Demenzerkrankungen Medikamentöse Therapie - Konsensus-Statement - State of the art 2015 - ÖGPB
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sonderausgabe november 2015 Demenzerkrankungen Medikamentöse Therapie Konsensus-Statement – State of the art 2015 Editorial Board: Prim. Dr. Reinhard Bacher, Antonia Croy, Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Unter der Patronanz: Fasching, Prim. Dr. Gerhard Fruhwürth, Prim. Univ.-Prof. Dr. Heinz Grunze, Prim. Dr. Christian Jagsch, Prim. Dr. Helmut Jelem MSc, O.Univ.-Prof. DDr. Hans-Peter Kapfhammer, Prim. Univ.-Prof. Dr. Marcus Köller, Prim. Univ.-Prof. DDr. Michael Lehofer, Univ.-Prof. Dr. Nicole Praschak-Rieder, Chefarzt Prim. Dr. Georg Psota, Univ.-Prof. DDr. Gabriele-Maria Sachs, Prim. Dr. Kurt Stastka, Prim. Dr. Elmar Windhager, Prim. Dr. Andreas Winkler MSc, Assoc. Prof. Priv.-Doz. Dr. Dietmar Winkler, MR Dr. Albert Wuschitz, Dr. Katharina Zauner Österreichische Gesellschaft für Vorsitz: O.Univ.-Prof. Dr.h.c.mult. Dr.med. Siegfried Kasper Neuropsychophar- makologie und Biolo- Priv.-Doz. Dr. Michael Rainer gische Psychiatrie
Vorwort Demenzerkrankungen gehören zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen im Alter und erreichen bei den 95- bis 99-Jährigen bereits 45%. Das Alter ist eindeutig der wichtigste Risiko- faktor für das Auftreten dieser demenziellen Erkrankung, und der Pflegeaufwand steigt mit zu- nehmendem Schweregrad und der Notwendigkeit der stationären Pflege massiv an. Das Wissen um die Ursachen und die Behandlungsmöglichkeiten der demenziellen Erkrankungen hat sich O.Univ.-Prof. Dr.h.c.mult. in letzter Zeit, insbesondere seit Einführung moderner Antidementiva, deutlich erhöht. Die Auf- Dr.med. Siegfried Kasper klärung der Angehörigen über die Symptomatik und den Zeitverlauf der Erkrankung ist insofern Universitätsklinik für Psychiatrie wichtig, da dadurch falsche Erwartungen korrigiert werden können bzw. eine adäquate Ein- und Psychotherapie, Wien schätzung im Umgang mit der Symptomatik erreicht werden kann. Das vorliegende Konsensus-Statement ist ein Update des erstmals 2006 herausgebenen Konsen- sus und befasst sich mit verschiedenen Aspekten der Demenzerkrankungen einschließlich Dia- gnostik und Differenzialdiagnostik und legt den Schwerpunkt auf die medikamentöse Therapie. Es soll ein Fortbildungsangebot an Ärzte – Fachärzte für Psychiatrie und/oder Neurologie, Allge- meinmediziner, Internisten und anderer Fachbereiche –, aber auch eine Information für Ange- hörigengruppen und in der Gesundheitspolitik Tätige sein und ein besseres Verständnis sowie ein vertieftes Wissen um den Einsatz verschiedener Antidementiva, die Indikationsstellung der Me- dikamente und die Therapieplanung bei Demenz ermöglichen. Wie bei den vorangegangenen Priv.-Doz. Dr. Michael Rainer SMZ Ost Donauspital, Karl- Konsensus-Statements der ÖGPB wurde das nun vorliegende Konsensus-Dokument mit öster- Landsteiner-Institut für Ge- reichischen Experten im schriftlichen Austausch erarbeitet. Das hier vorgestellte Statement stellt dächtnisvorschung, Wien die konsensuelle Meinung der Teilnehmer dieser Arbeitsgruppe dar. Diese Arbeit wurde auch Coverbild Margot Holzapfel; Fotos: Archiv (10), Privat (6), MedUniWien Matern (1), MedUniWien (1), Klinik Pirawarth (1), LKH Rankweil (1), LK Neunkirchen (1) durch die finanzielle Unterstützung der forschenden Industrie und in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Gesellschaft für Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie (ÖGAPP) ermög- licht. Wir möchten ihnen an dieser Stelle recht herzlich danken. Obwohl versucht wurde, in diesem Konsensus-Papier den aktuellen Stand der Wissenschaft und der täglichen Praxis wiederzugeben, ist es uns bewusst, dass bereits bei Schriftlegung der eine oder andere Aspekt überholt sein könnte, so dass geplant ist, in regelmäßigen Abständen wieder eine Neuauflage zu erarbeiten. Wir hoffen sehr, dass Ihnen dieses Konsensus-Statement „Demenz“ für die Behandlung und das Verständnis demenzieller Erkrankungen nützlich ist, und wie immer würden wir uns über Rück- meldungen für die dritte Auflage freuen. In diesem Sinne zeichnen … Österreichische Gesellschaft für Neuropsychophar- makologie und Biolo- gische Psychiatrie O. Univ.-Prof. Dr.h.c.mult. Dr. med. Siegfried Kasper Priv.-Doz. Dr. Michael Rainer Zitierung der Arbeit wie folgt: Kasper S, Rainer M, Bacher R, Croy A, Fasching P, Fruhwürth G, Grunze H, Jagsch C, Jelem H, Kapfhammer H-P, Köller M, Lehofer M, Praschak- Rieder N, Psota G, Sachs G-M, Stastka K, Windhager E, Winkler A, Winkler D, Wuschitz A, Zauner K, Demenzerkrankungen Medikamentöse Therapie. Konsensus-Statement – State of the art 2015. CliniCum neuropsy Sonderausgabe November 2015 Liebe Leserin, lieber Leser! Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichten wir auf das Binnen-I und auf die gesonderte weibliche und männliche Form. 2 cli n i c u m n e u ro p s y s o n d e ra u s g a b e
Demenzerkrankungen Medikamentöse Therapie Inhalt 1. Einleitung Das vorliegende Konsensus-Statement befasst sich mit Demenzer- Vorwort 2 krankungen im Allgemeinen und der Alzheimer-Demenz im Beson- deren. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf der medikamentösen The- 1. Einleitung 3 rapie. Es soll ein Fortbildungsangebot an Ärzte – Fachärzte für Psychiatrie und/oder Neurologie, Allgemeinmediziner, Internisten 2. Diagnose und Differenzialdiagnose 3 und andere –, aber auch für Angehörigengruppen und in der Ge- sundheitspolitik Tätige sein und ein besseres Verständnis sowie ein 3. Epidemiologie und Verlauf 6 vertieftes Wissen um den Einsatz verschiedener Substanzklassen, die Indikationsstellung und die Therapieplanung bei Demenz er- 4. Symptomatik 7 möglichen. Nur so sind letztlich auch verbesserte therapeutische Er- gebnisse zu erzielen. 5. Ätiologie 8 Demenzen stellen eines der größten gesundheitsökonomischen Probleme dar. Waren im Jahr 2000 ca. 90.500 Patienten von einer 6. Neurophysiologie und Schlaf 10 Demenz betroffen, so werden es im Jahr 2050 ca. 260.000 Patien- ten österreichweit sein. Weltweit rechnet man mit 115 Millionen 7. Therapie und Substanzklassen 11 Demenzpatienten. Gesundheits- und Pflegekosten in Österreich be- 7.1 Cholinesterasehemmer 11 trugen 2007 1,7 Milliarden Euro und werden im Jahr 2050 4,6 Mil- 7.2 Memantin 14 liarden Euro nach Schätzungen der Wiener Gebietskrankenkasse 7.3 Ginkgo biloba 14 betragen. Bei den über 75-Jährigen fallen ca. 20% aller Haupt- 7.4 Nootropika 14 oder Nebendiagnosen auf internen Abteilungen auf Demenzer- 7.5 Antidepressiva 15 krankungen. Die Prävalenzraten in Pflegeheimen betragen für De- 7.6 Antipsychotika/Neuroleptika 15 menzen 39–87%. Da diese enorme Anzahl von Patienten zu 90% 7.7 Benzodiazepine 16 von Hausärzten behandelt wird, ist eine exakte Diagnosestellung 7.8 Schlafmittel 16 und optimale Therapie essenziell notwendig. Jedoch werden De- menzerkrankungen bei 40–60% übersehen. Eine Frühdiagnose er- 8. Indikationsstellung und scheint deshalb besonders wichtig und ermöglicht eine erfolgver- Therapievereinbarung 17 sprechende mehrdimensionale Therapie. 