Ich spiele Rubab mit einer westlichen Gitarrentechnik

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«Ich spiele Rubab mit einer westlichen Gitarrentechnik» | norient.com   14 Mar 2022 07:12:57

    «Ich spiele Rubab mit einer
    westlichen Gitarrentechnik»
    by Thomas Burkhalter

    Khaled Arman spielte in Kabul Funk, in Prag und Paris
    zeitgenössische Gitarrenmusik und in Genf afghanische
    Populärmusik. Mit dem Ensemble Kaboul hat Arman einen
    BBC World Music Award gewonnen, und als Solomusiker
    geht er mit seiner umgebauten Rubab eigene Wege. Auszüge
    aus einem Gespräch.

    1996 bis Ende 2001, unter der Herrschaft der Taliban, war Musik in
    Afghanistan verboten. Musik verlocke zu Unmoral und halte von religiösen
    Pflichten ab, proklamierte das «Amt für die Verbreitung von Tugend und
    Eindämmung der Sünde». Erlaubt waren allein Hymnen auf tapfere Taliban-
    Krieger. Und religiöse Gesänge, die nicht als Musik taxiert wurden.
    Musikinstrumente, Kassetten und Abspielgeräte wurden in Razzien
    eingesammelt und öffentlich verbrannt.

    Allerdings zeigten nicht nur die Taliban Angst vor der Macht der Musik:
    Bereits das kommunistische Regime, das 1978 nach einem Staatsstreich an
    die Macht gekommen war, kontrollierte die Musikszene und vergab Lizenzen

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    an regierungsfreundliche Künstler. Und der Mudjahedin-Präsident Rabbani
    verbot zwischen 1992 und 1996 öffentliche Musikauftritte – vor einem
    generellen Musikverbot schreckte er jedoch zurück.

    Bis heute spielt afghanische Musik aus diesen Gründen fast ausschliesslich
    im Ausland. Alle professionellen Musiker leben im Exil. In Genf hat sich in den
    letzten Jahren die afghanische Gruppe Ensemble Kaboul formiert, die mit
    grossem Erfolg auf Konzertbühnen in der ganzen Welt auftritt. Im letzten
    Jahr wurde die Gruppe gar von der BBC mit dem World Music Award für
    asiatische Musik ausgezeichnet.

    Gegründet wurde die Gruppe vor neun Jahren von Hossein Arman. Arman war
    in die Schweiz gekommen, weil er in Afghanistan nicht mehr arbeiten konnte:
    Die Musikschule, an der er unterrichtete, war geschlossen worden. Genauso
    auch Radio Kabul, die wichtige Radiostadion, an der er jahrelang als Sänger
    und Musiker engagiert war.

    Ich treffe Hossein Armans Sohn, Khaled Arman, in Genf. Der Gitarrist und
    Rubab-Lautenspieler spricht zunächst einmal davon, wie sich sein Vater in
    den ersten Tagen in Genf gefühlt habe.

    «Als mein Vater nach Genf zog, musste er alles hinter sich lassen. Er hatte
    alles verloren. Er kam aus Kabul, wo jeder ihn kannte. Und plötzlich lebte er in
    Genf, wo niemand ihn kannte. Was passiert in einer solchen Situation:
    Entweder du fällst in eine tiefe Depression oder knallst dir eine Kugel in den
    Kopf. Oder aber du findest eine phänomenale Kraft und sagst dir, dass du so
    nicht enden willst. Mein Vater begann zu kämpfen. Er beschloss, eine
    afghanische Musikgruppe aufzubauen. Auch weil die Musik in Afghanistan
    unter den Taliban vom Aussterben bedroht war. Vor allem aber weil er nicht
    anders konnte.»

