Gesetzesfolgenabschätzung für Grenzregionen 2018 - Institute for Transnational and Euregional cross border cooperation and Mobility / ITEM

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Gesetzesfolgenabschätzung für Grenzregionen 2018 - Institute for Transnational and Euregional cross border cooperation and Mobility / ITEM
Institute for Transnational and Euregional
                     cross border cooperation and Mobility / ITEM

Gesetzesfolgenabschätzung für Grenzregionen 2018

Zusammenfassung
Gesetzesfolgenabschätzung für Grenzregionen 2018 - Institute for Transnational and Euregional cross border cooperation and Mobility / ITEM
Institute for Transnational and Euregional cross border cooperation and Mobility / ITEM	

Gesetzesfolgenabschätzung für Grenzregionen 2018

Zusammenfassung

Das Institute for Transnational and Euregional cross border cooperation and Mobility / ITEM ist der Dreh- und
Angelpunkt für wissenschaftliche Forschung, Beratung, Wissensaustausch und Fortbildungsmaßnahmen zum
Thema der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und Mobilität.

ITEM ist eine Initiative der niederländischen Universität Maastricht (UM), des Niederländischen Fach- und
Innovationszentrums für gesellschaftliche Auswirkungen des demografischen Wandels (Nederlands Expertise en
Innovatiecentrum Maatschappelijke Effecten Demografische krimp, NEIMED) der Zuyd Hogeschool, der Stadt
Maastricht, der Euregio Maas-Rhein (EMR) und der Provinz Limburg (NL).
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Contents

1. Einleitung                                                                                         1

2. Entwicklung der ITEM Gesetzesfolgenabschätzung für Grenzregionen:
	Prozess und Methode	                                                                                2
    2.1   Der Prozess der Folgenabschätzung	                                                           2
    2.2   Praktische Anwendung der Methodik	                                                           3
    2.3   Die Dossiers der Gesetzesfolgenabschätzung für Grenzregionen von ITEM 2018	                  6

3. Dossiers                                                                                           7
  3.1 Abschätzung der Erhöhung des niedrigen Niederländischen Mehrwertsteuersatzes
		     für Grenzregionen	                                                                              7
  3.2	Die qualifizierende ausländische Steuerzahlerverpflichtung („90 %-Regel“):
		     Eine vorläufige Ex-post-Folgenabschätzung	                                                      9
  3.3 Regelungen zum Renteneintrittsalter in NL/B/DE: eine multidisziplinäre Analyse	                 13
  3.4 Baukindergeld	                                                                                  15
  3.5 Soziale Sicherheit von atypisch Beschäftigten: eine nationale und europäische Herausforderung   18
  3.6 Studentisch Dossier:
		     Die möglichen Auswirkungen des Experiments zur geschlossenen Cannabis-Kette
		     („Experiment gesloten cannabisketen“) auf die Euregios Maas-Rhein und Rhein-Maas-Nord	         20

Anhang -    Die Gesetzesfolgenabschätzung für Grenzregionen von ITEM als
		          Handlungsgrundlage: Rückblick auf die Folgemaßnahmen der
		          Gesetzesfolgenabschätzungenfür Grenzregionen von ITEM
		          aus den Jahren 2016 und 2017                                                              22

Verzeichnis der wissenschaftlichen Mitarbeiter	                                                       24
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1.          Einleitung

Das Institute for Transnational and Euregional cross border cooperation and Mobility / ITEM leistet einen
wissenschaftlichen Beitrag zu grenzüberschreitender Mobilität und Zusammenarbeit. Eine der Hauptaufgaben
besteht darin, im Rahmen der jährlichen Gesetzesfolgenabschätzungen für Grenzregionen Folgen für
Grenzregionen zu analysieren. Seit der Gründung 2015 hat ITEM drei dieser Gesetzesfolgenabschätzungen
vorgenommen. Der aktuelle Bericht ist die neueste Gesetzesfolgenabschätzung für Grenzregionen.1

Anhand der Gesetzesfolgenabschätzung für Grenzregionen bietet ITEM zusätzliche Einblicke in gesetzgeberische
und politische Initiativen auf europäischer und nationaler Ebene. Die Gesetzesfolgenabschätzung von ITEM soll
politischen Entscheidungsträgern auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene als wertvolle
Informationsquelle dienen, wenn sie Entscheidungen über Grenzregionen treffen. Insbesondere helfen die
jährlichen Gesetzesfolgenabschätzungen bei der Feststellung bestehender oder zukünftiger Folgen für
Grenzregionen und leisten so einen Beitrag zur politischen Debatte. Darüber hinaus ermöglichen die
Analyseergebnisse der einzelnen Fälle auch rechtzeitige Anpassungen von Gesetzesvorschlägen, bevor sie
verabschiedet werden.

Die ITEM Gesetzesfolgenabschätzung für Grenzregionen verfolgt zwei Ziele, nämlich die Anerkennung potenzieller
negativer oder positiver Auswirkungen auf geplante gesetzgeberische oder politische Initiativen ex ante und die
Feststellung negativer oder positiver Folgen der aktuellen Politik oder aktuellen Rechtsvorschriften für
Grenzregionen (ex post). Durch das Erreichen dieser Ziele kann der Bericht dazu beitragen, die Ex-ante- und
Ex-post-Bewertung von Rechtsvorschriften und politischen Maßnahmen für die Mitgliedstaaten und regionale
Rechtsetzungsorgane zu erleichtern. Ferner kann die bei diesen Gesetzesfolgenabschätzungen angewandte
Methodik einen Mehrwert für die Ex-ante-Folgenabschätzung durch die EU-Kommission und die Bewertung
bestehender Rechtsvorschriften darstellen. In diesem Kontext hat die Generaldirektion Regionalpolitik und
Stadtentwicklung der EU-Kommission (GD Regio) die Gesetzesfolgenabschätzungen für Grenzregionen von ITEM
in ihrer Mitteilung „Stärkung von Wachstum und Zusammenhalt in den EU-Grenzregionen“ als bewährtes
Verfahren gelobt.2 In derselben Mitteilung wies die Kommission nachdrücklich auf die Bedeutung hin, die der
Feststellung von Folgen für Grenzregionen in gesetzgeberischen und politischen Prozessen zukommt, und setzte
diesen Punkt ausdrücklich auf die politische Agenda.3 Auch auf nationaler Ebene wächst das Bewusstsein über die
Bedeutung der Gesetzesfolgenabschätzungen für Grenzregionen. Unter anderem wies der niederländische
Staatssekretär Knops vor kurzem während einer Parlamentsdebatte auf die Bedeutung von Folgenabschätzungen
im Hinblick auf potenzielle Folgen für Grenzregionen hin.4

Diverse Instrumente zur Abschätzung von Folgen für Grenzregionen bestehen auf europäischer und nationaler
Ebene. Zu diesen Initiativen zählen zum Beispiel die Folgenabschätzung für den Regulierungsrahmen der
EU-Kommission, die territoriale Folgenabschätzung des ESPON und das Impact Assessment Toolkit für
grenzübergreifende Zusammenarbeit des Euroinstituts und des Centre for Cross Border Studies. Jede dieser
Initiativen hat verschiedene Schwerpunkte und Ziele. Die Gesetzesfolgenabschätzung für Grenzregionen von ITEM
dient als Ergänzung dieser bestehenden Abschätzungen. Die Komplementarität des ITEM-Berichts besteht in
erster Linie darin, dass dieser Bericht sich besonders auf eine bestimmte Grenzregion konzentriert.

Die Durchführung detaillierter Folgenabschätzungen, die sich spezifisch mit einer Grenzregion befassen, kann sich
aufgrund der großen Unterschiede, die zwischen den europäischen Grenzregionen bestehen, auf europäischer und
sogar auf nationaler Ebene schwierig gestalten. Eine Studie im Auftrag der EU-Kommission aus dem Jahr 2016
rückt die Bedürfnisse von Grenzregionen aufgrund ihrer charakteristischen Eigenschaften in den Mittelpunkt und

1	Sie finden alle ITEM Gesetzesfolgenabschätzungen für Grenzregionen unter folgendem Link: https://www.maastrichtuniversity.nl/
     research/institutes/item/research/item-cross-border-impact-assessment.
2	Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament – Stärkung von Wachstum und Zusammenhalt in den
     EU-Grenzregionen, COM(2017) 534 final, S. 8.
3    Ebd.
4    Kamerstukken II 2017/18, 32851, 47, S. 18-21.

