Gesundheitsberichterstattung des Bundes - Heft 49 Entzündlich-rheumatische Erkrankungen - RKI
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
ROBERT KOCH INSTITUT Statistisches Bundesamt Heft 49 Entzündlich-rheumatische Erkrankungen Gesundheitsberichterstattung des Bundes
Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 49 Entzündlich-rheumatische Erkrankungen Autorinnen: Angela Zink, Kirsten Minden, Sabine M. List Herausgeber: Robert Koch-Institut, Berlin 2010
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49 3 Gesundheitsberichterstattung des Bundes Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes gebündelt und gemeinsam herausgegeben (GBE) liefert daten- und indikatorengestützte werden. Die fortlaufende Erscheinungsweise Beschreibungen und Analysen zu allen Bereichen gewährleistet Aktualität. Die Autorinnen und des Gesundheitswesens. Autoren sind ausgewiesene Expertinnen und Experten aus dem jeweiligen Bereich. www.rki.de Rahmenbedingungen des Gesundheitswesens ▶ Informationssystem der Gesundheitsbericht- erstattung des Bundes Gesundheitliche Lage ▶ Das Informationssystem der Gesundheits- berichterstattung des Bundes liefert als Online-Datenbank schnell, kompakt und transparent gesundheitsrelevante Informa- Gesundheits- Gesundheits- tionen zu allen Themenfeldern der Gesund- verhalten und probleme, heitsberichterstattung. Die Informationen -gefährdungen Krankheiten werden in Form von individuell gestaltbaren Tabellen, übersichtlichen Grafiken, verständ- lichen Texten und präzisen Definitionen bereitgestellt und können heruntergeladen Leistungen und Inanspruchnahme werden. Das System wird ständig ausgebaut. Derzeit sind aktuelle Informationen aus über 100 Datenquellen abrufbar. Zusätzlich können über dieses System die GBE-The- Ressourcen der Ausgaben, Gesundheits- Kosten und menhefte sowie weitere GBE-Publikationen versorgung Finanzierung abgerufen werden. www.gbe-bund.de Als dynamisches und in ständiger Aktualisierung ▶ Schwerpunktberichte begriffenes System bietet die Gesundheitsbericht- ▶ In den Schwerpunktberichten werden spe- erstattung des Bundes die Informationen zu den zielle Themen der Gesundheit und des Ge- Themenfeldern in Form sich ergänzender und sundheitssystems detailliert und umfassend aufeinander beziehender Produkte an: beschrieben. www.rki.de ▶ Themenhefte der Gesundheitsberichterstattung des Bundes ▶ GBE kompakt ▶ In den Themenheften werden spezifische ▶ Die online-Publikationsreihe GBE kompakt Informationen zum Gesundheitszustand präsentiert in knapper Form Daten und Fak- der Bevölkerung und zum Gesundheitssys- ten zu aktuellen gesundheitlichen Themen tem handlungsorientiert und übersichtlich und Fragestellungen. Die vierteljährliche präsentiert. Jedes Themenheft lässt sich Veröffentlichung erfolgt ausschließlich in einem der GBE-Themenfelder zuordnen; elektronischer Form. der innere Aufbau folgt ebenfalls der Struktur www.rki.de/gbe-kompakt der Themenfelder. Somit bieten die Themen- felder der GBE sowohl den Rahmen als auch Die Aussagen der Gesundheitsberichterstattung die Gliederung für die Einzelhefte. Inhalt- des Bundes beziehen sich auf die nationale, bun- lich zusammengehörende Themen können desweite Ebene und haben eine Referenzfunktion
4 Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49 für die Gesundheitsberichterstattung der Länder. und Experten in wissenschaftlichen Forschungs- Auf diese Weise stellt die GBE des Bundes eine einrichtungen und die Fachöffentlichkeit. Zur fachliche Grundlage für politische Entscheidun- Zielgruppe gehören auch Bürgerinnen und Bür- gen bereit und bietet allen Interessierten eine ger, Patientinnen und Patienten, Verbrauche- datengestützte Informationsgrundlage. Darüber rinnen und Verbraucher und ihre jeweiligen Ver- hinaus dient sie der Erfolgskontrolle durchge- bände. führter Maßnahmen und trägt zur Entwicklung Das vorliegende Heft 49 der Gesundheits- und Evaluierung von Gesundheitszielen bei. berichterstattung des Bundes »Entzündlich-rheu- Der Leser- und Nutzerkreis der GBE-Produkte matische Erkrankungen« lässt sich folgenderma- ist breit gefächert: Angesprochen sind Gesund- ßen in das Gesamtspektrum der Themenfelder heitspolitikerinnen und -politiker, Expertinnen einordnen: Rahmenbedingungen des Gesundheitswesens Gesundheitliche Lage Gesundheits- Gesundheits- Krankheiten des verhalten und probleme, Entzündlich-rheuma- Muskel-Skelett-Systems -gefährdungen Krankheiten tische Erkrankungen und des Bindegewebes Leistungen und Inanspruchnahme Ressourcen der Ausgaben, Gesundheits- Kosten und versorgung Finanzierung
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49 5 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2 Entzündlich-rheumatische Erkrankungen im Erwachsenenalter . . . . . . . . . 7 2.1 Rheumatoide Arthritis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2.2 Ankylosierende Spondylitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2.3 Systemischer Lupus erythematodes . 11 2.4 Krankheitslast entzündlich-rheumatischer Krankheiten . . . . . . . . . . . . 12 2.4.1 Die rheumatologische Kerndokumentation für Erwachsene . . . . . . . . . . 12 2.4.2 Krankheitsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2.5 Versorgungsangebote und Inanspruchnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2.5.1 Ambulante Versorgung . 16 2.5.2 Akutstationäre Versorgung . 18 2.5.3 Rehabilitation . 20 2.6 Krankheitskosten . 21 3 Entzündlich-rheumatische Erkrankungen im Kindesalter . . . . . . . . . . . . 23 3.1 Krankheitsbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3.2 Juvenile idiopathische Arthritis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3.3 Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3.4 Krankheitsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 4 Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 5 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 6 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
