Hightech statt Tiere Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen Grundlagen - Ergebnisse - Perspektiven
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Hightech statt Tiere Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen Grundlagen – Ergebnisse – Perspektiven BMBF PUBLIK
Impressum Fachliche Bearbeitung BMBF PUBLIK Dr. Wilfried Diekmann, Dr. Manfred Hansper, Herausgeber Dr. Claudia Ritter, René Rust Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Redaktion Referat Öffentlichkeitsarbeit Dr. Michael Ochel 53170 Bonn E-Mail: information@bmbf.bund.de Gestaltung Internet: http://www.bmbf.de BSMG Worldwide Deutschland, München Bundesministerium für Verbraucherschutz, Druckerei Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) Kölnische Verlagsdruckerei GmbH Referat Öffentlichkeitsarbeit Postfach Bildnachweis 53107 Bonn Adrian Smith, Abteilung für Versuchstierkunde der Tierärztli- Internet: http://www.bmvel.de chen Hochschule Oslo (S. 14), BackArts (S. 59), BSMG (Titel groß), BgVV (Titel klein u., S. 27, 31 o.l., 34, 49), dpa (S. 9, 10, 17, Bundesministerium für Gesundheit (BMG) 18, 22, 30, 31 u.r., 33, 36, 37, 41), Integra Biosciences GmbH Referat Öffentlichkeitsarbeit (S. 20 o., 56), Institut für Pharmakologie und Toxikologie, Charité Am Propsthof 78a der Humboldt-Universität zu Berlin (S. 55), KUCK-Medizin- 53121 Bonn Elektronik (S. 58), MEV (S. 7), Paul-Ehrlich-Institut (Titel klein o., Tel.: 0 18 88 / 4 41-10 62 S. 20 u., 32, 39, 40, 42, 44, 45, 48), PhotoDisc (S. 8, 11, 21 29, 61), Fax: 0 18 88 / 4 41-49 04 Schade/Glatte IPT (S. 24), TU-Dresden (S. 53), Universität Internet: http://www.bmgesundheit.de Konstanz, Biochemische Pharmakologie, EYEOFSCIENCE, Reutlingen (S. 32, 46), Universität Regensburg (S. 51, 52) Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) Stand Referat Öffentlichkeitsarbeit Januar 2001 11055 Berlin Redaktionsschluss November 2000 (noch vor der Neurege- Tel.: 0 18 88 / 3 05-0 lung der Zuständigkeiten des BMG und BML, inzwischen Fax : 0 18 88 / 3 05 20 44 BMVEL) Internet: http://www.bmu.de Gedruckt auf Recyclingpapier
Hightech statt Tiere Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen Grundlagen – Ergebnisse – Perspektiven
Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 MENSCH UND TIER 1.1 Eine konfliktreiche Partnerschaft im Wandel der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.2 Das Streben nach Erkenntnis und der Tierversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.3 Ersatz- und Ergänzungsmethoden – ständige Herausforderung an die Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Kapitel 2 HÄUFIG GESTELLTE FRAGEN ZU TIERVERSUCHEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Kapitel 3 TIERVERSUCHE IN DER PRAXIS 3.1 Was ist ein Tierversuch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Definitionen und Regelungen im Interesse der Kreatur Nicht jeder darf beliebig testen Zahlen lassen hoffen 3.2 Der lange Weg zur Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Unerlässlichkeit und ethische Vertretbarkeit Ist der Versuch unerlässlich? Die ethische Vertretbarkeit Kapitel 4 POLITISCHE MASSNAHMEN ZUR EINSCHRÄNKUNG VON TIERVERSUCHEN 4.1 Gestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 4.2 Forschungspolitik und Förderung von Ersatzmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Ein weltweit einmaliges Programm – BMBF Förderschwerpunkt „Ersatzmethoden zum Tierversuch“ Marketing für Alternativversuche – Industrie und Tierschützer kooperieren unter dem Dach der Stiftung SET Datenbank zum Wohl der Tiere – Dokumentation und Forschung bei ZEBET Bundesländer ziehen mit – Förderprogramme in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz Begehrte Auszeichnungen – Viele Institutionen verleihen Forschungspreise Ausschreibungen im EU-Amtsblatt – ECVAM koordiniert europäische Aktivitäten Förderung des Ansehens – Internationale Forschungspreise Kapitel 5 ERSATZ- UND ERGÄNZUNGSMETHODEN ZUM TIERVERSUCH 5.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Das 3R-Prinzip von Russel und Burch zur Reduktion von Tierversuchen Was sind Ersatz- und Ergänzungsmethoden? Worauf beruhen Ersatz- und Ergänzungsmethoden? Ersatz- und Ergänzungsmethoden aus wissenschaftlicher Sicht Von der Forschung in die Praxis Tierschutz bei gesetzlich vorgeschriebenen Versuchen
5.2 Zehn erfolgreiche Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Ohne Befund – Streichung des Tests auf anomale Toxizität für Impfstoffe Molekulare Spürhunde – Streichung des Tierversuchs zum Fremdvirenausschluss/ Qualitätskontrolle des Tollwut-Impfstoffs Infektion entfällt – Prüfung von Rotlauf-Impfstoffen Fieber im Reagenzglas – Ersatz des Pyrogentests an Kaninchen Zellschäden ohne Qualen – Ersatz für den Draize-Test am Kaninchenauge Mathematiker als Tierschützer – Akute Toxische Klassen-Methoden – Alternativen zu den obsoleten LD50-Tests Kunststoffkammer ersetzt Tierzahn – Tierversuchsfreie Bewertung zahnärztlicher Füllstoffe Kritische Embryonen – Ersatz für Abwasserprüfungen an lebenden Fischen Diagnose aus der Vogelperspektive – IgY-Technologie: Unblutige Produktion von polyklonalen Antikörpern mit Hühnereiern Der Mensch als sein eigenes Versuchstier – Myograph und Daumen ersetzen Froschschenkel Kapitel 6 AUSBLICK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Kapitel 7 ANHANG 7.1 Rechtliche Grundlagen zu Tierversuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Was sind Tierversuche? Wie erfolgt die Genehmigung und Überwachung von Tierversuchen? Gesetzlich vorgeschriebene Tierversuche Tierversuche in der Grundlagenforschung 7.2 Projekte des BMBF-Förderschwerpunkts „Ersatzmethoden zum Tierversuch“ . . . . . . . . . . . . . . . . 68 7.3 Informationsquellen „Alternativmethoden zu Tierversuchen“ im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 7.4 Ausschreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 7.5 Adressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 7.6 Quellenangaben zu den Zitaten (Positionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 7.7 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