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zeigt auf, inwieweit sich Grenzregionen voneinander unterscheiden.5 Daher können vorhandene Unterschiede
zwischen den Grenzregionen die Umsetzung von Gesetzesfolgenabschätzungen für Grenzregionen auf
europäischer Ebene erschweren. Darüber hinaus kann der Vorschlag, detaillierte Folgenabschätzungen, die sich
spezifisch mit einer Grenzregion befassen, auf nationaler Ebene von den zuständigen Ministerien ausführen zu
lassen, zu vergleichbaren Problemen führen, da die Diversität von Grenzregionen auch auf nationaler Ebene
erheblich sein kann. Deutschland hat zum Beispiel neun Nachbarländer und daher zahlreiche Grenzregionen.

Dennoch gibt es auf europäischer und nationaler Ebene viele Maßnahmen, die sich mit diesen Herausforderungen
befassen. Derzeit sind Mitarbeiter von ITEM in Projekte der GD Regio und von ESPON involviert, die darauf
abzielen, die Methodiken der Gesetzesfolgenabschätzungen für Grenzregionen auf europäischer Ebene zu
verbessern. In den Niederlanden führt die Regierung aktuell eine Diskussion mit ITEM über die Verbesserung der
regierungseigenen Folgenabschätzungen im Hinblick auf Folgen für Grenzregionen.

Beabsichtigt ist, dass Folgen für Grenzregionen idealerweise auf allen Ebenen bewertet werden sollten: auf
europäischer, nationaler und regionaler Ebene. Angesichts der zahlreichen Grenzregionen und ihrer
unterschiedlichen Eigenschaften ist der Umfang begrenzt, den Folgenabschätzungen auf europäischer und
nationaler Ebene erfassen können. Daraus resultiert ein Bedarf nach zusätzlichen Gesetzesfolgenabschätzungen
für Grenzregionen im kleinen Rahmen und gemäß dem Bottom-up-Ansatz, die von Akteuren in spezifischen
Grenzregionen umgesetzt werden. Diese detaillierten Folgenabschätzungen, die sich spezifisch mit einer
Grenzregion befassen, könnten wiederum zu nationalen und europäischen Abschätzungen beitragen, die die
gesetzgeberischen und politischen Gesetzesfolgenabschätzungen für Grenzregionen thematisieren.

Mit ihrer jährlichen Gesetzesfolgenabschätzung für Grenzregionen versucht ITEM, das vorhandene Bedürfnis nach
detaillierten Folgenabschätzungen, die sich spezifisch mit einer Grenzregion befassen, für viele verschiedene
Themen abzudecken. Das aktuelle Dokument enthält eine Zusammenfassung der Ergebnisse der
Gesetzesfolgenabschätzung für Grenzregionen von ITEM für das Jahr 2018. Die diesjährige Folgenabschätzung
umfasst sechs Dossiers, die sehr unterschiedliche Themen abdecken und sich sowohl mit aktueller als auch
zukünftiger Gesetzgebung und Politik befassen. Die Themen reichen von der Ex-ante-Bewertung des geplanten
deutschen Baukindergelds und der Bewertung des geplanten niederländischen Pilotprojekts für den legalen
Cannabis-Anbau bis hin zur Ex-post-Bewertung der sozialen Absicherung von atypisch Beschäftigten und der
Analyse unterschiedlicher bestehender nationaler Regelungen zum Renteneintrittsalter.

2.	Entwicklung der ITEM Gesetzesfolgenabschätzung für
    Grenzregionen: Prozess und Methode

2.1      Der Prozess der Folgenabschätzung

Ungeachtet der thematischen Unterschiede nutzen die Wissenschaftler der Gesetzesfolgenabschätzung für
Grenzregionen jeweils die Methodik, die von ITEM entwickelt wurde. Die Forschung zur Folgenabschätzung
umfasst fünf Phasen. In der ersten Phase werden die Themen, die in der Folgenabschätzung für das betreffende
Jahr behandelt werden sollen, anhand einer Umfrage ermittelt, die es den Interessenvertretern und anderen
beteiligten Parteien ermöglicht, ITEM über gesetzgeberische und politische Themen zu informieren, die potenziell
Folgen für Grenzregionen haben. Weitere Themen werden anhand der Hauptaufgaben von ITEM ermittelt, zu
denen unter anderem wissenschaftliche Forschung, Beratungstätigkeit, Wissensaustausch und Schulungen
gehören. In der zweiten Phase wertet die ITEM-Arbeitsgruppe Gesetzesfolgenabschätzung für Grenzregionen die
vorgeschlagenen Themen aus. Während der Auswertung konzentriert sich die Arbeitsgruppe (die aus Vertretern
von Partnerorganisationen besteht) auf die Aktualität der Themen, die Beziehung zum Forschungsbereich von
ITEM, die Anzahl der eingereichten Anträge und die Gängigkeit des Themas. Sobald die Themen festgestellt

5	SWECO et al., Collecting solid evidence to assess the needs to be addressed by Interreg cross-border programmes (2015CE160AT044)
    Abschlussbericht 2016, Europäische Kommission.

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wurden, kann die dritte Phase beginnen, in der die Wissenschaftler mit der eigentlichen Forschung beginnen.
Diese Forschungstätigkeit wird in einzelnen Dossiers dokumentiert, die schließlich zur Gesetzesfolgenabschätzung
für Grenzregionen für das betreffende Jahr kombiniert werden.

2.2     Praktische Anwendung der Methodik

Abgrenzung der Forschung – Was ist eine Grenzregion?
Die an der Gesetzesfolgenabschätzung für Grenzregionen beteiligten Forscher wenden dieselbe Methodik an, die
von ITEM entwickelt wurde und an deren Beginn die Definition einer Grenzregion steht. Wie vorstehend erwähnt,
will ITEM die bestehende Lücke füllen, die detailliertere Folgenabschätzungen, die sich spezifisch mit einer
Grenzregion befassen, erfordert. Die Grenzen, die Gegenstand der Gesetzesfolgenabschätzung für Grenzregionen
sind, umschließen die Grenzregionen nahe der Grenzen zwischen den Niederlanden, Belgien und Deutschland.
Daher handelt es sich um eine weit gefasste Definition, die für die gesamte Folgenabschätzung gilt. Verschiedene
Themen können zu einer anderen Definition der Grenze führen. Daher wird diese Definition in den einzelnen
Dossiers dieses Berichts je nach Thema spezifiziert. Grundlage für diese dossierbasierte Definition von Grenze ist,
dass sich allgemein nur wenige oder gar keine generischen Ursachen der Folgen für Grenzregionen feststellen
lassen. Diese Themen sind in der nationalen Umsetzung von EU-Recht, dem Grad der Koordination zwischen den
Nachbarländern und der Gestaltung bestimmter nationaler Gesetzgebung oder Politik verwurzelt.

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass ITEM eine wirklich grenzübergreifende Perspektive im Zusammenhang mit
einer Grenzregion (im Gegensatz zu einer nationalen Perspektive) anstrebt. Die Entscheidung für eine solche
Perspektive ist bewusst, da so vermieden wird, dass die nationale Perspektive in den Mittelpunkt rückt. Dabei
besteht die Gefahr, dass in einem Punkt eine bestimmte nationale Perspektive gegenüber einer wirklich
grenzübergreifenden Perspektive bevorzugt würde. Um diese Perspektive möglichst umfassend zu
berücksichtigen, dienen als Grundlage der Gesetzesfolgenabschätzung für Grenzregionen von ITEM nicht nur die
Grenzregionen von den Niederlanden, Belgien und Deutschland, sondern die grenzübergreifenden Euregios in
diesem Gebiet.

