Ich bin dann mal Ertugrul - Oliver Maria Schmitt Leseprobe aus: Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de.

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Ich bin dann mal Ertugrul - Oliver Maria Schmitt Leseprobe aus: Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de.
Leseprobe aus:

            Oliver Maria Schmitt

Ich bin dann mal Ertugrul

Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de.

  Copyright © 2015 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Oliver Maria Schmitt

Ich bin dann mal
Ertugrul
       •
   Traumreisen durch die
      Hölle und zurück

       Rowohlt · Berlin
1. Auflage Mai 2015
           Copyright © 2015 by
  Rowohlt · Berlin Verlag GmbH, Berlin
         Alle Rechte vorbehalten
Satz aus der Minion PostScript, InDesign,
bei Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin
           Druck und Bindung
    CPI books GmbH, Leck, Germany
         ISBN 978 3 87134 808 2
Inhalt

 Die alten Hemingways und das Meer (Key West, Florida) 7
 Du sollst nicht lärmen! (zwischen Hamburg und Frankfurt) 15
            Mischen: Impossible (Bordeaux) 17
          Lebenslänglich Sommer (Balkonien) 26
 Ich bin dann mal Ertugrul (zwischen Berlin und Istanbul) 28
     Nudelbeißerdämmerung bei Maria (La Gomera) 35
  Nahtod in Tony Sopranos Endstationszimmer (Rom) 37
          Janusborstenkopf Höhe Qufu (China) 44
            Mein Chakra in Arabien (Oman) 46
      Sex-Dreaming mit Henry Miller (Kalifornien) 55
         Vom Schwelgen im Eis (Capri und Split) 58
              Rauchbotschaften (Havanna) 67
     Lufttangokönig für eine helle Nacht (Finnland) 69
          Ganz in Weiß und Weich (Singapur) 78
            Das Lächeln der Kumari (Nepal) 80
Impalahodenfrühstück in der Waschmaschine (Simbabwe) 86
     Echte Einfalt, echte Pinsel (Ho-Chi-Minh-Stadt) 95
  Das schwarze Walross vom Wolfgangsee (Österreich) 97
      Mit Ziellinienzigarre auf Platz 332 (England) 103
            Mollig warme Eisblöcke (China) 111
       Verfettet, verschmutzt, versalzen (Berlin) 113
Sachliche Betrachtung einer Insel (Island) 121
          Wo Jesus grub nach Juanita (Nicaragua) 126
      Schwanz und Schrecken in Las Vegas (Nevada) 134
        Schwerelos unter Dugong-Augen (Singapur) 142
    Geriatriker aller Länder, vereinigt euch! (Chemnitz) 152
               Heiße Schließeisen (Mauritius) 162
    Schlaflos in Seoul auf Sauerkohl (Süd- und Nordkorea) 164
       Pferdepipi bei Borats Apfelvater (Kasachstan) 175
  Mit Wein und Twain auch ohne Floß was los (Neckartal) 184
  Mit B & J im Land der schlafenden Drachen (Schottland) 190
        Mamas Swingbob unter Palmen (Mallorca) 198
     Im wüsten Takt der Techno-Muezzins (Jordanien) 207
Breitarsch-Anni und Dealers Heinz auf der B 1 (Deutschland) 215
Schallendes Gelächter im Diktatoren-Polstermuff (Bulgarien) 223
           High Tea im moosgrünen Dschungelzug
              (zwischen Singapur und Bangkok) 226
            Wallfahrt zum Hessersbeck (Heimat) 235
Key West, Florida

                              •
                Die alten Hemingways
                     und das Meer

H     emingway – das bin ich. Vielleicht glauben Sie es nicht.
      Niemand glaubt es, aber wahr ist es. An diesem Sommer-
abend auf Key West stand die Hitze senkrecht in Sloppy Joe’s.
Die Deckenventilatoren kurbelten verzweifelt Sauerstoff in die
Bierfeuchtigkeit des Saloons, und darunter kippten verzweifelte
Männer Bierfeuchtigkeit in ihre sauerstoffarmen Köpfe. Männer,
die mir sehr bekannt vorkamen. Neben mir saß Ernest Heming-
way und versuchte, nicht vom Barhocker zu fallen. Sein Kopf war
ein glühend roter Feuerball mit weißen Haaren und weißem Bart.
«Ich find’s toll, dass so viele Leute hier aussehen wie ich», sagte er.
Ein anderer Hemingway rülpste mir von hinten ins Ohr und ba-
lancierte dann sein volles Bier durch die Menge. Er schrie auf, als
er von einem Hemingway mit Baseballmütze angerempelt wurde.
Doch der kriegte davon gar nichts mit, weil er sich gerade sehr
bewegt mit Ernest Hemingway unterhielt. Bald würden all diese
Hemingways nur noch über einen sprechen: über mich, Heming-
way, den Überraschungssieger.
   Joes Kneipe an der Duval Street war das genaue Gegenteil ei-
nes sauberen, gutbeleuchteten Cafés, und es war berstend voll mit
Gestalten, die glaubten, sie sähen aus wie Hemingway. Ich rück-
te meinen Button am Revers zurecht. Sloppy Joe’s 34. jährlicher
Hemingway-Lookalike-TEILNEHMER – 1. Jahr. Den Button hatte
mir vorhin eine Dame angesteckt, als sie die Startgebühr kassier-
te und die Regeln herunterleierte: «Heute ist die erste Vorrunde,

