Hightech statt Tiere Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen Grundlagen - Ergebnisse - Perspektiven

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Hightech statt Tiere Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen Grundlagen - Ergebnisse - Perspektiven
Hightech statt Tiere
              Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen
              Grundlagen – Ergebnisse – Perspektiven
BMBF PUBLIK
Hightech statt Tiere Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen Grundlagen - Ergebnisse - Perspektiven
Impressum                                  Fachliche Bearbeitung
BMBF PUBLIK

                                                         Dr. Wilfried Diekmann, Dr. Manfred Hansper,
              Herausgeber                                Dr. Claudia Ritter, René Rust
              Bundesministerium
              für Bildung und Forschung (BMBF)           Redaktion
              Referat Öffentlichkeitsarbeit              Dr. Michael Ochel
              53170 Bonn
              E-Mail: information@bmbf.bund.de           Gestaltung
              Internet: http://www.bmbf.de               BSMG Worldwide Deutschland, München

              Bundesministerium für Verbraucherschutz,   Druckerei
              Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL)       Kölnische Verlagsdruckerei GmbH
              Referat Öffentlichkeitsarbeit
              Postfach                                   Bildnachweis
              53107 Bonn                                 Adrian Smith, Abteilung für Versuchstierkunde der Tierärztli-
              Internet: http://www.bmvel.de              chen Hochschule Oslo (S. 14), BackArts (S. 59), BSMG (Titel
                                                         groß), BgVV (Titel klein u., S. 27, 31 o.l., 34, 49), dpa (S. 9, 10, 17,
              Bundesministerium für Gesundheit (BMG)     18, 22, 30, 31 u.r., 33, 36, 37, 41), Integra Biosciences GmbH
              Referat Öffentlichkeitsarbeit              (S. 20 o., 56), Institut für Pharmakologie und Toxikologie, Charité
              Am Propsthof 78a                           der Humboldt-Universität zu Berlin (S. 55), KUCK-Medizin-
              53121 Bonn                                 Elektronik (S. 58), MEV (S. 7), Paul-Ehrlich-Institut (Titel klein o.,
              Tel.: 0 18 88 / 4 41-10 62                 S. 20 u., 32, 39, 40, 42, 44, 45, 48), PhotoDisc (S. 8, 11, 21 29, 61),
              Fax: 0 18 88 / 4 41-49 04                  Schade/Glatte IPT (S. 24), TU-Dresden (S. 53), Universität
              Internet: http://www.bmgesundheit.de       Konstanz, Biochemische Pharmakologie, EYEOFSCIENCE,
                                                         Reutlingen (S. 32, 46), Universität Regensburg (S. 51, 52)
              Bundesministerium für Umwelt,
              Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU)    Stand
              Referat Öffentlichkeitsarbeit              Januar 2001
              11055 Berlin                               Redaktionsschluss November 2000 (noch vor der Neurege-
              Tel.: 0 18 88 / 3 05-0                     lung der Zuständigkeiten des BMG und BML, inzwischen
              Fax : 0 18 88 / 3 05 20 44                 BMVEL)
              Internet: http://www.bmu.de
                                                         Gedruckt auf Recyclingpapier
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Hightech statt Tiere

Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen
Grundlagen – Ergebnisse – Perspektiven
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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1
MENSCH UND TIER
1.1 Eine konfliktreiche Partnerschaft im Wandel der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.2 Das Streben nach Erkenntnis und der Tierversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.3 Ersatz- und Ergänzungsmethoden – ständige Herausforderung
    an die Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

Kapitel 2
HÄUFIG GESTELLTE FRAGEN ZU TIERVERSUCHEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Kapitel 3
TIERVERSUCHE IN DER PRAXIS
3.1 Was ist ein Tierversuch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
    Definitionen und Regelungen im Interesse der Kreatur
    Nicht jeder darf beliebig testen
    Zahlen lassen hoffen
3.2 Der lange Weg zur Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
    Unerlässlichkeit und ethische Vertretbarkeit
    Ist der Versuch unerlässlich?
    Die ethische Vertretbarkeit

Kapitel 4
POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR EINSCHRÄNKUNG VON TIERVERSUCHEN
4.1 Gestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
4.2 Forschungspolitik und Förderung von Ersatzmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
    Ein weltweit einmaliges Programm – BMBF Förderschwerpunkt
    „Ersatzmethoden zum Tierversuch“
    Marketing für Alternativversuche – Industrie und Tierschützer kooperieren
    unter dem Dach der Stiftung SET
    Datenbank zum Wohl der Tiere – Dokumentation und Forschung bei ZEBET
    Bundesländer ziehen mit – Förderprogramme in Baden-Württemberg
    und Rheinland-Pfalz
    Begehrte Auszeichnungen – Viele Institutionen verleihen Forschungspreise
    Ausschreibungen im EU-Amtsblatt – ECVAM koordiniert europäische
    Aktivitäten
    Förderung des Ansehens – Internationale Forschungspreise

Kapitel 5
ERSATZ- UND ERGÄNZUNGSMETHODEN ZUM TIERVERSUCH
5.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
    Das 3R-Prinzip von Russel und Burch zur Reduktion von Tierversuchen
    Was sind Ersatz- und Ergänzungsmethoden?
    Worauf beruhen Ersatz- und Ergänzungsmethoden?
    Ersatz- und Ergänzungsmethoden aus wissenschaftlicher Sicht
    Von der Forschung in die Praxis
    Tierschutz bei gesetzlich vorgeschriebenen Versuchen
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5.2 Zehn erfolgreiche Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
    Ohne Befund – Streichung des Tests auf anomale Toxizität für Impfstoffe
    Molekulare Spürhunde – Streichung des Tierversuchs zum Fremdvirenausschluss/
    Qualitätskontrolle des Tollwut-Impfstoffs
    Infektion entfällt – Prüfung von Rotlauf-Impfstoffen
    Fieber im Reagenzglas – Ersatz des Pyrogentests an Kaninchen
    Zellschäden ohne Qualen – Ersatz für den Draize-Test am Kaninchenauge
    Mathematiker als Tierschützer – Akute Toxische Klassen-Methoden – Alternativen
    zu den obsoleten LD50-Tests
    Kunststoffkammer ersetzt Tierzahn – Tierversuchsfreie Bewertung zahnärztlicher Füllstoffe
    Kritische Embryonen – Ersatz für Abwasserprüfungen an lebenden Fischen
    Diagnose aus der Vogelperspektive – IgY-Technologie: Unblutige Produktion von
    polyklonalen Antikörpern mit Hühnereiern
    Der Mensch als sein eigenes Versuchstier – Myograph und Daumen ersetzen
    Froschschenkel

Kapitel 6
AUSBLICK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

Kapitel 7
ANHANG
7.1 Rechtliche Grundlagen zu Tierversuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                        62
    Was sind Tierversuche?
    Wie erfolgt die Genehmigung und Überwachung von Tierversuchen?
    Gesetzlich vorgeschriebene Tierversuche
    Tierversuche in der Grundlagenforschung
7.2 Projekte des BMBF-Förderschwerpunkts „Ersatzmethoden zum Tierversuch“ . . . . . . . . . . . . . . . .                                                 68
7.3 Informationsquellen „Alternativmethoden zu Tierversuchen“ im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                           70
7.4 Ausschreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           72
7.5 Adressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      76
7.6 Quellenangaben zu den Zitaten (Positionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                          78
7.7 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   79
Hightech statt Tiere Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen Grundlagen - Ergebnisse - Perspektiven
„Was auf dem Spiel steht, ist das Recht zu wissen, das Recht des Menschen, die Geheim-
    nisse der ganzen Natur, der unbelebten und belebten, zu ergründen. Ich glaube, dass in
    einer aufgeklärten Gesellschaft dieses Recht zu wissen, the right to know, kaum ernstlich
    bestritten wird, und ich glaube auch, dass Tierversuche, die für das universelle Wissen
    einen bedeutenden Gewinn versprechen, als vertretbar anerkannt werden, ganz unabhängig
    davon, ob jemand einen mittelbaren oder unmittelbaren Nutzen erreichen wird.“

                                                                                              Gerhard Zbinden,
                                                               Schweizer Mediziner und Toxikologe (1924 –1993)

