13 Jahre) freiheitsberaubend (w, 34 Jahre) vieles widerspricht sich. Beispiel: …zu übertrieben, nichts war verreist werden durfte, aber komplett durchdacht (m, 17 Jahre) …nicht gerechtfertigt, zu über- Schulen/ Betriebe durften nicht …nervig. Vor allen Dingen die trieben, zu langsam reagiert öffnen. (w, 31 Jahre) ständigen Änderungen und ... teilweise unlogisch. (w, 13 Jahre) (w, 21 Jahre) Ergänzungen. Wir haben die wichtigsten Regeln beachtet …sinnvoll und notwendig. …wichtig zum Schutz und für und ansonsten den gesunden Sie wurden nur nicht gut …gut, weil ich meinen nor- mich selbst auch in Ordnung. Menschenverstand eingeschal- erklärt. (m, 47 Jahre) malen Alltag zurück möchte. (w, 12 Jahre) tet. (w, 46 Jahre) (m, 16 Jahre) …verantwortungsvoll und notwen- …gut. Ich bin zufrieden mit den dig, trotzdem an manchen Stellen Regeln, da es geholfen hat, den Virus ziemlich nervig. (w, 13 Jahre) nicht zu bekommen. (w, 36 Jahre) …wichtig, aber doof. Durch die Maske …viel zu schwach. (m, 28 Jahre) habe ich schlechter Luft bekommen, zu viel Abstandhalten. (m, 12 Jahre) Erwachsene Kinder
13 FAMILIENALLTAG IN DER CORONA-PANDEMIE PROJEKTREPORT MÄRZ 2022 befragten Kindern – Eltern nehmen die Lage insge- Einstufung in den schlechter situierten Stadtteilen, samt als schwieriger wahr. Dies trifft insbesondere vor allem für den Rückblick in das Jahr 2020. Doch auf die zweite Lockdown-Phase zu. Während 46 Pro- fallen die Unterschiede gering aus. Im zweiten zent der Erwachsenen die Situation für die Familie Coronajahr steigen sie jedoch zunächst an, bevor in dieser Zeit als (sehr) schwierig beurteilen, sind es sim entspannteren Sommer deutlich sinken. Für bei den Kindern zehn Prozentpunkte weniger. Die beide Situationen jedoch für alle vier Quartiers deutliche Stimmungssteigerung vom Beginn der typen gleichermaßen. Dieses Ergebnis legt nahe, Pandemie bis zum Sommer 2021, lässt sich auch an- dass Wohnumfeld und Quartierssituation nur eine hand der Frage nach der „Aktuellen Stimmungslage untergeordnete Rolle spielen und die Pandemie im zu Hause“ belegen. Zum Befragungszeitpunkt im Schnitt – von individuellen Unterschieden abgese- Sommer 2021 beschreiben 65 Prozent der befragten hen – alle Betroffenen gleichermaßen fordert. Eltern und Kinder die Stimmung zu Hause als „sehr gut“ oder „gut“. Dabei unterscheiden sich die Ein- BERUFSTÄTIGKEIT UND ÖKONOMISCHE SITUA- schätzungen zwischen Eltern und Kindern kaum TION BEEINFLUSSEN DIE STIMMUNGSLAGE voneinander. Die Stimmung hängt jedoch maßgeblich von der Die Frage nach der empfundenen Schwierigkeit der Arbeitssituation der Erwachsenen im Haushalt ab. aktuellen Situation wurde auch auf Haushaltse- Falls beide Elternteile oder der alleinerziehende bene gestellt. Die Ergebnisse lassen sich nach der Elternteil keine Berufstätigkeit ausüben, bezeich- Klassifikation der Stadtteile differenzieren. Zwar nen nur 41 Prozent der Befragten die Stimmungs- zeigt sich in der Tendenz eine etwas ungünstigere lage als gut. Wahrgenommene Belastung in den Corona-Phasen bis Wahrgenommene Belastung in den Corona-Phasen bis Sommer 2021 – Personen Sommer 2021 – Haushalte nach Stadtteilen 5 5 4 4 3 3 2 2 1 1 Lockdown Sommer Lockdown Sommer Lockdown Sommer Lockdown Sommer Frühjahr 2020 2020 Frühjahr 2021 2021 Frühjahr 2020 2020 Frühjahr 2021 2021 Gesamt Erwachsene/r Kind Bremerhaven: schlecht situiert gut situiert 5 = sehr schwierig / 1 = überhaupt nicht schwierig Schwerin: schlecht situiert gut situiert