8.1 Akuttherapie 17 8.2 Langzeittherapie 17 8.3 Auswahl der Medikation 18 2. Diagnose und Differenzialdiagnose 8.4 Therapieresistenz 18 Die gegenwärtige psychiatrische Klassifikation nach ICD-10 (siehe 8.5 Suizidrisiko 19 Tabelle 1) und DSM-5 betrachtet die Demenz vom Alzheimer-Typ 8.6 Spezielle Problemstellungen 19 (DAT) als erworbenes Symptommuster, welches sich aus Störungen der kognitiven Leistungsfähigkeit und nicht kognitiven Verhaltens- 9. Nicht medikamentöse änderungen zusammensetzen kann. Behandlungsmöglichkeiten 19 9.1 Psychotherapie und Soziotherapie 19 Tabelle 1 9.2 Nahrungsergänzungsmittel als Prävention Demenz vom Alzheimer-Typ (DAT) der Alzheimer-Demenz 20 ICD-10-Leitlinien (F00) Mittelaufschlag 12 1. V orhandensein eines Demenzsyndroms 2. V erlauf: Schleichender Beginn mit langsamer Verschlechterung. Die Demenz ist irreversibel. 3. A usschluss Organizität (z.B. Hyperthyreose, Hyperkaliämie, Vitamin-B-Mangel, Hydrocephalus, subdurales Hämatom) 4. F ehlen eines plötzlichen apoplektischen Beginns oder neurologischer Herdzeichen (Hemiparese, Sensibilitätsver- lust, Gesichtsfeldausfälle und Koordinationsstörungen in der Frühphase, können jedoch in der Spätphase vorhanden sein) c linic um neurop s y s ond erausgabe 3
Neben der Demenz bei Alzheimer-Krankheit unterscheidet das ICD- Eine erhebliche Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähig- 10 noch die vaskuläre Demenz (F01), die Demenz bei andernorts keit, vorzugsweise durch eine standardisierte neuropsychologi- klassifizierten Krankheiten, z.B. Demenz bei primärem Parkinson- sche Testung bzw. bei deren Fehlen durch eine sonstige quantifi- Syndrom (F02), und die nicht näher bezeichnete Demenz (F03). zierte klinische Bewertung dokumentiert. Die kognitiven Störungen, allen voran die Abnahme der Gedächt- B Die kognitiven Einschränkungen beeinträchtigen die Unabhän- nisleistung, aber auch Störungen im Bereich der Urteilsfähigkeit gigkeit in der Verrichtung alltäglicher Aktivitäten (d.h., zumindest und des Denkvermögens wie auch eine verminderte Affektkontrol- ist Hilfe bei komplexen instrumentellen Alltagsaktivitäten wie Be- le und Störung des Antriebs oder Sozialverhaltens, müssen so aus- zahlen von Rechnungen oder Einnahme von Medikamenten not- geprägt sein, dass sie zu einer Beeinträchtigung der täglichen Akti- wendig). vitäten führen. Dieses Kriterium wird in der ICD-10 in Form einer C Die kognitiven Einschränkungen treten nicht ausschließlich im dreistufigen Einteilung des Schweregrades differenziert berück- Zusammenhang mit einem Delir auf. sichtigt. D Die kognitiven Einschränkungen können nicht besser durch eine Als kognitive Testverfahren kommen neben dem MMSE (Mini-Men- andere psychische Störung erklärt werden (z.B. Major Depressi- tal-State-Examination) auch ADAS-cog (Alzheimer’s Disease Assess- on, Schizophrenie). ment Scale – cognitive section) und SIB (Severe Impairment Battery) infrage. Weiterhin sinnvoll sind CGI (Clinical Global Impression), Für den Arzt für Allgemeinmedizin sind neben der Erhebung der Ei- ADL (Activities of Daily Living), CIBIC-Plus (Clinician’s Interview- genanamnese fremdanamnestische Angaben von besonderer Be- Based Impression of Change Plus Caregiver Input) und NPI (Neuro- deutung. Während Betroffene ihre Defizite häufig verleugnen, neh- psychiatrisches Inventar). Sowie auch CERAD+ siehe Kapitel 8.3. men Angehörige oft erste Veränderungen wahr. Auch hier ist zu beachten, dass Verleugnungs- und Verdrängungs- mechanismen der Angehörigen die tatsächliche Wahrnehmung Tabelle 2 derartiger Symptome über lange Zeit verhindern. Welche kognitiven Screeningtests werden weltweit verwendet? Dazu gehören kognitive Beeinträchtigungen (Störung des Kurzzeit- gedächtnisses) ebenso wie Wesens- und Verhaltensänderungen, Testverfahren Verwendung z.B. sozialer Rückzug (vor allem von anspruchsvolleren, komplexe- (in Prozent) ren sozialen Tätigkeiten), Antriebsschwäche, Desinteresse und Mini-Mental-State-Examination (MMSE) 100% Angst. Diese Symptome nehmen mit zunehmendem Schweregrad Uhrentest 72% der Demenzerkrankung zu. Delayed Recall 56% (verzögerter Worterinnerungstest) Eine beginnende Alzheimer-Demenz könnte man an folgenden Wortflüssigkeit 39% Symptomen erkennen, diese Veränderungen zeigten sich bei Pati- enten, die später eine DAT entwickelten. Gleichheiten erkennen 27% Trail Making Test 25% Verhalten (NPI) Quelle: Shulman K et al., 2006 1. Reizbarkeit, Depressionen, Veränderungen des Verhaltens wäh- rend der Nacht Neue DSM-5-Kriterien bezüglich Neurocognitive Disorder (NCD) 2. Angst, Veränderung des Appetits, Unruhe und Apathie „Schwere NCD“ entspricht der im DSM-5 als Demenz bezeichne- 3. Euphorie, motorische Unruhe, Halluzinationen, Wahn, Enthem- ten Erkrankung mung Diagnostische Kriterien A Nachweis einer erheblichen Abnahme kognitiver Leistung, relativ Depression (GDS, Geriatrische Depressionsskala) zum vorherigen Leistungsniveau in einem oder mehreren kogniti- In der GDS nur geringe Unterschiede: Verlust der Energie, Einstellen ven Bereichen (komplexe Aufmerksamkeit, exekutive Funktionen, der Aktivitäten, Verlust an Interesse, lieber zu Hause bleiben. Lernvermögen und Gedächtnis, Sprache, perzeptiv-motorische Der GDS wird auch als Depressionstest nach Yesavage bezeichnet Kognition oder soziale Kognition auf Basis von: und ist ein aus 15 Fragen bestehender Fragebogen. Mithilfe dessen Besorgtheit des Patienten oder eines sachkundigen Informanten eine eventuelle vorhandene Altersdepression oder depressive Stim- oder des Klinikers, dass eine erhebliche Abnahme der kognitiven mungslage im Rahmen des geriatrischen Assessments festgestellt Leistungsfähigkeit stattgefunden hat). werden kann (Yesavage J.A. et al., 1986). Vorsitz Editorial Board O.Univ.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Prim. Dr. Antonia Croy Prim. Univ.-Prof. Dr. Prim. Dr. Dr.h.c.mult. Dr.med. Michael Rainer Reinhard Bacher Mindmatters Peter Fasching Gerhard Fruhwürth Siegfried Kasper SMZ Ost Donauspital, Landeskrankenhaus Wilhelminenspital, Wien Krankenhaus der Universitätsklinik für Karl-Landsteiner-Institut Rankweil Barmherzigen Brüder, Psychiatrie und Psycho- für Gedächtnisvor- Eisenstadt therapie, Wien schung, Wien 4 cli n i c u m n e u ro p s y s o n d e ra u s g a b e
Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL – Activities of Daily Living) Deutliche Unterschiede bei beginnender Demenz, z.B. ein Spiel Tabelle 3 spielen, Rechnungen bezahlen, einkaufen, reisen. Apparative Zusatzuntersuchungen Der ADL-Score misst die Alltagskompetenz von Patienten, die an bei Demenzabklärung degenerativen Erkrankungen leiden (z.B. DAT, Parkinson oder Mul- Obligatorisch Fakultativ tiple Sklerose). Das Verfahren nach Barthel umfasst zehn unter- Labor Labor schiedliche Tätigkeitsbereiche, die vom Arzt oder Pflegepersonal – Blutbild, Diff. – Harnsäure, Lipide mit Punkten bewertet werden (Barthel D.W. et al., 1965). – Natrium, Kalium, Calcium – Phosphor, Magnesium – Nüchternglukose –B lei, Quecksilber, Benzol, Bei weiter bestehenden Zweifeln, aber auch im Falle einer eindeuti- – L eber- und Nieren Kupfer gen Symptomatik sollte eine Überweisung zum Facharzt erfolgen. parameter – HbA1C – CRP – Homocystein, Thiamin Die Aufgabe des Facharztes für Psychiatrie/Neurologie umfasst die – TSH, T3, T4 – HIV nochmalige Anamneseerhebung unter Einbeziehung der Angehöri- – Vit. B12, Folsäure – Serologie Lues, Borrelien gen, die organneurologische Untersuchung, das Erstellen des psy- Neuroimaging – Parathormon, Cortisol chopathologische Status sowie eine Untermauerung der Ergebnisse –M RT (CCT) für die – Coreuloplasmin durch entsprechende testpsychologische Untersuchungen. Hierfür Differenzialdiagnose uner- Liquor sind das Screening beispielsweise die Mini-Mental-State-Examinati- lässlich – E ntzündliche ZNS- on (MMSE), das Montreal Cognitive Assessment (MOCA), der Uh- Erkrankungen rentest, der „Intracategorical Delayed Selective Reminding“-(IDSR)- – T au-Protein, Aβ42, Gedächtnistest sowie der DemTect als brauchbare Instrumente her- Phospho-Tau vorzuheben. Neuroimaging Über obligatorische und fakultative Zusatzuntersuchungen gibt Ta- –H MPAO-SPECT, FDG-PET, belle 3 Aufschluss. Amyloid-PET Apparativ, weitere Wesentlich ist auch die Differenzialdiagnostik. Zunächst geht es ei- – Sonographie Halsgefäße nerseits um die Abgrenzung zwischen Demenz und Depression – EKG (siehe Tabelle 4) sowie andererseits zwischen Demenz und Delir. – EEG Bei der Differenzialdiagnose zwischen Demenz und Delir ist zu be- – Polysomnographie Tabelle 4 denken, dass das Risiko, ein Delir zu entwickeln, mit steigendem Abgrenzung der depressiven Pseudodemenz von seniler Demenz Alter ansteigt. Eine vorbestehende Demenz erhöht dieses Risiko. Delirante Zustände werden bei älteren Patienten häufig übersehen, Depression Demenz da die imponierende Verwirrtheit als Dauerzustand angenommen – S chneller, erkennbarer – S chleichender, unklarer wird. Somit ist neben der Differenzialdiagnose das Erkennen einer Beginn Beginn Komorbidität von Demenz und Delir von klinischer Bedeutung. – Symptome oft von kurzer – Symptome dauern schon Im Liquor können bestimmte Proteinkonstellationen nachgewiesen Dauer lange werden (Aß-Amyloid-Peptid1-42 und phosphorylisiertes Tau-Prote- – Stimmung ist beständig – Stimmung und Verhalten in), die mit über 90%iger Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen ei- depressiv fluktuieren ner Demenz vom Alzheimer-Typ sprechen. Daher kann diese Unter- – Ich-weiß-nicht-Antworten – Angenähert richtige Ant- suchung bei Betroffenen, die ein für eine DAT nicht typisches oder sind typisch worten überwiegen unklares Beschwerdebild zeigen, zu einer genaueren Klärung der – Patient stellt Defizite – Patient sucht Defizite zu besonders heraus verbergen Ursache beitragen, z.B. in der Abgrenzung der DAT zur depressiven – Große Schwankungen – Kognitive Leistungsschwä- Pseudodemenz. Es ist zu berücksichtigen, dass gerade am Beginn der kognitiven Leistungs- che relativ konstant einer demenziellen Erkrankung Symptome einer depressiven Stö- schwäche rung häufig sind, womit die Differenzialdiagnose Demenz/Depressi- on oft schwierig ist. Prim. Univ.-Prof. Dr. Prim. Dr. Prim. Dr. O.Univ.-Prof. DDr. Prim. Univ.-Prof. Dr. Prim. Univ.-Prof. DDr. Heinz Grunze Christian Jagsch Helmut Jelem, MSc Hans-Peter Marcus Köller Michael Lehofer Universitätsklinik LKH Graz Süd-West, LKH Thermenregion, Kapfhammer SMZ Sophienspital, LKH Graz Süd-West, für Psychiatrie und Standort Süd, Graz Neunkirchen Universitätsklinik Wien Standort Süd, Graz Psychotherapie, für Psychiatrie, Graz Salzburg c linic um neurop s y s ond erausgabe 5
Vor allem zur Differenzierung depressiver Störungen ist die CERAD tiver Ätiologie, wobei wiederum mehr als die Hälfte dem Alzhei- (Consortium to Establish a Registry for Alzheimer's Disease) als mer-Typ zuzuordnen ist. Der Rest verteilt sich auf vaskuläre, ge- testpsychologisches Instrument hervorzuheben. Hier sollten soge- mischte und sekundäre Demenzformen. nannte „Late-onset-Depressionen“ eine besondere Berücksichti- Aufgrund der in der Zwischenzeit vorliegenden neuropathologi- gung finden. Hierbei handelt es sich um erstmalige depressive Stö- schen Befunde muss davon ausgegangen werden, dass regelhaft rungen im höheren und hohen Lebensalter, welche in der Literatur eine Vielzahl verschiedenster neuropathologischer Veränderungen als Risikofaktor in der Entstehung demenzieller Erkrankung hervor- in der „gemeinsamen Endstrecke“ Demenz münden. gehoben werden. Der in beiden Fällen gerechtfertigte Einsatz eines Antidepressivums 3. Epidemiologie und Verlauf kann unter Umständen bei diagnostischen Unklarheiten hilfreich Die Prävalenz der Demenzerkrankungen steigt mit zunehmendem sein, da im Falle einer Depression mit dem Abklingen der affektiven Alter massiv an (siehe Abbildung 2 auf der nächsten Seite). Störung eine deutliche Verbesserung der kognitiven Leistungen einhergeht. Beweisend ist dies jedoch nicht, da umgekehrt auch Nach einer Metaanalyse von neun Studien mit definierten Diagno- depressive Symptome bei Vorliegen einer DAT auf Antidepressiva- sekriterien beträgt die Prävalenz in der Altersgruppe zwischen 45 Therapie ansprechen. und 64 Jahren 0,1%, zwischen 65 und 69 Jahren 1,53% und er- reicht bei den 95- bis 99-Jährigen bereits 44,48%. Zunehmendes Zu den neuen diagnostische Möglichkeiten zählen Amyloid-PET Alter ist eindeutig der wichtigste Risikofaktor für das Auftreten ei- und FP-CIT-SPECT. ner demenziellen Erkrankung. 18 Ein Amyloid-PET, das mi F -Tracern durchgeführt wird, ermöglicht Nach Geschlechtern aufgeschlüsselt liegt die Prävalenz in allen Al- es, eine prodromale Alzheimer-Demenz, atypische Alzheimer-De- tersgruppen bei Frauen höher als bei Männern. Die Epidemiologie menz und unklare leichte kognitive Beeinträchtigungen zu verifizie- der Demenz in Österreich wird in Tabelle 5 auf Seite 7 dargestellt. ren und dient auch zur Verlaufsdokumentation. Ein FP-CIT-SPECT Die Pflegeaufwendungen pro Patient steigen mit zunehmendem kann eine Lewy-Body-Demenz (LBD) sehr elegant von einer Alzhei- Schweregrad und Notwendigkeit der stationären Pflege deutlich an. mer-Demenz unterscheiden, da die Dopamintransporter bei LBD re- Die Stadien und der Verlauf der Alzheimer-Demenz (DAT) illustriert duziert sind und szintigraphisch erfasst werden können. Abbildung 3 auf der nächsten Seite. Ein zweiter Schritt in der Differenzialdiagnostik ist die ätiologische Grundsätzlich sind hinsichtlich des Verlaufs der DAT ein präsympto- Zuordnung der Demenz (siehe Abbildung 1). Bis zu 70% aller De- matisches und ein Frühstadium, weiters eine leichte bis mittlere menzerkrankungen sind nach derzeitigem Wissensstand degenera- und schließlich eine schwere Demenz zu unterscheiden. Im prä- Abbildung 1 Häufigkeitsverteilung der Demenzformen DIFFERENZIALDIAGNOSTIK