    Der Mensch trägt Verantwortung für das Tier als Mitgeschöpf.
    In der Bundesrepublik Deutschland ist jeder Bürger, der mit Tieren umgeht, nach dem Tierschutzgesetz
    verpflichtet, deren Leben und Wohlbefinden zu schützen. Er darf ihnen nicht ohne vernünftigen Grund
    Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.
    Der Umgang mit Versuchstieren ist ethisch nur vertretbar, wenn nach diesem Grundsatz gehandelt
    wird. Insbesondere müssen die Zahl der Tierversuche und die Belastung der Tiere auf das unerlässliche
    Maß beschränkt werden. Auf politischer Ebene können durch weitere Harmonisierung internationaler
    Regelungen, die gegenseitige Anerkennung von Prüfvorschriften und andere Bemühungen Hunderttau-
    sende von Tierversuchen überflüssig werden. Zuverlässige wie leistungsfähige Ersatz- und Ergänzungs-
    methoden bilden – neben rechtlich klar geregelten, unabhängigen Prüf- und Genehmigungsverfahren
    für Tierversuche – die entscheidende Voraussetzung zur weiteren Verringerung des Einsatzes von Ver-
    suchstieren.
    Die Bundesrepublik Deutschland unternimmt dazu seit Jahren beträchtliche Anstrengungen auf natio-
    naler und internationaler Ebene. Mit verschiedenen Programmen fördern Bund, Länder, private Stiftun-
    gen und Initiativen die Entwicklung von Alternativen zu Tierversuchen.
    Allein das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat seit 1980 entsprechende For-
    schungsvorhaben mit Geldern in dreistelliger Millionenhöhe unterstützt. Der Förderschwerpunkt
    „Ersatzmethoden zum Tierversuch“ ist hinsichtlich seines finanziellen Umfangs und der Dauer welt-
    weit einzigartig.
    In den vergangenen Jahren konnten zahlreiche Ergebnisse von Projekten in Zusammenarbeit zwischen
    öffentlichen Forschungseinrichtungen, der Industrie und den Zulassungsbehörden umgesetzt werden.
    Das führte in den letzten zehn Jahren in Deutschland zur Reduzierung der Zahl der jährlich benötigten
    Versuchstiere um rund eine Million. Dazu beigetragen haben unter anderem zehn vom BMBF geförderte
    Projekte, die im Mittelpunkt dieser Broschüre stehen.
    In absehbarer Zeit werden jedoch nicht alle Versuche am Tier vollständig ersetzt werden können.
    Deswegen müssen die Anstrengungen mit aller Kraft fortgesetzt werden, Test- und Untersuchungsme-
    thoden an nicht-schmerzfähigen Systemen beziehungsweise weniger belastende Verfahren anstelle
    von bisher verwendeten Tierversuchen zu erforschen, abzusichern und in eine möglichst breite Anwen-
    dung zu überführen. Das BMBF wird solche Aktivitäten auch künftig im Rahmen des Biotechnologie-
    Programms fördern.
    Anliegen dieser Broschüre ist es, einen Einblick in das Gebiet der Ersatz- und Ergänzungsmethoden für
    Tierversuche zu geben. Sie will die komplizierte Materie, die sich dahinter verbirgt, interessierten Laien
    ebenso nahe bringen wie Tierschützern, Studenten sowie Fachleuten, die sich erstmals der Thematik
    zuwenden. Die herausgebenden Ministerien wollen so einen weiteren sachlichen Beitrag zu der ver-
    ständlicherweise oft emotionsgeladenen Debatte über Tierversuche leisten. Nicht zuletzt sollen noch
    mehr Wissenschaftler und Produzenten angeregt werden, sich auf diesem Gebiet zu engagieren.

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Hightech statt Tiere Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen Grundlagen - Ergebnisse - Perspektiven
1
Mensch und Tier
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1.1 Eine konfliktreiche Partner-                      Lernvermögens und ihres Verhaltens. Aber auch
                 schaft im Wandel der Zeit                             ihre Schmerzempfindungs- und Leidensfähigkeit
                                                                       wurde genauer erkannt.
                 Seit Jahrtausenden nutzt der Mensch Tiere und             Durch Industrialisierung und Verstädterung
                 ihre artspezifischen Leistungen. Auf der Jagd er-     verloren viele Menschen den engen Kontakt zu
                 beutetes Wild diente ihm zunächst als Nahrungs-       ihrer natürlichen Umwelt. Wachsende Einsicht in
                 und Rohstoffquelle. Nach der Domestikation sind       ökologische Zusammenhänge förderte aber bald
                 Tiere zu unentbehrlichen Helfern, oft sogar zu        das Bewusstsein um die Verletzlichkeit und
                 „Sklaven“ geworden. Sie schleppen Lasten, ziehen      Gefährdung der Natur. Immer mehr Menschen
                 Wagen und Gerät, bewachen Haus und Hof oder           sehen heute in den Wild- und Haustieren Mitge-
                 bekämpfen Schädlinge. Zwischen Mensch und Tier        schöpfe, deren Leben und Wohlbefinden schüt-
                 entwickelten sich aber auch emotionale Bindun-        zenswert ist. Dieser Wandel kommt besonders
                 gen. Heute sind Millionen Hunde, Katzen und ande-     deutlich in der Entstehung der Tierschutzbewe-
                 re Tiere gute Freunde und treue Gefährten des         gung zum Ausdruck. Derzeit gibt es allein in
                 Menschen.                                             Deutschland über 600 Tierschutzvereine mit über
                     Mit der Entwicklung der experimentellen Wis-      zwei Millionen organisierten Tier- und Arten-
                 senschaften wurden viele Tiere zu Versuchsobjek-      schützern.1 Ihr Engagement gilt auch der Reduzie-
                 ten. Seitdem stehen sie auch im Dienst der            rung von Tierversuchen.
                 Gesundheit des Menschen: Tierversuche liefern             Durch die Einbeziehung von Tierschutzorganisa-
                 Informationen über die Wirksamkeit und Verträg-       tionen in die Genehmigungsverfahren solcher Ver-
                 lichkeit von Arzneimitteln, die Giftigkeit von Che-   suche und die politisch gewollte Entwicklung von
                 mikalien, die Gefahren neuer Operationsmethoden       wissenschaftlichen Alternativen ist es in Deutsch-
                 oder die Unbedenklichkeit von Abwässern und           land gelungen, einen konstruktiven Dialog der ver-
                 Abfallstoffen.                                        schiedenen Interessengruppen zu fördern. Radikale
                     Gleichzeitig erweiterte die Grundlagenforschung   Tierbefreiungen und Gewaltandrohungen gegen
                 das Wissen über die Tiere und offenbarte die          Forschungsinstitute, einzelne Forscher und deren
                 bewundernswerten Leistungen ihrer Sinne, ihres        Familien sind Einzelfälle.

Enge Bindung
    zwischen
 Mensch und
         Tier.

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Minischweine wur-
                                                                                                                        den u. a. extra für
                                                                                                                        die Forschung
                                                                                                                        gezüchtet, da sie
                                                                                                                        weniger Platz und
                                                                                                                        Futter beanspru-
                                                                                                                        chen als normale
                                                                                                                        Artgenossen.
                                                                                                                        Wegen der großen
                                                                                                                        Ähnlichkeit ihres
                                                                                                                        Immun-, Herzkreis-
                                                                                                                        lauf- und anderer
                                                                                                                        Systeme mit denen
                                                                                                                        des Menschen wer-
                                                                                                                        den Schweine noch
                                                                                                                        verhältnismäßig
                                                                                                                        häufig als Ver-
                                                                                                                        suchstiere einge-
                                                                                                                        setzt.

1.2 Das Streben nach Erkenntnis                                     Mit Ersatzversuchen außerhalb des Tierorga-
und der Tierversuch                                             nismus in so genannten In-vitro-Systemen („Rea-
                                                                genzglas-Versuchen“) lassen sich die von den
In der Grundlagenforschung und Ausbildung wer-                  Genen gesteuerten, hochkomplizierten biochemi-
den zahlreiche Experimente an Tieren durchgeführt.              schen Wechselwirkungen Abertausender Eiweiße,
Sie dienen dem reinen Erkenntnisgewinn über die                 Hormone, Botenstoffe und anderer Substanzen in
komplexen Abläufe und Wechselwirkungen der ver-                 einem lebenden Organismus nicht immer genü-
schiedensten Lebensprozesse wie der Stoffwech-                  gend genau abbilden. Selbst ausgeklügelte Com-
selregulation oder der Entstehung von Krebs. Da                 putersimulationen können selten die enorme
die Lebewesen und ihre Leistungen unmittelbarer                 Komplexität der Organisation eines Organismus
Gegenstand der biologischen und medizinischen                   mit seinen diversen physiologischen Regelkrei-
Wissenschaften sind, wird voraussichtlich nicht                 sen und -netzen ausreichend simulieren.
vollständig auf derartige Experimente in der Grund-                 Angesichts des nach wie vor beträchtlichen
lagenforschung verzichtet werden können.                        „Verbrauchs“ von Tieren sind viele Bürger be-
    Gesetzlich verordnete Einschränkungen würden                sorgt, dass der Mensch sich der Tiere einfach nur
den Wissenszuwachs wesentlich beeinträchtigen,                  „bedient“. Sie befürchten, dass er dabei seine
der für die Bekämpfung von Infektionskrankhei-                  Menschlichkeit in Frage stellt, die sich in der
ten, die Sicherung der Welternährung, die Umwelt-               Gabe zur umsichtigen Reflexion des Handelns und
fürsorge und andere Zukunftsaufgaben unverzicht-                insbesondere zum Mitgefühl mit der leidenden
bar ist. Damit besteht ein Zielkonflikt zwischen                Kreatur widerspiegelt. Die vielfach geäußerte Kri-
dem Streben des Menschen nach Erkenntnis, der                   tik an Tierversuchen fordert die Wissenschaft zu
Freiheit der Forschung und dem Schutz des Tieres.               Recht heraus, sich ihrer besonderen ethischen
Diesen grundsätzlichen ethischen Konflikt, den die              Verantwortung zu stellen und ihr Tun jederzeit kri-
gesellschaftliche Entwicklung der Wissenschaft                  tisch zu überprüfen. Die Forscher sind aufgefor-
bescherte, hat sie bis zum heutigen Tage durch die              dert, die Notwendigkeit von Tierversuchen nicht
Entwicklung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden                  als gegeben hinzunehmen und weiterhin nach
für Tierversuche nur teilweise lösen können.                    geeigneten Alternativen zu suchen.