Abbildung 1 Grenzübergreifende Partnerschaften B/NL/DE/LU

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Gemäß dieser grenzübergreifenden, dossierbasierten Definition einer Grenzregion können wir feststellen, dass
sich die diesjährige Gesetzesfolgenabschätzung für Grenzregionen tatsächlich auf diverse verschiedene Grenzen in
der Grenzregion zwischen den Niederlanden, Belgien und Deutschland konzentriert. Unter anderem befasste sich
das studentische Team, das mit der Erforschung des niederländischen Pilotprojekts zum legalen Cannabis-Anbau
beauftragt war, sowohl mit der Euregio Maas-Rhein als auch mit der Euregio Rhein-Maas-Nord. Im Dossier über
die qualifizierende ausländische Steuerzahlerverpflichtung („90 %-Regel“) wurde die Grenzregion als die
niederländischen NUTS3/COROP-Gebiete identifiziert, die direkt entlang der niederländisch-belgischen und
niederländisch-deutschen Grenze angesiedelt sind. Im Dossier zur sozialen Absicherung von atypisch
Beschäftigten wird der Begriff „Grenzregion“ wiederum breit ausgelegt. Somit wendet sich das Dossier an den Teil
der Niederlande, in dem grenzübergreifende Beschäftigung möglich ist. Im Dossier zum Baukindergeld standen die
politischen Akteure an der deutschen Grenze, wie Gemeinden, Landkreise oder Regierungsbezirke, im Mittelpunkt.

Zusätzlich zu dieser räumlichen Eingrenzung der Grenzregion verwenden die Wissenschaftler auch andere
Eingrenzungen, die für ihre Forschung relevant sind.

Ermittlung der zentralen Themen, Grundsätze, Benchmarks und Indikatoren für die Forschung
Folgen für Grenzregionen präsentieren sich in vielen Arten und Formen. Die Gesetzesfolgenabschätzung für
Grenzregionen von ITEM konzentriert sich auf drei übergeordnete Themen, deren Folgen für Grenzregionen
analysiert werden:

1.	Europäische Integration: die Folgen bestimmter Gesetzgebung und Politik für Grenzregionen aus der
    Perspektive von Einzelpersonen, Verbänden und Unternehmen im Zusammenhang mit den Zielen und
    Grundsätzen der europäischen Integration (d.h. Freiheiten, Unionsbürgerschaft und Gleichbehandlung)
2.	Sozioökonomische/nachhaltige Entwicklung: die Folgen von Gesetzgebung und Politik auf die wirtschaftliche
    Entwicklung für die Grenzregion
3.	Euregionaler Zusammenhalt: die Folgen von Gesetzgebung und Politik auf Zusammenhalt und
    grenzübergreifende Verwaltungsstrukturen für Grenzregionen (z.B. Zusammenarbeit mit staatlichen
    Behörden, Privatpersonen, dem Unternehmenssektor usw.).

Beim ersten Thema geht es um die möglichen Auswirkungen der Gesetzgebung auf Einzelpersonen, die in
Grenzregionen wohnen und arbeiten. Dossiers, die sich auf europäische Integration konzentrieren, befassen sich
mit Fragen wie zum Beispiel, inwieweit bestimmte Gesetzgebungs- oder politische Maßnahmen gegen die
Grundsätze der Gleichbehandlung und der Freizügigkeit verstoßen. Im Dossier zum Baukindergeld geht es zum
Beispiel um europäische Integration und Gleichbehandlung. Ein weiteres Beispiel ist die Frage nach Unterschieden
beim Renteneintrittsalter und die Folgen für Grenzgänger. Ein drittes Beispiel ist das Dossier, in dem die Situation
von Grenzgängern in atypischen Beschäftigungsverhältnissen untersucht wird. Diese Maßnahmen beziehen sich
auf die allgemeine Frage nach der Gleichbehandlung auf einem grenzübergreifenden Arbeitsmarkt.

Forscher, die sich auf die sozioökonomische/nachhaltige Entwicklung bestimmter Maßnahmen konzentrieren,
haben eine andere Perspektive. Ihre Forschung konzentriert sich auf Fragen, die im Zusammenhang mit der
Funktionsweise der grenzübergreifenden und euregionalen Wirtschaft stehen. Die diesjährige Bewertung der
Steuerregelung für Arbeitnehmer, die in den Niederlanden beschäftigt sind, aber außerhalb der Niederlande leben
(„90 %-Regel“), zeigt dies eindrucksvoll. Ein weiteres Beispiel für die aktuelle Folgenabschätzung ist die Ex-ante-
Bewertung der geplanten Erhöhung des niedrigen Steuersatzes in den Niederlanden. Die entscheidenden Fragen
drehen sich um die möglichen Folgen der Erhöhung für Verbraucher und Unternehmen, den Umstand, ob die
beteiligten Parteien in den Niederlanden einer möglicherweise ungerechten Wettbewerbssituation ausgesetzt
sind, sowie die Einschätzung, was dies für Investitionen und die Beschäftigung bedeutet. Das Dossier über das
niederländische Pilotprojekt zum legalen Cannabis-Anbau ist ein weiteres Beispiel. In diesem Dossier bewerteten
Forscher die möglichen Auswirkungen des Pilotprojekts auf sozioökonomische und nachhaltige Entwicklung,
indem sie sich auf die Auswirkungen der Politik auf Beschäftigung und Besteuerung konzentrierten.

Schließlich können Forscher auch fragen, welche Folgen für Grenzregionen eine bestimmte Maßnahme auf den
euregionalen Zusammenhalt, d.h. auf die Zusammenarbeit von Einrichtungen, die Wirtschaft, Kontakte und die
Haltung der Bürger zu grenzübergreifenden Aktivitäten haben kann. Solche Aspekte spielen eine wichtige Rolle bei
der Bewertung der Beziehungen zwischen der Schaffung und Verwaltung der Euregios und der euregionalen
Mentalität der Bürger. Zum Beispiel hat das Team, das die Auswirkungen des Pilotprojekts zum legalen Cannabis-

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Anbau auswertet, die Auswirkungen der Entkriminalisierung des Anbaus und des Verkaufs von Cannabis auf den
Zusammenhalt in den Euregios Maas-Rhein und Rhein-Maas-Nord analysiert. Darüber hinaus werden im Dossier
zur sozialen Absicherung von atypisch Beschäftigten die Auswirkungen der bestehenden EU-weiten
sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften auf den euregionalen Zusammenhalt analysiert.

Dossiers können sich abhängig von der Bedeutung der Themen für ihr Forschungsgebiet, dem Umfang ihrer
Forschung und der Verfügbarkeit der benötigten Daten auf eines oder auf alle dieser Themen konzentrieren. Die
Forschungsarbeit im Rahmen der Gesetzesfolgenabschätzung für Grenzregionen 2018 stützte sich nicht nur auf
Quellen aus Gesetzgebung und Politik, sondern auch auf empirische Daten, die von spezialisierten Einrichtungen
und den Forschern selbst stammen. Zum Beispiel basieren die Forschungsergebnisse des Dossiers über die
qualifizierende ausländische Steuerzahlerverpflichtung („90 %-Regel“) auf Daten des niederländischen
Statistikamts „Centraal Bureau voor de Statistiek“ (CBS).

Nach Auswahl der Themen im Zusammenhang mit ihrem Dossier ermitteln die Forscher die Grundlagen, die für ihr
Dossier relevant sind. Diese Grundlagen dienen anschließend als Basis für die Entwicklung von Benchmark-Kriterien
und letztendlich Indikatoren, anhand derer geprüft wird, ob Gesetze oder andere Vorschriften bewährte Verfahren
unterstützen oder eventuell behindern. Die nachstehende Tabelle 1 enthält Beispiele für Grundlagen, Benchmarks
und Indikatoren zu den drei Forschungsthemen der Gesetzesfolgenabschätzung für Grenzregionen von ITEM.

