Gesundheit von Frauen zwischen Erwerbs- und Familienarbeit
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Gesundheit von Frauen zwischen Erwerbs- und Familienarbeit KAPITEL 4
▶▶ Viele Frauen im erwerbsfähigen Alter stehen vor der Aufgabe, Berufstätigkeit, Kindererziehung und/oder die Pflege von Angehörigen miteinander zu vereinbaren. ▶▶ Nicht erwerbstätige Frauen schätzen ihren all- gemeinen Gesundheitszustand häufig schlechter ein als erwerbstätige Frauen; dies gilt auch für Mütter mit minderjährigen Kindern. ▶▶ Konflikte hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gehen bei Müttern mit minderjährigen Kindern mit einer schlechteren Gesundheit einher. ▶▶ Junge Mütter, alleinerziehende Mütter, arbeits- lose Frauen sowie Frauen, die Angehörige pflegen, sind besonderen gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt. ▶▶ Eine nachhaltige Familien-, Sozial- und Arbeits- politik kann dazu beitragen, eine Balance zwi- schen Erwerbs- und Familienarbeit zu schaffen, und so die Gesundheit von Frauen im mittleren Erwachsenenalter fördern.
Gesundheit von Frauen zwischen Erwerbs- und Familienarbeit | Kapitel 4 203 4 Gesundheit von Frauen zwischen Erwerbs- und Familienarbeit Erwerbstätigkeit und Familie miteinander zu ver- aus. Internationale Befunde weisen auf mögliche einbaren, stellt Frauen im erwerbsfähigen Alter Geschlechterunterschiede bei Corona-Infektionen vor große Herausforderungen, zumal die Etab- und der Mortalität an COVID-19 hin, deren Ausmaß lierung im Beruf und die Gründung einer Fami- und Ursachen detaillierter untersucht werden müs- lie bzw. die aktive Familienphase oftmals zeitlich sen. In den Ländern, in denen nach Geschlecht auf- zusammenfallen und so diese Lebensphase die geschlüsselte Daten vorliegen, zeigt sich, dass Män- „Rush-Hour des Lebens“ bildet [1]. Mit zunehmen- ner häufiger an einer COVID-19-Erkrankung ster- dem Lebensalter steigt zudem die Wahrschein- ben und schwerere Symptome entwickeln [2]. Mit lichkeit, dass Angehörige pflegebedürftig werden, Blick auf die psychischen und sozialen Folgen der sodass sich die Frage nach der Übernahme von Pandemie deuten erste Studienergebnisse darauf Betreuungs- und Versorgungsleistungen stellt. hin, dass Frauen hiervon in spezieller Weise betrof- Sowohl die Erziehung der Kinder als auch die fen sind [3]. Sie sind verstärkt in systemrelevanten Pflege von Angehörigen stellt viele Frauen vor Berufen tätig, wie z. B. in der Krankenpflege oder die Aufgabe, berufliche und familiäre Verpflich- als Verkäuferinnen im Lebensmitteleinzelhandel, tungen zu vereinbaren. Was bedeutet das für die und sie leisten einen großen Teil der Sorgearbeit in Gesundheit von Frauen? den Familien. In Zeiten von geschlossenen Betreu- Das vorliegende Kapitel gibt einen Überblick ungseinrichtungen und Beschulung zu Hause ste- über die gesundheitliche Lage von Frauen im hen Frauen in Deutschland und vielen anderen Län- erwerbsfähigen Alter unter Berücksichtigung von dern vor besonderen Schwierigkeiten. Forschungs- Unterschieden im Partner-, Eltern- und Erwerbs- projekte zu geschlechterbezogenen Auswirkungen status (siehe Kapitel 4.1). Eine große Rolle für die der COVID-19-Pandemie in Deutschland liefen im Gesundheit spielen dabei subjektiv wahrgenom- Frühling 2020 an, sie konnten in den vorliegenden mene Konflikte hinsichtlich der Vereinbarkeit von Bericht nur punktuell einfließen. Familie und Beruf (siehe Kapitel 4.1.2). In Kapitel 4.2 wird ergänzend die Gesundheit von vier aus- gewählten Gruppen von Frauen im Erwerbsalter 4.1 Erwerbs- und Familienarbeit und beschrieben: junge Mütter, alleinerziehende Mütter, die gesundheitliche Lage von Frauen in der Angehörigenpflege und arbeitslose Frauen im Erwerbsalter Frauen. Sie alle sind speziellen Belastungen aus- gesetzt und müssen oftmals familiär und beruflich Im erwerbsfähigen Alter stellen Erwerbstätigkeit große Herausforderungen bewältigen. Kapitel 4.3 sowie die Sorge für eigene Kinder oder pflegebe- enthält ein kurzes Fazit. dürftige Angehörige für viele Frauen und Män- Das Kapitel basiert auf Ergebnissen zahlreicher ner zentrale soziale Determinanten der Gesund- nationaler und internationaler Studien. Darüber hin- heit dar. Mit Blick auf die Gesundheit von Frauen aus wurden Daten aus der bevölkerungsbezogenen in dieser Lebensphase ist von großer Bedeutung, Studie Gesundheit in Deutschland aktuell (GEDA) dass Sorge- und Erwerbsarbeit in unserer Gesell- des Robert Koch-Instituts (RKI) und aus dem Mikro- schaft zwischen den Geschlechtern ungleich ver- zensus des Statistischen Bundesamtes ausgewertet. teilt sind. Der familiäre und der erwerbsbezogene Eng verbunden mit unterschiedlichen Familien- und Kontext wirken sich auch auf die Gesundheit von Erwerbskonstellationen von Frauen ist die soziale Frauen aus, gerade im Zusammenspiel. Lage. Im Exkurs Soziale Ungleichheit und Gesund- In Deutschland lebten laut Mikrozensus im heit bei Frauen werden Zusammenhänge zwischen Jahr 2018 7,9 Millionen Mütter und 6,7 Millionen der sozioökonomischen und gesundheitlichen Väter im Alter von 18 bis 64 Jahren mit mindes- Lage von Frauen ausführlicher beschrieben. tens einem eigenen Kind unter 18 Jahren in einem Während der finalen Bearbeitung des Kapitels gemeinsamen Haushalt [4]. In dieser Altersgruppe breitete sich das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 waren 74,8 % aller Frauen erwerbstätig [4]. Müt- mit großer Geschwindigkeit in der gesamten Welt ter, die mit mindestens einem minderjährigen
204 Kapitel 4 | Gesundheit von Frauen zwischen Erwerbs- und Familienarbeit Kind zusammen in einem Haushalt lebten, waren Männer. In Paarhaushalten mit Kindern betrug annähernd gleich häufig erwerbstätig (73,9 %). Bei die Differenz zwischen Müttern und Vätern sogar den Vätern betrug die Erwerbstätigenquote 92,4 % täglich 2 Stunden und 30 Minuten [8]. Daten der (Männer insgesamt 82,7 %) [4]. Schaut man sich Zeitverwendungserhebung zeigen, dass insbeson- jedoch ausschließlich aktiv erwerbstätige Personen dere Eltern mit kleinen Kindern zeitlich sehr stark an (exklusive der vorübergehend Beurlaubten, zu beansprucht sind. Die höchste Arbeitsbelastung denen auch Frauen und Männer in Elternzeit zäh- besteht in der Phase nach der Geburt des ersten len), zeigen sich besonders deutliche Unterschiede Kindes und erreicht ihren Höhepunkt in den ers- zwischen Frauen mit und ohne Kinder in der Alters- ten drei Lebensjahren des zweiten Kindes [9]. gruppe der 25- bis 34-Jährigen. So waren im Jahr Bei Müttern betrug in den Jahren 2012/2013 die 2018 44,6 % der Mütter dieser Altersgruppe aktiv Arbeitsbelastung in dieser Phase 65 Stunden und erwerbstätig, während dies auf 76,7 % der gleich- reduzierte sich erst auf 55 bis 59 Stunden, als das altrigen Frauen ohne Kind zutraf [4]. 