Hinweise zum christlichen und muslimischen Kalender

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Hinweise zum christlichen und
       muslimischen Kalender

am Beginn eines christlichen Jahrtausends

       Muslime feiern nach dem Mond — und Christen?

                   Superintendent Rainer Kunick, Wetzlar, zum Geburtstag

 Aus der Arbeit des Christlich-Islamischen Arbeitskreises des
                  Kirchenkreises Braunfels

                        Horst Kannemann
2
3

Inhalt

1. Nach einem besonderen christlichen Jahr — 2000

2. Die Himmelskörper und die Religionen — Mond-, Sonnen- und Sternenjahre

3. Wann ist Ostern — julianisch, gregorianisch, melitianisch?
    3.1. Ägyptische Weisheit kommt nach Rom — Iulius Caesar

    3.2. Sabbat und Sonntag — Geheiligte Tage und Bezeichnungen

    3.3. Pessach und Ostern — Jüdischer Kalender und das christliche Fest

    3.4. Richtige Osterfeier durch ein Konzil? — Níkaia 325

    3.5. Die große Chance des kleinen Dionysius — Dionysius Exiguus

    3.6. Der ehrwürdige Beda schreibt Geschichte — Beda Venerabilis

    3.7. Wann genau war die Mitte der Zeit? — Johannes Kepler

    3.8. Zurück zur Sonne und hin zur neuen Zeit — Papst Gregor XIII.

    3.9. Zum weltweiten Kalender? — Das Ende des Osmanischen Reiches

    3.10. Welche ist die wahre Kirche? — Orientalisch-orthodoxe und orthodoxe Kirchen

    3.11. Ist Einheit möglich? — Osterdiskussionen seit 1923

4. Jesu Weg feiern mit Sonne und Mond — Christliche Feste

5. Sorgsam nach dem Mond — aber wann beginnt der Monat? — Der islamische
                                                            Kalender

6. Abrahams Weg nachgehen — Das Opferfest

7. Mensch, Mitgeschöpf und Feier — auch in Deutschland — Halal-Schächten

8. Gott verehren statt der Sonne — Die Zeiten des islamischen Pflichtgebets

9. Islamische Kultur in Begegnung mit dem Sonnenjahr — Osmanisches Reich und
                                                        Iran

10. Neue Jahre — mit Sonne und Mond — Ausblick

Literatur zu den Hinweisen zum christlichen und muslimischen Kalender

1. Quellen und Hilfsmittel

2. Aufsätze und Monographien

3. Internetseiten
4
5

1. Nach einem besonderen christlichen                    lich das jüdische Tempelweihfest Chanukka3
Jahr                                                     das christliche Weihnachtsfest4 und das mus-
Das Jahr 2000 war in vieler Hinsicht ein be-             limische Fastenbrechen (          5 ). Das Fas-
sonderes Jahr. In Veröffentlichungen zu Fragen           tenbrechen ereignete sich am 1.
von Zeit und Kalendern schlägt sich dies                 14206 sowie 1421 H. zweimal innerhalb des
nieder. Das zweite Jahrtausend ist im ersten             christlichen Jahres 2000.
weltweit in Kraft befindlichen Kalender abge-            2. Die Himmelskörper und die Religionen
schlossen. Zwei Jahrtausende „nach Christi
Geburt“ sind angesichts der Bedeutung, die in            Die Entwicklung von Kalendern zur Bestim-
der geschichtlichen Wirksamkeit der Bibel                mung und Benennung von Stationen in der
(ausdrücklich mit Psalm 90, 4 und Apokalypse             Zeit gehört zum Geschick der Menschen, wenn
/ Offenbarung 20, 1-101 ) ein „Jahrtausend“              diese glauben, dass „sie als einzige Lebewesen“
hatte und hat, ein Anlass der Besinnung für              die Zeit erkennen, aber dabei erfassen: „sie
christliche Gläubige. Sofern sie es wagen kön-           mußten Zeit stets durch Zeichen wahrnehmen
nen, konkrete, an Israel gerichtete Gebote der           und darstellen, die ihrerseits der Deutung
Hebräischen Bibel auf sich anzuwenden, werden            bedurften und verschieden gedeutet werden
sie bedenken, dass 2000 der Zahl von vierzig             konnten“7 .
Jobel oder Jubiläen („Erlassjahren“) nach                Es überrascht dabei nicht, dass Kalender eine
Leviticus / 3. Mose 25, 11 entspricht.                   hohe religiöse Bedeutung haben. Nach Gottes
Der 1582 eingeführte Gregorianische Kalen-               Weisung werden Tage, Feste und Riten (z.B.
der, der heute der meistverwendete ist, hat eine         Fasten und Wallfahrten bzw. Pilgerfahrten)
wiederkehrende Periode von 400 Jahren. Mit               beachtet. Änderungen von Kalendern können
dem Jahr 2000 endete bei Betrachtung voller              veränderte Deutungen und Bewertungen der
Jahrhunderte die erste Periode dieses Kalen-             Zeichen, Weisungen und Regelungen ausdrü-
ders. Es war das erste Jahrhundertjahr mit 366           cken. Sie führen verständlicherweise zu Kon-
Tagen seit 16002.                                        flikten 8 .
Das christliche Jahr 2000 war auch darin ein
auffälliges Jahr, dass hohe Feste der drei ver-          3 24./25.
breitetsten monotheistischen Religionen aus                                 - 4. Tewet 5761 / 21./22.-30. De-
                                                         zember 2000.
dem Nahen Osten fast zusammenfielen, näm-
                                                         4 24./25. Dezember 2000. In den Kirchen genannt
                                                         „Christfest“. In Deutschland wird der 26. Dezember
                                                         als 2. Christtag und Teil des Festes im engsten Sinne
                                                         begangen — so wie auch jüdische und muslimische
1 Verschiedene alte jüdische und christliche Entwürfe    Hauptfeste über mehrere Tage begangen werden und
                                                         die jüdischen Hauptfeste außerhalb Israels einen Tag
rechneten mit einer Dauer dieser Weltzeit von sechs-
                                                         länger dauern als im Land Israel. Betreffs der
tausend Jahren oder sechs Weltaltern, so der babylo-
                                                         muslimischen Feste gibt das Präsidium für Religiöse
nische Talmud II. VIII.                      Der Trak-   Angelegenheiten der Türkischen Republik die Dauer
tat             . Vom Neujahrsfeste IV iv 31a („Sie      des Opferfestes mit vier Tagen und die des Fas-
streiten über die Lehre R.          , denn R.            tenbrechens mit drei Tagen Dauer an.
sagte: Sechstausend Jahre werde die Welt bestehen        5 1.-3.           1421 / 27.-29. Dezember 2000.
und ein[tausend] zerstört sein, denn es heißt: und der
                                                         6 8. Januar 2000.
Herr wird allein an jenem Tage erhaben sein. Abajje
aber sagte, zweitausend werde sie zerstört sein, denn    7 Arno Borst, 10.
es heißt: er wird uns nach zwei Tagen beleben) und       8 Aristophanes (etwa 450 - etwa 388 v. Chr.) spot-
das letzte Kapitel von Aurelius Augustinus (354-
                                                         tete in den Wolken, 615-626, dass sich seit der An-
430), De civitate Dei (XXII 30), in dem sich der
                                                         gleichung des Mondkalenders an das Sonnenjahr die
Autor im sechsten Weltalter sah, dem als siebtes
                                                         Tage der Athener nicht mehr nach den Festen der
„unser Sabbat“ folgt, „dessen Ende kein Abend ist,
                                                         Götter richteten (Daten zur antiken Chronologie und
sondern der Tag des Herrn, gleichsam der achte
                                                         Geschichte, 9-10). Vielleicht hat sich die Gruppe der
ewige, der durch Christi Auferstehung seine Weihe
                                                         Essener vom jüdischen Hauptstrom bei der damali-
empfangen hat und die ewige Ruhe vorbildet, nicht
                                                         gen, bis heute nachwirkenden Reform des jüdischen
nur des Geistes, sondern auch des Leibes!“ (Überset-
                                                         Kalenders getrennt (Hartmut Stegemann). Etwa zur
zung von Kurt Flasch).
                                                         Zeit Moshe ben Maimons waren rabbinisches
2 Papst Gregor XIII. hat 1582 vorausschauend und
                                                         Judentum und Karäer im Festkalender getrennt
erfolgreich erlassen: „Anno vero MM, more consueto       (Maurice-Ruben Hayoun, 41f). Bis heute können
dies bissextus intercaletur, Februario dies XXIX con-    auch in jüdischen Gruppen Diskussionen um den
tinente“ (Gregorius episcopus, Inter Gravissimas 9,      Kalender geführt werden (siehe z.B. die Beiträge von
nach Rodolphe Audette) — „dass aber im Jahre 2000        Charles J. Voss), ebenso wie um die richtige
nach dem Herkommen ein Schalttag eingefügt wird,         Beachtung des islamischen Kalenders gestritten wird
so dass der Februar 29 Tage enthält“.                    (siehe Kapitel 5). Der gregorianische Kalender war
6

