Gletscherschwund und neue Seen in den Schweizer Alpen
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Gletscherschwund und neue Seen in den Schweizer Alpen Perspektiven und Optionen im Bereich Naturgefahren und Wasserkraft Wilfried Haeberli, Anton Schleiss, Andreas Linsbauer, Matthias Künzler, Michael Bütler des noch verbleibenden alpinen Eisvolu- Zusammenfassung mens bereits bis zur Jahrhundertmitte ab- Mit fortschreitendem Temperaturanstieg und Gletscherschwund bilden sich in Hoch- schmelzen und auch grosse Gletscher in gebirgen weltweit viele neue Seen. Modellrechnungen zeigen, dass sich die heute der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts noch existierenden Gletscher-Landschaften der Schweizer Alpen bei realistischen bis auf kleine Reste verschwinden dürften Szenarien der Klimaentwicklung in den kommenden Jahrzehnten für wohl sehr lange (z.B. Haeberli and Hoelzle 1995, Jouvet et Zeit zu Fels-Schutt-Seen-Landschaften mit stark erhöhter Abtragsdynamik verwan- al., 2011, Huss, 2012). Das hochsommer- deln werden. Im Projekt NELAK (Neue Seen als Folge der Entgletscherung in den liche Wasserangebot dürfte dadurch in Alpen) des Nationalen Forschungsprogramms 61 «Nachhaltige Wassernutzung» kontinentaler Dimension beeinflusst wer- werden Grundlagen für den Umgang mit dieser absehbaren Entwicklung erarbeitet. den (Huss, 2011). Von besonderem Interesse sind im Hinblick auf die anstehenden Neukonzessionie- Als Folge der Gletscherschmelze rungen im Bereich der Wasserkraft dabei Synergiepotenziale von multifunktionalen bilden sich neue Seen (Frey et al., 2010). Projekten für Energieproduktion, Sedimentrückhalt und Hochwasserschutz. Letzterer Diese neuen Seen beschleunigen den Eis- betrifft vor allem die langfristig ansteigende Wahrscheinlichkeit von grosskalibrigen zerfall noch zusätzlich. Jüngste Beispiele Sturzereignissen in Seen unmittelbar unterhalb von zunehmend eisfrei werdenden aus der Schweiz sind der «Gletschersee» Steilflanken mit tendenziell abnehmender Stabilität. Komplexe Rechtsfragen stehen beim «Unterer Grindelwaldgletscher», der an und eine frühzeitige Planung ist angezeigt See am Triftgletscher, die neuen Seen auf dem Glacier de la Plaine Morte, im Vorfeld des Palü- und Gauligletschers (Bild 1) oder 1. Einleitung et al., im Druck) verlieren die Gletscher der der gegenwärtig rasch wachsende See an Der Schwund der Gebirgsgletscher ist ein Alpen gegenwärtig (2011) im Mittel jährlich der Zunge des Rhonegletschers. Als Folge weltweites Phänomen (WGMS 2008) und etwa 40 km2 ihrer Fläche von noch rund des fortgesetzten Gletscherschwundes scheint mit zunehmender Geschwindigkeit 1800 km2 und etwa 2 km3 ihres Volumens dürften innerhalb der nächsten Jahre und abzulaufen (WGMS 2011). Dies ist primär von noch rund 80 ± 20 km3. Die Intensität Jahrzehnte zahlreiche weitere neue Seen eine Folge des globalen Temperaturan- der Schmelzprozesse führt dabei zuneh- entstehen. Diese Seen stellen ein ernst zu stiegs, der wiederum immer stärker durch mend zu Zerfallserscheinungen des Eises. nehmendes Gefahrenpotenzial dar (Künz- Einflüsse des Menschen (v.a. Treibhaus- Modellrechnungen verschiedener Kom- ler et al., 2010, Schaub et al., im Druck), gase) auf den Strahlungshaushalt der Erde plexität für realistische Szenarien weiterer eröffnen gleichzeitig aber auch neue Per- gesteuert wird. Nach den neuesten Hoch- Erwärmung ergeben seit vielen Jahren spektiven für die Wasserkraft (Terrier et rechnungen (Haeberli et al., im Druck; Paul übereinstimmend, dass wesentliche Teile al., 2010) und den Tourismus (Müller et Bild 1. Gauligletscher mit dem entstehenden See im Vorfeld, aufgenommen vom südlichen Seeufer (Foto: Bruno Petroni, «Wasser Energie Luft» – 104. Jahrgang, 2012, Heft 2, CH-5401 Baden 93 August 2009, Quelle: swisseduc.ch).
