Iga.Report 39 - Flexible Beschäftigungs-formen und aufsuchende Gesundheitsförderung im Betrieb - Initiative Gesundheit und Arbeit

Die Seite wird erstellt Heinrich Voss
 
WEITER LESEN
Iga.Report 39 - Flexible Beschäftigungs-formen und aufsuchende Gesundheitsförderung im Betrieb - Initiative Gesundheit und Arbeit
iga.Report                             39

Flexible Beschäftigungs-
                                            Die Initiative
                                            Gesundheit und Arbeit

formen und aufsuchende
                                            In der Initiative Gesundheit und
                                            Arbeit (iga) arbeiten gesetzliche
                                            Kranken- und Unfallversicherung

Gesundheitsförderung
                                            zusammen, um arbeitsbedingten
                                            Gesundheitsgefahren vorzubeugen.
                                            Gemeinsam werden Präventions-
                                            ansätze für die Arbeitswelt weiter-

im Betrieb                                  entwickelt und vorhandene Methoden
                                            oder Erkenntnisse für die Praxis
                                            nutzbar gemacht.

                                            iga ist eine Kooperation von
                                            BKK Dachverband, der Deutschen
Kim-Kristin Gerbing und Filip Mess          Gesetzlichen Unfallversicherung
                                            (DGUV), dem AOK-Bundesverband
                                            und dem Verband der
unter Mitarbeit von                         Ersatzkassen e. V. (vdek).
Katrin Andre und Friederike Kalkmann
                                            www.iga-info.de
iga.Report 39

Flexible Beschäftigungsformen
und aufsuchende Gesundheitsförderung
im Betrieb

Kim-Kristin Gerbing und Filip Mess

unter Mitarbeit von
Katrin Andre und Friederike Kalkmann
Inhaltsverzeichnis

1   Einleitung                                                     7

2   Flexible Beschäftigungsformen                                  9

2.1 Hintergrund und Entwicklung flexibler Beschäftigungsformen     9

2.2 Definition flexibler Beschäftigungsformen                      13

    2.2.1 Atypische Beschäftigungsformen und Normalbeschäftigung   13

    2.2.2 Teilzeitbeschäftigung                                    15

    2.2.3 Befristete Beschäftigung                                 16

    2.2.4 Leih- und Zeitarbeit                                     16

    2.2.5 (Solo-)Selbstständigkeit                                 17

2.3 Flexible Beschäftigungsformen und Gesundheit                   17

    2.3.1 Teilzeitbeschäftigung und Gesundheit                     19

    2.3.2 Befristete Beschäftigung und Gesundheit                  19

    2.3.3 Leih- und Zeitarbeit und Gesundheit                      20

    2.3.4 (Solo-)Selbstständigkeit und Gesundheit                  21

2.4 Zusammenfassung: Flexible Beschäftigungsformen                 22
3   Aufsuchende Gesundheitsförderung im Betrieb                         25

3.1 Status Quo und Hindernisse Betrieblicher Gesundheitsförderung       25

3.2 Definition und Chancen aufsuchender Gesundheitsförderung            27

3.3 Entwicklung und Forschungsstand aufsuchender Gesundheitsförderung   28

3.4 Aufsuchende Gesundheitsförderung in der Praxis                      33

    3.4.1 Konzepte aufsuchender Gesundheitsförderung                    33

    3.4.2 Best-Practice-Beispiele                                       35

3.5 Zusammenfassung: Aufsuchende Gesundheitsförderung im Betrieb        41

4   Fazit                                                               42

5   Literaturverzeichnis                                                44

6   Tabellenverzeichnis                                                 50
Flexible Beschäftigungsformen und aufsuchende Gesundheitsförderung im Betrieb