1   Tierschutzbericht 1999 des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, nachzulesen im
    Internet unter http://www.bmvel.de/tierschutz

                                                                                                                                     9
Hightech statt Tiere Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen Grundlagen - Ergebnisse - Perspektiven
Tierschützer demons-
  trieren gegen Miss-
 brauch von Tieren –
  hier gegen Massen-
      tierhaltung. Die
 „Stiftung zur Förde-
        rung der Erfor-
   schung von Ersatz-
     und Ergänzungs-
   methoden zur Ein-
      schränkung von
Tierversuchen“ (SET)
     beweist, dass auf
 dem Gebiet der Tier-
   versuche eine kon-
struktive und erfolg-
   reiche Zusammen-
      arbeit zwischen
Forschung, Industrie
 und Tierschutzorga-
  nisationen möglich
      ist. Vertreter der
       Organisationen
   haben auch erheb-
    liche Mitsprache-
         rechte bei der
   Genehmigung von
        Tierversuchen.

                           1.3 Ersatz- und Ergänzungs-                            und Durchführung wesentlich unterscheiden. Fach-
                           methoden – ständige                                    wissenschaftler müssen in einem mühsamen
                           Herausforderung an die                                 mehrstufigen Prozess in jedem Einzelfall prüfen,
                           Wissenschaft                                           ob sich eine Idee als Ersatz eines speziellen Tier-
                                                                                  versuchs eignet.
                           In dem Bemühen, Tierversuche auf das unerläss-             Vor diesem Hintergrund fördert das Bundesmi-
                           liche Maß zu reduzieren, kommt den so genannten        nisterium für Bildung und Forschung (BMBF) bereits
                           Ersatz- und Ergänzungsmethoden eine besondere          seit zwei Jahrzehnten die Entwicklung von Ersatz-
                           Bedeutung zu. Ziel ist es, Tests an nicht-schmerz-     und Ergänzungsmethoden. Dadurch war es mög-
                           fähiger Materie zu entwickeln, die dem Tierver-        lich, diverse Tierversuche zu ersetzen und einen
                           such gleichwertige und verlässliche Informationen      effektiven Beitrag zur Reduzierung des Tierver-
                           liefern. Das erfordert viel Zeit, Geld und Geduld,     brauchs in Deutschland zu leisten.
                           da es keine allgemein gültigen Konzepte für die            Daneben bilden zahlreiche administrative und
                           Entwicklung solcher Methoden gibt. Sie können          juristische Maßnahmen sowie die internationale
                           daher auch nicht einfach auf Anordnung von             Zusammenarbeit zur europäischen und weltwei-
                           Behörden realisiert werden.                            ten Harmonisierung der Tierversuchs-Vorschriften
                               Vielmehr gibt es in der Praxis eine große Viel-    ein effektives Mittel zur Verringerung der Versuchs-
                           falt an Tierversuchen, die sich in ihrer Zielsetzung   tier-Zahlen.

    10
2
Häufig gestellte
Fragen zu Tierversuchen
Können aus Tierversuchen wissenschaftlich            einzelnen Zellen, Zellbestandteilen oder einfa-
     gesicherte, reproduzierbare Rückschlüsse             chen Geweben untersucht werden. Das funktio-
     auf den Menschen gezogen werden, insbe-              nelle Zusammenwirken verschiedener Zellen und
     sondere auch auf die Langzeitwirkung einer           Gewebearten sowie der unterschiedlichen Orga-
     medizinischen Behandlung?                            ne des Körpers kann durch Ersatz- und Ergän-
                                                          zungsmethoden bislang nicht erfasst werden.
     Ja. Der rasante Fortschritt der Arzneimittelfor-     Außerdem lassen diese Methoden, wie schon
     schung, Umweltmedizin, Strahlenbiologie, experi-     erwähnt, noch keine Aussagen über Langzeitwir-
     mentellen Chirurgie und weiterer Gebiete der Bio-    kungen zu.
     medizin sowie der Grundlagenforschung im ver-            Aus diesen Gründen sind aus heutiger Sicht
     gangenen Jahrhundert beruht weitgehend auf           auch künftig in vielen Bereichen Tierversuche un-
     Erkenntnissen aus Experimenten mit Tieren. In-       verzichtbar. Die Zahl der Versuchstiere ist aber in
     vitro-Untersuchungen an tierischen und menschli-     den letzten Jahren durch die erfolgreiche Entwick-
     chen Zellen sowie Geweben können bereits             lung, Validierung und Durchsetzung von Alter-
     verschiedene Tierversuche ersetzen. Das gilt vor     nativmethoden bereits beträchtlich zurückge-
     allem für kurzzeitige Effekte. Rückschlüsse auf      gangen.
     die Langzeitwirkungen von Arzneimitteln oder
     operativer Eingriffe lassen die tierversuchsfreien   Seit Ende der 90er Jahre steigt der Bedarf an
     Methoden bisher noch nicht zu.                       Versuchstieren wieder leicht an, weil neue
                                                          „Tiermodelle“ in Form genetisch veränder-
     In welchen Bereichen können Ersatzmetho-             ter Tiere entwickelt werden. Stehen diese
     den heute schon angewendet werden?                   Entwicklungen nicht im Widerspruch zum
                                                          Bemühen der Wissenschaft, Tierversuche zu
     Die größten Bemühungen waren und sind darauf         ersetzen?
     gerichtet, zuerst solche Versuche abzuschaffen,
     die mit hohen Belastungen für die Tiere verbunden    Besonders in der Grundlagenforschung ist der Be-
     sind. Das betrifft zum Beispiel Tests auf Hautät-    darf an Versuchstieren aufgrund neuer Forschungs-
     zung oder Schleimhautreizung. Zunehmend setzt        ansätze mit genetisch künstlich veränderten (trans-
     man beispielsweise auch Bioreaktoren ein, um         genen) Tieren gestiegen, während in anderen
     etwa monoklonale Antikörper für die Diagnostik       Bereichen durchaus weitere Einsparungen realisiert
     außerhalb eines Tierorganismus zu produzieren. In    wurden. Dies sind Auswirkungen der dynami-
     vielen Laboratorien wird künstlicher Hautersatz      schen Entwicklung der modernen Gentechnologie,
     und anderes Gewebe gezüchtet, an dem sich die        Molekularbiologie sowie Biotechnologie. Fort-
     Wirkung schädlicher Substanzen prüfen lässt. Und     schritte der letzten Jahre wie die Entschlüsselung
     im Bereich des Umweltschutzes dienen immer           des menschlichen Genoms weisen nicht nur den
     mehr niedere Organismen wie Wasserflöhe, Algen       Weg zur Entwicklung völlig neuer, hochwirksamer
     oder Fischeier als Indikatoren für Umweltgefah-      Arzneimittel. Sie nähren auch die Hoffnung, zahl-
     ren. Allein vom Bundesministerium für Bildung        reiche der 3.000 bis 4.000 genetisch bedingten
     und Forschung (BMBF) wurden und werden in            Krankheiten heilen zu können. Wichtige Beiträge
     mehr als 230 Projekten zahlreiche Alternativme-      dazu erwarten die Molekularbiologen und -medi-
     thoden zu Tierversuchen gefördert. Sie decken sehr   ziner aber gerade von experimentellen Tiermodel-
     viele Einsatzbereiche ab.                            len, denn sie erlauben erstmalig die In-vivo-Unter-
                                                          suchung zur Regulation und biologischen Funktion
     Wo liegen zurzeit die Grenzen für Ersatz-            einzelner Gene.
     methoden? Wird in Zukunft die vollständige               Andererseits werden Versuche mit transgenen
     Abschaffung von Tierversuchen möglich sein?          Tieren wiederum dazu beitragen, diese selbst
                                                          irgendwann durch Alternativmethoden zu erset-
     Die Ersatzmethoden erlauben vorwiegend die           zen, denn Ersatz- und Ergänzungsmethoden wer-
     Analyse von einzelnen oder wenigen biologischen      den letztlich auch durch Fortschritte in der Grund-
     Vorgängen. Damit kann bisher nur die Wirkung an      lagenforschung erst ermöglicht.