al., im Druck), wobei komplexe Rechtsfra- gralen Analyse, hier speziell im Hinblick 2009) oder empirischen Schubspannungs- gen entstehen. Das Projekt NELAK1 (New auf Möglichkeiten der Kombination von werte als Funktion des durch die Höhener- lakes in deglaciating high-mountain areas: Hochwasserschutz und Wasserkraft. We- streckung des Gletschers beeinflussten climate-related development and challen- sentliche Vorarbeiten wurden bereits im Massenumsatzes verwendet (Linsbauer et ges for sustainable use) des Nationalen Rahmen der Projekte «Klimaänderung und al., 2009). Weil die Komponenten des Glet- Forschungsprogramms 61 «Nachhaltige Wasserkraft» (vgl. Beiträge in WEL 4-2011) scherfliessens (Eisdeformation und ba- Wassernutzung» erarbeitet in interdiszi- sowie «Klimaänderung und Hydrologie» sales Gleiten) nicht realistisch quantifiziert plinärer Zusammenarbeit und in engem (CCHydro)2 geleistet. werden können, sind die absoluten Werte Kontakt mit Institutionen der Politik, der der so geschätzten Eisdicken mit Unsi- Privatwirtschaft und betroffener NGOs 2. Neue Seen cherheiten von rund ± 20–30% behaftet. eine entsprechende Wissensbasis als Ent- Digitale Geländemodelle ermöglichten es Die daraus berechneten räumlichen Muster scheidungsgrundlage für die zukünftige in den letzten Jahren, Eisdicken für Ge- von Eisdicken und entsprechenden Glet- Planung. Der Gesamtbericht soll im Jahr birgsgletscher detailliert zu berechnen. Im scherbett-Topographien sind jedoch pri- 2012 publiziert werden. Im vorliegenden Prinzip basieren die verwendeten Ansätze mär über die basalen Schubspannungen Artikel werden zentrale Aspekte der Na- auf einer vereinfachten Inversion des Eis- mit der in den Geländemodellen enthal- turgefahren und der Wasserkraft heraus- Fliessgesetzes (Spannung als Funktion tenen Oberflächenneigung verknüpft und gegriffen. Die gemeinsame Betrachtung von Massenumsatz und Fliessen). Dabei daher robust. Mit dem GIS-basierten An- dieser beiden Aspekte zeigt die Vorteile werden die über Oberflächenprozesse satz von Linsbauer et al. (2009) wurde ein der im Projekt NELAK angestrebten inte- geschätzten Massenflüsse (Farinotti et al. digitales Geländemodell der gesamten Schweizer Alpen «ohne Gletscher» erstellt. Dieses Geländemodell enthält im Bereich der heutigen Gletscherbetten 500–600 ge- schlossene Depressionen oder «Übertie- fungen» mit einer Gesamtfläche von rund 50–60 km2, in denen sich in absehbarer Zukunft Seen bilden könnten (Bild 2). Die grössten Durchschnittstiefen solch poten- zieller Seen liegen bei 100 m, die meisten potenziellen Seen sind jedoch im Schnitt weniger als 50 m tief. Rund ein Drittel aller Übertiefungen weist ein Volumen von über 1 Mio m3 auf, etwa 40 haben ein Volumen von über 10 Mio m3 und potenzielle Seen mit Volumen über 50 Mio m3 sind bei den Gletschern Aletsch, Gorner, Otemma, Corbassière, Gauli und Plaine Morte zu er- warten. Im verkarsteten Gebiet der Plaine Morte ist eine langfristige Seebildung frag- Bild 2. Modellierte Übertiefungen (~ potenzielle Seen) in den heute eisbedeckten lich. Das Gesamtvolumen der potenziellen Gletscherbetten der Schweiz. Die Übertiefungen sind klassifiziert nach ihrem Volumen Seen beträgt etwa 2 km3 oder rund 3% des (Kreisgrösse) und dem erwarteten Zeitpunkt ihrer Freilegung (Kreisfarbe). Übertiefun- heutigen Gletschervolumens der Schweiz. gen mit einem Volumen < 1 Mio m3 sind nicht dargestellt. Modell und Berechnung: Die entsprechende Wassermenge liegt in Linsbauer et al. (2009). Reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (BA110005). der gleichen Grössenordnung wie ein jähr- Bild 3a, links. Kavernenbildung infolge subglazialer Ablation durch einen Schmelzwasserbach am Gletscherbett unter der Zunge des Morteratschgletschers. (Foto: Jürg Alean, Februar 2009, Quelle: swisseduc.ch). Bild 3b, rechts. Kollaps-Erscheinung am Stein- gletscher (Foto: Esther Peguiron, Institut de Géologie, Université de Neuchâtel, September 2004). 94 «Wasser Energie Luft» – 104. Jahrgang, 2012, Heft 2, CH-5401 Baden