1         Einleitung

Wir befinden uns inmitten eines globalisierten Wettbewerbs                                      Palm, 2016). Einzelne Branchen wie das Gesundheitswesen
und Wandels hin zu einer immer weiter spezialisierten                                           weichen schon lange von dem Schema der Normalbeschäfti-
Dienstleistungsgesellschaft. In dieser haben sich die Arbeits-                                  gung ab und nutzen flexible Beschäftigungsformen.
märkte und Grundstrukturen von Arbeit stark verändert.
Globalisierung und internationale Zusammenarbeit, techno-
logischer Fortschritt, Digitalisierung und Vernetzung, institu-                                    Definition: Arbeiten 4.0
tioneller, struktureller und demografischer Wandel haben zu
einer Entgrenzung im Sinne einer „Auflösung traditioneller                                         „Der Begriff ‚Arbeiten 4.0‘ knüpft an die aktuelle Diskus-
räumlicher, zeitlicher oder organisatorischer Grenzen von                                          sion über die vierte industrielle Revolution (Industrie 4.0)
Arbeit“ (Eichhorst & Tobsch, 2015, S. 47) geführt und die                                          an, rückt aber die Arbeitsformen und Arbeitsverhältnisse
Arbeitswelt und den Arbeitsmarkt verändert (Gottschall &                                           ins Zentrum – nicht nur im industriellen Sektor, sondern
Voß, 2005). In der fachlichen und öffentlichen Diskussion ist                                      in der gesamten Arbeitswelt. ‚Arbeiten 1.0‘ bezeichnet
hierbei von flexiblen Arbeitswelten, einer diesbezüglichen                                         die beginnende Industriegesellschaft vom Ende des
Flexibilisierung und Entgrenzung der Arbeit und insgesamt                                          18. Jahrhunderts und die ersten Arbeiterorganisationen.
von einem Arbeiten 4.0 die Rede (Eichhorst & Tobsch, 2014,                                         ‚Arbeiten 2.0‘ sind die beginnende Massenproduktion
2015). Mit Arbeiten 4.0 wird das gesamte Phänomen des                                              und die Anfänge des Wohlfahrtsstaats am Ende des
Wandels der Arbeit bezüglich einer Veränderung von Ar-                                             19. Jahrhunderts. Die Industrialisierung brachte damals
beitsformen und Arbeitsverhältnissen bezeichnet. Innerbe-                                          neue soziale Probleme mit sich, der zunehmende Druck
triebliche Abläufe und Strukturen verändern sich dabei und                                         der organisierten Arbeiterschaft bildete eine wichtige
eine „Öffnung tradierter Grenzziehungen“ wird evident                                              Grundlage für die Einführung der ersten Sozialversiche-
(Eichhorst & Tobsch, 2015, S. 47).                                                                 rungen im Deutschen Reich. ‚Arbeiten 3.0‘ umfasst die
                                                                                                   Zeit der Konsolidierung des Sozialstaats und der Arbeit-
Mit dem Betreten globaler Märkte steigt der Wettbewerbs-                                           nehmerrechte auf Grundlage der sozialen Marktwirt-
druck. Viele Unternehmen versuchen daher, um den Arbeits-                                          schaft: Arbeitgeber und Arbeitnehmer verhandeln sozial-
ablauf an die jeweiligen Gegebenheiten anzupassen, bei-                                            partnerschaftlich auf Augenhöhe miteinander. Die
spielsweise Betriebs- und Maschinenlaufzeiten maximal zu                                           Notwendigkeit der Wahrnehmung gemeinsamer Interes-
nutzen oder atypische Beschäftigungsformen und Beschäfti-                                          sen steht im Betrieb wie auch unter den Arbeitnehmerin-
gungsweisen einzusetzen. Gleichzeitig lassen sich ein gesell-                                      nen und Arbeitnehmern insgesamt außer Frage. Später
schaftlicher Wandel, soziale Umbrüche sowie Veränderungen                                          folgte die teilweise Rücknahme sozialer Rechte, auch
von Lebensentwürfen und privaten Interessen- und Lebens-                                           angesichts des zunehmenden Wettbewerbsdrucks und
lagen beobachten. Damit gehen veränderte Ansprüche an                                              der Öffnung nationaler Märkte. ‚Arbeiten 4.0‘ wird ver-
die Arbeitswelt und die eigene Tätigkeit einher (Vahle-Hinz &                                      netzter, digitaler und flexibler sein. Wie die zukünftige
Plachta, 2014; Widuckel, de Molina, Ringlstetter & Frey,                                           Arbeitswelt im Einzelnen aussehen wird, ist noch offen.“
2015).                                                                                             (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2018)
Insgesamt wird das klassische Normalarbeitsverhältnis als
Normativ aufgeweicht und rückt zu Gunsten von flexiblen
bzw. atypischen Beschäftigungsformen1 wie Teilzeitarbeit, be-                                   Für Beschäftigte wie Unternehmen birgt die sich schnell wan-
fristete Beschäftigung, Leih- und Zeitarbeit sowie (Solo-)                                      delnde Arbeitswelt mit ihren flexiblen Beschäftigungsformen
Selbstständigkeit immer mehr in den Hintergrund (Glaser &                                       sowohl Chancen und Freiheiten als auch neue Herausforde-
                                                                                                rungen, Belastungen und Risiken, auf die sie reagieren müs-
                                                                                                sen. Die dafür notwendige Gestaltungs- und Anpassungsfä-
                                                                                                higkeit stellt „nicht nur eine erhöhte Anforderung an die
1   In diesem iga.Report beschreibt flexible Arbeit das gesamte Phänomen von Flexibilisie-
    rung und Entgrenzung. Wenn konkret von Beschäftigungsformen die Rede ist, werden            arbeitenden Menschen und an deren Fähigkeiten dar, sondern
    die Begriffe atypisch und flexibel synonym verwendet. Neben einer grundlegenden
    Flexibilisierung der Beschäftigungsformen zeigt sich übergreifend eine zeitliche und        stärkt auch die Relevanz der Gesundheitsthematik“ (Bauer &
    räumliche Flexibilisierung von Arbeit wie mobile Arbeit, Telearbeit, ständige Erreichbar-
    keit, hohe Pendelbelastungen oder berufliche Fernreisen.                                    Braun, 2014, S. 11). Verschiedene arbeitsbedingte körperli-