14 FAMILIENALLTAG IN DER CORONA-PANDEMIE PROJEKTREPORT MÄRZ 2022 Ebenso ausschlaggebend für die Stimmung zu ge Forschungsergebnisse ein. Sie zeigen unter Hause ist der ökonomische Haushaltsstatus der anderem auf, dass die Corona-Pandemie bestehende befragten Person. 71 Prozent der finanziell sehr gut soziale Unterschiede noch einmal verschärft (siehe aufgestellten Familien, aber nur 43 Prozent der z.B. Diakonisches Werk Hamburg Juni 2021). Personen mit niedrigem ökonomischen Haushalts- status beschreiben die familiäre Stimmungslage im WEGFALL VON SOZIALEN KONTAKTEN UND Sommer 2021 als gut oder sehr gut. FREIZEITMÖGLICHKEITEN WIRD ALS GRÖSSTE BELASTUNG EMPFUNDEN Dass die Corona-Pandemie einen überdurchschnitt- lich negativen Einfluss auf die familiäre Belastung Die Eltern wurden zudem nach ihren Belastungen sozio-ökonomisch benachteiligter Familien hat, in verschiedenen Lebensbereichen während der zeigt ein Vergleich der beschriebenen Stimmungsla- Corona-Zeit befragt. Hier zeigt sich, dass die Situati- ge vor und während Corona. Hierzu wurden nur die on insbesondere in Bezug auf die Berufstätigkeit erwachsenen Personen befragt. Insgesamt bewer- sowie hinsichtlich sozialer Kontakte und Freizeit als ten 80 Prozent der Eltern ihre persönliche Stim- belastend empfunden wurde. mung vor Beginn der Corona-Pandemie als gut oder Im Hinblick auf die berufliche Situation empfinden sehr gut, bei Befragten mit wenig finanziellen Personen, die während der Phasen hoher Inziden- Ressourcen liegt der Wert bei immerhin 70 Prozent. zen nicht ins Homeoffice gehen konnten, die Doch genau in dieser Gruppe ist die Verschlechte- Situation als belastender als Personen, die ganz oder rung der Stimmung mit 28 Prozentpunkten fast zumindest teilweise im Homeoffice waren (37 zu doppelt so groß wie bei ökonomisch gut situierten 29 Prozent). Dies könnte unter anderem mit dem Befragten (Verschlechterung nur um 15 Prozent- höheren Risiko einer Corona-Infektion auf dem punkte). Dieser Befund reiht sich in andere bisheri- Arbeitsweg oder bei der Arbeit zusammenhängen, aber auch mit der besseren Möglichkeit der Alltags- organisation oder Kinderbetreuung, die Homeoffice bieten kann. Der Wegfall oder die Einschränkung von sozialen Belastung der Eltern in unterschiedlichen Lebensbereichen Begegnungen belastet 38 Prozent der befragten Belastung der Corona-Situation auf... Erwachsenen. Interessanterweise zeigt sich in diesem Zusammenhang ein deutlicher Unterschied Freundeskreis/ 38 zwischen den beiden Städten Bremerhaven und soziale Kontakte Schwerin. Während (nur) ein Drittel der Befragten Freizeit 38 in Bremerhaven die Situation als „(sehr) belastend“ empfanden, sind es in Schwerin mit 41 Prozent Berufliche Situation 34 deutlich mehr Personen mit dieser Wahrnehmung. Möglicherweise hängt dies mit dem in Mecklen- Familiäre Situation 29 burg-Vorpommern zusätzlich verhängten Touris- musverbot im März 2020 zusammen, das auch Gesundheitliche Situation 20 private Besuche aus anderen Bundesländern stark einschränkte und so zumindest indirekt zu einer Partnerschaft 19 weiteren möglichen Einschränkung der sozialen Kontakte führte. Finanzielle Situation 15 Im Hinblick auf die Einschränkung von Treffen im Freundeskreis und der Wegfall von möglichen Top-Box Werte 4+ 5, in Prozent
15 FAMILIENALLTAG IN DER CORONA-PANDEMIE PROJEKTREPORT MÄRZ 2022 28 % der Eltern empfinden ihre persönliche Corona-Situa- tion als (überhaupt) nicht schwierig, 30 Prozent der Kinder…) Freizeitaktivitäten deutet sich ein Vorteil für jüngeren Kinder als (sehr) schwierig einschätzen. Familien mit mehreren Kindern an – Eltern mit Dies zeigt, dass das Alter – zumindest in der subjek- mindestens zwei Kindern empfinden die diesbezüg- tiven Wahrnehmung der Befragten – keine ent- lichen Maßnahmen als weniger belastend als scheidende Rolle im Hinblick auf die persönliche Eltern mit nur einem Kind. Der Wegfall von Freizeit- Betroffenheit durch Corona spielt. möglichkeiten belastete Familien mit höheren Einkommen, die vor Beginn der Pandemie vermut- 4. VERÄNDERUNGEN DES ALLTAGS lich deutlich mehr kostenpflichtige Angebote im DURCH CORONA