„Was auf dem Spiel steht, ist das Recht zu wissen, das Recht des Menschen, die Geheim- nisse der ganzen Natur, der unbelebten und belebten, zu ergründen. Ich glaube, dass in einer aufgeklärten Gesellschaft dieses Recht zu wissen, the right to know, kaum ernstlich bestritten wird, und ich glaube auch, dass Tierversuche, die für das universelle Wissen einen bedeutenden Gewinn versprechen, als vertretbar anerkannt werden, ganz unabhängig davon, ob jemand einen mittelbaren oder unmittelbaren Nutzen erreichen wird.“ Gerhard Zbinden, Schweizer Mediziner und Toxikologe (1924 –1993) Der Mensch trägt Verantwortung für das Tier als Mitgeschöpf. In der Bundesrepublik Deutschland ist jeder Bürger, der mit Tieren umgeht, nach dem Tierschutzgesetz verpflichtet, deren Leben und Wohlbefinden zu schützen. Er darf ihnen nicht ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Der Umgang mit Versuchstieren ist ethisch nur vertretbar, wenn nach diesem Grundsatz gehandelt wird. Insbesondere müssen die Zahl der Tierversuche und die Belastung der Tiere auf das unerlässliche Maß beschränkt werden. Auf politischer Ebene können durch weitere Harmonisierung internationaler Regelungen, die gegenseitige Anerkennung von Prüfvorschriften und andere Bemühungen Hunderttau- sende von Tierversuchen überflüssig werden. Zuverlässige wie leistungsfähige Ersatz- und Ergänzungs- methoden bilden – neben rechtlich klar geregelten, unabhängigen Prüf- und Genehmigungsverfahren für Tierversuche – die entscheidende Voraussetzung zur weiteren Verringerung des Einsatzes von Ver- suchstieren. Die Bundesrepublik Deutschland unternimmt dazu seit Jahren beträchtliche Anstrengungen auf natio- naler und internationaler Ebene. Mit verschiedenen Programmen fördern Bund, Länder, private Stiftun- gen und Initiativen die Entwicklung von Alternativen zu Tierversuchen. Allein das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat seit 1980 entsprechende For- schungsvorhaben mit Geldern in dreistelliger Millionenhöhe unterstützt. Der Förderschwerpunkt „Ersatzmethoden zum Tierversuch“ ist hinsichtlich seines finanziellen Umfangs und der Dauer welt- weit einzigartig. In den vergangenen Jahren konnten zahlreiche Ergebnisse von Projekten in Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Forschungseinrichtungen, der Industrie und den Zulassungsbehörden umgesetzt werden. Das führte in den letzten zehn Jahren in Deutschland zur Reduzierung der Zahl der jährlich benötigten Versuchstiere um rund eine Million. Dazu beigetragen haben unter anderem zehn vom BMBF geförderte Projekte, die im Mittelpunkt dieser Broschüre stehen. In absehbarer Zeit werden jedoch nicht alle Versuche am Tier vollständig ersetzt werden können. Deswegen müssen die Anstrengungen mit aller Kraft fortgesetzt werden, Test- und Untersuchungsme- thoden an nicht-schmerzfähigen Systemen beziehungsweise weniger belastende Verfahren anstelle von bisher verwendeten Tierversuchen zu erforschen, abzusichern und in eine möglichst breite Anwen- dung zu überführen. Das BMBF wird solche Aktivitäten auch künftig im Rahmen des Biotechnologie- Programms fördern. Anliegen dieser Broschüre ist es, einen Einblick in das Gebiet der Ersatz- und Ergänzungsmethoden für Tierversuche zu geben. Sie will die komplizierte Materie, die sich dahinter verbirgt, interessierten Laien ebenso nahe bringen wie Tierschützern, Studenten sowie Fachleuten, die sich erstmals der Thematik zuwenden. Die herausgebenden Ministerien wollen so einen weiteren sachlichen Beitrag zu der ver- ständlicherweise oft emotionsgeladenen Debatte über Tierversuche leisten. Nicht zuletzt sollen noch mehr Wissenschaftler und Produzenten angeregt werden, sich auf diesem Gebiet zu engagieren. 6
1.1 Eine konfliktreiche Partner- Lernvermögens und ihres Verhaltens. Aber auch schaft im Wandel der Zeit ihre Schmerzempfindungs- und Leidensfähigkeit wurde genauer erkannt. Seit Jahrtausenden nutzt der Mensch Tiere und Durch Industrialisierung und Verstädterung ihre artspezifischen Leistungen. Auf der Jagd er- verloren viele Menschen den engen Kontakt zu beutetes Wild diente ihm zunächst als Nahrungs- ihrer natürlichen Umwelt. Wachsende Einsicht in und Rohstoffquelle. Nach der Domestikation sind ökologische Zusammenhänge förderte aber bald Tiere zu unentbehrlichen Helfern, oft sogar zu das Bewusstsein um die Verletzlichkeit und „Sklaven“ geworden. Sie schleppen Lasten, ziehen Gefährdung der Natur. Immer mehr Menschen Wagen und Gerät, bewachen Haus und Hof oder sehen heute in den Wild- und Haustieren Mitge- bekämpfen Schädlinge. Zwischen Mensch und Tier schöpfe, deren Leben und Wohlbefinden schüt- entwickelten sich aber auch emotionale Bindun- zenswert ist. Dieser Wandel kommt besonders gen. Heute sind Millionen Hunde, Katzen und ande- deutlich in der Entstehung der Tierschutzbewe- re Tiere gute Freunde und treue Gefährten des gung zum Ausdruck. Derzeit gibt es allein in Menschen. Deutschland über 600 Tierschutzvereine mit über Mit der Entwicklung der experimentellen Wis- zwei Millionen organisierten Tier- und Arten- senschaften wurden viele Tiere zu Versuchsobjek- schützern.1 Ihr Engagement gilt auch der Reduzie- ten. Seitdem stehen sie auch im Dienst der rung von Tierversuchen. Gesundheit des Menschen: Tierversuche liefern Durch die Einbeziehung von Tierschutzorganisa- Informationen über die Wirksamkeit und Verträg- tionen in die Genehmigungsverfahren solcher Ver- lichkeit von Arzneimitteln, die Giftigkeit von Che- suche und die politisch gewollte Entwicklung von mikalien, die Gefahren neuer Operationsmethoden wissenschaftlichen Alternativen ist es in Deutsch- oder die Unbedenklichkeit von Abwässern und land gelungen, einen konstruktiven Dialog der ver- Abfallstoffen. schiedenen Interessengruppen zu fördern. Radikale Gleichzeitig erweiterte die Grundlagenforschung Tierbefreiungen und Gewaltandrohungen gegen das Wissen über die Tiere und offenbarte die Forschungsinstitute, einzelne Forscher und deren bewundernswerten Leistungen ihrer Sinne, ihres Familien sind Einzelfälle. Enge Bindung zwischen Mensch und Tier. 8
Minischweine wur- den u. a. extra für die Forschung gezüchtet, da sie weniger Platz und Futter beanspru- chen als normale Artgenossen. Wegen der großen Ähnlichkeit ihres Immun-, Herzkreis- lauf- und anderer Systeme mit denen des Menschen wer- den Schweine noch verhältnismäßig häufig als Ver- suchstiere einge- setzt. 1.2 Das Streben nach Erkenntnis Mit Ersatzversuchen außerhalb des Tierorga- und der Tierversuch nismus in so genannten In-vitro-Systemen („Rea- genzglas-Versuchen“) lassen sich die von den In der Grundlagenforschung und Ausbildung wer- Genen gesteuerten, hochkomplizierten biochemi- den zahlreiche Experimente an Tieren durchgeführt. schen Wechselwirkungen Abertausender Eiweiße, Sie dienen dem reinen Erkenntnisgewinn über die Hormone, Botenstoffe und anderer Substanzen in komplexen Abläufe und Wechselwirkungen der ver- einem lebenden Organismus nicht immer genü- schiedensten Lebensprozesse wie der Stoffwech- gend genau abbilden. Selbst ausgeklügelte Com- selregulation oder der Entstehung von Krebs. Da putersimulationen können selten die enorme die Lebewesen und ihre Leistungen unmittelbarer Komplexität der Organisation eines Organismus Gegenstand der biologischen und medizinischen mit seinen diversen physiologischen Regelkrei- Wissenschaften sind, wird voraussichtlich nicht sen und -netzen ausreichend simulieren. vollständig auf derartige Experimente in der Grund- Angesichts des nach wie vor beträchtlichen lagenforschung verzichtet werden können. „Verbrauchs“ von Tieren sind viele Bürger be- Gesetzlich verordnete Einschränkungen würden sorgt, dass der Mensch sich der Tiere einfach nur den Wissenszuwachs wesentlich beeinträchtigen, „bedient“. Sie befürchten, dass er dabei seine der für die Bekämpfung von Infektionskrankhei- Menschlichkeit in Frage stellt, die sich in der ten, die Sicherung der Welternährung, die Umwelt- Gabe zur umsichtigen Reflexion des Handelns und fürsorge und andere Zukunftsaufgaben unverzicht- insbesondere zum Mitgefühl mit der leidenden bar ist. Damit besteht ein Zielkonflikt zwischen Kreatur widerspiegelt. Die vielfach geäußerte Kri- dem Streben des Menschen nach Erkenntnis, der tik an Tierversuchen fordert die Wissenschaft zu Freiheit der Forschung und dem Schutz des Tieres. Recht heraus, sich ihrer besonderen ethischen Diesen grundsätzlichen ethischen Konflikt, den die Verantwortung zu stellen und ihr Tun jederzeit kri- gesellschaftliche Entwicklung der Wissenschaft tisch zu überprüfen. Die Forscher sind aufgefor- bescherte, hat sie bis zum heutigen Tage durch die dert, die Notwendigkeit von Tierversuchen nicht Entwicklung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden als gegeben hinzunehmen und weiterhin nach für Tierversuche nur teilweise lösen können. geeigneten Alternativen zu suchen. 