12
Mäuse gehören
                                                                                                           zu den am meis-
                                                                                                           ten verwendeten
                                                                                                           Versuchstieren.

Zwingt die wissenschaftliche Forderung nach           Kampfhunden oder die Züchtung von bestimmten
Standardisierbarkeit und Ausschaltung mög-            so genannten Rassekatzen oder -hunden. Auch
licher Störgrößen zu nicht artgerechten Hal-          der rücksichtslose Umgang mit Tieren bei Vieh-
tungsbedingungen?                                     transporten quer durch Europa und in schlechten
                                                      Tierhaltungen hat nichts mit Tierversuchen zu tun,
Ja und nein. In der Verhaltensforschung muss na-      sondern seine Ursache im Streben nach Maxi-
turgemäß großer Wert auf eine artgerechte Hal-        malprofit und der Forderung der Verbraucher nach
tung der Tiere gelegt werden. Wenn jedoch die         Minimalpreisen. Im Gegenteil: Höchst umstrittene
Hautverträglichkeit einer Substanz geprüft werden     Tierversuche selbst, etwa der berühmt-berüchtig-
soll, steht die artgerechte Haltung unter Umständen   te Draize-Test, haben die starke Bewegung der
den wissenschaftlichen Frage- und Zielstellungen      Tierversuchsgegner auf den Plan gerufen. Man
entgegen, die der Versuch verfolgt. Dort wieder-      darf annehmen, dass Tierversuche weniger den
um, wo Tiere zur Produktion – beispielsweise von      respektlosen Umgang mit Lebewesen in der
Antikörpern – eingesetzt werden, wird man auf         Gesellschaft beförderten, als eher eine Lobby für
solche Tiere Wert legen, die in guter Verfassung      Versuchstiere hervorgebracht haben.
sind. An der Charité der Berliner Humboldt-Uni-
versität wurden zum Beispiel für diesen Zweck         Können Zuwiderhandlungen gegen Tierschutz-
besondere Käfige entwickelt, die vom Schweizer        bestimmungen in der Forschung in effektiver
Bundesamt für Veterinärwesen als für eine artge-      Weise strafrechtlich verfolgt werden?
rechte Haltung geeignet eingestuft wurden.
                                                      Grundsätzlich können Verstöße und Vergehen gegen
Tragen mit Tierleid verbundene Versuche zu            die Tierversuchsvorschriften von den zuständigen
Einstellungen und Verhaltensweisen in der             Behörden nach § 18 des Tierschutzgesetzes mit
Gesellschaft bei, die den schonungs- und              Bußgeldern bzw. von den Gerichten nach § 17 des
respektlosen Umgang mit Lebewesen gut-                Tierschutzgesetzes mit Strafen geahndet werden.
heißen?                                               Durch das bei Tierversuchen vorgeschriebene stren-
                                                      ge Genehmigungsverfahren wird die Einhaltung
Es gab und gibt immer Menschen, die Tieren kei-       der tierschutzrechtlichen Anforderungen sicher-
nerlei Respekt zollten und zollen. Man denke an       gestellt. Hohen Anteil daran haben unabhängige
Stier- und Hahnenkämpfe, Veranstaltungen mit          Tierschutzbeauftragte in den Versuchseinrichtungen

                                                                                                                      13
In der Abteilung für Versuchstierkunde der Tierärztlichen Hochschule Oslo. Hier werden unter anderem „Intelligenztests“ an
     Albinoratten durchgeführt, die den Tieren offensichtlich Vergnügen bereiten: Die Boxen enthalten Schalter, die in verschiedenen
     Farben aufleuchten und auf die die Ratten drücken können. Wenn sie den richtigen Knopf betätigen, werden sie belohnt. Sie
     werden jedoch nicht bestraft, wenn ihre Antwort nicht korrekt ist! In dem Norwegischen Referenzzentrum für Versuchs-
     tierkunde und Alternativmethoden werden alle Tiere artgerecht gehalten und Versuche streng nach dem 3R-Konzept durchge-
     führt.

     sowie Kommissionen, die aus ethischer und wissen-                 Ist die staatliche Förderung von Ersatzmetho-
     schaftlicher Sicht zu den Vorhaben Stellung nehmen.               den angesichts der vielfach höheren Anstren-
                                                                       gungen im Rahmen der biomedizinischen For-
     Warum werden Alternativmethoden so stren-                         schung angemessen?
     gen Prüfungen, Ringstudien, Zulassungsvor-
     schriften usw. ausgesetzt? Tierversuche müs-                      Der finanzielle Rahmen der Ersatzmethodenfor-
     sen doch auch nicht validiert werden.                             schung in Deutschland hat sich in den vergange-
                                                                       nen Jahren als ausreichend erwiesen. Das gilt
     In der Forschung neu entwickelte tierversuchsfreie                insbesondere für den vom Finanzvolumen her um-
     Methoden müssen streng geprüft und experimen-                     fangreichsten Förderschwerpunkt „Ersatzmetho-
     tell abgesichert (validiert) werden, um zu erreichen,             den zum Tierversuch“ des Bundesministeriums
     dass ihre Anwendung mit keinem Verlust an den                     für Bildung und Forschung. Alle Projektvorschlä-
     bestehenden Sicherheitsstandards bei der Prüfung                  ge, die durch ein unabhängiges Gutachtervotum
     zum Beispiel von Arzneimitteln einhergeht und                     positiv bewertet und dem BMBF zur Förderung
     damit die Voraussetzungen zur Akzeptanz und                       empfohlen wurden, konnten bislang in angemes-
     Anerkennung der jeweiligen Methode vorliegen.                     sener Weise gefördert werden. Wissenschaftlich
     Sie sollen vor allem auch weltweit von interna-                   fundierte Ansätze für neue Alternativmethoden
     tionalen Institutionen anerkannt werden, die die                  sind bislang nicht an der Frage des Geldes ge-
     gesetzlichen Prüfanforderungen maßgeblich be-                     scheitert.
     einflussen. Hierbei treten einzelstaatliche Prüf-                 Weitere Erfolge auf diesem Gebiet lassen sich
     vorschriften zunehmend in den Hintergrund. So-                    nicht durch bloße Bereitstellung weiterer finanzi-
     wohl im Bereich des Chemikalienrechts als auch                    eller Mittel „erzwingen“. Limitierende Faktoren
     des Arzneimittelrechts konnten in den vergan-                     sind die Zahl erfolgversprechender methodischer
     genen Jahren erfreuliche Fortschritte bei der Vali-               Ansätze sowie die Zahl der mit Ersatzmethoden
     dierung und Anerkennung von Ersatz- und Ergän-                    befassten Wissenschaftler.
     zungsmethoden erzielt werden.