67,8 % aller jüngste Kind im Grundschulalter war (bezahlte erwerbstätigen Mütter arbeiteten in Teilzeit; unter und unbezahlte Arbeit). Bei Frauen ohne Kinder den Frauen ohne minderjährige Kinder im Haus- desselben Alters lag die Gesamtarbeitsbelastung halt traf dies nur auf 37,0 % zu. Bei den Vätern arbei- deutlich niedriger zwischen 40 und 50 Stunden teten hingegen lediglich 5,8 % in Teilzeit; bei den pro Woche [9]. kinderlosen Männern waren es 10,5 % [4]. 61,6 % Die Familiengründung stellt damit ein wich- der Mütter und weniger als ein Viertel der Väter tiges biografisches Ereignis dar, das sich auf die nannten als Grund für die Teilzeitbeschäftigung die Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit innerhalb Betreuung von Kindern oder anderen Personen [5]. der Familie und insbesondere auf die Erwerbsbio- Ein beträchtlicher Teil der in Deutschland lebenden grafie von Frauen auswirkt. Während junge Paare Mütter gibt somit nach der Geburt des ersten Kin- ohne Kinder heute die bezahlte und die unbezahlte des die Erwerbstätigkeit zumindest zeitweise auf Arbeit relativ partnerschaftlich untereinander auf- oder schränkt sie vom Stundenumfang her ein, teilen, findet nach der Geburt des ersten Kindes während die Väter oftmals sogar ihre Arbeitszei- oftmals ein Übergang zu traditionell geprägten Rol- ten noch erhöhen. Frauen, die während der Fami- lenmustern statt [6, 10, 11]. lienphase in Teilzeit (insbesondere mit geringem Stundenumfang) gearbeitet haben, haben oftmals Schwierigkeiten, ihre Stunden später aufzustocken 4.1.1 Zusammenhänge zwischen und wieder in Vollzeit zu arbeiten, was ihre beruf Erwerbsarbeit, Partnerschaft, lichen Perspektiven nach der aktiven Familienphase Elternschaft und der gesund- deutlich einschränkt [6]. Hier soll eine neue gesetz- heitlichen Lage von Frauen liche Regelung Verbesserungen bringen: Seit dem 1. Januar 2019 gilt die Brückenteilzeit. Sie ermög- Zusammenhänge zwischen Erwerbsarbeit, Part- licht zeitlich befristete Teilzeitarbeit mit einem nerschaft, Elternschaft und Gesundheit wurden Rückkehrrecht in die vorherige Arbeitszeit [7]. Die für die einzelnen sozialen Rollen international ungleiche Verteilung des Umfangs der Erwerbstä- bereits ausführlich untersucht. Im Folgenden wer- tigkeit innerhalb einer Partnerschaft mit Kindern in den zunächst Zusammenhänge zwischen den ein- Deutschland hat auch einen Einfluss auf das Lohn- zelnen sozialen Rollen und Gesundheit dargestellt, gefälle zwischen Müttern und Vätern. So trugen bevor abschließend auf die Kombination der ver- bei Paaren mit mindestens einem Kind, in denen schiedenen Rollen und deren Zusammenhang zur die Partnerin zwischen 25 und 45 Jahre alt ist, die Gesundheit eingegangen wird. Frauen im Jahr 2011 in Deutschland nur knapp ein Eine Vielzahl an Studien bestätigt, dass Viertel zum Haushaltseinkommen bei [6]. Erwerbstätigkeit ein wesentlicher Einflussfaktor Mit Blick auf die unbezahlte Sorge- und Haus- für Gesundheit, gesundheitsbewusstes Verhalten arbeit zeigt sich ein gegenläufiges Bild: So ver- und eine höhere Lebenserwartung ist [12–15]. Abbil- richteten Frauen in Deutschland in den Jahren dung 4.1.1.1 verdeutlicht dies für Deutschland am 2012/2013 im Durchschnitt täglich 87 Minu- Beispiel der selbsteingeschätzten Gesundheit. Die ten mehr unbezahlte Sorge- und Hausarbeit als subjektive Gesundheit ist ein wichtiges globales
Gesundheit von Frauen zwischen Erwerbs- und Familienarbeit | Kapitel 4 205 Abbildung 4.1.1.1 Abbildung 4.1.1.2 Selbsteingeschätzte Gesundheit (mittelmäßig bis Selbsteingeschätzte Gesundheit (mittelmäßig bis sehr schlecht) von Frauen nach Alter und Erwerbsstatus sehr schlecht) von Frauen nach Alter und Partnerstatus Datenbasis: GEDA 2009, 2010, 2012 Datenbasis: GEDA 2009, 2010, 2012 Anteil (%) Anteil (%) 45 45 40 40 35 35 30 30 25 25 20 20 15 15 10 10 5 5 18 − 29 30 − 54 55− 64 18 − 29 30 − 54 55 − 64 Altersgruppe (Jahre) Altersgruppe (Jahre) Nicht erwerbstätig Partner/in Kein/e Partner/in Teilzeiterwerbstätig Vollzeiterwerbstätig Maß für den Gesundheitszustand (siehe Kapitel von Ehe und Partnerschaft stärker gesundheitlich 2.1.2). Sie bildet ab, wie Menschen ihre Gesund- profitieren als Frauen [21, 23, 24], andere Studien heit individuell erleben und wahrnehmen und ist haben keine Unterschiede nach Geschlecht festge- eng mit der Inanspruchnahme von Leistungen der stellt [25–27]. Abbildung 4.1.1.2 stellt für Deutsch- Gesundheitsversorgung verwoben. Bei Frauen zei- land exemplarisch die Prävalenzen für eine selbst gen sich keine Unterschiede in der selbsteinge- als mittelmäßig bis sehr schlecht eingeschätzte schätzten Gesundheit zwischen Teilzeit- und Voll- Gesundheit stratifiziert nach dem Zusammenleben zeiterwerbstätigen (Abb. 4.1.1.1). Ein höheres Risiko mit einem Partner oder einer Partnerin dar. In den für gesundheitliche Beeinträchtigungen findet sich Altersgruppen ab 30 Jahren steht das Zusammen- aber bei arbeitslosen Frauen und auch bei anderen leben mit einem Partner oder einer Partnerin mit nicht erwerbstätigen Gruppen von Frauen (aller- einer besseren selbsteingeschätzten Gesundheit in dings in deutlich geringerem Umfang) [12–15]. Zusammenhang. Bei Männern ist bereits eine Teilzeiterwerbs- In Bezug auf den Zusammenhang von Eltern- tätigkeit mit Beeinträchtigungen der Gesundheit schaft und Gesundheit bzw. Gesundheitsverhal- assoziiert. Insgesamt scheint die Assoziation zwi- ten sind die Ergebnisse wenig eindeutig. So fin- schen Erwerbsstatus und Gesundheit bei Frauen den einige Studien positive [16, 19, 28, 29], andere weniger stark ausgeprägt zu sein als bei Männern negative [12, 30–32] und wiederum andere Studien [12, 15–17]. überhaupt keine Assoziationen [24]. Das Zusam- Mit Blick auf die Bedeutung von Partnerschaft menleben mit Kindern kann einerseits durch enge für die Gesundheit lassen sich die Ergebnisse soziale und emotionale Beziehungen sowie Mecha- dahingehend zusammenfassen, dass verheiratete nismen der Strukturierung des Alltagslebens und Frauen gesünder sind, sich gesundheitsbewuss- der Sinnstiftung zu einer guten Gesundheit beitra- ter verhalten und länger leben als ledige, geschie- gen. Andererseits geht das Zusammenleben mit dene oder verwitwete Frauen [18–22]. Diese Unter- Kindern mit einer Reihe von Anforderungen und schiede können zu einer schlechteren Gesundheit Verpflichtungen sowie widersprüchlichen Rollen- von Frauen in nicht-ehelicher Partnerschaft füh- erwartungen einher, die zu Stress und gesundheit- ren. Für Männer zeigen einige Studien, dass sie lichen Beeinträchtigungen führen können.