Tabelle 1: Beispiele für Grundlagen, Benchmarks und Indikatoren

 Forschungsthemen             Grundlagen                       Benchmarks                   Indikatoren
 1. Europäische               Europäische Integration          Keine Grenzkontrollen,       Anzahl der
 Integration                  EU-Bürgerschaft                  Freizügigkeit des            Grenzkontrollen,
                              Gleichbehandlung                 Arbeitsmarktes,              grenzüberschreitender
                                                               Erleichterung der            Pendelverkehr, Dauer und
                                                               Anerkennung von              Kosten der Anerkennung
                                                               Qualifikationen,             von Zeugnissen, Zugang
                                                               angemessene                  zum Wohnungsmarkt usw.
                                                               Koordinierung der Systeme
                                                               der sozialen Sicherheit,
                                                               Steuern

 2. Sozioökonomische          Regionale                        Grenzübergreifende           Euregional: BIP,
 /nachhaltige                 Wettbewerbsstärke,               Initiativen für              Arbeitslosigkeit, Qualität
 Entwicklung                  nachhaltige Entwicklung          Unternehmensgründungen,      des grenzüberschreitenden
                              von Grenzregionen                euregionale                  Clusters, Umweltbelastung
                                                               Arbeitsmarktstrategie,       (Emissionen), Armut
                                                               grenzübergreifende
                                                               Raumplanung

 3. Euregionaler              Grenzübergreifende               Funktionsweise               Die Anzahl
 Zusammenhalt                 Zusammenarbeit/                  grenzübergreifender          grenzübergreifender
                              verantwortungsvolle              Dienstleistungen,            Einrichtungen, die Qualität
                              Staatsführung,                   Zusammenarbeit mit           der Zusammenarbeit (im
                              euregionaler                     Organisationen,              Vergleich zur
                              Zusammenhalt                     Koordinationsverfahren,      Vergangenheit),
                                                               Verbände                     Entwicklung euregionaler
                                                                                            Verwaltungsstrukturen,
                                                                                            Quantität und Qualität
                                                                                            grenzübergreifender
                                                                                            Projekte

Entwicklung der ITEM Gesetzesfolgenabschätzung für Grenzregionen: Prozess und Methode                              -5-
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2.3	Die Dossiers der Gesetzesfolgenabschätzung für Grenzregionen von ITEM 2018

Die Umfrage für die diesjährige Folgenabschätzung fand von November 2017 bis Januar 2018 unter den ITEM-
Vertretern und anderen beteiligten Parteien statt. ITEM erhielt von verschiedenen Partnern zwölf Reaktionen auf
den Fragebogen. Darüber hinaus wurden im Rahmen der täglichen Aktivitäten von ITEM diverse Themen
vorgeschlagen; zwei weitere Themen wurden im Anschluss an einen Quickscan durch ITEM ermittelt. Nach der
Überprüfung der Dossiers und der Themen wählte die Arbeitsgruppe Gesetzesfolgenabschätzung für
Grenzregionen schließlich sechs Themen aus. Die fertiggestellten Dossiers sind das Ergebnis einer fruchtbaren
Zusammenarbeit zwischen ITEM, Forschern und Partnern. Wie schon bei den Folgenabschätzungen 2016 und 2017
wurden manche Forschungsdossiers durch die Mitarbeit diverser Studenten und Studentinnen ermöglicht. Tabelle
2 bietet einen Überblick über die Themen und die Forschungsdossiers der Gesetzesfolgenabschätzung für
Grenzregionen von ITEM 2018.

Tabelle 2: Themen der Gesetzesfolgenabschätzung für Grenzregionen von ITEM 2018

 Nr.     Thema                               Spezifizierung
 Dossiers

 1.      Abschätzung der Erhöhung des        Im Dossier werden die möglichen Folgen der Erhöhung des niedrigen
         niedrigen Niederländischen          Steuersatzes in den Niederlanden für Grenzregionen untersucht. Die
         Mehrwertsteuersatzes für            Untersuchung konzentrierte sich auf die Ex-ante-Einschätzung der
         Grenzregionen                       wirtschaftlichen Folgen der Erhöhung.

 2.      Die qualifizierende                 Die Forscher konzentrierten sich auf die Untersuchung von Trends im
         ausländische                        Zeitraum 2013 bis 2016 um herauszufinden, ob sich nach Inkrafttreten der
         Steuerzahlerverpflichtung           90 %-Regel wesentliche Änderungen an der Anzahl und der
         („90 %-Regel“): Eine vorläufige     Zusammensetzung ausländischer Arbeitnehmer in den Niederlanden
         Ex-post-Folgenabschätzung.          ergaben.

 3.      Regelungen zum                      Das Dossier enthält eine Analyse der Folgen unterschiedlicher nationaler
         Renteneintrittsalter in NL/B/       Vorschriften zum Renteneintrittsalter für Grenzregionen. Die Analyse ist
         DE: Eine multidisziplinäre          multidisziplinär, weil sie verschiedene Perspektiven (Besteuerung, soziale
         Analyse                             Absicherung und Renten) berücksichtigt.

 4.      Baukindergeld                       Ex-ante-Untersuchung des geplanten deutschen Baukindergelds. Im Dossier
                                             werden die Folgen der Maßnahme für Grenzregionen ausführlich
                                             untersucht; ferner werden mögliche Lösungen zur Verbesserung der
                                             Regelung für Grenzgänger erforscht.

 5.      Soziale Sicherheit von atypisch     Im Dossier wird die Position atypisch Beschäftigter untersucht, indem die
         Beschäftigten: Eine nationale       bestehenden Sozialversicherungsgesetze untersucht werden (ex post).
         und europäische
         Herausforderung

 Studentisch Dossier

 6.      Die möglichen Auswirkungen          Das Dossier enthält eine Ex-ante-Abschätzung der Folgen im
         des Experiments zur                 Zusammenhang mit dem geplanten niederländischen Pilotprojekt zum
         geschlossenen Cannabis-Kette        legalen Cannabis-Anbau für Grenzregionen.
         („Experiment gesloten
         cannabisketen“) auf die
         Euregios Maas-Rhein und
         Rhein-Maas-Nord.

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3.          Dossiers

3.1	Abschätzung der Erhöhung des niedrigen Niederländischen
		 Mehrwertsteuersatzes für Grenzregionen

Prof. Dr. Frank Cörvers
Kars van Oosterhout, MSc

In der Koalitionsvereinbarung des Kabinetts Rutte-III ist die Absicht festgelegt, den niedrigen Mehrwertsteuersatz
zum 1. Januar 2019 von 6 % auf 9 % zu erhöhen. Die Erhöhung gilt für den Verkauf von unter anderem Gemüse,
Obst und vielen weiteren Lebensmitteln, Medikamenten, Büchern sowie Reparaturdienstleistungen für Kleidung,
Schuhe und Fahrräder. Aufgrund der Erhöhung liegt der niedrige Mehrwertsteuersatz in den Niederlanden
zukünftig über dem niedrigsten Mehrwertsteuersatz in Belgien (6 %) und dem niedrigen Mehrwertsteuersatz in
Deutschland (7 %). In diesem Dossier befassen wir uns mit den potenziellen Folgen dieser geplanten Erhöhung des
Mehrwertsteuersatzes für Grenzregionen. Wir konzentrieren uns dabei in erster Linie auf die Ex-ante-Abschätzung
der wirtschaftlichen Folgen; die Folgen für die EU-Integration der Gesetzgebung und den euregionalen
Zusammenhalt werden in geringerem Umfang behandelt.

Auf Drängen des EU-Parlaments und des Europäischen Rates entwickelt die Europäische Kommission derzeit Pläne
für ein System, bei dem die Besteuerung im Land des Ankaufs anstelle des Verkaufs stattfindet. Diese
Kursänderung ermöglicht es, die bestehenden Vorschriften zur Mehrwertsteuerharmonisierung zu erweitern, und
bietet nationalen Behörden in Zukunft mehr Spielraum, um ihre eigenen Sätze festzulegen. Damit steht zu
erwarten, dass Entscheidungen über Mehrwertsteuersätze zunehmend als nationale Fragen erachtet werden.
Dabei können erhebliche Unterschiede zwischen Ländern entstehen, wobei – wie der aktuelle niederländische
Kontext verspricht – Folgen für Grenzregionen kaum berücksichtigt werden.

Um die Folgen der geplanten Erhöhung des niedrigen Mehrwertsteuersatzes für Grenzregionen abzuschätzen, wird
zunächst die wissenschaftliche Literatur zu Folgen für Grenzregionen und zu den Folgen früherer Veränderungen
bei indirekten Steuern in den Niederlanden untersucht. Anschließend befassen wir uns mit dem spezifischen Fall,
nämlich der Situation in den niederländischen Grenzregionen. Unter anderem besprechen wir diverse
Schlüsseldaten über die Anzahl der Einwohner und Unternehmer in der niederländischen Grenzregion sowie ihren
Beitrag zu den Mehrwertsteuereinnahmen. Ferner gehen wir auf die aktuellen Preisunterschiede sowohl zwischen
den Niederlanden und ihren Nachbarländern als auch auf die Unterschiede zwischen den Grenzregionen und den
Nicht-Grenzregionen innerhalb der Niederlande ein. Dazu nutzen wir sekundäre Datenquellen, die durch eigene
Analysen ergänzt werden. Anhand von Kaufstromuntersuchungen und zusätzlichen Informationen einer
Discounterkette untersuchen wir den Umfang, in dem Einwohner der niederländischen Grenzregion aktuell bereit
sind, unter anderem aufgrund von Preisvorteilen ihre Einkäufe im Ausland zu tätigen. Aufgrund dieser Daten
erstellen wir anschließend eine Ex-ante-Abschätzung der spezifischen Folgen der Mehrwertsteuererhöhung für die
wirtschaftliche Situation in der Grenzregion, unter anderem für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, das
Preisniveau, die Steuereinnahmen und die (grenzübergreifenden) Kaufströme.