                                  7
morgen bist du dran, Deutscher, am Samstag ist Finale, du hast
fünfzehn Sekunden, dich der Jury vorzustellen, sie besteht aus den
Vorjahressiegern, normalerweise gewinnen nur dicke, alte Män-
ner mit weißem Bart, wir hatten aber auch schon Jüngere, die bis
ins Finale kamen, manche machen seit Jahren mit und gewinnen
nie, wir sind hier am südlichsten Zipfel der Staaten, hier sind alle
verrückt, Key West ist die Toilette Amerikas, was oben reinfällt,
bleibt bei uns unten hängen, zieh dich gut an, Hemingway-Style,
du weißt schon, Safarikleidung oder Fischerpullover mit Rollkra-
gen, aber Vorsicht, ist heiß auf der Bühne, mach ’ne Show, manche
bringen eigene Cheerleader mit, andere bestechen die Jury, viel
Glück, Deutscher!»
   Ich verließ Sloppy Joe’s und schlenderte die Duval Street ent-
lang, die Reeperbahn von Key West. Versuchte es zumindest. Ver-
geblich. Auf der Partymeile war kein Stehplatz mehr zu kriegen.
Jedes Jahr im Juli feiert die kleine Stadt auf dem letzten Zipfel
Floridas die «Hemingway Days», rund um den Geburtstag ihres
berühmtesten Residenten, mit Kurzgeschichtenwettbewerb, Arm-
drücken, Wettangeln und Lookalike-Contest. Millionen waren
gekommen, um ihr Idol Hemingway zu feiern. Sie fielen aus
Flugzeugen, Autos und Kreuzfahrtschiffen, um den nicht enden
wollenden Gaudiwurm zu bilden, in dem ich mich befand. Über
beide Straßenseiten schob die amerikanische Unterschicht ihr
Übergewicht. Tattoo auf nacktem Oberkörper war Pflicht, Drink
in der Hand, Zigarre im Mund. «Komm rein, deine Frau ist ja
nicht dabei», rief ein Schild vor einem Zigarrengeschäft, das Ta-
baktorpedos «aus 100 % kubanischen Samen» versprach.
   Ich bog einmal um die Ecke, und schon war Key West völlig an-
ders: ruhig und verschlafen. Hähne stolzierten umher. In Zeitlupe.
Wegen der Hitze. Man konnte Fahrrad fahren. Auch sehr lang-
sam. Selbst die Autos rollten im Schneckentempo an den tropisch

                                 8
wuchernden Vorgärten vorbei, an blühenden Frangipani- und
Hibiskusbäumen.
   Ich war guter Dinge, denn mir war klar, dass ich den Heming-
way-Contest unweigerlich gewinnen würde. Schließlich verfügte
ich über eine Ausnahmebegabung: Ich sah genau so aus wie an-
dere Leute. Irgendetwas an meinem Gesicht musste auf andere so
wirken, als hätte ich gar keines. Schon als Kind wurde ich von
einem Lehrer einmal mit Jürgen Krauter aus der 4b verwechselt,
obwohl der ganz anders aussah als ich. Jahre später wurde ich
auf einem Empfang als «Herr Hösel» begrüßt. Neulich warf der
Briefträger bei mir sogar eine Postkarte an einen gewissen Eugen
Schuwerak ein, auf der mir mitgeteilt wurde, dass es in Brixen
am Nachmittag geregnet hatte. In Leipzig sprach mich ein wild-
fremder Fernseher in meinem Hotelzimmer mit den Worten
«Willkommen Herr Titanic BoyGroup» an. Und erst unlängst,
in einer Kneipe in Hannover, sagte ein älterer Herr mit riesigen
Ohren über sein Bier hinweg zu mir: «Ihr glaubt wohl, ihr vom
NSA könnt machen, was ihr wollt. Aber ich als BND -Opfer stehe
unter persönlichem Schutz von George Bush senior, Papst Rat-
zinger und Boutros-Boutros-Boutros-Boutros-Ghali. Prost!» Da
war für mich eine täuschend echte Hemingway-Darstellung kein
Problem.
   Ich hatte mich Hemingway sorgsam und strategisch geschickt
immer mehr angenähert. Ich benutzte das gleiche Notizbuch
wie der Nobelpreisträger, und mein Hotel lag direkt gegenüber
seinem Haus in der Whitehead Street. Heute ist es ein Museum.
Am Eingang hatte eine lange Besucherwarteschlange vor sich hin
geschwitzt, vor dem Kassenhäuschen hatte sich eine Gruppe He-
mingways lautstark über die zu hohen Eintrittspreise beschwert.
Eintritt – fürs eigene Haus!
   Das Innere der gepflegten Kolonialhütte sah noch ziemlich