licher Gletscherabfluss bei heute typisch negativer Massenbilanz (Eisdickenverlust) von rund 1 m/Jahr. Offen bleiben die Fra- gen, ob allenfalls schluchtartige Entwäs- serungsrinnen vorhanden sind und wie schnell vor allem seichte Seen mit Sedi- menten gefüllt würden. Das Modellresultat entspricht in diesem Sinn wohl eher einer Maximalvariante der möglicherweise ent- stehenden Seen. Am Gletscherrand mo- dellierte Seen müssen mit besonderer Vorsicht interpretiert werden, da es dort wegen der problematischen Neigungsbe- stimmung zu Modellartefakten kommen kann (Paul und Linsbauer, 2012). Die zur Verfügung stehende Pla- nungszeit bis zur allfälligen Entstehung der neuen Seen muss mit plausiblen Szenarien des Gletscherschwundes abgeschätzt werden. Damit verbunden ist eine ganze Bild 4. Abflusskurve beim Ausbruch des temporären Gletschersees am Unteren Grin- Kette von Unsicherheiten hinsichtlich der delwaldgletscher vom 30. Mai 2008. Die progressive Erweiterung des Abflusskanals im natürlichen Klimaschwankungen, der zu- Eis-/Felstrümmerdamm ist mit mehreren plötzlichen Durchbrüchen nach vorüberge- künftigen Treibhausgas-Emissionen, der hendem Rückstau kombiniert. (Diagramm: Nils Hählen, Oberingenieurkreis I Kanton Reaktion des Klimas auf veränderte Treib- Bern, 2008). hausgaskonzentrationen und der Reak- tion der Gletscher auf sich verändernde Klimabedingungen. Vereinfacht werden oft Temperatureffekte für die Entwicklung der Gletschermasse betrachtet (z.B. Oerle- mans, 2001, 2005). Da die Lufttemperatur tatsächlich alle Faktoren der Energie- und Massenbilanz – über die Schnee/Regen- grenze auch die Akkumulation – beeinflusst (Ohmura, 2001), liefern solche Näherungen erster Ordnung bereits entscheidende In- formation. Bei einem Temperaturanstieg von mehreren °C spielen beispielsweise Veränderungen des Niederschlags nur noch eine untergeordnete Rolle (Zemp et al., 2006). Neben der Frage nach der an- zunehmenden Klimaentwicklung sind bei langfristigen Abschätzungen des Glet- scherschwundes Unsicherheiten der be- rechneten Gletscherszenarien primär durch Schwierigkeiten der Parametrisie- rung – vor allem der nur grob geschätzten Eisdicke, der Akkumulation von Schnee und der Veränderung der Albedo – gege- ben. Die durch Staubeintrag seit 2003 ein- getretene massive Reduktion der Albedo an den Oberflächen der Alpengletscher (Paul et al., 2005; Oerlemans et al., 2009) dürfte nachhaltig sein und die Energiebi- lanz gegenüber früheren Bedingungen für viele Jahre wenn nicht Jahrzehnte stark ver- ändern. Weitere selbstverstärkende Rück- koppelungsprozesse werden beobachtet (Paul et al., 2007): die neuen Seen selber können infolge ihrer niedrigen Albedo Bild 5a, oben. Jährliches Zuflussvolumen in den Mauvoisin-Stausee (gemittelt über und ihrer Fähigkeit zur Erwärmung über fünf Jahre) gemäss verschiedenen Klimaszenarien. 0 °C mit effizienten Zirkulationsprozessen Bild 5b, unten. Hydraulisches Regime des Mauvoisin-Zuflusses (gemittelt über fünf und Kalbungsvorgängen am Eisrand die Jahre) für das Szenario ETHZ. «Wasser Energie Luft» – 104. Jahrgang, 2012, Heft 2, CH-5401 Baden 95
Schwundprozesse drastisch beschleuni- In Anbetracht der mit den Szenarien nimmt aber mit wachsender Anzahl neuer gen. Wenn der Dickenschwund der Glet- des Gletscherschwundes verbundenen Seen und weiter schwindendem Eis zu. Vor scher schneller ist als die Längenänderung Unsicherheiten wird der Zeitraum der neu allem wird diese Gefahr voraussichtlich für durch den Rückzug der Zunge, verstärken entstehenden Seen nicht in Jahreszahlen viele Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahr- sich subglaziale Schmelzprozesse durch sondern in Worten ausgedrückt, nämlich hunderte andauern. Man kann die neuen Kavernenbildung (Bild 3a) und Eindringen «bevorstehend», «in der ersten Hälfte des Seen deshalb nicht einfach sich selber von Warmluft im Sommer, was zu beschleu- 21. Jahrhunderts» und «nach der Jahrhun- überlassen. Die Gefahr von vermehrten nigendem Einsinken der Oberfläche und zu dertmitte». Ausschlaggebend sind dabei Bergstürzen und Seeausbrüchen wie auch Kollaps-Erscheinungen (Bild 3b) des Eises die maximalen und minimalen Schwundra- die Möglichkeit des Hochwasserschutzes führen kann. Entgegengesetzt – also den ten aus den oben geschilderten Modellan- durch Retentions-Massnahmen müssen Eisschwund verlangsamend – wirkt die bei sätzen. Aus Bild 2 wird deutlich, dass ein insbesondere auch im Zusammenhang abnehmender Gletscherfläche und eisfrei wesentlicher Teil der neuen Seen bereits in mit dem weiteren Betrieb oder Ausbau von werdenden Felsflanken tendenziell zuneh- den kommenden Jahrzehnten entstehen Kraftwerken im Hochgebirge berücksich- mende Schuttbedeckung. Mit dem Absin- dürfte. tigt werden. ken der Gletscheroberfläche erhöht sich ei- Flutwellen und Murgänge als Folge nerseits die Lufttemperatur und damit der 3. Das