206 Kapitel 4 | Gesundheit von Frauen zwischen Erwerbs- und Familienarbeit Analysen mit den Daten der GEDA-Studie zei- Mütter und Väter in unterschiedlicher Weise mit gen für Deutschland, dass Mütter – vermutlich auf- Gesundheit assoziiert ist. grund geringerer zeitlicher Ressourcen – seltener In der Realität stehen die drei sozialen Rollen Sport treiben als gleichaltrige kinderlose Frauen jedoch nicht unabhängig in Zusammenhang mit (siehe Kapitel 2.2.1). Mit Blick auf den Tabak- und der Gesundheit, sondern wirken wechselseitig auf Alkoholkonsum verhalten sich Mütter hingegen diese. Zusammenhänge zwischen Partner-, Eltern- deutlich gesünder als kinderlose Frauen [33] (siehe und Erwerbsstatus mit Gesundheit werden vor dem Kapitel 2.2.4, 2.2.5). Das kann u. a. mit dem Ver- Hintergrund der „Rollenbelastungsthese“ und der antwortungsbewusstsein der Mütter gegenüber den „Rollenbereicherungsthese“ diskutiert [25]. Die Kindern und dem sozialwissenschaftlichen Kon- „Rollenbelastungsthese“ besagt, dass die Kombina- zept der sozialen Kontrolle in Zusammenhang tion von Arbeits- und Familienrollen die Verantwor- gebracht werden. tungslast – insbesondere bei Frauen – erhöht und Darüber hinaus hat das Vorhandensein einer damit zu Stress, Belastungen und infolgedessen Partnerschaft einen großen Einfluss darauf, ob einer schlechteren Gesundheit und einem weniger Elternschaft positiv mit Gesundheit assoziiert ist gesunden Verhalten führt. Demgegenüber meint oder eher gesundheitsbelastende Effekte hat (siehe die „Rollenbereicherungsthese“, dass das Inneha- Kapitel 4.2.2) [34]. Dies lässt sich u. a. mit dem Vor- ben mehrerer sozialer Rollen mit einem größeren handensein bzw. einem Mangel an sozialer Unter- sozialen Netzwerk, einer größeren sozialen Unter- stützung und sozioökonomischen Ressourcen stützung und mehr Ressourcen (auch finanziell) erklären. Auch das Alter hat einen großen Einfluss sowie einem Ausgleich bei Belastungen in einem auf die gesundheitliche Lage von Müttern derart, Lebensbereich einhergeht, die die Gesundheit ver- dass sich für ältere Mütter eine bessere Gesundheit bessern können. Dabei muss allerdings bedacht und für jüngere Mütter eine schlechtere Gesund- werden, dass die Richtung des Zusammenhangs heit im Vergleich zu kinderlosen Frauen desselben nicht klar ist. So können einerseits Partnerschaft, Alters feststellen lässt (siehe Kapitel 4.2.1) [35]. Dies Elternschaft und die Erwerbssituation einen Ein- verdeutlicht auch Abbildung 4.1.1.3 am Beispiel der fluss auf die gesundheitliche Lage ausüben. Ande- selbsteingeschätzten Gesundheit. Geschlechterver- rerseits können Gesundheit und Gesundheitsver- gleichende Studien kommen zu keinen einheit- halten beeinflussen, ob Frauen (ebenso wie Män- lichen Ergebnissen [z. B. 36, 37–40], sodass sich ner) in einer Partnerschaft leben, eine Familie nicht pauschal beurteilen lässt, ob Elternschaft für gründen oder erwerbstätig sind [41, 42]. Während in internationalen Studien bei Män- Abbildung 4.1.1.3 nern das Innehaben von mehreren sozialen Rol- Selbsteingeschätzte Gesundheit (mittelmäßig bis len im Sinne der Rollenbereicherungsthese mit sehr schlecht) von Frauen nach Alter und Elternstatus einer besseren Gesundheit korrespondiert und ins- Datenbasis: GEDA 2009, 2010, 2012 besondere die Vollzeiterwerbstätigkeit in großem Anteil (%) Maße für eine gute Gesundheit von Bedeutung ist, 40 zeigen sich bei Frauen deutliche Unterschiede in 35 Abhängigkeit vom Elternstatus: Während bei den 30 kinderlosen Frauen die meisten Studien zu dem Ergebnis kommen, dass Erwerbstätigkeit – ähnlich 25 wie bei den Männern – mit einer guten Gesundheit 20 assoziiert ist [43], unterscheiden sich die Befunde hinsichtlich der Gesundheit von Frauen, die mit 15 Kindern leben. Während sich in einigen Studien 10 die Ergebnisse nicht für Frauen mit und ohne Kin- der unterscheiden [44], findet sich in anderen Stu- 5 dien für teilzeiterwerbstätige Mütter eine bessere Gesundheit als für Vollzeiterwerbstätige [12, 16, 25], 18 − 29 30 − 54 55 − 64 Altersgruppe (Jahre) was als Hinweis auf Probleme der Vereinbarkeit Kind(er) Kein Kind von Familie und Beruf bei vollzeiterwerbstätigen
Gesundheit von Frauen zwischen Erwerbs- und Familienarbeit | Kapitel 4 207 Abbildung 4.1.1.4 Selbsteingeschätzte Gesundheit (mittelmäßig bis sehr schlecht) von 30- bis 55-jährigen Frauen nach Eltern-, Partner- und Erwerbsstatus (vorhergesagte Wahrscheinlichkeiten* in %) Datenbasis: GEDA 2009, 2010, 2012 [45] Anteil (%) 40 35 30 25 20 15 10 5 Vollzeit Teilzeit Nicht Vollzeit Teilzeit Nicht Vollzeit Teilzeit Nicht Vollzeit Teilzeit Nicht erwerbstätig erwerbstätig erwerbstätig erwerbstätig ohne Partner(in) mit Partner(in) ohne Partner(in) mit Partner(in) Kind(er) Kein Kind * Adjustiert für Alter, sozioökonomischen Status und Arbeitslosigkeit; ausgeschlossen wurden frühberentete Frauen und Frauen in Ausbildung Müttern gedeutet wird. Ob die Vereinbarkeit gut einer Vollzeiterwerbstätigkeit mit der Partner- und gelingt, steht auch im Zusammenhang mit der Elternrolle als gesundheitsförderlich dar, gerade Sozial- und Arbeitsmarktpolitik eines Landes. Weil weil die Haus- und Sorgearbeit in der Familie meist die Studien in unterschiedlichen Ländern durchge- überwiegend von der Partnerin geleistet wird. führt wurden, reflektieren die Studienergebnisse Frauen sind hingegen in stärkerem Maße gefor- auch Unterschiede in der Politik. dert, die Anforderungen der unterschiedlichen Rol- Auch in einer Analyse zu Zusammenhängen len in Einklang zu bringen, oftmals ohne auf eine zwischen den drei sozialen Rollen und der selbst- ähnliche Unterstützung durch durch den Partner eingeschätzten Gesundheit in Deutschland [45] zei- zählen zu können. gen sich deutliche Unterschiede zwischen Frauen ohne Kinder und Frauen, die mit Kindern zusam- menleben (Abb. 4.1.1.4). Unter den Frauen, die 4.1.2 Wahrgenommene Probleme in kinderlosen Haushalten leben, schätzen nicht hinsichtlich der Vereinbarkeit Erwerbstätige deutlich häufiger als Erwerbstätige von Familie und Beruf und die ihre Gesundheit als nicht gut oder schlecht ein. Bei gesundheitliche Lage von Frauen Frauen, die mit mindestens einem minderjährigen Kind in einem Haushalt leben, fallen die Unter- Schaut man sich ausschließlich die Kombinatio- schiede nach dem Erwerbsstatus deutlich geringer nen von Partnerschaft, Elternschaft und Erwerbs- aus. Anders als bei Männern, bei denen sich deut- arbeit an, schätzen erwerbstätige Mütter in der liche Unterschiede zwischen Vollzeit- und Teilzeit GEDA-Studie ihre Gesundheit etwas besser ein als erwerbstätigen feststellen lassen, finden sich bei nicht erwerbstätige Mütter (Abb. 4.1.1.4). Wenn die den Frauen in allen Lebensformen keine großen Verpflichtungen und Anforderungen, die sich aus Unterschiede in der selbsteingeschätzten Gesund- den verschiedenen sozialen Rollen ergeben, aber heit zwischen Vollzeit- und Teilzeiterwerbstätigen. subjektiv als zu stark und inkompatibel erlebt wer- Insgesamt ist zu beachten, dass die Kombination den, kann dies – im Sinne der „Rollenbelastungs- von Rollen für Frauen im Alltag häufig mit ande- these“ – zu Überlastungen und Stress führen und ren Anforderungen einhergeht als für Männer [25, mit negativen gesundheitlichen Konsequenzen 46]. So stellt sich für viele Männer die Kombination einhergehen. In diesem Abschnitt liegt der Fokus