1 Tierschutzbericht 1999 des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, nachzulesen im Internet unter http://www.bmvel.de/tierschutz 9
Tierschützer demons- trieren gegen Miss- brauch von Tieren – hier gegen Massen- tierhaltung. Die „Stiftung zur Förde- rung der Erfor- schung von Ersatz- und Ergänzungs- methoden zur Ein- schränkung von Tierversuchen“ (SET) beweist, dass auf dem Gebiet der Tier- versuche eine kon- struktive und erfolg- reiche Zusammen- arbeit zwischen Forschung, Industrie und Tierschutzorga- nisationen möglich ist. Vertreter der Organisationen haben auch erheb- liche Mitsprache- rechte bei der Genehmigung von Tierversuchen. 1.3 Ersatz- und Ergänzungs- und Durchführung wesentlich unterscheiden. Fach- methoden – ständige wissenschaftler müssen in einem mühsamen Herausforderung an die mehrstufigen Prozess in jedem Einzelfall prüfen, Wissenschaft ob sich eine Idee als Ersatz eines speziellen Tier- versuchs eignet. In dem Bemühen, Tierversuche auf das unerläss- Vor diesem Hintergrund fördert das Bundesmi- liche Maß zu reduzieren, kommt den so genannten nisterium für Bildung und Forschung (BMBF) bereits Ersatz- und Ergänzungsmethoden eine besondere seit zwei Jahrzehnten die Entwicklung von Ersatz- Bedeutung zu. Ziel ist es, Tests an nicht-schmerz- und Ergänzungsmethoden. Dadurch war es mög- fähiger Materie zu entwickeln, die dem Tierver- lich, diverse Tierversuche zu ersetzen und einen such gleichwertige und verlässliche Informationen effektiven Beitrag zur Reduzierung des Tierver- liefern. Das erfordert viel Zeit, Geld und Geduld, brauchs in Deutschland zu leisten. da es keine allgemein gültigen Konzepte für die Daneben bilden zahlreiche administrative und Entwicklung solcher Methoden gibt. Sie können juristische Maßnahmen sowie die internationale daher auch nicht einfach auf Anordnung von Zusammenarbeit zur europäischen und weltwei- Behörden realisiert werden. ten Harmonisierung der Tierversuchs-Vorschriften Vielmehr gibt es in der Praxis eine große Viel- ein effektives Mittel zur Verringerung der Versuchs- falt an Tierversuchen, die sich in ihrer Zielsetzung tier-Zahlen. 10
2 Häufig gestellte Fragen zu Tierversuchen
Können aus Tierversuchen wissenschaftlich einzelnen Zellen, Zellbestandteilen oder einfa- gesicherte, reproduzierbare Rückschlüsse chen Geweben untersucht werden. Das funktio- auf den Menschen gezogen werden, insbe- nelle Zusammenwirken verschiedener Zellen und sondere auch auf die Langzeitwirkung einer Gewebearten sowie der unterschiedlichen Orga- medizinischen Behandlung? ne des Körpers kann durch Ersatz- und Ergän- zungsmethoden bislang nicht erfasst werden. Ja. Der rasante Fortschritt der Arzneimittelfor- Außerdem lassen diese Methoden, wie schon schung, Umweltmedizin, Strahlenbiologie, experi- erwähnt, noch keine Aussagen über Langzeitwir- mentellen Chirurgie und weiterer Gebiete der Bio- kungen zu. medizin sowie der Grundlagenforschung im ver- Aus diesen Gründen sind aus heutiger Sicht gangenen Jahrhundert beruht weitgehend auf auch künftig in vielen Bereichen Tierversuche un- Erkenntnissen aus Experimenten mit Tieren. In- verzichtbar. Die Zahl der Versuchstiere ist aber in vitro-Untersuchungen an tierischen und menschli- den letzten Jahren durch die erfolgreiche Entwick- chen Zellen sowie Geweben können bereits lung, Validierung und Durchsetzung von Alter- verschiedene Tierversuche ersetzen. Das gilt vor nativmethoden bereits beträchtlich zurückge- allem für kurzzeitige Effekte. Rückschlüsse auf gangen. die Langzeitwirkungen von Arzneimitteln oder operativer Eingriffe lassen die tierversuchsfreien Seit Ende der 90er Jahre steigt der Bedarf an Methoden bisher noch nicht zu. Versuchstieren wieder leicht an, weil neue „Tiermodelle“ in Form genetisch veränder- In welchen Bereichen können Ersatzmetho- ter Tiere entwickelt werden. Stehen diese den heute schon angewendet werden? Entwicklungen nicht im Widerspruch zum Bemühen der Wissenschaft, Tierversuche zu Die größten Bemühungen waren und sind darauf ersetzen? gerichtet, zuerst solche Versuche abzuschaffen, die mit hohen Belastungen für die Tiere verbunden Besonders in der Grundlagenforschung ist der Be- sind. Das betrifft zum Beispiel Tests auf Hautät- darf an Versuchstieren aufgrund neuer Forschungs- zung oder Schleimhautreizung. Zunehmend setzt ansätze mit genetisch künstlich veränderten (trans- man beispielsweise auch Bioreaktoren ein, um genen) Tieren gestiegen, während in anderen etwa monoklonale Antikörper für die Diagnostik Bereichen durchaus weitere Einsparungen realisiert außerhalb eines Tierorganismus zu produzieren. In wurden. Dies sind Auswirkungen der dynami- vielen Laboratorien wird künstlicher Hautersatz schen Entwicklung der modernen Gentechnologie, und anderes Gewebe gezüchtet, an dem sich die Molekularbiologie sowie Biotechnologie. Fort- Wirkung schädlicher Substanzen prüfen lässt. Und schritte der letzten Jahre wie die Entschlüsselung im Bereich des Umweltschutzes dienen immer des menschlichen Genoms weisen nicht nur den mehr niedere Organismen wie Wasserflöhe, Algen Weg zur Entwicklung völlig neuer, hochwirksamer oder Fischeier als Indikatoren für Umweltgefah- Arzneimittel. Sie nähren auch die Hoffnung, zahl- ren. Allein vom Bundesministerium für Bildung reiche der 3.000 bis 4.000 genetisch bedingten und Forschung (BMBF) wurden und werden in Krankheiten heilen zu können. Wichtige Beiträge mehr als 230 Projekten zahlreiche Alternativme- dazu erwarten die Molekularbiologen und -medi- thoden zu Tierversuchen gefördert. Sie decken sehr ziner aber gerade von experimentellen Tiermodel- viele Einsatzbereiche ab. len, denn sie erlauben erstmalig die In-vivo-Unter- suchung zur Regulation und biologischen Funktion Wo liegen zurzeit die Grenzen für Ersatz- einzelner Gene. methoden? Wird in Zukunft die vollständige Andererseits werden Versuche mit transgenen Abschaffung von Tierversuchen möglich sein? Tieren wiederum dazu beitragen, diese selbst irgendwann durch Alternativmethoden zu erset- Die Ersatzmethoden erlauben vorwiegend die zen, denn Ersatz- und Ergänzungsmethoden wer- Analyse von einzelnen oder wenigen biologischen den letztlich auch durch Fortschritte in der Grund- Vorgängen. Damit kann bisher nur die Wirkung an lagenforschung erst ermöglicht. 12