14
3
Tierversuche in der Praxis
3.1 Was ist ein Tierversuch?                               Die umfangreichen Bemühungen, die Fülle von
                                                            Regularien zu vereinheitlichen, stellt bereits eine
     Definitionen und Regelungen im                         erste, äußerst wirksame Maßnahme zur Vermin-
     Interesse der Kreatur                                  derung von Tierversuchen dar. Durch diese Har-
                                                            monisierung werden unzählige verschiedene natio-
     Tierversuch ist nicht gleich Tierversuch. Wenn ein     nale Vorschriften durch eine geringere Zahl von
     Hundebesitzer ausprobiert, ob sein Tier schwim-        Bestimmungen ersetzt, die europa- oder sogar
     men kann, so führt er keinen Tierversuch im juris-     weltweit gelten und von den Ländern gegenseitig
     tischen Sinne durch. Wollen Wissenschaftler            anerkannt werden. Allein dadurch sinkt die Zahl
     erforschen, ob eine Substanz X die Gene beein-         von Tierversuchen, oft in beträchtlichem Maße.
     flusst, so ist das ein Tierversuch, und er ist sogar       Was aber ist nun ein Tierversuch? In § 7 des
     dann prinzipiell erlaubt, wenn das Geschöpf dar-       Tierschutzgesetzes heißt es dazu: „Tierversuche
     unter leidet.                                          im Sinne des Gesetzes sind Eingriffe oder Behand-
         Was ein Tierversuch ist und wann er durchge-       lungen zu Versuchszwecken erstens an Tieren,
     führt werden darf, bestimmen zahlreiche Vorschrif-     wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für
     ten, Verordnungen und Regeln auf nationaler und        diese Tiere oder zweitens am Erbgut von Tieren,
     internationaler Ebene. Sie dienen vor allem einem      wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für
     Ziel: die Interessen von Mensch und Tier in Ein-       die erbgutveränderten Tiere oder deren Trägertie-
     klang zu bringen.                                      re verbunden sein können.“
         Das bedeutet zum Beispiel, dass für die Erfor-         Das bedeutet, nur wenn ein Experiment mit
     schung einer bislang unheilbaren Krankheit Tiere       oder an einem Tier durchgeführt wird und mit
     eingesetzt werden dürfen. Dann aber unter Be-          Schmerzen oder Leiden verbunden ist, handelt es
     achtung höchst restriktiver Bedingungen, die vor       sich um einen Tierversuch im juristischen Sinne.
     allem den Sinn haben, die Würde des Tieres zu          Dass diese Definition ziemlich robust anmutet, ist
     wahren und seine Leiden – seinen so genannten          kein Zufall.
     Belastungsdruck – während und nach dem Ver-                Denn natürlich ist auch der oben genannte
     such so gering wie möglich zu halten. Nicht zuletzt    Test am Hund ein Tierversuch ebenso wie unter
     wird in Gesetzen und Richtlinien immer gefordert,      Umständen eine verhaltensbiologische Beobach-
     nach Alternativen zum Tierexperiment Ausschau          tung, die keinerlei Beeinträchtigung für das Tier
     zu halten.                                             mit sich bringt. Doch solche Experimente bedürfen

                             Möglichkeiten für Ersatz bzw. Reduzierung von Tierversuchen

         Bioreaktor                                                              ATC-Methode
         Produktion von Antikörpern für                                          (Acute-Toxic-Class)
         Zwecke in der Wissenschaft                                              Prüfung eines Stoffes auf
         und klinischen Anwendung                                                akute orale Toxizität.
         (z. B. Nachweismethoden, Dia-                                           Durch diese Methode wird
         gnostik, Therapie)                                                      die Zahl der für Versuche
                                                                                 benötigten Tiere im Vergleich
                                                                                 zum klassischen LD50-Test
                                                                                 stark reduziert

         Hühnerei-Test                                                           Computersimulations-
         (HET-CAM-Test)                                                          berechnungen
         Einstufung starker reizender                                            Verhalten von Substanzen im
         und ätzender Wirkungen von          Antikörperbindungstest              Körper
         Chemikalien auf die Schleim-        zum Beispiel Prüfung von
         haut                                Tollwutimpfstoffen

16
Aus dem Tierschutzgesetz

                                                                 Tierversuche
                                                                 §7
                                                                 (1) Tierversuche im Sinne dieses Gesetzes sind Eingriffe oder
                                                                     Behandlungen zu Versuchszwecken
                                                                     1. an Tieren, wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schä-
                                                                        den für diese Tiere oder
                                                                     2. am Erbgut von Tieren, wenn sie mit Schmerzen, Leiden
                                                                        oder Schäden für die erbgutveränderten Tiere oder
                                                                        deren Trägertiere verbunden sein können.
                                                                 (2) Tierversuche dürfen nur durchgeführt werden, soweit sie
                                                                     zu einem der folgenden Zwecke unerlässlich sind:
Viele Tiere werden in der Verhaltensforschung eingesetzt. Sol-
che Experimente sind hinsichtlich der Belastung der Tiere am
                                                                     1. Vorbeugen, Erkennen oder Behandeln von Krankheiten,
unproblematischsten. Schon im Interesse ihrer Versuche müs-             Leiden, Körperschäden oder körperlichen Beschwerden
sen Forscher und Laboranten für eine artgerechte Haltung der
Tiere sorgen. Sie dürfen in keiner Weise beeinträchtigt sein
                                                                        oder Erkennen oder Beeinflussen physiologischer
und müssen sich völlig natürlich verhalten. Der Experimenta-            Zustände oder Funktionen bei Mensch oder Tier,
tor erkennt das an bestimmten Verhaltensmustern wie Kör-
perpflege, Spielverhalten oder Nahrungsaufnahme, die Wohl-
                                                                     2. Erkennen von Umweltgefährdungen,
befinden signalisieren.                                              3. Prüfung von Stoffen oder Produkten auf ihre Unbedenk-
                                                                        lichkeit für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder
keiner Vorschriften zum Schutz des Tieres und kei-                      auf ihre Wirksamkeit gegen tierische Schädlinge,
nerlei Vorgaben, wer wann unter welchen Aufla-                       4. Grundlagenforschung. Bei der Entscheidung, ob Tier-
gen den Versuch durchführen darf. Juristisch rele-                      versuche unerlässlich sind, ist insbesondere der jewei-
vant sind eben nur solche Experimente, die auf-                         lige Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis zugrunde
grund der Tatsache, dass sie Leiden für die Tiere                       zu legen und zu prüfen, ob der verfolgte Zweck nicht
mit sich bringen können, der Kontrolle von Gesetz                       durch andere Methoden oder Verfahren erreicht wer-
und Behörden bedürfen.                                                  den kann.
                                                                 (3) Versuche an Wirbeltieren dürfen nur durchgeführt weden,
Einen Einblick in das umfangreiche Vorschriften-                     wenn die zu erwartenden Schmerzen, Leiden oder Schä-
und Regelwerk gibt das Kapitel 7.1 im Anhang                         den der Versuchstiere im Hinblick auf den Versuchszweck
dieser Broschüre. Es vermittelt einen Eindruck                       ethisch vertretbar sind. Versuche an Wirbeltieren, die zu
davon, dass es in der heutigen Zeit keineswegs                       länger anhaltenden oder sich wiederholenden erheblichen
einfach ist, einen Tierversuch durchzuführen oder                    Schmerzen oder Leiden führen, dürfen nur durchgeführt
genehmigt zu bekommen.                                               werden, wenn die angestrebten Ergebnisse vermuten las-
                                                                     sen, dass sie für wesentliche Bedürfnisse von Mensch
                                                                     oder Tier einschließlich der Lösung wissenschaftlicher
Nicht jeder darf beliebig testen                                     Probleme von hervorragender Bedeutung sein werden.

Eine strenge Meldepflicht und amtliche Datener-
fassung sorgen dafür, dass nicht jeder Versuche                      Versuchstiere nach Arten, Bundesrepublik Deutschland, 1999
durchführen darf. Nur Tierärzte, Ärzte oder Zoo-
                                                                      Kaninchen                                   Sonstige
logen erhalten eine Erlaubnis für Tierversuche.                            3,2%                                   3,3 %
Tierschutzbeauftragte müssen den Versuch über-                             Vögel                                  Meerschweinchen
                                                                            5,8 %                                 5,8%
wachen, es dürfen nur noch aus behördlich über-
wachten Zuchteinrichtungen stammende Wirbel-                              Fische
                                                                          10,9 %
tiere verwendet werden, und Tierschutzverbände                                                                    Mäuse
                                                                                                                  48,8 %
haben erhebliche Mitspracherechte bei den Geneh-
                                                                          Ratten
migungsverfahren.                                                         25,3 %
    Auf gesetzlicher Ebene wurde in den letzten
                                                                  Quelle: BMVEL
Jahren immer mehr versucht, eine Beschränkung

                                                                                                                             17
In einem For-
schungslabor unter-
 sucht ein Mitarbei-
 ter die Augen eines
    Hundes. Die Zahl
dieser Versuchstier-
   art konnte in den
  letzten Jahren ein-
 geschränkt werden
und bewegt sich auf
    relativ geringem
              Niveau.