208 Kapitel 4 | Gesundheit von Frauen zwischen Erwerbs- und Familienarbeit auf subjektiv wahrgenommenen Konflikten bzgl. Konflikt berichteten. Für Väter finden sich in der der Vereinbarkeit von familiären und beruflichen Studie ähnliche Werte [53]. Auch mit Blick auf ein Anforderungen bei erwerbstätigen Frauen und weniger gutes psychisches Wohlbefinden zeigen deren Wirkung auf die Gesundheit. sich in einer anderen Studie auf Basis der genann- In einer Umfrage des Deutschen Gewerkschafts- ten Datenquelle Assoziationen [54]. bundes [47] gaben im Jahr 2017 47 % der erwerbs- Für Deutschland gibt es hingegen bislang nur tätigen Frauen in Deutschland an, nach der Arbeit wenige Studien, die sich mit der Wirkung von Pro- sehr häufig oder oft zu erschöpft zu sein, um sich blemen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch um private oder familiäre Angelegenheiten auf die Gesundheit beschäftigen [48, 55, 56]. Die kümmern zu können; bei den Männern waren es lidA-Studie kommt für Deutschland zu dem Ergeb- 37 %. Unter den Beschäftigten, die Verantwortung nis, dass Probleme der Vereinbarkeit von Fami- für die Betreuung von Kindern tragen, hatte mehr lie und Beruf bei Frauen (und auch bei Männern) als ein Viertel sehr häufig oder oft Schwierigkei- das Risiko für depressive Symptome erhöhen und ten, die Betreuung und Erziehung der Kinder mit dies unabhängig von beruflicher Position und dem ihrer Erwerbsarbeit zeitlich zu vereinbaren. Unter Umfang der Erwerbsarbeit [55]. Bei Frauen können den Vollzeiterwerbstätigen trifft dies auf 31 % der Vereinbarkeitsprobleme zudem in deutlich stärke- Frauen und 26 % der Männer zu. Unter den Teil- rem Maße den Zusammenhang zwischen Stress zeiterwerbstätigen berichteten 26 % der Frauen am Arbeitsplatz und depressiven Symptomen erklä- und 13 % der Männer von zeitbedingten Verein- ren als bei Männern. Dieser Geschlechterunter- barkeitsschwierigkeiten [47]. Laut Daten der Stu- schied könnte zum einen mit der unterschiedlichen die „lidA – leben in der Arbeit“ gaben im Jahr 2011 Verteilung von Verantwortlichkeiten in Familie und Frauen seltener Konflikte hinsichtlich der Verein- Beruf zusammenhängen. Es kann zum anderen barkeit von Familie und Beruf an als Männer, was vermutet werden, dass Frauen Vereinbarkeitskon- aber darauf zurückzuführen ist, dass sie seltener flikte und Arbeitsstress anders verarbeiten als Män- in Vollzeit erwerbstätig sind. So findet sich nach ner, sprich eher mit einer depressiven Symptomatik Stratifizierung für den Erwerbsstatus bei vollzeit auf diese reagieren (siehe auch Kapitel 2.1.7) [48]. erwerbstätigen Frauen ein höherer Konfliktwert als In einer Studie mit Daten des European Social bei Männern [48]. Survey [56] waren die Zusammenhänge zwischen Mit Blick auf die Gesundheit finden mehrere Vereinbarkeitskonflikten bzgl. familiärer und beruf- internationale Studien Zusammenhänge zwischen licher Anforderungen und der selbsteingeschätzten Vereinbarkeitsproblemen von Familie und Beruf Gesundheit bei Frauen in Schweden höher als bei und Beeinträchtigungen der Gesundheit bei Frauen Frauen in Deutschland. Die Autorin vermutet, dass [49–52]. Eine Übersicht über die internationale Lite- Frauen in Deutschland bei Vereinbarkeitsproble- ratur aus dem Jahr 2006 [50] ergab, dass Erwerbs- men zwischen Familie und Beruf eher ihre Arbeits- tätige, die einen hohen Konflikt zwischen Anfor- zeit reduzieren als in Schweden, was in einem deut- derungen aus Familie und Arbeit erfahren, mehr lich geringeren Erwerbsumfang deutscher Frauen psychische Belastungen, wie z. B. Symptome einer im Vergleich zu schwedischen Frauen zum Aus- Depression oder Angststörung, und eine schlech- druck kommt und in Folge mit geringeren Aus- tere Lebenszufriedenheit berichteten. Bezüglich wirkungen von Vereinbarkeitskonflikten auf die der physischen Gesundheit scheinen die Zusam- Gesundheit einhergehen kann [56]. menhänge nicht in gleicher Stärke zu bestehen. Insgesamt besteht zu Zusammenhängen zwi- Die Zusammenhänge fallen zusammengefasst bei schen Vereinbarkeitsproblemen und Gesundheit Frauen stärker aus als bei Männern [50]. Laut Daten in Deutschland derzeit großer Forschungsbe- der Europäischen Erhebung über die Arbeitsbe- darf. Interessant wäre insbesondere eine vertie- dingungen schätzen in der Europäischen Union fende Analyse zu Unterschieden in den Zusam- (EU) 26,5 % der Mütter, die einen starken Konflikt menhängen in Abhängigkeit von beruflicher und hinsichtlich der Vereinbarkeit von Anforderungen schulischer Qualifikation, der sozioökonomischen aus Familie und Beruf angaben, ihre Gesundheit Lage sowie beruflichen und familiären Merkmalen als nicht gut ein, während dies nur auf 13,3 % der (wie Alter und Anzahl der Kinder, Ein-Elternschaft). Mütter zutraf, die von keinem oder einem geringen Zudem spielen vermutlich regionale Aspekte eine
Gesundheit von Frauen zwischen Erwerbs- und Familienarbeit | Kapitel 4 209 Rolle, u. a. Unterschiede in der Berufstätigkeit von Alter beim ersten Kind Anfang der 1970er-Jahre Müttern und Kinderbetreuungsangeboten in den ca. 24 Jahre, waren es im Jahr 2012 fünf Jahre neuen vs. den alten Ländern oder in Großstädten vs. mehr. In den neuen Ländern ist der Anstieg des in ländlichen Regionen. Nicht dargestellt wurden in durchschnittlichen Alters bei Geburt des ersten diesem Kapitel zudem die gesundheitlichen Aus- Kindes erst nach der Wiedervereinigung im Jahr wirkungen der Aufgabenteilung in Partnerschaften. 