                               9
bewohnt aus. Obwohl der Eigentümer es 1939 verlassen hatte.
Nur knapp zehn Jahre hatte Hemingway auf Key West verbracht,
doch in dieser Zeit entstand der größte Teil seines Werks. Nir-
gendwo war er produktiver als auf diesem Sandplacken in der
Karibik. Abends becherte er im Saloon seines Kumpels Sloppy
Joe, am nächsten Morgen stand er um sechs Uhr auf, ging von
seinem Schlafzimmer über einen kleinen Katzensteg rüber ins
Schreibhaus und tippte los. Da stand noch immer seine Reise-
schreibmaschine und dort sein monströses Bett. Seine Frau hatte
einen schlechten Lampengeschmack. Dafür hatte er alles mit aus-
gestopften Leichenteilen selbstgeschossener Tiere vollgehängt.
Dazwischen krochen Horden missgebildeter Katzen herum, lauter
miauende Mutanten – ein Albtraum.
   Das finden Sie zu hart? Zu katzenfeindlich? Mag sein, aber ich
halte mich nur an Hemingway: «Alles, was du tun musst, ist: ei-
nen wahren Satz schreiben.» Genau. So einfach ist das. Und dann
noch einen und noch einen. Nebensätze weglassen. Und am Ende
jagt man sich eine Kugel in den Kopf. War man aber als Groß-
wild auf der Welt, bekam man mit etwas Glück eine Kugel von
Hemingway persönlich durch den Brägen geschossen. Das Leben
war eben ein Kampf, und seines ganz besonders. Aber meines
jetzt auch. Diesen Wettkampf musste ich gewinnen! Cool und
mit ausdrucksloser Miene. Denn so machten es die Helden aller
Hemingway-Romane. Sie waren rücksichtslos ehrlich, hart gegen
sich selbst und zeigten niemals Gefühle.
   Im Esszimmer, über dem Kamin, hing eine Serie von Heming-
way-Porträts in allen Altersstufen. Hemingway sah sich tatsäch-
lich sehr ähnlich. Und da! Da war er: der junge Hemingway! Ohne
Bart, mit zurückgepapptem Haar.
   Er sah aus wie ich.

                               10
Immer wieder stiegen neue Hemingway-Klone auf die Bühne von
Sloppy Joe’s und warben für sich: «Ich bin zum achten Mal dabei.
Ich habe ein Alkoholproblem, ich brauche den Sieg.»
   «Ich war mal in Havanna – wie Hemingway!»
   «Ich will Hemingway immer ähnlicher werden – wer hier im
Saal will meine dritte Frau werden?»
   «Ich habe zwar rote Haare und einen Bart, aber ich heiße
Wilbur Hemingway, so steht’s in meinem Pass. Ich bin der einzig
echte Hemingway!»
   «Nein, ich bin das, denn ich sehe ihm ähnlicher als er selbst.
Gott schütze Amerika, Gott schütze unsere Truppen, und Gott
schütze mich, den nächsten Papa.»
   «Papa», so erfuhr ich in der Pause von einem Papa, nannte sich
der alte Ernest selbst, als er schon reifer und fülliger war. Und nur
der Sieger dieses legendären Lookalike-Contests dürfe sich öffent-
lich und offiziell «Papa» nennen.
   Meine Mitbewerber machten wahrlich keine gute Heming-
way-Figur. Wer schlechte Witze machte, wurde gnadenlos abge-
würgt und ausgebuht. Ein Millionär aus Texas hatte eine Gruppe
von fünfzehn Cheerleadern dabei, die für ihn johlte. Ohne Erfolg,
er schaffte es nicht ins Finale. Kaum einer sah wirklich aus wie
Hemingway. Die meisten waren einfach nur ältere Männer mit
Bart. Misstrauisch wurden sie von der Jury beäugt, einer mürri-
schen Clique alter bärtiger Männer in Safarikleidung. In einem
Meer aus Bier.
   Dass sich einmal im Jahr alte Männer zusammenfanden, um
etwas sehr Merkwürdiges zu machen, fand ich eigentlich ganz
okay. Es muss ja nicht immer ein CDU-Parteitag sein. Der He-
mingway-Lookalike-Contest war so was wie die amerikanische
Version des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs, nur lustiger und
unterhaltsamer. Weil auf die langweilige Prosa verzichtet wurde.

                                 11
«Fuck literature!», hatte Hemingway in einem Brief an Ezra Pound
geschrieben. So trafen sich nun einmal im Jahr Lehrer, Ärzte und
Alkoholiker, die Elite Amerikas, um in brüderlicher Eintracht ei-
nen Wettbewerb auszutragen.
  «Fuck brüderlich», sagte Wilbur Hemingway am Ende dieses
ersten Abends, nachdem ich ihm sechs Biere ausgegeben hatte.
«Wenn du Papa werden willst, musst du der Jury in den Arsch
kriechen. Jahrelang. Du musst ihrem Verein beitreten, du musst
spenden, du musst sie toll finden, und dafür lassen sie dich zap-
peln», sagte Wilbur und hörte nicht auf, einen wahren Satz an den
nächsten zu hängen. «Früher war das ein Spaßwettbewerb, heute
geht es nur noch um Vereinspolitik und um Geld. Mit Lookalike
hat das gar nichts mehr zu tun. Nicht mal Hemingway würde bei
diesem Contest gewinnen.»
   Gerade eben war ich meiner Sache noch ganz sicher gewesen.
Nun kamen Zweifel auf. Hatte ich überhaupt eine Chance?