Aus der Literaturrecherche geht hervor, dass die Frage, wie Unternehmer und Verbraucher auf eine Erhöhung der
indirekten Steuern reagieren, nicht eindeutig beantwortet werden kann, vor allem nicht für die Grenzregionen. Die
Frage lautet, inwieweit die Mehrwertsteuererhöhung zu höheren Preisen für die Verbraucher und dadurch zu
niedrigeren Verkäufen und Umsätzen der Unternehmen führt. Das Zentrale Planungsbüro der Niederlande
(Centraal Planbureau, CPB) präsentiert die Hypothese, dass die Steuererhöhung für die Niederlande insgesamt zu
drei Vierteln von den Verbrauchern und zu einem Viertel von den Unternehmen bezahlt wird. Wenn die Erhöhung
des niedrigen Mehrwertsteuersatzes komplett an die Verbraucher weitergegeben wird, führt das zu einer
Preiserhöhung von fast 3 %. Aus Studien zu früheren Steuererhöhungen geht allerdings hervor, dass eine derartige
Preiserhöhung höchst unsicher ist und wesentlich von der Art des Produkts oder der Dienstleistung abhängt. In
manchen Fällen wird es eventuell kaum zu einer Preiserhöhung kommen, in anderen Fällen möglicherweise sogar
zu einer Preiserhöhung, die so hoch ist, dass sie nicht durch Mehrwertsteuererhöhung gerechtfertigt ist.

Unsicherheit besteht vor allem, was die Folgen der anstehenden Mehrwertsteuererhöhung für die Grenzregionen
bedeutet. Aus der untersuchten Literatur geht hervor, dass die Preiserhöhungen in Grenzregionen sowohl über als

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auch unter dem landesweiten Durchschnitt liegen können. Einerseits nährt die vorhandene Literatur Erwartungen,
dass die Preiserhöhungen an der Grenze nicht so hoch ausfallen wie in den zentraleren Regionen, da die
Konkurrenz auf der anderen Seite der Grenze die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes bei der Preisgestaltung
nicht zu berücksichtigen braucht. Andererseits sind die Preise für diverse Produkte und Dienstleistungen bei der
Konkurrenz in den Grenzregionen zu Belgien und Deutschland derzeit höher, sodass in den niederländischen
Grenzregionen eventuell mehr Spielraum für eine Preiserhöhung besteht. Mit anderen Worten: Für Verbraucher
und Unternehmen in den Grenzregionen besteht im Hinblick auf den Rest der Niederlande besonders hohe
Unsicherheit angesichts der Mehrwertsteuererhöhung. Das gilt nicht nur für die Preise, die die Verbraucher
bezahlen müssen, sondern auch für die Auswirkungen auf den Umsatz und den Gewinn von Unternehmen, das
Einkommen der Unternehmer, die Beschäftigung und das Wirtschaftswachstum in den Grenzregionen.

Der Umfang der Folgen für die Grenzregionen hängt von den Preisunterschieden zwischen den Regionen auf
beiden Seiten der Grenze und der Bereitschaft ab, Einkäufe über eine größere Entfernung hinweg zu tätigen. Es
zeigt sich, dass die Bereitschaft, weiter entfernt im Ausland Einkäufe zu tätigen, stark vom Kontext abhängt.
Faktoren, die dabei eine Rolle spielen, sind unter anderem die geografischen Umstände an der jeweiligen Grenze,
die Wahrnehmung der Preisunterschiede durch Verbraucher und der Grad, in dem die Waren im Ausland die
niederländischen Waren ersetzen können, was umso mehr gilt, wenn es sich um identische Waren handelt, die
eine hohe Haltbarkeit haben und einfach zu transportieren sind. Da Verbraucher Waren gerne an einem einzigen
Ort kaufen, wird deutlich, dass eine Veränderung bei den indirekten Steuern auch Auswirkungen auf Waren haben
kann, die nicht unter diesen Steuersatz fallen, aber in denselben Geschäften oder an denselben Standorten
verkauft werden. Das alles kann bedeuten, dass Unternehmer in der Grenzregion in manchen Fällen mehr oder in
anderen Fällen weniger Spielraum haben, eine Erhöhung der indirekten Steuern an die Verbraucher weiterzugeben.

Für 13 % der niederländischen Bevölkerung ist die Grenze nur einen Steinwurf entfernt, d.h. höchstens 10 km, und
fast ein Drittel der Bevölkerung wohnt innerhalb von 30 km Entfernung zu einer Landesgrenze. Obwohl genaue
Daten fehlen, schätzen wir, dass die Steuereinnahmen aus dem niedrigen Mehrwertsteuersatz durch die geplante
Mehrwertsteuererhöhung um rund 800 Millionen Euro auf 2,4 Milliarden Euro in der erweiterten Grenzregion
steigen werden; fast eine Milliarde Euro wird in einem Umkreis von bis zu 10 km von der Grenze anfallen. Aufgrund
der hohen Anzahl der Personen, die in weiterem Sinne in den Grenzregionen leben, können auch eine relativ
geringe Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit und eine geringe Verlagerung bei den Ausgaben zu einem
Umsatzverlust von vielen Millionen Euro für Unternehmer sowie einem Verlust an Steuereinnahmen für den
niederländischen Staat führen. Für Verbraucher und Unternehmen in den Grenzregionen besteht im Hinblick auf
den Rest der Niederlande besonders hohe Unsicherheit angesichts der Mehrwertsteuererhöhung.

Preisunterschiede bei Lebensmitteln, die einen großen Teil der Einnahmen aus dem niedrigen Mehrwertsteuersatz
darstellen, variieren erheblich zwischen den Niederlanden und dem Ausland. Im Durchschnitt ist das Preisniveau
bei Lebensmitteln in den Niederlanden allerdings wesentlich niedriger als in Belgien (gut 10 %). Der
Preisunterschied zu Deutschland fällt geringer aus, aber auch hier scheinen die Preise in den Niederlanden im
Durchschnitt günstiger zu sein (ca. 5 %). Es ist möglich, dass die Preise in der Grenzregion aufgrund der relativ
geringen Konkurrenz aus dem Ausland etwas höher sind als im Rest der Niederlande. Zum Beispiel sind die Preise
in den Jumbo-Filialen in Grenznähe relativ hoch, während die Preise in Gemeinden, die weiter entfernt von der
Grenze sind, niedriger ausfallen.

Aus Kaufstromuntersuchungen geht hervor, dass die Preisunterschiede in der Grenzregion groß genug sind, um
grenzüberschreitende Kaufströme zu verursachen. Ein Viertel der niederländischen Haushalte tätigt für
durchschnittlich 50 Euro pro Monat Einkäufe im Ausland, was einem Betrag von 1 Milliarde Euro pro Jahr
entspricht. Im Gegenzug geben Belgier und Deutsche in den Niederlanden noch mehr aus. In Limburg, der Region
mit den bei weitem größten grenzüberschreitenden Kaufströmen, geben Ausländer wesentlich mehr (473
Millionen Euro) aus als Limburger im Ausland (228 Millionen Euro). Aus zusätzlichen Informationen eines
Discounter-Supermarkts geht hervor, dass in Limburg vor allem Deutsche und weniger Belgier
grenzüberschreitende Einkäufe tätigen, was möglicherweise auf bestimmte Einkaufspräferenzen und
geografische Bedingungen zurückzuführen ist.