Sport- und Freizeitbereich in Anspruch genommen Während der Corona-Pandemie und natürlich haben, stärker als Familien mit weniger finanziel- insbesondere in den Phasen, in denen Corona-Maß- len Ressourcen. nahmen das gesellschaftliche, aber auch private Insgesamt schätzen Eltern und Kinder ihre persönli- Leben stark beeinträchtigten, veränderte sich der che Betroffenheit durch Corona sehr ähnlich ein. Alltag vieler Familien. Eine Frage zielte daher auf die Bei den Erwachsenen empfinden zum Befragungs- Zufriedenheit der Befragten in unterschiedlichen zeitpunkt 28 Prozent die bisherige persönliche Lebensbereichen ab, eine andere Frage beleuchtete, Corona-Situation als (überhaupt) nicht schwierig ob die Befragten seit Pandemiebeginn Verbesserun- und genauso viele als (sehr) schwierig. Bei den gen oder Verschlechterungen in diesen Lebensberei- Kindern ab 12 Jahren sind es 30 Prozent mit einem chen wahrgenommen haben. positiven Resümee, während 26 Prozent ihre Insgesamt zeigt sich zum Zeitpunkt der Befragung, persönliche Situation während Corona als (sehr) dass die Zufriedenheit mit dem Familienleben schwierig beurteilen. sowohl bei Eltern als auch Kindern im Vergleich zu In den Stellvertreterinterviews beurteilen Eltern die anderen Lebensbereichen am höchsten ist – drei Situation für ihre unter 12-jährigen Kinder in Viertel der Befragten sind (sehr) zufrieden mit dem 36 Prozent der Fälle als (überhaupt) nicht schwierig, Familienleben. Bei Patchwork-Familien und auch während 27 Prozent der Eltern die Situation für ihre bei Alleinerziehenden sinkt der Anteil der Zufriede-
16 FAMILIENALLTAG IN DER CORONA-PANDEMIE PROJEKTREPORT MÄRZ 2022 nen auf 69 bzw. 68 Prozent. Dies könnte beispiels- 43 Prozent der Erwachsenen geben an, diesbezüg- weise an dem generell höheren Organisationsbedarf lich (sehr) zufrieden zu sein. Die befragten Kinder des Alltags bei solchen Familienkonstellationen beurteilen diesen Lebensbereich etwas besser, liegen, der durch die Pandemie zunehmend er- deutlich über die Hälfte sind auch während der schwert wurde, aber auch an der Einschränkung der Pandemie (sehr) zufrieden mit Freizeit und Hobbies. sozialen Kontakte außerhalb des Haushalts. Unter Die befragten Kinder wiederum sind insgesamt am den befragten Personen, die sich selbst kaum von wenigsten mit dem Lebensbereich „Schule“ zufrie- der Corona-Pandemie betroffen sehen, steigt der den – hier werden die großen Einschnitte der Anteil der Zufriedenen hingegen auf 88 Prozent. Pandemie in den Alltag der Schülerinnen und Schüler deutlich. Knapp 60 Prozent der berufstäti- ELTERN BESONDERS UNZUFRIEDEN MIT DEN gen Eltern nehmen die berufliche Situation im LEBENSBEREICHEN FREIZEIT UND HOBBIES, KIN- Sommer 2021 als zufriedenstellend wahr. Den DER EHER MIT DER SCHULISCHEN SITUATION Lebensbereich „Freundeskreis/soziale Kontakte“ Deutlich niedrigere Zufriedenheitswerte und beurteilen 60 Prozent der Kinder als (sehr) zufrie- größere Unterschiede zwischen Eltern und Kindern denstellend, während es bei den Erwachsenen zeigen sich bei den anderen abgefragten Lebensbe- Zehn Prozentpunkte weniger sind. Die wahrgenom- reichen. Die Eltern sind insgesamt am unzufrie- mene Verschlechterung durch die Corona-Pande- densten in Bezug auf Freizeit und Hobbies. Nur mie fällt sowohl bei den befragten Eltern als auch Zufriedenheit und Veränderung in unterschiedlichen Lebensbereichen Aktuelle Zufriedenheit mit… Seit Corona verschlechtert Familienleben 76 75 …17 Prozent nehmen es 24 9 unterschiedlich war Freizeit/Hobbies 43 58 46 …8 Prozent nehmen es 40 unterschiedlich war Berufstätigkeit/ 59 …14 Prozent nehmen es Schule/Ausbildung 47 27 36 unterschiedlich war Freundeskreis/ …10 Prozent nehmen es 50 61 soziale Kontakte 44 43 unterschiedlich war Darstellung Werte 4 + 5 (sehr) zufrieden einer 5-er Skala, in Prozent