1990 zu beobachten. Bis 1989 waren Frauen in der ehemaligen DDR bei Geburt des ersten Kindes im Durchschnitt zwischen 22 und 23 Jahre alt. Im Jahr 4.2 Gesundheit von Frauen in ausge- 2012 bekamen die Frauen in den neuen Ländern wählten sozialen Lebenslagen ihr erstes Kind im Durchschnitt im Alter von 28 Jahren, also fünf Jahre später als im Jahr 1989 [57]. Im folgenden Abschnitt werden die Lebenslage Im Jahr 2018 betrug das durchschnittliche Alter der und Gesundheit von vier ausgewählten Gruppen Mutter bei Geburt des ersten Kindes in Deutsch- von Frauen im Erwerbsalter beschrieben: junge land 30 Jahre [58]. Mütter, alleinerziehende Mütter, Frauen in der Bezogen auf alle erstgebärenden Mütter lag im Angehörigenpflege und arbeitslose Frauen. Sie alle Jahr 2018 der Anteil der Mütter, die bei Geburt des sind speziellen Belastungen ausgesetzt und von Kindes jünger als 25 Jahre waren, bei 14,5 %. Jün- den Herausforderungen, familiäre und berufliche ger als 20 Jahre waren bei der Geburt des ersten Anforderungen in Einklang zu bringen, in beson- Kindes 2,0 % und jünger als 18 Jahre 0,02 % der derer Weise betroffen. Daten des Mikrozensus und erstgebärenden Mütter [59]. ausgewählte nationale und internationale Studien Internationale Studien zeigen, dass Frauen, die werden herangezogen, um die familiäre, beruf im jungen Alter Mutter wurden (bis zum Alter von liche und gesundheitliche Situation der Frauen zu ca. 25 Jahren und in noch stärkerem Maße bis zum beschreiben. Sind die gesundheitlichen Auswir- Alter von 20 Jahren), häufiger eine schlechte all- kungen von Vereinbarkeitsproblemen allgemein gemeine, körperliche und psychische Gesundheit für Deutschland bislang wenig erforscht, trifft dies berichten und sich zudem weniger gesund verhal- auf Frauen in den genannten Lebenslagen in noch ten als ältere Mütter [29, 60, 61]. Auswertungen mit stärkerem Maße zu. Die Lebensumstände und die den Querschnittsdaten der GEDA-Studien 2009, Gesundheit der Frauen werden auch durch ihre 2010 und 2012 zeigen für Deutschland, dass Müt- sozioökonomische Situation beeinflusst: durch ter im Alter von 18 bis 24 Jahren eine schlechtere das verfügbare Einkommen, den Bildungsab- Gesundheit berichten, häufiger an Depressionen schluss und den beruflichen Status. Dieser Aspekt und Rückenschmerzen leiden, häufiger überge- wird in den folgenden Abschnitten nur angeris- wichtig sind, häufiger rauchen und weniger Sport sen. Darüber hinaus spielen die gesellschaftlichen ausüben als kinderlose Frauen der gleichen Alters- Rahmenbedingungen, in diesem Fall die Verfüg- gruppe. Ab dem Alter von 25 Jahren liegen die barkeit und Qualität außerfamiliärer Versorgung Werte für Frauen mit und ohne Kinder etwa auf von Kindern und anderen Familienangehörigen, gleichem Niveau und verschieben sich mit zuneh- für die Lebenssituation von jungen und alleiner- mendem Alter der Frauen zugunsten der Frauen, ziehenden Müttern und pflegenden Frauen eine die mit minderjährigen Kindern zusammenleben sehr große Rolle. [35]. In einer Analyse der Techniker Krankenkasse [62] zu Fehlzeiten von erwerbstätigen Frauen (und Männern) mit und ohne familienversicherte Kinder 4.2.1 Junge Mütter zeigt sich ein ähnlicher Trend. Eine Längsschnit- tanalyse mit Daten des Sozio-oekonomischen In den letzten Jahrzehnten lässt sich ein klarer Panels (SOEP) zeigt für Deutschland, dass frühe Trend zu einer späteren Familiengründung fest- Mutterschaft in Westdeutschland, nicht aber in Ost- stellen (siehe auch Kapitel 7). In den alten Län- deutschland im weiteren Lebensverlauf mit einer dern ist das durchschnittliche Alter der Frauen schlechteren körperlichen Gesundheit einhergeht bei Geburt des ersten Kindes seit 1970 kontinu- [63]. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt ein Ver- ierlich angestiegen. Betrug das durchschnittliche gleich von west- und osteuropäischen Ländern.
210 Kapitel 4 | Gesundheit von Frauen zwischen Erwerbs- und Familienarbeit Sowohl in West- als auch in Osteuropa geht eine alleinerziehende Familien in Armutslagen den frühe Elternschaft mit einer schlechter eingeschätz- sogenannten „working poor“-Haushalten zuzu- ten Gesundheit im späteren Lebensverlauf einher; ordnen sind. Alleinerziehenden gelingt es öfter als die Zusammenhänge fallen aber in Osteuropa deut- Paarhaushalten trotz Erwerbstätigkeit nicht, ein lich geringer aus als in Westeuropa. In Westeuropa Einkommen zu erzielen, das oberhalb der Armuts- lässt sich zudem die schlechtere Gesundheit von gefährdungsschwelle oder der Bezugsgrenze für Frauen, die früh Mutter wurden, in Teilen durch Leistungen nach dem zweiten Sozialgesetzbuch soziale Benachteiligungen in der Kindheit der (SGB II) liegt. Die Armutsgefährdungsquote – Frauen erklären [64]. definiert als ein Einkommen kleiner als 60 % Alles in allem ist davon auszugehen, dass weni- des mittleren Einkommens einer Bevölkerung ger das junge Alter und damit einhergehende biolo- (bedarfsgewichtetes Medianeinkommen) – betrug gische Faktoren als vielmehr die Lebensphase und bei Familien von Alleinerziehenden im Jahr 2018 der soziale Kontext junger Mütter einen gesund- laut Mikrozensus 33,9 %. Damit lag ihre Quote heitsbeeinträchtigenden Effekt haben können. weit über dem Durchschnittswert für die Bevöl- Insbesondere für junge Mütter können sich durch kerung in Deutschland von 16,0 % [69]. die enge zeitliche Kopplung von Ausbildung bzw. Für alleinerziehende Mütter in Deutschland Eintritt in die Erwerbstätigkeit und Elternrolle Ver- belegen Studien, dass sie ihre Gesundheit häu- einbarkeitsprobleme ergeben, die mit gesundheit- figer als schlecht einschätzen als in Partnerschaft lichen Beeinträchtigungen einhergehen können. lebende Mütter [70–74]. Darüber hinaus sind sie So zeigen Studien, dass junge Mütter zum Zeit- psychisch stärker belastet. So finden sich z. B. bei punkt der Geburt des ersten Kindes vielfach noch Depressionen für alleinerziehende Mütter deut- in der Ausbildung sind, sich noch nicht beruflich lich höhere Prävalenzen als für in Partnerschaft etabliert haben, finanzielle Restriktionen erfahren lebende Mütter [70, 71, 74–79]. Eine Analyse mit und in weniger stabilen Partnerschaften leben, was Daten der GEDA-Studien 2009, 2010 und 2012 vielfach auch im weiteren Lebensverlauf soziale ergab für alleinerziehende Mütter in Deutschland Benachteiligungen mit sich bringt [65, 66]. höhere Prävalenzen für eine selbst als mittelmäßig bis sehr schlecht eingeschätzte Gesundheit und für Depressionen. Darüber hinaus zeigten sich 4.2.2 Alleinerziehende Mütter auch höhere Prävalenzen für Rückenschmerzen, Rauchen, sportliche Inaktivität und die Nicht-Inan- Im Jahr 2018 lebten laut Mikrozensus in Deutsch- spruchnahme der jährlichen Zahnvorsorgeunter- land 1,31 Millionen alleinerziehende Mütter mit suchung im Vergleich zu Müttern aus Paarhaushal- mindestens einem minderjährigen Kind im Haus- ten [34]. Dagegen zeigen sich in der körperlichen halt [67]. Das sind gut 16 % aller Familien. Allein- Gesundheit meist nur geringfügige oder keine erziehende mit mindestens einem minderjähri- Unterschiede zwischen alleinerziehenden und in gen Kind waren im Jahr 2018 zu 87,9 % Frauen Partnerschaft lebenden Müttern. So finden sich [67]. Alleinerziehen ist heute eine Lebensform z. B. keine signifikanten Unterschiede bzgl. Adipo- neben anderen und zudem eine zeitlich begrenzte sitas [34], Migräne [72, 74], chronischer Bronchitis Phase, die oftmals durch eine neue Partnerschaft [71], Allergien [72], Diabetes mellitus [74], Krebs oder spätestens durch die Verselbstständigung erkrankungen [74] und Schlaganfall [74]. der Kinder endet [34]. Die Lebenssituation Allein Ein gewisser Teil der höheren gesundheit erziehender ist durch Herausforderungen wie die lichen Belastung von alleinerziehenden Müttern alleinige Zuständigkeit für die Betreuung und lässt sich durch ihren im Durchschnitt niedrige- Erziehung der Kinder bei oftmals gleichzeitiger ren sozioökonomischen Status im Vergleich zu in Erwerbstätigkeit und den damit einhergehen- Paarhaushalten lebenden Müttern erklären [34]. den Vereinbarkeitsproblemen gekennzeichnet. Offenbar sind alleinerziehende Mütter aber nicht Trotz vergleichsweiser hoher Erwerbsbeteiligung aufgrund von Problemen der Vereinbarkeit von sind Alleinerziehende und ihre Kinder in hohem Familie und Beruf in besonderem Maße psychisch Maße von Armut betroffen. Eine Studie im Auftrag belastet. So finden sich für nicht erwerbstätige der Bertelsmann Stiftung [68] zeigt, dass gerade alleinerziehende Mütter höhere Prävalenzen für