Mäuse gehören zu den am meis- ten verwendeten Versuchstieren. Zwingt die wissenschaftliche Forderung nach Kampfhunden oder die Züchtung von bestimmten Standardisierbarkeit und Ausschaltung mög- so genannten Rassekatzen oder -hunden. Auch licher Störgrößen zu nicht artgerechten Hal- der rücksichtslose Umgang mit Tieren bei Vieh- tungsbedingungen? transporten quer durch Europa und in schlechten Tierhaltungen hat nichts mit Tierversuchen zu tun, Ja und nein. In der Verhaltensforschung muss na- sondern seine Ursache im Streben nach Maxi- turgemäß großer Wert auf eine artgerechte Hal- malprofit und der Forderung der Verbraucher nach tung der Tiere gelegt werden. Wenn jedoch die Minimalpreisen. Im Gegenteil: Höchst umstrittene Hautverträglichkeit einer Substanz geprüft werden Tierversuche selbst, etwa der berühmt-berüchtig- soll, steht die artgerechte Haltung unter Umständen te Draize-Test, haben die starke Bewegung der den wissenschaftlichen Frage- und Zielstellungen Tierversuchsgegner auf den Plan gerufen. Man entgegen, die der Versuch verfolgt. Dort wieder- darf annehmen, dass Tierversuche weniger den um, wo Tiere zur Produktion – beispielsweise von respektlosen Umgang mit Lebewesen in der Antikörpern – eingesetzt werden, wird man auf Gesellschaft beförderten, als eher eine Lobby für solche Tiere Wert legen, die in guter Verfassung Versuchstiere hervorgebracht haben. sind. An der Charité der Berliner Humboldt-Uni- versität wurden zum Beispiel für diesen Zweck Können Zuwiderhandlungen gegen Tierschutz- besondere Käfige entwickelt, die vom Schweizer bestimmungen in der Forschung in effektiver Bundesamt für Veterinärwesen als für eine artge- Weise strafrechtlich verfolgt werden? rechte Haltung geeignet eingestuft wurden. Grundsätzlich können Verstöße und Vergehen gegen Tragen mit Tierleid verbundene Versuche zu die Tierversuchsvorschriften von den zuständigen Einstellungen und Verhaltensweisen in der Behörden nach § 18 des Tierschutzgesetzes mit Gesellschaft bei, die den schonungs- und Bußgeldern bzw. von den Gerichten nach § 17 des respektlosen Umgang mit Lebewesen gut- Tierschutzgesetzes mit Strafen geahndet werden. heißen? Durch das bei Tierversuchen vorgeschriebene stren- ge Genehmigungsverfahren wird die Einhaltung Es gab und gibt immer Menschen, die Tieren kei- der tierschutzrechtlichen Anforderungen sicher- nerlei Respekt zollten und zollen. Man denke an gestellt. Hohen Anteil daran haben unabhängige Stier- und Hahnenkämpfe, Veranstaltungen mit Tierschutzbeauftragte in den Versuchseinrichtungen 13
In der Abteilung für Versuchstierkunde der Tierärztlichen Hochschule Oslo. Hier werden unter anderem „Intelligenztests“ an Albinoratten durchgeführt, die den Tieren offensichtlich Vergnügen bereiten: Die Boxen enthalten Schalter, die in verschiedenen Farben aufleuchten und auf die die Ratten drücken können. Wenn sie den richtigen Knopf betätigen, werden sie belohnt. Sie werden jedoch nicht bestraft, wenn ihre Antwort nicht korrekt ist! In dem Norwegischen Referenzzentrum für Versuchs- tierkunde und Alternativmethoden werden alle Tiere artgerecht gehalten und Versuche streng nach dem 3R-Konzept durchge- führt. sowie Kommissionen, die aus ethischer und wissen- Ist die staatliche Förderung von Ersatzmetho- schaftlicher Sicht zu den Vorhaben Stellung nehmen. den angesichts der vielfach höheren Anstren- gungen im Rahmen der biomedizinischen For- Warum werden Alternativmethoden so stren- schung angemessen? gen Prüfungen, Ringstudien, Zulassungsvor- schriften usw. ausgesetzt? Tierversuche müs- Der finanzielle Rahmen der Ersatzmethodenfor- sen doch auch nicht validiert werden. schung in Deutschland hat sich in den vergange- nen Jahren als ausreichend erwiesen. Das gilt In der Forschung neu entwickelte tierversuchsfreie insbesondere für den vom Finanzvolumen her um- Methoden müssen streng geprüft und experimen- fangreichsten Förderschwerpunkt „Ersatzmetho- tell abgesichert (validiert) werden, um zu erreichen, den zum Tierversuch“ des Bundesministeriums dass ihre Anwendung mit keinem Verlust an den für Bildung und Forschung. Alle Projektvorschlä- bestehenden Sicherheitsstandards bei der Prüfung ge, die durch ein unabhängiges Gutachtervotum zum Beispiel von Arzneimitteln einhergeht und positiv bewertet und dem BMBF zur Förderung damit die Voraussetzungen zur Akzeptanz und empfohlen wurden, konnten bislang in angemes- Anerkennung der jeweiligen Methode vorliegen. sener Weise gefördert werden. Wissenschaftlich Sie sollen vor allem auch weltweit von interna- fundierte Ansätze für neue Alternativmethoden tionalen Institutionen anerkannt werden, die die sind bislang nicht an der Frage des Geldes ge- gesetzlichen Prüfanforderungen maßgeblich be- scheitert. einflussen. Hierbei treten einzelstaatliche Prüf- Weitere Erfolge auf diesem Gebiet lassen sich vorschriften zunehmend in den Hintergrund. So- nicht durch bloße Bereitstellung weiterer finanzi- wohl im Bereich des Chemikalienrechts als auch eller Mittel „erzwingen“. Limitierende Faktoren des Arzneimittelrechts konnten in den vergan- sind die Zahl erfolgversprechender methodischer genen Jahren erfreuliche Fortschritte bei der Vali- Ansätze sowie die Zahl der mit Ersatzmethoden dierung und Anerkennung von Ersatz- und Ergän- befassten Wissenschaftler. zungsmethoden erzielt werden. 14
3 Tierversuche in der Praxis
3.1 Was ist ein Tierversuch? Die umfangreichen Bemühungen, die Fülle von Regularien zu vereinheitlichen, stellt bereits eine Definitionen und Regelungen im erste, äußerst wirksame Maßnahme zur Vermin- Interesse der Kreatur derung von Tierversuchen dar. Durch diese Har- monisierung werden unzählige verschiedene natio- Tierversuch ist nicht gleich Tierversuch. Wenn ein nale Vorschriften durch eine geringere Zahl von Hundebesitzer ausprobiert, ob sein Tier schwim- Bestimmungen ersetzt, die europa- oder sogar men kann, so führt er keinen Tierversuch im juris- weltweit gelten und von den Ländern gegenseitig tischen Sinne durch. Wollen Wissenschaftler anerkannt werden. Allein dadurch sinkt die Zahl erforschen, ob eine Substanz X die Gene beein- von Tierversuchen, oft in beträchtlichem Maße. flusst, so ist das ein Tierversuch, und er ist sogar Was aber ist nun ein Tierversuch? In § 7 des dann prinzipiell erlaubt, wenn das Geschöpf dar- Tierschutzgesetzes heißt es dazu: „Tierversuche unter leidet. im Sinne des Gesetzes sind Eingriffe oder Behand- Was ein Tierversuch ist und wann er durchge- lungen zu Versuchszwecken erstens an Tieren, führt werden darf, bestimmen zahlreiche Vorschrif- wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für ten, Verordnungen und Regeln auf nationaler und diese Tiere oder zweitens am Erbgut von Tieren, internationaler Ebene. Sie dienen vor allem einem wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für Ziel: die Interessen von Mensch und Tier in Ein- die erbgutveränderten Tiere oder deren Trägertie- klang zu bringen. re verbunden sein können.