Gesundheitsberichterstattung des Bundes - Heft 49 Entzündlich-rheumatische Erkrankungen - RKI

 
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ROBERT KOCH INSTITUT
                    Statistisches Bundesamt

      Heft 49
      Entzündlich-rheumatische
      Erkrankungen

Gesundheitsberichterstattung des Bundes
Gesundheitsberichterstattung des Bundes
Heft 49

Entzündlich-rheumatische Erkrankungen

Autorinnen: Angela Zink, Kirsten Minden, Sabine M. List

Herausgeber: Robert Koch-Institut, Berlin 2010
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49   3

Gesundheitsberichterstattung des Bundes

Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes                 gebündelt und gemeinsam herausgegeben
(GBE) liefert daten- und indikatorengestützte               werden. Die fortlaufende Erscheinungsweise
Beschreibungen und Analysen zu allen Bereichen              gewährleistet Aktualität. Die Autorinnen und
des Gesundheitswesens.                                      Autoren sind ausgewiesene Expertinnen und
                                                            Experten aus dem jeweiligen Bereich.
                                                            www.rki.de
               Rahmenbedingungen
              des Gesundheitswesens
                                                      ▶ Informationssystem der Gesundheitsbericht-
                                                        erstattung des Bundes
               Gesundheitliche Lage                     ▶ Das Informationssystem der Gesundheits-
                                                           berichterstattung des Bundes liefert als
                                                           Online-Datenbank schnell, kompakt und
                                                           transparent gesundheitsrelevante Informa-
         Gesundheits-        Gesundheits-                  tionen zu allen Themenfeldern der Gesund-
         verhalten und        probleme,                    heitsberichterstattung. Die Informationen
        -gefährdungen        Krankheiten                   werden in Form von individuell gestaltbaren
                                                           Tabellen, übersichtlichen Grafiken, verständ-
                                                           lichen Texten und präzisen Definitionen
                                                           bereitgestellt und können heruntergeladen
         Leistungen und Inanspruchnahme
                                                           werden. Das System wird ständig ausgebaut.
                                                           Derzeit sind aktuelle Informationen aus
                                                           über 100 Datenquellen abrufbar. Zusätzlich
                                                           können über dieses System die GBE-The-
       Ressourcen der         Ausgaben,
        Gesundheits-          Kosten und                   menhefte sowie weitere GBE-Publikationen
         versorgung          Finanzierung                  abgerufen werden.
                                                           www.gbe-bund.de

Als dynamisches und in ständiger Aktualisierung       ▶ Schwerpunktberichte
begriffenes System bietet die Gesundheitsbericht-       ▶ In den Schwerpunktberichten werden spe-
erstattung des Bundes die Informationen zu den            zielle Themen der Gesundheit und des Ge-
Themenfeldern in Form sich ergänzender und                sundheitssystems detailliert und umfassend
aufeinander beziehender Produkte an:                      beschrieben.
                                                          www.rki.de
▶ Themenhefte der Gesundheitsberichterstattung
  des Bundes                                          ▶ GBE kompakt
  ▶ In den Themenheften werden spezifische              ▶ Die online-Publikationsreihe GBE kompakt
     Informationen zum Gesundheitszustand                 präsentiert in knapper Form Daten und Fak-
     der Bevölkerung und zum Gesundheitssys-              ten zu aktuellen gesundheitlichen Themen
     tem handlungsorientiert und übersichtlich            und Fragestellungen. Die vierteljährliche
     präsentiert. Jedes Themenheft lässt sich             Veröffentlichung erfolgt ausschließlich in
     einem der GBE-Themenfelder zuordnen;                 elektronischer Form.
     der innere Aufbau folgt ebenfalls der Struktur       www.rki.de/gbe-kompakt
     der Themenfelder. Somit bieten die Themen-
     felder der GBE sowohl den Rahmen als auch        Die Aussagen der Gesundheitsberichterstattung
     die Gliederung für die Einzelhefte. Inhalt-      des Bundes beziehen sich auf die nationale, bun-
     lich zusammengehörende Themen können             desweite Ebene und haben eine Referenzfunktion
4    Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49

    für die Gesundheitsberichterstattung der Länder.       und Experten in wissenschaftlichen Forschungs-
    Auf diese Weise stellt die GBE des Bundes eine         einrichtungen und die Fachöffentlichkeit. Zur
    fachliche Grundlage für politische Entscheidun-        Zielgruppe gehören auch Bürgerinnen und Bür-
    gen bereit und bietet allen Interessierten eine        ger, Patientinnen und Patienten, Verbrauche-
    datengestützte Informationsgrundlage. Darüber          rinnen und Verbraucher und ihre jeweiligen Ver-
    hinaus dient sie der Erfolgskontrolle durchge-         bände.
    führter Maßnahmen und trägt zur Entwicklung                 Das vorliegende Heft 49 der Gesundheits-
    und Evaluierung von Gesundheitszielen bei.             berichterstattung des Bundes »Entzündlich-rheu-
         Der Leser- und Nutzerkreis der GBE-Produkte       matische Erkrankungen« lässt sich folgenderma-
    ist breit gefächert: Angesprochen sind Gesund-         ßen in das Gesamtspektrum der Themenfelder
    heitspolitikerinnen und -politiker, Expertinnen        einordnen:

                 Rahmenbedingungen
                des Gesundheitswesens

                 Gesundheitliche Lage

           Gesundheits-         Gesundheits-                Krankheiten des
           verhalten und         probleme,                                            Entzündlich-rheuma-
                                                         Muskel-Skelett-Systems
          -gefährdungen         Krankheiten                                           tische Erkrankungen
                                                         und des Bindegewebes

           Leistungen und Inanspruchnahme

         Ressourcen der           Ausgaben,
          Gesundheits-            Kosten und
           versorgung            Finanzierung
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49                       5

Inhaltsverzeichnis

           1       Einleitung  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 7

           2       Entzündlich-rheumatische Erkrankungen im Erwachsenenalter .  .  .  .  .  .  .  .  . 7
           2.1     Rheumatoide Arthritis .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 8
           2.2     Ankylosierende Spondylitis  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  10
           2.3     Systemischer Lupus erythematodes  . 11
           2.4     Krankheitslast entzündlich-rheumatischer Krankheiten  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  12
           2.4.1   Die rheumatologische Kerndokumentation für Erwachsene .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  12
           2.4.2   Krankheitsfolgen .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  14
           2.5     Versorgungsangebote und Inanspruchnahme  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  16
           2.5.1   Ambulante Versorgung . 16
           2.5.2   Akutstationäre Versorgung . 18
           2.5.3   Rehabilitation . 20
           2.6     Krankheitskosten  . 21

           3       Entzündlich-rheumatische Erkrankungen im Kindesalter .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 23
           3.1     Krankheitsbilder .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  23
           3.2     Juvenile idiopathische Arthritis  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  23
           3.3     Versorgung .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  25
           3.4     Krankheitsfolgen .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  27

           4       Schlussfolgerungen  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  28

           5       Literatur .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 29

           6       Glossar .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  33
6   Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49   7