symptomatischen Stadium lassen sich lediglich Risikofaktoren (etwa nem MMSE von 19 bis 11. Ab einem MMSE von ≤10 spricht man bestimmte Genmutationen) definieren. von einer schweren Demenz. Darauf kann das Stadium des Mild Cognitive Impairment (MCI) fol- Während die DAT einen schleichenden Beginn und eine allmähliche gen. Patienten mit diagnostiziertem MCI haben ein deutlich erhöh- Verschlechterung zeigt, sieht man bei vaskulären Demenzen, die ei- tes Risiko, später eine Demenz zu entwickeln (in der Literatur fin- ne pathogenetisch sehr heterogene Gruppe darstellen, häufig ei- den sich Werte zwischen vier und 25%). Eine leichte Demenz ent- nen zeitlichen Zusammenhang zwischen ischämischem Ereignis spricht etwa einem MMSE von 26 bis 20, eine mittlere Demenz ei- und Verschlechterung. Abbildung 2 Tabelle 5 Altersabhängige Prävalenzsteigerung von Demenz Epidemiologie der Demenz 50 in Österreich n Jorm et al. 1987 90.500 45 n Ritchie & Kildea 1995 Im Jahr 2000 Demenzpatienten n Hofman et al. 1991 40 n Lobo 2000 (female) 262.300 Im Jahr 2050 Prävalenzrate (in Prozent) 35 n Lobo 2000 (male) Demenzpatienten 30 Neuerkrankungen 2000 23.600 25 Neuerkrankungen 2050 65.500 20 Anteil Alzheimer-Demenz 60–80% 15 Anteil Vaskuläre Demenz 10–25% 10 Anteil Lewy-Body-Demenz 7–25% 5 Anteil andere
Weiterführende Informationen zu Agitation bei De- Abbildung 4 menz sind im Konsensus-Statement-2013 „Die Be- Symptome der Alzheimer-Demenz im Zeitverlauf handlung der Agitation beim Psychiatrischen Notfall“ Zeit nachzulesen. Während bei frontotemporalen Demenzen Affektver- änderungen, Verflachung, Depression, aggressive Verschlechterung Stimmung Verhalten Durchbrüche und Verfall des Sozialverhaltens im Vor- dergrund stehen, kommt es bei der Lewy-Body-De- menz (LBD) zu rezidivierenden szenischen Halluzinatio- nen, Halluzinationen in diversen Modalitäten und sys tematisiertem Wahn. Häufig tritt schon zu Beginn oder Kognitive Funktionelle Motorische in einem frühen Stadium der LBD-Erkrankung ein Par- Funktion Autonomie Funktion kinson-Syndrom auf. Anzumerken ist die bei LBD be- stehende Hypersensitivität auf Antipsychotika mit einer Quellen: Gauthier et al. (1996); Kertesz & Mohs (1996) stark Dopamin-blockierenden Wirkung. Gélinas & Auer (1996); Eastwood & Reisberg (1996) Die Retrogenese-Theorie, die Reisberg aufstellte, illus triert sehr anschaulich, dass die Entwicklung einer DAT tome und Verhaltensstörungen bei Demenzpatienten, unabhän- tatsächlich einer retrograden kindlichen Entwicklung entspricht so- gig von der zugrunde liegenden Ätiologie. Dazu gehören Verhal- wie dass nach und nach Fähigkeiten verloren gehen, die Kinder tensstörungen wie Agitation, Aggression oder Schlafstörungen, und Jugendliche im Laufe ihres Heranwachsens erwerben (siehe Ta- ebenso psychische Symptome wie etwa Halluzinationen, Depressi- belle 7 auf der nächsten Seite). Dies geht bis hin zur Kontinenz und on oder Angst. Die Prävalenz von BPSD wird mit 60–90% ange- zum Spracherwerb. Vielleicht ist dieser Gedanke hilfreich dabei, das geben. Tabelle 6 zeigt Störungen von Kognition, Funktion und Verständnis für Demenzkranke auch in der Öffentlichkeit und bei Verhalten, die mit einer leichten, mittelschweren und schweren Angehörigen zu fördern. Demenz einhergehen. 5. Ätiologie Tabelle 6 Pathophysiologie Störungen von Kognition, Funktion und Verhalten nach Demenzschweregrad Die mit Abstand häufigste Demenzform bei Patienten über dem 65. Lebensjahr stellt die DAT dar. Laut WHO Kognition Funktion Verhalten ist die DAT als „eine primär degenerative Krankheit des Leichte Demenz (MMSE 26–20) zentralen Nervensystems mit unbekannter Ätiologie – L ernfähigkeit und – Arbeiten – Apathie und charakteristischen neuropathologischen und neu- Gedächtnis – Umgang mit Geld – S ozialer Rückzug rochemischen Merkmalen“ definiert. Typisch für diese – Wortfindungs- – Einkaufen – Depression Erkrankung ist die pathologische zerebrale Proteinakku- störungen – Kochen – Reizbarkeit mulation. Diese betrifft sowohl den intra- wie auch ex- – Problemlösung – Haushalt trazellulären Bereich. Extrazellulär kommt es hauptsäch- – Urteilsvermögen – Lesen – Rechnen – Schreiben lich zu einer Ablagerung von Beta-Amyloid. Intrazellulär – Hobbys dominiert die Einlagerung von Neurofibrillen. Diese bil- den sich aus hyperphosphoriliertem Tau-Protein. Diese Mittelschwere Demenz (MMSE 19–11) Kombination führt schließlich zum Verlust der Funktio- – Kurzzeitgedächtnis – Verlust der – Depression nalität der Synapsen und in weiterer Folge zum Zellun- (Langzeitgedächtnis Alltagskompetenz – Herumlaufen tergang. Wenn es im Rahmen dieses neurodegenerati- nicht beeinträchtigt) – Verlegen von – Schlaflosigkeit ven Prozesses zur Freisetzung initial intrazellulärer Tau- – Sprache Gegenständen – Agitiertheit – Auffassung – Verirren – Wahn verbindungen in den Extrazellulärraum kommt, führt – Orientierung (zuerst – Schwierigkeiten beim dies zu einer Beschleunigung des Zelluntergangs. Als zeitliche, dann örtliche Anziehen wahrscheinliche Ursache für diesen Prozess wird in ak- Orientierungs- tuellen Untersuchungen die Neurotoxizität des Tau-Pro- störungen) teins angenommen. Die Wirkung dürfte über die Ver- – Räumliches Vor änderung der Zellmorphologie sowie das herabgesetzte stellungsvermögen Zellwachstum vermittelt sein. Diese Prozesse münden Schwere Demenz (MMSE ≤10) schließlich in der charakteristischen Atrophie der grau- – Aufmerksamkeit – Einfachste Alltags – Aggressivität en Substanz. – Apraxie fähigkeiten wie ·Verbal (schreien) – Sprache (Sätze, Mutis- ·Anziehen ·Körperlich In aktuellen Forschungsarbeiten zu Demenzerkrankun- mus) ·Körperpflege – Schlaflosigkeit gen konnten Risikofaktoren im Zusammenhang mit ei- – Agnosie (Objektagno- ·Hygiene ner DAT identifiziert werden. Präventionsempfehlungen sie, Prosopagnosie) ·Essen befassen sich mit den beeinflussbaren Risikofaktoren. ·Laufen Hierzu zählen vor allem Änderungen des Lebensstils. So – Kontinenz wurde das Rauchen als unabhängiger Risikofaktor iden- Quelle: modifiziert nach Galasko D et al., 1997 tifiziert. Ebenso ist von einer Relevanz von kardiovasku- 8 cli n i c u m n e u ro p s y s o n d e ra u s g a b e