“ Das bedeutet zum Beispiel, dass für die Erfor- Das bedeutet, nur wenn ein Experiment mit schung einer bislang unheilbaren Krankheit Tiere oder an einem Tier durchgeführt wird und mit eingesetzt werden dürfen. Dann aber unter Be- Schmerzen oder Leiden verbunden ist, handelt es achtung höchst restriktiver Bedingungen, die vor sich um einen Tierversuch im juristischen Sinne. allem den Sinn haben, die Würde des Tieres zu Dass diese Definition ziemlich robust anmutet, ist wahren und seine Leiden – seinen so genannten kein Zufall. Belastungsdruck – während und nach dem Ver- Denn natürlich ist auch der oben genannte such so gering wie möglich zu halten. Nicht zuletzt Test am Hund ein Tierversuch ebenso wie unter wird in Gesetzen und Richtlinien immer gefordert, Umständen eine verhaltensbiologische Beobach- nach Alternativen zum Tierexperiment Ausschau tung, die keinerlei Beeinträchtigung für das Tier zu halten. mit sich bringt. Doch solche Experimente bedürfen Möglichkeiten für Ersatz bzw. Reduzierung von Tierversuchen Bioreaktor ATC-Methode Produktion von Antikörpern für (Acute-Toxic-Class) Zwecke in der Wissenschaft Prüfung eines Stoffes auf und klinischen Anwendung akute orale Toxizität. (z. B. Nachweismethoden, Dia- Durch diese Methode wird gnostik, Therapie) die Zahl der für Versuche benötigten Tiere im Vergleich zum klassischen LD50-Test stark reduziert Hühnerei-Test Computersimulations- (HET-CAM-Test) berechnungen Einstufung starker reizender Verhalten von Substanzen im und ätzender Wirkungen von Antikörperbindungstest Körper Chemikalien auf die Schleim- zum Beispiel Prüfung von haut Tollwutimpfstoffen 16
Aus dem Tierschutzgesetz Tierversuche §7 (1) Tierversuche im Sinne dieses Gesetzes sind Eingriffe oder Behandlungen zu Versuchszwecken 1. an Tieren, wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schä- den für diese Tiere oder 2. am Erbgut von Tieren, wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für die erbgutveränderten Tiere oder deren Trägertiere verbunden sein können. (2) Tierversuche dürfen nur durchgeführt werden, soweit sie zu einem der folgenden Zwecke unerlässlich sind: Viele Tiere werden in der Verhaltensforschung eingesetzt. Sol- che Experimente sind hinsichtlich der Belastung der Tiere am 1. Vorbeugen, Erkennen oder Behandeln von Krankheiten, unproblematischsten. Schon im Interesse ihrer Versuche müs- Leiden, Körperschäden oder körperlichen Beschwerden sen Forscher und Laboranten für eine artgerechte Haltung der Tiere sorgen. Sie dürfen in keiner Weise beeinträchtigt sein oder Erkennen oder Beeinflussen physiologischer und müssen sich völlig natürlich verhalten. Der Experimenta- Zustände oder Funktionen bei Mensch oder Tier, tor erkennt das an bestimmten Verhaltensmustern wie Kör- perpflege, Spielverhalten oder Nahrungsaufnahme, die Wohl- 2. Erkennen von Umweltgefährdungen, befinden signalisieren. 3. Prüfung von Stoffen oder Produkten auf ihre Unbedenk- lichkeit für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder keiner Vorschriften zum Schutz des Tieres und kei- auf ihre Wirksamkeit gegen tierische Schädlinge, nerlei Vorgaben, wer wann unter welchen Aufla- 4. Grundlagenforschung. Bei der Entscheidung, ob Tier- gen den Versuch durchführen darf. Juristisch rele- versuche unerlässlich sind, ist insbesondere der jewei- vant sind eben nur solche Experimente, die auf- lige Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis zugrunde grund der Tatsache, dass sie Leiden für die Tiere zu legen und zu prüfen, ob der verfolgte Zweck nicht mit sich bringen können, der Kontrolle von Gesetz durch andere Methoden oder Verfahren erreicht wer- und Behörden bedürfen. den kann. (3) Versuche an Wirbeltieren dürfen nur durchgeführt weden, Einen Einblick in das umfangreiche Vorschriften- wenn die zu erwartenden Schmerzen, Leiden oder Schä- und Regelwerk gibt das Kapitel 7.1 im Anhang den der Versuchstiere im Hinblick auf den Versuchszweck dieser Broschüre. Es vermittelt einen Eindruck ethisch vertretbar sind. Versuche an Wirbeltieren, die zu davon, dass es in der heutigen Zeit keineswegs länger anhaltenden oder sich wiederholenden erheblichen einfach ist, einen Tierversuch durchzuführen oder Schmerzen oder Leiden führen, dürfen nur durchgeführt genehmigt zu bekommen. werden, wenn die angestrebten Ergebnisse vermuten las- sen, dass sie für wesentliche Bedürfnisse von Mensch oder Tier einschließlich der Lösung wissenschaftlicher Nicht jeder darf beliebig testen Probleme von hervorragender Bedeutung sein werden. Eine strenge Meldepflicht und amtliche Datener- fassung sorgen dafür, dass nicht jeder Versuche Versuchstiere nach Arten, Bundesrepublik Deutschland, 1999 durchführen darf. Nur Tierärzte, Ärzte oder Zoo- Kaninchen Sonstige logen erhalten eine Erlaubnis für Tierversuche. 3,2% 3,3 % Tierschutzbeauftragte müssen den Versuch über- Vögel Meerschweinchen 5,8 % 5,8% wachen, es dürfen nur noch aus behördlich über- wachten Zuchteinrichtungen stammende Wirbel- Fische 10,9 % tiere verwendet werden, und Tierschutzverbände Mäuse 48,8 % haben erhebliche Mitspracherechte bei den Geneh- Ratten migungsverfahren. 25,3 % Auf gesetzlicher Ebene wurde in den letzten Quelle: BMVEL Jahren immer mehr versucht, eine Beschränkung 17
In einem For- schungslabor unter- sucht ein Mitarbei- ter die Augen eines Hundes. Die Zahl dieser Versuchstier- art konnte in den letzten Jahren ein- geschränkt werden und bewegt sich auf relativ geringem Niveau. von Tierversuchen auf das unerlässliche Maß zu Die Zahlen veranschaulichen die Erfolge der erreichen. So sind zwar für die Prüfung von vielen Bemühungen der Gesetzgeber einerseits und der Arzneimitteln Tests an Tieren gesetzliche Pflicht. ständig nach Alternativen zu Tierexperimenten Sie werden im Arzneibuch jedoch nur dann vorge- suchenden Forschung andererseits. Dass diese schrieben, wenn die Qualität des Arzneimittels Suche auch künftig von großer Relevanz ist, zeigt mit anderen Mitteln nicht angemessen kontrol- der Bereich der Arzneimittel: Während hier die mit liert werden kann. Das betrifft vor allem Blutzube- Abstand größten Mengen an Tieren „eingespart“ reitungen, Sera und Impfstoffe. wurden, ist der Bedarf immer noch verhältnismä- ßig hoch. Zahlen lassen hoffen Gegen den Trend bewegt sich die biomedizini- sche Grundlagenforschung: Dort ist die absolute Von 1991 bis 1997 hat sich die Zahl der verwen- Zahl an Tierversuchen 1998 erstmals seit Beste- deten Versuchstiere in Deutschland von jährlich hen der amtlichen Versuchstiermeldeverordnung 2,4 Millionen auf knapp 1,5 Millionen, das heißt um von 1989 in Deutschland wieder leicht angestiegen. 37,7 Prozent, reduziert. 