Höhere Steuern auf Alkohol!
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Höhere Steuern auf Alkohol! 14 Michael Adams* und Tobias Effertz** Der Konsum alkoholischer Getränke beeinträchtigt die brauchten Güter, etwa von Arzneimitteln oder medizini- Gesundheit und kann zu frühzeitigem Tod führen. Alko- schen Dienstleistungen wie Operationen, sowie die Kos- hol ist die zweitwichtigste Ursache für Krebs. In Deutsch- ten von Rehabilitationsmaßnahmen. Die indirekten Kos- land konsumieren immer mehr Kinder und Jugendliche ten entstehen dadurch, dass aufgrund von Krankheit und riskante Mengen an alkoholischen Getränken. Die Kos- vorzeitigem Tod ansonsten von den Betroffenen herge- ten dieses Alkoholkonsums sind für Konsumenten und stellte Güter und Dienstleistungen nicht erstellt werden. Gesellschaft außerordentlich hoch. Die Preise alkoholi- Indirekte Kosten sind somit die konsumbedingten Pro- scher Getränke sind in den vergangenen 40 Jahren in duktivitätsausfälle einer Volkswirtschaft. Bei einer Ma- Deutschland relativ zum allgemeinen Preisniveau um rund schine wären dies die aufgrund Maschinenstillstandes 30% billiger geworden. Im europäischen Vergleich weist nicht erzeugten Güter. Um die indirekten Kosten in Geld Deutschland besonders niedrige Steuersätze auf Alko- zu beziffern, bedient man sich des Humankapitalansat- hol auf. Dieser Beitrag beziffert die volkswirtschaftlichen zes. Dabei wird unterstellt, dass der alkoholbedingte Ver- Kosten der alkoholbedingten Krankheiten und Todesfäl- lust eines Lebensjahres Kosten in Höhe des von den Be- le und schlägt eine deutliche Erhöhung der Steuern auf troffenen ansonsten am Markt erzielbaren Jahresbrutto- alkoholische Getränke vor. Höhere Steuern wären mit einkommens verursacht. Der Wert der von den Betroffe- einem deutlichen Rückgang des Alkoholkonsums vor nen erstellten Leistungen, denen kein Markteinkommen allem bei Kindern und Jugendlichen verbunden. Zugleich gegenübersteht, wie Leistungen in der Familie, Ehren- stiege das bisher sehr geringe Steueraufkommen auf al- ämtern, hauswirtschaftlichen Tätigkeiten für andere oder koholische Getränke deutlich an und ermöglichte eine Betreuung von Kranken, wird monetär ebenfalls erfasst Verminderung der Steuerlast an anderer Stelle. Hierdurch und den Kosten hinzugefügt. Nicht berücksichtigt wird ergäbe sich eine volkswirtschaftlich bessere Steuer- hierbei der Verlust an Lebensjahren, in denen keine pro- struktur. duktiven Leistungen erbracht werden. Die intangiblen Kosten umfassen die monetär bewerteten Einschrän- kungen der Lebensqualität, das Leid und die Schmer- Alkoholkonsum und Problemlage zen der Betroffen, üblicherweise ohne Einbeziehung der in Deutschland mitleidenden Angehörigen. Die intangiblen Kosten kön- nen beträchtlich sein und die Höhe der direkten und in- Der Pro-Kopf-Konsum betrug in Deutschland 11,5 Liter rei- direkten Kosten übertreffen. nen Alkohol für das Jahr 2007. Besonders beunruhigend ist der zunehmende gefährliche Konsum alkoholischer Ge- Die Kosten des Alkohol- und Nikotinkonsums werden nicht tränke durch Kinder und Jugendliche. Der durchschnittli- nur vom Konsumenten selbst als sog. »interne Kosten« ge- che wöchentliche Konsum unter den 12- bis 17-Jährigen tragen. Auch anderen Menschen wird ein Teil der Kosten belief sich auf 50,4 g Reinalkohol im Jahr 2007, eine Stei- aufgebürdet. Dies sind die sog. »externen Kosten«. Zu- gerung gegenüber dem Jahr 2005 um 48%. 