Tabelle 7 Retrogenese -Theorie Beschreibung Entwicklungs- GDS Dauer des Erworbene Entwicklungs- verlorene alter Stadium Stadiums Fähigkeit alter Fähigkeiten des Patienten 3 Beruf lernen, aus- Beruf ausüben 19–12 Jahre 7 Jahre 13–19 Jahre Erwachsener (MCI) üben 4 Einfache Finanz- Mit Geld 12–8 Jahre 2 Jahre 8–12 Jahre Späte Kindheit (leichte) geschäfte umgehen 5 Kleidung Kleidung Mittlere 7–5 Jahre 1,5 Jahre 5–7 Jahre (mäßige auswählen auswählen Kindheit 6 (mittelschwer) a Anziehen Anziehen b Waschen 5–2 Jahre 2,5 Jahre Waschen 2–5 Jahre Frühe Kindheit c Toilette Toilette d Urinkontrolle Urinkontrolle e Darmkontrolle Darmkontrolle 7 (schwer) a 5–6 Worte sprechen 5–6 Worte sprechen 15 Monate b 1 Wort sprechen 15 Monate bis 1 Wort sprechen 12 Monate Säuglings 7 Jahre c Gehen Geburt Gehen 12 Monate alter d Sitzen Sitzen 6–10 Monate e Lächeln Lächeln 2–4 Monate f Kopf halten Kopf halten 1–3 Monate GDS=Globale-Deterioration-Skala; MCI=Mild Cognitive Impairment Quelle: Reisberg B et al., 1999 lären Risikofaktoren im mittleren Lebensalter auszugehen: Eine genetische Risikofaktor für die sporadische DAT ist eine Variante frühzeitige Behandlung von z.B. arterieller Hypertonie, Adipositas des Apolipoproteins E (ApoE) auf Chromosom 19: Apoε4. oder Diabetes mellitus ist daher anzustreben (siehe Tabelle 8). Die Ätiologie der DAT ist nach wie vor unbekannt. Genetische Fak- toren spielen sicherlich eine Rolle (Konkordanzrate bei homozygo- ten Zwillingen 40%), wobei jedoch familiär gehäufte Formen sehr Tabelle 8 selten sind und meistens vor dem 50. Lebensjahr auftreten. Ursäch- Risiko- () und protektive () Faktoren der DAT lich wurden Veränderungen auf den Chromosomen 1, 14, 19 und Faktor Risiko 21 nachgewiesen sowie auch entzündliche Vorgänge im Gehirn als Kardiovaskuläre Erkrankungen ursächlich diskutiert. Ein höheres Lebensalter, geringere Schulbil- Rauchen dung, frühere Schädel-Hirn-Verletzungen und vorausgegangene depressive Episoden, insbesondere im Alter, stellen zumindest Vul- Arterielle Hypertonie nerabilitätsfaktoren dar, während eine hohe Schulbildung und ein Diabetes Typ II geistig aktives Leben protektive Faktoren sein können. Ob auch Übergewicht schwerwiegende Lebensereignisse einen präzipitierenden Faktor Schädeltraumata darstellen, wird unterschiedlich bewertet. Bildung Pathogenetisch könnten Reduktionen im zerebralen Blutfluss sowie der Glukose- und Sauerstoffutilisation eine Rolle spielen. Letztlich Mediterrane Ernährung kommt es auf dem Weg über die Bildung von extrazellulären Körperliche Aktivität Plaques (Beta-Amyloid) und intrazellulären Neurofibrillen (Tau-Pro- Quelle: Mayeux et al., 2012 tein) zum Absterben von Neuronen und zum Synapsenverlust mit seinen klinischen Folgen. Risikofaktoren für eine DAT sind weiterhin Ein wesentlicher nicht beeinflussbarer Risikofaktor für die Entwick- Alter, genetische Faktoren, Atherosklerose, Hypercholesterinämie, lung der DAT ist der genetische Hintergrund. Nur bei einem sehr Diabetes, Hypertonie und Übergewicht. geringen Anteil der Betroffenen besteht eine hereditäre Erkrankung Die Ätiologie der vaskulären Demenz (VAD) ist heterogen. Häufig mit autosomal-dominantem Vererbungsmuster (etwa unter einem finden sich Durchblutungsstörungen durch atherosklerotische Ver- Prozent), wo es zu einer Mutation im Amyloid-Precursor-Protein- änderungen kleiner und mittlerer zerebraler Arterien, die zu kleinen (APP)-Gen oder dem Präsenilin-1- oder -2-(PSEN1, PSEN2)-Gen multiplen lakunären Infarkten (
Überlappungsbereich zwischen VAD und DAT wesentlich größer ist Mittels EEG-Mapping der Delta/Theta-Power ist eine Differenzie- als bisher angenommen. Eine VAD völlig ohne AD-Pathologie tritt rung zwischen normalem und pathologischem Altern in einem ho- relativ selten auf. Besteht eine DAT mit gleichzeitiger zerebrovasku- hen Prozentsatz möglich. Hemisphärische Asymmetrien können bei lärer Erkrankung (CVD), so spricht man heute von „DAT w/CVD“ der Differenzierung unterschiedlicher Demenz-Ätiologien hilfreich (Alzheimer-Demenz mit zerebrovaskulärer Erkrankung). sein (vaskuläre Demenz: hoher Asymmetrie-Index, degenerative De- Risikofaktoren für VAD sind zu einem Großteil die gleichen wie für menz: niedriger Asymmetrie-Index). Es existieren signifikante Korre- DAT: Alter, genetische Faktoren, Atherosklerose, Diabetes, Rau- lationen zwischen EEG-Variablen (Delta/Theta-Power) einerseits chen, Vorhofflimmern und Übergewicht. Zu betonen ist jedoch, und morphologischen (CT) sowie klinischen und psychometrischen dass das Vorhandensein von allen vaskulären Risikofaktoren für die Variablen andererseits. Diagnose VAD nicht ausreicht. Die Rationale für eine antidementive Ereigniskorrelierte Potenziale („event-related potentials“ – ERP), zei- Therapie nicht nur bei DAT, sondern auch bei VAD und DAT w/CVD gen, dass im Vergleich zum normalen Altern bei kognitiv gestörten besteht darin, dass beide Erkrankungen gemeinsame Risikofakto- Patienten die sogenannte P300-Latenz (ein Maß für die Geschwin- ren und pathologische Merkmale haben. Bei beiden Erkrankungen digkeit der Informationsverarbeitung) verlängert ist, was quasi einem besteht eine cholinerge Dysfunktion und Excitotoxizität aufgrund vorzeitigen Alterungsprozess entspricht. Gleiches gilt für die Abnah- einer exzessiven Glutamatfreisetzung mit Überstimulation des me der P300-Amplitude, die eine Abnahme der für Problemlösungen NMDA-Rezeptors und nachfolgendem neurotoxischem Kalziumio- herangezogenen kognitiven Ressourcen widerspiegelt. neneinstrom. Im Falle der DAT sowie der Parkinson-Demenz und Mittels niedrig auflösender elektromagnetischer Hirntomographie insbesondere der Lewy-Body-Demenz existiert ein cholinerges Neu- („low resolution brain electromagnetic tomography“ – LORETA) rotransmitter-Defizit. Aber auch bei VAD sind die Marker für die lassen sich diese Veränderungen bestimmten Arealen zuordnen, cholinerge Funktion vermindert. In VAD-Tiermodellen existieren wobei vor allem der ventro- und dorsolaterale präfrontale Kortex auch kontroversielle Hinweise auf einen Verlust des Nikotinrezep- betroffen ist. Bei Demenzpatienten sind die ERP-Latenzen signifi- tors. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass vaskuläre Läsionen kant verlängert. Der demente Patient benützt mehr Hirnareale zur cholinerge Signalwege beeinträchtigen. Problemlösung als der Gesunde (strukturelle Differenz) und benö- tigt auch mehr Energieressourcen für perzeptive und kognitive Pro- zesse (energetische Differenz). Allerdings gehen mit dem Fort- 6. Neurophysiologie und Schlaf schreiten der kognitiven Einschränkung auch diese Kompensations- Im Wach-EEG findet sich bei Demenzpatienten mittels visueller, vor möglichkeiten mehr und mehr verloren. allem aber mittels quantitativer EEG-Analyse eine Zunahme der Der Schlaf ist bei verschiedenen demenziellen Prozessen gestört Delta- und Theta- sowie eine Abnahme der Alpha- und Beta-Aktivi- (Alzheimer-Krankheit, frontotemporale Demenz, Lewy-Body-De- tät. Im Gegensatz dazu zeigt sich bei normalem Altern eine Abnah- menz, Chorea Huntington, vaskuläre Demenz, Creutzfeldt-Jakob- me der Delta-, Theta- und Alpha-Aktivität sowie eine Zunahme der Krankheit). Üblicherweise zeigen sich Fragmentierungen, eine er- Beta- Aktivität. Die Abnahme der dominanten Alpha-Frequenz ist höhte Anzahl von Aufwachepisoden und auch ein längeres Ver bei normalem Altern weniger stark ausgeprägt als bei demenziellen weilen in Wachzuständen. Tiefschlafstadien und REM-Stadien Prozessen. (Rapid Eye Movement) sind reduziert, Schlafstadium S1 vermehrt. Tabelle 9 Therapie einer Demenz: Substanz, Dosen, Metabolismus und Darreichungsformen derzeit zugelassener Antidementiva Acetylcholinesterasehemmer NMDA-Antagonist Ginkgo biloba Donepezil Rivastigmin Galantamin Memantin EGb 761 Oral Transdermal Multivalenter Radikalfänger, Selektiver Hemmung von Reversibler AChE-I, Nonkompetitiver Pseudoirreversibler selektiver Amyloid-beta- Wirkungsprinzip selektiver Modulator an NMDA-Rezeptor- AChE-I und BuChE-I Protein, AChE-I nikotinischen Antagonismus Steigerung der ACh-Rezeptoren Cholin-Auf nahme Einnahme 1x tgl. 2x tgl. 1x tgl. 1x od. 2x tgl. 1x tgl. 1x od. 3x tgl. Startdosis 5mg/Tag 3mg/Tag 4,6mg/Tag 8mg/Tag 5mg/Tag 240mg/Tag Titrationsintervall min. 4 Wochen 4 Wochen Min. 4 Wochen Min. 4 Wochen 1 Woche ——— Erhaltungsdosis 5–10mg/Tag 6–12mg/Tag 9,5–13,3mg/Tag 16–24mg/Tag 20mg/Tag 240mg/Tag CYP2D6, CYP2D6, Kein hepatischer CYP2C9*, Metabolismus Kein hepatischer Metabolismus CYP3A4 CYP3A4 Metabolismus CYP3A4* Halbwertszeit ca. 70 h 1,5 h 3,4 h 5–7 h 60–80 h 3–11 h Darreichungs Filmtablette, Hartkapsel, Transdermales Retardkapsel, Filmtablette, Filmtablette, formen Schmelztablette Lösung Pflaster Lösung Lösung Tropfen *Erst eine Überdosierung von Ginkgo-biloba-Präparaten führt zu einer leichten CYP2C9-Induktion sowie zu einer schwachen CYP3A4-Inhibition. AChE-I=Acetylcholinesterase-Inhibitor; BuChE-I=Butyrylcholinesterase-Inhibitor; Ach=Acetylcholin; NMDA=N-Methyl-D-Aspartat (Glutamatrezeptor) 10 cli n i c u m n e u ro p s y s o n d e ra u s g a b e