Gefahrenpotenzial von Seeausbrüchen im Hochgebirge kön- Schmelzvorgang an der Gletscherober- neuer Seen nen über grosse Distanzen schwere Schä- fläche, andererseits kann sich aber auch Mit fortgesetztem Gletscherrückgang bil- den anrichten. Hochwasserabflüsse aus der Schattenwurf umliegender Berge ver- den sich die neuen Seen mehr und mehr entsprechenden Grossereignissen können stärken. Die Summe der Effekte muss für am Fuss von extrem steilen und oft ver- dabei das Ausmass von Niederschlags- jeden Gletscher individuell betrachtet wer- eisten Bergflanken. Die Stabilität dieser hochwassern bei weitem übersteigen und den, wirkt sich aber insgesamt wohl deut- Steilflanken nimmt mit dem Eisschwund den Charakter von Flutwellen und Murgän- lich beschleunigend auf den Eisschwund langfristig ab, was zu grosskalibrigen Sturz- gen nach Dammbrüchen annehmen, wie aus. Effekte verzögerter Reaktion hängen ereignissen mit weit reichender Schwall- sie im Rahmen von Sicherheitsbetrach- primär mit der latenten Energie des Eises und Flutwellenbildung in Seen führen kann tungen für künstliche Stauseen in Betracht zusammen und spielen bei grossen Glet- (Haeberli and Hohmann, 2008). Die Wahr- gezogen werden. Da der Alpenraum einem schern und relativ kurzen Zeitintervallen scheinlichkeit solch potenzieller Katastro- grossen Siedlungsdruck unterworfen ist, (wenige Jahrzehnte) eine Rolle. phen mag derzeit noch klein erscheinen, befinden sich Bevölkerung und Infrastruk- tur oft unweit potenziell gefährlicher Seen. Um entsprechende Gefahrenpotenzi- ale und Risiken abzuschätzen, müssen komplexe Situationen und Prozessketten für Bedingungen weit jenseits des histo- rischen Erfahrungsbereiches in integrativer Art erfasst und nach Möglichkeit quantita- tiv modelliert werden. In der Schweiz ist zu dieser Problematik eine international an- erkannte Wissensbasis erarbeitet worden. Neuere Übersichten dazu geben Haeberli et al. (2007, 2010), Huggel et al. (2004) oder Kääb et al. (2005a, b). Zeitlich rückwärts orientierte und einseitig auf Gletscher ein- geengte Konzepte (Raymond et al., 2003) sind hier nicht zielführend. Ausbrüche von Hochgebirgsseen können durch verschiedene Kombinati- onen von Dispositions- und Auslösepro- zessen verursacht werden (Haeberli, 2010). Seen mit massiven Gletscherdämmen bre- chen «hydraulisch» durch Anhebung der Eisbarriere und progressive Erweiterung von Kanälen im oder unter dem Eis aus. Bei Eistrümmerdämmen von Eislawinen kann es auch zu «mechanischem» Bruch mit plötzlichen und besonders hohen Abfluss- Spitzen kommen. Kombinationen der bei- den Ausbruchsarten sind ebenfalls möglich Bild 6a, oben. Übersichtskarte des potenziellen neuen Stausee im Vorfeld des Glacier (Bild 4). Breschenbildung und rasche Ent- du Corbassière mit dem möglichen Pumpspeicherwerk zur Verbindung mit dem Stau- leerung von moränengestauten Seen kann see Mauvoisin. Reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (BA110005). durch progressiven Grundwasserfluss (pi- Bild 6b, unten. Profil entlang des möglichen Pumpspeicherwerkes zwischen Glacier du ping), rückschreitende Erosion am Über- Corbassière und Stausee Mauvoisin. lauf oder instabile Steilböschungen der 96 «Wasser Energie Luft» – 104. Jahrgang, 2012, Heft 2, CH-5401 Baden
Dammflanken ausgelöst werden, wobei all Gruber and Haeberli, 2007; Haeberli et al., testen reichende Schadenpotenzial wohl diese Phänome bei hohem Wasserspiegel 1997; Harris et al., 2009; Huggel, 2009). mit grossen Stürzen in Seen am Fuss von zusammenspielen können. Grundsätzlich Die komplexen thermischen Bedingungen Steilflanken verbunden. können alle Seen innerhalb der Reichweite hochalpiner Gipfel können in entspre- Für die Gefahrenprävention steht von Eis-, Fels- und Bergstürzen oder Morä- chenden Rechenmodellen der Wärmedif- in der Schweiz bereits heute eine ganze neninstabilitäten als Folge entsprechender fusion in ihren wesentlichen Zügen simu- Palette möglicher Massnahmen zur Ver- Impulse überschwappen oder sogar ganz liert werden (Noetzli and Gruber, 2009) und fügung (vgl. Berichte der Nationalen Platt- ausgepresst werden. Prozesse der Hang- mögliche Sturzbahnen können mit Modell- form Naturgefahren PLANAT5). Diese Destabilisierung sind mit Erwärmungsten- rechnungen abgeschätzt werden (Noetzli Palette reicht von der visuellen Beo- denzen verbunden (a) über die Span- et al., 2006; Romstad et al., 2009, Schnei- bachtung bis zur instrumentierten Über- nungsumverteilung