26% dieser sammengenommen ergeben sie die »sozialen Kosten« des Altersgruppe konsumierten innerhalb der letzten 30 Tage Konsums. mindestens fünf alkoholische Getränke hintereinander und betrieben damit das besonders riskante »Binge-Drinking«. Vor allem über das Steuer-, Sozial- und Krankenversiche- Je früher mit dem Konsum von Alkohol begonnen wird, des- rungssystem werden wesentliche Kostenbestandteile vom to höher ist die Wahrscheinlichkeit einer späteren Alkohol- Konsumenten auf andere Personen verlagert (»externali- abhängigkeit. Die Kriminalstatistiken zeigen einen starken siert«). Aus der Möglichkeit, Kosten des eigenen Alkohol- Zusammenhang zwischen dem Alkoholkonsum Jugendli- konsums auf andere Menschen zu verlagern, ergibt sich cher und begangenen Straftaten. Straftaten unter Alkohol- ein Fehlanreiz zu übermäßigem Konsum. einfluss nehmen zu und erreichen je nach Bundesland ein Ausmaß von 50% und mehr. Im Folgenden werden die alkoholassoziierten Kosten im Rahmen des Prävalenzansatzes für das Jahr 2007 bezif- fert. Hierzu haben wir die direkten und die indirekten Kos- Die volkswirtschaftlichen Kosten des ten berechnet. Intangible Kosten wurden von uns nicht be- Alkoholkonsums ziffert. Die direkten Kosten des Alkohol- und Tabakkon- sums, also ärztliche Dienstleistungen, Medikamente, Hilfs- Die alkoholassoziierten Kosten werden in direkte, indi- rekte und intangible Kosten eingeteilt. Die direkten Kos- * Prof. Dr: Michael Adams ist Leiter des Instituts für Recht der Wirtschaft an der Universität Hamburg. ten erfassen den Wert der im Gesundheitssektor aufgrund ** Dr. Tobias Effertz ist Habilitand am Institut für Recht der Wirtschaft an der der alkohol- oder nikotinassoziierten Krankheiten ver- Universität Hamburg. ifo Schnelldienst 19/2009 – 62. Jahrgang
Kommentar 15 mittel und Rehabilitationsmaßnahmen werden berechnet, Direkte Kosten Mill. indem zunächst für sämtliche mit dem Konsum in Verbin- Gesundheitsschutz 55,08 dung gebrachten Krankheiten nach ICD 10 (International Ambulante Einrichtungen 3 639,88 Arztpraxen 1 124,31 Statistical Classification of Diseases and related Health Pro- Zahnarztpraxen 478,97 blems) eine »ätiologische Fraktion« ermittelt wird. Dieser Praxen sonstiger medizinischer Berufe 219,20 Wert gibt an, welcher Anteil der Krankheit auf Alkohol- Apotheken 1 063,50 konsum zurückzuführen ist. Nach der Gesundheitsbe- Gesundheitshandwerk/-einzelhandel 473,82 richterstattung des Bundes betrugen die Gesundheits- Ambulante Pflege 232,10 Sonstige ambulante Einrichtungen 47,97 ausgaben für das Jahr 2007 insgesamt 252,75 Mrd. €. Zu- Stationäre/teilstationäre Einrichtungen 2 684,34 sätzlich zu den in der Gesundheitsberichtserstattung er- Krankenhäuser 1 890,90 fassten Kosten muss ein Betrag für bestimmte vorbeu- Vorsorge-/Rehabilitationseinrichtungen 226,13 gende und betreuende Maßnahmen im Gesundheitsbe- Stationäre/teilstationäre Pflege 567,33 reich, wie betreutes Wohnen, Beratungen und ambulante Rettungsdienste 78,27 Verwaltung 429,19 wie stationäre Hilfen, einberechnet werden, der zusätzlich Sonst. Einrichtungen u. private Haushalte 217,15 zu den üblichen Gesundheitsleistungen und meist ohne Ausland 32,53 gesonderte Rechnungsstellung erbracht wird. Wir gehen Investitionen 256,55 davon aus, dass dieser Betrag 10% der gesamten direk- Vorbeugende und betreuende Maßnahmen 1 562,30 Sachschäden in Betrieben 1 046,00 ten Kosten ausmacht. Sachbeschädigung/Straftatbestand 203,73 