Entzündlich-rheumatische Erkrankungen

1 Einleitung

Bei den entzündlich-rheumatischen Erkrankun-         Erfolg der Zentrumsbildung auf der Ebene der
gen handelt es sich um zumeist chronisch verlau-     Patientenversorgung zu beurteilen. Sie wird von
fende Krankheiten des Immunsystems. Sie gehen        Rheumatologinnen und Rheumatologen in Pra-
mit Entzündungen unterschiedlicher Körper-           xen und Kliniken getragen, die in den 30 Regi-
gewebe einher und zeigen sich vor allem an den       onalen Kooperativen Rheumazentren zusam-
Bewegungsorganen. Schmerzen an Gelenken              menarbeiten von denen aktuell 20 an Erfassung
und umgebenden Geweben, Bewegungsein-                teilnehmen [1, 2, 3, 4, 5]. Die Kerndokumentation
schränkungen sowie Allgemeinsymptome wie             ermöglicht es, die Krankheitslast und Folgen ent-
Abgeschlagenheit, Fieber oder Gewichtsverlust        zündlich-rheumatischer Erkrankungen sowie
sind die wichtigsten Anzeichen, aber auch innere     Aspekte der Versorgung abzubilden. Damit ist
Organe (z. B. Herz, Niere) können in Mitleiden-      sie u. a. von großem Wert für die Qualitätssiche-
schaft gezogen werden. Anders als beispielswei-      rung der rheumatologischen Versorgung und
se bei Herz-Kreislauf- oder Krebserkrankungen        die Planung von Versorgungsangeboten. Seit
erschließt sich die Bedeutung entzündlich-rheu-      1997 wird neben der rheumatologischen Kern-
matischer Erkrankungen weniger aus dem Ster-         dokumentation für Erwachsene auch eine für
berisiko als aus schwerwiegenden Beeinträchti-       betroffene Kinder und Jugend liche bundesweit
gungen der Lebensqualität der Betroffenen.           durchgeführt. Hieran beteiligen sich derzeit
    Die Ursachen der meisten entzündlich-rheu-       40 kinderrheumatologische Einrichtungen.
matischen Krankheiten sind bis heute nicht           Erfasst werden über ein Viertel der in der Bevöl-
ausreichend geklärt. Es gilt jedoch als gesichert,   kerung zu erwartenden entzündlich-rheumati-
dass komplexe genetische, immunologische             schen Krankheitsfälle bei Kindern und Jugend-
und hormonelle Prozesse mit Umweltfaktoren           lichen.
(z. B. Infektionen, Rauchen) zusammenwirken.
Wegen der sehr vielfältigen Erscheinungsfor-
men erfordert das Stellen einer rheumatologi-        2 Entzündlich-rheumatische Erkrankun-
schen Diagnose die Beobachtung einer Vielzahl          gen im Erwachsenenalter
klinischer Zeichen, die Befragung der Erkrank-
ten und die Durchführung technischer Untersu-        Zu den entzündlich-rheumatischen Krankheiten
chungen. Neben dem klinischen Befund geben           des Erwachsenenalters gehören mehr als 100 ver-
Geschlecht, Erkrankungsalter, Art des Gelenk-        schiedene Krankheitsbilder. Die Zusammenfas-
befalls, Schmerzcharakter und Familienanam-          sung zu einer Gruppe lässt sich damit begründen,
nese wichtige Hinweise. Entzündlich-rheuma-          dass es sich um schwere, chronisch entzündliche
tische Krankheiten können im Kindes- und im          Allgemeinerkrankungen handelt, bei denen das
Erwachsenenalter auftreten. Das Spektrum der         Immunsystem körpereigene Stoffe und Struk-
Erkrankungen, deren Verlauf und Prog nose            turen, bevorzugt an den Bewegungsorganen,
unterscheiden sich jedoch erheblich. Daher           angreift. Dies führt zu dauerhaften Schmerzen
werden im Folgenden die entzündlich-rheumati-        und oftmals zu einem fortschreitenden Verlust
schen Krankheiten des Kindes- und des Erwach-        körperlicher Funktionsfähigkeit.
senenalters getrennt dargestellt.                       Man unterscheidet drei große Gruppen ent-
    Der vorliegende Bericht stützt sich wesent-      zündlich-rheumatischer Krankheiten:
lich auf Daten der »rheumatologischen Kern-
dokumentation«. Diese wurde im Rahmen des            ▶ die entzündlichen Gelenkerkrankungen (Poly-
Förderprogramms des Bundesministeriums für             arthritiden) mit der rheumatoiden Arthritis
Gesundheit zum Auf bau regionaler kooperati-           (RA; Synonym: chronische Polyarthritis) als
ver Rheumazentren 1993 eingeführt, um den              wichtigste Einzeldiagnose,
8         Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49

    ▶ die entzündlichen Erkrankungen der Wirbel-                    fig sind die Hände betroffen, was zu Einschrän-
      säule und einzelner Gelenke (Spondyloarthriti-                kungen in der Selbstversorgung führen kann. Der
      den) mit der ankylosierenden Spondylitis (AS,                 ebenfalls häufige Befall von Hüft-, Knie-, Sprung-
      früher: Morbus Bechterew) als typische Krank-                 und Zehengelenken beeinträchtigt vor allem die
      heit sowie                                                    körperliche Mobilität.
    ▶ die Gruppe der entzündlich-rheumatischen                         Um die Krankheit von ähnlichen Krankheits-
      Erkrankungen der Gefäße und des Bindegewe-                    bildern abzugrenzen, wird international die
      bes (Vaskulitiden und Kollagenosen) mit dem                   Klassifikation der amerikanischen rheumatolo-
      systemischen Lupus erythematodes (SLE) als                    gischen Gesellschaft verwendet (siehe Tabelle 1).
      häufigste Einzeldiagnose.                                     Die Diagnose einer rheumatoiden Arthritis gilt
                                                                    als gesichert, wenn vier dieser sieben Kriterien
       Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden im                  erfüllt sind. Die Kriterien 1 bis 4 müssen seit
    Folgenden nur Daten für das jeweils wichtigste                  mindestens sechs Wochen bestehen. Eine frühe
    Krankheitsbild dieser drei Gruppen dargestellt.                 RA kann auch diagnostiziert und behandelt wer-
                                                                    den, wenn weniger als vier Kriterien erfüllt sind.
                                                                    Man unterscheidet zwei Formen der RA je nach-
    2 .1 Rheumatoide Arthritis                                      dem, ob ein spezifischer Autoantikörper, der sog.
                                                                    Rheumafaktor, nachgewiesen werden kann. Die
    Klinisches Bild und Klassifikation                              seropositive RA, also die Form mit vorhandenem
    Die rheumatoide Arthritis (RA) ist eine chroni-                 Rheumafaktor, nimmt in der Regel einen schwe-
    sche entzündliche Gelenkerkrankung. Sie befällt                 reren Verlauf als die seronegative. Etwa 60 % bis
    – meist symmetrisch – vor allem die von der                     80 % der RA-Kranken mit länger bestehender
    Körpermitte entfernten (stammfernen) Gelenke.                   Krankheit sind Rheumafaktor positiv, zu Beginn
    Die chronische Entzündung der Gelenkinnen-                      der Erkrankung sind es nur etwa 50 % [6].
    häute führt je nach Schwere der Erkrankung rasch
    oder schleichend zur Zerstörung von Knorpel und                 Epidemiologie
    angrenzendem Knochen mit einer im Röntgen-                      Gemessen an den genannten Kriterien geht man
    bild sichtbaren Zerstörung der betroffenen Gelen-               in Deutschland von einer Häufigkeit der RA von
    ke. Typisch sind allgemeine Krankheitszeichen                   0,5 % bis 0,8 % der erwachsenen Bevölkerung
    wie Abgeschlagenheit und Kraftlosigkeit sowie                   aus [8]. Diese Schätzung wird durch neuere euro-
    Entzündungen von Sehnenscheiden, Gefäßen                        päische [9] und US-amerikanische [10] Untersu-
    und inneren Organen. Körperliche Funktionsein-                  chungen bestätigt. Weltweit gibt es – abgesehen
    schränkungen sind zu Beginn der Erkrankung                      von einzelnen isolierten Populationen wie z. B.
    vor allem durch Schmerz und Gelenkschwellung                    Indianerstämmen – relativ wenig Unterschie-
    bedingt. In späteren Stadien führt die Zerstörung               de in der Häufigkeit der rheumatoiden Arthri-
    des Gelenkknorpels und der Sehnen zu bleiben-                   tis. Typischerweise beginnt die Erkrankung im
    den Fehlstellungen und Funktionsausfällen. Dies                 fünften bis achten Lebensjahrzehnt. Das mittlere
    kann sich an allen Gelenken ereignen. Sehr häu-                 Erkrankungsalter liegt zwischen 55 und 65 Jah-
    Tabelle 1
    Klassifikationskriterien für die rheumatoide Arthritis
    Quelle: [7]

     1.     Morgensteifigkeit der Gelenke von mehr als einer Stunde Dauer
     2.     Arthritis an mehr als drei Gelenken
     3.     Arthritis an Hand-, Fingergrund- und Fingermittelgelenken
     4.     symmetrische Gelenkentzündungen
     5.     subkutane Knoten (Rheumaknoten)
     6.     Nachweis des Rheumafaktors (eines Autoantikörpers) im Blutserum
     7.     typische Veränderungen an den Händen im Röntgenbild
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49    9