17 FAMILIENALLTAG IN DER CORONA-PANDEMIE PROJEKTREPORT MÄRZ 2022 bei den befragten Kindern in den Lebensbereichen punkte auf 63 Prozent an. Interessant ist hier auch „Freizeit/Hobbies“ und „Freundeskreis/soziale der Unterschied zwischen Männern und Frauen: Kontakte“ am deutlichsten aus. Dies deckt sich wie Während bei den Frauen 58 Prozent angeben, mehr erwartet mit den durchgeführten Corona-Maßnah- Betreuungsarbeit zu übernehmen, sind es bei den men, die deutliche Einschränkungen im sozialen Männern nur 44 Prozent. Einen noch größeren Un- Bereich als auch Freizeitbereich zur Folge hatten. terschied zwischen Müttern und Vätern lässt sich in Bezug auf zusätzliche Hausarbeit während der Doch wie hat die Corona-Pandemie das Alltagsle- Pandemie beobachten. Knapp jede dritte befragte ben der befragten Familien konkret verändert? In Mutter ist der Meinung, seit Ausbruch der Corona- der Befragung wurden sowohl die Eltern als auch Pandemie mehr Zeit in Hausarbeit zu investieren die Kinder gefragt, welchen Tätigkeiten sie seit der – bei den Vätern sind es hingegen nur 16 Prozent. Corona-Pandemie seltener, genauso oft oder häufi- Weniger Veränderungen lassen sich im Hinblick auf ger nachgehen als vorher. Bei den Erwachsenen gibt die Berufstätigkeit beschreiben. Knapp zwei Drittel es im Alltag vor allem Verschiebungen hin zu mehr der Eltern arbeiten nach eigener Wahrnehmung seit Betreuungszeit für die eigenen Kinder. Über die Pandemiebeginn genauso viel wie vorher – bei den Hälfte der Eltern geben an, mit dieser Tätigkeit seit Männern sind es mit 72 Prozent noch einmal mehr Pandemiebeginn mehr Zeit zu verbringen. Sofern als bei den Frauen (59 Prozent). Insgesamt geben mehr als zwei Kinder im Haushalt leben, steigt 12 Prozent der Befragten an, seit der Corona-Krise der Prozentwert noch einmal um Zehn Prozent- weniger zu arbeiten, während 17 Prozent nach eige- nem Ermessen mehr arbeiten. 41 Prozent der Eltern sind seit Beginn der Pandemie öfter im Internet unterwegs, wobei hier nicht nach speziellen Tätig- Stimmung zu Hause zum Befragungszeitpunkt – Haushalte keiten unterschieden wurde. nach Stadtteilen NOCH EINMAL EIN BLICK IN DIE STADTTEILE Als zusammenfassender Indikator können die 80 % Antworten auf die auf Haushaltsebene gestellten 70 % Frage nach der aktuellen Stimmung zu Hause in- terpretiert werden. Dieses Ergebnis lässt sich erneut 60 % gut nach den vier Stadtteilgruppen differenzieren. 50 % Erneut zeigen sich keine gravierenden Unterschiede, aber doch ein Trend zu ungünstigeren Einschätzun- 50 40 % gen in den schlechter situierten Quartieren. Zudem 41 47 38 zeigen sich hier etwas bessere Einschätzungen in 30 % Schwerin. Dessen ungünstig eingestufte Quartiere 20 % ereichen fast das Niveau derausgewählten besser gestellten Stadtteile Bremerhavens. Doch auch 10 % 18 17 12 14 dieser Ergebnis verlangt in den noch ausstehenden 0% Analysen nach einer weiteren Differenzierung. Bremerhaven Schwerin Bremerhaven Schwerin Inbesondere wird zu prüfen sein, inwieweit unter- schlecht schlecht gut situiert gut situiert schiedliche Muster der individuellen Situation für situiert situiert das Ergebnis verantwortich sind oder ob tatsächlich ein stabiler Quartierseffekt nachweisbar ist. sehr gut gut Ausschnitt aus fünfstufiger Antwort von sehr gut bis sehr schlecht