Gesundheit von Frauen zwischen Erwerbs- und Familienarbeit | Kapitel 4 211 Depressionen als bei teilzeit- oder vollzeiterwerbs- kann [80]. Pflegende, die nicht mit dem zu pfle- tätigen Alleinerziehenden. Beim Rauchen lassen genden Angehörigen in einem Haushalt leben, sich hingegen gar keine Unterschiede nach dem müssen wiederum in ihrem Alltag regelmäßig Erwerbsstatus innerhalb der Gruppe der alleiner- zwischen mehreren Orten pendeln: dem eigenen ziehenden Mütter feststellen [34]. Abbildung 4.1.1.4 Haushalt, dem Pflegehaushalt und ggf. der Arbeits- verdeutlicht für Frauen der Altersgruppe 30 bis stelle. 52 % der Pflegepersonen im erwerbsfähigen 54 Jahre, dass insbesondere die Gruppe der teil- Alter wenden täglich mehr als eine Stunde für die zeiterwerbstätigen alleinerziehenden Mütter ihre Pflege von Angehörigen auf [80]; in der Studie wer- Gesundheit ähnlich gut einschätzt wie die sonsti- den hierzu keine nach Geschlecht differenzierten gen erwerbstätigen Frauen. Erwerbstätigkeit hat Angaben gemacht. In der Gruppe der pflegenden gerade bei Alleinerziehenden eine hohe Bedeu- Angehörigen im erwerbsfähigen Alter befinden tung für die Sicherung des Lebensunterhalts und sich mehr Frauen, Verheiratete sowie Personen zugleich für eine aktive soziale Teilhabe. Auch nach mit mittlerer Bildung als in der Gesamterwerbs- Ergebnissen des SOEP wirkt sich die Erwerbstä- bevölkerung. Unter den Pflegepersonen, die mit tigkeit bei alleinerziehenden Müttern positiv auf den Pflegebedürftigen in einem Haushalt leben, Gesundheit und Wohlbefinden aus. Insbesondere ist allerdings der Anteil der Pflegenden mit nied- Frauen, die den Stundenumfang ihrer Erwerbstä- riger Bildung größer als in der übrigen Erwerbs- tigkeit nach der Trennung vom Partner ausweiten bevölkerung [80]. Auch nach den Ergebnissen der und dabei aber nicht allein auf öffentliche Betreu- GEDA-Studie 2012 finden sich unter den pflegen- ungseinrichtungen angewiesen sind, sondern von den Angehörigen mit hohem Pflegeaufwand (mehr Großeltern oder dem zweiten Elternteil Unterstüt- als zwei Stunden täglich) häufiger niedrig gebildete zung bei der Kinderbetreuung erfahren, profitier- und sozial schlechter gestellte Frauen (insbeson- ten in der Längsschnittanalyse gesundheitlich [74]. dere aus der Altersgruppe der 55- bis 69-Jährigen) (siehe Kapitel 2.3.6) [82]. Pflegende Angehörige im erwerbsfähigen Alter 4.2.3 Pflegende Frauen sind oftmals in besonders starkem Maße von Vereinbarkeitsproblemen betroffen. Sie müssen Im erwerbsfähigen Alter zwischen 16 und 64 aufgrund der Pflegetätigkeit ihren Alltag unter Jahren pflegten laut Analysen mit dem SOEP in Umständen neu strukturieren und die Rollen in den Jahren 2001 bis 2012 7,0 % der Frauen und Familie und Beruf neu austarieren. Laut der Stu- 4,6 % der Männer eine Angehörige oder einen die „Wirkungen des Pflege-Weiterentwicklungsge- Angehörigen. Der Anteil der pflegenden Angehö- setzes“, die vom Bundesministerium für Gesund- rigen steigt mit dem Alter an: Unter den 45- bis heit in Auftrag gegeben und von TNS Infratest 54-Jährigen pflegen 10,3 % der Frauen und 6,1 % Sozialforschung durchgeführt wurde [83], waren der Männer und unter den 55- bis 64-Jährigen im Jahr 2010 bei Pflegebeginn von den weiblichen 11,5 % der Frauen und 7,6 % der Männer Ange- Hauptpflegepersonen im Alter von 15 bis 65 Jah- hörige [80]. Der Frauenanteil ist unter den pfle- ren 42,1 % nicht erwerbstätig, 11,3 % geringfügig genden Angehörigen im Erwerbsalter höher als beschäftigt, 22,9 % in Teilzeit und 23,3 % in Voll- im Rentenalter [80, 81]. Pflegende Angehörige im zeit erwerbstätig [84]. Demgegenüber war fast die erwerbsfähigen Alter kümmerten sich zu 39 % Hälfte der männlichen Hauptpflegepersonen zu um eigene Kinder, zu 27 % um ihre Eltern, zu Beginn der Pflege in Vollzeit erwerbstätig. 32,7 % 25 % um die Partnerin bzw. den Partner sowie zu der bei Pflegebeginn erwerbstätigen weiblichen 8 % um Personen außerhalb der engsten Fami- Hauptpflegepersonen gaben an, ihren Erwerbs lie [80]; nach Geschlecht differenzierte Angaben umfang aufgrund der Pflege eingeschränkt zu werden nicht berichtet. haben, weitere 16,8 % gaben ihre Erwerbstätigkeit Im Erwerbsalter lebten 11 % der pflegenden ganz auf. Bei den erwerbstätigen Männern traf dies Frauen und 7 % der pflegenden Männer in einem hingegen nur auf 7,6 % zu [84]. Die bereits weiter gemeinsamen Haushalt mit der zu pflegenden Per- oben zitierte Studie mit Daten des SOEP kommt son, was bei fehlenden privaten Rückzugsmöglich- zu dem Ergebnis, dass Frauen, die in Pflegehaus- keiten spezifische Belastungen mit sich bringen halten leben, selbst bei geringem Pflegeaufwand
212 Kapitel 4 | Gesundheit von Frauen zwischen Erwerbs- und Familienarbeit ihre Wochenarbeitszeit um rund zwei Stunden und mit den aus der Pflege resultierenden Belastungen bei intensiver Pflegetätigkeit um 3,6 Stunden pro besser umzugehen und ein Stück Zeitautonomie Woche reduzierten [80]. in der eigenen Lebensgestaltung beibehalten zu Ein nicht geringer Anteil an Frauen im mittle- können [82, 91]. Eine Metaanalyse zum Zusammen- ren Erwachsenenalter ist heute zudem gleichzei- hang von Erwerbstätigkeit und Stressbelastung von tig sowohl in die Betreuung und Erziehung ihrer pflegenden Angehörigen bestätigt dies und bringt Kinder als auch in die Sorge und Pflege eigener keine systematischen Unterschiede im Belastungs- älterer Angehöriger eingebunden. Für die gleichzei- erleben zutage. Es ist vielmehr davon auszugehen, tige Zuständigkeit für Kinder und die Pflege älterer dass sich die mit einer Erwerbstätigkeit einherge- Angehöriger hat sich der Begriff der „Sandwich- henden Belastungen und Entlastungen etwa die Generation“ etabliert [85]. In Deutschland liegen Waage halten. kaum nach Geschlecht differenzierte Angaben zu Die Metaanalyse zeigt zudem, dass erwerbstä- pflegenden Angehörigen mit minderjährigen Kin- tige Pflegende im Mittel etwas seltener depressiv dern vor. Nur eine Studie des Instituts für