                        von Tierversuchen auf das unerlässliche Maß zu            Die Zahlen veranschaulichen die Erfolge der
                        erreichen. So sind zwar für die Prüfung von vielen    Bemühungen der Gesetzgeber einerseits und der
                        Arzneimitteln Tests an Tieren gesetzliche Pflicht.    ständig nach Alternativen zu Tierexperimenten
                        Sie werden im Arzneibuch jedoch nur dann vorge-       suchenden Forschung andererseits. Dass diese
                        schrieben, wenn die Qualität des Arzneimittels        Suche auch künftig von großer Relevanz ist, zeigt
                        mit anderen Mitteln nicht angemessen kontrol-         der Bereich der Arzneimittel: Während hier die mit
                        liert werden kann. Das betrifft vor allem Blutzube-   Abstand größten Mengen an Tieren „eingespart“
                        reitungen, Sera und Impfstoffe.                       wurden, ist der Bedarf immer noch verhältnismä-
                                                                              ßig hoch.
                        Zahlen lassen hoffen                                      Gegen den Trend bewegt sich die biomedizini-
                                                                              sche Grundlagenforschung: Dort ist die absolute
                        Von 1991 bis 1997 hat sich die Zahl der verwen-       Zahl an Tierversuchen 1998 erstmals seit Beste-
                        deten Versuchstiere in Deutschland von jährlich       hen der amtlichen Versuchstiermeldeverordnung
                        2,4 Millionen auf knapp 1,5 Millionen, das heißt um   von 1989 in Deutschland wieder leicht angestiegen.
                        37,7 Prozent, reduziert. 1998 und 1999 stagnierte     1999 wurden in der Grundlagenforschung 52.124
                        sie auf diesem Niveau (siehe Grafiken).               mehr Versuchstiere (+ 13,5 Prozent) eingesetzt als
                            Allein im Bereich der Entwicklung und Prü-        im Vorjahr. Dabei verringerte sich der Anstieg
                        fung von Arzneimitteln ging der Bedarf an Ver-        gegenüber 1998 allerdings deutlich (von 1997 bis
                        suchstieren von jährlich rund 1,3 Millionen 1991      1998: + 22,6 Prozent). Der Anstieg betraf im
                        auf etwa 700.000 im Jahr 1997 zurück. 1998 ver-       Wesentlichen Mäuse und Fische. In der Grundla-
                        ringerte sich diese Zahl um weitere 30.000 und        genforschung werden mit 438.017 eingesetzten
                        1999 um ca. 43.000 Tiere. Damit setzte sich die       Tieren 28 Prozent aller Versuchstiere verwendet.
                        erfreuliche Tendenz in diesem mit etwa 40 Pro-            Für die Erforschung oder Erprobung von
                        zent aller verwendeten Tiere wichtigsten Bereich      Methoden zur Diagnostik, Prophylaxe oder The-
                        weiter fort.                                          rapie von Krankheiten wurden 1999 ebenfalls
                            Insgesamt liegt die Summe der Tiere, die 1999     mehr Versuchstiere eingesetzt (ca. 41.000 Tiere
                        für gesetzlich erforderliche Prüfungen zur An-        mehr, das entspricht einer Steigerung von rund
                        meldung oder Zulassung von Stoffen oder Produk-       15 Prozent).
                        ten benötigt wurden, um 40.000 Tiere deutlich             Ursache für die gestiegenen Versuchstierzah-
                        unter dem Vorjahreswert. Das entspricht einem         len in der Grundlagenforschung ist vor allem die
                        Rückgang von 8,2 Prozent.                             rasche Entwicklung der Genomforschung und Gen-

   18
technologie und deren Bedarf an transgenen Tie-
ren. Eine Beschränkung dieser Forschungen würde                                  Jährlicher Bedarf an Versuchstieren bei
                                                                                      verschiedenen Anwendungen
den medizinischen Fortschritt und die Aussichten
auf neue Therapieansätze für schwere Erbkrank-
                                                                                       Erforschung oder Erprobung von Methoden
heiten wie Mukoviszidose und Hämophilie, aber                                          zur Diagnostik, Prophylaxe oder Therapie
auch Krebs, Aids, Diabetes oder Bluthochdruck
massiv einschränken.
                                                          Entwicklung oder Prüfung
                                                          von Arzneimitteln nach § 2
                                                          des Arzneimittelgesetzes
3.2 Der lange Weg zur
Genehmigung                                                                                                                                                    1989
                                                                   Entwicklung oder Prüfung von Pflanzenschutzmitteln
                                                                   nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 des Pflanzenschutzmittelgesetzes                                      1990
                                                                                                                                                               1991
Unerlässlichkeit und ethische
                                                                                                                                                               1992
Vertretbarkeit                                                                                                                                                 1993
                                                                   Prüfung anderer Stoffe oder Produkte als
                                                                   Arzneimittel oder Pflanzenschutzmittel                                                      1994
Jeder Tierversuch bedarf der Genehmigung durch                                                                                                                 1995
die zuständige Behörde. Dazu muss der Antrag-                                                                                                                  1996
steller bei einem genehmigungspflichtigen Tier-                                                                                                                1997
                                                                            Prüfung zur Erkennung von
versuch im Gegensatz zum gesetzlich vorgeschrie-                            Umweltgefährdungen
                                                                                                                                                               1998
                                                                                                                                                               1999
benen Tierversuch wissenschaftlich begründen,
weshalb das Experiment unerlässlich und ethisch
                                                                                                                           Von 1.-5.: Gesetzlich erforderliche
vertretbar ist. Außerdem muss er erklären, warum                                                                           Prüfungen für die Anmeldung
der Versuch nicht durch andere Methoden oder                                                                               oder Zulassung von Stoffen oder
                                                                                                                           Produkten
Verfahren ersetzt werden kann.
    Tierversuche dürfen nicht zu jedem Zweck
durchgeführt werden. Wann sie erlaubt werden                                               Grundlagenforschung

können, ist im Deutschen Tierschutzgesetz (TSchG)
in Übereinstimmung mit der EU-Richtlinie 86/609/      0                   300.000               600.000            900.000                  1.200.000          1.500.000
EWG, die den Umgang mit Versuchstieren regelt,                                                        Zahl der Tiere
                                                      Quelle: BMVEL
gesetzlich genau definiert (siehe den Ausschnitt
§ 7 des Tierschutzgesetzes). Völlig verboten sind
in Deutschland Tierversuche zur Entwicklung oder
Erprobung von Waffen und grundsätzlich auch zur
Entwicklung von Tabakerzeugnissen, Waschmit-                  Bedarf an Versuchstieren in der Bundesrepublik Deutschland*
teln und Kosmetika.                                   3,00 Millionen

                                                              2.641.522                                                   * Wirbeltiere, die für Tierversuche im
                                                                       2.451.020                                          Sinne des § 7 des Tierschutzgesetzes
Ist der Versuch unerlässlich?                         2,50                      2.402,710
                                                                                                                          verwendet wurden; ab 03.10.1990
                                                                                                                          einschl. neue Bundesländer
                                                                                           2.082.588
Zur Begründung, dass ihr beabsichtigter Tierversuch                                                    1.924.221
                                                      2,00
unerlässlich ist, müssen die Experimentatoren den                                                              1.758.500
                                                                                                                        1.642.532         1.495.741         1.591,394
neuesten Stand der Erkenntnis berücksichtigen,                                                                                   1.509.619          1.532.572
                                                      1,50
wie er sich in der wissenschaftlichen Literatur
niederschlägt.
    Dabei ist eine Nachweisform vorgeschrieben,       1,00

die es den für die Genehmigung verantwortlichen
Behörden ermöglicht, eine inhaltliche Überprüfung     0,50

des genehmigungspflichtigen Tierversuchs vorzu-
nehmen. Für diese wissenschaftliche Bewertung             0
                                                                1989      1990      1991     1992       1993       1994      1995    1996    1997       1998   1999
sind selbstverständlich Fachkenntnisse erforder-
                                                      Quelle: BMVEL
lich.