In alten, am Naturkreislauf orientierten Kultu-          eine Sonnenfinsternis (bei der der
ren ist der Kalender zyklisch, auch Jahresbe-            Mondschatten auf die Erde fällt), nur bei Neu-
zeichnungen kehren also wieder (z. B. die des            mond auftreten kann und eine Mondfinsternis
chinesischen Tierkreises). Die Religionen, die           (bei der Mond in den Erdschatten tritt) nur bei
sich revolutionierend zu diesem Kreislauf stel-          Vollmond.
len (Buddhismus, Judentum, Christentum, Is-              Beruhend auf solchen Wahrnehmungen werden
lam) haben einen linearen Kalender mit offe-             Mondkalender, die sich am Umlauf des Mon-
nem Ausgang eingeführt. Wo der eine Gott                 des um die Erde ausrichten, die älteste Traditi-
von Glaubenden bekannt wird, weist dieser                on haben. Ein Jahr aus zwölf Umläufen (Luna-
Kalender hin auf die Einmaligkeit des mensch-            tionen) hat 354,36708 Tage10 . Besonders
lichen Lebens von der Geburt bis zum Tod, den            nomadische Gesellschaften behalten Mondka-
offenen Charakter der Zukunft und die erwar-             lender bei.
tete Vollendung der Welt durch Gott. Zugleich
bleiben viele Elemente zyklischer Wiederkehr             Ackerbauende Gesellschaften fassen die Tage
in Lebenserfahrung und Kalender prägend.                 zu einem Sonnenjahr (nach dem Umlauf der
Wenn der Glaube an den einen Gott mit einem              Erde um die Sonne) zusammen, in dem die Jah-
universalen Verständnis der einen Welt ver-              reszeiten mit ihrer grundlegenden Bedeutung
bunden ist, kann dies den Wunsch nach einem              an gleichbleibender Stelle wiederkehren. Es
einheitlichen, vielen bekannten und nachvoll-            dauert nach heutiger astronomischer Darstel-
ziehbaren System der Zeitbestimmung fördern.             lung 365,24219 Tage. Das ist das sogenannte
                                                         „tropische Jahr“11 , die Zeitspanne, in der die
Zeitmessung geschieht geeigneterweise durch
                                                         Erde einmal die Sonne umkreist, beginnend am
die vielen Menschen zugängliche Beobachtung
                                                         „Frühlingspunkt“, in dem sich die Ebene des
sich wiederholender Vorgänge. Nach dem täg-
                                                         Erdäquators mit der Ebene der Umlaufbahn um
lich sich wiederholenden Rhythmus des Son-
                                                         die Sonne, der „Ekliptik“, überschneidet. Seine
nenstandes zwischen Licht und Finsternis ist
                                                         angegebene Länge ist allerdings ein Mittelwert.
vor allem der Wechsel der Mondphasen eine
                                                         In Wirklichkeit schwankt sie. Zudem verlang-
nicht zu übersehende und leicht zu beobach-
                                                         samt sich allmählich die Rotation der Erde
tende Erscheinung, die zweifellos auch der
Menschheit Rätsel aufgab.                                (wie auch die des Mondes) 12 .
Die Mondphasen ergeben sich durch den wech-              Für alle Kulturen, die nicht beim strikten
selnd großen Anteil der Mondoberfläche, der,             Mondkalender bleiben, ist die Geschichte der
von der Erde aus gesehen, durch die Sonne                Kalender weithin der Versuch, ausgehend von
beleuchtet wird, d.h. durch den Winkel, in dem           der Beobachtung der Mondumläufe Tage, Mo-
Sonne und Mond von der Erde aus zueinander               nate („Monde“) und Jahre einander so zuzu-
stehen. Bei einem entsprechenden Winkel von              ordnen, dass der Naturkreislauf dem Ablauf des
0° (dem „ekliptischen Längengrad“ 0) ist Neu-            Jahres entspricht, also etwa der Frühlingsan-
mond, bei einem Winkel von 180° Vollmond.                fang immer auf ein festes Datum fällt. Men-
So gilt für die Wahrnehmung der meisten Orte             schen versuchen, mit solchen Kalendern „ihre
auf der Erde, dass der (nicht sichtbare) Neu-            in sich schon verwickelten sozialen Abläufe
mond tagsüber am Himmel steht. Der Neu-                  auf die natürlichen Umschwünge von Erde,
mond geht mit dem Sonnenaufgang auf und                  Sonne, Mond und Sternen abzustimmen“13 .
mit dem Sonnenuntergang unter. Mit zuneh-                Dabei besteht das Problem, dass sich weder
mendem Mondalter geht der Mond im Verhält-
nis zur Sonne immer später auf und unter.
Entsprechend ist auch der zunehmende Mond
in der ersten Nachthälfte sichtbar, der abneh-           bei der Bestimmung des Monatsbeginns nach islami-
                                                         scher Sicht (siehe Kapitel 5 und 8).
mende in der zweiten9 . Ebenso ergibt sich, dass
                                                         10 Der synodische Monat (Zeitspanne von Neumond
                                                         zu Neumond) dauert 29,53059 Tage. Seine Beobach-
und ist seit über 400 Jahren unter Kirchen umstritten.   tung ist durch die sichtbaren Mondphasen gegliedert.
In Griechenland, Rumänien, Russland und anderen          11 Den Begriff           (tropé) für „die Wende, das
Ländern spalteten sich anlässlich der Kalenderum-        Umwenden“ der Sonne oder anderer Himmelskörper
stellung „Altkalendrier“ ab. Diese müssen durchaus       verwendet in Jakobus 1, 17 auch das Neue Testa-
nicht wie „Altgläubige“ aus früheren Konflikten in       ment.
schwer zugänglichen sibirischen Siedlungen gesucht
                                                         12 Nach dem in Paris arbeitenden Astrophysiker
werden, sondern stellen sich auf amerikanischen
Internetseiten vor. Über den Ostertermin besteht bis     Mohammed Heydari-Malayeri kann sich die Länge
heute in der Christenheit noch keine Einheit, wie        des tropischen Jahres in Tagen in der Lebenszeit eines
diese Hinweise zeigen.                                   Menschen in der sechsten Stelle nach dem Komma
9 Dieses Verhältnis, in dem Auf- und Untergang von       verändern.
                                                         13 Borst, 11.
Sonne und Mond zueinander stehen, spielt eine Rolle
7