                                                                                                                                                 iga.Report 39 | 7
Flexible Beschäftigungsformen und aufsuchende Gesundheitsförderung im Betrieb

che, psychische und soziale Belastungen und Herausforde-              mindern, Beschwerden und Missbefinden zu reduzieren und
rungen können sich negativ auf die körperliche und seelische          präventiv zu verhindern sowie durch eine Bindung an gesund-
Gesundheit auswirken. Dementsprechend werden die Folgen               heitsförderliche Aktivitäten ein schützendes Gesundheitsver-
körperlicher und psychosozialer Belastungen am Arbeitsplatz           halten auszubilden (Brehm et al., 2002). Bei der Umsetzung
zunehmend als eine Ursache für vermehrte Fehlzeiten und               von Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung soll-
auch Frühberentungen diskutiert (Badura, Ducki, Schröder,             ten ferner die drei Prinzipien Partizipation, Integration und
Klose & Meyer, 2017).                                                 Ganzheitlichkeit berücksichtigt werden (Bundesministerium
                                                                      für Gesundheit, 2019; GKV-Spitzenverband, 2018):
Flexible bzw. atypische Beschäftigungsformen gehen im Ver-            – Partizipation bedeutet, dass die gesamte Belegschaft in
gleich zu Normalbeschäftigung mit weiteren, speziellen be-               die Prozesse der Betrieblichen Gesundheitsförderung mit-
schäftigungsbezogenen Stressoren einher, z. B. mit materiel-             einbezogen wird.
ler Deprivation oder Beschäftigungsinstabilität (Deutsche             – Integration beschreibt, dass die Betriebliche Gesundheits-
Gesetzliche Unfallversicherung e. V., 2016). Das Zusammen-               förderung über alle Unternehmensbereiche hinweg und
wirken von Arbeit und der Gesundheit von Beschäftigten                   bei allen wichtigen Entscheidungen berücksichtigt wird.
wird bislang jedoch häufig nur im Kontext klassischer Nor-            – Ganzheitlichkeit zielt schließlich darauf ab, dass sowohl
malarbeitsverhältnisse beleuchtet. Es stellt sich daher die              eine Verhaltens- als auch Verhältnisorientierung stattfin-
Frage, welche Risiken und Chancen sich im Speziellen bei                 det, sprich sowohl am individuellen Verhalten der Be-
flexiblen Beschäftigungsformen ergeben, welche Erkenntnis-               schäftigten als auch an den Bedingungen des Arbeitsplat-
se zum Zusammenhang von flexiblen Beschäftigungsformen                   zes angesetzt wird (Bundesministerium für Gesundheit,
und der Gesundheit von Beschäftigten vorliegen und wie vor               2019).
diesem Hintergrund die Gesundheit aller Beschäftigten ge-
schützt und verbessert werden kann. Um die Gesundheit all             Es stellt sich daher konkret die Frage, wie Gesundheitsförde-
ihrer Beschäftigten langfristig zu erhalten, zu schützen und          rung in der Praxis gestaltet werden kann und sollte, um diesen
zu fördern, müssen Unternehmen und Führungskräfte auch                Anforderungen hinsichtlich flexibler Beschäftigungsformen
auf die spezifischen Belastungen und Risiken derer reagie-            nachzukommen. Eine mögliche Lösung könnte die sogenannte
ren, die flexibel beschäftigt sind. Eine Gesundheitsförderung,        aufsuchende Gesundheitsförderung bieten. Der Grundgedan-
die lediglich auf Normalarbeitsverhältnisse und diesbezügli-          ke aufsuchender Gesundheitsförderung ist es, durch eine Inte-
che Stressoren ausgerichtet ist, erscheint im Kontext von Ar-         gration von Maßnahmen in den Arbeitsablauf und ihre Durch-
beiten 4.0 weder angemessen noch ausreichend.                         führung unmittelbar am Arbeitsplatz örtliche und zeitliche
                                                                      Barrieren zu minimieren. Die Beschäftigten werden also ge-
Die Förderung von Gesundheit im Setting Betrieb unterliegt            zielt aufgesucht. Dadurch wird der Zugang nicht nur erleich-
somit ebenso einem Wandel. Um alle Beschäftigten und de-              tert, sondern vor allem auch für alle ermöglicht. So gelingt es,
ren Bedürfnisse adäquat zu erreichen, muss Gesundheitsför-            zu allen, auch zu risikoexponierten und schwer erreichbaren
derung so gestaltet sein, dass sie Arbeiten 4.0 und somit             Zielgruppen, durchzudringen. Die aufsuchende Gesundheits-
flexiblen Beschäftigungsformen entspricht. Folglich über-             förderung zeigt sich demgemäß als ein vielversprechender
rascht es nicht, dass eine Forderung nach einer Gesundheits-          Ansatz, um den generellen Zielen der Gesundheitsförderung
förderung und Prävention 4.0 laut wird (Deutsche Gesetzli-            unabhängig von der Arbeitsform nachzukommen.
che Unfallversicherung e. V., 2016). In diesem Zusammenhang
lässt sich allerdings beobachten, dass es Unternehmen                 Dieser iga.Report rückt flexible Beschäftigungsformen als
schwerfällt, eine Betriebliche Gesundheitsförderung zu reali-         eine grundlegende Säule von Arbeiten 4.0 und somit auch
sieren, die Beschäftigte aller Beschäftigungsformen und de-           von Gesundheitsförderung in den Fokus und betrachtet die
ren Bedürfnisse gleichwertig und passend adressiert und so-           aufsuchende Gesundheitsförderung als einen diesbezügli-
mit die Gesundheit aller schützt und fördert.                         chen Lösungsansatz.