ren, wobei Männer später erkranken als Frauen          Verlauf und Prognose
[9, 11, 12, 13]. Pro Jahr muss mit 20 bis 30 Neuer-    Der Verlauf einer rheumatoiden Arthritis kann
krankungen je 100.000 Männer und 40 bis 60             im Einzelfall kaum vorhergesagt werden. Man
Neuerkrankungen je 100.000 Frauen gerechnet            ging früher davon aus, dass nur etwa 10 % bis
werden [13, 14, 15]. Die Inzidenz steigt mit dem       15 % dauerhaft einen beschwerdefreien Zustand
Alter an. Junge Frauen haben im Vergleich zu           (Remission) erreichen [22]. Heute weiß man, dass
gleichaltrigen Männern ein vierfach höheres            dies bei früh einsetzender Behandlung für mehr
Erkrankungsrisiko. Im hohen Lebensalter gleicht        als die Hälfte der Betroffenen möglich ist [23]. Bei
sich die geschlechtsspezifische Erkrankungshäu-        allen anderen Betroffenen, insbesondere denen
figkeit jedoch an [13].                                mit spät einsetzender Therapie, ist immer wie-
    Die rheumatoide Arthritis ist eine Krankheit       der mit Phasen höherer Krankheitsaktivität und
mit genetischem Hintergrund. Der wichtigste            potenzieller Gelenkzerstörung zu rechnen [24].
genetische Risikofaktor ist das Humane Leuko-          Prognostisch ungünstige Zeichen sind bestimm-
zyten-Antigen HLA DBR1. Studien an eineiigen           te Autoantikörper, eine genetische Veranlagung,
Zwillingen ergaben, dass etwa die Hälfte des           frühe Zeichen einer Gelenkzerstörung im Rönt-
Erkrankungsrisikos durch genetische Faktoren           genbild, eine hohe Zahl geschwollener Gelenke,
bedingt ist [16]. Dies bedeutet, dass es neben         eine symmetrische Gelenkbeteiligung und ein
erblichen Merkmalen eine Reihe weiterer Fak-           hohes Erkrankungsalter [25]. Frauen sind häufig
toren geben muss, die die Krankheit auslösen.          schwerer betroffen als Männer [25, 26, 27]. Der
Der wichtigste Umweltfaktor für die Entstehung         Verzicht auf Tabakkonsum nach Krankheits-
einer RA ist das Rauchen [17, 18, 19]. Die Intensi-    ausbruch scheint zu einem milderen Verlauf
tät, vor allem aber die Dauer des Rauchens sind        beizutragen [28]. Neben der Einschränkung der
mit dem Erkrankungsrisiko assoziiert. So haben         Lebensqualität durch Schmerzen, fortschreiten-
Personen, deren Tabakkonsum 20 »Packungs-              de Verringerung der Beweglichkeit und Abhän-
Jahre« übersteigt, d. h. die z. B. 20 Jahre lang       gigkeit von der Hilfe anderer ist die rheumatoide
1 Päckchen Zigaretten pro Tag oder 10 Jahre lang       Arthritis auch mit einem erhöhten Sterberisiko
2 Päckchen Zigaretten pro Tag geraucht haben,          (beispielsweise aufgrund von Arteriosklerose
ein dreifach erhöhtes Erkrankungsrisiko [20]. In       oder schweren Infektionen) verbunden [29].
den letzten Jahren ist deutlich geworden, dass es
eine Interaktion zwischen Rauchen, genetischen         Behandlung
Faktoren und dem Ausbruch der Rheumafaktor-            Die ersten drei bis sechs Monate der Erkran-
positiven RA gibt. Wer niemals geraucht hat und        kung stellen ein »therapeutisches Fenster« dar,
von beiden Eltern das genetische Risiko geerbt hat,    innerhalb dessen der immunologische Prozess
besitzt ein vierfach erhöhtes Risiko, an einer sero-   gestoppt oder nachhaltig verändert werden kann
positiven RA zu erkranken. Wer zusätzlich noch         [30]. Frühe Diagnose und Therapieeinleitung
raucht, erhöht das Risiko auf das sechzehnfache.       sind von entscheidender Bedeutung für das wei-
Durch Untersuchungen an Blutspendern wurde             tere Schicksal der Betroffenen. Daher sollte jede
ermittelt, dass die Entwicklung der Autoantikör-       Person mit mehr als sechs Wochen bestehenden
per dem Krankheitsausbruch um viele Jahre vor-         Schwellungen in mehr als zwei Gelenken, die
ausging. Rauchen erhöht die Wahrscheinlichkeit,        nicht durch einen Unfall hervorgerufen sind,
dass »Fehler« in der immunologischen Selbstto-         ohne Verzug in internistisch-rheumatologische
leranz auftreten und Antikörper gegen körper-          Behandlung überwiesen werden [31]. Nachdem
eigene Stoffe gebildet werden. Dies erklärt auch,      die Diagnose gestellt und erforderlichen Falls
warum es keinen Zusammenhang zwischen Rau-             eine Therapie eingeleitet wurde, kann die Weiter-
chen und dem Ausbruch der seronegativen RA             betreuung in der Regel hausärztlich erfolgen. Bei
gibt. Eine fischöl- und vitaminreiche »Mittelmeer-     Zustandsverschlechterungen oder Therapiekom-
ernährung« scheint einen gewissen Schutz vor           plikationen muss erneut eine Rheumatologin
der Erkrankung zu bieten, während der Verzehr          bzw. ein Rheumatologe hinzugezogen werden.
von viel rotem Fleisch mit einem erhöhten Erkran-         Möglichst innerhalb der ersten drei Monate
kungsrisiko assoziiert ist [21].                       nach Symptombeginn sollte die Behandlung mit
10     Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49

     einem der so genannten Basistherapeutika ein-         (= »Spondyl«-itis) und den Gelenken (= »Arthr«-
     geleitet werden [31, 32]. Diese Medikamente sind      itis) sind. »Ankylosierend« bedeutet »zur knö-
     bei der Mehrzahl der Kranken in der Lage, die         chernen Gelenkversteifung führend« und
     entzündliche Aktivität nachhaltig zu verringern       beschreibt die mit der Krankheit einhergehende
     oder zu beseitigen, die Gelenkzerstörung auf-         fortschreitende Versteifung der Wirbelsäule mit
     zuhalten und die Lebensqualität zu verbessern.        daraus folgendem Beweglichkeitsverlust. Typisch
     Bei frühem Therapiebeginn wird rund die Hälfte        sind außerdem Entzündungen an den Sehnenan-
     der Betroffenen vollständig beschwerdefrei. Dies      satzstellen (so genannte Enthesitis, z. B. an den
     kann nur erreicht werden, so lange noch kei-          Fersen) sowie Krankheitszeichen außerhalb des
     ne irreversiblen Schäden eingetreten sind. Die        Skelettsystems (Augen, Schleimhäute, Darm,
     wichtigsten Substanzen in der Behandlung der          Urogenitaltrakt). Für die Diagnose einer ankylo-
     RA sind Methotrexat, Sulfasalazin und Antima-         sierenden Spondylitis sind drei klinische Zeichen
     lariamittel. Zunehmend werden diese Präparate         sowie typische Veränderungen im Röntgenbild
     auch kombiniert angewandt. Seit wenigen Jahren        ausschlaggebend (siehe Tabelle 2). Als gesichert
     stehen zusätzlich zu diesen bewährten Medika-         gilt die AS bei Vorliegen des radiologischen und
     menten gentechnisch hergestellte Präparate (sog.      eines klinischen Kriteriums. Als wahrscheinliche
     Biologika) zur Verfügung, die zentral in den Ent-     AS werden alle Formen bezeichnet, die nur die
     zündungsprozess eingreifen. In klinischen Stu-        klinischen oder nur das radiologische Kriterium
     dien haben sie eine hohe Wirksamkeit bewiesen         erfüllen.
     [32]. Zu diesen Medikamenten gehören die TNF-
                                                           Tabelle 2
     alpha-Inhibitoren sowie weitere Medikamente,          Klassifikationskriterien für die ankylosierende Spondylitis
     die gezielt Zellen des Immunsystems ausschal-         (modifizierte New York Kriterien)
     ten. Sie stellen für schwer betroffene Personen       Quelle: [1]
     eine neue therapeutische Chance dar. Ihre Nach-
     teile sind die sehr hohen Therapiekosten, die Not-    Klinische Kriterien:
     wendigkeit der Dauertherapie und die noch nicht         Kreuzschmerzen seit mehr als drei Monaten,
     ausreichend bekannten Langzeitwirkungen.                Besserung durch Bewegung
         Ergänzend zur medikamentösen Therapie               Bewegungseinschränkungen der Lendenwirbelsäule
     sollten die Betroffenen mit sekundärpräventiver         verminderte Atembreite
     Zielsetzung über den Nutzen gelenkschonen-            Radiologisches Kriterium:
     der körperlicher Aktivitäten (z. B. Schwimmen,
                                                             typische Veränderungen im Röntgenbild
     Radfahren) sowie einer ausgewogenen, vitamin-
     reichen Ernährung informiert werden. Je nach
     Aktivität des Krankheitsprozesses bzw. Ausmaß         Epidemiologie
     der Gelenkveränderungen ergänzen Maßnah-              Die Erkrankung beginnt typischer Weise zwi-
     men aus dem Bereich der Physio-, Ergo- und            schen dem 20. bis 40. Lebensjahr, selten erkran-
     physikalischen Therapie, die Verordnung geeig-        ken Kinder oder ältere Menschen. Mehr Männer
     neter Hilfsmittel sowie gegebenenfalls operative      als Frauen sind von AS betroffen. Doch wird mög-
     Eingriffe an Gelenken (siehe Abschnitt 2.5.2) die     licherweise die AS-Häufigkeit bei Frauen unter-
     Behandlung.                                           schätzt, da die Erkrankung bei ihnen teilweise
                                                           leichter verläuft und häufiger erst spät erkannt
                                                           wird [1, 4]. Der wesentliche Risikofaktor für die
     2 .2 Ankylosierende Spondylitis                       Entstehung einer ankylosierenden Spondylitis
                                                           ist das Vorhandensein eines genetischen Merk-
     Klinisches Bild und Klassifikation                    mals, des Humanen Leukozyten Antigens (HLA)
     Die ankylosierende Spondylitis (AS, früher:           B27. In der Normalbevölkerung kommt HLA-B27
     Morbus Bechterew) gehört zur Gruppe der               je nach Land mit einer Häufigkeit von 8 % bis
     entzündlichen Erkrankungen der Wirbelsäu-             12 % vor. Von den AS-Erkrankten sind mehr als
     le (Spondyloarthritiden), deren Gemeinsam-            90 % HLA-B27 positiv [33]. Die unterschiedliche
     keiten die Manifestationen an der Wirbelsäule         Verbreitung des HLA-B27 in den verschiedenen
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49   11

