Hochschulautonomie - oder die Brosamen vom eidgenössischen Koordinations-Hochaltar

Die Seite wird erstellt Pierre-Oliver Steffen
 
WEITER LESEN
2.6.2009

                            Hochschulautonomie –
        oder die Brosamen vom eidgenössischen Koordinations-Hochaltar
    Das neue „Bundesgesetz über die Hochschulförderung und die Koordination im
            schweizerischen Hochschulbereich (HFKG)“ steht vor der Tür.
                                           Von Fredy Sidler, Biel1

Das nordrhein-westfälische „Hochschulfreiheitsgesetz (HFG)“ vom 31. Oktober 2006 umschreibt die
Freiheit der Hochschulen auf 70 dicht beschriebenen A4-Seiten. So weit sind wir in der Schweiz zum
Glück noch nicht. Die Philosophie der schweizerischen Autoren des nun an die eidgenössischen Räte
geschickten Entwurfs zu einem Hochschulgesetz des Bundes dürfte aber von jener ihrer Kollegen in
Nordrhein-Westfalen nicht allzu weit entfernt sein. Obwohl die schweizerische Bundesverfassung eine
andere Sprache spricht.

Fehlende Ehrlichkeit darf dem Bundesrat und den Autoren des Entwurfs zu einem schweizerischen
Hochschulförderungs- und -koordinationsgesetz HFKG bestimmt nicht vorgeworfen werden. Bereits
im Titel des Gesetzesentwurfs und in Artikel 1 sprechen sie offen aus, was ihnen wichtig ist: ein ge-
samtschweizerisch koordinierter Hochschulraum, der wettbewerbsfähig und von hoher Qualität sein
soll.

Das Ziel qualitativ hochstehender und wettbewerbsfähiger Hochschulen dürfte von keiner Seite be-
stritten sein. Was aber soll ein so prominent postulierter, zentral koordinierter Hochschulraum leis-
ten?

Hochschulen - Universitäten, Fachhochschulen und Pädagogische Hochschulen – sind dann wettbe-
werbsfähig, wenn es ihnen dank hoher Qualität gelingt, die besten Lehrenden, Forschenden und Stu-
dierenden in ihrem Bereich anzuziehen. Dazu brauchen sie Autonomie. Selbst der Bundesrat be-
zeichnet in seinen früheren Grundlagenpapieren mehrfach die Autonomie als Grundpfeiler zum Er-
folg der Hochschulen. Und in der vorliegenden Botschaft führt er auf S. 43 aus: „Ein leistungsorien-
tierter, hohen Qualitätsansprüchen genügender Hochschulraum Schweiz gründet notwendigerweise
auf autonomen Hochschulen.“

Aber dann dies: Über 30 Mal ist im bundesrätlichen Entwurf von „Koordination“ und „Planung“ die
Rede. Lediglich viermal schaffen dies die Begriffe „Autonomie“ und „Wettbewerb“. Die Erklärung
dazu steht ebenfalls in der Botschaft: Aus verschiedenen Mängeln - sie werden in der Botschaft auf-
gezählt - ergebe sich „die Notwendigkeit einer einheitlichen, gesamtschweizerisch konzipierten Ko-
ordination“ (S. 33). Vom herkulischen Spagat zwischen Autonomie und zentraler Koordination ist
auch bei genauem Hinschauen in der Botschaft nichts zu lesen.

Dabei weiss fast jedes Kind: Koordination und Wettbewerb, Planung und Autonomie – das ist wie
Feuer und Wasser, wie Tag und Nacht, wie bei der Heisenberg’schen Unschärferelation: Je besser
man das eine im Griff hat, umso mehr entzieht sich einem das andere.

1
 Der Autor ist ehemaliger Generalsekretär der Rektorenkonferenz der Fachhochschulen der Schweiz KFH.
Zuvor hatte er die Ingenieurschule Biel und anschliessend die Berner Fachhochschule geleitet. Seit seiner Pen-
sionierung ist er bei Res Publica Consulting Bern beratend im Hochschulbereich tätig. Für Feedacks:
fredy.sidler@rpconsulting.ch
Der bundesrätlichen Bevorzugung planwirtschaftlicher Instrumente müssen zwei fundamentale Ein-
sichten zu Grunde liegen, nämlich:

1. die Bundesverfassung verlange dies und
2. das wichtigste Problem unserer heutigen und künftigen Hochschulen sei ihre fehlende Koordina-
   tion untereinander - und dieser Makel sei einzig durch zentrale planwirtschaftliche Massnahmen
   zu beseitigen.