Straßenverkehrsunfälle 656,10 Über die im Gesundheitssektor entstehenden Kosten hin- Direkte Kosten insgesamt 10 861,11 aus spielt Alkoholkonsum bei Sachschäden durch Un- fälle im Straßenverkehr und Sachbeschädigungen eine Im Jahr 2007 starben 49 933 Personen an den Folgen des große Rolle. Im Jahr 2007 wurde bei 51 153 Unfällen Al- Alkoholkonsums. Zur monetären Bewertung werden die ver- koholeinfluss festgestellt. Mit Hilfe der von der Bundes- lorenen produktiven Lebensjahre mit den Barwerten des ent- anstalt für Straßenwesen ermittelten Kostensätze für gangenen Jahreseinkommens der Betroffenen multipliziert. Sachschäden bestimmter Unfallschweregrade ergeben Das durchschnittliche Arbeitnehmerentgelt des Jahres 2007 sich alkoholbedingte Unfallsachschäden in Höhe von (STBA) über alle Voll-, Teilzeit- und geringfügig Beschäftig- 656,1 Mill. €. ten lag bei 33 528 € für die 15- bis 64-Jährigen. Hinzu kommt die verlorene Produktivität aus hand- und hauswirtschaftli- Die polizeiliche Kriminalstatistik des Jahres 2007 weist cher Tätigkeit, Ehrenämtern. Diese schätzen wir über die 203 725 vorsätzliche Sachbeschädigungen unter Alkohol- Zeitbudgeterhebung des Statistischen Bundesamtes auf einfluss aus. Allerdings gibt es bundesweit keine Statistik 11 780 € bei Frauen und 8 156 € bei Männern. Als Diskon- über die Höhe der Kosten von Sachbeschädigungen. Bei tierungssatz haben wir 2% gewählt. einem unterstellten Wert des durchschnittlichen Sachscha- Neben den durch Tod entstehenden Ressourcenausfällen, dens von 1 000 € ergibt sich eine Schadenssumme von fallen morbiditätsbedingt weitere Kosten in Form des krank- 203,73 Mill. €. heitsbedingten Fehlens am Arbeitsplatz an. Diese lassen sich über die Frühberentung als gänzliche oder teilweise Re- Neben den Unfällen im Straßenverkehr, die durch Alkohol- duktion der Arbeit, die Arbeitsunfähigkeitstage, differenziert einfluss verursacht werden, entstehen auch alkoholbeding- nach Krankheit und Arbeitsunfall, sowie die Tage für Reha- te Arbeitsunfälle mit Sachschäden im Betrieb, für die die ge- bilitation erfassen. setzliche Unfallversicherung nicht aufkommt. Der Gesamt- verband der deutschen Versicherungswirtschaft GDV be- Insgesamt ergeben sich folgende indirekte Kosten in Mil- ziffert die Schadensaufwendungen aus unterschiedlichen lionen Euro: Feuer- und technischen Versicherungen inklusive der damit entstehenden Betriebsausfallkosten auf 4,19 Mrd. €. Un- Indirekte Kosten Mill. terstellt man, dass 25% aller Unfälle in Betrieben auf Alko- Mortalitätsverluste bewerteter Arbeitszeit 4 995,136 Mortalitätsverluste bewerteter Nichtmarkt- holkonsum zurückzuführen sind, entstehen hier weitere Kos- tätigkeiten 6 505,573 ten von 1,046 Mrd. €. Arbeitsunfähigkeit bewertet GKV 1 606,259 Arbeitsunfähigkeit gesetzliche Unfall- Zusammenfassend ergeben sich nach unseren Berech- versicherung 150,945 Frühberentung 3 285,336 nungen folgende direkte Kosten des Alkoholkonsums für Produktionsausfälle 117,205 das Jahr 2007 in Millionen Euro: Indirekte Kosten insgesamt 16 660,457 62. Jahrgang – ifo Schnelldienst 19/2009