Am nächsten Abend war endlich ich an der Reihe und stand auf
der Bühne von Sloppy Joe’s. Mein weit geschnittener Vintage-
Anzug mit breitem Dreißiger-Jahre-Revers saß perfekt und das
durchgeschwitzte weiße Hemd wie eine zweite Haut. Dazu Bin-
der und Schuhe mit Gamaschen, Haare voll zurückgepappt. Die
zweite Vorrunde war im Gange, einige Hemingways waren be-
reits zusammengebrochen, kollabiert bei mörderischer Hitze und
hundert Prozent Bierluftfeuchtigkeit. Sie wurden von anderen
Hemingways nach draußen geschleift, an die frische heiße Luft
von Key West.
   Ich gab den jungen Hemingway von 1924 und war total auf-
geregt, weil ich mich die ganze Zeit darauf konzentrieren musste,
keine Gefühle zu zeigen. Und gleichzeitig zu reden. Ich erzählte
etwas Wirres von einer betrunkenen Wette unter Freunden und

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dass Hemingway ja mal gesagt habe: «Tue nüchtern immer das,
was du betrunken angekündigt hast. Das wird dich lehren, die
Klappe zu halten.» Mit diesem Zitat schloss ich, es ging aber in
den Buhrufen des Publikums und der Jury unter.
   In der Pause kam einer der Juroren auf mich zu, der Papa des
Jahres 1999, und sagte: «Du hättest Deutsch sprechen sollen. Dann
hätte man dich nicht verstanden. Das wäre interessanter gewe-
sen.» Dann reichte er mir seine Hand und zerquetschte meine
mit seiner Schraubstockpranke. Wilbur Hemingway klärte mich
hinterher auf, dass man mir schon nach den ersten Worten den
Saft abgedreht habe. Sie lauteten seiner Erinnerung nach so: «He-
mingway hat gesagt, er trinke, um andere Leute interessanter zu
machen. Leider gibt es auf Key West nicht genug Alkohol, um sich
diese Jury interessant zu trinken.» Und das hätte ich mal besser
nicht gesagt. Ich schied in der Vorrunde aus.
   Das ohne meine Beteiligung gefeierte Finale am nächsten
Abend zog an mir vorüber wie ein Film, bei dem man eingeschla-
fen ist. Ausgewachsene Männer bitteten und bettelten um die Sie-
germedaille. Weil ihr Leben sonst keinen Sinn habe. Weil sie so
viel für den Verein gespendet hätten. Weil Kameradschaft für sie
das Allergrößte sei. Weil, weil, weil. Winsel, winsel, wimmer. Am
Ende hatte einer der Juroren sogar einen Hundertdollarschein un-
term Hut. Ein erbärmliches Spektakel. Plötzlich wirkten die vielen
Hemingways in ihren Bärten und kurzen Hosen noch gruseliger
und zombiehafter als der Aufmarsch der hundert Heinos im ers-
ten Otto-Film.
   Ich wankte nach Hause, durch die Toilette Amerikas. Sehr
langsam. Auf dem Weg kaufte ich mir eine kubanische Zigarre bei
einer schönen Mulattin. Sie erbleichte, als sie meinen Teilnehmer-
button am Revers sah.
   «Sie haben … beim Hemingway-Lookalike mitgemacht?»

                               13
«Genau.»
   «Aber … aber … Sie sind doch …»
   «… nicht alt genug?»
   «Ja! Und nicht …»
   «… fett genug? Nicht bärtig genug?»
   «Ja. Beides.»
   «In zwanzig Jahren schon! Warten Sie’s ab, dann komme ich
wieder, schöne Mulattin! Älter, fetter und weißhaariger als je zu-
vor! Und dann können sich die Papas hier auf was gefasst ma-
chen!»
   Sie verstand nicht, ich ließ sie stehen.
   Die Luft war drückend. Es wurde unruhig. Blitze tanzten über
den Himmel, ein wütender Donner kündigte die heraufziehende
Hurricane-Saison an. Ein Tropengewitter goss Kübel heißen Was-
sers über mir aus.
   Hemingway, dieser Penner! Der war für mich erledigt, ein für
alle Mal. Was hatte der schon groß geleistet? Er war ein rettungs-
loser Angeber und der schlimmste Nebensatzkiller aller Zeiten.
«Ein Mann kann vernichtet werden, aber nicht besiegt», schrieb er
in Der alte Mann und das Meer. Werde ich eben woanders siegen.
Mir doch egal. Vielleicht in Lübeck, wenn sie dort endlich einen
Günter-Grass-Lookalike-Contest auf die Beine stellen. Dann wer-
de ich mit Prachtschnauzer, Pfeife und SS -Uniform auflaufen und
abräumen. Oder wenn am Bodensee die «MartinWalserDays»
stattfinden. Dann hole ich mir mit feuchter Aussprache und me-
terhohen Augenbrauenhecken den Pokal. Oder ich gehe mit Welt-
raumfrisur und Lippenstift als krasse Oma zum Herta-Müller-
Ähnlichkeitswettbewerb. Und gewinne. Mit wahren Sätzen. Dann
bin ich es nämlich: dem die Stunde schlägt.
Zwischen Hamburg
                         und Frankfurt

                            •
              Du sollst nicht lärmen!