Demo- sind als nicht erwerbstätige Pflegende (keine dif- skopie Allensbach hat dies im Auftrag der Zeit- ferenzierten Angaben zu Frauen und Männern). schrift „Bild der Frau“ untersucht. Danach waren Hierbei muss allerdings berücksichtigt werden, im Jahr 2014 8 % der 40- bis 59-jährigen Frauen dass erwerbstätige Pflegende weniger Zeit für die einer Doppelbelastung durch die Betreuung der Pflege aufwenden und mehr Unterstützung aus Kinder im Haushalt und der Pflegebedürftigkeit dem sozialen Umfeld erfahren als nicht erwerbstä- der Eltern oder Schwiegereltern ausgesetzt. Von tige Pflegende [92]. Außerdem kann vermutet wer- diesen Frauen sind 79 % selbst an der Pflege der den, dass eher gesündere Frauen es schaffen, neben Eltern oder Schwiegereltern beteiligt; 80 % sind der Pflege von Angehörigen noch einer Erwerbs- gleichzeitig erwerbstätig [86]. tätigkeit nachzugehen. Weitere Informationen zur Obwohl die Übernahme von Pflegeaufgaben Gesundheit und Lebenssituation von Frauen aller auch mit positiven Gefühlen und Erfahrungen Altersgruppen, die Angehörige pflegen, finden sich wie Erfüllung, Helferrückwirkung und gesellschaft in Kapitel 2.3.6. licher Anerkennung verknüpft ist [87], stehen pfle- gende Angehörige hohen psychischen und physi- schen Anforderungen gegenüber. Wenn Frauen im 4.2.4 Arbeitslose Frauen erwerbsfähigen Alter neben der Pflege von Ange- hörigen erwerbstätig sind und/oder eigene Kinder Im Jahr 2019 lag die Arbeitslosenquote bei Frauen betreuen, kann die Mehrfachbelastung durch Fami- im Jahresdurchschnitt bei 4,7 % und damit etwas lie, Pflege und Beruf zu großem psychischen Druck niedriger als bei Männern mit 5,2 % [93]. Dage- führen. Hinzu tritt unter Umständen die körper- gen ist der Anteil der Nichterwerbspersonen bei liche Belastung, die oftmals mit Pflege einhergeht Frauen im Alter von 18 bis 64 Jahren mit 23,0 % [88]. Laut einer Erhebung des Deutschen Gewerk- deutlich höher als bei Männern mit 14,0 %. Bei schaftsbundes [47] berichteten unter den Vollzeit Frauen mit minderjährigen Kindern lag der Anteil erwerbstätigen, die außerhalb ihrer Erwerbsarbeit der Nichterwerbspersonen bei 23,8 %, bei Män- für eine pflegebedürftige Person sorgen, 38 % der nern mit Kindern hingegen nur bei 5,1 % [4]. Zu Frauen von Vereinbarkeitsproblemen (bei den Män- den Nichterwerbspersonen zählen Personen im nern waren es 28 %). Studium, arbeitsunfähige Personen oder Haus- Obwohl das Vereinbaren von privater Pflege und frauen/Hausmänner, die nicht aktiv am Arbeits- Erwerbstätigkeit für viele Pflegende eine große Her- markt teilhaben. Eltern, die in Elternzeit sind und ausforderung und Belastung darstellen kann, gibt es Elterngeld erhalten, werden hier nicht eingerech- vielfältige Gründe für die Kombination beider Rol- net, diese zählen zu den oben erwähnten beur- len. Finanzielle Aspekte können ebenso von Bedeu- laubten Personen. tung sein wie soziale Kontakte, die Anerkennung Analysen mit den Daten des Mikrozensus 2015 am Arbeitsplatz und der Ausgleich zu der oft belas- zeigen, dass Frauen sich insbesondere aufgrund tenden Pflegetätigkeit [89, 90]. Erwerbstätigkeit familiärer Verpflichtungen und der Betreuung von ermöglicht es so vielen pflegenden Angehörigen, Kindern vom Arbeitsmarkt zurückziehen. So gab
Gesundheit von Frauen zwischen Erwerbs- und Familienarbeit | Kapitel 4 213 etwa ein Drittel der weiblichen Nichterwerbsperso- Der Eintritt in die Arbeitslosigkeit hat in der nen zwischen 25 und 59 Jahren an, aufgrund per- Regel erhebliche Auswirkungen auf die Lebensfüh- sönlicher oder familiärer Verpflichtungen nicht am rung der Betroffenen. Sie verlieren einen beträcht- Arbeitsmarkt verfügbar zu sein oder trotz Arbeits- lichen Teil ihres Einkommens und damit verbun- wunsch nicht aktiv nach Arbeit zu suchen [94]. dene gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten. Die Dabei ist zu berücksichtigen, dass Mütter sich oft- immateriellen Verluste wiegen ebenfalls schwer, so mals nicht arbeitslos melden, weil sie in einem z. B. der Verlust fester Tages- und Zeitstrukturen gemeinsamen Haushalt mit einem erwerbstätigen sowie der Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen Partner meist keinen Anspruch auf Leistungen am Arbeitsplatz [105]. haben. Anders stellt sich die Situation bei Allein Die Zusammenhänge zwischen Arbeitslosig- erziehenden dar: Im Jahr 2017 waren 21 % der keit und Gesundheit sind allerdings komplex. alleinerziehenden Mütter mit mindestens einem Belastungen und psychosozialer Stress durch minderjährigen Kind ohne Beschäftigung. Unter Arbeitslosigkeit können gesundheitsriskantes den nicht erwerbstätigen alleinerziehenden Müt- Verhalten und das Auftreten von Erkrankungen tern waren 55 % an der Aufnahme einer Erwerbs begünstigen. Zum anderen haben Erwerbstä- arbeit interessiert, während dies nur auf 29 % der in tige mit chronischen Gesundheitsproblemen ein einer Partnerschaft lebenden nicht erwerbstätigen höheres Arbeitslosigkeitsrisiko. Und Arbeitslosig- Mütter zutraf [95]. keitsrisiken sind sozial ungleich verteilt. Frauen Die Ergebnisse vieler Studien verdeutlichen, dass mit einem erhöhten Risiko, arbeitslos zu werden, arbeitslose Frauen im Vergleich zu Erwerbstätigen haben oftmals geringere materielle und psychoso- eine schlechtere Gesundheit sowie ein erhöhtes ziale Ressourcen [100]. Sterberisiko aufweisen [96–101]. Laut einer Meta- Mit Blick auf den schwächeren Zusammen- analyse ist das Sterberisiko für arbeitslose Frauen um hang zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit das 1,4-Fache erhöht (für Männer etwa um das 1,8- bei Frauen im Vergleich zu Männern wird disku- Fache) [101]. Dies zeigt sich auch anhand deutscher tiert, dass Frauen in stärkerem Maße im Familien Daten der damaligen Gmünder Ersatzkasse [102]; der leben Ressourcen und Anerkennung finden, was Zusammenhang ist bei Frauen deutlich geringer aus- die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit abfedern geprägt als bei Männern [102]. Dabei erhöht sich mit könnte [106, 107]. Zudem können strukturelle zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit das Sterbe- Unterschiede in der Beschäftigung eine Rolle risiko. Auch hinsichtlich der körperlichen Gesund- spielen. So arbeiten Frauen mit geringeren Stun- heit zeigen die für Deutschland vorliegenden Daten, denzahlen als Männer sowie in Berufen bzw. Bran- dass körperliche Beschwerden und Einschränkun- chen mit einer geringeren Entlohnung und häufi- gen bei Arbeitslosen häufiger vorkommen [103, 104]. ger in Jobs mit geringerer sozialer Anerkennung, Zudem sind arbeitslose Frauen aufgrund von kör- beispielsweise Minijobs [108]. Der Verlust dieser perlichen und psychischen Beeinträchtigungen in oftmals weniger attraktiven Arbeitsplätze könnte der Ausübung ihrer alltäglichen Aktivitäten häufiger folglich als eine geringere Einbuße