Ziel von Betrieblicher Gesundheitsförderung soll stets sein,          Kapitel 2 widmet sich den flexiblen Beschäftigungsformen.
durch eine Schaffung gesunder Verhältnisse für alle Beschäf-          Zunächst wird der Hintergrund der Flexibilisierung von Be-
tigten Gesundheitswirkungen zu erreichen, physische und               schäftigungsformen skizziert. Anschließend wird eine Defini-
psychosoziale Ressourcen zu stärken, Risikofaktoren zu ver-           tion des Begriffs flexible Beschäftigungsformen im Allgemei-

8 | iga.Report 39
Flexible Beschäftigungsformen und aufsuchende Gesundheitsförderung im Betrieb

nen sowie im Speziellen vorgenommen. Schließlich wird der          rung. Anschließend werden die Entwicklung und der For-
Zusammenhang von flexiblen Beschäftigungsformen und                schungsstand zu aufsuchender Gesundheitsförderung aufge-
Gesundheit dargestellt, und beschäftigungsbezogene Stres-          zeigt und erörtert, welche Chancen diese hinsichtlich flexibler
soren werden herausgearbeitet. Dabei geht Kapitel 2 nur auf        Beschäftigungs- und Arbeitsformen bietet und welchen Bei-
die Flexibilisierung von Beschäftigungsformen ein. Bezüglich       trag sie zu einer Gesundheitsförderung 4.0 liefern kann.
weiterer Facetten von Arbeiten 4.0 muss auf weiterführende         Hierzu wird ein Blick in die Praxis geworfen. Anhand von er-
Literatur verwiesen werden. Der iga.Report 23 (Strobel,            probten Konzepten und Best-Practice-Beispielen werden Po-
2013; Hassler, Rau, Hupfeld & Paridon, 2016) beschäftigt sich      tenziale aufgezeigt, konkrete Gestaltungsansätze beschrie-
beispielsweise ausführlich mit Auswirkungen von ständiger          ben sowie Handlungsempfehlungen bzw. Gelingensfaktoren
Erreichbarkeit und Präventionsmöglichkeiten.                       für die betriebliche Praxis abgeleitet.

Kapitel 3 legt den Fokus auf die aufsuchende Gesundheits-          Den Abschluss bildet ein Fazit zu aufsuchender Gesundheits-
förderung. Nach einem Abriss des Status Quo unter Betrach-         förderung im Kontext flexibler Beschäftigungsformen und
tung der Barrieren für Betriebliche Gesundheitsförderung           Arbeiten 4.0.
erfolgt eine Definition von aufsuchender Gesundheitsförde-