nach abnehmender der, 2011). Auf internationaler Ebene de- wachung/Frühwarnung, vom passiven Stützwirkung durch Gletscher (z.B. Sturz finierte der International Working Group Schutz durch Freihalten von gefährdeten in der Eiger-Ostflanke nach massivem on Glacier and Permafrost Hazards4 (GA- Zonen oder kurzfristiger Evakuation bis zu Gletscherschwund) und (b) über die Erwär- PHAZ) der International Association of Cry- baulichen Eingriffen (Überflutungsschutz, mung, den Eisverlust und die zunehmende ospheric Sciences (IACS/IUGG) und der Retention). Retentionsmöglichkeiten als Durchlässigkeit für Wasser des wärmer International Permafrost Association (IPA) langfristige Schutzmassnahme sind im Zu- werdenden Permafrostes. In letzter Zeit grundsätzliche Prinzipien und Standards sammenhang mit dem Kraftwerksbetrieb scheinen sich im Permafrost-Bereich des bei der Behandlung solcher Probleme. besonders interessant. Hochgebirges grosse Sturz-Ereignisse mit Mögliche Ausbruchsmechanismen Volumina über 105 bis 106 m3 zu häufen und entsprechende Schadenpotenziale 4. Wasserkraft (Fischer et al., 2012). Das jüngste Ereig- sind Veränderungen in der Zeit unterwor- Die Wasserkraft ist der Hauptpfeiler der nis wurde am Pizzo Cengalo3, Bergell, am fen. Von den grossen Moränen der kühleren schweizerischen Elektrizitätsversorgung 27. Dezember 2011 beobachtet und hatte nacheiszeitlichen Perioden haben sich die und wird auch in Zukunft die wichtigste ein Volumen von 2–3 Millionen m3, das rasch reagierenden Alpengletscher be- und effizienteste erneuerbare Energie in durchaus vergleichbar ist mit dem Volu- reits zurückgezogen. Brüche von Morä- der Schweiz bleiben. Mit dem Rückzug men vieler neu entstehender Seen. Neben nendämmen stehen deshalb weniger im der Gletscher verändern sich die Zuflüsse der geologischen Beschaffenheit und der Vordergrund der Betrachtung. Eisdämme zu den Stauseen. Seit etwa 30–40 Jahren Neigung ist der Eisschwund nur ein Ein- können bei Seen lokal bedeutend sein, die sind die Zuflüsse zu den Stauseen ange- fluss in der für längerfristige Hanginstabili- sich an Gletscheroberflächen bilden: z.B. wachsen. Dieser Trend wird dank der Glet- täten im Hochgebirge massgeblichen Fak- Grindelwald (Werder et al., 2010), der Lago scherschmelze je nach Klimaszenarien in torenkombination. Er ist jedoch derjenige Effimero am Ghiacciao del Belvedere, Ma- den nächsten 10 bis 30 Jahren anhalten. Faktor, der sich zurzeit am schnellsten und cugnaga/Italien (Kääb et al., 2004), der Anschliessend werden die Zuflüsse mit massivsten ändert. Eine Abschätzung des Lac de Rochemelon in Frankreich (Vin- dem fortschreitenden Verschwinden der Gefahrenpotenzials durch einen grossvo- cent et al., 2010), oder die neuen Seen auf Gletscher stark und längerfristig irreversi- lumigen Sturz muss versuchen, kritische der Plaine Morte. Sie dürften wegen des bel abnehmen (Bild 5). Die dabei neu ent- Faktorenkombinationen zu definieren. generellen Gletscherschwundes in den stehenden Seen, welche höher als die be- Eine rasch zunehmende wissenschaftliche kommenden Jahrzehnten jedoch eine stehenden Stauseen liegen, könnten mit- Literatur liefert dazu wichtige Grundlagen sukzessiv kleiner werdende Rolle spielen. helfen, die heutige Stromproduktion aus (Davies et al., 2001; Fischer et al., 2010; Auf die Dauer ist das grösste und am wei- Wasserkraft aufrecht zu erhalten. Durch den Bau von neuen Talsperren kann das Volumen dieser natürlichen Seen ver- grössert werden und zur Produktion von Spitzenenergie aber auch zu Pumpspei- cherung von temporär überschüssiger Wind- und Sonnenenergie verwendet werden. Die Speicherfunktion der beste- henden und zukünftigen Stauseen ist für den Wasserhaushalt in der Schweiz von grösster Bedeutung, da diese nach dem Abschmelzen der Gletscher deren Spei- cherfunktion übernehmen müssen. Neben der sicheren Stromversorgung werden die Stauseen zukünftig vermehrt zur Anreiche- rung der Gewässer in lang andauernden Trockenperioden sowie zum Hochwas- serschutz beitragen müssen. Die Gefahr von unkontrollierten Ausbrüchen sowie das Überschwappen bei Felsstürzen und Bild 7. Übersichtskarte des potenziellen neuen Stausees im Vorfeld des Gauliglet- Erdrutschen in diese neu entstandenen schers mit dem möglichen Speicherkraftwerk zur Verbindung mit dem Grimselsee Gletscherseen kann mit dem Bau von Tal- (Option B) oder der möglichen Überleitung des Wassers (Option A) in den Grimselsee. sperren reduziert werden, welche kontrol- Reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (BA110005). lierte Überläufe sowie genügend Freibord «Wasser Energie Luft» – 104. Jahrgang, 2012, Heft 2, CH-5401 Baden 97