1998 und 1999 stagnierte 1999 wurden in der Grundlagenforschung 52.124 sie auf diesem Niveau (siehe Grafiken). mehr Versuchstiere (+ 13,5 Prozent) eingesetzt als Allein im Bereich der Entwicklung und Prü- im Vorjahr. Dabei verringerte sich der Anstieg fung von Arzneimitteln ging der Bedarf an Ver- gegenüber 1998 allerdings deutlich (von 1997 bis suchstieren von jährlich rund 1,3 Millionen 1991 1998: + 22,6 Prozent). Der Anstieg betraf im auf etwa 700.000 im Jahr 1997 zurück. 1998 ver- Wesentlichen Mäuse und Fische. In der Grundla- ringerte sich diese Zahl um weitere 30.000 und genforschung werden mit 438.017 eingesetzten 1999 um ca. 43.000 Tiere. Damit setzte sich die Tieren 28 Prozent aller Versuchstiere verwendet. erfreuliche Tendenz in diesem mit etwa 40 Pro- Für die Erforschung oder Erprobung von zent aller verwendeten Tiere wichtigsten Bereich Methoden zur Diagnostik, Prophylaxe oder The- weiter fort. rapie von Krankheiten wurden 1999 ebenfalls Insgesamt liegt die Summe der Tiere, die 1999 mehr Versuchstiere eingesetzt (ca. 41.000 Tiere für gesetzlich erforderliche Prüfungen zur An- mehr, das entspricht einer Steigerung von rund meldung oder Zulassung von Stoffen oder Produk- 15 Prozent). ten benötigt wurden, um 40.000 Tiere deutlich Ursache für die gestiegenen Versuchstierzah- unter dem Vorjahreswert. Das entspricht einem len in der Grundlagenforschung ist vor allem die Rückgang von 8,2 Prozent. rasche Entwicklung der Genomforschung und Gen- 18
technologie und deren Bedarf an transgenen Tie- ren. Eine Beschränkung dieser Forschungen würde Jährlicher Bedarf an Versuchstieren bei verschiedenen Anwendungen den medizinischen Fortschritt und die Aussichten auf neue Therapieansätze für schwere Erbkrank- Erforschung oder Erprobung von Methoden heiten wie Mukoviszidose und Hämophilie, aber zur Diagnostik, Prophylaxe oder Therapie auch Krebs, Aids, Diabetes oder Bluthochdruck massiv einschränken. Entwicklung oder Prüfung von Arzneimitteln nach § 2 des Arzneimittelgesetzes 3.2 Der lange Weg zur Genehmigung 1989 Entwicklung oder Prüfung von Pflanzenschutzmitteln nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 des Pflanzenschutzmittelgesetzes 1990 1991 Unerlässlichkeit und ethische 1992 Vertretbarkeit 1993 Prüfung anderer Stoffe oder Produkte als Arzneimittel oder Pflanzenschutzmittel 1994 Jeder Tierversuch bedarf der Genehmigung durch 1995 die zuständige Behörde. Dazu muss der Antrag- 1996 steller bei einem genehmigungspflichtigen Tier- 1997 Prüfung zur Erkennung von versuch im Gegensatz zum gesetzlich vorgeschrie- Umweltgefährdungen 1998 1999 benen Tierversuch wissenschaftlich begründen, weshalb das Experiment unerlässlich und ethisch Von 1.-5.: Gesetzlich erforderliche vertretbar ist. Außerdem muss er erklären, warum Prüfungen für die Anmeldung der Versuch nicht durch andere Methoden oder oder Zulassung von Stoffen oder Produkten Verfahren ersetzt werden kann. Tierversuche dürfen nicht zu jedem Zweck durchgeführt werden. Wann sie erlaubt werden Grundlagenforschung können, ist im Deutschen Tierschutzgesetz (TSchG) in Übereinstimmung mit der EU-Richtlinie 86/609/ 0 300.000 600.000 900.000 1.200.000 1.500.000 EWG, die den Umgang mit Versuchstieren regelt, Zahl der Tiere Quelle: BMVEL gesetzlich genau definiert (siehe den Ausschnitt § 7 des Tierschutzgesetzes). Völlig verboten sind in Deutschland Tierversuche zur Entwicklung oder Erprobung von Waffen und grundsätzlich auch zur Entwicklung von Tabakerzeugnissen, Waschmit- Bedarf an Versuchstieren in der Bundesrepublik Deutschland* teln und Kosmetika. 3,00 Millionen 2.641.522 * Wirbeltiere, die für Tierversuche im 2.451.020 Sinne des § 7 des Tierschutzgesetzes Ist der Versuch unerlässlich? 2,50 2.402,710 verwendet wurden; ab 03.10.1990 einschl. neue Bundesländer 2.082.588 Zur Begründung, dass ihr beabsichtigter Tierversuch 1.924.221 2,00 unerlässlich ist, müssen die Experimentatoren den 1.758.500 1.642.532 1.495.741 1.591,394 neuesten Stand der Erkenntnis berücksichtigen, 1.509.619 1.532.572 1,50 wie er sich in der wissenschaftlichen Literatur niederschlägt. Dabei ist eine Nachweisform vorgeschrieben, 1,00 die es den für die Genehmigung verantwortlichen Behörden ermöglicht, eine inhaltliche Überprüfung 0,50 des genehmigungspflichtigen Tierversuchs vorzu- nehmen. Für diese wissenschaftliche Bewertung 0 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 sind selbstverständlich Fachkenntnisse erforder- Quelle: BMVEL lich. 19
CultureCassette Gasdom Medienpumpe Moderne Perfusions- Systeme wie diese „Tecnomouse“ der Firma Integra Biosciences ermögli- chen die Langzeit- kultivierung von Steuereinheit Zellen außerhalb der Körper von Tieren oder Menschen. Sie sind damit ein wich- tiges Handwerks- zeug der Forschung für Alternativen zu Tierversuchen. Deswegen berufen die zuständigen Behörden ethische Anschauungen aufeinander treffen. Die Das Herzstück der unabhängige Tierschutzkommissionen ein, um sich ethische Beurteilung von Tierversuchen ist eben- „Tecnomouse“ sind die auswechselbaren vor der Entscheidung von Tierversuchsgenehmigun- falls ein wesentlicher Teil der Arbeit der beraten- CultureCassettes gen beraten zu lassen. In den Kommissionen sind den Tierschutzkommissionen. (Bild links) – auch als kleine Bioreakto- sowohl Vertreter der Wissenschaft als auch von Eine Ausnahmeregelung gilt für die gesetzlich ren zu bezeichnen. Tierschutzorganisationen anwesend. Nur in Aus- vorgeschriebenen Tierversuche. Das sind solche nahmefällen weichen die Behörden bei ihren Ent- Versuche, die der Gesetzgeber zum Schutz des scheidungen vom Vorschlag der beratenden Gre- Menschen und der Umwelt vor schädlichen Stof- mien ab. fen und Produkten für unerlässlich erachtet. Sie bedürfen keiner Genehmigung, sind aber spätes- Die ethische Vertretbarkeit tens zwei Wochen vor der Durchführung zu mel- den. Unerlässlichkeit und ethische Vertretbarkeit Zur Rechtfertigung der ethischen Vertretbarkeit müssen nicht begründet werden. Die Behörde muss sorgfältig zwischen den zu erwartenden prüft, ob die geplanten Versuche mit den gesetzli- Schmerzen, Leiden oder Schäden der Versuchstie- chen Bestimmungen in Einklang stehen. re und den angestrebten Ergebnissen und ihrer Bedeutung für wesentliche Bedürfnisse von Men- schen und Tieren abgewogen werden. Diese Abwägung beruht auf dem allgemeinen gesellschaftlichen Konsens in der Bundesrepublik Deutschland, nach dem der Mensch eine Mitver- antwortung für die in seiner Obhut stehenden Lebewesen trägt. Für die ethische Abwägung gibt das Tierschutzgesetz keine festen Kriterien vor. Die Dokumentationen für die Lizenzierung eines Tierarznei- Objektive Entscheidungen sind hier kaum möglich. mittels werden immer umfangreicher. (Noch voluminöser sind Problematisch wird es, wenn unterschiedliche die betreffenden Unterlagen der Arzneimittel für Menschen.) 20
4 Politische Massnahmen zur Einschränkung von Tierversuchen Neben der Entwicklung neuer Ersatz- und Ergänzungsmethoden gibt es weitere Wege, die Zahl der Tests an Tieren zu reduzieren. Über bedeutende Möglichkeiten verfügen Politik und Legislative.