18 FAMILIENALLTAG IN DER CORONA-PANDEMIE PROJEKTREPORT MÄRZ 2022 BESONDERS DER AUSGLEICH DURCH SOZIALE sozialen Netzwerken zu verbringen. Ebenso viele KONTAKTE AUSSERHALB DES EIGENEN HAUS- verbringen mehr Zeit mit dem Handy, der Play HALTS FEHLTE ELTERN UND KINDERN IN DER station oder anderen vergleichbaren Geräten. Auch PANDEMIE andere Tätigkeiten außerhalb des Zuhauses, wie Shopping oder Sport finden seltener statt – eine Für die Zeit, die in der Pandemie vermehrt in die klare Folge der Corona-Maßnahmen, die auch für die beschriebenen Tätigkeiten investiert wurde, fielen Kinder zu starken Einschnitten im Freizeitbereich insbesondere Freizeit mit der Partnerin und dem sowie im Hinblick auf soziale Kontakte geführt Partner und Zeit für soziale Kontakte außerhalb des haben. Haushalts weg. 28 Prozent der befragten Eltern geben an, seit Beginn der Pandemie weniger Gesprä- VERÄNDERTES SCHULLEBEN ALS BESONDERE che mit dem Partner oder der Partnerin zu führen HERAUSFORDERUNG und weniger Freizeit mit dem Partner bzw. der Partnerin zu verbringen. Dies trifft insbesondere auf Mit Blick auf den schulischen Bereich zeigen sich Eltern mit mehr als einem Kind sowie auf Eltern von mehr Unterschiede zwischen den befragten Famili- Kleinkindern zu. Zwei Drittel der befragten Eltern en. 47 Prozent der befragten Schulkinder geben an, verbringen weniger Zeit mit sozialen Kontakten genauso viel Zeit mit Schule und Lernen zu verbrin- außerhalb des Haushalts – bei Familien mit einem gen wie vor der Pandemie. Die restlichen befragten sehr hohen ökonomischen Haushaltsstatus sind es Schülerinnen und Schüler teilen sich etwa gleicher- sogar 74 Prozent der Befragten. Die Ergebnisse maßen auf zwischen Kindern, die mehr Zeit für die zeigen insgesamt, dass die Corona-Pandemie vor Schule investieren und Kindern, die weniger Zeit allem einen Einfluss auf die Freizeit vieler Eltern aufbringen (26 zu 27 Prozent). Hier zeigen sich hatte – ein großer Teil wurde durch Betreuungsar- deutliche Unterschiede entlang der Lebensumstän- beit, aber auch andere Tätigkeiten innerhalb des de der Kinder. Ein Drittel der Kinder, die in einem Haushalts ersetzt. Dies macht auch die deutliche freistehenden Einfamilienhaus leben, machen seit Mehrbelastung für Eltern in den vergangenen zwei Pandemiebeginn laut eigener Wahrnehmung mehr Jahren deutlich – vielfach fehlte den Eltern ein für die Schule, während nur sechs Prozent der positiver Ausgleich zu den körperlichen, aber auch Kinder, die in einem Hochhaus leben, dies so beur- psychischen Belastungen in der Pandemie. So teilen. Hier können natürlich sowohl die Wohnsitua- kommt die Studie des Bundesinstituts für Bevölke- tion als auch andere Rahmenbedingungen, wie die rungsforschung (2021: 73) zu dem Ergebnis, dass Ausstattung mit technischen Geräten und der insbesondere bei Müttern der sogenannte Mental Internetzugang, aber auch die Unterstützung durch Load, das heißt die kognitive Planungsarbeit der die Eltern eine entscheidende Rolle spielen. Familienaufgaben, besonders hoch war und diese Die Ergebnisse zeigen, dass auch die Anzahl der Belastung sich auf verschiedene Aspekte des Wohl- Kinder im Haushalt einen Effekt auf das Lernverhal- befindens auswirken kann. ten bzw. die investierte Zeit in Schulaufgaben hat. Auch bei den befragten Kindern sowie den jüngeren Bei Einzelkindern sind es 39 Prozent, die mehr für Kindern, deren Eltern den Fragebogen stellvertre- die Schule tun, in Haushalten mit mehr als zwei tend ausgefüllt haben, hat sich der Alltag seit Beginn Kindern halbiert sich dieser Prozentwert. Andere der Corona-Pandemie deutlich stärker in die eigenen wissenschaftliche Untersuchungen kommen zu vier Wände verlagert. Der Kontakt zu Gleichaltrigen dem Ergebnis, dass vor allem Schülerinnen und findet bei Schulkindern deutlich stärker über den Schüler aus bildungsfernen Familien oder Schülerin- Austausch in sozialen Medien und weniger über nen und Schüler, die schon vor der Pandemie Treffen mit Freunden statt. 57 Prozent der Kinder leistungsschwächer waren, besonders unter den treffen sich seit Beginn der Pandemie seltener mit Schulschließungen leiden und Lernverluste erlitten Freunden, dafür geben 60 Prozent an, mehr Zeit in haben (siehe z.B. INSM-Bildungsmonitor 2021: 7).