Sonnen- noch Mondjahr ohne Rest in Monate,               3. Wann ist Ostern — julianisch, gregori-
Wochen oder Tage teilen lassen.                          anisch, melitianisch?
Die Woche ist keine ganz eindeutig erkennbare            Der Gregorianische Kalender hat eine führende
astronomische Erscheinung. Sie kann durch                Rolle als weltweit benutzter Kalender. Obwohl
Teilung des Monats nach den vier Mondpha-                er diese Rolle mit dem Ruf eines christlichen
sen, durch die im Altertum angenommene Sie-              Kalenders hat16 , muss gleichzeitig gesagt wer-
benzahl der Planeten des Sonnensystems14 ,               den, dass es keinen einheitlichen christlichen
durch ein mit der Zahl Sieben verbundenes                Kalender gibt. Die Kirchen sind an den für sie
Tabu und durch das biblische Sabbatgebot ent-            wichtigsten Festtagen getrennt. Im kirchlichen
standen sein. Vieles spricht dafür, dass die Wo-         Bewusstsein östlicher Kirchen, die dem
che erstmals in Babylon entstand. Israel lernte          Gregorianischen Kalender trotz seines heutigen
sie kennen. Aber auch nach Rom ist sie ge-               Gebrauchs über kulturelle Grenzen hinaus für
langt. Der jüdische Kalender gab sie an den              ihren Festkalender nicht folgen, spiegelt sich
christlichen und islamischen Kalender als ge-            ein Wissen von der Bedeutung von Alex-
meinsames Erbe weiter. Sie war aber als Zeit-            ándreia (                ) als wissenschaftli-
einteilung Christinnen und Christen auch durch           chem Zentrum Ägyptens. Ägypter, nicht
die römische Welt bekannt.                               Menschen des westlichen Mittelmeerraums,
Vorteile bei einer präzisen Zeitbestimmung hat           nahmen Zusammenhänge zwischen natürlichen
das siderische Jahr, die Zeitspanne des Um-              Abläufen auf Erden und den Bewegungen der
laufs der Erde um die Sonne von einem fest-              Himmelskörper so genau wahr, dass sie „als
stehenden Punkt im Weltall aus betrachtet.               erste die Länge des Jahres feststellten“, also
Seine heute bekannte Dauer ist 365,2563578               eine präzise Kenntnis des Sonnenjahrs hat-
Tage15 .                                                 ten17 . Die Überlegenheit dieser Tradition über
                                                         alle Kalenderversuche des Abendlandes für
                                                         Jahrtausende ist unzweifelhaft.
                                                         In der Entwicklung der christlichen Kalender,
                                                         der dieser Teil unserer Hinweise nun nachgeht,
                                                         zeigt sich, dass wiederholt bestimmte Ent-
                                                         scheidungsstunden genutzt wurden.
14 Der Planet Uranus wurde erstmals 1781 von ei-
nem Menschen beobachtet, Neptun 1846 und Pluto           3.1. Ägyptische Weisheit kommt nach Rom
1930.
15 Die hier zitierten astronomischen Angaben über
                                                         Wie Ägypten Möglichkeiten der Wissenschaft
Monats- und Jahreslängen werden seit 1926 in „Uni-       auf der Grundlage einer Schriftkultur bot, schuf
versal Time“ (UT, bzw. UT1 unter Berücksichtigung        Rom „die politischen Bedingungen für eine
der Polschwankungen der Erde) ausgedrückt. Diese
entspricht zwar in den meisten praktisch relevanten      Vereinheitlichung von Welt und Zeit“. So ver-
Fällen der mittleren Sonnenzeit für den Längengrad
von Greenwich (den Nullmeridian), wird aber von der      16 „Die Erfolgsgeschichte dieses Kalenders hat neben
siderischen Zeit abgeleitet (Dirk Husfeld / Christine
Kronberg, Astronomical Timekeeping). Während die         dem weltlichen Einfluss der Kirche gewiss noch
Erde selbst die „Uhr“ ist, die UT1 anzeigt, wurde in     einen zweiten Grund: Mit seinen jüdisch-babylo-
der „Coordinated Universal Time“ (UTC) die Zeit          nischen (7-Tage-Woche), ägyptischen (Sonnenjahr)
(erstmals?) unabhängig von astronomischen Beob-          und römischen Wurzeln (Monatsnamen) ist er selbst
achtungen mit der Schwingung des Atoms Caesium           ein interkulturelles und -religiöses Produkt, das kei-
133 definiert: „Die Sekunde ist das 9 192 631            ner religiösen, kulturellen oder nationalen Tradition
770fache der Periodendauer der dem Übergang zwi-         allein verhaftet ist und das von Julius Caesar für ein
schen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des            Großreich entwickelt wurde“ (So der Göttinger Lite-
Grundzustands von Atomen des Nuklids 133Cs ent-          raturwissenschaftler Thomas Schmidt, 15).
sprechenden Strahlung.“ In Folge wurde eine Atom-        17 A. Borst, 12.
zeitskala, bezogen auf die Sekunde in Meereshöhe         Die ägyptische Astronomie beobachtete die Sterne,
und nach dem Nullmeridian festgelegt (nach Wolf-         vor allem den hellsten Fixstern, den Sirius im Stern-
gang Trapp, 74f, Zitat 75). Wenn der Unterschied         bild „Großer Hund“, als Gottheit „Sothis“ bezeichnet,
zwischen UT1 und UTC mehr als 0,9 Sekunden be-           bei dessen Erscheinen der Nil über die Ufer trat. Aus
trägt, wird in der Zählung von UTC eine Schaltse-        der Ermittlung des siderischen Jahres erließ Pto-
kunde eingefügt, was durchschnittlich alle 1-1,5 Jahre   lemäus III. 238 v. Chr. das Edikt von Kanopus, nach
vorkommt (U.S. Naval Observatory, What is Univer-        dem jedes vierte Jahr 366 statt 365 Tage hat. Zuvor
sal Time?).                                              ist mindestens seit 2772 v. Chr. in Ägypten ein
Während im deutschen Alltag der Gebrauch der UT          Kalender von 365 Tagen in Kraft gewesen. In einer
unbekannt ist, wird sie etwa von namhaften engli-        Periode von 1461 Jahren wurde dabei wieder der
schen und französischen Rundfunksendern bei Zeit-        Jahresbeginn am Tag des Sothis und des Nilhoch-
ansagen verwendet.                                       wassers erreicht.
8

danken wir Rom auch unsere Begriffe „von                 Französischen als „année bissextile“ bezeich-
Festen, Kalendern, Annalen und säkularen Er-             nen kann. Das Jahr vor der Reform hatte Iulius
eignissen“18 .                                           Caesar auf eine Dauer von 445 Tagen
Der römische Dictator Gaius Iulius Caesar
(100-44 v. Chr.) griff in seiner Kompetenz als
                                                         sam seien (Titus Livius [59 v. Chr. - 14 n. Chr.], Ab
höchster Priester („Pontifex Maximus“)
                                                         urbe condita [Seit Gründung der Stadt] I 19).
glücklicherweise für das einzig mögliche Jahr
                                                         Das Werk über Zeitrechnung des Grammatikers und
zwischen seiner Ernennung zum Dictator (46
                                                         Philosophen Censorinus aus dem Jahre 238 n. Chr.
v. Chr.) und seiner Ermordung die Aufgabe der            vermutet, dass Numa ein Jahr aus offiziell zehn Mo-
Reform des äußerst unhandlichen römischen                naten (Januar und Februar blieben ungezählt) in eines
Kalenders auf. Er führte zum 1. Januar des               aus zwölf Monaten umwandelte. Das Mondjahr aus
Jahres 709 „von der Gründung der Stadt (Rom)             354 Tagen wurde, vermutlich um eine ungerade Zahl
an“ (Zählung von Marcus Terrentius Varro,                zu erreichen, auf 355 Tage erhöht. Der Schaltmonat
116-27 v. Chr.) — später genannt das Jahr 45             (nach anderen Quellen genannt „ Mercedonius“,
„vor Christi Geburt“ — einen reformierten                eigentlich der „Monat der Pachtgeldzahlung“, also der
Kalender ein, den im westlichen                          letzte des Jahres) wurde zwischen den Festen Termi-
Sprachgebrauch heute so genannten Juliani-               nalia und Regifugium, dem 23. und 24. Februar,
schen Kalender. Die Reform nahm die ägyp-                eingefügt (Censorinus, De Die Natale Liber [Buch
                                                         über den Tag der Geburt], XX; vgl. Ivan Cholodniak:
tische Zeitberechnung und den zeitgenössi-
                                                         Notes de l’éditeur, Decem mensium, aaO., nach
schen, vielleicht aus Alexándreia stammen-               einem Edinburgher Forscher Adam. Ähnlich
den19 Astronomen Sosigenes auf und wurde 8               überliefert 430 n. Chr. Ambrosius Theodosius
nach der christlichen Zeitrechnung durch                 Macrobius, Satunalia I 13, in: William Thayer,
Caesars Großneffen und Adoptivsohn Kaiser                LacusCurtius: vers le cœur du monde romaine
Octavian (Gaius Octavius, 63 v. Chr. - 14 n.             < http://www.ukans.edu/history/index/europe/ancient_
Chr.), der den Ehrentitel „Augustus“ trug, un-           rome/L/Roman/Texts/Macrobius/Saturnalia/
ter Behebung von Missverständnissen erneut               1*.html>).
begonnen20 . Dieser Kalender hat ein Sonnen-             Römische Kalender bevorzugten Monate mit ungera-
jahr von 365,25 Tagen und in jedem vierten               der Zahl von Tagen, da ungerade Zahlen als glücks-
Jahr einen Schalttag, den Tag nach dem Fest              bringende Zahlen angesehen wurde, wie Plinius der
der Terminalia, den „zweiten Tag VI vor den              Ältere festgehalten hat. (C. Plinius Secundus: Natu-
Kalenden des März“ — also „zweiten 24. Fe-               ralis historiae liber XXVIII, 23, aaO.
bruar“ 21 — nach dem man das Schaltjahr im               < http://www.ukans.edu/history/index/europe/ancient_
                                                         rome/L/Roman/Texts/Pliny_the_Elder/28*.html>
                                                         [22.02.2002]). Für den Historiker Theodor Mommsen
                                                         (1817-1908) galt zu Rom: Das der „Neugestaltung
18 A. Borst, 21.                                         des Kalenders zu Grunde liegende Motiv scheint
                                                         hauptsächlich der Glaube an die heilbringende Kraft
19 Nach Einschätzung des Althistorikers Jürgen Ma-
                                                         der ungeraden Zahl gewesen zu sein“ (T. Mommsen,
litz, Eichstätt, ist das nicht beweisbar.                172).
20 Im Rahmen der Reform des Octavian gab es              Der Volkstribun, Triumvir und Aedil (Magistrat für
vielleicht zwischen 10 v. Chr. und 4 n. Chr. keine       Bau und öffentlichen Dienst) Cnaeus Flavius, der
Schaltjahre, da die zuständige Priesterschaft nach       Begründer des Geschlechts der Flavier, machte um
Caesars Tod zunächst irrtümlich jedes dritte Jahr als    300 v. Chr. gegen den Protest von Adel und Pries-
Schaltjahr angesetzt hatte.                              terschaft Gerichtsurteile und Gerichtskalender in Rom
21 Das römische System der Zählung der Tage vor          öffentlich zugänglich. (T. Livius, Ab urbe condita IX
den Festtagen der Kalenden, Nonen und Iden (die am       46, 1). Auch ihm wurden Schaltjahrregelungen vor
1., 9. und 15. an Tagen mit ungerader Zahl liegen)       Caesar zugesprochen (Elisabeth Achelis [1880-1973]:
war in der westlichen Christenheit bis ins Mittelalter   Render Unto Caesar, in: Journal of Calendar Reform.
in Gebrauch, auch wenn fortlaufende Zählungen vom        Juni 1954, nach: Rick McCarty, Home Page for Ca-
ersten Tag des Monats an seit dem sechsten Jahrhun-      lendar Reform featuring The World Calendar.
dert belegt sind (Herbert Thurston [1856-1939], Dates    < http://personal.ecu.edu/mccartyr/caesar.html>
and Dating).                                             (12.02.2002).
Die römische Geschichtsschreibung schreibt bereits       Caesars Erlass, seine Schrift „De astris“ (Über die
dem Nachfolger des Staatsgründers Romulus (nach          Sterne) und die Schriften des Sosigenes sind nicht
kurzem Interregnum), dem König Numa Pompilius            erhalten. Die wertvollsten Überlieferungen sind C.
(angesetzt für 753-673 v. Chr.) zu, dass er in seinen    Plinius Secundus: Naturalis historiae liber XVIII
durch die Nymphe Egeria unterstützten religiösen         211ff. und die genannten Schriften von Censorinus
Reformen „Schaltmonate“ so einführte, dass das           und Macrobius. Die beiden letzteren beruhen auf der
Mondjahr und das Sonnenjahr sich innerhalb von           nur in Fragmenten erhaltenen Schrift „De anno Ro-
zwanzig Jahren annäherten. Zugleich wird auf ihn die     manorum“ (Über die Jahre der Römer) von Sueton
römische Unterscheidung zurückgeführt, an welchen        (C. Suetonius Tranquillus, gestorben 140 n. Chr.;
Tagen bestimmte Tätigkeiten ratsam oder nicht rat-       Darstellung nach J. Malitz).
9