4.1 Gestaltung der rechtlichen ■ Internationale Konferenz über Harmonisierung Rahmenbedingungen ■ OECD-Richtlinien Die Bundesregierung prüft entsprechend den Zie- Ein beachtliches Potenzial zur Einsparung von Ver- len des Tierschutzgesetzes und auf der Grundlage suchstieren birgt die internationale Zusammenar- neuester Erkenntnisse laufend alle einschlägigen beit zur gegenseitigen Anerkennung von Prüfver- Rechtsvorschriften auf Möglichkeiten, Tierversu- fahren und Testergebnissen sowie die Harmonisie- che durch Versuche an schmerzfreier Materie zu rung von Vorschriften. Die global führende Rolle ersetzen. Falls dies nicht möglich ist, muss die spielt in diesem Zusammenhang die Organisation Anzahl der Versuchstiere verringert oder deren für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Belastung vermindert werden. Sie schlägt gege- lung OECD. Dank ihrer Prüfrichtlinien können ins- benenfalls entsprechende Änderungen der ge- besondere auf dem Gebiet der regulatorischen setzlichen Bestimmungen vor. Dies ist und bleibt Toxikologie (siehe auch Abschn. 5.1.6) und der eine Daueraufgabe, die in Anbetracht des zuneh- Arzneimittelprüfungen, wo sehr viele Tierversu- menden Umfangs an supranationalen Sicherheits- che vorgeschrieben sind, Mehrfachtests entspre- bestimmungen zum Schutz des Menschen und der chend den jeweiligen nationalen Richtlinien ent- Umwelt nicht leichter wird.1 fallen und Tiere eingespart werden. Insbesondere Die wichtigsten einschlägigen Regelungen: orientiert sich auch die Europäische Gemeinschaft ■ Tierschutzgesetz der Bundesrepublik Deutsch- bei Prüfnachweisen an den von der OECD festge- land schriebenen Normen. ■ Zweitanmelderregelung im Arzneimittelgesetz Die Zahl der dadurch weltweit verschonten ■ Voranfragepflicht im Chemikaliengesetz Tiere kann allerdings nicht einmal geschätzt wer- ■ Europäisches Übereinkommen zum Schutz der den. Ein Grund dafür ist, dass so „profane“ Ver- für Versuche und andere wissenschaftliche Zwe- suchstiere wie Mäuse und Ratten in den USA und Dieses Foto aus dem cke verwendeten Wirbeltiere (Europarat) verschiedenen anderen Staaten gar nicht erst er- Jahre 1995 ging um die Welt – und irri- ■ Richtlinie des Rates vom 24. November 1986 fasst werden. Für Europa liegen inzwischen einige tierte sie. Denn es zur Annäherung der Rechts- und Verwaltungs- Zahlen vor, die eine grobe Orientierung erlauben zeigt nicht – wie oft suggeriert wurde – vorschriften der Mitgliedstaaten zum Schutz (siehe Grafik S.23). eine genetisch mani- der für Versuche und andere wissenschaftliche Eine nahezu zentrale Rolle spielt auf dem Kon- pulierte Maus. Viel- mehr wurde diesem Zwecke verwendeten Tiere (86/609/EWG) tinent die erwähnte Richtlinie zur Annäherung der Tier ein nach den Rechts- und Verwaltungsvorschriften 86/609/EWG. Methoden des Tissue Engineering aus Danach darf „ein Versuch nicht vorgenommen Knorpelzellen werden, wenn zur Erreichung des angestrebten gezüchtetes Kunst- ohr auf den Rücken Ergebnisses eine wissenschaftlich zufrieden stel- unter die Haut lende, vertretbare und praktikable Alternative zur gepflanzt. So sollten Abstoßungsreaktio- Verfügung steht, bei der kein Tier verwendet wer- nen untersucht wer- den muss“ (Artikel 7 Abs. 2). den. Der Versuch trägt dazu bei, dem Für Arzneimittel werden in der Richtlinie 65/65/ Mangel an künstli- EWG in der derzeit geltenden Fassung zusätzlich chen Organen u. a. mittels gentechni- die Fälle beschrieben, in denen die Vorlagepflicht scher Methoden zu pharmakologisch-toxikologischer Versuchsergeb- begegnen. In man- chen Bereichen der nisse generell entfällt. biomedizinischen Große Bemühungen gibt es darüber hinaus, Grundlagenfor- schung steigt der Mehrfachversuche zu vermeiden. So hat Deutsch- Bedarf an Versuchs- land analog zum Pflanzenschutz- und zum Che- tieren u. a. aus die- sem Grunde mikaliengesetz eine Zweitanmelderregelung für wieder an. Tierversuche vorgeschlagen, wenn Stoffe oder 1 Im Anhang (Kap. 7.1) wird die Gestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Interessenten ausführlicher erläutert. Noch weiter gehende Informationen bietet der Deutsche Tierschutzbericht. 22
Weniger Doppelversuche (1) Um unnötige Doppelausführungen von Versuchen zur Einhal- tung einzelstaatlicher oder gemeinschaftlicher Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften zu vermeiden, erkennen die Mit- gliedstaaten die Gültigkeit der Ergebnisse von Versuchen, die auf dem Gebiet eines anderen Mitgliedstaates durchgeführt wurden, so weit wie möglich an, es sei denn, dass zusätzliche Versuche zum Schutz der Volksgesundheit und öffentlichen Sicherheit notwendig sind. (2) Zu diesem Zweck informieren die Mitgliedstaaten – soweit durchführbar und unbeschadet der Bestimmungen bestehender Richtlinien der Gemeinschaft – die Kommission über ihre Rechts- vorschriften und Verwaltungsverfahren Tierversuche betreffend einschließlich der vor dem Inverkehrbringen von Produkten zu erfüllenden Anforderungen. Sie übermitteln ihr ferner Sachaus- künfte über auf ihrem Gebiet durchgeführte Versuche sowie über Genehmigungen oder sonstige verwaltungstechnische Einzelhei- ten im Zusammenhang mit diesen Versuchen. (Aus Artikel 22 der Richtlinie des Rates vom 24. November 1986 Auf „86/609/EWG“ wird in fast allen EG-Richtlinien oder Vor- zur Annäherung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mit- schlägen zur Änderung bereits bestehender Richtlinien sowie in vielen anderen Gesetzen, soweit sie Tierversuche vor- gliedstaaten zum Schutz der für Versuche und andere wissen- schreiben, Bezug genommen. schaftliche Zwecke verwendeten Tiere, 86/609/EWG) Verfahren zugelassen oder angemeldet werden müssen. Das bedeutet unter anderem für denjenigen, Versuchstierbedarf in