6 Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49 7 Entzündlich-rheumatische Erkrankungen 1 Einleitung Bei den entzündlich-rheumatischen Erkrankun- Erfolg der Zentrumsbildung auf der Ebene der gen handelt es sich um zumeist chronisch verlau- Patientenversorgung zu beurteilen. Sie wird von fende Krankheiten des Immunsystems. Sie gehen Rheumatologinnen und Rheumatologen in Pra- mit Entzündungen unterschiedlicher Körper- xen und Kliniken getragen, die in den 30 Regi- gewebe einher und zeigen sich vor allem an den onalen Kooperativen Rheumazentren zusam- Bewegungsorganen. Schmerzen an Gelenken menarbeiten von denen aktuell 20 an Erfassung und umgebenden Geweben, Bewegungsein- teilnehmen [1, 2, 3, 4, 5]. Die Kerndokumentation schränkungen sowie Allgemeinsymptome wie ermöglicht es, die Krankheitslast und Folgen ent- Abgeschlagenheit, Fieber oder Gewichtsverlust zündlich-rheumatischer Erkrankungen sowie sind die wichtigsten Anzeichen, aber auch innere Aspekte der Versorgung abzubilden. Damit ist Organe (z. B. Herz, Niere) können in Mitleiden- sie u. a. von großem Wert für die Qualitätssiche- schaft gezogen werden. Anders als beispielswei- rung der rheumatologischen Versorgung und se bei Herz-Kreislauf- oder Krebserkrankungen die Planung von Versorgungsangeboten. Seit erschließt sich die Bedeutung entzündlich-rheu- 1997 wird neben der rheumatologischen Kern- matischer Erkrankungen weniger aus dem Ster- dokumentation für Erwachsene auch eine für berisiko als aus schwerwiegenden Beeinträchti- betroffene Kinder und Jugend liche bundesweit gungen der Lebensqualität der Betroffenen. durchgeführt. Hieran beteiligen sich derzeit Die Ursachen der meisten entzündlich-rheu- 40 kinderrheumatologische Einrichtungen. matischen Krankheiten sind bis heute nicht Erfasst werden über ein Viertel der in der Bevöl- ausreichend geklärt. Es gilt jedoch als gesichert, kerung zu erwartenden entzündlich-rheumati- dass komplexe genetische, immunologische schen Krankheitsfälle bei Kindern und Jugend- und hormonelle Prozesse mit Umweltfaktoren lichen. (z. B. Infektionen, Rauchen) zusammenwirken. Wegen der sehr vielfältigen Erscheinungsfor- men erfordert das Stellen einer rheumatologi- 2 Entzündlich-rheumatische Erkrankun- schen Diagnose die Beobachtung einer Vielzahl gen im Erwachsenenalter klinischer Zeichen, die Befragung der Erkrank- ten und die Durchführung technischer Untersu- Zu den entzündlich-rheumatischen Krankheiten chungen. Neben dem klinischen Befund geben des Erwachsenenalters gehören mehr als 100 ver- Geschlecht, Erkrankungsalter, Art des Gelenk- schiedene Krankheitsbilder. Die Zusammenfas- befalls, Schmerzcharakter und Familienanam- sung zu einer Gruppe lässt sich damit begründen, nese wichtige Hinweise. Entzündlich-rheuma- dass es sich um schwere, chronisch entzündliche tische Krankheiten können im Kindes- und im Allgemeinerkrankungen handelt, bei denen das Erwachsenenalter auftreten. Das Spektrum der Immunsystem körpereigene Stoffe und Struk- Erkrankungen, deren Verlauf und Prog nose turen, bevorzugt an den Bewegungsorganen, unterscheiden sich jedoch erheblich. Daher angreift. Dies führt zu dauerhaften Schmerzen werden im Folgenden die entzündlich-rheumati- und oftmals zu einem fortschreitenden Verlust schen Krankheiten des Kindes- und des Erwach- körperlicher Funktionsfähigkeit. senenalters getrennt dargestellt. Man unterscheidet drei große Gruppen ent- Der vorliegende Bericht stützt sich wesent- zündlich-rheumatischer Krankheiten: lich auf Daten der »rheumatologischen Kern- dokumentation«. Diese wurde im Rahmen des ▶ die entzündlichen Gelenkerkrankungen (Poly- Förderprogramms des Bundesministeriums für arthritiden) mit der rheumatoiden Arthritis Gesundheit zum Auf bau regionaler kooperati- (RA; Synonym: chronische Polyarthritis) als ver Rheumazentren 1993 eingeführt, um den wichtigste Einzeldiagnose,
8 Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49 ▶ die entzündlichen Erkrankungen der Wirbel- fig sind die Hände betroffen, was zu Einschrän- säule und einzelner Gelenke (Spondyloarthriti- kungen in der Selbstversorgung führen kann. Der den) mit der ankylosierenden Spondylitis (AS, ebenfalls häufige Befall von Hüft-, Knie-, Sprung- früher: Morbus Bechterew) als typische Krank- und Zehengelenken beeinträchtigt vor allem die heit sowie körperliche Mobilität. ▶ die Gruppe der entzündlich-rheumatischen Um die Krankheit von ähnlichen Krankheits- Erkrankungen der Gefäße und des Bindegewe- bildern abzugrenzen, wird international die bes (Vaskulitiden und Kollagenosen) mit dem Klassifikation der amerikanischen rheumatolo- systemischen Lupus erythematodes (SLE) als gischen Gesellschaft verwendet (siehe Tabelle 1). häufigste Einzeldiagnose. Die Diagnose einer rheumatoiden Arthritis gilt als gesichert, wenn vier dieser sieben Kriterien Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden im erfüllt sind. Die Kriterien 1 bis 4 müssen seit Folgenden nur Daten für das jeweils wichtigste mindestens sechs Wochen bestehen. Eine frühe Krankheitsbild dieser drei Gruppen dargestellt. RA kann auch diagnostiziert und behandelt wer- den, wenn weniger als vier Kriterien erfüllt sind. Man unterscheidet zwei Formen der RA je nach- 2 .1 Rheumatoide Arthritis dem, ob ein spezifischer Autoantikörper, der sog. Rheumafaktor, nachgewiesen werden kann. Die Klinisches Bild und Klassifikation seropositive RA, also die Form mit vorhandenem Die rheumatoide Arthritis (RA) ist eine chroni- Rheumafaktor, nimmt in der Regel einen schwe- sche entzündliche Gelenkerkrankung. Sie befällt reren Verlauf als die seronegative. Etwa 60 % bis – meist symmetrisch – vor allem die von der 80 % der RA-Kranken mit länger bestehender Körpermitte entfernten (stammfernen) Gelenke. Krankheit sind Rheumafaktor positiv, zu Beginn Die chronische Entzündung der Gelenkinnen- der Erkrankung sind es nur etwa 50 % [6]. häute führt je nach Schwere der Erkrankung rasch oder schleichend zur Zerstörung von Knorpel und Epidemiologie angrenzendem Knochen mit einer im Röntgen- Gemessen an den genannten Kriterien geht man bild sichtbaren Zerstörung der betroffenen Gelen- in Deutschland von einer Häufigkeit der RA von ke. Typisch sind allgemeine Krankheitszeichen 0,5 % bis 0,8 % der erwachsenen Bevölkerung wie Abgeschlagenheit und Kraftlosigkeit sowie aus [8]. Diese Schätzung wird durch neuere euro- Entzündungen von Sehnenscheiden, Gefäßen päische [9] und US-amerikanische [10] Untersu- und inneren Organen. Körperliche Funktionsein- chungen bestätigt. Weltweit gibt es – abgesehen schränkungen sind zu Beginn der Erkrankung von einzelnen isolierten Populationen wie z. B. vor allem durch Schmerz und Gelenkschwellung Indianerstämmen – relativ wenig Unterschie- bedingt. In späteren Stadien führt die Zerstörung de in der Häufigkeit der rheumatoiden Arthri- des Gelenkknorpels und der Sehnen zu bleiben- tis. Typischerweise beginnt die Erkrankung im den Fehlstellungen und Funktionsausfällen. Dies fünften bis achten Lebensjahrzehnt. Das mittlere kann sich an allen Gelenken ereignen. Sehr häu- Erkrankungsalter liegt zwischen 55 und 65 Jah- Tabelle 1 Klassifikationskriterien für die rheumatoide Arthritis Quelle: [7] 1. Morgensteifigkeit der Gelenke von mehr als einer Stunde Dauer 2. Arthritis an mehr als drei Gelenken 3. Arthritis an Hand-, Fingergrund- und Fingermittelgelenken 4. symmetrische Gelenkentzündungen 5. subkutane Knoten (Rheumaknoten) 6. Nachweis des Rheumafaktors (eines Autoantikörpers) im Blutserum 7. typische Veränderungen an den Händen im Röntgenbild