    Hossein Armans Idee liess sich zunächst nicht so einfach umsetzen. In der
    Region Genf mangelte es an afghanischen Instrumentalisten. Laurent Aubert,
    Leiter der atheliers d’ethnomusicologie in Genf, half aber mit, Musiker zu
    finden: Zum Beispiel den amerikanischen Santur-Spieler Paul Grant, der seit
    Jahren in Genf mit indischen und iranischen Musikern zusammengespielt
    hatte. Grant interessierte sich sehr für die afghanische Musik, die stark von
    indischen und iranischen Musiktraditionen beeinflusst ist. In London wurde
    der Tabla-Spieler Yusuf Mahmoud gefunden. Und in Lausanne fragte Khaled
    Arman seinen Cousin Osman Arman an, ob er nicht als Flötist einsteigen
    möchte. Khaled Arman wurde der musikalische Leiter der Gruppe. Er war
    aber nicht von Anfang an mit dabei.

    Um die Geschichte des Ensemble Kabul zu erzählen, müssen wir deshalb erst
    einmal zurückblenden.

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    «Ich war 14 Jahre alt. Und nahm an der Musikschule in Kabul
    Instrumentalunterricht, an der mein Vater Lehrer war. Ich spielte elektrische
    Gitarre und gründete 1975 mit Freunden eine Funkband. Stundenlang
    transkribierte ich die Funk- und Soul-Lieder von den amerikanischen
    Schallplatten, die ich so sehr liebte. 1981 zog ich dann nach Prag und begann
    am dortigen Konservatorium ein Musikstudium. Ich spielte jetzt klassische
    Gitarre und begeisterte mich immer mehr für die klassische und
    zeitgenössische Musik des Westens. 1986, ich war mittlerweile nach Paris
    gezogen, gewann ich den internationalen Gitarrenwettbewerb von Radio
    France: Ich war 22 und lebte in Extremen: Zum einen bewegte ich mich in
    einem geschlossenen Zirkel von klassischen Gitarristen und spielte an vielen
    Konzerten. Zum anderen wurde ich wegen meines afghanischen Pass’ immer
    wieder aufs Immigrationsbüro bestellt. Eine ziemlich schizophrene
    Situation.»

    «Weil ich aus Afghanistan stamme, begannen die Musikjournalisten zu
    fragen, ob ich auch die Musik aus meiner Heimat spiele. Ich musste verneinen.
    Ich beherrschte auf der Gitarre kein einziges afghanisches Stück. Mehr und
    mehr begann ich mich zu fragen, warum ich eigentlich all diese Musik aus
    einer anderen Kultur nachspielte, wo ich doch selber aus einer Familie mit
    einer langen Musikertradition stammte. Ich begann, afghanische Stücke für
    meine Gitarre zu bearbeiten. Wie ich sie mir aber anschliessend anhörte,
    musste ich immer wieder erkennen, dass meine Stücke überhaupt nichts mit
    afghanischer Musik gemein hatten. Stülpst du das harmonische System des
    Westens über die Melodien der afghanischen Musik, verliert die afghanische
    Musik ihren Charakter. Meine Musik klang geschmäcklerisch, ja kitschig – so
    wie man es oft hört, wenn orientalische Musiker ihre auf Modi basierende
    Musik mit Harmonien aufpeppen wollen. Ich fand keine Lösung. Und das
    stellte mich vor ziemliche Probleme: Ich kannte die afghanischen Modi und
    ich kannte das harmonische System des Westens. Meine afghanische Musik
    klang. Aber sie klang irgendwie bizarr.»

    «Dann hat mein Vater mir eine afghanische Rubab nach Paris geschickt. So
    hat alles angefangen. Ich hatte in Kabul zwar nie selber Rubab gespielt, aber
    ich kannte die grossen Meister auf diesem Instrument. Ich wusste, wie die
    Rubab zu spielen ist. Und als ich meine musikalischen Ideen jetzt mit der
    Rubab vertonte, wurde mir klar, dass ich die Lösung für mein Problem
    gefunden hatte: Ich musste meine afghanische Musik auf der Rubab spielen.
    Und nicht auf der Gitarre.»