E    y, der Kevin hat die Sophie beim Chillen krass abgelinkt und
     gesagt: Ablage C! Frau Kübler, ich hab doch ganz klar gesagt:
Ablage C! Da liegt das Angebot Erlenmaier & Hämmerle, und
jetzt geben Sie mir mal bitte die Eckdaten durch! Helmut, ich bin
gerade losgefahren, ich sitz im Zug, hörst du, Helmut? Echt jetzt,
die Sophie auch? Ey, Luisa, das ist so total krass, dass die Sophie
mit dem Kevin dann noch beim Mäckes war. Frau Kübler, das war
so ’ne rote Angebotsmappe, Herrgott noch mal! Helmut, hörst du?
Frau Kübler? Julia, bist du noch da?
   Nein, sie sind nicht mehr da. Ich habe nämlich soeben den
Knopf gedrückt. Verwundert starren die Gesprächspartner von
Luisa, Helmut und Frau Kübler auf ihre mobilen Endgeräte – aber
da ist nichts mehr. Kein Empfang, kein Gespräch.
   Seit einigen Jahren ist der Phone Jammer mein treuer Begleiter
bei Zugfahrten. Das kleine schwarze Gerät mit den drei Antennen
liegt gut in der Hand und verschwindet diskret in jeder Tasche.
Wenn ich es einschalte, haben sämtliche Kommunikationsgeräte
in einem Umkreis von zehn Metern Sendepause und kein Handy
mehr einen Balken. Dann ist Ruhe, und die Landschaft gleitet
lautlos vorbei.
   Ruhe vor nervigem Beziehungsquark, vor Geschäftsleuten, die
die Umgebung ihres Sitzplatzes zum Großraumbüro umgestal­-
ten, vor Menschen, die so fassungs- wie sinnlos ihren Aufenthalts-
ort kommunizieren. Phone Jamming reaktiviert verschüttete All-

                                15
machtsphantasien. Ich bin wieder Kind und spiele ein bisschen
Gott. Denn Gottes elftes Gebot lautet, so hat Robert Gernhardt es
dereinst überliefert: «Du sollst nicht lärmen!»
   Jaja, ich weiß: Besitz und Betrieb eines solchen Geräts sind in
Deutschland streng verboten. Ich kann also vor der Anschaffung
dieses – übrigens erstaunlich preisgünstigen – Geräts nur warnen.
An einem Dienstagabend habe ich es online in Hongkong bestellt,
und schon am Donnerstagmorgen war es da. Wenn ich das Ding
einschalte, habe ich natürlich immer ein sehr schlechtes Gewissen.
Im Gegensatz zu denen, die mich ungefragt in ihr Privatgespräch
einbeziehen. Dabei ist ja nicht mal die rüpelhafte Lautstärke das
Problem, sondern die gestreute Informationsverschmutzung.
Neben Telefonierern zu sitzen ist so, als würde man gezwungen,
ununterbrochen Spammails zu lesen. Meine elektronische Selbst-
justiz ist also ein klarer Fall von existenzieller Notwehr. Gerade
hier, im ICE -Nichtquasselbereich.
   Handyblocker sind nicht nur verboten, sondern auch umstrit-
ten. Eine aktuell durch den Äther rauschende Katastrophenmel-
dung, heißt es, könnte so unterbrochen werden. Oder Leute, die
auf eine lebensrettende Organspende warten, könnten nicht in-
formiert werden. Okay, das sehe ich ein. Vielen Zugtelefonierern
wäre ohnehin ein leistungsfähiges Spenderhirn zu wünschen, das
sie in die Lage versetzte, sich auch einmal in eine andere Person
zu versetzen. Wer aber äußerst dringend auf neue Nieren, Lebern
oder gar ein Herz wartet und keinen Handyempfang hat – der
spreche mich bitte an. Ich bin der da vorne im Großraumabteil,
um den herum es gerade so still ist.
Bordeaux

                            •
                 Mischen: Impossible

G     erade will ich meiner Tischrunde einen ordentlichen Schluck
      aus dem Rückschüttgefäß aufdrängen, da schreitet das Stadt-
oberhaupt ein. Alain Juppé steht auf und ergreift das Wort. Das
Bordeaux, verkündet stolz der Bürgermeister und ehemalige
Premierminister Frankreichs, sei die berühmteste und größte
­
zusammenhängende Erzeugerregion für Qualitätswein auf der
ganzen Welt. Und das wolle man heute Abend feiern. Mit vielen
Gästen, exzellenter Küche und dem Besten, was die Weinwelt zu
bieten hat.
   Wir sitzen im obersten Stock eines Bankgebäudes, die Sonne
sinkt, unter uns fließt träge die Garonne, vom Ufer gegenüber
prostet uns roséfarben das endlose Fassadenband der UNESCO -
geschützten Weinmetropole zu – und in unsere Gläser fließen
ganz unträge die besten Gewächse der Welt. Der Bürgermeister
hat zu einer kleinen Gourmandise geladen. Obwohl im Bordelais
Krisenstimmung herrscht. Die Fässer sind zu voll, die Lager eben-
falls. Weil die Preise zu hoch sind, die Franzosen zu wenig trinken,
die Chinesen nicht genug kaufen, weil das Wetter zu schlecht ist
und überhaupt. Doch das solle uns heute nicht kümmern, sagt der
Bürgermeister – und hebt das Glas zum Toast.
   An Tisch elf sitzen hochangesehene Vertreter des Nasswarenge-
werbes, gerade haben wir uns einander vorgestellt: der Weinhänd-
ler aus Bordeaux, der Weineinkäufer aus Hongkong, der Manager
eines weltberühmten Châteaus, der gefürchtete Kritiker vom
Speiseführer Gault-Millau und die Verbandsdame der Grand-