Und dies interessanterweise 20 Jahre nach der Grablegung des sowjetischen Gosplans.

Was die Bundesverfassung verlangt
Im Wesentlichen sind es drei Verpflichtungen, die die Bundesverfassung dem Bund im Hochschulbe-
reich auferlegt (siehe Kasten 1): Der Bund soll sich erstens an der Finanzierung der Hochschulen be-
teiligen, er soll zweitens zusammen mit den Kantonen Rahmenbedingungen festlegen, und er kann
drittens seine Beiträge an besonders kostenintensive Bereiche an Bedingungen knüpfen.

Das ist schon alles. Nichts steht da von Steuerung des Gesamtsystems, nichts von zentralen Ange-
botsplanungen, nichts von flächendeckenden, staatlich verordneten Aufgabenteilungen unter den
Hochschulen. Alles Dinge, die man aber wörtlich oder sinngemäss im HFKG-Entwurf und in der Bot-
schaft lesen kann.

Die Bundesverfassung schafft eigentlich ideale Voraussetzungen, um in der Schweiz ein funktionie-
rendes Hochschulwettbewerbs-System zu etablieren. Sofern man es will.

Wozu die Bundesverfassung zusätzlich ermächtigt
Aber dann steht in der Bundesverfassung auch das verführerische Wort „Koordination“: „Bund und
Kantone sorgen gemeinsam für die Koordination … im schweizerischen Hochschulwesen. Sie nehmen
dabei Rücksicht auf die Autonomie der Hochschulen…“ (Art. 63a Abs.3 BV).

Kernfrage ist: Was steht im Vordergrund - die zentral gesteuerte Koordination im Hochschulwesen
oder die Autonomie der Hochschulen? Ist Koordination wichtiger als Erfolg der Hochschulen? Kann
Koordination überhaupt ein Ziel sein? Koordinieren bis gar nichts mehr geht? Kommt erst die Koordi-
nation, und was dann noch bleibt, dürfen die Hochschulen mit Autonomie belegen?

Auf diese Fragen geht der Bundesrat gar nicht ein, er beantwortet sie diskussionslos gleich vorweg
mit einem unverkennbaren Bekenntnis zu Wirksamkeit und Überlegenheit planwirtschaftlichen Tuns.
So werden im HFKG-Entwurf aus dem harmlosen BV-Wort „Koordination“ so monströse Dinge wie:

    •   „Gesamtschweizerische hochschulpolitische Planung und Aufgabenteilung“ (Art. 1 Abs. 2 lit. c
        und Art. 3 lit. h)
    •   „Förderung der Bildung von Schwerpunkten und der Konzentration von Angeboten“ (Art. 3
        lit. c)
    •   „Der Bund erarbeitet zusammen mit den Kantonen … eine gesamtschweizerische hochschul-
        politische Planung und Aufgabenteilung.“ (Art. 36 Abs.1)

Und folgerichtig legt ein ganzes Gesetzeskapitel dar, wie eine solche Planung zu funktionieren habe.
Wo da die Hochschulautonomie noch Platz hat, bleibt das Geheimnis des Bundesrates.

Dabei verpflichtet oder ermächtigt die Bundesverfassung Bund und Kantone mit keinem Wort, selbst
Aufgabenteilungen im Hochschulbereich vorzunehmen – nicht einmal in den besonders kosteninten-
siven Bereichen. Sie sagt einzig, dass der Bund in den besonders kostenintensiven Bereichen seine

                                                                                                       2
finanzielle Unterstützung der Hochschulen von der Aufgabenteilung abhängig machen könne (nicht
einmal müsse!). Das ist alles.

Würde die Logik der HFKG-Autoren auf den Wirtschaftsbereich angewendet, dann müsste eine staat-
liche Planungsstelle endlich dafür sorgen, dass zum Beispiel der Zersplitterung in der Chemiebranche
ein Ende gesetzt wird. So müssten etwa Ems Chemie, Lonza Wallis, Siegfried Zofingen, CU Uetiken,
Chemia Brugg, Geistlich Söhne Wolhusen, Credimex Sarnen, IG Pulvertechnik Wil, Roche Basel usw.
mit Novartis Basel ein Netzwerk bilden oder mit ihr fusionieren und womöglich alle in Basel angesie-
delt werden. Oder ist dies etwa darum nicht nötig, weil der in der Wirtschaft existierende Wettbe-
werb bessere Aufgabenteilungen hervorbringt als die Planwirtschaft?