Europa der einen Stoff anmelden will, sich zu erkundigen, Österreich* ob dieser Stoff nicht schon anderswo angemeldet 204.825 1999 Belgien* 1.515.867 ist. Wenn das der Fall ist, kann er auf die vom Erst- Dänemark 304.370 1994 350.226 anmelder mitgeteilten Ergebnisse der Prüfungen Finnland* 110.659 oder Untersuchungen verweisen. Der Erstanmelder Frankreich 2.609.322 3.645.708 2.402.710 muss dazu jedoch seine schriftliche Zustimmung Deutschland 1.509.619 25.439 Griechenland 19.280 geben. Damit Mehrfachversuche mit Wirbeltieren Irland 25.199 77.107 vermieden werden, sollen Erst- und Zweitanmelder Italien 683.293 1.094.185 * 1994 keine Angaben alles unternehmen, um zu einer gemeinsamen Luxemburg* 1.003 Nutzung der Informationen zu kommen. Niederlande 876.058 652.300 87.117 Dem nicht genug, gibt es seit dem 1. August Portugal 49.520 558.823 Spanien 1994 für diejenigen, die Tierversuche zur Vorbe- 506.837 Schweden* 286.012 reitung einer Anmeldung durchführen wollen, eine Großbritannien 3.181.768 2.659.368 so genannte Voranfragepflicht.1 Sie geht auf eine 0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 4,0 EU-weite Regelung zurück, wonach der Anmelder Zahl der Tiere in Millionen bei der zuständigen Stelle nachfragen muss, ob Quelle: EU ihr bereits verwertbare Prüfnachweise vorliegen. In bislang zwei Reports (1994 und 1999) hat die EU-Kommission Zahlen zu Versuchs- Wenn ja, wird alles unternommen, um die vorhan- tieren herausgegeben. Im ersten Bericht liegen nicht von allen Ländern Daten vor, u. a., weil sie erst später Mitglied der EU wurden. Auch weist die Kommission aus denen Ergebnisse zu nutzen und weitere Tierver- einer Reihe von Gründen auf die bedingte Aussagekraft der Daten hin. Die Grafik suche zu vermeiden. zeigt dennoch die großen Unterschiede in Europa. Während – wenn auch auf hohem Niveau – in Frankreich, Deutschland und Großbritannien große Mengen an Versuchstieren eingespart werden konnten, gibt es in manchen Ländern eine um- 1 nach § 20a Abs. 2 Satz 1 des Chemikaliengesetzes. gekehrte Tendenz. 23
4.2 Forschungspolitik und che Projekte finanziert worden. Eine Liste der über Förderung von Ersatzmethoden 230 geförderten Vorhaben befindet sich im Anhang. Das BMBF hält nach wie vor an den Zielen des Die Suche nach Alternativen für Experi- Förderschwerpunktes fest und wird auch künftig mente an Tieren wird in Deutschland auf Mittel in ähnlicher Größenordnung bereitstellen. vielfältige Weise gefördert. Dazu stellen Die geförderten Vorhaben umfassen ein breites Bund, Länder, private Stiftungen und Initia- Spektrum moderner bio- und gentechnologischer tiven erhebliche Mittel bereit. Die folgende Methoden. Von besonderer Bedeutung sind Zellkul- Zusammenfassung gibt einen Überblick turtechniken, biochemische, immunologische, mole- über die derzeitigen Aktivitäten und wirft kularbiologische und physiko-chemische Methoden auch einen Blick auf das Ausland. sowie computergestützte biometrische Verfahren. Das Ministerium fördert insbesondere For- Ein weltweit einmaliges Programm schungsvorhaben im Sinne des sog. 3R-Konzeptes (siehe Abschnitt 5.1), wobei stark belastende oder Der BMBF-Förderschwerpunkt „Ersatzmethoden zahlenmäßig sehr umfangreiche Tierversuche im Vor- zum Tierversuch“ dergrund stehen. Von großem Interesse ist derzeit die internationalen Anforderungen genügende Validie- Das Bundesministerium für Bildung und Forschung rung von Alternativen zu gesetzlich vorgeschriebenen (BMBF) unterstützt bereits seit 1980 Forschungs- Tierversuchen. In die Planung und Durchführung sol- projekte, die der Reduktion und Schonung von cher Forschungsprojekte werden zweckmäßigerwei- Versuchstieren dienen. Der BMBF-Schwerpunkt se zuständige nationale und internationale Behörden „Ersatzmethoden zum Tierversuch“ ist in seiner in angemessener Form einbezogen. Art weltweit einzigartig und stellt die finanziell An der Entwicklung neuer Ersatzmethoden wer- umfangreichste sowie zeitlich längste Förderung den nach Möglichkeit die künftigen Nutzer – meist auf diesem Gebiet dar. Innerhalb von 20 Jahren Industrieunternehmen – mit eigenen Aufwendun- sind mit bislang rund 140 Millionen Mark zahlrei- gen beteiligt. In der Regel entstehen so Verbund- projekte zwischen mehreren Firmen und wissen- Spezialkäfige für schaftlichen Einrichtungen. Dadurch sollen die Hühner, die nichts mehr mit Batteriehal- Chancen steigen, dass die mit Hilfe von Fördergel- tung gemein haben, dern entwickelte Methode später auch tatsäch- kommen am Institut für Pharmakologie lich angewendet wird. und Toxikologie der Die Umsetzung des Programms – von der Bera- Humboldt-Univer- sität Berlin zum Ein- tung und Antragsbearbeitung über die Vorberei- satz. Das Schweizer tung der Förderentscheidung bis hin zur Begleitung Bundesamt für Vete- rinärwesen stufte sie des Vorhabens – liegt in den Händen des Projektträ- denn auch als für gers Biologie, Energie, Umwelt (BEO), Forschungs- eine artgerechte Hal- tung geeignet ein. zentrum Jülich. Durch so genanntes Environmental Enrichment – die Marketing für Alternativversuche Beschäftigung des Versuchstiers mit seinen arttypischen Industrie und Tierschützer kooperieren unter Verhaltensweisen – werden in solchen dem Dach der Stiftung SET Käfigen Verhaltens- störungen wie das Im Jahre 1986 hat die Bundesregierung zusammen Federrupfen vollstän- dig vermieden. mit Verbänden der Industrie1 und der Tierschutzor- ganisationen2 die „Stiftung zur Förderung der 1 Verband der Chemischen Industrie, Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller, Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel sowie Industrieverband Agrar 2 Deutscher Tierschutzbund, Bundesverband Tierschutz 24
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