    «Ich spiele Rubab mit einer westlichen Gitarrentechnik. Links spiele ich mit
    vier Fingern, nicht mit drei, wie es die afghanischen Meister tun. Ich tauchte
    in die Geschichte dieses Instrumentes ein: In Nordindien hatte man aus der
    Rubab die Sarod entwickelt, mit der man wunderbar indische Raga Musik
    spielen kann. Die Rubab hingegen eignet sich eigentlich nur für Volksmusik.
    Mit ihrem perkussiven Sound kannst du weder die Ghazals noch die Thumris
    der indischen Kunstmusik spielen. In der indischen Kunstmusik werden jene

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    Instrumente bevorzugt, die ähnlich der menschlichen Stimme alle Feinheiten
    und Ornamentierungen musikalisch auszudrücken vermögen. Auf der Sitar
    kannst auf einer Seite die wunderbarsten Glissandi spielen – bis zu sechs
    Noten auf einem einzigen Bund. Auf der Rubab ist das nicht möglich. Die
    Rubab zeigt ihre Stärken erst in einer rhythmischen Musik.»

    Die afghanische Kunstmusik ist stark von der klassisch indischen Musik
    geprägt. Ab 1860 wurden klassisch geschulte indische Musiker an den Hof
    des Mogulkaisers Amir Sher Ali Khan nach Kabul gebracht. Mit der Zeit
    entwickelte sich ein lokaler Ghazal-Stil, der rhythmisch auf den indischen
    Zyklen beruhte, jedoch teilweise auch die schnellen Rhythmuspattern und
    rhythmischen Kadenzen der Paschtunen-Musik verwendete. Letztes Jahr hat
    Khaled Arman die CD Rubab Raga herausgegeben. Auf der CD spielt er
    indische Ragamusik mit der afghanischen Laute Rubab: Eine Seltenheit.

    «Ich würde die Rubab gerne weiterentwickeln. Mich interessiert, ob ich die
    Anforderungen der Raga-Musik erfüllen kann, wenn ich die Rubab mit einer
    neuen Technik spiele. Zur Zeit baue ich mit Luc Breton, dem grossartigen
    Instrumentenbauer aus Morges, eine neue Rubab. Die traditionelle Rubab hat
    nur vier Bünde ganz oben am Hals. Mein Instrument soll Bünde übers ganze
    Griffbrett haben. Ich will meine Rubab weiterentwickeln. Auch wenn Kritiker
    meinen, dass ich nie alle Ornamentierungen der indischen Kunstmusik werde
    spielen können. Ich habe erst begonnen mit meinem Experiment. Und ich
    höre zum Glück nicht auf jeden: Sonst würde ich gar nichts mehr machen.»

    «Ich musste einige Kompromisse eingehen, die Raga-Musik ein wenig
    anpassen. Zum Beispiel kannst du mit der Rubab kein langes Prelude (ALAP)
    spielen. Wohin mich mein Weg innerhalb der indischen Kunstmusik führen
    wird, weiss ich nicht. Ich mache meine Arbeit zwar sehr seriös, aber ich
    nehme mich selber nicht allzu ernst dabei. Ich weiss sehr wohl, dass meine
    Ideen utopisch klingen mögen. Aber wenn ich die Rubab in der traditionellen
    Art spielen muss, interessiert mich das Instrument nicht mehr.»

    Vor fünf Jahren zog Khaled Arman von Paris nach Genf. Und hier kehren wir
    zur Geschichte des Ensemble Kaboul zurück. Khaled Arman begann sich
    stärker für das Ensemble zu engagieren und wurde schliesslich sein
    künstlerischer Leiter. – Wie aber kommt ein klassisch geschulter Musiker und
    Instrumententüftler dazu, populäre Lieder aus Kabul zu spielen? – Eine
    Musik, die ab den späten 40er Jahren an der Rundfunkstation der Hauptstadt
    von Nachfahren indischer Hofmusiker entwickelt worden war und sich im
    ganzen Land grosser Popularität erfreute. Eine Musik, die stark von der
    indischen Filmmusik beeinflusst war, aber auch von Iran und von den
    regionalen Volksmusikstilen unter anderem der Paschtunen und Tadschiken.