Einem aufgabenteiligen Wettbewerb im Hochschulbereich steht auch der verfassungsmässige Koor-
dinationsauftrag nicht im Wege. Denn: Ihm wird längst Genüge getan erstens mit unter Bund und
Kantonen koordinierten Finanzierungsregeln, zweitens mit sorgfältig geplanten und allseits abge-
stimmten Rahmenbedingungen und drittens mit der allfälligen Veränderung von finanziellen Beiträ-
gen an Hochschulen mit besonders kostenintensive Bereichen. Dabei würde die Autonomie der
Hochschulen – völlig verfassungskonform - erst noch kaum angetastet.

Alles, was darüber hinaus unter den Hochschulen staatlich koordiniert werden soll, ist verfassungs-
mässige Kür oder gar verfassungswidrig und muss vom tiefen Glauben an eine kardinale, fast schon
metaphysisch inspirierte Interventionismus-Mission erfüllt sein. Auch davon, dass Planwirtschaft
mehr und Besseres leistet als Wettbewerb. Vielleicht stehen in diesem Glauben gar die Hochschullei-
tungen in globo unter dem Generalverdacht der Unfähigkeit.

Ein Berg, der kaum eine Maus gebären könnte
In ein paar freien Minuten sollte man sich mal vorstellen, was eine solche Gesamtplanung bedeutet,
welcher Apparat da aufgebaut werden soll, welche teuren Kräfte damit gebunden werden, welche
Lähmungen bei den Hochschulen dies auslöst, welche strategischen Optionen und Synergien nicht
genutzt werden, wieviel Geld in wenig versprechende Lösungen investiert wird ... Ganz abgesehen
von der Überzeugung, ein paar – durchaus bestens qualifizierte und dem Staatswohl verpflichtete -
Staatsangestellte in Bern hätten den bessern Blick dafür, was den Hochschulen für ihren künftigen
Erfolg zuträglich sei.

Wer’s nicht glaubt, kann mal nachrechnen lassen: Was haben die beiden interventionistischen
Vorzeige-Projekte Vetsuisse und BeNeFri an Geld, übrigen Ressourcen und Verzichtsmassnahmen
gekostet, und was haben sie an Mehrwert und Kostenersparnis gebracht? Im besten Fall vielleicht
Peanuts – und gemessen an den Gesamtkosten des Hochschulsystems wahrscheinlich gar nichts oder
höchstens etwas im Bereich einiger Stellen hinter dem Komma. Wirklich unabhängige, starke Hoch-
schulen indessen würden im Wettbewerb aus purem Eigeninteresse kooperieren - und dies nachhal-
tig und zu Gunsten von Qualität und Effizienz.

Sollten im heutigen schweizerischen Hochschulraum unerwünschte Koordinationsmängel zu orten
sein, dann hätten diese ganz wesentlich mit dem zur Selbstverständlichkeit gewordenen schweizeri-
schen Staatsinterventionismus auf nationaler und regionaler Ebene selbst zu tun (die Herzchirurgie
lässt grüssen!). Wenn jetzt mit einem gar verstärkten Staatsinterventionismus die durch ihn geschaf-
fenen Probleme behoben werden sollen, fühlt man sich an den Teufel erinnert, der einmal mehr mit
dem Beelzebub ausgetrieben werden soll.

Augenmass ist gefragt
Auch die Befürworter eines Wettbewerbssystems wissen um die Notwendigkeit und Wichtigkeit von
geeigneten staatlichen, für alle Hochschulen gleichermassen geltenden Rahmenbedingungen. Das ist
nicht anders als bei den Regelwerken für die Wirtschaft oder den Fussball. Die Bundesverfassung

                                                                                                     3
führt solche Rahmenbedingungen auf (siehe Kasten 1). Zu ihrer sinnvollen und abgestimmten Pla-
nung reichen einige schlanke Kooperations-Instrumente zwischen den Behörden und den Hochschu-
len problemlos aus.

Wo es allerdings viel zu koordinieren und zu verschlanken gibt, ist der Bereich der staatlichen Hoch-
schulpolitik und -verwaltung selbst: Bund und EDK, EDI und EVD, SBF und BBT, SWTR und EFHK, FHR
EDK und SUK – höchstens die Finanzderivate sind noch unverständlicher und verwirrlicher. Zu Recht
soll daher die Zahl der staatlichen Hochschulorgane mit dem neuen HFKG gestrafft werden. Auch die
drei Rektorenkonferenzen der Universitäten, der Fachhochschulen und der Pädagogischen Hochschu-
len sollen sich gemäss dem HFKG-Entwurf zu einem einzigen Organ zusammen schliessen.