Wenn irgendwo Folgen für Grenzregionen entstehen, dann ist deutlich, dass Limburg, vor allem an der Grenze zu
Deutschland, am stärksten betroffen sein wird, da die grenzüberschreitenden Kaufströme aufgrund der
geografischen Bedingungen hier am größten sind. Direkt an der Grenze sind die Folgen für Grenzregionen in der

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Regel wesentlich größer als weiter im Inland. Insbesondere örtlich begrenzt entlang der Grenze, vor allem an der
Grenze zu Deutschland, kann nicht ausgeschlossen werden, dass insbesondere kleine und mittelgroße
Unternehmen (z.B. Supermärkte, Drogerien, Bäcker, Fleischer, Obst- und Gemüsehändler) von der
Mehrwertsteuererhöhung betroffen sein werden, da sie aufgrund von Preiserhöhungen Umsatzverluste bzw.
Gewinnausfälle oder Einkommensverluste erleiden, wenn sie ihre Preise nicht erhöhen. Angesichts der
niederländischen und europäischen Mehrwertsteuerpolitik ist es außerdem wahrscheinlich, dass sich nationale
Mehrwertsteuersätze in Zukunft noch weiter auseinanderbewegen und die sich daraus ergebenden Folgen für
Grenzregionen zunehmen. Für Unternehmer und Bürger in europäischen Grenzregionen bedeutet das, dass die
Landesgrenze im Hinblick auf den Alltag und auf Einkäufe eine relevante Trennlinie bleibt.

3.2 Die qualifizierende ausländische Steuerzahlerverpflichtung („90 %-Regel“):
		 Eine vorläufige Ex-post-Folgenabschätzung

Prof. Dr. Maarten Vink
Johan van der Valk
Sem Duijndam

Die qualifizierende ausländische Steuerzahlerverpflichtung (im Folgenden „90 %-Regel“), die am 1. Januar 2015 in
Kraft trat, schreibt vor, dass nicht-ansässige Steuerpflichtige in den Niederlanden nur dann die gleichen Abzüge und
Steuergutschriften wie gebietsansässige Steuerpflichtige in Anspruch nehmen können, wenn sie mindestens 90
Prozent ihres Gesamteinkommens in den Niederlanden verdienen. Aufgrund dieses neuen Systems besteht für
diese nicht-ansässigen Arbeitnehmer das Risiko, dass ihnen Steuervorteile (z.B. Hypothekarzinsenabzüge für selbst
genutzte Wohnungen) entgehen, wenn sie weder 90 % ihres Gesamteinkommens in den Niederlanden verdienen
noch über ein ausreichendes steuerpflichtiges Einkommen in ihrem Wohnsitzland verfügen. Darüber hinaus kann
die Regel sich vor allem auf Grenzgänger auswirken und nachteilige wirtschaftliche Auswirkungen auf diese haben,
wenn die nicht-ansässigen Arbeitnehmer sich gegen eine Beschäftigung in den Niederlanden entscheiden und
lieber in einem anderen Land arbeiten. In einem solchen Szenario sollten sich Arbeitgeber in Grenzregionen genauer
mit dieser Regel befassen, da die Mehrheit der nicht-ansässigen Arbeitnehmer in Gebieten an der niederländischen
Grenze beschäftigt ist. In dieser Übersicht über die möglichen Folgen der 90 %-Regel konzentrieren wir uns auf die
Personen, die in den Niederlanden beschäftigt sind, aber außerhalb der Niederlande wohnen, da sie wahrscheinlich
die zahlenmäßig größte Gruppe darstellen, die von der Regel betroffen ist. Ziel dieser vorläufigen Ex-post-Analyse
ist es, Trends der Jahre 2013 bis 2016 im Hinblick auf die Anzahl der nicht-ansässigen Arbeitnehmern zu untersuchen,
um herauszufinden, ob sich wesentliche Änderungen bei der Anzahl und Zusammensetzung der nicht-ansässigen
Arbeitnehmer in den Niederlanden ergaben, nachdem die 90 %-Regel in Kraft trat.

Tabelle 1 zeigt die Anzahl der nicht-ansässigen Arbeitnehmer in den Niederlanden in den Jahren 2013 bis 2016 sowie
die Staatsangehörigkeiten und Wohnländer der nicht-ansässigen Arbeitnehmer. Die Anzahl der nicht-ansässigen
Arbeitnehmer hat in diesem Zeitraum wesentlich zugenommen. Während die Zahl der nicht-ansässigen
Arbeitnehmer 2013 knapp über 130.000 lag, stieg sie bis 2016 auf über 185.000. Der Anstieg ist vor allem auf den
Zuzug polnischer nicht-ansässiger Arbeitnehmer in diesem Zeitraum zurückzuführen. Die Anzahl der nicht-
ansässigen Arbeitnehmer, die in Belgien oder Deutschland wohnen, ist nur leicht gestiegen. Die meisten
niederländischen nicht-ansässigen Arbeitnehmer wohnen in Belgien oder Deutschland; ihre Zahl ist seit 2013
ebenfalls nur leicht gestiegen.

Ein Blick auf den Beschäftigungssektor zeigt, dass die meisten nicht-ansässigen Arbeitnehmer im gewerblichen
Sektor arbeiten. Diese nicht-ansässigen Arbeitnehmer haben überwiegend die polnische Staatsangehörigkeit.
Daher ist es nicht überraschend, dass die Anzahl der nicht-ansässigen Arbeitnehmer, die im gewerblichen Sektor
beschäftigt sind, seit 2013 deutlich gestiegen ist (von 85.800 im Jahr 2013 auf 133.300 im Jahr 2016), was mit dem
hohen Anstieg der Zahl polnischer nicht-ansässiger Arbeitnehmer im selben Zeitraum einhergeht. Die Anzahl der
nicht-ansässigen Arbeitnehmer, die in der Industrie oder im öffentlichen oder sozialen Sektor arbeiten, blieb im
Zeitraum von 2013 bis 2016 relativ konstant bei 20.000. In beiden Bereichen sind hauptsächlich niederländische
Staatsangehörige beschäftigt, obwohl hier auch eine signifikante Anzahl an Belgiern und Deutschen vertreten ist.
In den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei sind nur wenige nicht-ansässige Arbeitnehmer
beschäftigt; hier sind auch keine nennenswerten Änderungen zu verzeichnen.

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Über die Hälfte der nicht-ansässigen Arbeitnehmer arbeitet in den Grenzregionen. Die meisten dieser nicht-
ansässigen Arbeitnehmer wohnen entweder in Belgien oder Deutschland. Das geht auch deutlich aus Abbildung 1
hervor, wo die Anzahl der nicht-ansässigen Arbeitnehmer, die in Belgien oder Deutschland wohnt, als prozentualer
Anteil an der Gesamtzahl der Berufstätigen für das Jahr 2016 dargestellt ist (nur dieses Jahr wird dargestellt, da es
kaum Änderungen im Verlauf der Zeit gibt). Es ist nicht verwunderlich, dass die meisten nicht-ansässigen
Arbeitnehmer in Grenzregionen an der deutschen Grenze die deutsche Staatsangehörigkeit haben, während die,
die an der belgischen Grenze wohnen, die belgische Staatsangehörigkeit haben. Manche Grenzregionen teilen sich
eine Grenze mit Belgien und Deutschland (Midden-Limburg und Zuid-Limburg). In Midden-Limburg wohnten 3,6
% der Berufstätigen im Jahr 2016 entweder in Belgien oder Deutschland, während es in Zuid-Limburg 5,6 % waren.
In den meisten (Grenz-)Regionen blieben die Anteile im Zeitraum von 2013 bis 2016 nahezu konstant; ein
übergreifender Trend war nicht zu erkennen. Der Anteil der nicht-ansässigen Arbeitnehmer, die in Belgien oder
Deutschland wohnen, an der Gesamtzahl der Berufstätigen blieb im Zeitraum von 2013 bis 2016 konstant bei 1 %.