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49 9 ren, wobei Männer später erkranken als Frauen Verlauf und Prognose [9, 11, 12, 13]. Pro Jahr muss mit 20 bis 30 Neuer- Der Verlauf einer rheumatoiden Arthritis kann krankungen je 100.000 Männer und 40 bis 60 im Einzelfall kaum vorhergesagt werden. Man Neuerkrankungen je 100.000 Frauen gerechnet ging früher davon aus, dass nur etwa 10 % bis werden [13, 14, 15]. Die Inzidenz steigt mit dem 15 % dauerhaft einen beschwerdefreien Zustand Alter an. Junge Frauen haben im Vergleich zu (Remission) erreichen [22]. Heute weiß man, dass gleichaltrigen Männern ein vierfach höheres dies bei früh einsetzender Behandlung für mehr Erkrankungsrisiko. Im hohen Lebensalter gleicht als die Hälfte der Betroffenen möglich ist [23]. Bei sich die geschlechtsspezifische Erkrankungshäu- allen anderen Betroffenen, insbesondere denen figkeit jedoch an [13]. mit spät einsetzender Therapie, ist immer wie- Die rheumatoide Arthritis ist eine Krankheit der mit Phasen höherer Krankheitsaktivität und mit genetischem Hintergrund. Der wichtigste potenzieller Gelenkzerstörung zu rechnen [24]. genetische Risikofaktor ist das Humane Leuko- Prognostisch ungünstige Zeichen sind bestimm- zyten-Antigen HLA DBR1. Studien an eineiigen te Autoantikörper, eine genetische Veranlagung, Zwillingen ergaben, dass etwa die Hälfte des frühe Zeichen einer Gelenkzerstörung im Rönt- Erkrankungsrisikos durch genetische Faktoren genbild, eine hohe Zahl geschwollener Gelenke, bedingt ist [16]. Dies bedeutet, dass es neben eine symmetrische Gelenkbeteiligung und ein erblichen Merkmalen eine Reihe weiterer Fak- hohes Erkrankungsalter [25]. Frauen sind häufig toren geben muss, die die Krankheit auslösen. schwerer betroffen als Männer [25, 26, 27]. Der Der wichtigste Umweltfaktor für die Entstehung Verzicht auf Tabakkonsum nach Krankheits- einer RA ist das Rauchen [17, 18, 19]. Die Intensi- ausbruch scheint zu einem milderen Verlauf tät, vor allem aber die Dauer des Rauchens sind beizutragen [28]. Neben der Einschränkung der mit dem Erkrankungsrisiko assoziiert. So haben Lebensqualität durch Schmerzen, fortschreiten- Personen, deren Tabakkonsum 20 »Packungs- de Verringerung der Beweglichkeit und Abhän- Jahre« übersteigt, d. h. die z. B. 20 Jahre lang gigkeit von der Hilfe anderer ist die rheumatoide 1 Päckchen Zigaretten pro Tag oder 10 Jahre lang Arthritis auch mit einem erhöhten Sterberisiko 2 Päckchen Zigaretten pro Tag geraucht haben, (beispielsweise aufgrund von Arteriosklerose ein dreifach erhöhtes Erkrankungsrisiko [20]. In oder schweren Infektionen) verbunden [29]. den letzten Jahren ist deutlich geworden, dass es eine Interaktion zwischen Rauchen, genetischen Behandlung Faktoren und dem Ausbruch der Rheumafaktor- Die ersten drei bis sechs Monate der Erkran- positiven RA gibt. Wer niemals geraucht hat und kung stellen ein »therapeutisches Fenster« dar, von beiden Eltern das genetische Risiko geerbt hat, innerhalb dessen der immunologische Prozess besitzt ein vierfach erhöhtes Risiko, an einer sero- gestoppt oder nachhaltig verändert werden kann positiven RA zu erkranken. Wer zusätzlich noch [30]. Frühe Diagnose und Therapieeinleitung raucht, erhöht das Risiko auf das sechzehnfache. sind von entscheidender Bedeutung für das wei- Durch Untersuchungen an Blutspendern wurde tere Schicksal der Betroffenen. Daher sollte jede ermittelt, dass die Entwicklung der Autoantikör- Person mit mehr als sechs Wochen bestehenden per dem Krankheitsausbruch um viele Jahre vor- Schwellungen in mehr als zwei Gelenken, die ausging. Rauchen erhöht die Wahrscheinlichkeit, nicht durch einen Unfall hervorgerufen sind, dass »Fehler« in der immunologischen Selbstto- ohne Verzug in internistisch-rheumatologische leranz auftreten und Antikörper gegen körper- Behandlung überwiesen werden [31]. Nachdem eigene Stoffe gebildet werden. Dies erklärt auch, die Diagnose gestellt und erforderlichen Falls warum es keinen Zusammenhang zwischen Rau- eine Therapie eingeleitet wurde, kann die Weiter- chen und dem Ausbruch der seronegativen RA betreuung in der Regel hausärztlich erfolgen. Bei gibt. Eine fischöl- und vitaminreiche »Mittelmeer- Zustandsverschlechterungen oder Therapiekom- ernährung« scheint einen gewissen Schutz vor plikationen muss erneut eine Rheumatologin der Erkrankung zu bieten, während der Verzehr bzw. ein Rheumatologe hinzugezogen werden. von viel rotem Fleisch mit einem erhöhten Erkran- Möglichst innerhalb der ersten drei Monate kungsrisiko assoziiert ist [21]. nach Symptombeginn sollte die Behandlung mit
10 Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49 einem der so genannten Basistherapeutika ein- (= »Spondyl«-itis) und den Gelenken (= »Arthr«- geleitet werden [31, 32]. Diese Medikamente sind itis) sind. »Ankylosierend« bedeutet »zur knö- bei der Mehrzahl der Kranken in der Lage, die chernen Gelenkversteifung führend« und entzündliche Aktivität nachhaltig zu verringern beschreibt die mit der Krankheit einhergehende oder zu beseitigen, die Gelenkzerstörung auf- fortschreitende Versteifung der Wirbelsäule mit zuhalten und die Lebensqualität zu verbessern. daraus folgendem Beweglichkeitsverlust. Typisch Bei frühem Therapiebeginn wird rund die Hälfte sind außerdem Entzündungen an den Sehnenan- der Betroffenen vollständig beschwerdefrei. Dies satzstellen (so genannte Enthesitis, z. B. an den kann nur erreicht werden, so lange noch kei- Fersen) sowie Krankheitszeichen außerhalb des ne irreversiblen Schäden eingetreten sind. Die Skelettsystems (Augen, Schleimhäute, Darm, wichtigsten Substanzen in der Behandlung der Urogenitaltrakt). Für die Diagnose einer ankylo- RA sind Methotrexat, Sulfasalazin und Antima- sierenden Spondylitis sind drei klinische Zeichen lariamittel. Zunehmend werden diese Präparate sowie typische Veränderungen im Röntgenbild auch kombiniert angewandt. Seit wenigen Jahren ausschlaggebend (siehe Tabelle 2). Als gesichert stehen zusätzlich zu diesen bewährten Medika- gilt die AS bei Vorliegen des radiologischen und menten gentechnisch hergestellte Präparate (sog. eines klinischen Kriteriums. Als wahrscheinliche Biologika) zur Verfügung, die zentral in den Ent- AS werden alle Formen bezeichnet, die nur die zündungsprozess eingreifen. In klinischen Stu- klinischen oder nur das radiologische Kriterium dien haben sie eine hohe Wirksamkeit bewiesen erfüllen. [32]. Zu diesen Medikamenten gehören die TNF- Tabelle 2 alpha-Inhibitoren sowie weitere Medikamente, Klassifikationskriterien für die ankylosierende Spondylitis die gezielt Zellen des Immunsystems ausschal- (modifizierte New York Kriterien) ten. Sie stellen für schwer betroffene Personen Quelle: [1] eine neue therapeutische Chance dar. Ihre Nach- teile sind die sehr hohen Therapiekosten, die Not- Klinische Kriterien: wendigkeit der Dauertherapie und die noch nicht Kreuzschmerzen seit mehr als drei Monaten, ausreichend bekannten