Bevölkerungen spiegelt sich in regional unter-        Behandlung
schiedlichen Häufigkeiten der AS. Eine zuverläs-      Die entzündliche Aktivität wird bei der anky-
sige Schätzung der Erkrankungshäufigkeit wird         losierenden Spondylitis im Wesentlichen mit
dadurch erschwert, dass je nach verwendeten           nichtsteroidalen Antirheumatika bekämpft. Die
Diagnosekriterien unterschiedliche Prävalenzen        klassischen Basistherapeutika zur Behandlung
ermittelt werden. So weisen 0,5 % bis 2 % der         der rheumatoiden Arthritis wie Sulfasalazin und
Bevölkerung bei Röntgenuntersuchungen AS-             Methotrexat sind im Hinblick auf den Wirbelsäu-
typische Veränderungen auf [2]. Allerdings wer-       lenbefall bei AS weitgehend wirkungslos. Um zu
den anhand dieses Kriteriums auch beschwerde-         erreichen, dass die Versteifung der Wirbelsäule
freie Personen erfasst. Für eine klinisch relevante   in möglichst aufrechter Form erfolgt, sind ständi-
AS werden für Europa Häufigkeiten zwischen            ge krankengymnastische Übungsbehandlungen
0,2 % und 0,4 % der Bevölkerung angegeben [34].       erforderlich. Ihre Wirksamkeit wurde in meh-
Eine deutsche Studie ermittelte unter Verwen-         reren randomisierten klinischen Studien belegt
dung magnetresonanztomografischer Verfah-             [38]. Unterstützend können auch Kälteanwendun-
ren (MRT) die wesentlich höhere Prävalenz von         gen (Packungen, Kältekammer) und andere phy-
0,8 % [3]. Für Schätzungen wird im Folgenden          sikalisch-therapeutische Maßnahmen Linderung
eine Häufigkeit von 0,5 % angenommen.                 bringen. Patientengruppen mit selbstständigen
                                                      Übungsprogrammen können entscheidend dazu
Verlauf und Prognose                                  beitragen, die Bereitschaft der Betroffenen zur
Die fortschreitende Versteifung der Wirbelsäule       Befolgung bestimmter Verhaltensempfehlungen
kann zu erheblichen Bewegungseinschränkun-            (Compliance) zu erhöhen. In neuerer Zeit werden
gen, z. B. beim Bücken oder beim Drehen des           die bereits erwähnten Biologika auch bei ankylo-
Kopfes, führen. Weitere typische Begleitsympto-       sierender Spondylitis eingesetzt. Eine exzellen-
me sind Entzündungen an Gelenken, vor allem           te Wirkung wurde bei mehr als der Hälfte der
an den Kniegelenken. Aber auch Lunge, Herz,           Betroffenen mit einer schweren AS beobachtet [5,
Augen, Nieren und andere Organe können in Mit-        39, 40]. Damit stehen erstmals wirksame, wenn
leidenschaft gezogen werden. Der Verlauf einer        auch sehr teure Medikamente zur Behandlung
AS ist sehr variabel. In vielen Fällen verläuft die   von Menschen mit einer schweren aktiven AS, bei
Krankheit milde mit langen beschwerdearmen            denen sich andere Arzneimittel als unwirksam
Intervallen. Eine komplette Ausheilung ist jedoch     erwiesen haben, zur Verfügung.
selten. Im Verlauf von zehn Jahren ist in etwa der
Hälfte der Fälle mit einem eher milden Verlauf,
in knapp 30 % mit einem mäßigen Fortschreiten         2 .3 Systemischer Lupus erythematodes
der Wirbelsäulenversteifung und in rund 20 %
mit schweren röntgenologisch nachweisbaren            Klinisches Bild und Klassifikation
Veränderungen der Wirbelsäule zu rechnen [35].        Dieses Krankheitsbild gilt als Prototyp einer
Prognostisch ungünstige Zeichen sind der Befall       Autoimmun- und Immunkomplexerkrankung.
der Hüftgelenke, hohe Entzündungszeichen im           Die Patientinnen und Patienten bilden eine
Blut, geringe Wirksamkeit bestimmter antirheu-        Vielzahl von Antikörpern gegen körpereigenes
matisch wirkender Arzneimittel (nichtsteroidale       Gewebe, die dieses angreifen und Entzündungen
Antirheumatika), Bewegungseinschränkungen             an Gelenken, aber auch inneren Organen her-
der Lendenwirbelsäule, der Befall von Finger-,        vorrufen. Die Krankheit verläuft typischerweise
Zehen- und anderen Gelenken sowie der Beginn          in Schüben und kann zahlreiche Organsysteme
der Krankheit vor dem 16. Lebensjahr [4, 36]. Die     befallen. Typische Zeichen des systemischen
Lebenserwartung ist nicht grundsätzlich einge-        Lupus erythematodes (SLE) sind ein schmetter-
schränkt. Schwer betroffene Erkrankte haben           lingsförmiger Hautausschlag im Gesicht, Aus-
jedoch ein erhöhtes Sterberisiko, vor allem an        schläge an anderen Körperstellen nach Aufenthalt
Herz-Kreislauf-, Nieren- und Atemwegserkran-          in der Sonne, Gelenkschmerzen und -entzündun-
kungen [4, 37].                                       gen, Muskelschwäche und Nierenentzündungen.
                                                      Seltener treten Symptome im Bereich der Lunge,
12     Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49