Tabelle 1: Anzahl der nicht-ansässigen Arbeitnehmer nach Land des Wohnsitzes und Staatsangehörigkeit,
2013-2016 (x1000)

 Land des Wohnsitzes                                                    2013         2014    2015        2016
 Belgien                       Staatsangehörigkeit        B             13,9         14,1    14,2        14,7

                                                          DE            0,2          0,2     0,2         0,2

                                                          NL            20,9         21,1    21,0        21,1

                                                          PL            0,3          0,3     0,3         0,4

                                                          Sonstige      1,2          1,4     1,4         1,5

                               Total                                    36,6         37,1    37,2        37,9

 Deutschland                   Staatsangehörigkeit        DE            15,4         14,2    14,3        13,9

                                                          NL            15,8         16,1    16,3        16,4

                                                          PL            2,7          2,8     4,1         4,6

                                                          Sonstige      1,8          1,9     2,0         2,8

                               Total                                    35,8         35,1    36,9        37,8

 Polen                         Staatsangehörigkeit        DE            0,9          0,9     0,9         0,8

                                                          NL            0,9          0,9     1,1         1,2

                                                          PL            42,8         53,9    71,5        77,2

                                                          Sonstige      0,5          0,6     0,4         0,4

                               Total                                    45,0         56,3    73,9        79,5

 Sonstige                      Staatsangehörigkeit        NL            3,4          4,2     4,1         4,4

                                                          PL            0,1          0,1     0,1         0,1

                                                          Sonstige      11,8         16,7    21,4        26,0

                               Total                                    15,4         21,2    25,9        30,8

 Total                         Staatsangehörigkeit        B             14,1         14,2    14,4        14,9

                                                          DE            16,6         15,5    15,5        15,1

                                                          NL            41,0         42,4    42,6        43,1

                                                          PL            45,8         57,0    76,0        82,3

                                                          Sonstige      15,3         20,5    25,2        30,7

                               Total                                    132,8        149,6   173,8       186,1

Quelle: Centraal Bureau voor de Statistiek (CBS)

Dossiers                                                                                                        - 10 -
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Im Allgemeinen zeigt die vorläufige Ex-post-Analyse keine drastischen Auswirkungen der 90 %-Regel auf die
Anzahl und Zusammensetzung der nicht-ansässigen Arbeitnehmer in den Niederlanden und in den
niederländischen Grenzregionen. Ein Blick auf die Gesamtzahl der nicht-ansässigen Arbeitnehmer offenbart einen
steigenden Trend, der im Laufe der Zeit konstant bleibt und sich seit Inkrafttreten der 90 % -Regel scheinbar nicht
geändert hat. Bei der Nationalität und der Beschäftigung der nicht-ansässigen Arbeitnehmer ist ebenfalls eine
konstante Entwicklung über den gesamten Zeitraum von 2013 bis 2016 festzustellen; die Anzahl der polnischen
Arbeitnehmer und der Arbeitnehmer mit sonstiger Staatsangehörigkeit steigt – wie auch die Anzahl der nicht-
ansässigen Arbeitnehmer im gewerblichen Bereich. In den Grenzregionen sind keine nennenswerten
Veränderungen zu verzeichnen. Allerdings ermöglicht es diese Analyse nicht, uns auf die Individuen zu
konzentrieren, die höchstwahrscheinlich von der 90 %-Regel betroffen sind (diejenigen, die nicht 90 % ihres
Gesamteinkommens in den Niederlanden verdienen). Ferner sind die möglichen späteren Auswirkungen der Regel
noch nicht abzuschätzen, da nur Daten bis 2016 verfügbar sind.

Für zukünftige Untersuchungen werden Einkommensdaten des niederländischen Finanzamts zur Verfügung
stehen, sodass analysiert werden kann, welche nicht-ansässigen Arbeitnehmer nicht 90 % ihres
Gesamteinkommens in den Niederlanden verdienen und welche nicht-ansässigen Arbeitnehmer daher
höchstwahrscheinlich von der 90 %-Regel betroffen sind. Im Rahmen zukünftiger Untersuchungen können auch
Einzelpersonen über einen längeren Zeitraum beobachtet werden, um ihre Mobilität im Hinblick auf
Beschäftigung und Wohnsitz zu untersuchen. Anhand von Regressions- und Datenreihenmethoden kann
aufgezeigt werden, ob die 90 %-Regel wesentliche Auswirkungen auf die Mobilität im Hinblick auf Beschäftigung
und Wohnsitz nicht-ansässiger Arbeitnehmer hat.

Dossiers                                                                                                     - 11 -
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Abbildung 1: Nicht-ansässige Arbeitnehmer mit Wohnsitz in Belgien oder Deutschland in allen NUTS3/COROP-
Regionen, als prozentualer Anteil an der Gesamtzahl der Beschäftigten im Jahr 2016

                  unter 0,4%
                  0,4-0,9%
                  1-2,9%
                  3% und höher

Achtung: Bei etwa 25 % bis 30 % der Arbeitnehmer ist nicht bekannt, in welcher COROP-Region sie arbeiten. Diese
Prozentwerte sind für ansässige und nicht-ansässige Arbeitnehmer ähnlich. Daher kommen die Prozentwerte den
tatsächlichen Prozentwerten höchstwahrscheinlich relativ nahe, sollten allerdings mit Vorsicht betrachtet werden.

Quelle: Centraal Bureau voor de Statistiek (CBS)

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3.3	Regelungen zum Renteneintrittsalter in NL/B/DE: eine multidisziplinäre Analyse

mr. Dr. Hannelore Niesten
mr. Sander Kramer

Innerhalb der EU gibt es kein europaweit gültiges Renteneintrittsalter. Die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten haben
jeweils ein eigenes Renteneintrittsalter für gesetzliche Renten und private Zusatzrenten, wobei es wesentliche
Unterschiede gibt. Aufgrund dieser mangelnden Koordination auf EU-Ebene sieht sich ein Grenzgänger, der in
verschiedenen Mitgliedsstaaten gearbeitet hat, mit verschiedenen Eintrittsdaten und verschiedenen (Un-)
Möglichkeiten zur Flexibilisierung dieser Eintrittsdaten konfrontiert. Das Datum, an dem ein Grenzgänger die volle
Rente – die sich aus verschiedenen Renten mit jeweils eigenen Eintrittsdaten zusammensetzt – erhält, wird vom
höchsten Renteneintrittsalter bestimmt. Dadurch kann dem Grenzgänger – abhängig von seiner persönlichen
Einkommenssituation – in dem Zeitraum zwischen dem Ausscheiden aus dem Berufsleben und dem Renteneintritt
ein Einkommensdefizit entstehen; ferner kann die Eignung der Rente als Altersvorsorge gefährdet sein.
Schätzungen zufolge sind 2.000 ehemalige Grenzgänger davon betroffen. Darüber hinaus sind die bestehenden
Flexibilisierungsoptionen unzureichend. Der geänderte Gesetzentwurf zur Flexibilisierung des Beginns des AOW-
Eintrittsdatums hätte sich positiv auswirken können, da dieser Gesetzentwurf Grenzgängern die Möglichkeit
bieten würde, den Beginn ihrer AOW-Rentenleistungen auf den Beginn der ausländischen gesetzlichen
Rentenleistungen abzustimmen.

Grenzgänger: Überblick und Einblick notwendig
Zusätzlich zu dieser Fragmentierung der Rentenansprüche sehen sich Grenzgänger mit einem Mangel an Überblick
und Einblick in Bezug auf ihre gesetzlichen und privaten Zusatzrenten konfrontiert, was unter anderem auf die
Unterschiede beim Renteneintrittsalter zutrifft. Somit herrscht bei Grenzgängern möglicherweise Ungewissheit
darüber, in welchem Alter sie Rentenleistungen erwarten können. Ferner sind Grenzgänger aufgrund dieser
Unübersichtlichkeit nicht in der Lage zu beurteilen, ob sie nach ihrer Pensionierung ausreichend Rente erhalten, um
ihren Lebensstandard auch nach der Pensionierung aufrechterhalten zu können. Betroffene Grenzgänger sehen
sich aufgrund von Beitragszahlungen in einem Mitgliedsstaat und Steuerzahlungen in einem anderen
Mitgliedsstaat auch mit erheblicher (rechtlicher) Unsicherheit über das Nettorenteneinkommen konfrontiert.
Daher ist ein grenzübergreifendes oder europäisches Rentenregister erforderlich, um es diesen Grenzgängern zu
ermöglichen, eine eindeutige und genaue Gesamtübersicht über ihre grenzübergreifend erworbenen
Rentenansprüche zu erhalten, ihnen eine Handlungsperspektive zu bieten und ein angemessenes Einkommen
nach der Pensionierung zu gewährleisten. Ein solches Rentenregister liefert positive Impulse für die
Arbeitsmobilität von Arbeitnehmern.