2      Flexible Beschäftigungsformen

2.1     Hintergrund und Entwicklung flexibler                      zunehmend technische Innovationen und Produktivitätsstei-
        Beschäftigungsformen                                       gerungen erforderlich (Eichhorst & Buhlmann, 2015; Hüne-
                                                                   feld, 2016). Unternehmen begegnen diesen Gegebenheiten
                                                                   mit Hilfe von Flexibilisierung – intern in Form von flexiblen
Den Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und somit von aty-          Arbeitszeitverträgen, oder extern, beispielsweise mit Leihar-
pischen Beschäftigungsformen liegen verschiedene Ursachen          beit oder Werkverträgen (Bundesministerium für Arbeit und
zugrunde. Im Folgenden werden die einzelnen Faktoren detail-       Soziales, 2017). Technologische Entwicklung und Digitalisie-
lierter betrachtet und deren Einfluss beschrieben.                 rung bringen ferner vielfältige neue Möglichkeiten und Ar-
                                                                   beitsweisen mit sich. In diesem Zusammenhang zeigen sich
Globalisierung, weltweiter Handel und technologischer Fort-        weitere Facetten des Phänomens Arbeiten 4.0: Arbeit wird
schritt – wie Digitalisierung, Entwicklung von Informations-       zunehmend mobil, Arbeitsformen werden örtlich und zeitlich
und Kommunikationstechnologien, Veränderungen durch Ro-            flexibilisiert und Beschäftigte müssen oder können dadurch
botik oder künstliche Intelligenz – haben der Flexibilisierung     teilweise immer weniger vor Ort sein (Bruch, Block & Färber,
der Arbeitswelt einen intensiven Schub gegeben (Eichhorst &        2016). So nutzen über 80 Prozent der Beschäftigten in
Buhlmann, 2015). Digitale Kommunikationsmöglichkeiten las-         Deutschland digitale Informations- oder Kommunikations-
sen einen ungehinderten, weltweiten und simultanen Daten-          technologien in ihrer beruflichen Tätigkeit (Bundesministeri-
austausch und auf diesem Wege das Erschließen des globa-           um für Arbeit und Soziales, 2016a). Neben der ortsunabhän-
len Markts zu. Der globale Handel führt wiederum dazu, dass        gigen digitalen Kommunikation zwischen Menschen nehmen
sich Marktbedingungen verändern und Finanzinvestitionen            auch informationsaustauschende und kommunizierende Pro-
das Geschehen und die Arbeitssituation beeinflussen können         zesse zwischen Maschinen zu sowie selbstlernende Techno-
(Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2017). Weiterhin       logien, sogenannte künstliche Intelligenz (KI). Die Wettbe-
mündet ein globaler Handel in einer stark schwankenden             werbsfähigkeit von Unternehmen hängt maßgeblich davon
Nachfrage und einem höheren Wettbewerbsdruck, der zu               ab, ob es ihnen gelingt, am Puls dieser technologischen Ent-
Unvorhersehbarkeiten bezüglich der Produktionsauslastung           wicklungen zu bleiben und somit am globalen Markt zu be-
führt. Dabei werden, um auf dem Markt bestehen zu können,          stehen (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2016a,

                                                                                                                    iga.Report 39 | 9
Flexible Beschäftigungsformen und aufsuchende Gesundheitsförderung im Betrieb