     des Herzens oder des zentralen Nervensystems          Verlauf und Prognose
     auf [41]. Für die Klassifikation des SLE werden       Der SLE galt früher als eine sehr seltene, häu-
     die Kriterien der amerikanischen rheumatologi-        fig zum Tode führende Erkrankung. Durch die
     schen Fachgesellschaft von 1982 verwendet [42].       verbesserten Möglichkeiten der Antikörper-Diag-
     Sind mindestens vier von insgesamt elf Kriterien      nostik werden heute auch klinisch unauffälligere
     erfüllt, kann die Diagnose eines SLE gestellt wer-    Formen entdeckt. Zusammen mit Fortschritten
     den. Allerdings eignen sich die Kriterien kaum        in der medikamentösen Therapie hat sich die
     für die Frühdiagnose und sind vorrangig dazu          Prognose des Krankheitsbildes entscheidend
     entwickelt worden, Studien besser vergleichen zu      verbessert [43]. Während 1954 die 5-Jahres-Über-
     können.                                               lebensrate unter 50 % lag [48], betrug sie in den
                                                           1980er-Jahren etwa 85 % [48]. Heute wird sie auf
     Epidemiologie                                         90 % bis 95 % geschätzt [41, 49]. Die 10-Jahres-
     Die Krankheit beginnt typischerweise zwischen         Überlebensrate beträgt nach neueren Studien
     dem 20. und 30. Lebensjahr. Frauen sind zehn-         in weißen Bevölkerungen um 85 %, die 15-Jah-
     mal häufiger betroffen als Männer. Die jährli-        res-Überlebensrate 79 % bis 87 % [49]. Häufige
     che Neuerkrankungsrate liegt zwischen 2 und 8         Todesursachen sind Arteriosklerose, Infektionen
     Personen je 100.000 Einwohner. In den meisten         (auch als Folge der Therapie) oder ein Versagen
     Studien wird die Neuerkrankungsrate mit 4 bis 5       verschiedener Organsysteme.
     Personen je 100.000 Einwohner beziffert [43, 44].
     Demgegenüber schwanken die Angaben zur Zahl           Behandlung
     bereits erkrankter Personen in der Bevölkerung        Es gibt keine Heilung für einen systemischen
     weitaus stärker. Gründe für die starken Schwan-       Lupus erythematodes. Durch eine geeignete
     kungen liegen einerseits in den Methoden der          Therapie können die Symptome gelindert und
     Fallfindung (Behandlungsregister, Krankenhaus-        schwere Langzeitfolgen vermieden oder zumin-
     entlassungsdiagnosen, Ärztebefragungen etc.),         dest verringert werden. Etwa 75 % der Betroffe-
     andererseits in echten ethnischen Differenzen.        nen erhalten Kortisonpräparate [50]. Zur Dämp-
     So haben in den USA afroamerikanische im              fung der Entzündungsaktivität werden zudem oft
     Vergleich zu weißen Frauen eine etwa dreifach         Antimalariamittel eingesetzt, aber auch Mittel
     erhöhte Erkrankungshäufigkeit [44]. Neuere            zur Unterdrückung des körpereigenen Abwehr-
     Untersuchungen berichten eine Prävalenz des           systems (Immunsuppressiva) wie Methotrexat,
     systemischen Lupus erythematodes um 100 je            Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil oder Cyclo-
     100.000 Personen oder 0,1 % der Bevölkerung           phosphamid. Bei schweren, lebensbedrohlichen
     [43, 45, 46].                                         Erkrankungen muss mit hohen Dosen von Korti-
        Frauen im gebärfähigen Alter haben das             son behandelt werden.
     höchste Risiko an einem SLE zu erkranken. Wäh-
     rend der Schwangerschaft kommt es nicht selten
     zur Verschlechterung des klinischen Bildes. Fehl-,    2 .4 Krankheitslast entzündlich-rheumatischer
     Früh- und Totgeburten sind häufiger als bei                Krankheiten
     gesunden Frauen. Bei den Kindern SLE-kranker
     Mütter besteht die Gefahr einer angeborenen Stö-      2 .4 .1 Die rheumatologische Kerndokumentation
     rung der Erregungsleitung im Herzen (kongeni-                 für Erwachsene
     taler Herzblock). Dennoch lassen sich bei engma-
     schiger rheumatologischer und gynäkologischer         Seit 1993 wird in den Regionalen Kooperativen
     Betreuung in erfahrenen Zentren die früher sehr       Rheumazentren die sogenannte rheumatologi-
     gefürchteten Komplikationen in der Schwanger-         sche Kerndokumentation geführt. Sie wurde
     schaft meist beherrschen. Ein SLE ist daher heute     ursprünglich aufgebaut, um die Versorgungsleis-
     in den meisten Fällen kein Grund mehr, auf ein        tung dieser regionalen Zusammenschlüsse von
     eigenes Kind zu verzichten [47].                      Rheumatologinnen und Rheumatologen in Pra-
                                                           xen, Kliniken und Universitäten mit Angehöri-
                                                           gen weiterer Heil- und Hilfsberufe zu evaluieren.
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49               13

Die Kerndokumentation hat sich zum zentralen                           Von den 14.739 im Jahr 2007 in der rheu-
Instrument des Monitorings der rheumatologi-                        matologischen Kerndokumentation erfassten
schen Versorgung in Deutschland entwickelt.                         Patientinnen und Patienten litten 7.573 an einer
Heute nehmen 20 rheumatologische Praxen und                         RA, 1.362 an einer AS und 892 an einem SLE.
Klinikambulanzen bundesweit teil. Sie erfassen                      In knapp 90 % der Fälle waren die Diagnosen
jährlich gut 15.000 Betroffene mit entzündlich-                     nach anerkannten Klassifikationskriterien gesi-
rheumatischen Krankheiten. Die Dokumenta-                           chert. Mit Ausnahme der AS finden sich in allen
tion besteht aus der elektronischen Erfassung der                   Diagnosegruppen wesentlich mehr Frauen. Das
ärztlichen Angaben zum klinischen Status und                        mittlere Alter lag im Jahr 2007 bei RA-Patientin-
zur Behandlung und der fragebogengestützten                         nen und -Patienten bei 60,4 Jahren und damit
Patientenangaben zu Befinden, Lebensqualität                        deutlich über dem von Personen mit AS (47,1
und Folgen der Erkrankung. Anhand der ein-                          Jahre) bzw. SLE (46,1 Jahre). An RA erkrankten
heitlich erhobenen Daten können Informationen                       Frauen im Mittel zwei Jahre und an SLE rund
zum Krankheitsverlauf sektoren- und krankheits-                     drei Jahre früher als Männer. Dagegen tritt eine
artenübergreifend gewonnen werden. Durch die                        AS bei Männern ca. 2,5 Jahre früher auf als bei
Beschränkung auf spezialisierte Einrichtungen                       Frauen (siehe Tabelle 3 und Abbildung 1).
ist allerdings die Verallgemeinerbarkeit über das
rheumatologische Versorgungssegment hinaus
begrenzt.
Tabelle 3
Grunddaten der in der rheumatologischen Kerndokumentation erfassten Personen (2007)
Quelle: Rheumatologische Kerndokumentation für Erwachsene

                                               Fallzahl gesicherte     Frauen           mittleres Alter mittleres Erkrankungsalter
                                                         Diagnose                   Frauen Männer           Frauen*       Männer*
 rheumatoide Arthritis (RA)                      7.573          87 %         75 %       60,2      61,0         54,7             56,8
 ankylosierende Spondylitis (AS)                 1.362          89 %         38 %       47,8      46,7         39,6             37,1
 systemischer Lupus erythematodes (SLE)            892          91 %         89 %       46,1      46,3         37,1             40,3
 alle entzündlich-                              14.739          86 %         69 %       57,0      55,0         52,0             51,6
 rheumatischen Krankheiten
*	

Abbildung 1
Erkrankungsalter bei rheumatoider Arthritis, ankylosierender Spondylitis und systemischem Lupus erythematodes
(2005 bis 2007)
Quelle: Rheumatologische Kerndokumentation für Erwachsene
15   Prozent

12

9

6

 3

     ≤20       21–25   26–30   31–35    36–40     41–45    46–50     51–55      56–60     61–65    66–70   71–75   76–80     ≥81
                                                                                                                      Altersgruppe
       rheumatoide Arthritis       ankylosierende Spondylitis      systemischer Lupus erythematodes
14     Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49

     2 .4 .2 Krankheitsfolgen                                      AS geben zu einem der RA vergleichbaren Pro-
                                                                   zentsatz starke Schmerzen und einen schlechten
     Allen entzündlich-rheumatischen Krankheiten                   Gesundheitszustand an, während diejenigen mit
     ist gemeinsam, dass sie nur selten spontan aus-               SLE sich selbst besser einschätzen. Bei diesem
     heilen und daher der dauerhaften Behandlung                   Krankheitsbild stehen weniger Schmerz und Funk-
     bedürfen. In vielen Fällen verlaufen sie chronisch-           tionseinschränkung als allgemeine Krankheitszei-
     progredient, d. h. die Betroffenen erleben eine               chen wie Müdigkeit, Fieber und Gewichtsabnahme
     fortschreitende Verschlechterung ihres Zustands.              sowie Auswirkungen eines Organbefalls (z. B. an
     Sie sind daher gezwungen, über viele Jahre mit                Herz oder Niere) im Vordergrund. Es ist davon aus-
     der Krankheit und den hieraus resultierenden Ein-             zugehen, dass Fragen zur Schmerzsymptomatik
     schränkungen und Folgen zu leben. Die tägliche                und zu Funktionseinschränkungen die Problembe-
     Lebensführung kann (z. B. durch Schmerzen und                 lastung dieser Gruppe (Immunvaskulitiden) nicht
     Funktionseinschränkungen) erschwert und die                   in vollem Umfang erfassen [50].
     soziale Teilhabe (z. B. am Erwerbsleben oder an                   Schwere Funktionseinschränkungen sind im
     Freizeitaktivitäten) beeinträchtigt sein.                     Alltag häufig gleichbedeutend damit, das eigene
         In der Befragung der rheumatologischen Kern-              Leben nicht mehr eigenständig bewältigen zu kön-
     dokumentation 2007 geben 22 % der Kranken mit                 nen. Bereits bei einer Krankheitsdauer von bis zu
     einer RA an, im Augenblick unter sehr starken                 fünf Jahren waren 26 % der ambulant behandel-
     Schmerzen zu leiden (siehe Tabelle 4). Über mittel-           ten RA-Kranken auf mehr oder weniger umfang-
     schwere oder leichte Schmerzen berichten jeweils              reiche Hilfe bei der Alltagsbewältigung angewie-
     39 %. Von den Patientinnen und Patienten mit                  sen und 4 % pflegebedürftig. Diese Anteile stiegen
     einer Krankheitsdauer von zehn oder mehr Jahren               mit zunehmender Krankheitsdauer. Mehr als 20
     hatten 25 % sehr starke Schmerzen. Funktionsstö-              Jahre nach Erkrankungsbeginn benötigten rund
     rungen werden in der Rheumatologie mit Hilfe von              40 % Hilfe bei der Bewältigung alltäglicher Ver-
     Fragebögen erfasst, wie z. B. dem in der Kerndo-              richtungen und 20 % Pflegeleistungen [52].
     kumentation verwendeten »Funktionsfragebogen                      In einer prospektiven Verlaufsbeobachtung
     Hannover« (FFbH) [51]. Er misst die Funktions-                von knapp 700 Patientinnen und Patienten mit
     fähigkeit der Erkrankten in Prozent des maximal               früher RA in mehreren deutschen Rheumazen-
     möglichen Werts von 100 %. Danach haben 42 %                  tren wurde in den 1990er-Jahren im ersten Jahr
     der RA-Kranken deutliche Funktionseinschränkun-               der Krankheit bei 76 % der Erwerbstätigen eine
     gen (d. h. maximal 70 % der vollen Funktionsfähig-            Arbeitsunfähigkeit (AU) wegen der rheumatolo-
     keit) und 22 % schwere Funktionseinschränkungen               gischen Erkrankung festgestellt [53]. Ein güns-
     (maximal 50 % der vollen Funktionsfähigkeit). In              tigeres Bild ergibt sich anhand aktueller Daten
     der Selbsteinschätzung des allgemeinen Gesund-                der rheumatologischen Kerndokumentation. Im
     heitszustands stufen 19 % der Patientinnen und                Jahr 2007 berichteten 35 % der erwerbstätigen
     Patienten mit einer RA ihren Gesundheitszustand               Personen, die nicht länger als zwei Jahre krank
     als sehr schlecht ein (siehe Tabelle 4). Kranke mit           waren, über mindestens eine Krankschreibung in
     Tabelle 4
     Anteil an RA-, AS- oder SLE-Erkrankten mit starken Schmerzen, schwerer Funktionseinschränkung oder
     schlechtem Gesundheitszustand (2007)
     Quelle: Rheumatologische Kerndokumentation für Erwachsene