Hinsichtlich der Mikrostruktur des Schlafes sind Schlafspindeln, einen zusätzlichen Therapieeffekt bringen kann, und andererseits K-Komplexe und rasche Augenbewegungen weniger gut ausge- könnte die Hemmung der zentralen BuChE in späteren Demenzsta- prägt und auch seltener. Periodische Beinbewegungen und schlaf- dien von Vorteil sein. bezogene Atmungsstörungen sind vermehrt. Bei der DAT finden Da diese Hypothese allerdings bei klinischen Studien bislang nicht sich typischerweise Schlaf-Wach-Rhythmus-Störungen im Sinne des bestätigt werden konnte, liegt die größte Bedeutung für die Thera- Sun-Downings (wenn die Sonne untergeht, stehen die Patienten pie der DAT wahrscheinlich lediglich in der Hemmung der AChE. auf, sind agitiert und wandern ausgeprägt). Zusätzlich zur Hemmung der AChE und BuChE kommt es unter Ga- lantamin zu einer allosterischen Wirkung auf die Nikotinrezeptoren. Die Hemmung der Cholinesterase führt zu einem erhöhten Ach- 7. Therapie und Substanzklassen Spiegel. Gastrointestinale Nebenwirkungen werden am seltensten Generell lässt sich sagen, dass nur ausreichende Dosierungen von bei Donepezil und am häufigsten bei Rivastigmin (in oraler Form) in Antidementiva auch zur vollen Wirksamkeit führen. Die wichtigsten der Titrationsphase beobachtet. In der Erhaltungsphase ist die gas registrierten Antidementiva zeigt Tabelle 9 (auf der vorhergehenden trointestinale Nebenwirkungsrate von Donepezil und Rivastigmin Seite), und der Zulassungsstatus wird in Abbildung 5 dargestellt. durchaus vergleichbar. Aus diesem Grund sollte die Einnahme von Rivastigmin morgens und abends zum Essen erfolgen. Verabreichung von Rivastigmin durch Hautpflaster kann Abbildung 5 die Nebenwirkungen reduzieren und gewährt ein Therapie der Alzheimer-Demenz Zulassungsstatus nach Konsensus-Statement der gleichmäßiges Wirkprofil. Auf die Verträglichkeit des Österreichischen Alzheimer Gesellschaft 2010 Pflasters ist zu achten. Die Applikation sollte durch Be- treuungspersonen erfolgen können. MMSE 26* MMSE 20 MMSE 10 MMSE 0 Mittlerweile liegen für alle AChE-Hemmer Daten aus Langzeitstudien (vier bis fünf Jahre) vor. Die Daten wei- Leichte AD Mittelschwere AD Schwere AD sen darauf hin, dass es in der Langzeittherapie mit AChE-Hemmer nach einer anfänglichen Stabilisie- Cholinesterasehemmer: Donepezil** rungsphase zwar zu einer Verschlechterung kognitiver Donepezil, Rivastigmin, Galantamin Memantin sowie anderer Funktionen kommt; diese beginnt je- NMDA-Rezeptor-Antagonist: doch bei behandelten Patienten später und erfolgt Memantin (MMSE 19-3) langsamer als bei unbehandelten. Etwa 50 % der Patienten sprechen auf eine Therapie Alternativen bei Nichtwirksamkeit oder in Kombination: Ginkgo Biloba, Cerebrolysin-Infusionen *MMSE=Mini Mental State Examination (Mini Mental Status Test) mit Antidementiva an. Die meisten Therapieabbrüche **keine Krankenkassenübernahme unter MMSE 10 erfolgen wegen der Nebenwirkungen (siehe Tabelle 11 Quelle: Schmidt R et al., 2010 auf Seite 14) oder wegen des fehlenden Ansprechens. Entwickelt ein Patient auf eine bestimmte Substanz 7.1 Cholinesterasehemmer Nebenwirkungen, sollte eine andere Substanz verwendet werden, Die drei auf dem Markt befindlichen Inhibitoren der Acetylcholin die dann häufig gut vertragen wird. Bei einer solchen Umstellung esterase (AChE) unterscheiden sich u.a. durch die Art ihrer Hemm- ist wahrscheinlich keine Auswaschphase notwendig. Die höchst- wirkung auf die AChE, weiterhin durch den Grad der Hemmung mögliche Dosierung ist anzustreben. der Butyrylcholinesterase (BuChE); diese wird von Donepezil kaum, Der Einsatz von AChE-Hemmern ist bei einer bekannten Überemp- von Galantamin gering und von Rivastigmin stärker gehemmt, was findlichkeit gegen das jeweilige Präparat sowie bei Schwanger- einerseits zu gastrointestinalen Nebenwirkungen führt, jedoch auch schaft kontraindiziert. Tabelle 10 Medikamentenwahl bei verschiedenen Demenzformen Vaskuläre Demenz Lewy-Body-Demenz (LBD) Parkinson-Demenz (PDD) Frontotemporale Demenz Sekundärprävention von Rivastigmin (1b, A): Rivastigmin (1b, A): SSRI (3, B): für affektive Schlaganfällen (1a, A) Mittel erster Wahl Mittel erster Wahl Symptome günstig Donepezil und Memantin (1b, B): Memantin (3, C): Donepezil oder Memantin (1a, B) Donepezil (2b, C) Mittel erster Wahl Mittel zweiter Wahl Galantamin: Cholinesterase-Hemmer: bei Mischformen bes. effektiv nicht zu empfehlen (2a, D) (1b, B) Rivastigmin: bei Mischformen bes. effektiv (2b, C) Ginkgo biloba: bei Mischformen bes. effektiv (2b, C) Cerebrolysin (1b, C) Legende siehe Anhang Quelle: Rainer M., 2015; nach den S3-Leitlinien Demenz c linic um neurop s y s ond erausgabe 11
Antidementiva (Auswahl) Substanzgruppen Donepezil Galantamin Pharmakodynamik Reversibler selektiver Acetylcholinesterasehemmer Selektiver, kompetitiver, reversibler Acetylcholinesterase hemmer. Allosterischer Modulator präsynaptischer Azetylcholinrezep- toren mit Erhöhung der Rezeptoraffinität für Azetylcholin (insbesondere M2- und M4-Rezeptorsubtyp). Pharmakokinetik • Tmax = 3–4 Stunden • Tmax = 4,4 Stunden • T½ = ca. 70 Stunden • T½ = 8–10 Stunden • Bioverfügbarkeit ca. 43% • Bioverfügbarkeit ca. 88% • Plasmaproteinbindung >90% • Plasmaproteinbindung 18% • Steady state nach ca. drei Wochen • Steady state nach zwei bis drei Tagen •M etabolisierung über CYP 450 3A4 und CYP 2D6 • Metabolisierung über CYP 450 3A4 und CYP 2D6 • Wirksamer Metabolit: 6-O-Desmethyldonepezil • 90–97% renale Ausscheidung • Plasmakonzentration: 30–75ng/ml • Plasmakonzentration: 30–100ng/ml Dosierung Anfangsdosis: 5mg 1x tgl. Einmalgabe (abends), Anfangsdosis: 8mg 1x tgl. morgens; Erhaltungsdosis (nach Steigerung auf 10mg (Einmalgabe) nach frühestens vier Wochen) 16mg 1x tgl. morgens (bei Bedarf nach vier einem Monat möglich Wochen Steigerung auf 24mg 1x tgl. morgens) Indikation Leichte bis mittelschwere Alzheimer-Demenz Leichte bis mittelschwere Alzheimer-Demenz MMSE 2: 11–26 MMSE: 11–26 Nebenwirkungen •C holinerge Begleiteffekte: Diarrhoe, Muskel- • Cholinerge Begleiteffekte: Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe, krämpfe, Müdigkeit, Übelkeit, Erbrechen Dyspepsie, Anorexie, Müdigkeit, Tremor • Bradykardie mit Schwindel • Bradykardie Kontraindikationen • Überempfindlichkeit gegenüber Donepezil • Überempfindlichkeit gegenüber Galantamin Warnhinweise •R elativ: Ulzera, vorbestehende Bradykardie, • Schwere Leber- und Niereninsuffizienz Asthma bronchiale • Vorsicht bei kardiovaskulären Erkrankungen, Asthma • Schwere Leberinsuffizienz bronchiale, obstruktiven Atemwegserkrankungen • Obstruktion des Verdauungstraktes oder der ableitenden Harnwege Interaktionen Ketokonazol, Erythromycin, Muskelrelaxantien Ketokonazol, Erythromycin, Muskelrelaxantien vom Succinyl- vom Succinylcholintyp, Cholinomimetika, Anti cholintyp, Cholinomimetika, Anticholinergika, ß-Blocker cholinergika, ß-Blocker 1g leichzeitige Mahlzeit verzögert die Resorption, dadurch Verringerung der Plasmaspitzen (Reduktion der Cmax um 30%, Erhöhung der AUC um 30%) 2 MMSE: Mini-Mental-State-Examination