Langzeitwirkungen. Besserung durch Bewegung Ergänzend zur medikamentösen Therapie Bewegungseinschränkungen der Lendenwirbelsäule sollten die Betroffenen mit sekundärpräventiver verminderte Atembreite Zielsetzung über den Nutzen gelenkschonen- Radiologisches Kriterium: der körperlicher Aktivitäten (z. B. Schwimmen, typische Veränderungen im Röntgenbild Radfahren) sowie einer ausgewogenen, vitamin- reichen Ernährung informiert werden. Je nach Aktivität des Krankheitsprozesses bzw. Ausmaß Epidemiologie der Gelenkveränderungen ergänzen Maßnah- Die Erkrankung beginnt typischer Weise zwi- men aus dem Bereich der Physio-, Ergo- und schen dem 20. bis 40. Lebensjahr, selten erkran- physikalischen Therapie, die Verordnung geeig- ken Kinder oder ältere Menschen. Mehr Männer neter Hilfsmittel sowie gegebenenfalls operative als Frauen sind von AS betroffen. Doch wird mög- Eingriffe an Gelenken (siehe Abschnitt 2.5.2) die licherweise die AS-Häufigkeit bei Frauen unter- Behandlung. schätzt, da die Erkrankung bei ihnen teilweise leichter verläuft und häufiger erst spät erkannt wird [1, 4]. Der wesentliche Risikofaktor für die 2 .2 Ankylosierende Spondylitis Entstehung einer ankylosierenden Spondylitis ist das Vorhandensein eines genetischen Merk- Klinisches Bild und Klassifikation mals, des Humanen Leukozyten Antigens (HLA) Die ankylosierende Spondylitis (AS, früher: B27. In der Normalbevölkerung kommt HLA-B27 Morbus Bechterew) gehört zur Gruppe der je nach Land mit einer Häufigkeit von 8 % bis entzündlichen Erkrankungen der Wirbelsäu- 12 % vor. Von den AS-Erkrankten sind mehr als le (Spondyloarthritiden), deren Gemeinsam- 90 % HLA-B27 positiv [33]. Die unterschiedliche keiten die Manifestationen an der Wirbelsäule Verbreitung des HLA-B27 in den verschiedenen
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49 11 Bevölkerungen spiegelt sich in regional unter- Behandlung schiedlichen Häufigkeiten der AS. Eine zuverläs- Die entzündliche Aktivität wird bei der anky- sige Schätzung der Erkrankungshäufigkeit wird losierenden Spondylitis im Wesentlichen mit dadurch erschwert, dass je nach verwendeten nichtsteroidalen Antirheumatika bekämpft. Die Diagnosekriterien unterschiedliche Prävalenzen klassischen Basistherapeutika zur Behandlung ermittelt werden. So weisen 0,5 % bis 2 % der der rheumatoiden Arthritis wie Sulfasalazin und Bevölkerung bei Röntgenuntersuchungen AS- Methotrexat sind im Hinblick auf den Wirbelsäu- typische Veränderungen auf [2]. Allerdings wer- lenbefall bei AS weitgehend wirkungslos. Um zu den anhand dieses Kriteriums auch beschwerde- erreichen, dass die Versteifung der Wirbelsäule freie Personen erfasst. Für eine klinisch relevante in möglichst aufrechter Form erfolgt, sind ständi- AS werden für Europa Häufigkeiten zwischen ge krankengymnastische Übungsbehandlungen 0,2 % und 0,4 % der Bevölkerung angegeben [34]. erforderlich. Ihre Wirksamkeit wurde in meh- Eine deutsche Studie ermittelte unter Verwen- reren randomisierten klinischen Studien belegt dung magnetresonanztomografischer Verfah- [38]. Unterstützend können auch Kälteanwendun- ren (MRT) die wesentlich höhere Prävalenz von gen (Packungen, Kältekammer) und andere phy- 0,8 % [3]. Für Schätzungen wird im Folgenden sikalisch-therapeutische Maßnahmen Linderung eine Häufigkeit von 0,5 % angenommen. bringen. Patientengruppen mit selbstständigen Übungsprogrammen können entscheidend dazu Verlauf und Prognose beitragen, die Bereitschaft der Betroffenen zur Die fortschreitende Versteifung der Wirbelsäule Befolgung bestimmter Verhaltensempfehlungen kann zu erheblichen Bewegungseinschränkun- (Compliance) zu erhöhen. In neuerer Zeit werden gen, z. B. beim Bücken oder beim Drehen des die bereits erwähnten Biologika auch bei ankylo- Kopfes, führen. Weitere typische Begleitsympto- sierender Spondylitis eingesetzt. Eine exzellen- me sind Entzündungen an Gelenken, vor allem te Wirkung wurde bei mehr als der Hälfte der an den Kniegelenken. Aber auch Lunge, Herz, Betroffenen mit einer schweren AS beobachtet [5, Augen, Nieren und andere Organe können in Mit- 39, 40]. Damit stehen erstmals wirksame, wenn leidenschaft gezogen werden. Der Verlauf einer auch sehr teure Medikamente zur Behandlung AS ist sehr variabel. In vielen Fällen verläuft die von Menschen mit einer schweren aktiven AS, bei Krankheit milde mit langen beschwerdearmen denen sich andere Arzneimittel als unwirksam Intervallen. Eine komplette Ausheilung ist jedoch erwiesen haben, zur Verfügung. selten. Im Verlauf von zehn Jahren ist in etwa der Hälfte der Fälle mit einem eher milden Verlauf, in knapp 30 % mit einem mäßigen Fortschreiten 2 .3 Systemischer Lupus erythematodes der Wirbelsäulenversteifung und in rund 20 % mit schweren röntgenologisch nachweisbaren Klinisches Bild und Klassifikation Veränderungen der Wirbelsäule zu rechnen [35]. Dieses Krankheitsbild gilt als Prototyp einer Prognostisch ungünstige Zeichen sind der Befall Autoimmun- und Immunkomplexerkrankung. der Hüftgelenke, hohe Entzündungszeichen im Die Patientinnen und Patienten bilden eine Blut, geringe Wirksamkeit bestimmter antirheu- Vielzahl von Antikörpern gegen körpereigenes matisch wirkender Arzneimittel (nichtsteroidale Gewebe, die dieses angreifen und Entzündungen Antirheumatika), Bewegungseinschränkungen an Gelenken, aber auch inneren Organen her- der Lendenwirbelsäule, der Befall von Finger-, vorrufen. Die Krankheit verläuft typischerweise Zehen- und anderen Gelenken sowie der Beginn in Schüben und kann zahlreiche Organsysteme der Krankheit vor dem 16. Lebensjahr [4, 36]. Die befallen. Typische Zeichen des systemischen Lebenserwartung ist nicht grundsätzlich einge- Lupus erythematodes (SLE) sind ein schmetter- schränkt. Schwer betroffene Erkrankte haben lingsförmiger Hautausschlag im Gesicht, Aus- jedoch ein erhöhtes Sterberisiko, vor allem an schläge an anderen Körperstellen nach Aufenthalt Herz-Kreislauf-, Nieren- und Atemwegserkran- in der Sonne, Gelenkschmerzen und -entzündun- kungen [4, 37]. gen, Muskelschwäche und Nierenentzündungen. Seltener treten Symptome im Bereich der Lunge,