gegen Impulswellen haben. In diesem Sinne können neue Stauseen mit Vorteil Mehrzweck- und Synergieprojekte sein. Nicht zuletzt müssen die neuen Stauseen so konzipiert sein, dass sie auch die ver- stärkte Sedimentzufuhr nach Abschmel- zen der Gletscher mit entsprechenden Spülvorrichtungen beherrschen können. An zwei Fallstudien wurde das en- ergiewirtschaftliche Potenzial der neuen Gletscherseen untersucht. Dabei wurden die Einzugsgebiete mit allen bestehenden und zukünftigen Anlagen in einem hydrolo- gisch-hydraulischen Abflussmodell (Rou- ting System 3.0) nachgebildet. Nach einer Eichung mit Messungen der Abflüsse und der Gletscherentwicklung für die letzten rund 30 Jahre wurden vier verschiedene Klimaszenarien simuliert. Für die Energie- produktion wurde ein spezielles Simula- tionsmodul entwickelt, welches basie- rend auf den Spotmarktpreisen (EEX) die Stromproduktion unter bestimmten Rand- bedingungen wie Speicherinhaltsentwick- lung wirtschaftlich optimiert. Sich selbst verstärkende Rückkoppelungseffekte wie etwa die in jüngsten Jahren eingetretene Albedo-Reduktion der Gletscheroberflä- Bild 8a, oben. Übersichtskarte des aufgestauten Triftsees mit dem möglichen Speicher- chen oder die zunehmende subglaziale kraftwerk. Reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (BA110005). Ablation sind noch nicht berücksichtigt. Bild 8b, unten. Profil entlang des möglichen Speicherkraftwerkes zwischen Triftsee Der Gletscherschwund könnte in Wirklich- und Innertkirchen. keit deshalb auch dramatischer ausfallen. Im Fallbeispiel Mauvoisin hat sich gezeigt, dass ein neuer See «Corbas- sière» mit einer relativ kleinen Staumauer zu einem bedeutenden Speicher von rund 50 Mio m3 Inhalt aufgestaut werden könnte. Neben der zusätzlichen Saison- speicherung kann die Gefällsstufe von durchschnittlich 600 m für ein Pumpspei- cherwerk von 500 MW genutzt werden (Bild 6). Dieses Pumpspeicherkraftwerk Mauvoisin-Corbassière wäre bereits bei den heutigen Strompreisen wirtschaftlich und würde die bestehenden Anlagen ener- giewirtschaftlich erheblich aufwerten. Beim Kraftwerkskomplex Ober- hasli (KWO) geht es um zwei neue Seen bei den Gletschern Gauli und Trift. Der Gauli- see müsste mit einer kleinen Mauer gesi- chert werden. Das Wasser könnte direkt mit einem neuen Kraftwerk in den beste- henden Grimselstausee turbiniert werden (Bild 7). Beim neuen Triftsee erweist sich als wirtschaftlichstes Projekt der Bau einer 110 m hohen Talsperre mit einem Stausee von 105 Mio m3 Inhalt. Das Wasser könnte zur Erzeugung von Spitzenenergie in einer neuen Zentrale bei Innertkirchen turbiniert werden (Bild 8). Mit einer Beileitung des Bild 9. Blick auf den «Unteren Grindelwaldgletscher» mit dem Fiescherhorn im Hinter- Wassers aus dem Steingletscher könnte grund (Foto: Wilfried Haeberli, 2009). der Zufluss zum neuen Triftsee noch er- 98 «Wasser Energie Luft» – 104. Jahrgang, 2012, Heft 2, CH-5401 Baden
höht werden. Die beiden Anlagen könnten den, kann die geschädigte Person den fi- vor Gefahren, zur Stromproduktion oder für die regulierbare Leistung bei den KWO nanziellen Schaden zivilrechtlich evt. auf den Tourismus geplant, sind Interessen- um insgesamt 500 MW erhöhen. Sie wür- eine haftpflichtige Person bzw. Behörde konflikte zwischen Nutzung und Schutz zu den auch die Energiewirtschaftlichkeit der überwälzen. Dazu müssen die Vorausset- beachten. Vorgängig ist eine eingehende heutigen Anlagen sowie diejenigen des ge- zungen spezieller Haftungsnormen (z.B. Analyse der tatsächlichen und rechtlichen planten Ausbaues KWO plus verbessern. allgemeine Verschuldenshaftung, Haftung Voraussetzungen zu empfehlen, um Pro- des Werkeigentümers bei Werkmängeln, bleme und mögliche Konflikte rechtzeitig 5. Rechtliche Fragen Vertragshaftung oder Staatshaftung) er- zu erkennen bzw. zu verkleinern. In recht- Die mit Gletscherseen verbundenen Ge- füllt sein. Auch pflichtwidriges Untätigblei- licher Hinsicht sind die gesetzlichen Vor- fahren (Flutwellen, Hochwasser, Mur- ben (Unterlassung) vermag beim Vorliegen gaben der Raumplanung, des Natur- und gänge) werfen die Frage auf, wer für einer Rechtspflicht (Garantenstellung) Heimatschutzes, des Gewässer- und Um- Schutzmassnahmen zugunsten von Be- haftungsrechtliche Konsequenzen