                                                      rheumatoide       ankylosierende     systemischer Lupus
                                                      Arthritis (RA)   Spondylitis (AS)   erythematodes (SLE )
     aktuell starke Schmerzen (entsprechend                   22 %                23 %                    15 %
     7 bis 10 von max. 10 Punkten)
     schwere Funktionseinschränkung                           22 %                16 %                    10 %
     (≤ 50 % der vollen Funktion)
     schlechter Gesundheitszustand                            19 %                20 %                    13 %
     (entsprechend 7 bis 10 von max. 10 Punkten)
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49                       15

Tabelle 5
Arbeitsunfähigkeit (AU) in den letzten 12 Monaten (2007)
Quelle: Rheumatologische Kerndokumentation für Erwachsene; nur Personen bis 65 Jahre

                    Anteil der Erwerbstätigen                          Personen mit mindestens                           mittlere jährliche AU-Dauer
                   in dieser Diagnosegruppe                     1 AU-Fall/Jahr der Erwerbstätigen                               bei Personen mit AU
                        Frauen             Männer               Frauen          Männer           Gesamt               Frauen          Männer        Gesamt
 RA                       47 %                   54 %             25 %               25 %              25 %             41,5              48,6          43,4
 AS                       54 %                   59 %             28 %               31 %              30 %             50,6              33,0          38,1
 SLE                      49 %                   53 %             22 %               32 %              23 %             43,5              61,4          46,8
RA = rheumatoide Arthritis, AS = ankylosierende Spondylitis, SLE = systemischer Lupus erythematodes

den letzten zwölf Monaten. Bei allen RA-Kranken                                  sozialrechtliche Regelungen bei der vorzeitigen
waren dies 25 %. Die mittlere Dauer der Arbeits-                                 Berentung, Alter, Geschlecht und ausgeübter Beruf
unfähigkeit lag bei den Personen, die mindestens                                 der Betroffenen eine Rolle. In der Altersklasse zwi-
einmal im Jahr krankgeschrieben waren, bei 43                                    schen 35 und 59 Jahren liegt der Erwerbstätigen-
Tagen (siehe Tabelle 5).                                                         anteil bei Personen mit RA, AS oder SLE deutlich
   Zu den schwerwiegenden Folgen einer chroni-                                   unter dem Bevölkerungsmittel. Bei unter 30-jäh-
schen Erkrankung gehört das vorzeitige Ausschei-                                 rigen Patientinnen und Patienten ist die Erwerbs-
den aus dem Erwerbsleben. Neben der Krankheit                                    beteiligung in allen Krankheitsgruppen höher als
selbst spielen die allgemeine Arbeitsmarktlage,                                  in der Normalbevölkerung (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2
Erwerbstätigkeit von Personen mit RA, AS oder SLE im Vergleich zur Bevölkerung (2007)
Quelle: Rheumatologische Kerndokumentation für Erwachsene des Jahres sowie Eurostat [54]

100    Prozent                                                              100        Prozent
                                       Frauen                                                                     Männer
 90                                                                             90

 80                                                                             80

 70                                                                             70

 60                                                                             60

 50                                                                             50

 40                                                                             40

 30                                                                             30

 20                                                                             20

  10                                                                            10

       20–24           30–34           40–44            50–54           60–64         20–24           30–34           40–44           50–54           60–64
               25–29           35–39            45–49           55–59                         25–29           35–39           45–49           55–59
                                                                                                                                              Altersgruppe
         rheumatoide Arthritis             ankylosierende Spondylitis                systemischer Lupus erythematodes                 Bevölkerung
16      Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49

     Tabelle 6
     Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aufgrund von RA, AS oder SLE (2007)
     Quelle: [55]

                                                    seropositive RA       sonstige RA              AS             SLE         alle
                                                       ICD-10 M05        ICD-10 M06        ICD-10 M45      ICD-10 M32   Diagnosen
      Frauen
        Renten gesamt                                            407              489               100           143      72.080
        mittl. Alter bei Rentenbeginn (Jahre)                    50,2             51,2             49,6          45,0         49,3
      Männer
        Renten gesamt                                            221              208               303            28      87.925
        mittl. Alter bei Rentenbeginn (Jahre)                    52,3             52,1             49,2          45,4         50,5
     RA = rheumatoide Arthritis, AS = ankylosierende Spondylitis, SLE = systemischer Lupus erythematodes

        Im Jahr 2007 wurden insgesamt 1.899 Zugän-                         te Mitbetreuung von Menschen mit entzünd-
     ge an Renten wegen verminderter Erwerbsfähig-                         lich-rheumatischen Krankheiten zuständig. Sie
     keit aufgrund von rheumatoider Arthritis, anky-                       haben die Aufgabe, die Diagnose zu stellen oder
     losierender Spondylitis oder systemischem Lupus                       zu überprüfen, die medikamentöse Behandlung
     erythematodes verzeichnet (siehe Tabelle 6). Das                      mit sogenannten Basistherapeutika einzuleiten
     Alter bei Rentenbeginn entsprach bei RA und AS                        und in regelmäßigen Abständen zu überwachen.
     in etwa dem Durchschnittsalter bei vorzeitiger                        Die Betreuung zwischen diesen Intervallen ist
     Berentung wegen verminderter Erwerbsfähigkeit                         dagegen Aufgabe der Hausärztinnen und -ärzte.
     für alle Diagnosen. Lediglich Frauen und Männer                       Lediglich die Behandlung von Betroffenen mit
     mit SLE wurden in deutlich jüngerem Alter (45                         sehr schweren Verlaufsformen entzündlicher
     Jahre) vorzeitig berentet.                                            Gelenk-, Wirbelsäulen- oder Gefäßerkrankun-
                                                                           gen sollte ganz in den Händen der internistisch-
                                                                           rheumatologisch weitergebildeten Ärztinnen und
     2 .5 Versorgungsangebote und Inanspruchnahme                          Ärzte verbleiben [31, 56]. Für die Beteiligung von
                                                                           Rheumaspezialistinnen und -spezialisten an der
     2 .5 .1 Ambulante Versorgung                                          Behandlung spricht auch, dass die Behandlung
                                                                           entzündlich-rheumatischer Krankheitsbilder
     Spezialisten für die Betreuung von Patientinnen                       einem raschen Wandel unterliegt. Die seit knapp
     und Patienten mit entzündlich-rheumatischen                           einem Jahrzehnt mögliche Behandlung mit Bio-
     Krankheiten sind Rheumatologinnen und Rheu-                           logika sollte wegen der Notwendigkeit einer eng-
     matologen. Seit 1981 können sich Fachärztinnen                        maschigen Überwachung und der hohen Kosten,
     und -ärzte für Innere Medizin oder Orthopädie-                        die eine sorgfältige Indikationsstellung verlan-
     Unfallchirurgie gezielt rheumatologisch wei-                          gen, den internistischen Rheumatologinnen und
     terbilden. Nach den aktuell gültigen Regelun-                         Rheumatologen vorbehalten bleiben.
     gen können sie die Schwerpunktbezeichnung                                Die enge Zusammenarbeit mit Hausärztin
     Rheumatologie bzw. die Zusatzweiterbildung                            bzw. -arzt ist unerlässlich, da es in Deutschland
     Orthopädische Rheumatologie erwerben. Pri-                            einen erheblichen Mangel an rheumatologisch
     mär orthopädisch-unfallchirurgisch qualifizierte                      spezialisierten Ärztinnen und Ärzten gibt. Laut
     Rheumatologinnen und Rheumatologen haben                              Arztregister der Kassenärztlichen Bundesvereini-
     ihre Aufgaben auf den Gebieten der konservati-                        gung waren Ende 2006 426 vertragsärztlich täti-
     ven orthopädischen Therapie, der Indikations-                         ge und 153 ermächtigte internistische Rheumato-
     stellung zum operativen Eingriff am Gelenk                            loginnen und Rheumatologen an der ambulanten
     und der operativen Versorgung rheumakranker                           Versorgung beteiligt. In einem Memorandum der
     Patientinnen und Patienten. Ihre internistischen                      Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie wird
     Kolleginnen und Kollegen sind für die dauerhaf-                       der Mindestbedarf an internistischen Rheumato-
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49   17