verlängert, um zu erreichen, dass die Früh-              ter“ bis „Zehnter“) hervor, die sich gegen
lingstagundnachtgleiche im folgenden Jahr auf            Umbenennungsversuche durchgesetzt haben.
den 25. März fiel22 . Zu Ehren der Kalenderre-           Vielleicht tastete Caesar den Jahresbeginn zum
former Iulius Caesar und Augustus tragen in              1. Januar deshalb nicht an, weil dieser 45 v.
vielen Sprachen Europas ebenso wie im Be-                Chr. auf den Neumond fiel25 .
reich der christlichen Gemeinschaften Ägyp-              Im ersten Jahrhundert vor Christus war in ori-
tens und des arabischen          b zwei Monate           entalischer Tradition eine Benennung der
(Juli und August) ihre Namen. Im Falle des               Folge von sieben Tagen nach den Planeten-
         hat sich auch das Türkische ange-               göttern Saturn (der heutige Samstag als Ruhe-
schlossen. Vielleicht wird schon seit dem 14.            tag), Sol (Sonne), Luna (Mond), Mars, Merkur,
Jahrhundert gern erzählt23 : Als noch zu Leb-            Jupiter und Venus gebräuchlich 26 .
zeiten des Augustus der nach ihm benannte
Monat gewählt wurde, sei dieser Monat von 30             3.2. Sabbat und Sonntag
auf 31 Tage Dauer verlängert, dabei die ab-
wechselnde Folge von längeren und kürzeren               Die christliche Kirche lebte im römischen
Monaten durchbrochen und im Ausgleich der                Reich im Julianischen Kalender. Die ersten
Februar zum kürzesten Monat gemacht wor-                 christlichen Gemeinden folgten sicherlich dem
den. Tatsächlich wird aber ein Inschriftenfund           jüdischen Ablauf der Woche, d. h. sie begingen
als Beleg geltend gemacht für die Annahme,               den Sabbat, den „gesegneten“ und „geheilig-
dass der alte „Sextilis“ schon vor seiner Um-            ten“ siebten Tag, an dem nach der Hebräi-
benennung in „Augustus“ 31 Tage hatte. Eben-             schen Bibel die Schöpfung vollendet wurde
so ist zu vermuten, dass bereits Caesar den              (Genesis / 1. Mose 2, 2-3) — also auch die
Februar wegen der Unglücksbedeutung des                  Neuschöpfung erwartet wird — und an dem der
Festes der Terminalia bei seiner 28-tägigen              Befreiung Israels aus Versklavung gedacht wird
Dauer beließ, als er ein 355-tägiges Gemeinjahr          (Deuteronomium / 5. Mose 5, 12-15) — also
auf die Dauer von 365 Tagen verlängerte und              auch die erneute Befreiung erwartet wird. Am
die zusätzlichen Tage auf die Monatsenden                ersten Tag der Woche, dem „Tag des Herrn“,
verteilte24 . Die erzählte Geschichte drückt die         wurde nach dem Neuen Testament27 Jesus von
Einsicht aus, dass die heutige Verteilung der            den Toten auferweckt (Matthäus 28, 1; Mar-
Monatslängen den ägyptischen Kalender ver-               kus 16, 1; Lukas 24, 1; Johannes 20, 1; 1. Ko-
schlechtert hat, also keine guten Gründe ge-
                                                         rinther 16, 2; Offenbarung 1, 1028 ). Christen
habt haben kann. Dass die Schaltjahre eine
                                                         werden wohl den Sabbat zunächst in diesen
durch vier teilbare Bezifferung haben, ergab
                                                         Sonntag, den Tag der Auferstehung, hinein ge-
sich bei der Einführung der christlichen Zeit-
rechnung.
Seit 153 vor Christus war der 1. Januar, das
Datum des Amtsantritt der Konsuln, zum zu-               25 ebd.; vgl. Herbert Metz.
mindest geforderten Beginn des römischen                 26 Hugo Rahner (1900-1968), Griechische Mythen in
Jahres erklärt worden. Dass das Jahr vorher im
                                                         christlicher Deutung, 101.
März begann, geht bis heute aus den Namen
                                                         27 Wo muslimische Gläubige das arabische, ins Tür-
der Monate September bis Dezember („Sieb-
                                                         kische übernommene Wort
22 In Rom galt traditionell der 25. März als Datum       türkisch      , beides vom neutestamentlich-griechi-
                                                         schen               euangélion) verwenden, meinen
der Frühlingstagundnachtgleiche, im ägyptischen          sie vor allem die von Gott Jesus anvertraute Offenba-
Alexándreia dagegen der 21. März. Nach astronomi-        rung und Schrift (die nach muslimischer Überzeu-
scher Darstellung kann die Frühlingstagundnachtglei-     gung von Jesu Nachfolgerinnen und Nachfolgern ver-
che etwa zwischen dem 19. März 8 Uhr und dem 21.         fälscht wurde und vom            mitumfasst ist). Im
März 20 Uhr UT angesetzt werden (Dirk Husfeld /          Gespräch zwischen Christen und Muslimen kann „in-
Christine Kronberg, Astronomisches Kalenderwesen).       jil“ bezeichnen: 1. das Evangelium, die gute Bot-
Trotz der Bezeichnung „Tagundnachtgleiche (Ae-           schaft von Gottes Erbarmen und seinem kommenden
quinoctium)“ ist dieser Moment nicht präzis derje-       Königtum, die Jesus verkündet und in Leben und
nige, in dem Tag und Nacht die gleiche Länge haben,      Sterben verwirklicht hat, 2. die vier „Evangelien“
bedingt dadurch, dass die Erde sich auf ihrer ellipti-   oder eines von ihnen, also die mit Glauben wecken-
schen Bahn in Sonnennähe schneller als in Sonnen-        der Zielsetzung entstandenen Darstellungen des We-
ferne bewegt.                                            ges Jesu, die Matthäus, Markus, Lukas bzw. Johan-
23 Claus Tøndering, 17. Nach E. Achelis wurde die        nes zugeschrieben werden, 3. das Neue Testament,
Darstellung durch die Encyclopedia Britannica von        der nach christlichem Verständnis zweite Teil der Bi-
1830 verbreitet.                                         bel, der außer den vier Evangelien 23 weitere Schrif-
24 E. Achelis (s. Anm. 11); vgl. Censorinus, De Die      ten enthält.
Natale Liber, XX.                                        28 vgl. Didache (Die Lehre der zwölf Apostel) 14, 1.
10