                                17
Cru-Vereinigung, des Hochadels der Weingesellschaft. Und ich,
der Weinforscher aus Deutschland.
   Der Händler checkt sein Handy, der Gault-Millau macht
Notizen, dann übernimmt er souverän die Tischregie und kom-
mentiert die anstehende Getränkefolge. Das ist gut, denn ich
verstehe eigentlich nichts von Wein. Genau genommen verstehe
ich nur, ihn zu trinken. «Dann sind Sie hier genau richtig»,
bescheidet freundlich die Verbandsdame, «denn der Rotwein aus
Ihrer Heimat wird in Frankreich nicht mal zum Kochen ver­-
wendet.»
   Aber warum ist das so? Das ist die Frage, die mich umtreibt:
Warum ausgerechnet Bordeaux? Warum kommt von hier der bes-
te Wein der Welt? Was ist sein Geheimnis?

Um das herauszufinden, habe ich bereits am Vormittag die Spitze
des Weinbergs erklommen. Sie lagert in den alten, weitläufigen
Hallen von Millésima, dem größten Weinhandelshaus der Stadt.
Hier stapeln sich zweieinhalb Millionen Flaschen der besten Wei-
ne der Welt, ein bis zum Überlaufen voller Flüssiggoldspeicher.
Eine Probe, die organoleptische Prüfung der Primeurs stand an,
der Jungweine des Vorjahres. Unter konsequenter Hinzuziehung
der Sinnesorgane Auge, Nase und Mund galt es, den neuen Jahr-
gang zu degustieren. Ein Mann mit scharf geschnittener Brille
händigte mir am Eingang einen Block aus und führte mich durch
das riesige Depot. Zwischen Kisten von Château Latour, Cheval
Blanc und Mouton-Rothschild, in denen die Fünftausend-Euro-
Flaschen der Jéroboam-Klasse verwahrt wurden, waren die
Stände sämtlicher Grand-Cru-Classé-Weingüter aufgebaut. Der
Olymp der Weinwelt.
   Der Mann reichte mir ein Glas. «Junge Weine verkosten ist be-
sonders schwer», raunte er mir zu. «Sie sind eigentlich noch nicht

                               18
trinkbar, doch die Händler können jetzt schon erkennen, welches
 Potenzial ein Wein hat und wie er sich entwickeln wird.»
    Welche Rebsorte denn ausgeschenkt werde, wollte ich wissen.
    Er lachte. Das sei schwer zu sagen. «Meistens zwei, manchmal
 aber auch fünf.»
    Ich staunte.
    «Ja, das ist eben die Kunst der Assemblage. Wir können auch
‹Mariage›, ‹Cuvée› oder ‹Mélange› dazu sagen und meinen doch
 immer die Vermählung der Weine zu etwas Neuem, ganz Außer-
 gewöhnlichem.»
    «Bei uns in Deutschland nennt man das ‹Mischen›. Oder ‹Ver-
 schneiden›. Manche sagen sogar: ‹Panschen›.»
    «Das zeigt ja schon, welches Ansehen die Assemblage bei Ihnen
 genießt», erwiderte er maliziös.
    Im Bordelais dürfe man maximal fünf Sorten Rotwein mitein-
 ander vermählen. Doch sei das ja noch gar nichts, im Vergleich
 etwa zum Chianti: Der dürfe aus bis zu elf verschiedenen Weinen
 gemischt werden. Manche Chiantis enthielten sogar Weißwein –
 das müsse man sich mal vorstellen! «Es geht um Geschmack»,
 dozierte der Experte über seine Brille hinweg. «Verkosten ist eine
 anspruchsvolle Tätigkeit. Man muss nicht nur die Aromenpalette
 im Wein erschmecken, sondern sich auch vorstellen, was man
 dazu essen könnte. Für uns Franzosen ist Wein immer ein Essens-
 begleiter. Ohne eine Mahlzeit würden wir einen Wein niemals
 trinken.»
    Während wir zum ersten Probierstand gingen, schenkte er mir
 vertrauliche Anfängertipps ein: «Sie müssen beim Verkosten eige-
 ne Begriffe bilden, denn nur Sie können beschreiben, wie und was
 Sie schmecken. Lassen Sie sich bloß nicht einschüchtern, wenn
 andere Minze, Leder, Unterholz, Kräuter oder Feuerstein im Wein
 erspüren. Notieren Sie nur, was Sie persönlich schmecken!»