    «Der afghanische Populärmusikstil bietet sehr interessante Möglichkeiten.
    Vor allem wenn man ihn mit seinen eigenen Instrumenten und nicht mit
    Gitarre oder Synthesizer spielt. Die Leute lieben diese Musik. Ich auch. Man

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    kann diese Musik weiterentwickeln; sie hat grosses Potenzial. Mit dem
    Ensemble Kaboul spielen wir aber eher eine simple Variante: Wir spielen vor
    allem unisono. Möchten wir ein komplexeres Interplay innerhalb der Gruppe
    aufbauen – so wie etwa in der persischen Musik -, bräuchten wir erstklassige
    Profimusiker – oder ich müsste bei den Aufnahmen mehrere Instrumente
    selber einspielen.»

    Das Debütalbum des Ensemble Kaboul war äusserst erfolgreich. Und nach
    den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem anschliessenden Krieg der
    USA gegen die Taliban waren die Konzerte vom Ensemble Kaboul in ganz
    Europa begehrt. Das Ensemble wechselte zum Pariser Label Accords Croisés.
    Und es veröffentlichte vor einem Jahr seine neueste CD: Radio Kaboul. Dazu
    lud die Gruppe Afghanistans Top-Radio-Star der 70er Jahre ein: Ustad Farida
    Mahwash, die einzige Sängerin, die in Afghanistan den Status des «Ustad»,
    der Meistermusikerin, erreichen konnte. Mahwash lebt seit 13 Jahren in San
    Francisco.

    Khaled Arman tanzt mittlerweile auf vielen Hochzeiten. Er arbeitet mit dem
    französischen Rockmusiker Alain Bashung und mit dem katalanischen
    Spezialisten für alte Musik Jordi Savall. Und er hat mit dem französischen
    Gitarristen und Elektronikmusiker Francesco Russo eine CD mit
    elektronischer Musik eingespielt.

    In naher Zukunft will Khaled Arman endlich wieder einmal nach Kabul zurück.
    Wie lange es allerdings noch dauert, bis er sich wieder fest in seiner Heimat
    niederlassen kann – und ob er dies überhaupt will – weiss er heute noch nicht.

    «Als Musiker habe wir eine geradezu kolossale Aufgabe für das Leben und
    Überleben der Musik in Afghanistan. Wir müssen Musikschulen aufbauen und
    Musiklehrer finden. Wir brauchen gute Instrumente und neue, gute Musiker.
    Es ist schon paradox: In Europa kämpfen die Musiker ums überleben, weil die
    Konkurrenz so gross ist. Und in Afghanistan gibt es überhaupt keine Musiker.
    Wir müssen bei der Bevölkerung das Interesse für die Musik wecken und den
    Leuten zeigen, dass sie auch von der Musik leben können. Zunächst aber
    brauchen die Leute ein Dach über dem Kopf, und genug zu Essen und
    Trinken.»

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    → Published on November 07, 2004

    → Last updated on October 13, 2019

    Thomas Burkhalter is an anthropologist/ethnomusicologist (PhD), AV-artist, and
    writer from Bern (Switzerland). He is the founder and director of Norient, the Norient
    Space (Norient.com), and the founder and strategic director of the Norient Film
    Festival (NFF). He co-directed documentary films (e.g. “Contradict”, Berner
    Filmpreis 2020 + Al-Jazeera Witness) and AV/theatre/dance performances, is the
    author and co-editor of several books, teaches regularly at universities, and runs
    workshops for arts institutions. His experimental radio feature, «Gqom Edits – A

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    Durban Visit», was nominated for Prix Europa in 2017. Currently, he is working on a
    new music project, and on the experimental podcast series’ Timezones and South
    Asian Sound Stories with musicians from the UK, Bangladesh, India, and Pakistan.

    → Topics

               Censorship
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