19 FAMILIENALLTAG IN DER CORONA-PANDEMIE PROJEKTREPORT MÄRZ 2022 5. HOMESCHOOLING AUS SICHT VON sich selbst einstufen. 80 Prozent der Kinder hatten das Gefühl, dass ihre Eltern genügend Zeit investiert ELTERN UND KINDERN haben. Lediglich sieben Prozent der Kinder fühlten Viele Eltern schulpflichtiger Kinder empfanden vor sich zeitlich nicht genügend durch ihre Eltern allem die Situation des Homeschoolings während unterstützt, in zwölf Prozent der Fälle nahmen die der Lockdown-Phasen als belastend. Dabei können Kinder die Homeschooling-Situation unterschiedlich unterschiedliche Faktoren eine Rolle spielen – Zeit- wahr. mangel, die räumlichen Rahmenbedingungen, In Bezug auf Hilfestellung bei den Hausaufgaben fehlende technische Ausstattung oder auch die bewerten Eltern und Kinder die Situation ähnlicher. plötzliche veränderte Rollenaufteilung zwischen Die Mehrheit der befragten Erwachsenen sowie der Eltern und Kindern sind nur einige davon. Kinder (jeweils 80 Prozent) ist der Auffassung, dass Fast zwei Drittel der Eltern sind der Meinung, beim sie ihren Kindern bei den Hausaufgaben sehr gut Homeschooling genug Zeit für die Unterstützung oder gut weiterhelfen konnten. Bei Eltern, deren ihrer Kinder gehabt zu haben. Rund 30 Prozent ökonomischer Haushaltsstatus niedrig oder mittel geben an, der Homeschooling-Situation zeitlich ist, sinkt diese Einschätzung um etwa zehn Prozent- nicht gerecht geworden zu sein und rund zehn Pro- punkte. Auch hinsichtlich der Frage, ob die Eltern zent nahmen es unterschiedlich wahr. Die Kinder ihre Kinder gut zum Lernen motivieren konnten, bewerten die zeitliche Verfügbarkeit ihrer Eltern sind die Einschätzungen der Eltern und Kinder fast beim Homeschooling deutlich besser als die Eltern deckungsgleich: So gibt jeweils etwa die Hälfte an, Aussagen zum Thema Homeschooling von Eltern und Kindern Ich habe mir genug Zeit genommen, Meine Eltern haben sich genug um mein Kind/meine Kinder beim 10 7 19 29 27 44 36 6 12 Zeit genommen, um mich beim Homeschooling zu unterstützen. Homeschooling zu unterstützen. Wenn mein(e) Kind(er) Fragen zu Wenn ich Fragen zu den Haus- 8 8 32 44 37 44 5 11 Hausaufgaben hat/haben, kann ich aufgaben habe, können mir gut weiterhelfen. meine Eltern gut weiterhelfen. Ich kann mein Kind/meine Kinder 11 5 28 38 12 12 42 26 4 15 Meine Eltern können mich gut gut zum Lernen motivieren. zum Lernen motivieren. Ich bin beim Homeschooling Ich bin beim Homeschooling häufig mit meinem Kind/meinen 7 7 26 33 20 14 19 31 25 11 häufig mit meinen Eltern anein- Kindern aneinander geraten. ander geraten. Homeschooling mehr Unterstüt- 6 8 14 24 43 zung durch die Schule gewünscht. stimme voll und ganz zu Beim Thema Homeschooling wur- stimme eher zu de zu viel von den Eltern erwartet. 6 9 30 49 stimme eher nicht zu stimme überhaupt nicht zu unterschiedlich/kommt drauf an Angaben in Prozent, Darstellung: Balkendiagramm, Werte „stimme voll und ganz zu“ bis „stimme überhaupt nicht zu“ + „unterschiedlich“
20 FAMILIENALLTAG IN DER CORONA-PANDEMIE PROJEKTREPORT MÄRZ 2022 dass dies sehr gut oder gut gelang. Etwa ein Drittel EIN GROSSTEIL DER ELTERN HÄTTE MEHR UN- der Eltern und der Kinder sind andererseits der TERSTÜTZUNG GEBRAUCHT Meinung, dass die Lernmotivation durch die Eltern Insgesamt zeigt der Vergleich zwischen Eltern und nicht gut geklappt hätte. Hier zeigen sich, sowohl bei Kindern, dass die befragten Eltern die Homeschoo- den Auskünften der Eltern als auch der Kinder, ling-Situation als schwieriger wahrgenommen Unterschiede in Bezug auf die allgemeine Wahrneh- haben als ihre Kinder. Diesbezüglich können unter- mung der eigenen Corona-Betroffenheit: Je schwieri- schiedliche Faktoren eine Rolle spielen. Zum einen ger die Umstände insgesamt wahrgenommen ist nicht auszuschließen, dass die Befragungssituati- wurden, desto