auszu- weltschutzes, des Wasser- und Transport- völkerung, Siedlungen und Infrastrukturen lösen. Ein allfälliges Selbstverschulden des rechts massgeblich. Für grosse Bauvorha- verantwortlich ist. Die Rechtsgrundlagen Geschädigten führt mindestens zu einer ben mit überörtlicher Bedeutung besteht zu den Naturgefahren sind uneinheitlich Reduktion des Schadenersatzes. Verlet- eine Planungspflicht (auf Ebene Richtpla- und zersplittert. Massgebend ist vorlie- zungen der Sorgfaltspflicht können auch nung bzw. Nutzungsplanung). Kleinere gend die Wasserbau- und Waldgesetz- strafrechtliche Sanktionen (z.B. Busse, Bauprojekte ausserhalb der Bauzonen er- gebung. Nicht ausdrücklich gesetzlich Freiheitsstrafe) nach sich ziehen. fordern eine Ausnahmebewilligung, wel- verankert ist das heute angewendete in- Werden im Bereich von Gletscher- che Standortgebundenheit und eine um- tegrale Risikomanagement (Prävention, seen bauliche Massnahmen zum Schutz fassende Interessenabwägung bedingt. Intervention, Wiederinstandstellung). Pri- oritär sind raumplanerische, sekundär bauliche Massnahmen. Die zuständigen Behörden haben Ereigniskataster und Gefahrenkarten zu erstellen, nach Objekt- kategorien abgestufte Schutzziele zu defi- nieren sowie Mess- und Frühwarnsysteme einzurichten. Entsprechende Erkenntnisse sind in der Richt- und Nutzungsplanung von Kantonen und Gemeinden zu berück- sichtigen. Dies geschieht mittels verschie- dener Gefahrenzonen (Verbots-, Gebots- und Hinweiszone) und Vorschriften in den Bau- und Zonenreglementen. Um vorhan- dene Hochwassergefahren zu reduzieren, müssen die Gewässerräume ausgeweitet, Abflusskorridore freigehalten und Rück- Bild 10. Überblick über die Region um den Aletschgletscher. Dargestellt sind die mo- halteräume geschaffen werden. Je nach dellierten Gletscherbetten (die Gletscher vollständig entfernt) mit den darin detektier- Umständen dürfen lokal keine Bauzonen ten Übertiefungen (potenzielle zukünftige Seen). Reproduziert mit Bewilligung von ausgeschieden werden, sind Rück- oder swisstopo (BA110005). Auszonungen vorzunehmen bzw. Nut- zungsbeschränkungen oder Auflagen zu verfügen. Bauliche Schutzmassnahmen setzen voraus, dass deren Errichtung für die Behörden zumutbar ist und dass öko- logische Anforderungen eingehalten wer- den. Den Betreibern von Stauanlagen obliegen speziell geregelte Sorgfalts- pflichten. Die offiziellen Kategorien von Wanderwegen sind so anzulegen und zu unterhalten, dass Wandernde vor über- raschenden, fallenartigen Gefahren ge- schützt sind. Schutzmassnahmen müs- sen zumutbar sein. Sie können nur verlangt werden, wenn die Gefahr den verantwort- lichen Behörden und Organisationen be- kannt war bzw. sein musste. Die Eigenver- antwortung spielt gerade auf Wanderwe- gen eine wichtige Rolle. Bild 11. Die modellierten Gletscherbetten der Region Mattmark. In der Bildmitte das Ereignen sich im Zusammenhang Bett des Allalingletschers mit zwei grösseren modellierten Übertiefungen (potenzielle mit Gletscherseen Unfälle oder Schä- Seen). Reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (BA110005). «Wasser Energie Luft» – 104. Jahrgang, 2012, Heft 2, CH-5401 Baden 99
Steilflanken mit Hängegletschern ausdeh- nen (Bild 9). Später werden wohl weitere Seen in grösserer Höhe und ebenfalls un- terhalb grosser Steilflanken entstehen. Das Gefahrenpotenzial wird sich dadurch langfristig erhalten oder sogar steigern. Mit dem Ausbau (tiefere Niveaus) des bereits erstellten Entwässerungsstollens kann dieser Entwicklung begegnet werden. Die grössten beiden neuen Seen mit Flächen von je etwa 2 km2 könnten um die Jahrhundertmitte am Aletsch- gletscher entstehen (Bild 10). Diese Seen kommen in die Nähe grosser Steilflanken zu liegen. Im Auslaufbereich möglicher Flutwellen liegt eine Stadt (Brig), die Seen können deshalb nicht einfach sich selber überlassen werden. Retentionsmöglich- keiten bestehen aber bereits heute mit Bild 12. Die modellierten Gletscherbetten der Monte-Rosa-Region. Der potenzielle dem Gebidem-Stausee. Die Situation ist Gorner-Stausee würde sich an der Stelle der heutigen Zunge des Gornergletschers vor allem auch deshalb sehr speziell, weil befinden, nicht weit oberhalb von Zermatt zwischen Gornergrat und Kleinem Matte- der Aletschgletscher als grösster, in den rhorn. Reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (BA110005). kommenden Jahrzehnten jedoch wohl zu- nehmend zerfallender Alpengletscher zen- Die Nutzung von Gletscherseen