                                19
Zum Auftakt nahm ich einen tiefen Schluck vom Château Léo-
ville-Poyferré, der sich bei der ersten optischen Ansprache ein-
deutig als Rotwein entpuppte. Ich schlürfte, kaute und schluckte
ausgiebig und notierte: «Schmeckt astrein.» Am Stand von Cante-
nac-Brown vermerkte ich: «Schmeckt nicht so gut.» Bei Château
Siran: «Der ist jetzt wieder besser.» Léoville-Barton: «Fiese Nase.»
Grand-Puy-Ducasse: «Riecht wie ungelüftete Umkleidekabine.»
La Fleur de Gay: «Schmeckt wie schon mal getrunken.»
   Am Stand von Château Olivier schenkte mir ein alter Mann rei-
nen Wein ein: «Unser Wein ist der charakteristischste Bordeaux,
den es zu kaufen gibt.» Dann verfinsterte sich sein Antlitz: «Aber
es gibt kaum etwas, was man dazu essen kann. Mir fiele allenfalls
eine sautierte Beinscheibe vom Rind mit Meerrettich und etwas
Salbei ein. Oder … oder …» – im Geiste schien er sämtliche Ge-
richte zu verkosten, die er je verdaut hatte – «… oder vielleicht
einen stark frittierten Barsch. Aber wo soll man den herkriegen?»,
heulte er, während ich mir schnell noch mal das Probierglas bis
oben hin vollgoss.
    Derart gestärkt ließ ich die Stadt hinter mir und fuhr vorbei an
Reben, Reben und nochmals Reben. Allein im Bordelais wachsen
so viele wie in allen deutschen Anbauregionen zusammen. Rund
achttausend Winzer befüllen jedes Jahr siebenhundert Millionen
Flaschen Wein, darunter etwa dreitausend Châteaus.
    Eines davon war meine nächste Station, das Château du Taillan,
ein charmantes kleines Schlösschen im Haut-Médoc, eine halbe
Autobusstunde von Bordeaux entfernt. Von der Terrasse schaut
man auf die Weinberge, die die Familie von Madame Falcy-Cruse
in der vierten Generation bewirtschaftet. Aber nur weil Madame
Winzerin ist, heißt das noch lange nicht, dass sie Besuch in legerer
Garderobe, gar Arbeitskleidung empfinge. An diesem Nachmittag
stakste sie im Chanel-Kleid auf Stilettos hinüber zum alten Kel-

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lereigebäude, einem architektonischen Kleinod aus dem 16. Jahr-
hundert. Die studierte Önologin wies mich ein in die Kunst der
Assemblage.
   Madame Falcy-Cruse reichte mir zwei Gläser, die ich gegen
das Licht halten sollte. «Welche Farbe hat dieser Rotwein? Schau-
en Sie auf den Flüssigkeitsrand: Blau? Violett? Purpur? Gelb?
Braun?»
   «Rot», sagte ich und lag damit ganz vorn.
   Dann reichte sie mir zwei weitere Gläser, dazu einen Stand-
kolben mit Maßeinheit und eine Pipette. Ich sollte so lange hin
und her mischen, bis ich den für mich optimalen Geschmack ge-
funden hatte: «Die ideale Balance zwischen der Fruchtigkeit des
Merlot und der Samtigkeit des Cabernet Sauvignon – die müssen
Sie finden!» Und zwar durch unablässiges Schmecken. Madame
goss uns den 2009er des Hauses ein, wir schmatzten ein wenig,
schließlich sagte sie: «Samtige Tannine. Aber am besten gefällt mir
der pfeffrige Lakritzton.»
   Ich nickte.
   «Und jetzt blenden Sie mal selbst. Probieren und vergleichen
Sie, immer schnell hintereinander. Achten Sie bei der Mundprobe
auf die drei Phasen: Attacke, Entwicklung und Abgang!»
   Ich mischte, panschte, verschnitt die beiden Rotweine, aber
egal, ob drei zu vier, zwei zu acht oder eins zu eins – das Resultat
schmeckte immer gleich.
   «Junge Weine verkosten ist besonders schwer», sagte ich und
erntete einen respektbezeigenden Blick von Madame. Ja, da helfe
eben nur Probieren, Probieren und nochmals Probieren. Jeden
Tag, dreißigmal. Sie mache nichts anderes.

Und ich schon gar nicht. Es ist Abend geworden, ich sitze inzwi-
schen am gedeckten Tisch. Unter uns fließt noch immer gelbbraun

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die Garonne, die ein paar Kilometer weiter mit der Dordogne zur
Gironde verschnitten wird. Endlich kommt der Bürgermeister
 zum Ende seine Rede. Wird auch höchste Zeit. Ich will jetzt wei-
 terprobieren!
    Sterneköche kredenzen Kleinkunstwerke, die eigentlich viel zu
 schade sind zum Essen. Dennoch überwinden wir uns. Zum ers-
 ten Gang wird ein Château Prieuré-Lichine vom guten Jahrgang
2005 gereicht. Nachdem alle ausreichend geäugt, genäselt und ge-
 schlürft haben, lege ich los: «Dieser Wein schmeckt sehr gut.»
    Zustimmendes Kopfnicken. Nur der Hongkong-Chinese ver­-
 zieht das Gesicht, ordert aber bei seinem Nebensitzer, dem
Weinhändler, sofort zwanzig Kisten. Auch der nachfolgende
 98er C­ hâteau Pichon-Longueville-Comtesse de Lalande aus der
Magnumflasche findet Gefallen. Monsieur Gault-Millau lobt vor
 allem die animalischen Noten: Er rieche herrlich nach Kuhstall.
Aber auch nach Leder, Unterholz, Kräutern, sogar Mokka, Ta-
 bak, und eine kleine, aber feine Feuersteinnote sei erahn-, ja er-
 schmeckbar.
    Ich nicke und sage: «Samtige Tannine. Aber der pfeffrige La-
 kritzton ist ungewöhnlich.»
    «Oh, là, là», meint der Château-Manager, der Chinese verzieht
 das Gesicht und bestellt zwanzig Kisten.
    «Wir brauchen dringend neue Absatzmöglichkeiten!», be-
 schwört nun der Händler die Runde.
    Das lasse ich mir nicht zweimal sagen, winke den Weinrein-
 bringer her und deute auf meine leeren Probiergläser: «Voll-
 machen, s’il vous plaît!»
    Der 99er Branaire-Ducru gefällt sehr gut, der Gault-Millau
 schlackert anerkennend mit seinen zwei Kinnen, und der Chine-
 se bestellt sofort zwanzig Kisten. Der nachfolgende Smith Haut
­Lafite von 1998 aber bereitet plötzlich Probleme.