weniger konnten die Eltern ihre on der Kinder – der Fragebogen wurde zum Teil mit Kinder zum Lernen motivieren. einem Elternteil zusammen ausgefüllt – teilweise zu Stark auseinander klafft die Einschätzung der Eltern einer positiven Verzerrung der Antworten geführt und Kinder in Bezug auf Konfliktsituationen beim hat. Anderseits ist auch gut vorstellbar, dass Kinder Homeschooling – wieder nehmen die Eltern das eine geringere Erwartungshaltung an ihre Eltern Homeschooling rückblickend deutlich negativer hatten, als diese an sich selbst. Schließlich spielt wahr. So geben fast 53 Prozent der befragten Eltern sicherlich auch die Gesamtbelastung der Eltern und an, dass es sehr oft oder oft zu Konfliktsituationen die Verantwortung für ihre Kinder in dieser Situati- kam, bei den Kindern sind es nur ein Drittel der on eine Rolle für die negativere Wahrnehmung. Befragten. Mütter sind noch deutlich kritischer als Die Überforderung vieler Eltern bezüglich des Väter. Kapp 60 Prozent geben an, häufig mit ihrem Homeschoolings wird auch durch zwei Fragen Kind/ihren Kindern beim Homeschooling aneinan- deutlich, die ausschließlich den Eltern gestellt der geraten zu sein. Bei alleinerziehenden Eltern wurden und das Verhältnis dieser zur Bildungsein- sind es sogar 65 Prozent, die dieser Meinung sind.
21 FAMILIENALLTAG IN DER CORONA-PANDEMIE PROJEKTREPORT MÄRZ 2022 richtung ihrer Kinder betreffen. So wünschen sich vielen Bereichen noch nicht absehbar. Dennoch hat siebzig Prozent der Eltern, sie hätten mehr Unter- sich seit Pandemiebeginn vieles geändert. Obwohl stützung durch die Schule beim Homeschooling durch die massive Omikron-Welle mehr Menschen bekommen. Die mangelnde Unterstützung der als zuvor persönlich von einer Infektion betroffen Schule wird dabei insbesondere von Eltern, die ihre sind – insbesondere Familien mit Kindern – sind die persönliche Corona-Situation insgesamt als (sehr) meisten Krankheitsverläufe, aber auch die angeord- schwierig betrachten, beanstandet. Für fast ein nete Isolation bzw. Quarantäne im wahrsten Sinne Viertel der Befragten war die Unterstützung der oftmals „milder“ als es zu Beginn der Pandemie war. Schule fast immer oder immer ausreichend. Die Viele Menschen – jedoch längst nicht alle – nehmen Meinung, dass die Schule beim Homeschooling zu die Pandemie und das Virus trotz der hohen Inziden- hohe Erwartungen an die Eltern gestellt hätte, zen inzwischen als weniger bedrohlich wahr. Hier vertreten sogar 80 Prozent aller Befragten. Dies wird spielen sowohl gesellschaftliche und medizinische überdurchschnittlich häufig von Alleinerziehenden, Entwicklungen eine Rolle als auch die persönlichen Eltern mit mehr als zwei Kindern und Befragten, die Rahmenbedingungen. Die Ergebnisse dieser Studie ihre persönliche Corona-Situation als schwierig können aufgrund des dynamischen Pandemiever- erachten, so eingeschätzt. laufs nur einen begrenzten Einblick auf die Folgen der Pandemie für Familien geben. 6. ZWISCHENFAZIT UND AUSBLICK SEHR UNTERSCHIEDLICHE ANFORDERUNGEN FÜR ELTERN UND KINDER Die Corona-Pandemie mit all ihren wirtschaftlichen Die hier bisher dargestellten Ergebnisse machen und gesellschaftlichen Folgen ist auch nach zwei jedoch deutlich, dass Eltern und Kinder die Pande- Jahren immer noch das vorrangige Thema in mie zwar nicht gänzlich anders erlebt haben, die Deutschland und vielen anderen Ländern. Die Folgen für das eigene Leben und den eigenen Alltag langfristigen Auswirkungen der Pandemie sind in