Doppelrentenempfänger: mehr Informationen als 1. Schritt
Eine der wichtigsten Folgen, die sich aus den Unterschieden beim Renteneintrittsalter ergeben, – und zugleich der
wichtigste Grund für eine multidisziplinäre Analyse – ist die fehlende Koordination bei der Erhebung von Steuern
und Sozialversicherungsbeiträgen von Doppelrentenempfängern.6 Im Kern heißt das, dass die Kollisionsnormen in
den bilateralen Steuerabkommen nicht auf die Kollisionsnormen der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 abgestimmt
sind und die Befugnis zur Steuererhebung nicht immer nur einem Mitgliedsstaat zugeordnet ist. Diese doppelte
Beitragspflicht ist vor allem vor dem Hintergrund des europäischen Binnenmarktes sehr problematisch. In manchen
Fällen findet die Steuererhebung im Wohnland und die Erhebung der Sozialversicherungsbeiträge im Rentenland
statt. Darüber hinaus tragen Rentner möglicherweise in mehr als einem Mitgliedsstaat zur Finanzierung der
Gesundheitsversorgung bei. Somit entsteht ihnen ein Nachteil in Form einer Doppelbesteuerung. Aufgrund der
doppelten Beitragspflicht ist eine Gleichbehandlung (pensionierter) Grenzgänger nicht gewährleistet. Oft sind
Grenzgänger sich des Umstands nicht bewusst, dass sie in ein anderes Sozialsystem wechseln
(Geisterfahrerverhalten). Aufklärung und Beratung durch Finanzämter und andere Organisationen (zum Beispiel die
GrenzInfoPunkte, das Team Grenzüberschreitendes Arbeiten und Unternehmen (Team Grensoverschrijdend Werken
en Ondernemen - Team GWO) des Finanzamts Maastricht) können zur Lösung dieses Problems beitragen.

Alterssicherung: Zusammenhang Erhebung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen
Eventuell sind die Abschaffung der Sonderregelungen für Versorgungsberechtigte in der Verordnung, die exklusive
Anwendung der Hauptvorschrift zur Steuererhebung auf Renten (Art. 18 OECD-Musterabkommen) und die

6	Siehe auch Commissie grenswerkers, Grenswerkers in Europa: een onderzoek naar fiscale, sociaalverzekerings- en pensioenaspecten
    van grensoverschrijdend werken, Geschriften van de Vereniging voor Belastingwetenschap, p. 284 und folgende.

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Zuordnung der Versicherungspflicht zum Wohnland (Art. 11 Absatz 3 Buchstabe e von Verordnung (EG) Nr. 883/2004)
Optionen, um einen besseren Zusammenhang bei der Erhebung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen auf
Renten zu schaffen. Dann gilt sowohl für die Erhebung von Steuern als auch von Sozialversicherungsbeiträgen das,
was zur Gleichheit vor der eigenen Haustür führen würde, und zwar wie vom Vertrag über die Arbeitsweise der
Europäischen Union (AEUV) garantiert. In diesem Dossier werden die Argumente für und wider eine Steuererhebung
im Wohnland erwogen. Zur Anpassung und Verbesserung der aktuellen Regelung kann auch eine weniger
weitreichende Lösung in Betracht gezogen werden. Ein Vorschlag könnte lauten, die Dauer der Versicherung als
Anknüpfungspunkt bei der Bestimmung des zuständigen (Renten-)Staates zu verwenden. Darüber hinaus könnte
sich der Grenzgänger für eine individuelle Lösung entscheiden, zum Beispiel für eine (aufgeteilte) Rente und/oder
eine Teilzeitbeschäftigung. Aber wenn ein niederländischer oder belgischer Rentner einen Nebenjob auf der anderen
Seite der Grenze annimmt, wirkt sich das auf seine soziale Absicherung aus. Ein Einzelrentenempfänger kann in ein
anderes Sozialsystem wechseln, indem er in seinem Wohnland arbeitet. Das kann zum Beispiel Folgen für die
Vorschriften zur Krankenversicherung haben, was Vor- und Nachteile mit sich bringen kann.

Anteiliges Besteuerungsrecht von Wohnland und Quellenstaat
Eine Alternative wäre ein proportionales (anteiliges) Besteuerungsrecht, das zwischen Wohnland und Quellenstaat
aufgeteilt ist. Das ist aber keine Lösung, wenn diese Lösung nicht an die exklusive Erhebung der
Sozialversicherungsbeiträge geknüpft wird. Außerdem erscheint diese Option aus niederländischer Perspektive
angesichts des internationalen Engagements bei den Vertragsverhandlungen über die Besteuerung von
steuerbegünstigten Renten im Quellenstaat kaum realistisch. Ferner kann aufgrund von Art. 17 von Verordnung
(EWG) Nr. 1408/71 oder Art. 16 von Verordnung (EG) Nr. 883/2004 eine kategoriale Übereinkunft getroffen werden,
sodass die Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen an die Steuererhebung anknüpft. Außerdem besteht,
zumindest in der Theorie, die Möglichkeit, die Befugnis des Rentenstaates zur Beitragserhebung oder die Befugnis
des Wohnlandes zur Steuererhebung einzuschränken. Darüber hinaus könnte das Besteuerungsrecht des
Wohnlandes eingeschränkt werden. Obwohl diese Option zur Gleichbehandlung von Grenzgängern beitragen
könnte, können Fragen zur Umsetzbarkeit und zur administrativen Belastung für die mit der Umsetzung
beauftragten Stellen aufkommen.

Finanzierung des Gesundheitswesens durch Rentner: Ermäßigungsregelung
Ferner wird das Gesundheitswesen in bestimmten Mitgliedsstaaten aus den allgemeinen (steuerlichen) Mitteln
oder gemischt aus den Steuern und Sozialversicherungsabgaben finanziert. Rentner tragen möglicherweise durch
wirtschaftliche Doppelbesteuerung in mehr als einem Mitgliedsstaat zur Finanzierung des Gesundheitswesens
bei, was im Widerspruch zur Personenfreizügigkeit steht. Dieses Problem kann unilateral gelöst werden, zum
Beispiel durch eine Ermäßigung, die ein Wohnland auf den Steuerbescheid im Wohnland gestattet, und zwar in
Höhe eines Teils der Steuer, mit der das Wohnland das Gesundheitswesen finanziert.

Unterschiede beim Renteneintrittsalter: Auswirkungen auf die nationale Gesetzgebung
Die mangelnde Koordination der Mitgliedsstaaten beim Renteneintrittsalter schlägt sich auch in der nationalen
Gesetzgebung wieder, zum Beispiel bei den Versicherungszeiten in anderen Mitgliedsstaaten. Wenn zum Beispiel ein
Arbeitnehmer in den Niederlanden oder Deutschland das gesetzliche Rentenalter erreicht hat und in den Ruhestand
gehen kann, ergibt sich daraus nicht automatisch, dass das per definitionem auch in Belgien gilt. Wenn dieser
Arbeitnehmer entscheidet, niederländische Rente zu beantragen, und aufhört zu arbeiten, kann das zur Folge haben,
dass die Möglichkeit, in Belgien in den Ruhestand zu gehen, aufgeschoben wird. Außerdem führen die Unterschiede
beim Renteneintrittsalter zu mangelnder Kontinuität beim Einkommen von Grenzgängern, die in Belgien wohnen,
lange in den Niederlanden beschäftigt waren und nach Erreichen des 65. Lebensjahres arbeitslos werden.

Neue Gesetzgebung: präventive Beurteilung der Folgen für Grenzregionen
Das Vorstehende macht deutlich, dass es notwendig ist, die Folgen neuer Gesetzgebung auf Grenzgänger und
Grenzregionen schon bei der Vorbereitung der Gesetzgebung zu berücksichtigen, da so verhindert werden kann, dass
bestehende Gesetze nachträglich nachgebessert und berichtigt werden müssen. So können nicht nur administrative
und zeitliche Belastungen verhindert werden, sondern auch Hindernisse für persönlich Betroffene. Neue Gesetze, die
Grenzgänger und Grenzregionen betreffen, erhalten im Allgemeinen noch immer nicht die Aufmerksamkeit, die sie
verdienen, d.h. dass nationale Gesetzgeber noch stets die Folgen für Grenzregionen unterschätzen. Wir
unterstützten die Notwendigkeit der präventiven Untersuchung von Folgen für Grenzregionen in einer frühen Phase
des Gesetzgebungsprozesses – und die Aufnahme in den integralen Entscheidungsrahmen (Integraal
afwegingskader – IAK). Eine präventive Beurteilung der Folgen für Grenzregionen muss Teil der neuen (nationalen

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