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«Dieser Wein schmeckt wie …», beginnt Monsieur Gault-Mil-
lau, «er hat so eine Art Champignonton, wie ein Waldboden nach
dem Regen.» Kurz hält Monsieur inne, wie um dem Rotweinregen
zu lauschen, der in ihm rauscht. «Das ist ein Fehlton, der dürfte
nicht sein, vielleicht hat ja die Flasche einen Fehler. Ich kenne
diesen Jahrgang sehr gut, ich habe erst kürzlich sehr viel davon
getrunken.»
   Wir lassen ein Glas des gleichen Weines vom Nebentisch kom-
men. Jeder darf mal schnuppern. Da ich den größten Durst habe,
leere ich das Glas in einem Zug. Ich schlucke und kaue, knabbere
und schlürfe, wälze und lutsche den Wein, alle Blicke sind auf
mich gerichtet. Ich sage: «Hier ist keinerlei Fehlton drin. Dieser
Wein schmeckt super.»
   Erleichtertes Lachen aller Tischteilnehmer, Schulterklopfen,
ich bekomme Visitenkarten zugesteckt.
   «Es lag an der Flasche!», triumphiert der Kritiker und ruft mir
zu: «Monsieur, vous êtes un connaisseur!»
   «Richtig!», rufe ich rotweinbefeuert.
   Darauf stoßen wir an, dass die Kristallgläser fast splittern. Die
Expertenrunde liegt mir zu Füßen, das spüre ich. «Diese Assem-
blagen sind doch das Geilste!», informiere ich sie. «Die Zukunft
gehört den Mischgetränken, messieurs dames! In Deutschland
trinken die Menschen schon wie verrückt Bier-Mixe und Saft-
schorlen! Und jetzt, mit Ihrer und meiner Hilfe, werden wir sie
mit Rotweinverschnitten beglücken!»
   Merkwürdigerweise ist der Applaus äußerst verhalten. Ich
muss also nachlegen und schlage vor, mittelgute deutsche Weine
mit sehr gutem Bordeaux zu verschneiden – so wie man ja auch
amerikanischen mit schottischem Whisky verblende. Angewidert
verzieht das Château das Gesicht. Nur der Händler schaut inter-
essiert. Der Chinese auch.

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«Hergehört, Herrschaften!», rufe ich, weil mir gerade was ein-
 fällt. «Mir fällt gerade ein, dass es bei uns ja auch Wein-Assembla-
 gen gibt!» Ich hätte da nämlich neulich einen sehr interessanten
Tropfen entdeckt, in Berlin, bei Mäc-Geiz. «Rot & Süß» heiße der.
 Leider ohne Jahr. Herkunftsbezeichnung: «Aus den besten Lagen
 Europas.» Das sei doch ein Knaller, brülle ich. «Der ist echt spitze,
 Leute, kostet nicht mal eins sechzig die Pulle und hat Attacke, Ent-
 wicklung und Abgang ohne Ende!»
     Der Gault-Millau hält sich die Hand vor Augen, die Presse-
 dame ordert Riechsalz, ich assembliere gekonnt die Reste des
­Prieuré-Lichines mit dem ollen Champignonwein in meinem
Glas. Voilà! Dann frage ich den Kritiker, wie er denn als Experte
 das in Deutschland nicht unbeliebte Getränk beurteile, das sich
 etwa zur Hälfte aus einem sehr guten, körperreichen Rotwein und
 zur Hälfte aus sehr guter Cola zusammensetze und, je nach Ge-
 gend, «Korea» oder «Bambule» genannt werde. Oder auch «Kalte
Muschi». Er erbleicht und lässt sein Glas sinken, der Manager
 starrt apathisch ins Leere.
     Noch bevor ich ergänzen kann, dass ich eine Rotwein-Cola-
Cuvée natürlich niemals anfassen würde, weil dazu nicht mal
 stark frittierter Barsch passe, außerdem sei die klassische Mé-
 lange aus Rotwein und Fanta, auch «Panzersprit» genannt, viel
 fruchtiger, ja gleichsam rassiger – noch bevor ich dies sagen kann,
 noch bevor ich überhaupt anregen kann, dass sich aus den vollen
 Rückschüttgefäßweinen hier auf dem Tisch ja auch noch hervor-
 ragender Glühwein machen ließe – löst sich unsere gerade noch
 so fröhliche Runde in Wohlgefallen auf. Auch der Bürgermeister
 ist verschwunden.
     Nur der Chinese ist noch da, zieht sich den Mantel über, gibt
 mir seine Karte und fragt mich diskret nach diesem Rotwein-Co-
 la-Mix. Daran habe er Interesse. «Aber nur exklusiv! Und nur mit

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bestem Rotwein und mit allerbester Cola», sagt er. «Keine Pepsi!»
Wenn ich ihm diese Abfüllung beschaffte, dann hätten wir einen
Deal. Ich schlage ein. Vierzig Kisten.
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