                                                                                                                                                                19
CultureCassette
                                                                                  Gasdom

                                                                                                                   Medienpumpe

  Moderne
  Perfusions-
      Systeme wie
 diese „Tecnomouse“
     der Firma Integra
Biosciences ermögli-
    chen die Langzeit-
      kultivierung von
                                     Steuereinheit
Zellen außerhalb der
    Körper von Tieren
  oder Menschen. Sie
sind damit ein wich-
     tiges Handwerks-
  zeug der Forschung
  für Alternativen zu
        Tierversuchen.
                              Deswegen berufen die zuständigen Behörden      ethische Anschauungen aufeinander treffen. Die
    Das Herzstück der     unabhängige Tierschutzkommissionen ein, um sich    ethische Beurteilung von Tierversuchen ist eben-
  „Tecnomouse“ sind
die auswechselbaren
                          vor der Entscheidung von Tierversuchsgenehmigun-   falls ein wesentlicher Teil der Arbeit der beraten-
      CultureCassettes    gen beraten zu lassen. In den Kommissionen sind    den Tierschutzkommissionen.
    (Bild links) – auch
als kleine Bioreakto-
                          sowohl Vertreter der Wissenschaft als auch von         Eine Ausnahmeregelung gilt für die gesetzlich
   ren zu bezeichnen.     Tierschutzorganisationen anwesend. Nur in Aus-     vorgeschriebenen Tierversuche. Das sind solche
                          nahmefällen weichen die Behörden bei ihren Ent-    Versuche, die der Gesetzgeber zum Schutz des
                          scheidungen vom Vorschlag der beratenden Gre-      Menschen und der Umwelt vor schädlichen Stof-
                          mien ab.                                           fen und Produkten für unerlässlich erachtet. Sie
                                                                             bedürfen keiner Genehmigung, sind aber spätes-
                          Die ethische Vertretbarkeit                        tens zwei Wochen vor der Durchführung zu mel-
                                                                             den. Unerlässlichkeit und ethische Vertretbarkeit
                          Zur Rechtfertigung der ethischen Vertretbarkeit    müssen nicht begründet werden. Die Behörde
                          muss sorgfältig zwischen den zu erwartenden        prüft, ob die geplanten Versuche mit den gesetzli-
                          Schmerzen, Leiden oder Schäden der Versuchstie-    chen Bestimmungen in Einklang stehen.
                          re und den angestrebten Ergebnissen und ihrer
                          Bedeutung für wesentliche Bedürfnisse von Men-
                          schen und Tieren abgewogen werden.
                             Diese Abwägung beruht auf dem allgemeinen
                          gesellschaftlichen Konsens in der Bundesrepublik
                          Deutschland, nach dem der Mensch eine Mitver-
                          antwortung für die in seiner Obhut stehenden
                          Lebewesen trägt. Für die ethische Abwägung gibt
                          das Tierschutzgesetz keine festen Kriterien vor.
                                                                             Die Dokumentationen für die Lizenzierung eines Tierarznei-
                          Objektive Entscheidungen sind hier kaum möglich.   mittels werden immer umfangreicher. (Noch voluminöser sind
                          Problematisch wird es, wenn unterschiedliche       die betreffenden Unterlagen der Arzneimittel für Menschen.)

    20
4
Politische Massnahmen zur
Einschränkung von Tierversuchen

Neben der Entwicklung
neuer Ersatz- und
Ergänzungsmethoden
gibt es weitere Wege,
die Zahl der Tests an
Tieren zu reduzieren.
Über bedeutende
Möglichkeiten verfügen
Politik und Legislative.
4.1 Gestaltung der rechtlichen                                   ■ Internationale Konferenz über Harmonisierung
                           Rahmenbedingungen                                                ■ OECD-Richtlinien

                           Die Bundesregierung prüft entsprechend den Zie-                  Ein beachtliches Potenzial zur Einsparung von Ver-
                           len des Tierschutzgesetzes und auf der Grundlage                 suchstieren birgt die internationale Zusammenar-
                           neuester Erkenntnisse laufend alle einschlägigen                 beit zur gegenseitigen Anerkennung von Prüfver-
                           Rechtsvorschriften auf Möglichkeiten, Tierversu-                 fahren und Testergebnissen sowie die Harmonisie-
                           che durch Versuche an schmerzfreier Materie zu                   rung von Vorschriften. Die global führende Rolle
                           ersetzen. Falls dies nicht möglich ist, muss die                 spielt in diesem Zusammenhang die Organisation
                           Anzahl der Versuchstiere verringert oder deren                   für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
                           Belastung vermindert werden. Sie schlägt gege-                   lung OECD. Dank ihrer Prüfrichtlinien können ins-
                           benenfalls entsprechende Änderungen der ge-                      besondere auf dem Gebiet der regulatorischen
                           setzlichen Bestimmungen vor. Dies ist und bleibt                 Toxikologie (siehe auch Abschn. 5.1.6) und der
                           eine Daueraufgabe, die in Anbetracht des zuneh-                  Arzneimittelprüfungen, wo sehr viele Tierversu-
                           menden Umfangs an supranationalen Sicherheits-                   che vorgeschrieben sind, Mehrfachtests entspre-
                           bestimmungen zum Schutz des Menschen und der                     chend den jeweiligen nationalen Richtlinien ent-
                           Umwelt nicht leichter wird.1                                     fallen und Tiere eingespart werden. Insbesondere
                           Die wichtigsten einschlägigen Regelungen:                        orientiert sich auch die Europäische Gemeinschaft
                           ■ Tierschutzgesetz der Bundesrepublik Deutsch-                   bei Prüfnachweisen an den von der OECD festge-
                               land                                                         schriebenen Normen.
                           ■ Zweitanmelderregelung im Arzneimittelgesetz                        Die Zahl der dadurch weltweit verschonten
                           ■ Voranfragepflicht im Chemikaliengesetz                         Tiere kann allerdings nicht einmal geschätzt wer-
                           ■ Europäisches Übereinkommen zum Schutz der                      den. Ein Grund dafür ist, dass so „profane“ Ver-
                               für Versuche und andere wissenschaftliche Zwe-               suchstiere wie Mäuse und Ratten in den USA und
 Dieses Foto aus dem           cke verwendeten Wirbeltiere (Europarat)                      verschiedenen anderen Staaten gar nicht erst er-
   Jahre 1995 ging um
   die Welt – und irri-
                           ■ Richtlinie des Rates vom 24. November 1986                     fasst werden. Für Europa liegen inzwischen einige
     tierte sie. Denn es       zur Annäherung der Rechts- und Verwaltungs-                  Zahlen vor, die eine grobe Orientierung erlauben
  zeigt nicht – wie oft
   suggeriert wurde –
                               vorschriften der Mitgliedstaaten zum Schutz                  (siehe Grafik S.23).
eine genetisch mani-           der für Versuche und andere wissenschaftliche                    Eine nahezu zentrale Rolle spielt auf dem Kon-
 pulierte Maus. Viel-
 mehr wurde diesem
                               Zwecke verwendeten Tiere (86/609/EWG)                        tinent die erwähnte Richtlinie zur Annäherung der
     Tier ein nach den                                                                      Rechts- und Verwaltungsvorschriften 86/609/EWG.
Methoden des Tissue
       Engineering aus
                                                                                            Danach darf „ein Versuch nicht vorgenommen
         Knorpelzellen                                                                      werden, wenn zur Erreichung des angestrebten
   gezüchtetes Kunst-
  ohr auf den Rücken
                                                                                            Ergebnisses eine wissenschaftlich zufrieden stel-
         unter die Haut                                                                     lende, vertretbare und praktikable Alternative zur
 gepflanzt. So sollten
 Abstoßungsreaktio-
                                                                                            Verfügung steht, bei der kein Tier verwendet wer-
 nen untersucht wer-                                                                        den muss“ (Artikel 7 Abs. 2).
      den. Der Versuch
  trägt dazu bei, dem
                                                                                                Für Arzneimittel werden in der Richtlinie 65/65/
  Mangel an künstli-                                                                        EWG in der derzeit geltenden Fassung zusätzlich
    chen Organen u. a.
    mittels gentechni-
                                                                                            die Fälle beschrieben, in denen die Vorlagepflicht
   scher Methoden zu                                                                        pharmakologisch-toxikologischer Versuchsergeb-
   begegnen. In man-
  chen Bereichen der
                                                                                            nisse generell entfällt.
     biomedizinischen                                                                           Große Bemühungen gibt es darüber hinaus,
        Grundlagenfor-
      schung steigt der
                                                                                            Mehrfachversuche zu vermeiden. So hat Deutsch-
 Bedarf an Versuchs-                                                                        land analog zum Pflanzenschutz- und zum Che-
   tieren u. a. aus die-
           sem Grunde
                                                                                            mikaliengesetz eine Zweitanmelderregelung für
             wieder an.                                                                     Tierversuche vorgeschlagen, wenn Stoffe oder

                           1   Im Anhang (Kap. 7.1) wird die Gestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Interessenten ausführlicher erläutert.
                               Noch weiter gehende Informationen bietet der Deutsche Tierschutzbericht.

     22
Weniger Doppelversuche

                                                               (1) Um unnötige Doppelausführungen von Versuchen zur Einhal-
                                                               tung einzelstaatlicher oder gemeinschaftlicher Gesundheits-
                                                               und Sicherheitsvorschriften zu vermeiden, erkennen die Mit-
                                                               gliedstaaten die Gültigkeit der Ergebnisse von Versuchen, die
                                                               auf dem Gebiet eines anderen Mitgliedstaates durchgeführt
                                                               wurden, so weit wie möglich an, es sei denn, dass zusätzliche
                                                               Versuche zum Schutz der Volksgesundheit und öffentlichen
                                                               Sicherheit notwendig sind.
                                                               (2) Zu diesem Zweck informieren die Mitgliedstaaten – soweit
                                                               durchführbar und unbeschadet der Bestimmungen bestehender
                                                               Richtlinien der Gemeinschaft – die Kommission über ihre Rechts-
                                                               vorschriften und Verwaltungsverfahren Tierversuche betreffend
                                                               einschließlich der vor dem Inverkehrbringen von Produkten zu
                                                               erfüllenden Anforderungen. Sie übermitteln ihr ferner Sachaus-
                                                               künfte über auf ihrem Gebiet durchgeführte Versuche sowie über
                                                               Genehmigungen oder sonstige verwaltungstechnische Einzelhei-
                                                               ten im Zusammenhang mit diesen Versuchen.