12 Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49 des Herzens oder des zentralen Nervensystems Verlauf und Prognose auf [41]. Für die Klassifikation des SLE werden Der SLE galt früher als eine sehr seltene, häu- die Kriterien der amerikanischen rheumatologi- fig zum Tode führende Erkrankung. Durch die schen Fachgesellschaft von 1982 verwendet [42]. verbesserten Möglichkeiten der Antikörper-Diag- Sind mindestens vier von insgesamt elf Kriterien nostik werden heute auch klinisch unauffälligere erfüllt, kann die Diagnose eines SLE gestellt wer- Formen entdeckt. Zusammen mit Fortschritten den. Allerdings eignen sich die Kriterien kaum in der medikamentösen Therapie hat sich die für die Frühdiagnose und sind vorrangig dazu Prognose des Krankheitsbildes entscheidend entwickelt worden, Studien besser vergleichen zu verbessert [43]. Während 1954 die 5-Jahres-Über- können. lebensrate unter 50 % lag [48], betrug sie in den 1980er-Jahren etwa 85 % [48]. Heute wird sie auf Epidemiologie 90 % bis 95 % geschätzt [41, 49]. Die 10-Jahres- Die Krankheit beginnt typischerweise zwischen Überlebensrate beträgt nach neueren Studien dem 20. und 30. Lebensjahr. Frauen sind zehn- in weißen Bevölkerungen um 85 %, die 15-Jah- mal häufiger betroffen als Männer. Die jährli- res-Überlebensrate 79 % bis 87 % [49]. Häufige che Neuerkrankungsrate liegt zwischen 2 und 8 Todesursachen sind Arteriosklerose, Infektionen Personen je 100.000 Einwohner. In den meisten (auch als Folge der Therapie) oder ein Versagen Studien wird die Neuerkrankungsrate mit 4 bis 5 verschiedener Organsysteme. Personen je 100.000 Einwohner beziffert [43, 44]. Demgegenüber schwanken die Angaben zur Zahl Behandlung bereits erkrankter Personen in der Bevölkerung Es gibt keine Heilung für einen systemischen weitaus stärker. Gründe für die starken Schwan- Lupus erythematodes. Durch eine geeignete kungen liegen einerseits in den Methoden der Therapie können die Symptome gelindert und Fallfindung (Behandlungsregister, Krankenhaus- schwere Langzeitfolgen vermieden oder zumin- entlassungsdiagnosen, Ärztebefragungen etc.), dest verringert werden. Etwa 75 % der Betroffe- andererseits in echten ethnischen Differenzen. nen erhalten Kortisonpräparate [50]. Zur Dämp- So haben in den USA afroamerikanische im fung der Entzündungsaktivität werden zudem oft Vergleich zu weißen Frauen eine etwa dreifach Antimalariamittel eingesetzt, aber auch Mittel erhöhte Erkrankungshäufigkeit [44]. Neuere zur Unterdrückung des körpereigenen Abwehr- Untersuchungen berichten eine Prävalenz des systems (Immunsuppressiva) wie Methotrexat, systemischen Lupus erythematodes um 100 je Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil oder Cyclo- 100.000 Personen oder 0,1 % der Bevölkerung phosphamid. Bei schweren, lebensbedrohlichen [43, 45, 46]. Erkrankungen muss mit hohen Dosen von Korti- Frauen im gebärfähigen Alter haben das son behandelt werden. höchste Risiko an einem SLE zu erkranken. Wäh- rend der Schwangerschaft kommt es nicht selten zur Verschlechterung des klinischen Bildes. Fehl-, 2 .4 Krankheitslast entzündlich-rheumatischer Früh- und Totgeburten sind häufiger als bei Krankheiten gesunden Frauen. Bei den Kindern SLE-kranker Mütter besteht die Gefahr einer angeborenen Stö- 2 .4 .1 Die rheumatologische Kerndokumentation rung der Erregungsleitung im Herzen (kongeni- für Erwachsene taler Herzblock). Dennoch lassen sich bei engma- schiger rheumatologischer und gynäkologischer Seit 1993 wird in den Regionalen Kooperativen Betreuung in erfahrenen Zentren die früher sehr Rheumazentren die sogenannte rheumatologi- gefürchteten Komplikationen in der Schwanger- sche Kerndokumentation geführt. Sie wurde schaft meist beherrschen. Ein SLE ist daher heute ursprünglich aufgebaut, um die Versorgungsleis- in den meisten Fällen kein Grund mehr, auf ein tung dieser regionalen Zusammenschlüsse von eigenes Kind zu verzichten [47]. Rheumatologinnen und Rheumatologen in Pra- xen, Kliniken und Universitäten mit Angehöri- gen weiterer Heil- und Hilfsberufe zu evaluieren.
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49 13 Die Kerndokumentation hat sich zum zentralen Von den 14.739 im Jahr 2007 in der rheu- Instrument des Monitorings der rheumatologi- matologischen Kerndokumentation erfassten schen Versorgung in Deutschland entwickelt. Patientinnen und Patienten litten 7.573 an einer Heute nehmen 20 rheumatologische Praxen und RA, 1.362 an einer AS und 892 an einem SLE. Klinikambulanzen bundesweit teil. Sie erfassen In knapp 90 % der Fälle waren die Diagnosen jährlich gut 15.000 Betroffene mit entzündlich- nach anerkannten Klassifikationskriterien gesi- rheumatischen Krankheiten. Die Dokumenta- chert. Mit Ausnahme der AS finden sich in allen tion besteht aus der elektronischen Erfassung der Diagnosegruppen wesentlich mehr Frauen. Das ärztlichen Angaben zum klinischen Status und mittlere Alter lag im Jahr 2007 bei RA-Patientin- zur Behandlung und der fragebogengestützten nen und -Patienten bei 60,4 Jahren und damit Patientenangaben zu Befinden, Lebensqualität deutlich über dem von Personen mit AS (47,1 und Folgen der Erkrankung. Anhand der ein- Jahre) bzw. SLE (46,1 Jahre). An RA erkrankten heitlich erhobenen Daten können Informationen Frauen im Mittel zwei Jahre und an SLE rund zum Krankheitsverlauf sektoren- und krankheits- drei Jahre früher als Männer. Dagegen tritt eine artenübergreifend gewonnen werden. Durch die AS bei Männern ca. 2,5 Jahre früher auf als bei Beschränkung auf spezialisierte Einrichtungen Frauen (siehe Tabelle 3 und Abbildung 1). ist allerdings die Verallgemeinerbarkeit über das rheumatologische Versorgungssegment hinaus begrenzt. Tabelle 3 Grunddaten der in der rheumatologischen Kerndokumentation erfassten Personen (2007) Quelle: Rheumatologische Kerndokumentation für Erwachsene Fallzahl gesicherte Frauen mittleres Alter mittleres Erkrankungsalter Diagnose Frauen Männer Frauen* Männer* rheumatoide Arthritis (RA) 7.573 87 % 75 % 60,2 61,0 54,7 56,8 ankylosierende Spondylitis (AS) 1.362 89 % 38 % 47,8 46,7 39,6 37,1 systemischer Lupus erythematodes (SLE) 892 91 % 89 % 46,1 46,3 37,1 40,3 alle entzündlich- 14.739 86 % 69 % 57,0 55,0 52,0 51,6 rheumatischen Krankheiten * Abbildung 1 Erkrankungsalter bei rheumatoider Arthritis, ankylosierender Spondylitis und systemischem Lupus erythematodes (2005 bis 2007) Quelle: Rheumatologische Kerndokumentation für Erwachsene 15 Prozent 12 9 6 3 ≤20 21–25 26–30 31–35 36–40 41–45 46–50 51–55 56–60 61–65 66–70 71–75 76–80 ≥81 Altersgruppe rheumatoide Arthritis ankylosierende Spondylitis systemischer Lupus erythematodes