16 Kommentar Insgesamt betragen die direkten und indirekten Kosten des gang dieser gefährlichen Konsumart. Eine Meta-Analyse von Alkoholkonsums 27,48 Mrd. €. Wagenaar et al. (2009), die 112 Studien mit 1 003 Schät- zungen der Effekte von Alkoholsteuern untersucht, kommt Die intangiblen Kosten werden hier nicht weiter betrachtet. zu dem Ergebnis, dass Alkoholsteuern den Gesamtkonsum Ihre Einbeziehung würde die Gesamtkosten nochmals deut- an Alkoholika zurückdrängt und dabei auch den Konsum al- lich erhöhen. Die von zuvor ermittelten Kosten des Alko- koholsüchtiger Menschen deutlich vermindern. Über alle holkonsums sind daher um diese wichtige Kostenkompo- Studien hinweg ergibt sich eine Elastizität von – 0,44 für die nente zu niedrig. In einer Studie des Jahres 2006 für die Marktnachfrage nach alkoholischen Getränken allgemein, Europäische Union lag die Höhe der intangiblen Kosten aus mit – 0,46 für Bier, – 0,69 für Wein, – 0,8 für Spirituosen Verlust an Lebensqualität der Alkoholkranken, dem Leid und einem Gesamtwert von – 0,28 für die Nachfrage ris- der Opfer von alkoholbedingter Kriminalität und Familien- kant Konsumierender und Schwerstabhängiger. Diese Wer- angehörigen des Alkoholkranken sowie weiteren alkohol- te besagen, dass z.B. eine Preiserhöhung bei Bier von 1% bedingten Verhaltensänderungen beim 2,2-fachen der Sum- zu einem Nachfragerückgang nach Bier von 0,46% führt, me aus direkten und indirekten Kosten. während eine 1%ige Preiserhöhung bei Spirituosen einen Nachfragerückgang nach Spirituosen von 0,8% bewirkt. Süchtige vermindern ihren Konsum um 0,28%. Verhaltenssteuerung durch höhere Alkoholsteuern Besonders niedrige Alkoholsteuern in Deutschland Die vorgelegten Zahlen zeigen die Notwendigkeit, zur Ver- In Deutschland werden Verbrauchssteuern lediglich auf haltenssteuerung Alkohol einer deutlich höheren Besteue- einige der alkoholischen Getränke erhoben. In der deut- rung zu unterwerfen, als dies bisher in Deutschland der Fall schen Steuersystematik zerfallen die Alkoholsteuern in vier ist. Die im europäischen Vergleich besonders geringe Be- Alkoholsteuerarten: 1. Die Biersteuer, 2. die Branntwein- steuerung von Alkohol in Deutschland ist Ursache der ho- steuer, 3. die Steuer auf Schaumwein- und Zwischen- hen volkswirtschaftlichen Kosten und einer besonderen Ge- produkte und 4. die erst 2004 geschaffene Steuer auf so fährdung der Kinder und Jugendlichen. genannte Alkopops. Auf Wein wird in Deutschland keine Steuer erhoben. Gemäß EU-Richtline 92/84/EEC des Eu- Die verhaltenssteuernde Wirkung von Alkoholsteuern ropäischen Rates, bestehen seit Einführung des gemein- samen Marktes Untergrenzen der Besteuerung in den ge- Das Verfahren, Steuern nicht aus rein fiskalischen Zwecken, nannten Produktgruppen. Das Steueraufkommen aus al- sondern auch zur Lenkung der Konsumenten durch preis- koholischen Getränken betrug rund 3,3 Mrd. € im Jahr liche Anreize zu nutzen, bedarf angesichts der verfas- 2008. Dies entspricht weniger als 1% der gesamten Steu- sungsrechtlich gesicherten Freiheitsrechte der Bürger einer ereinnahmen. Rechtfertigung. Über den Konsum krank- und süchtigma- chender Güter wird insbesondere von den betroffenen Kin- Der Verlauf der unterschiedlichen Steueraufkommen ist in dern und Jugendlichen nicht rational, sondern unter falscher Abbildung 1 dargestellt: Wahrnehmung ihrer teils verzögert eintre- tenden nachteiligen Folgen, insbesondere Abb. 1 des gesundheitlichen Risikopotentials ent- Entwicklung des Steueraufkommens einzelner alkoholischer Getränke schieden. Höhere Steuern dienen dann da- zu, dem Produkt einen Preis zu geben, der Aufkommen in Mill. Euro 3 000 den wirklichen mit dem Alkoholkonsum ver- bundenen Kosten näher kommt, und diese 2 500 Kosten den Konsumenten bereits beim Kauf 2 000 an der Ladenkasse vor Augen führt. Branntweinsteuer 1 500 Eine Steuererhöhung auf Alkohol bewirkt ei- nen Rückgang der Nachfrage nach Alkohol 1 000 Biersteuer oder Zigaretten. Vor allem das Binge-Drin- 500 king der Jugendlichen hat auf US-Steuerer- Schaumweinsteuer höhungen überproportional reagiert. Eine 0 Zwischenerzeugnissteuer 1%ige Erhöhung des Alkoholpreises durch 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 Steuern führte zu einem 2,24%igen Rück- Quelle: Bundesfinanzministerium. ifo Schnelldienst 19/2009 – 62. Jahrgang