                                                               (Aus Artikel 22 der Richtlinie des Rates vom 24. November 1986
Auf „86/609/EWG“ wird in fast allen EG-Richtlinien oder Vor-   zur Annäherung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mit-
schlägen zur Änderung bereits bestehender Richtlinien sowie
in vielen anderen Gesetzen, soweit sie Tierversuche vor-       gliedstaaten zum Schutz der für Versuche und andere wissen-
schreiben, Bezug genommen.                                     schaftliche Zwecke verwendeten Tiere, 86/609/EWG)

Verfahren zugelassen oder angemeldet werden
müssen.
     Das bedeutet unter anderem für denjenigen,                                                     Versuchstierbedarf in Europa
der einen Stoff anmelden will, sich zu erkundigen,
                                                                  Österreich*
ob dieser Stoff nicht schon anderswo angemeldet                                        204.825
                                                                                                                                                                                1999
                                                                    Belgien*                                                 1.515.867
ist. Wenn das der Fall ist, kann er auf die vom Erst-              Dänemark               304.370                                                                               1994
                                                                                           350.226
anmelder mitgeteilten Ergebnisse der Prüfungen                      Finnland*        110.659
oder Untersuchungen verweisen. Der Erstanmelder                    Frankreich                                                                       2.609.322
                                                                                                                                                                             3.645.708

                                                                                                                                               2.402.710
muss dazu jedoch seine schriftliche Zustimmung                   Deutschland                                                 1.509.619
                                                                             25.439
                                                                Griechenland 19.280
geben. Damit Mehrfachversuche mit Wirbeltieren
                                                                       Irland 25.199
                                                                               77.107
vermieden werden, sollen Erst- und Zweitanmelder                       Italien
                                                                                                     683.293
                                                                                                                 1.094.185                               * 1994 keine Angaben
alles unternehmen, um zu einer gemeinsamen                       Luxemburg* 1.003
Nutzung der Informationen zu kommen.                             Niederlande
                                                                                                          876.058
                                                                                                     652.300
                                                                                     87.117
     Dem nicht genug, gibt es seit dem 1. August                     Portugal        49.520
                                                                                                 558.823
                                                                     Spanien
1994 für diejenigen, die Tierversuche zur Vorbe-                                                506.837
                                                                  Schweden*               286.012
reitung einer Anmeldung durchführen wollen, eine               Großbritannien                                                                                    3.181.768
                                                                                                                                                     2.659.368
so genannte Voranfragepflicht.1 Sie geht auf eine
                                                                                 0            0,5          1,0          1,5              2,0   2,5         3,0        3,5           4,0
EU-weite Regelung zurück, wonach der Anmelder
                                                                                                            Zahl der Tiere in Millionen
bei der zuständigen Stelle nachfragen muss, ob                   Quelle: EU

ihr bereits verwertbare Prüfnachweise vorliegen.               In bislang zwei Reports (1994 und 1999) hat die EU-Kommission Zahlen zu Versuchs-
Wenn ja, wird alles unternommen, um die vorhan-                tieren herausgegeben. Im ersten Bericht liegen nicht von allen Ländern Daten vor,
                                                               u. a., weil sie erst später Mitglied der EU wurden. Auch weist die Kommission aus
denen Ergebnisse zu nutzen und weitere Tierver-                einer Reihe von Gründen auf die bedingte Aussagekraft der Daten hin. Die Grafik
suche zu vermeiden.                                            zeigt dennoch die großen Unterschiede in Europa. Während – wenn auch auf
                                                               hohem Niveau – in Frankreich, Deutschland und Großbritannien große Mengen an
                                                               Versuchstieren eingespart werden konnten, gibt es in manchen Ländern eine um-
1   nach § 20a Abs. 2 Satz 1 des Chemikaliengesetzes.          gekehrte Tendenz.

                                                                                                                                                                               23
4.2 Forschungspolitik und                                       che Projekte finanziert worden. Eine Liste der über
                          Förderung von Ersatzmethoden                                    230 geförderten Vorhaben befindet sich im Anhang.
                                                                                          Das BMBF hält nach wie vor an den Zielen des
                          Die Suche nach Alternativen für Experi-                         Förderschwerpunktes fest und wird auch künftig
                          mente an Tieren wird in Deutschland auf                         Mittel in ähnlicher Größenordnung bereitstellen.
                          vielfältige Weise gefördert. Dazu stellen                           Die geförderten Vorhaben umfassen ein breites
                          Bund, Länder, private Stiftungen und Initia-                    Spektrum moderner bio- und gentechnologischer
                          tiven erhebliche Mittel bereit. Die folgende                    Methoden. Von besonderer Bedeutung sind Zellkul-
                          Zusammenfassung gibt einen Überblick                            turtechniken, biochemische, immunologische, mole-
                          über die derzeitigen Aktivitäten und wirft                      kularbiologische und physiko-chemische Methoden
                          auch einen Blick auf das Ausland.                               sowie computergestützte biometrische Verfahren.
                                                                                              Das Ministerium fördert insbesondere For-
                          Ein weltweit einmaliges Programm                                schungsvorhaben im Sinne des sog. 3R-Konzeptes
                                                                                          (siehe Abschnitt 5.1), wobei stark belastende oder
                          Der BMBF-Förderschwerpunkt „Ersatzmethoden                      zahlenmäßig sehr umfangreiche Tierversuche im Vor-
                          zum Tierversuch“                                                dergrund stehen. Von großem Interesse ist derzeit die
                                                                                          internationalen Anforderungen genügende Validie-
                          Das Bundesministerium für Bildung und Forschung                 rung von Alternativen zu gesetzlich vorgeschriebenen
                          (BMBF) unterstützt bereits seit 1980 Forschungs-                Tierversuchen. In die Planung und Durchführung sol-
                          projekte, die der Reduktion und Schonung von                    cher Forschungsprojekte werden zweckmäßigerwei-
                          Versuchstieren dienen. Der BMBF-Schwerpunkt                     se zuständige nationale und internationale Behörden
                          „Ersatzmethoden zum Tierversuch“ ist in seiner                  in angemessener Form einbezogen.
                          Art weltweit einzigartig und stellt die finanziell                  An der Entwicklung neuer Ersatzmethoden wer-
                          umfangreichste sowie zeitlich längste Förderung                 den nach Möglichkeit die künftigen Nutzer – meist
                          auf diesem Gebiet dar. Innerhalb von 20 Jahren                  Industrieunternehmen – mit eigenen Aufwendun-
                          sind mit bislang rund 140 Millionen Mark zahlrei-               gen beteiligt. In der Regel entstehen so Verbund-
                                                                                          projekte zwischen mehreren Firmen und wissen-
      Spezialkäfige für                                                                   schaftlichen Einrichtungen. Dadurch sollen die
     Hühner, die nichts
mehr mit Batteriehal-                                                                     Chancen steigen, dass die mit Hilfe von Fördergel-
  tung gemein haben,                                                                      dern entwickelte Methode später auch tatsäch-
 kommen am Institut
    für Pharmakologie                                                                     lich angewendet wird.
   und Toxikologie der                                                                        Die Umsetzung des Programms – von der Bera-
     Humboldt-Univer-
  sität Berlin zum Ein-                                                                   tung und Antragsbearbeitung über die Vorberei-
    satz. Das Schweizer                                                                   tung der Förderentscheidung bis hin zur Begleitung
  Bundesamt für Vete-
 rinärwesen stufte sie                                                                    des Vorhabens – liegt in den Händen des Projektträ-
      denn auch als für                                                                   gers Biologie, Energie, Umwelt (BEO), Forschungs-
 eine artgerechte Hal-
     tung geeignet ein.                                                                   zentrum Jülich.
   Durch so genanntes
        Environmental
       Enrichment – die                                                                   Marketing für Alternativversuche
     Beschäftigung des
      Versuchstiers mit
   seinen arttypischen                                                                    Industrie und Tierschützer kooperieren unter
    Verhaltensweisen –
     werden in solchen                                                                    dem Dach der Stiftung SET
  Käfigen Verhaltens-
     störungen wie das
                                                                                          Im Jahre 1986 hat die Bundesregierung zusammen
Federrupfen vollstän-
         dig vermieden.                                                                   mit Verbänden der Industrie1 und der Tierschutzor-
                                                                                          ganisationen2 die „Stiftung zur Förderung der

                          1   Verband der Chemischen Industrie, Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller, Industrieverband Körperpflege- und
                              Waschmittel sowie Industrieverband Agrar
                          2   Deutscher Tierschutzbund, Bundesverband Tierschutz

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