2017). Denn durch neue Technologien werden Produktions-               Eichhorst & Buhlmann, 2015). Die steigende Erwerbstätigkeit
möglichkeiten gesteigert. Dies ermöglicht einerseits, bei Be-         von Frauen im Allgemeinen, ein stärkeres Interesse von Müt-
darf auch unvorhergesehene, größere Auftragsvolumen reali-            tern an Teilzeitbeschäftigung sowie eine stärkere Beteiligung
sieren zu können. Andererseits resultiert daraus auch eine            von Vätern an der Kindererziehung führen zu einer Zunahme
stoßweise größere Auslastung und ein schwankender Bedarf              an und einem Ausbau von Teilzeitbeschäftigung und weite-
an Beschäftigten (Eichhorst & Buhlmann, 2015). Darüber hi-            ren Formen wie mobiler Arbeit, Job Sharing oder flexiblen
naus mündet der technologische Fortschritt in einer Konkur-           Arbeitszeiten (Eichhorst & Tobsch, 2015; Ristau-Winkler,
renz zwischen Mensch und Maschine, denn Roboter und Be-               2015).
schäftigte können zunehmend adäquat eingesetzt werden.
Beschäftigte sehen sich bedroht, durch Maschinen ersetzt zu           Um für potenzielle Beschäftigte attraktiv zu sein oder für das
werden. Das Zusammenwachsen von Produktion und Ent-                   vorhandene Personal attraktiv zu bleiben, müssen Unterneh-
wicklung hebt zum einen die Qualifikationsanforderungen               men auf private, familiäre Ansprüche reagieren und alternative
an die Beschäftigten und resultiert in einem erhöhten Bedarf          Beschäftigungsformen schaffen. Allerdings betonen Bäcker et
an Fachkräften in wissensintensiveren Jobs. Zum anderen               al. (2010), dass es vor allem Frauen gibt, die unfreiwillig in
sinkt dadurch die Nachfrage an einfachen Tätigkeiten sowie            Teilzeit arbeiten und eigentlich eine Vollzeitstelle anstreben.
an Geringqualifizierten (Eichhorst & Buhlmann, 2015).                 Teilzeitbeschäftigung ist in diesem Kontext kritisch und ambi-
                                                                      valent zu sehen, denn ein nicht zu vernachlässigendes Pro-
Demografischer Wandel und Fachkräftemangel bedingen                   blem einer Teilzeitbeschäftigung ist die geringere oder man-
ebenfalls Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Betrachtet              gelhafte soziale Absicherung. Dies zeigt sich vor allem im
man den demografischen Wandel, wird deutlich, dass ein Ge-            Alter, da die Rentenversicherung von der Höhe des Einkom-
burtenrückgang gleichzeitig mit einem Rückgang an Perso-              mens abhängig ist, sodass viele Frauen von Altersarmut be-
nen im erwerbsfähigen Alter und somit einer „Verknappung              droht sind.
des Arbeitskräfteangebots“ (Ristau-Winkler, 2015, S. 15) ein-
hergeht (Eichhorst & Buhlmann, 2015). Um diesen knappen               Die Veränderungen der Arbeitswelt wirken sich auch auf die
Personalressourcen zu begegnen, spielt nach Ristau-Winkler            Erwerbsverläufe und Arbeitsbiografien aus (Klatt, Ciesinger,
(2015) neben älteren Arbeitskräften und zugewanderten Per-            Thiele, Bücker & Bakuhn, 2015). Durch die Digitalisierung der
sonen auch die Gruppe der nicht erwerbstätigen oder nur               Arbeitsprozesse und Unternehmensformen bestimmen viel-
geringfügig erwerbstätigen Mütter eine wichtige Rolle. Sie            mehr Projekte und Ergebniserwartungen des Marktes Ar-
stellt das „am schnellsten aktivierbare und qualifizierbare           beitszeit, Arbeitsort und Arbeitsprozess. So rückt selbststän-
Potenzial“ (Ristau-Winkler, 2015, S. 18) dar und bietet somit         dige Arbeit immer mehr in den Vordergrund. Sie geht für die
eine Möglichkeit, diesem Mangel bzw. dieser Verknappung               Beschäftigten mit einer größeren Eigenverantwortung bei
entgegenzuwirken. Um diese Gruppe zu akquirieren und er-              der Gestaltung ihrer persönlichen Arbeitsbiografie einher, in
folgreich in den Arbeitsmarkt zu integrieren, muss jedoch             der sich Phasen der Beschäftigung mit Phasen der Arbeitslo-
eine Vereinbarkeit mit den privaten Anforderungen geschaf-            sigkeit, Qualifizierung oder Familienphasen immer mehr und
fen und Arbeit familienkompatibel gestaltet werden.                   immer wieder abwechseln. Aus privaten, familiären, sozialen
                                                                      oder wirtschaftlichen Gründen werden temporäre Unterbre-
Ein grundsätzlicher gesellschaftlicher Wandel und die damit           chungen der eigenen Erwerbstätigkeit, Teilzeitbeschäftigun-
verbundenen, über die letzten Jahrzehnte veränderten Le-              gen oder Befristungen gegebenenfalls nicht nur akzeptiert,
bensentwürfe nehmen großen Einfluss auf eine Flexibilisie-            sondern auch aktiv angestrebt (Bäcker et al., 2010). Man
rung von Arbeit: Ein zunehmend partnerschaftliches Ge-                spricht in diesem Kontext auch von einer zunehmenden Hy-
schlechterrollenverständnis führt dazu, dass die Rollen eines         bridisierung der Erwerbsarbeit: Zum einen wechseln sich
hauptverdienenden Mannes und einer nicht erwerbstätigen               Phasen abhängiger und selbstständiger Arbeit ab und zum
Frau, die für Haushalt und Kinder zuständig ist, immer mehr           anderen werden selbstständige und abhängige Arbeit oder
aufweichen. In diesem Zuge tritt ein Anspruch an Gleichstel-          Mehrfachbeschäftigungen zeitgleich ausgeübt (Schulze
lung in Arbeit und Familie hervor. Weiterhin zeigt sich eine          Buschoff, 2018). Diese immer flexibler und hybrider werden-
Veränderung privater Interessenlagen wie der Wunsch nach              den Erwerbsbiografien fordern dabei auch neue Modelle
Zeitsouveränität, um Privatleben und Beruf zu vereinbaren             der sozialen Absicherung, da eine stringente Absicherung
(Bäcker, Naegele, Bispinck, Hofemann & Neubauer, 2010;                durch eine Normalbeschäftigung nicht mehr oder nur einge-