Kommentar 17 Abb. 2 land nicht besteuert. Die Biersteuer liegt mit Entwicklung der Preise alkoholischer Getränke 0,787 € nahe am vorgeschriebenen EU-Mi- Berechnung bezogen auf das Basisjahr 1970 nimum von 0,748 €. Lediglich vier von 350 27 EU-Ländern haben niedrigere Biersteu- Verbraucherpreisindex 300 ern als Deutschland. Im Spirituosenbereich ist in Deutschland zumindest ein im EU-Ver- 250 Preise, gleich annäherndes Durchschnittsniveau er- absolut 200 kennbar. Bier 150 alkoholische Getränke Weniger alkoholkranke Kinder und Spirituosen 100 Wein Erwachsene durch höhere Alkoholsteuern Preise, relativ 50 Angesichts der hohen volkswirtschaftlichen 0 Kosten des Alkoholkonsums und der in der 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 wissenschaftlichen Literatur nachgewiese- Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnung der Autoren. nen geringen Effektivität verhaltenspräven- tiver Maßnahmen zur Verminderung des ge- Zur Ermittlung der realen Alkoholpreise haben wir Zeitrei- fährlichen Alkoholkonsums sind Erhöhungen der Steuern hen des Statistischen Bundesamtes benutzt, um die Preis- auf alkoholische Getränke der richtige Weg, die Bevölke- entwicklung unterschiedlicher alkoholischer Getränke ab- rung und vor allem Kinder und Jugendlichen, vor zu hohem solut und relativ zum Verbraucherpreisindex zu betrachten. Alkoholkonsum zu schützen. Aus Abbildung 2 geht klar hervor, dass sich die Preise für alkoholische Getränke relativ zum Preisniveau des Verbrau- Damit es nicht zu einer bloßen Verlagerung auf die jeweils cherpreisindexes verringert haben. Im Vergleich zum Ver- billigste Alkoholquelle kommt, ist es notwendig, alle alko- braucherpreisindex (VPI), der seit 1970 um ca. 202% an- holhaltigen Getränke einer möglichst einheitlichen, am Al- stieg, erhöhten sich die Preise alkoholischer Getränke le- koholgehalt ausgerichteten Steuer zu unterwerfen. Auch diglich um 113%. Das heißt, im Vergleich mit den anderen Wein und Weinmischgetränke müssen daher der Besteue- Verbrauchsgütern sind die Preise für alkoholische Geträn- rung unterfallen. Hierzu entwerfen wir zwei Steuerszenarien, ke in den letzten 40 Jahren um 29,41 hinter den Preisstei- die in den Tabellen 1 und 2 mit den entsprechenden Steu- gerungen der anderen Güter zurückgeblieben, also relativ ersätzen veranschaulicht sind. billiger geworden. Zunächst definieren wir ein »skandinavisches Szenario«, Hinzu kommt, dass die Kaufkraft der Arbeitnehmer, ausge- bestehend aus einer Erhöhung der deutschen Steuersätze drückt in Form des Nettoeinkommens pro Arbeitnehmer auf skandinavisches Niveau, das sich aus den Durch- preisbereinigt zusätzlich seit 1970 um 30,76% angestiegen schnittssteuerwerten der Länder Dänemark, Schweden und ist. Insgesamt bedeutet dies, dass Ausgaben für Alkohol Finnland zum 1. Januar 2009 ergibt. Dies entspräche einer im Vergleich zu anderen Verbrauchsgütern einen immer ge- Erhöhung der Steuern auf Bier um