14 Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49 2 .4 .2 Krankheitsfolgen AS geben zu einem der RA vergleichbaren Pro- zentsatz starke Schmerzen und einen schlechten Allen entzündlich-rheumatischen Krankheiten Gesundheitszustand an, während diejenigen mit ist gemeinsam, dass sie nur selten spontan aus- SLE sich selbst besser einschätzen. Bei diesem heilen und daher der dauerhaften Behandlung Krankheitsbild stehen weniger Schmerz und Funk- bedürfen. In vielen Fällen verlaufen sie chronisch- tionseinschränkung als allgemeine Krankheitszei- progredient, d. h. die Betroffenen erleben eine chen wie Müdigkeit, Fieber und Gewichtsabnahme fortschreitende Verschlechterung ihres Zustands. sowie Auswirkungen eines Organbefalls (z. B. an Sie sind daher gezwungen, über viele Jahre mit Herz oder Niere) im Vordergrund. Es ist davon aus- der Krankheit und den hieraus resultierenden Ein- zugehen, dass Fragen zur Schmerzsymptomatik schränkungen und Folgen zu leben. Die tägliche und zu Funktionseinschränkungen die Problembe- Lebensführung kann (z. B. durch Schmerzen und lastung dieser Gruppe (Immunvaskulitiden) nicht Funktionseinschränkungen) erschwert und die in vollem Umfang erfassen [50]. soziale Teilhabe (z. B. am Erwerbsleben oder an Schwere Funktionseinschränkungen sind im Freizeitaktivitäten) beeinträchtigt sein. Alltag häufig gleichbedeutend damit, das eigene In der Befragung der rheumatologischen Kern- Leben nicht mehr eigenständig bewältigen zu kön- dokumentation 2007 geben 22 % der Kranken mit nen. Bereits bei einer Krankheitsdauer von bis zu einer RA an, im Augenblick unter sehr starken fünf Jahren waren 26 % der ambulant behandel- Schmerzen zu leiden (siehe Tabelle 4). Über mittel- ten RA-Kranken auf mehr oder weniger umfang- schwere oder leichte Schmerzen berichten jeweils reiche Hilfe bei der Alltagsbewältigung angewie- 39 %. Von den Patientinnen und Patienten mit sen und 4 % pflegebedürftig. Diese Anteile stiegen einer Krankheitsdauer von zehn oder mehr Jahren mit zunehmender Krankheitsdauer. Mehr als 20 hatten 25 % sehr starke Schmerzen. Funktionsstö- Jahre nach Erkrankungsbeginn benötigten rund rungen werden in der Rheumatologie mit Hilfe von 40 % Hilfe bei der Bewältigung alltäglicher Ver- Fragebögen erfasst, wie z. B. dem in der Kerndo- richtungen und 20 % Pflegeleistungen [52]. kumentation verwendeten »Funktionsfragebogen In einer prospektiven Verlaufsbeobachtung Hannover« (FFbH) [51]. Er misst die Funktions- von knapp 700 Patientinnen und Patienten mit fähigkeit der Erkrankten in Prozent des maximal früher RA in mehreren deutschen Rheumazen- möglichen Werts von 100 %. Danach haben 42 % tren wurde in den 1990er-Jahren im ersten Jahr der RA-Kranken deutliche Funktionseinschränkun- der Krankheit bei 76 % der Erwerbstätigen eine gen (d. h. maximal 70 % der vollen Funktionsfähig- Arbeitsunfähigkeit (AU) wegen der rheumatolo- keit) und 22 % schwere Funktionseinschränkungen gischen Erkrankung festgestellt [53]. Ein güns- (maximal 50 % der vollen Funktionsfähigkeit). In tigeres Bild ergibt sich anhand aktueller Daten der Selbsteinschätzung des allgemeinen Gesund- der rheumatologischen Kerndokumentation. Im heitszustands stufen 19 % der Patientinnen und Jahr 2007 berichteten 35 % der erwerbstätigen Patienten mit einer RA ihren Gesundheitszustand Personen, die nicht länger als zwei Jahre krank als sehr schlecht ein (siehe Tabelle 4). Kranke mit waren, über mindestens eine Krankschreibung in Tabelle 4 Anteil an RA-, AS- oder SLE-Erkrankten mit starken Schmerzen, schwerer Funktionseinschränkung oder schlechtem Gesundheitszustand (2007) Quelle: Rheumatologische Kerndokumentation für Erwachsene rheumatoide ankylosierende systemischer Lupus Arthritis (RA) Spondylitis (AS) erythematodes (SLE ) aktuell starke Schmerzen (entsprechend 22 % 23 % 15 % 7 bis 10 von max. 10 Punkten) schwere Funktionseinschränkung 22 % 16 % 10 % (≤ 50 % der vollen Funktion) schlechter Gesundheitszustand 19 % 20 % 13 % (entsprechend 7 bis 10 von max. 10 Punkten)
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49 15 Tabelle 5 Arbeitsunfähigkeit (AU) in den letzten 12 Monaten (2007) Quelle: Rheumatologische Kerndokumentation für Erwachsene; nur Personen bis 65 Jahre Anteil der Erwerbstätigen Personen mit mindestens mittlere jährliche AU-Dauer in dieser Diagnosegruppe 1 AU-Fall/Jahr der Erwerbstätigen bei Personen mit AU Frauen Männer Frauen Männer Gesamt Frauen Männer Gesamt RA 47 % 54 % 25 % 25 % 25 % 41,5 48,6 43,4 AS 54 % 59 % 28 % 31 % 30 % 50,6 33,0 38,1 SLE 49 % 53 % 22 % 32 % 23 % 43,5 61,4 46,8 RA = rheumatoide Arthritis, AS = ankylosierende Spondylitis, SLE = systemischer Lupus erythematodes den letzten zwölf Monaten. Bei allen RA-Kranken sozialrechtliche Regelungen bei der vorzeitigen waren dies 25 %. Die mittlere Dauer der Arbeits- Berentung, Alter, Geschlecht und ausgeübter Beruf unfähigkeit lag bei den Personen, die mindestens der Betroffenen eine Rolle. In der Altersklasse zwi- einmal im Jahr krankgeschrieben waren, bei 43 schen 35 und 59 Jahren liegt der Erwerbstätigen- Tagen (siehe Tabelle 5). anteil bei Personen mit RA, AS oder SLE deutlich Zu den schwerwiegenden Folgen einer chroni- unter dem Bevölkerungsmittel. Bei unter 30-jäh- schen Erkrankung gehört das vorzeitige Ausschei- rigen Patientinnen und Patienten ist die Erwerbs- den aus dem Erwerbsleben. Neben der Krankheit beteiligung in allen Krankheitsgruppen höher als selbst spielen die allgemeine Arbeitsmarktlage, in der Normalbevölkerung (siehe Abbildung 2). Abbildung 2 Erwerbstätigkeit von Personen mit RA, AS oder SLE im Vergleich zur Bevölkerung (2007) Quelle: Rheumatologische Kerndokumentation für Erwachsene des Jahres sowie Eurostat [54] 100 Prozent 100 Prozent Frauen Männer 90 90 80 80 70 70 60 60 50 50 40 40 30 30 20 20 10 10 20–24 30–34 40–44 50–54 60–64 20–24 30–34 40–44 50–54 60–64 25–29 35–39 45–49 55–59 25–29 35–39 45–49 55–59 Altersgruppe rheumatoide Arthritis ankylosierende Spondylitis systemischer Lupus erythematodes Bevölkerung
16 Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49 Tabelle 6 Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aufgrund von RA, AS oder SLE (2007) Quelle: [55] seropositive RA sonstige RA AS SLE alle ICD-10 M05 ICD-10 M06 ICD-10 M45 ICD-10 M32 Diagnosen Frauen Renten gesamt 407 489 100 143 72.080 mittl. Alter bei Rentenbeginn (Jahre) 50,2 51,2 49,6 45,0 49,3 Männer Renten gesamt 221 208 303 28 87.925 mittl. Alter bei Rentenbeginn (Jahre) 52,3 52,1 49,2 45,4 50,5 RA = rheumatoide Arthritis, AS = ankylosierende Spondylitis, SLE = systemischer Lupus erythematodes Im Jahr 2007 wurden insgesamt 1.899 Zugän- te Mitbetreuung von Menschen mit entzünd- ge an Renten wegen verminderter Erwerbsfähig- lich-rheumatischen Krankheiten zuständig. Sie keit aufgrund von rheumatoider Arthritis, anky- haben die Aufgabe, die Diagnose zu stellen oder losierender Spondylitis oder systemischem Lupus zu überprüfen, die medikamentöse Behandlung erythematodes verzeichnet (siehe Tabelle 6). Das mit sogenannten Basistherapeutika einzuleiten Alter bei Rentenbeginn entsprach bei RA und AS und in regelmäßigen Abständen zu überwachen. in etwa dem Durchschnittsalter bei vorzeitiger Die Betreuung zwischen diesen Intervallen ist Berentung wegen verminderter Erwerbsfähigkeit dagegen Aufgabe der Hausärztinnen und -ärzte. für alle Diagnosen. Lediglich Frauen und Männer Lediglich die Behandlung von Betroffenen mit mit SLE wurden in deutlich jüngerem Alter (45 sehr schweren Verlaufsformen entzündlicher Jahre) vorzeitig berentet. Gelenk-, Wirbelsäulen- oder Gefäßerkrankun- gen sollte ganz in den Händen der internistisch- rheumatologisch weitergebildeten Ärztinnen und 2 .5 Versorgungsangebote und Inanspruchnahme Ärzte verbleiben [31, 56]. Für die Beteiligung von Rheumaspezialistinnen und -spezialisten an der 2 .5 .1 Ambulante Versorgung Behandlung spricht auch, dass die Behandlung entzündlich-rheumatischer Krankheitsbilder Spezialisten für die Betreuung von Patientinnen einem raschen Wandel unterliegt. Die seit knapp und Patienten mit entzündlich-rheumatischen einem Jahrzehnt mögliche Behandlung mit Bio- Krankheiten sind Rheumatologinnen und Rheu- logika sollte wegen der Notwendigkeit einer eng- matologen. Seit 1981 können sich Fachärztinnen maschigen Überwachung und der hohen Kosten, und -ärzte für Innere Medizin oder Orthopädie- die eine sorgfältige Indikationsstellung verlan- Unfallchirurgie gezielt rheumatologisch wei- gen, den internistischen Rheumatologinnen und terbilden. Nach den aktuell gültigen Regelun- Rheumatologen vorbehalten bleiben. gen können sie die Schwerpunktbezeichnung Die enge Zusammenarbeit mit Hausärztin Rheumatologie bzw. die Zusatzweiterbildung bzw. -arzt ist unerlässlich, da es in Deutschland Orthopädische Rheumatologie erwerben. Pri- einen erheblichen Mangel an rheumatologisch mär orthopädisch-unfallchirurgisch qualifizierte spezialisierten Ärztinnen und Ärzten gibt. Laut Rheumatologinnen und Rheumatologen haben Arztregister der Kassenärztlichen Bundesvereini- ihre Aufgaben auf den Gebieten der konservati- gung waren Ende 2006 426 vertragsärztlich täti- ven orthopädischen Therapie, der Indikations- ge und 153 ermächtigte internistische Rheumato- stellung zum operativen Eingriff am Gelenk loginnen und Rheumatologen an der ambulanten und der operativen Versorgung rheumakranker Versorgung beteiligt. In einem Memorandum der Patientinnen und Patienten. Ihre internistischen Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie wird Kolleginnen und Kollegen sind für die dauerhaf- der Mindestbedarf an internistischen Rheumato-
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49 17 loginnen und Rheumatologen für ganz Deutsch- nach rund vier Jahren erstmalig von einer/einem land auf 1.350 geschätzt, also auf mehr als doppelt Rheumatologin oder Rheumatologen untersucht. so viele, wie zur Verfügung stehen [57]. Dies hat insbesondere im Hinblick auf die Ein- Um die hausärztlich-rheumatologische leitung einer angemessenen medikamentösen Kooperation auf regionaler Ebene zu verbessern, (Basis-)Therapie Konsequenzen. haben sich seit 1993 mit Unterstützung durch das Für eine Verordnung der neu in die Therapie Bundesministerium für Gesundheit 30 »Regio- eingeführten Biologika bedarf es rheumatologi- nale Kooperative Rheumazentren« gebildet. In scher Expertisen. Diese sehr teuren Präparate ihnen sind Universitätskliniken, Versorgungs- kommen zwar in der Regel nur bei schwereren krankenhäuser, niedergelassene Rheumatolo- Krankheitsverläufen zum Einsatz. Dennoch sind ginnen und Rheumatologen mit internistischem sie in erheblichen Maße für die beobachteten oder orthopädischem Hintergrund sowie Ange- Kostensteigerungen bei der Behandlung ent- hörige weiterer Berufsgruppen (Ergo-, Physio- zündlich-rheumatischer Erkrankungen verant- und Schmerztherapeutinnen und -therapeuten) wortlich (siehe Abschnitt 2.6). Abbildung 3 gibt zusammengeschlossen. Trotz der verbesserten die Entwicklung der medikamentösen Therapie Kooperation zwischen den verschiedenen Ver- bei RA-Patientinnen und -Patienten wieder. Das sorgungsbereichen bestehen erhebliche Versor- wichtigste Basismedikament ist demnach das gungslücken. So kommt der erste Kontakt mit Methotrexat, das vielfach in Kombination mit einer/einem rheumatologisch qualifizierten anderen Medikamenten gegeben wird. Während Ärztin oder Arzt nach den Daten der rheuma- im Jahr 2000 lediglich 2 % der Betroffenen Bio- tologischen Kerndokumentation auch in den logika erhielten, waren es 2007 bereits 17,5 % der Rheumazentren erst relativ spät im Krankheits- rheumatologisch betreuten RA-Kranken. verlauf zustande. Bei Patientinnen und Patien- Um die durch die Krankheit beeinträchtigte ten mit RA findet eine solche Konsultation im Gelenk- und Wirbelsäulenfunktion zu erhalten Mittel erst 1,1 Jahre nach Beginn der Beschwerden und zu verbessern, benötigen Personen, die an statt. Bei Personen mit SLE sind es mehr als zwei entzündlich-rheumatischen Krankheiten leiden, Jahre, und diejenigen mit AS werden sogar erst in aller Regel nicht nur eine medikamentöse, Abbildung 3 Medikamentöse Therapie bei erwachsenen Patientinnen und Patienten mit rheumatoider Arthritis (2000 und 2007) Quelle: Rheumatologische Kerndokumentation keine Basistherapie Mono-Basistherapie Zweifachkombination Drei- und Mehrfachkombination Methotrexat Sulfasalazin Hydroxychloroquin/Chloroquin Leflunomid Gold Azathioprin Biologika 2000 Ciclosporin A 2007 andere 0 10 20 30 40 50 60 70 Prozent
18 Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49 sondern auch ergänzende physio- und ergothera- Tabelle 7 peutische Therapie. Angesichts der gravierenden Zahl akutstationärer rheumatologischer Fachabteilungen und Betten (2002 und 2008) Einschnitte der Krankheit in die tägliche Lebens- Quelle: [58, 59] führung sind außerdem gezielte Informationen durch Patientenschulungsprogramme sowie Hil- 2002 2008 Veränderungsrate fen zur Schmerz- und Krankheitsbewältigung bei rheumatologische Fachabteilungen praktisch allen Kranken angezeigt. Angebote der internistisch 60 65 8% Physiotherapie stehen nahezu flächendeckend orthopädisch 23 19 -19 % ambulant zur Verfügung. Ergotherapie und Pro- Betten in rheumatologischen Fachabteilungen gramme zur Patientenschulung und Krankheits- bewältigung werden dagegen traditionell fast internistisch 3.048 2.523 -17 % nur von stationären (Reha-)Einrichtungen ange- orthopädisch 917 762 -17 % boten. Daraus ergibt sich ein Versorgungsdefizit im ambulanten Bereich: 2007 kamen von den in In den zurückliegenden Jahren ist ein Trend der Kerndokumentation erfassten Patientinnen sowohl zum Rückgang der Zahl der jährlichen und Patienten nur etwa 4 % in den Genuss einer Einweisungen pro Patientin bzw. Patient mit ambulanten Ergotherapie und lediglich rund 2 % rheumatologischen Erkrankungen als auch zur erhielten außerhalb einer Klinik eine Patienten- Verkürzung der einzelnen stationären Behand- schulung. lungsepisoden zu beobachten. Laut rheumato- logischer Kerndokumentation nahm der Anteil an Rheumakranken, die in den 12 Monaten vor 2 .5 .2 Akutstationäre Versorgung der Datenerhebung stationär behandelt worden waren, zwischen 1993 und 2007 von 27 % auf Entzündlich-rheumatische Krankheiten erfor- 13 % ab. Parallel dazu sank die durchschnitt- dern aufgrund ihres chronisch fortschreitenden liche jährliche Gesamtkrankenhausaufenthalts- Verlaufs häufig intensive, gegebenenfalls auch dauer von 26,6 auf 13,9 Tage. Bezogen auf alle stationäre Behandlungen. Daher sind neben den RA-Kranken des Registers