10 | iga.Report 39
Flexible Beschäftigungsformen und aufsuchende Gesundheitsförderung im Betrieb

schränkt greift und den Beschäftigten somit Nachteile ent-          Rückgang von Tarifbindung und eine Zunahme an Niedrig-
stehen. Weiterhin obliegt die soziale Absicherung bei einer         lohnjobs erklären (Eichhorst & Tobsch, 2015). Dabei lässt sich
Selbstständigkeit den Selbstständigen. Keller und Seifert           feststellen, dass die Flexibilisierung nicht in allen Branchen,
(2011) sprechen im Kontext dieser Flexibilisierung der Arbeit       Wirtschaftszweigen und Berufen gleichmäßig voranschreitet
und der Beschäftigungsformen von sogenannten Prekaritäts-           oder verbreitet ist. Selbstständigkeit oder Freelancing ist be-
risiken: Rahmenbedingungen wie unzureichendes Einkom-               sonders im Dienstleistungssektor und im kreativen Bereich
men, mangelnde soziale Sicherung oder geringere Beschäfti-          verbreitet (Mai & Marder-Puch, 2013). Dort ist vor allem eine
gungsstabilität und Beschäftigungsfähigkeit beschreiben die         Selbstständigkeit hochqualifizierter Kräfte ohne Angestellte
Benachteiligungen und führen dazu, dass die Betroffenen             zu verzeichnen. Es entwickeln sich zunehmend auf Projektar-
sozial absteigen bzw. vom sozialen Abstieg bedroht sind.            beiten fokussierte und vernetzte Unternehmensmodelle. Die-
                                                                    se greifen auf selbstständige Kräfte zurück, wenn Arbeits-
Die geschilderten Mechanismen, die eine Flexibilisierung zu-        kraft benötigt wird, ohne eine langfristige Bindung
nehmend vorantreiben, werden grundsätzlich erst durch ge-           einzugehen (Eichhorst & Buhlmann, 2015). Allgemein neh-
setzliche Deregulierungen ermöglicht (Glaser & Palm, 2016).         men die Befristung von Beschäftigungsverhältnissen sowie
Aufgrund von Gesetzeslockerungen bzw. weniger strikten              Teilzeitbeschäftigung zu. Diese Ausweitung wird besonders
Ausgestaltungen von Gesetzen, z. B. hinsichtlich Arbeitszei-        im Gesundheits- und Sozialwesen, im akademisch-wissen-
ten, Vertragsbefristungen oder Kündigungsschutz, wurde fle-         schaftlichen Bereich sowie im öffentlichen Dienst evident.
xible oder auch atypische Beschäftigung überhaupt erst              Demgegenüber werden im Dienstleistungssektor – vor allem
möglich und konnte sich ausbreiten. So haben politische Ent-        im Hotel- und Gaststättengewerbe, Einzelhandel und Gebäude-
wicklungen eine Flexibilisierung der Arbeit maßgeblich er-          reinigungshandwerk – einfachere Tätigkeiten vermehrt mit
möglicht (Eichhorst & Buhlmann, 2015; Eichhorst & Marx,             Minijobs abgedeckt, und in der verarbeitenden Industrie ist
2011).                                                              Leih- und Zeitarbeit stark verbreitet (Bäcker et al., 2010;
                                                                    Eichhorst & Tobsch, 2015). Darüber hinaus variieren atypi-
Während sich über die letzten Jahrzehnte eine Zunahme an            sche Beschäftigungsformen nicht nur nach Branche, sondern
flexiblen Beschäftigungsformen – wie geringfügige Beschäf-          auch hinsichtlich des Geschlechts, des Alters und Qualifika-
tigung, Zeitarbeit und befristete Beschäftigung – feststellen       tionsniveaus der Beschäftigten. So ist beispielsweise der
lässt, ist zugleich die Zahl der Erwerbslosen gesunken. In die-     Anteil Jüngerer sowie gering Qualifizierter bei Minijobs, be-
sem Zusammenhang wird oftmals ein positiver Zusammen-               fristeter Beschäftigung sowie Leih- und Zeitarbeit überpro-
hang zwischen der Zunahme an flexiblen Beschäftigungsfor-           portional hoch (Seifert, 2017).
men und der Reduktion der Erwerbslosigkeit gesehen und
betont (Eichhorst & Tobsch, 2015). Dieser Zusammenhang ist          Laut Statistischem Bundesamt (2018) gab es 2017 insgesamt
jedoch auch kritisch zu betrachten, da beispielsweise eine          rund 37,2 Millionen Kernerwerbstätige im Alter von 15 bis 64
Teilzeitbeschäftigung nicht unmittelbar mit einer Schaffung         Jahren, ohne Personen in Ausbildung, Bildung oder Freiwilli-
neuer Arbeitsplätze einhergeht. Vielmehr lässt sich mancher-        gendienst. Ihre Verteilung ist in Tabelle 1 (S. 12) dargestellt.
orts eine Aufspaltung von Vollzeitstellen in Teilzeitstellen be-
obachten. Weiterhin werden sozialversicherungspflichtige            Prozentual gesehen zeigt die Verteilung, dass 69 Prozent der
Teilzeitstellen in geringfügige Beschäftigungen umgewan-            Kernerwerbstätigen normalbeschäftigt, 21 Prozent atypisch
delt. Insgesamt gelingt eine Integration von Arbeitslosen in        abhängig beschäftigt und zehn Prozent selbstständig tätig
den Arbeitsmarkt über Minijobs nur selten (Bäcker et al.,           sind. Im Vergleich zu 1991 ist die Zahl an Normalbeschäftig-
2010). Außerdem erhöhen veränderte Arbeitsmärkte und die            ten um zehn Prozent zu Gunsten von atypischen Beschäfti-
Gesamtarbeitslosigkeit den „Druck, atypische Beschäfti-             gungsformen (ohne Selbstständigkeit) gesunken. Die Zahl
gungsverhältnisse einzugehen“ (Bäcker et al., 2010, S. 433).        der (Solo-)Selbstständigen ist seit 1991 lediglich um zwei
Die Zunahme an und größer werdende Heterogenität von                Prozent von acht auf zehn Prozent angestiegen. Insgesamt
flexibler Beschäftigung und flexiblen Beschäftigungsformen          sind 38 Prozent der Frauen und 24 Prozent der Männer aty-
geht außerdem mit einer Lohnspreizung einher, sowohl zwi-           pisch beschäftigt (Teilzeit, Befristung, Leih- und Zeitarbeit,
schen flexiblen Beschäftigungsformen und Normalarbeits-             Selbstständigkeit). Während insgesamt mehr Männer als
verhältnissen als auch innerhalb der Normalarbeitsverhält-          Frauen erwerbstätig sind, ist die Anzahl an Frauen bei atypi-
nisse (OECD, 2013). Dies lässt sich vor allem durch einen           schen, abhängigen Beschäftigungsformen mehr als doppelt