feiert haben29 . Dann entwickelte sich der              und Lernen des Wortes Gottes benötigt, das
Sonntag zu ihrem Kennzeichen, wie der Sabbat            alle Tage prägen soll. Heute gilt mit dem
jüdisches Kennzeichen blieb, wobei christliche          Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutsch-
Theologen mit ihren Aussagen zunehmend in               land: „Der Sonntag und staatlich anerkannte
einer ihrem Glauben nicht würdigen christli-            Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und
chen Selbstsicherheit jüdisches Glaubensleben,          seelischen Erhebung geschützt“ (Artikel 139,
darunter auch die Beachtung des Sabbat, herab-          als Teil des Artikels 140 der Weimarer
setzten und entwürdigten30 .                            Reichsverfassung in diesem Wortlaut seit 1918
                                                        in Kraft). Auch die Türkische Republik, die
Im Zuge des hellenistischen Sonnenkults wurde
                                                        von Mustafa Kemal Atatürk (1881-1938) in
schon vor dem Einfluss des Christentums der
                                                        betonter Anbindung an den Westen gestaltet
römische Wochenbeginn vom Saturnstag auf
                                                        wurde, führte am 1. Juni 1936 den Sonntag als
den Sonntag (dies Solis) verlegt31 .                    (einzigen) staatlich verordneten Tag wö-
Im Jahre 321 christlicher Zeitrechnung ord-             chentlicher Arbeitsruhe ein.
nete der weströmische Kaiser Konstantin I.              Auf Gestirns- bzw. Götternamen römischer,
(272/73/74 - 337, weströmischer Kaiser ab               aber auch einheimischer Kulte gehen in sehr
307, Herrscher des gesamten Reiches von 324-            vielen europäischen Sprachen (einschließlich
337) den Sonntag als staatlichen Feiertag an.           des Türkischen) einige oder viele Namen der
Am Sabbat und am Herrentag durften nach                 Wochentage und der Monate zurück. Auch der
seiner Verordnung keine opera servilia, also            bekannteste Name eines Wochentages, der des
keine schweren Arbeiten der Sklaven erfolgen,
                                                        Sabbat, hat eine babylonische Vorgeschichte32 .
so dass diese eine fünftägige Arbeitswoche er-
                                                        Der christliche Feiertag heißt im Russischen
hielten. Ebenso durften keine Gerichtsurteile
                                                        „Auferstehung“ (               ), in den
am Sonntag gefällt oder vollstreckt werden.
                                                        romanischen Sprachen „Herrentag“ und im
Der Sonntag wurde später in allen christlichen
                                                        germanischen Raum „Sonnentag“. Eine Aus-
Staaten als Tag der Ruhe von schwerer Arbeit
                                                        nahme ist das Portugiesische darin, dass es
verordnet. Biblische Sabbatgebote bekamen
                                                        vergleichbar dem Hebräischen, Arabischen und
eine strafrechtliche Bedeutung. Die Reforma-
                                                        Persischen die Tage von Montag bis Freitag als
tion in Westeuropa im 16. Jahrhundert
                                                        „zweiten“ bis „fünften“ Tag bezeichnet, dem
schaffte staatliche Strafen für die Schändung
des Sonntags weitgehend ab. Sie betonte aber,           der Sabbat und der Herrentag folgen33 . Etliche
dass die christliche Gemeinschaft einen Tag             Länder des „Nahen Ostens“ oder des
der Muße für den Gottesdienst und das Hören             arabischen           kennen Spuren unter-

                                                        32 Wilhelm Gesenius, zur Stelle; André Pichot 125.
29 wie der übernächste Absatz nach Martin Stöhr.
                                                        Auch der „Samstag“ kommt von der griechischen
30 In dem spannungsreichen Verhältnis der Glauben-      Fassung des               sábbaton, der vulgär als
den untereinander haben Abendland und abendländi-                     geschrieben und im Rumänischen zum
sche Kirche eine unchristliche Geschichte der gewalt-             werden konnte. In der landschaftlichen
samen Abwehr und Unterwerfung. Der Kalenderre-          Unterscheidung von „Samstag“ und „Sonnabend“
former des 16. Jahrhunderts christlicher Zählung,       kann sich der Unterschied zwischen den Einflüssen
Papst Gregor XIII., dem die westliche Christenheit      der gotischen bzw. der angelsächsischen Mission
ihren heutigen Ostertermin verdankt, begründete die     widerspiegeln, so dass sich hier Deutschland zwi-
Mission des Jesuitenordens so: „Täglich sehen wir       schen babylonisch-biblischer und römisch-planetari-
die Kirche mit Hinterlist und Gewalt von ihren Fein-    scher Benennung teilt.
den angegriffen. Zu ihren älteren Gegnern, Ungläubi-    33 Nach Henry Chadwick, 146, wurden im Osten un-
gen, Türken und Juden, sind noch neue, Ketzer und       ter christlichem Einfluss die Namen von Gottheiten
Schismatiker, hinzugekommen, die voll Gottlosig-        bzw. Planeten durch numerische Bezeichnungen er-
keit und lästerlichen Wahnsinns gegen sie kämpfen.      setzt; vgl. H. Rahner, 103. Notker der Deutsche
Diesem Angriff setzen Wir nach der Pflicht Unseres      (Notker Labeo) aus Sankt Gallen übersetzte vor 1020
Amtes die Uns zu Gebot stehenden Kräfte entgegen        den Vermerk „für den vierten Tag der Woche“, den
...“ (zitiert nach Friedrich Wilhelm Bautz, GREGOR      griechische und lateinische Bibelausgaben am Beginn
XIII., Papst). Die Morde an Protestanten in der         des Psalm 93 (in der Lutherbibel Psalm 94) haben,
„Bartholomäusnacht“ in Paris vom 23./24. August         mit „in míttauuechun“ und erreichte damit, dass die
1572 feierte er in Rom mit Gotteslob („Te Deum“),       deutsche Sprache im Unterschied zu einigen
Prozession und Gedenkmünze — wusste aber viel-          Nachbarsprachen den „Mittwoch“ nicht mehr nach
leicht nicht, was in Paris wirklich geschehen war.      Merkur benennt (Borst, 68).
31 H. Rahner, 103, nach Franz Boll (1867-1924),         In der polnischen Sprache führen nur der Monat
Hebdomas, in: Pauly’s Realencyclopädie der classi-      marzec (März) und der Wochentag sobota (Samstag)
schen Altertumswissenschaft, begründet von August       die alten Namen weiter. Die anderen Monatsnamen
Friedrich Pauly, hg. Georg Wissowa u.a., VII. 1912,     drücken jahreszeitliche Prägung in der eigenen Spra-
2547-2578, 2577.                                        che aus.
11