Die Verwendung öffentlicher Gelder
Interessante Begründungen für die Notwendigkeit des Staatsinterventionismus hört man in Neben-
räumen und in Pausengesprächen. Da ist etwa die Rede von „Wer zahlt, befiehlt“ oder – vornehmer
ausgedrückt – von „Es geht um staatliche Gelder, also besteht die staatliche Verpflichtung, für den
richtigen Mitteleinsatz zu sorgen“. Nur: Wer garantiert, dass Regierungsmitglieder oder hohe Staats-
angestellte über das Instrument der Planwirtschaft besser für einen erfolgversprechenden und spar-
samen Mitteleinsatz sorgen können als autonome Hochschulleitungen in einem Wettbewerbssys-
tem? Und: Auch Rektorate oder Präsidien von eidgenössischen oder kantonalen Hochschulen sind
von Hochschulräten gewählt, die ihrerseits vom Bundesrat oder von kantonalen Regierungen einge-
setzt sind. Es gibt also die öffentliche Verantwortungs-Kaskade bis in die Hochschulen hinein.

Der Bund hat in die UBS rund 45 Mrd. Franken an öffentlichen Geldern investiert. Dieser Betrag wür-
de reichen, um knapp neun Jahre lang den ganzen Bundesanteil am Hochschul- und Forschungsraum
Schweiz zu finanzieren, einschliesslich des Betriebs der beiden ETH und ihrer vier Forschungsanstal-
ten. Politische Klugheit wird verhindern, dass die UBS deswegen verstaatlicht und damit dem Inter-
ventionismus unterworfen werden soll – obwohl staatliche Mittel fliessen. Warum soll dies bei den
Hochschulen anders sein? Was können da Planwirtschaft und Staatsdiener/innen besser als im Be-
reich der Banken?

Für exzellente und kostengünstige Hochschulen
Der bundesrätliche HFKG-Entwurf enthält in allen andern Bereichen - Gemeinsame Organe, Quali-
tätssicherung/Akkreditierung, Finanzierung, Bundesbeiträge, Bezeichnungs- und Titelschutz - wichti-
ge und begrüssenswerte Neuerungen. Diese Bereiche haben keinen direkten Zusammenhang zum
Thema „Wettbewerb oder Planwirtschaft“. Darum drängt sich eine Rückweisung der Vorlage nicht
auf: Die eidgenössischen Räte können die ordnungspolitische Gretchenfrage problemlos im Rahmen
einer partiellen Korrektur des HFKG-Entwurfs beantworten (siehe Kasten 2). Und diese Frage lautet:

Wollen wir

a. autonome, kostengünstige und qualitativ hoch stehende Hochschulen, die sich durch echten
   Wettbewerb selber in ihre Aufgaben und Angebote teilen, also ein Hochschulwettbewerbsgesetz,
   oder

b. einen überteuren Hochschulraum, der - unter Inkaufnahme von Qualitätseinbussen und man-
   gelnder Wettbewerbsfähigkeit - von staatlichen Stellen planwirtschaftlich koordiniert und ge-
   steuert wird, also ein Hochschulkoordinationsgesetz?

Beides zusammen geht nicht.

                                              ******

                                                                                                   4
Kasten 1:
Bundesverfassung Art. 63a:
• Der Bund unterstützt die kantonalen Hochschulen mit finan-
    ziellen Beiträgen (Abs. 2).
• Zusammen mit den Kantonen legt der Bund Rahmenbedin-
    gungen für den Hochschulbereich fest. Diese sind abschlies-
    send aufgezählt: Qualitätssicherung, Studienstu-
    fen/Uebergänge, Weiterbildung, Anerkennung von Institu-
    tionen und Abschlüssen (Abs. 2 und 5).
• In besonders kostenintensiven Bereichen kann der Bund sei-
    ne Beiträge von der Aufgabenteilung unter den Hochschulen
    abhängig machen (Abs. 5).

Kasten 2:

Vom HFKG zum HFWG
Der Schritt vom HFKG zu einem Hochschulwettbewerbsgesetz
HFWG könnte relativ leicht vollzogen werden durch:
• Anpassung der allgemeinen Bestimmungen (Zweck, Ziele),
• Streichen von Kapitel 6 (Planungsbestimmungen) und
• kleinere Anpassungen in weiteren Artikeln (Aufgaben der
    Organe, Finanzierung etc.)
                                                              fs

                                                                   5
Sie können auch lesen