loginnen und Rheumatologen für ganz Deutsch-                nach rund vier Jahren erstmalig von einer/einem
land auf 1.350 geschätzt, also auf mehr als doppelt         Rheumatologin oder Rheumatologen untersucht.
so viele, wie zur Verfügung stehen [57].                    Dies hat insbesondere im Hinblick auf die Ein-
   Um die hausärztlich-rheumatologische                     leitung einer angemessenen medikamentösen
Kooperation auf regionaler Ebene zu verbessern,             (Basis-)Therapie Konsequenzen.
haben sich seit 1993 mit Unterstützung durch das                Für eine Verordnung der neu in die Therapie
Bundesministerium für Gesundheit 30 »Regio-                 eingeführten Biologika bedarf es rheumatologi-
nale Kooperative Rheumazentren« gebildet. In                scher Expertisen. Diese sehr teuren Präparate
ihnen sind Universitätskliniken, Versorgungs-               kommen zwar in der Regel nur bei schwereren
krankenhäuser, niedergelassene Rheumatolo-                  Krankheitsverläufen zum Einsatz. Dennoch sind
ginnen und Rheumatologen mit internistischem                sie in erheblichen Maße für die beobachteten
oder orthopädischem Hintergrund sowie Ange-                 Kostensteigerungen bei der Behandlung ent-
hörige weiterer Berufsgruppen (Ergo-, Physio-               zündlich-rheumatischer Erkrankungen verant-
und Schmerztherapeutinnen und -therapeuten)                 wortlich (siehe Abschnitt 2.6). Abbildung 3 gibt
zusammengeschlossen. Trotz der verbesserten                 die Entwicklung der medikamentösen Therapie
Kooperation zwischen den verschiedenen Ver-                 bei RA-Patientinnen und -Patienten wieder. Das
sorgungsbereichen bestehen erhebliche Versor-               wichtigste Basismedikament ist demnach das
gungslücken. So kommt der erste Kontakt mit                 Methotrexat, das vielfach in Kombination mit
einer/einem rheumatologisch qualifizierten                  anderen Medikamenten gegeben wird. Während
Ärztin oder Arzt nach den Daten der rheuma-                 im Jahr 2000 lediglich 2 % der Betroffenen Bio-
tologischen Kerndokumentation auch in den                   logika erhielten, waren es 2007 bereits 17,5 % der
Rheumazentren erst relativ spät im Krankheits-              rheumatologisch betreuten RA-Kranken.
verlauf zustande. Bei Patientinnen und Patien-                  Um die durch die Krankheit beeinträchtigte
ten mit RA findet eine solche Konsultation im               Gelenk- und Wirbelsäulenfunktion zu erhalten
Mittel erst 1,1 Jahre nach Beginn der Beschwerden           und zu verbessern, benötigen Personen, die an
statt. Bei Personen mit SLE sind es mehr als zwei           entzündlich-rheumatischen Krankheiten leiden,
Jahre, und diejenigen mit AS werden sogar erst              in aller Regel nicht nur eine medikamentöse,
Abbildung 3
Medikamentöse Therapie bei erwachsenen Patientinnen und Patienten mit rheumatoider Arthritis (2000 und 2007)
Quelle: Rheumatologische Kerndokumentation

            keine Basistherapie
            Mono-Basistherapie
          Zweifachkombination
Drei- und Mehrfachkombination

                   Methotrexat
                   Sulfasalazin
 Hydroxychloroquin/Chloroquin
                    Leflunomid
                          Gold
                    Azathioprin
                      Biologika                                                       2000
                  Ciclosporin A                                                       2007
                        andere

                                  0    10    20     30     40     50    60    70
                                                                          Prozent
18     Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49

     sondern auch ergänzende physio- und ergothera-        Tabelle 7
     peutische Therapie. Angesichts der gravierenden       Zahl akutstationärer rheumatologischer Fachabteilungen
                                                           und Betten (2002 und 2008)
     Einschnitte der Krankheit in die tägliche Lebens-     Quelle: [58, 59]
     führung sind außerdem gezielte Informationen
     durch Patientenschulungsprogramme sowie Hil-                                2002     2008    Veränderungsrate
     fen zur Schmerz- und Krankheitsbewältigung bei        rheumatologische Fachabteilungen
     praktisch allen Kranken angezeigt. Angebote der         internistisch          60      65                 8%
     Physiotherapie stehen nahezu flächendeckend             orthopädisch           23      19               -19 %
     ambulant zur Verfügung. Ergotherapie und Pro-
                                                           Betten in rheumatologischen Fachabteilungen
     gramme zur Patientenschulung und Krankheits-
     bewältigung werden dagegen traditionell fast            internistisch       3.048    2.523              -17 %
     nur von stationären (Reha-)Einrichtungen ange-          orthopädisch          917     762               -17 %
     boten. Daraus ergibt sich ein Versorgungsdefizit
     im ambulanten Bereich: 2007 kamen von den in              In den zurückliegenden Jahren ist ein Trend
     der Kerndokumentation erfassten Patientinnen          sowohl zum Rückgang der Zahl der jährlichen
     und Patienten nur etwa 4 % in den Genuss einer        Einweisungen pro Patientin bzw. Patient mit
     ambulanten Ergotherapie und lediglich rund 2 %        rheumatologischen Erkrankungen als auch zur
     erhielten außerhalb einer Klinik eine Patienten-      Verkürzung der einzelnen stationären Behand-
     schulung.                                             lungsepisoden zu beobachten. Laut rheumato-
                                                           logischer Kerndokumentation nahm der Anteil
                                                           an Rheumakranken, die in den 12 Monaten vor
     2 .5 .2 Akutstationäre Versorgung                     der Datenerhebung stationär behandelt worden
                                                           waren, zwischen 1993 und 2007 von 27 % auf
     Entzündlich-rheumatische Krankheiten erfor-           13 % ab. Parallel dazu sank die durchschnitt-
     dern aufgrund ihres chronisch fortschreitenden        liche jährliche Gesamtkrankenhausaufenthalts-
     Verlaufs häufig intensive, gegebenenfalls auch        dauer von 26,6 auf 13,9 Tage. Bezogen auf alle
     stationäre Behandlungen. Daher sind neben den         RA-Kranken des Registers fielen damit im Jahr
     ambulanten Versorgungsangeboten auch die              2007 pro Person durchschnittlich 1,8 Kranken-
     stationären rheumatologischen Versorgungska-          haustage an. Bei AS-Kranken waren es 1,4 Tage
     pazitäten bedeutsam. Als rheumatologisch spe-         pro Person, bei SLE-Patientinnen und -Patienten
     zialisierte Abteilungen an Akutkrankenhäusern         2,4 Tage.
     wurden vom Statistischen Bundesamt 2008 65                Auch nach Daten des Statistischen Bundesam-
     internistische und 19 orthopädische Einrich-          tes nahmen sowohl die Gesamtzahl stationärer
     tungen gezählt (siehe Tabelle 7). Während die         Behandlungsfälle mit einer der Hauptdiagnosen
     Zahl der internistisch-rheumatologischen Abtei-       RA, AS oder SLE als auch die Verweildauer die-
     lungen zwischen 2002 und 2008 um 5 (+8 %)             ser Fälle ab (siehe Tabelle 8). Die Entwicklung
     zunahm, sank die der orthopädisch-rheumatolo-         ist hinsichtlich der Fallzahl (-5,4 %) gegenläufig
     gischen um 4 (-19 %). Die Bettenzahl ging im sel-     zum allgemeinen Trend (+1,2 %). Die Verweil-
     ben Zeitraum um jeweils 17 % zurück. Damit war        dauer pro Krankenhausaufenthalt ist bei RA und
     der Bettenabbau im Bereich der Rheumatologie          AS stärker gesunken als im Durchschnitt aller
     im Vergleich zum allgemeinen Trend überdurch-         Krankenhausaufenthalte. Die Krankenhausdiag-
     schnittlich hoch.                                     nosestatistik spiegelt die für RA, AS und SLE
                                                           typischen Verteilungen hinsichtlich relativer
                                                           Häufigkeit und Alter (siehe Abbildung 4) sowie
                                                           (nicht grafisch dargestellt) Geschlecht wider.
                                                               Ähnlich wie die wirksame medikamentöse
                                                           Behandlung kommt auch die rheumachirurgi-
                                                           sche Versorgung oftmals zu spät im Krankheits-
                                                           prozess zum Tragen. Die offen oder im Rahmen
                                                           einer Gelenkspiegelung (arthroskopisch) durch-
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49   19