22 FAMILIENALLTAG IN DER CORONA-PANDEMIE PROJEKTREPORT MÄRZ 2022 aber durchaus unterschiedlich bewerten. Eltern durch das Leben in einem eher gut bzw. in einem belastet(e) die Pandemie-Situation und insbesonde- eher schlecht situierten Viertel. Zwar bestehen hier re die beiden Phasen der Lockdowns, stärker als ihre oft die erwartbaren Unterschiede, jedoch fallen sie Kinder. Dahinter steht natürlich zum einen das nicht so eindeutig aus, wie zu erwarten gewesen Bewusstsein, für das Wohlergehen der Familie und wäre. Die Corona-Anforderungen können so eine der Kinder verantwortlich zu sein. Hinzu kommt die individuell stabile Familie in einer schlechten reale Schwierigkeit, Familie und Beruf ohne oder mit Lebenssituation möglicherweise weniger zusetzen nur eingeschränkter Kinderbetreuung miteinander als in einer Familie, deren äußere Lebensbedingun- zu vereinbaren. Kommen erschwerte Rahmenbedin- gen gut, deren Zusammenhalt aber weniger positiv gungen hinzu – wie beispielsweise finanzielle oder ausfällt. Diesem Zusammenspiel aus äußeren gesundheitliche Sorgen, eine schwierige räumliche Rahmenbedingungen und individueller Situation oder aber auch familiäre Situation – steigt auch die sind wir bisher erst in Ansätzen nachgegangen. Hier Belastung spürbar. Diese ist neben beruflichen, stehen weitere Auswertungen und abschließende finanziellen oder gesundheitlichen Einschränkun- qualitative Erhebungsbausteine noch aus. gen vor allem auch psychischer Natur. Gerade die Zum Zeitpunkt der Befragung hatten sicherlich viele Ergebnisse im Hinblick auf das Homeschooling Familien die Hoffnung, Corona bald hinter sich zeigen, dass die Eltern möglicherweise auch unter lassen zu können. Diese Hoffnung und die insge- den eigenen Ansprüchen leiden, die Pandemiesitua- samt relativ gute Stimmungslage zum Befragungs- tion bestmöglich zu bewältigen und dem Alltag zeitpunkt im Sommer 2021 spiegeln sich in den ihrer Kinder Stabilität zu geben. Dabei fehlt den Ergebnissen wider. Eine erneute Befragung der meisten Eltern – zumindest in einigen Phasen der Familien zum jetzigen Zeitpunkt wäre mit Sicherheit Pandemie – der Ausgleich durch eigene Freizeit, ein Erkenntnisgewinn. So könnte sich zeigen, ob die Freizeit mit dem Partner oder der Partnerin und Dauer der Pandemie und die ungewisse Zukunft soziale Kontakte außerhalb des Haushalts. eher zu Zermürbungs- oder Gewöhnungsprozessen bei den Familien geführt haben und welche Rolle in WEITERE ANALYSEN ZU AUSWIRKUNGEN DES diesem Zusammenhang soziale Ungleichheit spielt. UMFELDS FOLGEN Dass sozial schwächere Familien öfter von negativen Auch die Kinder erleben die Pandemie in Bezug auf Folgen der Pandemie betroffen sind, bestätigen auch Freizeitmöglichkeiten und soziale Kontakte als die Ergebnisse unserer Studie – sowohl im Hinblick Verschlechterung zu vorher. Mit offenen Schulen auf die Kinder als auch die Eltern. Die Ergebnisse der und Kindergärten ist aber zumindest der Kontakt qualitativen Interviews, die im Rahmen dieses und Austausch mit Gleichaltrigen möglich, der für Projektes durchgeführt wurden und die zurzeit von die Kinder in dieser Pandemiezeit so wichtig ist. der Universität Hamburg ausgewertet werden, Dennoch offenbaren die Ergebnisse auch bei den werden diesbezüglich noch weitere Erkenntnisse Kindern, unabhängig vom Homeschooling, eine bringen. Erste Ergebnisse der qualitativen Familien- Verschiebung des Sozialen sowie des Freizeitverhal- interviews wurden bereits im Kolloquium des WZB tens in die digitale Welt – die Folgen dessen werden „Soziologische Perspektiven auf die Corona-Perspekti- sich erst noch zeigen müssen. Aber es ist anzuneh- ve“ präsentiert. Weitere Ergebnisse sollen im März men und dies deuten auch unsere Ergebnisse an, 2022 in Gremien der Bremerhavener Sozialverwal- dass der familiäre Background der Kinder eine große tung und im Sommer in einem geeigneten Rahmen Rolle bei der Bewältigung der Pandemie spielt. in Schwerin vorgestellt werden. Zudem ist die Möglicherweise ist gerade dieser Effekt sogar größer Veröffentlichung von wissenschaftlichen For- als der äußerer Rahmenbedingungen, ausgedrückt schungsartikeln geplant.
Sie können auch lesen