für die Ganz besonders gilt dies für kombinierte traler Teil des UNESCO Welt-Naturerbes Wasserkraft setzt die Erteilung von was- Projekte hinsichtlich Hochwasserschutz, Jungfrau-Aletsch ist. Eine Vergrösserung serrechtlichen Konzessionen und einer ge- Wasserkraft, Wasserversorgung und Tou- des Gebidem-Stausees könnte allenfalls in wässerschutzrechtlichen Bewilligung zur rismus. Die bevorstehenden Neukonzessi- Betracht gezogen werden, wobei die stark Wasserentnahme (Restwassermengen) onierungen im Bereich Wasserkraft bieten zunehmende Sedimentzufuhr wie heute voraus. Da viele bestehende Konzessionen für derartige Überlegungen einen wich- mit regelmässigen Spülungen zu bewäl- in den kommenden Jahrzehnten ablaufen tigen Rahmen. tigen wäre. werden, stellt sich die brisante Frage, ob Am Rhonegletscher dürften sich im Die Zunge des Allalingletschers diese Konzessionen erneuert werden oder Laufe der kommenden Jahrzehnte meh- zieht sich aus der Steilzone zurück, aus der ob die Werke z.B. infolge Heimfalls an die rere Seen mit relativ flachen und deshalb die Katastrophenlawine von 1965 abge- Gemeinwesen übergehen werden. wenig gefährdeten Seitenflanken bilden. gangen ist. Sie wird hinter einem Felsriegel Zahlreiche Gletschergebiete liegen Der unterste See wächst bereits heute hin- wahrscheinlich noch in der ersten Jahrhun- im Schutzbereich von Landschaften von ter einem Felsriegel mit wunderschönen derthälfte eine Übertiefung mit möglicher nationaler Bedeutung (BLN-Gebiete), von Gletscherschliffen. Die entsprechende Seebildung freigeben (Bild 11). Dieses bundesrechtlich geschützten Auenland- Landschaft ist ein attraktiver Ausgleich Becken hätte ein Retentionspotenzial hin- schaften, Mooren, Moorlandschaften, für das schwindende Eis, hat aber auch sichtlich eines Sees, der sich bei fortge- Jagdbanngebieten. Zu erwähnen ist das wasserwirtschaftliches Potenzial. Selbst setztem Gletscherrückgang später direkt UNESCO Welterbe Jungfrau – Aletsch, mit einer kleinen Staumauer von weniger am Fuss der Steilflanken am Allalinhorn bil- wo mit der Zeit grosse Seen entstehen als 20 m Höhe, welche zur Sicherung des den könnte. Eine Nutzung mit einem Klein- dürften. Auch kantonale oder kommu- Sees gegen Schwallwellen ohnehin nötig kraftwerk wäre denkbar. Zudem könnte nale Schutzgebiete sind zu beachten. wäre, könnte ein Stauvolumen von 40 bis der See auch zur vermehrten Pistenbe- Solche Schutzgebiete sind möglichst un- 60 Mio. m3 der Wasserkraftnutzung zu- schneiung herangezogen werden. geschmälert zu erhalten. Schutzbauten, geführt werden. Die energiewirtschaftlich Seen dürften sich auch bilden, Staudämme und Verkehrsinfrastrukturen beste Lösung wäre, das Wasser mit einer wenn die flache Zunge des Gornerglet- sind dort nicht oder nur eingeschränkt rea- Stufe direkt in den Räterichbodensee zu schers abschmilzt. Am heutigen Gletscher- lisierbar. Es ist zu bedenken, dass der Bau turbinieren, allenfalls kombiniert mit einem ende ist ein klassisches Beispiel für einen von Infrastrukturen später meistens Folge- Pumpspeicherwerk. Das Wasser könnte von einer tiefen Schlucht durchschnit- erschliessungen nach sich zieht. Eingriffe dann in den nachfolgenden Kraftwerk- tenen Felsriegel zu beobachten. Würde im Gebirgsraum hinterlassen deutliche stufen bis nach Innertkirchen mehrfach diese Situation technisch genutzt, könnte Spuren (Landschaftsbild, Boden, Gewäs- genutzt werden. Für einen Transfer von mit einer Fläche von ca. 4 km2 und einem ser, Fauna, Flora). Nutzung und Schutz der Wasser aus dem Rhonegebiet ins Aare- Volumen von rund 350 Mio m3 eine der Gletscherseen sind jeweils sorgfältig ab- resp. Rheingebiet wären aber bedeutende grössten Stauhaltungen der Alpen entste- zuwägen, so dass schöne Hochgebirgs- rechtliche und ökologische Hindernisse zu hen (Bild 12). Entscheidend wäre dabei die landschaften intakt erhalten bleiben. überwinden. Frage, wie man ein derart grosses Volu- Der jetzt durch einen Felsstollen men füllt, wie ein solches Projekt in das 6. Perspektiven regulierte See am Unteren Grindelwald- bestehende Kraftwerksnetz einzufügen Die neuen Seen bieten ein weit offenes Feld gletscher könnte sich in den kommenden wäre und welche Funktionen hinsichtlich für die Entwicklung optimaler Nutzung. Jahren nach hinten an den Fuss gewaltiger Hochwasserschutz und Trinkwasserver- 100 «Wasser Energie Luft» – 104. Jahrgang, 2012, Heft 2, CH-5401 Baden
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