schiedlicher Kalender. So sind in Syrien und           jüdische Kalender ist jedoch kein reiner Mond-
dem Iraq neben den arabischen Bezeichnungen            kalender, denn der Nisan ist zugleich immer
des islamischen Kalenders alte aramäische              ein Frühlingsmonat und Pessach wird immer
Monatsnamen (für den von Rom und der                   im Frühling begangen 35 . Da also eine Anbin-
Christenheit verbreiteten westlichen Kalender)         dung eines Jahres aus grundsätzlich zwölf
gebräuchlich, die den hebräischen Bezeichnun-          Mondzyklen an das Sonnenjahr und den Früh-
gen des jüdischen Kalenders eng verwandt sind.         lingspunkt erforderlich ist, wird in einem Zy-
Auch diese Namen, die eine babylonische Vor-           klus von neunzehn Jahren im 3., 6., 8., 11.,
geschichte haben, gehen auf alte Kulte zurück.         14., 17. und 19. Jahr ein Schaltmonat nach
Nationale Feier- und Gedenktage werden in der          dem sechsten Monat eingefügt. Dieser Monat
jetzigen Arabischen Republik Syrien mit diesen                II hat 29 Tage, gleichzeitig wird aber im
Bezeichnungen benannt. Auch die Türkei                 Schaltjahr auch der         I von 29 auf dreißig
kennt zwei Reihen von Monatsnamen, die ge-             Tage erweitert. In einem neunzehnjährigen
wöhnlich gebrauchten eigenen Namen (für den            Zyklus bleibt so das Mondjahr dem Zyklus des
westlichen Kalender), die teils der orientali-         Sonnenjahres nahe36 .
schen, teils der römischen Tradition entnom-
men sind, und die islamischen Namen in türki-
scher Schreibung (für den islamischen Kalen-           zung von Heinrich Clementz II, 15, 1). Für jüdisches
der). Das Gesetz Nr. 4696 der Türkischen               ähnlich wie für islamisches Verständnis beginnt der
Republik vom 10. Januar 1945 ersetzte die              Tag mit dem Sonnenuntergang (s.u.), religionsge-
Namen altorientalischer Herkunft                       schichtlich betrachtet vermutlich ein Erbe der Bedeu-
              ,          , Kanunievvel und             tung, die die Verehrung des Mondes (Schin) in Baby-
                                                       lon hatte (H. Stegemann, 236). Der Abend nach dem
Kanunisani durch die türkischen Be-                    14. Nisan ist der Beginn des Pessach, des 15. Nisan.
zeichnungen Ekim („Feldbestellung“ — Okto-             Den Festbeginn am Vorabend, um Mitternacht oder
ber), Kasım (der Tag des Winteranfangs am 3.           vor Sonnenaufgang kennen auch das christliche
November und nun auch der ganze Monat                  Weihnachts- und Osterfest. Möglicherweise hat es im
November), Aralık („Zwischenzeit“, bezeich-            frühen Mittelalter auch christliche Tagesdatierungen
nete einmal den islamischen Monat Zilkade              gegeben, die mit dem Sonnenuntergang begannen (A
und nun den Dezember) und Ocak („Feuer-                Handbook of Dates, 16, Anm. 16).
stelle, Herd, Kamin“ — Januar).                        35 Die Hebräische Bibel setzt dies voraus. Das Ge-
                                                       betbuch von Samson Raphael Hirsch (1808-1888)
3.3. Pessach und Ostern                                erläutert zu Pessach, Schawuot und Sukkot: „Ein je-
                                                       des dieser Feste hat zuerst zwei Beziehungen: eine
Nach dem wöchentlichen Sonntag ist das                 jahreszeitliche und eine geschichtliche. Nach der jah-
jährliche Osterfest das grundlegende christliche       reszeitlichen sind sie            hochfreudige Zeiten
Fest. Auch dieses Fest verkündigt die Aufer-           des Frühlings, der ersten Fruchtreife im Sommer, der
weckung Jesu Christi von den Toten. Nach               Ernte im Herbst. Nach der geschichtlichen: dem Fest
dem Neuen Testament ereigneten sich Tod                der Befreiung, dem Fest der Gesetzgebung und dem
und Auferweckung Jesu in (zeitlichem und               Fest des Hüttenlebens in der Wüste sind sie Moadej
                                                       Kodesch, von Gott zu unserer Zusammenkunft mit
sachlichem) Zusammenhang mit dem jüdischen
                                                       Ihm bestimmte Zeiten, indem wir aus dem Gedächt-
Fest Pessach — seine Auferweckung dabei am             nis der grossen Gottestaten unserer nationalen
ersten Tag der Woche. Durch diese Bindung an           Gründungsgeschichte das Bewusstsein von Gottes
Pessach, damit auch an die nomadischen                 innnig [sic!] naher Beziehung zu uns und von unse-
Kulturen des Nahen Ostens, ist der                     rer, unsere Heiligung bedingenden Beziehung zu Gott
Christenheit die völlige Loslösung vom                 stets auf neue schöpfen“ (Siddur, 595).
Mondkalender nicht möglich. Die christlichen           36 Nach dem griechischen Astronomen Meton (5.
Kalender bemühen sich um ein exaktes Son-              Jahrhundert v. Chr.) wird er als „Metonischer Zy-
nenjahr und berechnen zugleich ihr wichtigstes         klus“ bezeichnet, wurde aber bereits im 6. Jahrhun-
Fest nach dem Mondumlauf.                              dert v. Chr. in Babylonien verwendet (Pichot, 126)
Pessach beginnt im jüdischen Kalender, dessen          und wird von der chinesischen Überlieferung zwei
Monate (ebenso wie die des späteren islami-            Jahrtausende früher datiert (David Ewing Duncan,
                                                       38). Ein Metonischer Zyklus von 235 Monaten (125
schen Kalenders) dem Mondumlauf entspre-
                                                       Monaten zu 30 Tagen und 110 Monaten zu 29 Tagen)
chen, mit dem Seder („Ordnung“) am Abend               in 12 Gemeinjahren mit je 12 Monaten und 7
nach dem 14. des Monats Nisan (nach Exodus             Schaltjahren mit je 13 Monaten enthält 6940 Tage.
/ 2. Mose 12, 6.18; Leviticus / 3. Mose 23, 5;         235 synodische Monate dauern 6939,688 Tage und
Numeri / 4. Mose 28, 16; Josua 5, 1034 ). Der          neunzehn tropische Jahre 6939,602, so dass der Un-
                                                       terschied zwischen Sonnen- und Mondlauf während
                                                       eines Metonischen Zyklus nur 0,086 Tage beträgt
34 vgl. Flavius Josephus (gest. nach 105), Antiqui-    (Husfeld / Kronberg, Astronomisches Kalenderwe-
tates Judaicae (Jüdische Altertümer, in der Überset-   sen).
12