Rivastigmin Memantin Pseudoirreversibler Hemmer der Acetyl- und Butyrylcholinesterase Spannungsabhängiger, nicht kompetetiver mit hirnregionaler Selektivität (Kortex und Hippocampus) N-Methyl-D-Aspartat-(NMDA-)-Rezeptorantagonist mit schneller Rezeptorkinetik. Memantin blockiert die Wirkung pathologisch erhöhter tonischer Konzentrationen von Glutamat, die zu neuronalen Funktions störungen führen können. • Tmax = 1 Stunde • Tmax = 3–8 Stunden • T½ = 0,6–2 Stunden • T½ = 60–100 Stunden • Bioverfügbarkeit ca. 36% • Bioverfügbarkeit ca. 100% • Wirkdauer im Gehirn ca. 10 Stunden • Plasmaproteinbindung ca. 45% • Plasmaproteinbindung: 40% • Hauptmetabolite ohne NMDA-antagonistische Wirkung • Metabolisierung durch die Azetylcholinesterase. Das Enzym wird carbamyliert und mit einer T½ von mehreren Stunden wieder hydrolysiert, so dass es ohne Neusynthese regeniert („pseudoirreversible“ Hemmung). • 95% renale Ausscheidung binnen 24 Stunden des decarbamy- lierten Metaboliten Oral-Anfangsdosis: 3mg 2x tgl. (morgens und abends zum Essen1), Anfangsdosis: 5mg/d Dosissteigerung in vierwöchigem Abstand auf 6–12mg/tgl. Wöchentliche Steigerung um 5mg Transdermal-Anfangsdosis: 4,6mg 1x tgl., Dosissteigerung in vier- Erhaltungsdosis: 20mg/d wöchigem Abstand auf 9,5–13,3mg/tgl. Leichte bis mittelschwere Alzheimer-Demenz Mittelschwere bis schwere Alzheimer-Demenz Leichte bis mittelschwere Parkinson-Demenz MMSE: ≤10–19 MMSE: 11–26 •C holinerge Begleiteffekte: Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe, • S chwindel, Kopfschmerzen, Verstopfung, Halluzinationen, Schwindel, Müdigkeit, Tremor Verwirrtheit, Müdigkeit, motorische Unruhe • Transdermal: Hautrötung und -jucken • Überempfindlichkeit gegenüber Rivastigmin • Überempfindlichkeit gegenüber Memantin • Schwere Leberinsuffizienz • Krampfanfälle • Relativ: Ulzera, vorbestehende Bradykardie, Asthma bronchiale • Bei Patienten mit mittelschweren Nierenfunktionsstörungen (eGFR • Vorsicht bei Nierenfunktionsstörungen (Clearance von
rer bis schwerer DAT. Vorsicht ist bei Patienten mit Lewy- Tabelle 11 Body-Demenz (DLB) und Demenz bei Parkinson-Syndrom Mögliche Nebenwirkungen von AChE-Hemmern (PDD) geboten, da viele Parkinson-Patienten entweder Organklasse mit L-Dopa und/oder einem Dopaminagonisten behan- Psychopathologie Halluzinationen, Agitation, delt werden und es bei gleichzeitiger Einnahme mit Me- aggressives Verhalten mantin zu einer Wirkungsverstärkung und damit mögli- cherweise zu unerwünschten motorischen Komplikatio- Nervensystem Synkope, Schwindel, Schlaflosigkeit, Krampfanfälle, extrapyramidale nen führen kann. Symptome Für die Kombination von Memantin und Acetylcholineste- Herz–Kreislauf-System Bradykardie, SA Block, atrioventrikulärer Block rasehemmer gibt es mittlerweile eine gute Datenlage, auch bei gemischten DAT-VAD-Formen. Gastrointestinale Störungen Durchfall, Erbrechen, Übelkeit, Einschränkend sei erwähnt, dass für diese Kombinations- abdominelle Störungen therapie zurzeit noch keine Erstattung durch den Haupt- Haut und Unterhautgewebe Hautausschlag, Pruritis, vermehrtes verband der österreichischen Sozialversicherungsträger Schwitzen, Exantheme besteht. Bewegungsapparat Muskelkrämpfe Niere Harninkontinenz 7.3 Ginkgo biloba Allgemeine Störungen Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schmerzen Der Ginkgo-Spezialextrakt EGb 761 wirkt pharmakologisch multifaktoriell: • Radikalfängereigenschaften und PAF-(platelet activating 7.2 Memantin factor)-Antagonismus, Bei Memantin handelt es sich um einen nicht kompetitiven span- • Neuro- und Membranprotektion, Steigerung der Hypoxietole- nungsabhängigen NMDA-(N-Methyl-D-Aspartat)-Rezeptorantago- ranz, Schutz vor Läsion zerebraler Strukturen, Hemmung von nisten, der pathologisch erhöhtes Glutamat vom Rezeptor ver- programmiertem Zelltod (Apoptose), drängt und den exzessiven Kalziumeinstrom verhindert, der für den • Verbesserung von Gedächtnisleistung und Lernvermögen, Nervenzelltod mit verantwortlich ist. Memantin erwies sich in tier- • hämodynamische, vaskuläre und hämorheologische Effekte. experimentellen Studien als neuroprotektiv. Die Tagestherapiedosis • Nach neuesten Untersuchungen reduziert sich der Amyloid-β- liegt in der ersten Woche bei 5mg, ab der zweiten Woche bei Spiegel im Plasma. 10mg, ab der vierten Woche bei 20mg. Es sind zwei Einzeldosen zu • Verbesserung der Motorik (z.B. tardive Dyskinesien). geben, wobei die zweite Dosis nicht nach 14 Uhr genommen wer- den sollte. Ein Wirkungseintritt ist etwa nach vier Wochen zu er- Für Ginkgo biloba liegen kontrollierte, den derzeitigen wissen- warten. Die anzustrebende Tagesdosis für die Dauertherapie liegt schaftlichen Anforderungen standhaltende Studien vor, die Verbes- bei 20mg. Memantin wurde 2002 für mittelschwere bis schwere serungen in Kognition, Alltagskompetenz und neuropsychiatri- Krankheitsstadien (MMSE 19 bis 3) zugelassen. schen Symptomen belegen. Die Tagesdosierung gemäß Fachinfor- mation bei demenziellem Syndrom beträgt 120 bis 240mg Spezial- In Studien mit bis zu einem Jahr Dauer zeigten sich signifikante extrakt EGb 761. Verbesserungen in der Kognition, der Alltagskompetenz, dem kli- Eine überzeugende Wirksamkeit wurde in den letzten zehn Jahren nischen Gesamteindruck (CGI, Clinical Global Impression) und der in drei Studien bei über 1.000 Patienten in einer Dosierung von Pflegebedürftigkeit. In einer Vergleichsstudie von Donepezil plus 240mg pro Tag dokumentiert. Memantin mit Donepezil alleine zeigte sich die Kombination hin- sichtlich Kognition (Severe Impairment Battery = SIB), Funktion Mögliche sehr selten auftretende Nebenwirkungen sind Kopf- (Alzheimer‘s Disease Cooperative Study – Activities of Daily Living schmerzen, Schlafstörungen, Schwindel, Hitzegefühl, Nausea, gas Inventory = ADCS-ADL) und klinischem Gesamteindruck trointestinale Störungen und Blutungsgefahr. Die erhöhte Blutungs- (Clinician’s Interview-Based Impression of Change Plus Caregiver gefahr ist vor allem bei Kombination mit NSAR, Cumarinen, SSRI Input = CIBIC-Plus) signifikant überlegen – in der Kombinations- und SNRI gegeben. gruppe wurde nicht nur eine langsamere Verschlechterung, son- dern sogar eine objektive Verbesserung der Kognition gefunden. 