fielen damit im Jahr ambulanten Versorgungsangeboten auch die 2007 pro Person durchschnittlich 1,8 Kranken- stationären rheumatologischen Versorgungska- haustage an. Bei AS-Kranken waren es 1,4 Tage pazitäten bedeutsam. Als rheumatologisch spe- pro Person, bei SLE-Patientinnen und -Patienten zialisierte Abteilungen an Akutkrankenhäusern 2,4 Tage. wurden vom Statistischen Bundesamt 2008 65 Auch nach Daten des Statistischen Bundesam- internistische und 19 orthopädische Einrich- tes nahmen sowohl die Gesamtzahl stationärer tungen gezählt (siehe Tabelle 7). Während die Behandlungsfälle mit einer der Hauptdiagnosen Zahl der internistisch-rheumatologischen Abtei- RA, AS oder SLE als auch die Verweildauer die- lungen zwischen 2002 und 2008 um 5 (+8 %) ser Fälle ab (siehe Tabelle 8). Die Entwicklung zunahm, sank die der orthopädisch-rheumatolo- ist hinsichtlich der Fallzahl (-5,4 %) gegenläufig gischen um 4 (-19 %). Die Bettenzahl ging im sel- zum allgemeinen Trend (+1,2 %). Die Verweil- ben Zeitraum um jeweils 17 % zurück. Damit war dauer pro Krankenhausaufenthalt ist bei RA und der Bettenabbau im Bereich der Rheumatologie AS stärker gesunken als im Durchschnitt aller im Vergleich zum allgemeinen Trend überdurch- Krankenhausaufenthalte. Die Krankenhausdiag- schnittlich hoch. nosestatistik spiegelt die für RA, AS und SLE typischen Verteilungen hinsichtlich relativer Häufigkeit und Alter (siehe Abbildung 4) sowie (nicht grafisch dargestellt) Geschlecht wider. Ähnlich wie die wirksame medikamentöse Behandlung kommt auch die rheumachirurgi- sche Versorgung oftmals zu spät im Krankheits- prozess zum Tragen. Die offen oder im Rahmen einer Gelenkspiegelung (arthroskopisch) durch-
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49 19 Tabelle 8 Fallzahlen und Verweildauern bei stationären Behandlungsfällen mit Hauptdiagnose RA, SLE oder AS (2002 und 2007) Quelle: Krankenhausdiagnosestatistik [60] 2002 2007 Veränderungsrate Fallzahl Fälle gesamt (alle Diagnosen) 17.363.164 17.568.576 1,2 % seropositive rheumatoide Arthritis (ICD-10 M05) 14.881 15.471 4,0 % seronegative rheumatoide Arthritis (ICD-10 M06) 16.652 14.143 -15,1 % systemischer Lupus erythematodes (ICD-10 M32) 4.831 4.850 0,4 % ankylosierende Spondylitis (ICD-10 M45) 3.749 3.480 -7,2 % Durchschnittliche Verweildauer in Tagen Fälle gesamt (alle Diagnosen) 9,3 8,3 -10,8 % seropositive rheumatoide Arthritis (ICD-10 M05) 15,1 12,1 -19,9 % seronegative rheumatoide Arthritis (ICD-10 M06) 13,4 11,0 -17,9 % systemischer Lupus erythematodes (ICD-10 M32) 9,9 9,2 -7,1 % ankylosierende Spondylitis (ICD-10 M45) 13,5 10,9 -19,3 % RA = rheumatoide Arthritis, SLE = systemischer Lupus erythematodes, AS = ankylosierende Spondylitis geführte Synovektomie (operative Entfernung der Gelenkknorpels weitgehend zu verhindern. Hier- entzündeten Gelenkinnenhaut) und die Synovior- zu ist es jedoch erforderlich, die Eingriffe in den these (Entfernung der Gelenkinnenhaut mit che- ersten Jahren nach Erkrankungsbeginn durchzu- mischen oder radioaktiven Substanzen) verfolgen führen, bevor irreparable Schäden auftreten. Nach das Ziel, durch die rechtzeitige Entfernung der den Daten der rheumatologischen Kerndokumen- entzündeten Gelenkinnenhaut die Zerstörung des tation des Jahres 2007 trifft dies jedoch nur auf Abbildung 4 Akutstationäre Fälle mit Hauptdiagnose RA, SLE oder AS nach Alter (2007) Quelle: Krankenhausdiagnosestatistik [60] 12.000 Anzahl 10.000 8.000 6.000 4.000 2.000 0–14 15–24 25–34 35–44 45–54 55–64 65–74 75–84 85–94 95+ Altersgruppe ankylosierende Spondylitis systemischer Lupus erythematodes rheumatoide Arthritis
20 Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 49 einen kleinen Prozentsatz der Fälle zu (siehe Tabel- 2 .5 .3 Rehabilitation le 9). Von den Patientinnen und Patienten mit RA und einer Krankheitsdauer von bis zu fünf Jahren Menschen mit entzündlich-rheumatischen hatten lediglich 1,6 % bereits eine Synovektomie Krankheiten haben einen hohen und frühzeiti- und 2,4 % eine Synoviorthese erhalten. An erster gen Bedarf an Maßnahmen zur medizinischen Stelle in der Häufigkeit rheumachirurgischer Ein- Rehabilitation, da sie einem hohen Risiko dau- griffe bei RA-Kranken steht der operative Gelenk- erhafter Einschränkungen von Funktionen und ersatz, der erwartungsgemäß vorwiegend bei Aktivitäten im Alltag sowie der sozialen Teil- Patientinnen und Patienten mit längeren Krank- habe ausgesetzt sind. Den Betroffenen drohen heitsverläufen vorgenommen wird. Bei ankylosie- Erwerbsunfähigkeit, Hilfeabhängigkeit und Pfle- render Spondylitis sind operative Eingriffe deut- gebedürftigkeit. Rehabilitative rheumatologische lich seltener als bei RA. Von den rheumatologisch Versorgungskapazitäten wurden jedoch zwischen betreuten AS-Patientinnen und -Patienten ist erst 2002 und 2008 in einem Umfang abgebaut, der bei 6,7 % der länger als 10 Jahre Erkrankten ein den allgemeinen Trend zu sinkenden Abteilungs- Gelenkersatz (in der Regel am Hüftgelenk) vorge- bzw. Bettenzahlen deutlich überstieg (siehe nommen worden. Beim SLE werden Operationen Tabelle 10). So ging die Zahl der internistisch- am Gelenk nur in Ausnahmefällen durchgeführt. rheumatologischen Reha-Abteilungen von 50 auf 33 und die der orthopädisch-rheumatologischen Tabelle 9 Reha-Abteilungen von 43 auf 18 zurück. Die Zahl Jemals durchgeführte Gelenkeingriffe bei Patientinnen und der Betten verringerte sich im Berichtszeitraum Patienten mit rheumatoider Arthritis nach Krankheitsdauer um jeweils ca. 50 %. (2007) Quelle: Rheumatologische Kerndokumentation für Erwach- sene Tabelle 10 Zahl rheumatologischer Fachabteilungen und Betten an < 5 Jahre 5 – 10 Jahre > 10 Jahre gesamt Rehabilitationskliniken 2002 und 2008 Quelle: [58, 61] Gelenkersatz 7,4 % 10,8 % 24,3 % 17,2 % Synovektomie 1,6 % 2,5 % 7,7 % 5,0 % 2002 2008 Veränderungsrate Synoviorthese 2,4 % 6,4 % 6,6 % 5,6 % rheumatologische Reha-Fachabteilungen Eingriffe 22,8 % 33,1 % 52,7 % 41,1 % internistisch 50 33 -34 % gesamt orthopädisch 43 18 -58 % Betten in rheumatologischen Reha-Fachabteilungen internistisch 4.901 2.587 -47 % orthopädisch 2.899 1.449 -50 % Von den im Jahr 2007 in der rheumatologi- schen Kerndokumentation erfassten Patientin- nen und Patienten mit RA haben 10 % im Vorjahr eine Maßnahme zur medizinischen Rehabilita- tion erhalten. Im Jahr 1996 waren es noch 16 %. Bei AS sank der Anteil zwischen 1996 und 2007 von 17 % auf 13 %, beim SLE von 10 % auf 8 %. Da ambulante Angebote zur Patientenschulung, Schmerzbewältigung und spezialisierten Ergo- therapie (Gelenkschutzberatung/Schienenversor- gung) weitgehend fehlen, haben solche Leistun- gen im Rahmen von Rehabilitationsaufenthalten eine große Bedeutung für die Betroffenen. An einer stationären Reha-Maßnahme in einer Einrichtung mit mehr als 100 Betten nah-
Sie können auch lesen