Tabelle 8
Fallzahlen und Verweildauern bei stationären Behandlungsfällen mit Hauptdiagnose RA, SLE oder AS
(2002 und 2007)
Quelle: Krankenhausdiagnosestatistik [60]

                                                                          2002                2007 Veränderungsrate
 Fallzahl
   Fälle gesamt (alle Diagnosen)                                    17.363.164          17.568.576              1,2 %
   seropositive rheumatoide Arthritis (ICD-10 M05)                       14.881             15.471              4,0 %
   seronegative rheumatoide Arthritis (ICD-10 M06)                       16.652             14.143             -15,1 %
   systemischer Lupus erythematodes (ICD-10 M32)                          4.831              4.850              0,4 %
   ankylosierende Spondylitis (ICD-10 M45)                                3.749              3.480              -7,2 %
 Durchschnittliche Verweildauer in Tagen
   Fälle gesamt (alle Diagnosen)                                             9,3                8,3            -10,8 %
   seropositive rheumatoide Arthritis (ICD-10 M05)                          15,1               12,1            -19,9 %
   seronegative rheumatoide Arthritis (ICD-10 M06)                          13,4               11,0            -17,9 %
   systemischer Lupus erythematodes (ICD-10 M32)                             9,9                9,2             -7,1 %
   ankylosierende Spondylitis (ICD-10 M45)                                  13,5               10,9            -19,3 %
RA = rheumatoide Arthritis, SLE = systemischer Lupus erythematodes, AS = ankylosierende Spondylitis

geführte Synovektomie (operative Entfernung der                       Gelenkknorpels weitgehend zu verhindern. Hier-
entzündeten Gelenkinnenhaut) und die Synovior-                        zu ist es jedoch erforderlich, die Eingriffe in den
these (Entfernung der Gelenkinnenhaut mit che-                        ersten Jahren nach Erkrankungsbeginn durchzu-
mischen oder radioaktiven Substanzen) verfolgen                       führen, bevor irreparable Schäden auftreten. Nach
das Ziel, durch die rechtzeitige Entfernung der                       den Daten der rheumatologischen Kerndokumen-
entzündeten Gelenkinnenhaut die Zerstörung des                        tation des Jahres 2007 trifft dies jedoch nur auf

Abbildung 4
Akutstationäre Fälle mit Hauptdiagnose RA, SLE oder AS nach Alter (2007)
Quelle: Krankenhausdiagnosestatistik [60]

12.000 Anzahl

10.000

 8.000

 6.000

 4.000

 2.000

            0–14   15–24     25–34     35–44     45–54     55–64    65–74      75–84    85–94 95+
                                                                                           Altersgruppe
            ankylosierende Spondylitis      systemischer Lupus erythematodes           rheumatoide Arthritis
20     Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49

     einen kleinen Prozentsatz der Fälle zu (siehe Tabel-        2 .5 .3 Rehabilitation
     le 9). Von den Patientinnen und Patienten mit RA
     und einer Krankheitsdauer von bis zu fünf Jahren            Menschen mit entzündlich-rheumatischen
     hatten lediglich 1,6 % bereits eine Synovektomie            Krankheiten haben einen hohen und frühzeiti-
     und 2,4 % eine Synoviorthese erhalten. An erster            gen Bedarf an Maßnahmen zur medizinischen
     Stelle in der Häufigkeit rheumachirurgischer Ein-           Rehabilitation, da sie einem hohen Risiko dau-
     griffe bei RA-Kranken steht der operative Gelenk-           erhafter Einschränkungen von Funktionen und
     ersatz, der erwartungsgemäß vorwiegend bei                  Aktivitäten im Alltag sowie der sozialen Teil-
     Patientinnen und Patienten mit längeren Krank-              habe ausgesetzt sind. Den Betroffenen drohen
     heitsverläufen vorgenommen wird. Bei ankylosie-             Erwerbsunfähigkeit, Hilfeabhängigkeit und Pfle-
     render Spondylitis sind operative Eingriffe deut-           gebedürftigkeit. Rehabilitative rheumatologische
     lich seltener als bei RA. Von den rheumatologisch           Versorgungskapazitäten wurden jedoch zwischen
     betreuten AS-Patientinnen und -Patienten ist erst           2002 und 2008 in einem Umfang abgebaut, der
     bei 6,7 % der länger als 10 Jahre Erkrankten ein            den allgemeinen Trend zu sinkenden Abteilungs-
     Gelenkersatz (in der Regel am Hüftgelenk) vorge-            bzw. Bettenzahlen deutlich überstieg (siehe
     nommen worden. Beim SLE werden Operationen                  Tabelle 10). So ging die Zahl der internistisch-
     am Gelenk nur in Ausnahmefällen durchgeführt.               rheumatologischen Reha-Abteilungen von 50 auf
                                                                 33 und die der orthopädisch-rheumatologischen
     Tabelle 9                                                   Reha-Abteilungen von 43 auf 18 zurück. Die Zahl
     Jemals durchgeführte Gelenkeingriffe bei Patientinnen und   der Betten verringerte sich im Berichtszeitraum
     Patienten mit rheumatoider Arthritis nach Krankheitsdauer
                                                                 um jeweils ca. 50 %.
     (2007)
     Quelle: Rheumatologische Kerndokumentation für Erwach-
     sene                                                        Tabelle 10
                                                                 Zahl rheumatologischer Fachabteilungen und Betten an
                     < 5 Jahre 5 – 10 Jahre > 10 Jahre gesamt    Rehabilitationskliniken 2002 und 2008
                                                                 Quelle: [58, 61]
     Gelenkersatz      7,4 %      10,8 %      24,3 %   17,2 %
     Synovektomie      1,6 %       2,5 %       7,7 %    5,0 %                          2002    2008    Veränderungsrate
     Synoviorthese     2,4 %       6,4 %       6,6 %    5,6 %    rheumatologische Reha-Fachabteilungen
     Eingriffe        22,8 %      33,1 %      52,7 %   41,1 %      internistisch          50      33                -34 %
     gesamt
                                                                   orthopädisch           43      18                -58 %
                                                                 Betten in rheumatologischen Reha-Fachabteilungen
                                                                   internistisch       4.901   2.587                -47 %
                                                                   orthopädisch        2.899   1.449                -50 %

                                                                    Von den im Jahr 2007 in der rheumatologi-
                                                                 schen Kerndokumentation erfassten Patientin-
                                                                 nen und Patienten mit RA haben 10 % im Vorjahr
                                                                 eine Maßnahme zur medizinischen Rehabilita-
                                                                 tion erhalten. Im Jahr 1996 waren es noch 16 %.
                                                                 Bei AS sank der Anteil zwischen 1996 und 2007
                                                                 von 17 % auf 13 %, beim SLE von 10 % auf 8 %. Da
                                                                 ambulante Angebote zur Patientenschulung,
                                                                 Schmerzbewältigung und spezialisierten Ergo-
                                                                 therapie (Gelenkschutzberatung/Schienenversor-
                                                                 gung) weitgehend fehlen, haben solche Leistun-
                                                                 gen im Rahmen von Rehabilitationsaufenthalten
                                                                 eine große Bedeutung für die Betroffenen.
                                                                    An einer stationären Reha-Maßnahme in
                                                                 einer Einrichtung mit mehr als 100 Betten nah-
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