7.4 Nootropika Was Nebenwirkungen betrifft, war durch Memantin/Donepezil bei Als eine erweiterte Bezeichnung für Antidementiva kann der älte- Agitation und Diarrhoe eine Verbesserung gegenüber Donepezil re Begriff Nootropika dienen. Dies sind Medikamente, die bei Stö- alleine festzustellen, während sich der Prozentsatz an Patienten rungen der Noopsyche, also des intellektuell-verstandesmäßigen mit Verwirrtheit durch Memantin/Donepezil vergrößerte. Bereichs des Bewusstseins, therapeutische Effekte zeigen. Durch Verhaltensstörungen und insbesondere Agitation und Aggression die Studienlage und den Erfolg der AChE-Hemmer in den Hinter- sind ein häufiges und belastendes Demenzsymptom. Memantin grund gedrängt, gibt es doch eine Reihe von anderen Substanz- zeigte sowohl in Monotherapie als auch in Kombination signifikan- klassen, die auch eine Vielzahl von Wirkungen aufweisen, jedoch te Vorteile in den Bereichen Agitation/Aggression und illusionäre zum Großteil aufgrund der fehlenden Datenlage keine Zulassung Verkennungen. Weitere Bereiche wie Reizbarkeit und gestörtes Ess erhalten haben und aus historischen Gründen unter dem ange- verhalten wurden ebenfalls signifikant positiv beeinflusst. Darüber nommenen Wirkprinzip hier aufgeführt werden: hinaus entwickelten unter Memantin-Kombinationstherapie weni- • Metabolisch: Mutterkornalkaloide, Nicergolin, Piracetam ger Patienten Verhaltensauffälligkeiten. • Osmotisch: Mannit, Sorbit, Dextran Memantin ist eine geeignete Therapieoption sowohl für kognitive • Ca-Antagonisten: Nimodipin als auch für nicht kognitive Beeinträchtigungen bei mittelschwe- • Cerebrolysin 14 cli n i c u m n e u ro p s y s o n d e ra u s g a b e
In präklinischen Studien konnten für Cerebrolysin – ein biotechno- 7.6 Antipsychotika/Neuroleptika logisch hergestelltes Peptidpräparat (ein Mischpräparat aus gerei- Auch hier ist zwischen älteren (Antipsychotika der ersten Generati- nigten Schweinehirnpeptiden) – folgende Wirkmechanismen dar- on, z.B. Haloperidol) und neueren Substanzen (Antipsychotika der gestellt werden: Neuronale Sprossung und axonale Vernetzung, zweiten Generation) zu unterscheiden. Leitsubstanz der typischen Differenzierung neuronaler Stammzellen, Modulation von Neuro- Neuroleptika ist Haliperidol, dessen Effekt bei Aggression in Meta- transmitterdefiziten, Induktion von neuronalen Reparaturprozes- analysen nachgewiesen ist, welches allerdings im Vergleich zu aty- sen, antiapoptotische Wirkung. In klinischen Studien zeigt Cerebro- pischen Substanzen eine höhere Mortalität aufweist. lysin eine signifikante Verbesserung der kognitiven Leistungen und Bei der Lewy-Body-Demenz (LBD) sollten Antipsychotika der ersten des globalen klinischen Eindrucks. Für die 60ml-Dosis wurde dar- Generation wegen schwerer Nebenwirkungen des extrapyramidal- über hinaus eine signifikante Besserung neuropsychiatrischer Sym- motorischen Systems nicht verwendet werden. Bei LBD wird Quetia- ptome beschrieben. Empfohlen wird eine vierwöchige Anwendung pin empfholen. zwei- bis dreimal pro Jahr. Primäre Zielsymptomatik der Antipsychotika der zweiten Generati- on ist ebenfalls Agitation sowie psychotische Symptome. Sowohl Zusammenfassend ist zu sagen, dass neben der Substitution bzw. Risperidon – das einzige für BPSD registrierte Atypikum – als auch Modulation von Neurotransmittern auch andere Wirkprinzipien be- Aripripazol, Quetiapin und Olanzapin zeigten in Studien gute Wir- legt sind. Der Einsatz dieser Substanzen kann wegen der aus heuti- kung, allerdings bei einer erhöhten Inzidenz zerebrovaskulärer Er- ger Sicht unzureichenden Datenlage nur bei Unwirksamkeit bzw. eignisse im Vergleich zu Plazebo. bei Unverträglichkeit von Cholinesterasehemmern (ChE-Hemmer) Bei Olanzapin ist zu berücksichtigen, dass es zu einem leichten an- und Memantin in Einzelfällen in Erwägung gezogen werden. ticholinergen Effekt kommen kann. 7.5 Antidepressiva Tabelle 12 Die Behandlung von BPSD (Behavioural and Psycho- Pharmakologische Therapien bei BPSD* logical Symptoms of Dementia, Psychische Sympto- me und Verhaltensauffälligkeiten bei Demenz) ist Empfehlungsgrad Evidenzlevel von relevanter Bedeutung. Einerseits weil die Le- Antidementiva 2 A benszeitprävalenz für BPSD bei Demenz knapp Antidepressiva 100% beträgt, also irgendwann fast jeder Patient SSRI 3 B daran leidet. Andererseits auch, weil bestimmte Verhaltensstörungen von der Umwelt oft nicht als Trizyklika 5 D Krankheit, sondern als Feindseligkeit des Betroffe- MAO-Hemmer nicht empfehlenswert E nen ausgelegt werden, was ihm und den Angehöri- Antikonvulsiva gen die ohnehin schon schwierige Lebenssituation weiter erschweren kann. Carbamazepin 3 B Für Citalopram ist eine signifikante Wirksamkeit ge- Valproat nicht empfehlenswert E gen Agitation nachgewiesen worden. Zu Mirtazapin Gabapentin 4 C1 existieren sogar mehrere negative Studien. Ein Lamotrigin 4 C1 Cochrane Review der vorhandenen Evidenz sugge- riert eine geringe Wirksamkeit konventioneller Anti- Antipsychotika depressiva. Andere pharmakologische Ansätze zur Haloperidol 2 A Behandlung depressiver Symptome bei DAT, z.B. weitere z.B. Pipamperon 4 C3 Modulation glutamaterger Mechanismen, könnten Risperidon, Olanzapin 2 A hingegen erfolgversprechender sein. Aripiprazol 3 B Was die Behandlung depressiver Symptome betrifft, Quetiapin 4 C3 so ist neueren Antidepressiva gegenüber Trizyklika Benzodiazepine/Hypnotika der Vorzug zu geben, nicht zuletzt wegen der anti- cholinergen Wirkung, aber auch wegen der insge- Benzodiazepine nur bei Notfällen, zeitlich limitiert samt stärker ausgeprägten Nebenwirkungen der Tri- Benzodia.-Analoga 4 C3 zyklika. Für neuere Antidepressiva (SSRI, SNRI, SARI, Hypn. Wirks. Antidepr./Antipsych. 4 C3 NaSSA) spricht zunächst ihre generell gute und gut Melatonin (und -agonisten) 3 B belegte Wirkung bei Depression. SSRI und Trazodon Chloralhydrat nicht empfehlenswert F waren in kleineren und Einzelfallstudien bei Verhal- tensstörungen im Rahmen von frontotemporalen Diphenhydramin nicht empfehlenswert E Demenzen wirksam, so zeigte insbesondere Citalo- Chlomethiazol nicht empfehlenswert E pram antiimpulsive Effekte. Trazodon zeigte in einer Baldrian nicht empfehlenswert F rezenten nicht interventionellen Studie bei einem Andere Substanzen depressiven dementen Patientenkollektiv (n=72) eine positive Wirkung auf Agitation, Aggression, depres- Analgetika 5 D sive Symptome, Angst und Schlafstörung bei einer Ginkgo biloba 3 B guten Verträglichkeit. Bei Schlafstörungen können *Behavioural and Psychological Symptoms of Dementia; Legende siehe Anhang sedierende Antidepressiva wie Trazodon und Mirta- Quelle: Savaskan E., Praxis 2014; 103 (3): 135–148 135 zapin eingesetzt werden. c linic um neurop s y s ond erausgabe 15
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