ca. 0,91 € pro Liter Ge- ringeren Anteil des Einkommens erforderten. Damit ist ein tränk, 1,87 € pro Liter Wein, 0,64 € pro Liter Schaumwein ganz erheblicher Anreiz zu erhöhtem Alkoholkonsum ver- und 7,52 € pro Liter Spirituosen. bunden. In einem zweiten »Aufholszenario« heben wir die deut- Im europäischen Vergleich sind die deutschen Alkohol- sche Alkoholbesteuerung auf das europäische Durch- steuern unterdurchschnittlich niedrig. Wein wird in Deutsch- schnittsniveau zum 1. Januar 2009 an. Dies entspräche Tab. 1 Besteuerung auf skandinavischem Niveau (in ) Aktuelle Steuer Aktuelle Steuer Pro Liter Pro Liter Pro Liter Pro Liter Skandinavisches pro Liter pro Liter Reinalkohol Reinalkohol Getränk Getränk Szenario Getränk Reinalkohol zusätzlich insgesamt zusätzlich insgesamt Bier 0,09 1,44 18,96 20,40 0,91 1,00 Branntwein 4,30 13,03 22,79 35,82 7,52 11,82 Schaumwein 1,36 12,36 6,40 18,76 0,64 2,00 Wein 0,00 0,00 18,70 18,70 1,87 1,87 Quelle: Berechnungen der Autoren. 62. Jahrgang – ifo Schnelldienst 19/2009
18 Kommentar Tab. 2 Besteuerung auf europäischem Durchschnittsniveau (in ) Aufholszenario: Aktuelle Steuer Aktuelle Steuer Pro Liter Pro Liter Pro Liter Pro Liter europäisches Durch- pro Liter pro Liter Reinalkohol Reinalkohol Getränk Getränk schnittsniveau Getränk Reinalkohol zusätzlich insgesamt zusätzlich insgesamt Bier 0,09 1,44 7,29 8,73 0,35 0,44 Branntwein 4,30 13,03 2,42 15,45 0,80 5,10 Schaumwein 1,36 12,36 0,00 12,36 0,00 1,36 Wein 0,00 0,00 5,50 5,50 0,55 0,55 Quelle: Berechnungen der Autoren. Tab. 3 Erwartete Steuereinnahmen/europäisches Durchschnittsniveau Absoluter Nach- Aufholszenario: Prozentuale Prozentualer Steuermehr- pro Liter Getränk fragerückgang an europäischer Erhöhung des Nachfrage- einnahmen zusätzlich Reinalkohol Durchschnitt Preises rückgang in Mill. in Litern Bier 0,35 53,85 –24,77 – 1,33 2 435,33 Branntwein 0,80 7,99 – 6,39 – 0,14 394,57 Schaumwein 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 Wein 0,55 13,75 – 9,49 – 0,21 992,40 Summe – 1,69 3 822,31 Quelle: Berechnungen der Autoren. einer Erhöhung der Steuern auf Bier um ca. 0,35 € pro Li- Die empirischen Studien, die den Effekt von Steuererhö- ter Getränk, 0,55 € pro Liter Wein und 0,80 € bei Spiri- hungen speziell auf die Nachfrage von Jugendlichen un- tuosen pro Liter. tersuchen, kommen zu dem Ergebnis, dass Jugendliche deutlich stärker als Erwachsene auf Preissteigerungen rea- Das europäische Durchschnittsniveauszenario führt zu gieren. Tabelle 5 zeigt die Wirksamkeit der Steuererhöhung einer Verminderung der Nachfrage nach Bier um 24,7%, auf das jugendliche Binge-Drinking im Falle des Aufholsze- nach Wein um 9,4% und nach Spirituosen um 6,3%. Eben- narios europäischer Durchschnitt. Unter Zugrundelegung so führt die Steuererhöhung zu Steuermehreinnahmen von der hohen Nachfrageelastizität der Jugendlichen würde sich 3,8 Mrd. €. Entscheidend ist, dass sich der Konsum der das Problem des Binge-Drinkings in Deutschland um mehr Gesamtbevölkerung um 1,7 Liter Reinalkohol pro Jahr, vor als die Hälfte vermindern. Im skandinavischen Szenario be- allem aber das Binge-Drinking der Jugendlichen, über- stünde in Deutschland überhaupt kein Binge-Drinking-Pro- proportional verringern würde. Im skandinavischen Sze- blem von Jugendlichen mehr. nario beträgt der Rückgang bei Bier 64%, bei Branntwein 60%, bei Schaumwein 8% und bei Wein 32%. Der Pro- Kopf-Konsum an Reinalkohol würde sich um 5,5 Liter