empfunden eingeschränkt als Erwerbstätige [103]. Krankenkas- werden [109]. Ferner scheinen arbeitslose Frauen sendaten zeigen, dass arbeitslose Frauen, die Arbeits gesellschaftlich eine geringere Stigmatisierung zu losengeld I beziehen, eine deutlich erhöhte Anzahl erfahren als arbeitslose Männer [99]. von Arbeitsunfähigkeitstagen aufgrund von Krank- heiten des Muskel-Skelett-Systems, Ernährungs- und Stoffwechsel-Erkrankungen sowie Krankheiten des 4.3 Fazit Nervensystems aufweisen. Psychische und Verhal- tensstörungen finden sich bei arbeitslosen Frauen Auf Basis der hier vorgestellten Ergebnisse zu sogar dreimal häufiger. Auch internationale Über- Zusammenhängen von Familie, Beruf und der blicksarbeiten belegen, dass arbeitslose Frauen häu- gesundheitlichen Lage kann angenommen wer- figer von psychischen Gesundheitsproblemen wie den, dass sich die Gesundheit von Frauen im Depressionen und Angststörungen sowie einem erwerbsfähigen Alter insbesondere durch gezielte geringeren Selbstwertgefühl betroffen sind als Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Fami- erwerbstätige Frauen [96, 99, 104]. lie und Beruf, die mit einer Reduzierung von
214 Kapitel 4 | Gesundheit von Frauen zwischen Erwerbs- und Familienarbeit zeitlicher Belastung und psychischem Stress ein- Literatur hergehen, verbessern ließe. 1. Bittman M, Wajcman J (2000) The Rush Hour: The Character of Leisure Time and Gender Equity. Soc Forces 79(1):165–189 Laut Sachverständigenkommission des Siebten 2. Gebhard C, Regitz-Zagrosek V, Neuhauser HK et al. (2020) Familienberichts [110] kann eine bessere Balance Impact of sex and gender on COVID-19 outcomes in Europe. zwischen Erwerbs- und Sorgearbeit im Lebens- Biology of sex differences 11(1):29 3. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (2020) verlauf durch einen Mix aus Zeit-, Infrastruktur- Erwerbsarbeit in Zeiten von Corona. Pressemitteilung vom und finanzieller Transferpolitik gefördert werden. 15. April 2020. Frauen und Männer mit Sorgeaufgaben – wie der https://wzb.eu/de/pressemitteilung/erwerbsarbeit-in-zeiten- von-corona (Stand: 06.05.2020) Betreuung von Kindern oder der Pflege von Ange- 4. Statistisches Bundesamt (2020) Soziodemografische Angaben hörigen – benötigen danach insbesondere mehr zur Erwerbsbeteiligung von Müttern und Vätern im Vergleich Zeitsouveränität, was nicht nur durch flexible zu kinderlosen Frauen und Männern. Sonderauswertung des Arbeitszeiten, sondern auch durch eine flexib- Mikrozensus 2018 5. Statistisches Bundesamt (2018) Alleinerziehende. Tabellen- lere Gestaltung der Arbeitszeit im Lebensverlauf band zur Pressekonferenz am 02.08.2018 in Berlin. Ergeb- erreichbar ist [110, 111]. Insbesondere für Frauen nisse des Mikrozensus. ist es wichtig, den Arbeitsmarkt so zu struktu- www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevo- elkerung/Haushalte-Familien/Publikationen/Downloads- rieren, dass mehr qualifizierte Teilzeitstellen, Haushalte/alleinerziehende-tabellenband-5122124179004. langfristige Rückkehrperspektiven in Vollzeit- pdf?__blob=publicationFile (Stand: 01.04.2020) arbeit sowie Karriereoptionen trotz temporärer 6. OECD (Hrsg) (2017) Dare to Share – Deutschlands Weg zur Partnerschaftlichkeit in Familie und Beruf. OECD Publishing, familien- und pflegebedingter Auszeiten möglich Paris. sind, so der OECD-Bericht „Dare to share“ [6]. https://doi.org/10.1787/9789264263420-de (Stand: 01.04.2020) Erforderlich sind zudem Maßnahmen, die eine 7. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2019) Brücken- teilzeit. partnerschaftliche Übernahme unbezahlter Sor- www.bmas.de/DE/Themen/Arbeitsrecht/Teilzeit/bruecken- gearbeit in der Familie fördern sowie eine Ver- teilzeit-artikel.html (Stand: 01.04.2020) besserung der Angebote professioneller, bezahlter 8. Sachverständigenkommission zum Zweiten Gleichstellungs- bericht der Bundesregierung (Hrsg) (2017) Erwerbs- und Sor- Sorgearbeit. Das am 1. Januar 2019 in Kraft getre- gearbeit gemeinsam neu gestalten. Gutachten für den Zweiten tene „Gesetz zur Weiterentwicklung des Teilzeit- Gleichstellungsbericht der Bundesregierung. Sachverstän- rechts – Einführung einer Brückenteilzeit“ kann digenkommission zum Zweiten Gleichstellungsbericht der vor diesem Hintergrund als ein wichtiger Schritt Bundesregierung, Berlin 9. Bujard M, Panova R (2016) Zwei Varianten der Rushhour des eingestuft werden. Auch ein weiterer Ausbau von Lebens: Lebensentscheidungen bei Akademiker/innen und Betreuungsmöglichkeiten für Kleinkinder sowie Zeitbelastung bei Familien mit kleinen Kindern. Bevölke- der außerschulischen Betreuung für Kinder im rungsforschung Aktuell 37(1):11–20 10. Schulz F, Blossfeld HP (2006) Wie verändert sich die häus- Grundschulalter ist von Bedeutung [6]. Laut Heit- liche Arbeitsteilung im Eheverlauf. Eine Längsschnittstudie kötter vom Deutschen Jugendinstitut [112] geht der ersten 14 Ehejahre in Westdeutschland. Kolner Z Soz Soz- es allerdings nicht darum, einseitig durch den psychol 58(1):23–49 11. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausbau außerhäuslicher Kinderbetreuungsmög- (Hrsg) (2015) 25 Jahre Deutsche Einheit. Gleichstellung und lichkeiten das Familienleben arbeitsweltfähig Geschlechtergerechtigkeit in Ostdeutschland und West- zu gestalten, sondern gemeinsame Alltagszeit deutschland. BMFSFJ, Berlin 12. Floderus B, Hagman M, Aronsson G et al. (2009) Work status, als Grundbedingung des Familienlebens anzu- work hours and health in women with and without children. erkennen und damit auch auf eine Aufwertung Occup Environ Med 66(10):704–710 der Sorgearbeit – die bislang in unserer Gesell- 13. Popham F, Gray L, Bambra C (2012) Employment status and schaft nach wie vor der Erwerbsarbeit untergeord- the prevalence of poor self-rated health. Findings from UK individual-level repeated cross-sectional data from 1978 to net ist – hinzuwirken. Auf EU-Ebene werden mit 2004. BMJ Open 2(6):1–10. der »Richtlinie des Europäischen Parlaments und https://bmjopen.bmj.com/content/2/6/e001342 (Stand: des Rates zur Vereinbarkeit von Beruf und Privat- 01.04.2020) 14. Roos E, Burström B, Saastamoinen P et al. (2005) A compara- leben für Eltern und pflegende Angehörige« vom tive study of the patterning of women‘s health by family status Februar 2019 Rahmenbedingungen geschaffen, and employment status in Finland and Sweden. Soc Sci Med um die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu erleich- 60(11):2443–2451 15. Roos E, Lahelma E, Saastamoinen P et al. (2005) The asso- tern und eine partnerschaftliche Aufteilung von ciation of employment status and family status with health Betreuungs- und Pflegeaufgaben zwischen Frauen among women and men in four Nordic countries. Scand J of und Männern zu fördern [113]. Public Health 33(4):250–260
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