In dem noch weiter differenzierten System be-          Der Nisan beginnt also nahe der Frühlingstag-
steht für die Zwecke der Kalenderberechnung            undnachtgleiche38 . In einem Kalender, in dem
eine Stunde aus 1080 „Teilungen“ (                     der Monat dem Mondumlauf folgt, mit der ers-
und der Monat, so lange er nicht verlängert            ten Sichtung der Mondsichel nach Neumond
wird, aus 29 Tagen, 12 Stunden und 793                 beginnend, bezeichnen die durchlaufend ge-
      . Bei der Ermittlung des nächsten Neu-           zählten 29 oder 30 Tage des Monat zugleich
jahrstermin werden grundsätzlich 12 bzw. 13            das „Mondalter“. Der Vollmond wird am 14.
solcher Monate vom letzten Neujahrstag an              des Monats erwartet39 . Gerade an der
gezählt. Dann werden fünf Fälle von „Auf-              biblischen Erzählung, die die Verlässlichkeit der
schüben“ (             t) beachtet: Sie verhin-        Rhythmen zusagt, auf die sich Zeitwahrneh-
dern, dass im beginnenden Jahr der siebte Tag          mung stützt, kann eine Übersetzung die Tages-
des Laubhüttenfestes (Hoshana Rabba) auf ei-           zählung nach dem Mondalter betonen, wie
nen Sabbat und der Große Versöhnungstag                immer auch biblische und nachbiblische Schrif-
(              ) sowie Neujahr (Rosh Ha-Shana)         ten die Beziehung von Monat, Mond- und
auf den Tag vor oder nach Sabbat fallen sowie,         Sonnenjahr voraussetzen mögen:
dass das neue Jahr mit seinen ersten                      „Im Jahr der sechshundert Jahre des Lebens
an einem Nachmittag vor dem Neumond be-                   Noachs, in der zweiten Mondneuung, am
ginnt. Neujahr kann dabei niemals auf einen               siebzehnten Tag auf die Neuung,
Sonntag, Mittwoch oder Freitag fallen. Am                 an diesem Tag
Beginn eines Gemeinjahres werden für den Jah-             aufbrachen alle Quellen des großen Wirbels,
resbeginn auch die Morgenstunden des Diens-               und die Luken des Himmels öffneten sich.“
tag und nach einem Schaltjahr einige Vormit-           SEINE Zusage nach der Flut ist:
tagsstunden des Montag ausgeschlossen. Die
Beachtung dieser Regeln führt gegebenenfalls              „[...] hinfort soll, alle Tage der Erde,
zur Verlängerung des Jahres um einen oder zwei            Saat und Ernte,
Tage. Diese Verlängerung des Jahres wird dabei            Frost und Glut,
nicht durch Verlängerung des letzten Monats               Sommer und Winter,
(      ), sondern durch Verlängerung zunächst
des dritten (        ) und gegebenenfalls              38 Er beginnt jeweils einige Tage vor oder nach der
zusätzlich auch des zweiten Monats                     Tagundnachtgleiche. Die Angabe Hugo Rahners, der
(                  ) durchgeführt. So können           den Nisan eröffnende Neumond „war stets der dem
Gemeinjahr (353-355 Tage lang) wie Schalt-             Frühlingsäquinoktium unmittelbar folgende“ (103)
                                                       ist zumindest in dem oben genannten Kalendersystem
jahr (383-385 Tage lang) in abgekürzter, or-
                                                       nicht (mehr) durchführbar.
dentlicher und überzähliger Form auftreten, so
                                                       39 Diese mit der Länge des Mondumlaufs gegebene
dass sich sechs unterschiedlich lange Jahre er-
geben.                                                 und offensichtliche Tatsache ist im äthiopischen He-
                                                       nochbuch 78, 6 formuliert. Das astronomische Buch
Die Jahre werden als „Jahre der Welt“ (lateini-        des äthiopischen Henochbuchs (72-82) betont im Un-
sche Abkürzung: A. M. für „anno/anni mundi“)           terschied zu dem jüdischen Kalender, der sich durch-
gezählt. Der erste Tag des jüdischen Kalenders         setzte, ein Sonnenjahr aus 364 Tagen. Dasselbe gilt
ist der Tag der Erschaffung der Welt und               für das Jubiläenbuch 36, 32, das dieses Jahr auf Noah
entspricht im Julianischen Kalender dem 7.             zurückführt.
Oktober 3761 v. Chr.37 .                               Das Jahr von 364 Tagen in vier mal dreizehn Wochen
                                                       wird im 6. Jahrhundert v. Chr. eingeführt worden
                                                       sein. Innerhalb von sechs Jahren waren in ihm alle 24
                                                       Priesterfamilien gleichmäßig auch zu den Festen am
                                                       Tempeldienst beteiligt. Nach 49 Sechs-Jahres-Zyklen
Der 304. neunzehnjährige Zyklus begann mit dem         war wieder der Ausgangspunkt erreicht. Die Stim-
Jahr 5758, nach dem Gregorianischen Kalender am        migkeit dieses Kalenders sprach „deutlich dafür, daß
Abend vor dem 2. Oktober 1997.                         es sich um die gottgewollte Urordnung des Kosmos
                                                       handeln müsse“. Er war vermutlich für den Jerusale-
37 Der emeritierte Hebraist Alan D. Corré stellt die   mer Tempelkult in Kraft, bis erstmals der Hohepries-
Tradition dar, nach der die Welt im Jahr 1 „wüst und   ter Menelaos 167 v. Chr. und nach ihm wieder Jona-
öde“ (Genesis / 1 Mose 1, 2) war, bis Gott am 24.      tan im Jahre 152 v. Chr. (nach der makkabäischen
       1 das Licht erschuf, so dass das Jahr 2 am 1.   Erneuerung) den babylonischen Mondkalender aus
Tishri mit dem ersten Sabbat, dem siebten Tag,         354 Tagen in Kraft setzte. Es gab also im 1. Jahrhun-
begann.                                                dert v. Chr. offenbar eine innerjüdische Auseinander-
Die Einführung der genannten Details des jüdischen     setzung um die Frage, ob nicht der Sonnenkalender
Kalenders wird Rabbi Hillel II. für das Jahr 359 der   besser der Schöpfung entspricht als der damals
christlichen Zeitrechnung zugeschrieben. Die           international und vielleicht schon regional im jüdi-
historische Geltung von Einzelheiten, insbesondere     schen Alltag praktizierte Mondkalender (nach H.
für die Zeit davor, ist unsicher.                      Stegemann, 231-241, Zitat 234).
13

    Tag und Nacht                                       2. Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung
    niemals feiern.40 “                                 zu Auseinandersetzungen44 .
Zur Zeit Jesu wurde Pessach am 14./15. Nisan,           Nach kirchlichen Darstellungen kam es vor,
am ersten Vollmond nach der                             dass im 2. oder 3. Jahrhundert bei der jüdischen
Frühlingstagundnachtgleiche, begangen.                  Festberechnung der Pessachtermin nach Ta-
Jesus starb nach allen vier Evangelien an ei-           bellen der Mondphasen ermittelt wurde, ohne
nem Freitag41 . Nach dem Johannesevangelium             die Tagundnachtgleiche zu berücksichtigen.
war dies der Tag vor dem Pessach, also der 14.          Dadurch konnten zwei Pessachtermine „in ein
Nisan (19, 14.31). Für die drei anderen Evan-           Jahr“45 (d.h. zwischen zwei Frühlingstagund-
gelien feierte Jesus Seder (den Abend nach dem          nachtgleichen) fallen. Durch unterschiedliche
14. Nisan) noch vor seinem Tod. Der sich an-            Voraussetzungen zum Ostertermin konnten bis
schließende Freitag, Jesu Todestag, war also für        Ende des 4. Jahrhunderts vier verschiedene Er-
sie der 15. Nisan. Die kirchliche Kalenderbe-           gebnisse von Osterberechnungen auftreten.
rechnung ist an dieser Stelle schließlich dem
Johannesevangelium gefolgt. In Diskussionen             3.4. Richtige Osterfeier durch ein Konzil?
um die Osterfeier wie in anderen kirchlichen
Auseinandersetzungen versuchten andererseits            Auch der Versuch der Lösung der Osterfrage
besonders Richtungen aus dem Osten des Rei-             verbindet sich mit dem Namen des Kaisers
ches, die von der sich durchsetzenden Großkir-          Konstantin I. Nachdem schon 314 christlicher
che abwichen, sich auf den Apostel Johannes             Zeitrechnung eine Synode von Arles die Oster-
als eigenständige Quelle ihrer Überlieferungen          feier „an einem Tag zu einer Zeit auf dem
zu berufen, denn dieser erhielt zwar nicht wie          ganzen Erdkreis“ gefordert hatte, bemühte
Petrus von Jesus Christus „die Schlüssel des            sich das vom Kaiser einberufene Erste Ökume-
Himmelreichs“ zugesprochen (Matthäus 16,                nische Konzil von Níkaia (        325, unter
19), aber er lag zu Tisch „an der Brust Jesu“           anderen entscheidenden theologischen Fragen
(Johannes 13, 25; vgl. 21, 20)42 , war ihm also         auch diese Gegensätze zu überwinden, bekräf-
besonders vertraut.                                     tigte die genannte Forderung und legte nach
Das Neue Testament bezeugt, dass Jesus am               den auf uns gekommenen Überlieferungen für
dritten Tag vom Todestag aus gerechnet von              die Christenheit des römischen Reiches fest,
                                                        dass Ostern der erste Sonntag nach dem vier-
den Toten auferweckt wurde43 .
                                                        zehnten Tag des Paschamonds ist, wobei letz-
Offenbar haben christliche Kirchen — wie es             terer nach der Frühlingstagundnachtgleiche
vom neutestamentlichen Sachverhalt her auch             liegen muss. Dabei ist bis heute die Tagund-
völlig naheliegend ist — teilweise am Tag des           nachtgleiche gemeint, zu der auf der Nord-
Pessach Tod und Auferweckung Jesu im Oster-             halbkugel der Erde Frühling ist. Das Konzil
fest begangen (so bis in die folgenden Jahrhun-         nahm dabei offenbar nach alexandrinischer
derte in der Provinz Asia Minor), teilweise am          Sicht den 21. März als frühesten Termin dieses
Sonntag n a c h diesem Tag besonders die                Vierzehnten, des Frühlings-, bzw. Paschavoll-
Auferweckung (am ersten Tag der Woche) in               monds fest an, eine Bestimmung, der die
ihrer Feier hervorgehoben. Es kam hierüber im           kirchliche Osterrechnung ebenfalls heute folgt.
                                                        Wahrscheinlich wurde das Patriarchat von