Rein- Schlussfolgerungen alkohol verringern. Die Steuereinnahmen würden aufgrund des stärkeren Nachfragerückgangs lediglich um 7,2 Mrd. € Um dem Problem des hohen Alkoholkonsums vor allem von zunehmen. Jugendlichen in Deutschland wirkungsvoll zu begegnen, wird Tab. 4 Erwartete Steuereinnahmen/skandinavisches Szenario Absoluter Nach- Prozentuale Prozentualer Steuermehr- Skandinavisches pro Liter Getränk fragerückgang Erhöhung Nachfrage- einnahmen Szenario zusätzlich an Reinalkohol des Preises rückgang in Mill. in Litern Bier 0,91 140,00 – 64,40 – 3,48 2 996,31 Branntwein 7,52 75,20 – 60,16 – 1,27 1 581,25 Schaumwein 0,64 12,80 – 8,83 – 0,03 169,09 Wein 1,87 46,75 – 32,26 – 0,73 2 525,34 Summe – 5,51 7 271,98 Quelle: Berechnungen der Autoren. ifo Schnelldienst 19/2009 – 62. Jahrgang
Kommentar 19 Tab. 5 Erwartete Auswirkungen auf das Binge-Drinking Jugendlicher Anteil bei Binge- Anteil Binge- Anteil Binge- Drinking genutzter Anteil der Getränke Preis- Drinking- Drinking- Verminderung Aufholszenario: Getränke vor an einem reprä- erhöhung Jugendlicher Jugendlihcer des Binge- europäischer Steuer in den sentativen Binge- durch vor Steuer in nach Steuer in Drinking bei Durchschnitt letzten 30 Tagen Drinkung-Ereignis Steuer den letzten den letzten Jugendlichen (in %; von 15- und (in %) (in %) 30 Tagen 30 Tagen (in %) 16-Jährigen) (in %) (in %) Bier 10,00 30,21 53,85 Wein/Sekt 4,00 12,08 11,69 Alkopops 4,80 14,50 24,51 58,70 26,24 – 55,29 Spirituosen 14,30 43,20 7,99 Quelle: Berechnungen der Autoren. eine deutliche Steuererhöhung auf Alkohol empfohlen. Steu- ern auf Alkohol sind ein wirksames und ein besonders kos- tengünstiges Instrument der Verhältnisprävention. Die ge- genwärtige Besteuerung alkoholischer Getränke in Deutsch- land ist sowohl im internationalen Vergleich als auch im Ver- gleich mit anderen Verbrauchssteuern als viel zu niedrig an- zusehen. Der Rückgang des Alkoholkonsums im Falle ei- ner Anhebung der deutschen Alkoholsteuern auf das euro- päische Durchschnittsniveau würde mehr als 1,69 Litern Reinalkohol pro Kopf betragen. Besonders wichtig ist, dass sich das Binge-Drinking-Problem Jugendlicher in Deutsch- land um mehr als die Hälfte vermindert würde. Zugleich er- gäben sich steuerliche Mehreinnahmen von 3,8 Mrd. €. Bei einer Anhebung der Steuern auf skandinavisches Niveau würden die Steuermehreinnahmen 7,3 Mrd. € betragen, und das Binge-Drinking-Problem würde verschwinden. In bei- den Fällen käme es zu einer erheblichen Einsparung von volkswirtschaftlichen Kosten durch den Rückgang krank- machenden Alkoholkonsums. Zugleich stiege das bisher sehr geringe Steueraufkommen auf alkoholische Getränke deutlich an. Hierdurch wird eine volkswirtschaftlich besse- re Steuerstruktur ermöglicht. So öffnen höhere Alkohol- steuern den Weg zu einer Umverlagerung der Staatsfinan- zierung hin zu niedrigeren wachstumsfreundlicheren Ein- kommensteuern. Besonders liegen uns auch die Kinder am Herzen, die in Deutschland früh sehr hohe Alkoholmengen aufnehmen und den Werbeanstrengungen der Industrie nicht gewachsen sind. Bei höheren Alkoholsteuern haben wir eine dreifache Divi- dende: höhere Steuereinnahmen, gesündere Bürger, vor al- lem Kinder, sowie Steuersenkungsmöglichkeiten bei wün- schenswerten Tätigkeiten wie Arbeit. Zugleich würde Deutschland im Schutz seiner Bürger das übliche Niveau in der EU erreichen. 62. Jahrgang – ifo Schnelldienst 19/2009
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