40 Die fünf Bücher der Weisung. Verdeutscht von
Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig, Im         44 Von dem Streit zwischen „Quatrodezimanern“
Anfang 7, 11; 8, 22.                                    („Anhängern des vierzehnten [Nisan / Paschamon-
41 Markus 15, 42; Matthäus 27, 62; 28, 1; Lukas         des]“) und der übrigen Kirche zur Zeit des Papstes
                                                        Viktor I. (Papst von 189-198/199) um die Feier am
23, 54; Johannes 19, 31.42. Der Sabbat beginnt mit      14. Nisan oder an einem Sonntag berichtet Eusebius
dem Sonnenuntergang (s. o.).                            von Caesarea, Kirchengeschichte, V, 23-26. Die
42 vgl. Eusebius von Caesarea (um 260 - 339/340),       Rückschau im dort wiedergegebenen Brief des
Kirchengeschichte III, 24, 3; vgl. V 24, 16 (Irenäus    Irenäus von Lyon (um 130 - um 200) gibt an, dass
von Lyon); Beda Venerabilis (um 673 - 735), Histo-      die Kontroverse bereits zur Zeit des Papstes Sixtus I.
ria Ecclesiastica gentis Anglorum / Kirchengeschichte   (Papst um 115 - um 125) bestand.
des englischen Volkes III, 25 (Ausgabe von Günter       45 Kaiser Konstantin in seinem Brief Über die
Spitzbart, 288).                                        Osterfeier an die Nichtteilnehmer des Konzils von
43 Lukas 24, 46; 1. Korinther 15, 4, vg. Hosea 6, 2.    Níkaia (Eusebius von Caesarea, Vita Constantini
Es war auch römische Zählweise, den Anfangs- und        [Leben des Konstantin], III., 18-20), dem im Wort-
Zieltag mitzuzählen.                                    laut erhaltenen Dokument des Konzils zur Osterfrage.
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Alexándreia damit betraut, den Termin zu er-             Kirche, der diese Aussage mit ihrer Betonung,
mitteln und der Reichskirche mitzuteilen.46              dass Ostern immer nach Pessach zu begehen
Schriftlich festgehalten ist, dass die Synode            ist, „gültige Bestimmung“49 ist, verstieß die
von Antiócheia am Orontes (Antakya, 341 n.               gesamte westliche Christenheit gegen diese
Chr.) in ihrem Kanon 1 festlegte, dass Laien,            Bestimmung, als sie aufgrund der Gregoriani-
die der Entscheidung des Konzils „betreffs des           schen Kalenderreform etwa am 26. März 1815
heiligen und heilsamen Osterfest“ beharrlich             zum Pessachtermin Ostern feierte50 .
widerstehen, exkommuniziert und aus der Kir-             Die Ostkirchen betonen heute in Kirchenge-
che ausgeschlossen werden sollen. „Wenn einer            sprächen, dass die Entscheidung des Konzils die
von denen, die in der Kirche vorstehen, sei er
Bischof, Presbyter oder Diakon, sich nach
diesem Dekret anmaßt, sein eigenes privates              Boumis, 146), traf der 2. Kanon des 5./6. (Trullani-
Urteil anzuwenden zur Zerrüttung des Volkes              schen) Ökumenischen Konzils. Nach dem 5. (553)
und Verwirrung der Gemeinden, indem er                   und 6. Ökumenischen Konzil (680-681) in Konstan-
Ostern mit den Juden [zur selben Zeit] feiert,           tinopel, die keine Kanones beschlossen, wird die Ge-
so entscheidet die Heilige Synode, dass er der           setzgebung des Ökumenischen Konzils „im Trullo“,
                                                         dem Kuppelsaal des Kaiserpalastes von Konstantino-
Kirche ein Fremder sei als einer, der nicht nur
                                                         pel (691-692), als Ergänzung beider angesehen und
Sünde auf sich selbst häuft, sondern der auch            dieses Konzil als „5./6.“ (griechisch:           /
die Ursache der Zerstörung und Zerrüttung für            Penthékte; lateinisch: Quinisextum) bezeichnet
viele ist, und sie enthebt nicht nur solche Per-         (Boumis, ebd.).
sonen selbst ihres Amtes, sondern auch dieje-            49 G. Voss, Kosmische Symbolsprache, 220.
nigen, die nach ihrer Amstenthebung sich an-
maßen, mit ihnen die Kommunion zu empfan-                50 H. Thurston, Easter Controversy; Lewis Patsavos,
gen.“47                                                  Christian Classical Ethereal Library at the Calvin
                                                         College. Der serbische Physiker
Der Kanon 7 der Apostel ordnet entsprechend              spricht von fünfzehn Fällen, an denen das westliche
an: „Wenn ein Bischof, Presbyter oder Diakon             Ostern vor oder zum Pessach lag. Ein gregorianischer
das Fest des Pascha vor der Frühlingstag-                Ostertermin vor Pessach ist auch für 2005 zu erwarten
undnachtgleiche mit den Juden feiert, soll er            (H. Metz). The Service Book of the Holy Orthodox
seines Amtes enthoben werden.“48 Für eine                Catholic Apostolic Church von Isabel Florence
                                                         Hapgood (1850-1928), das vermutlich erste ins Eng-
                                                         lische übersetzte orthodoxe Werk, formuliert: „Die
46 Dieser Abschnitt nach Herbert Thurston, Easter        Östliche Kirche beachtet nach wie vor die vom Kon-
Controversy, der sich für die letztgenannte Annahme      zil von Níkaia (325 n. Chr.) festgelegte und heute
auf einen Brief des Papstes Leo I. des Großen (Papst     von der westlichen Kirche missachtete Regel, dass
440-461) an den oströmischen Kaiser Markian (396-        das christliche Ostern niemals dem jüdischen Pessach
457) bezieht (Jacques-Paul Migne [1800-1875], Pa-        vorausgehen oder mit ihm zusammenfallen soll, son-
trologia cursus completus. Series latina LIV, 1055).     dern ihm immer folgen muss. Ostern kann nicht frü-
Problem aller Auslegungen der Regel des Konzils          her als der 5. April oder später als der 8. Mai fallen.
von Níkaia ist, „daß der genaue Wortlaut des Kon-        Der für die Zwecke der Osterermittlung verwendete
zilsbeschlusses nicht überliefert ist, ja daß es einen   Vollmond ist der vierzehnte Tag eines lunaren Mo-
schriftlich formulierten Beschlußtext wohl gar nicht     nats, der nach der altkirchlichen Berechnung ermittelt
gegeben hat“ (Gerhard Voss, Kosmische Symbolspra-        wird, nicht der wirkliche astronomische Vollmond“
che, 220). Einen Überblick über die Quellenlage zu       (Übersetzung der bei Matushka Nancy Gilbert zitier-
den Konzilsentscheiden gibt Anthony N. S. Lane.          ten Stelle der Ausgabe von 1921). Die angegebenen
47 übersetzt nach Christian Classics Ethereal Library    Daten drücken die östlichen Ostertermine in Daten
                                                         des Gregorianischen Kalenders für die Jahre von 1900
at Calvin College                                        bis 2099 aus.
< http://www.ccel.org/fathers/NPNF2-
                                                         Das Zusammentreffen der Feste war auch vor den
14/2ancyra/Antcns.htm> (05.02.2002) und                  Schaltjahrregelungen der Gregorianischen Reform
< http://www.ccel.org/fathers/NPNF2-                     durch im Westen verwendete tabellarische Berech-
14/2ancyra/Antcn1.htm> (05.02.2002).                     nungen möglich. Daniel P. McCarthy, 18, hat u.a.
48 Konstitutionen und Kanones der Apostel, 8. Buch       errechnet, dass in einem 84-jährigen Osterzyklus (s.u.
LXVII, 8 (übersetzt nach Apostolic Constitutions and     3.5.) das Mondalter 15 mit dem 14. Nisan des neun-
Canons). Die Schrift, die sich selbst als Lehre der      zehnjährigen Pessachzyklus zusammenfallen kann.
Apostel, weitergegeben durch Clemens von Rom,            Selbst in neunzehnjährigen christlichen Zyklen
darstellt, wird nicht vor dem 3. Jahrhundert entstan-    konnte dies durch die Ansetzung des saltus lunae
den sein. Nur der Schlussteil dieser Schrift, die 85     (s.u. 3.5.) geschehen.
„Kirchlichen Kanones derselben Heiligen Apostel“,        Während die hier vorgelegten Hinweise die Eindeu-
denen das obige Zitat entstammt, ist für die ortho-      tigkeit der Feier als Hauptmotiv des Konzilsent-
doxe Kirche kanonisches Recht.                           scheids vermuten, nennt                     als Absicht
Die Festlegung, „welche Kanones als Regeln der           des Konzils an erster Stelle die Trennung von Ostern
ganzen Kirche angesehen werden können“ (Panagiotis       und Pessach.
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