                                                                                                                    iga.Report 39 | 11
Flexible Beschäftigungsformen und aufsuchende Gesundheitsförderung im Betrieb

Tabelle 1: Verteilung der Erwerbstätigen im Jahr 2017 nach Beschäftigungsform und Geschlecht (Statistisches Bundesamt, 2018, S. 362)

         TYPISCH          ATYPISCH                                                                                                   GESAMT
         Normalarbeit Atypische, abhängige Beschäftigung                                                               Selbst-
                                                                                                                       ständigkeit

                          Gesamt             Befristete         Teilzeit-          Geringfügige        Zeit- und
                                             Beschäfti-         beschäfti-         Beschäfti-          Leiharbeit*
                                             gung*              gung*              gung*
Frauen

         10.779.000         5.307.000          1.269.000           4.080.000          1.648.000              308.000    1.213.000    17.377.000
Männer

         14.978.000         2.411.000          1.281.000             708.000            529.000              625.000    2.377.000    19.783.000

 ∑       25.757.000         7.718.000          2.550.000           4.788.000          2.177.000              932.000    3.590.000    37.159.000

* Überschneidungen zwischen den verschiedenen Formen der abhängigen atypischen Beschäftigung sind möglich.

so hoch. Hinsichtlich befristeter Beschäftigungsformen ist                        Mit Blick auf Veränderungen bezüglich des Alters kann beob-
eine nahezu gleiche Verteilung von Männern und Frauen zu                          achtet werden, dass mit ansteigendem Alter eine Zunahme
beobachten. In Teilzeitbeschäftigung arbeitet ein überpro-                        selbstständiger Tätigkeiten einhergeht. Dieser Trend zeigt
portionaler Anteil an Frauen, und in Leih- und Zeitarbeit sind                    sich bis zu einem Alter von 55 Jahren, anschließend sinkt der
doppelt so viele Männer wie Frauen beschäftigt. Dieses Ver-                       Anteil Selbstständiger wieder. Teilzeitbeschäftigungen stei-
hältnis trifft annähernd auch auf Tätigkeiten in Selbststän-                      gen ab 35 Jahren sprunghaft an, geringfügige Beschäftigun-
digkeit zu. Im Vergleich zu 1991 ist bei Männern die Zahl der                     gen sind in den höheren Altersklassen vermehrt verbreitet,
Selbstständigen nahezu gleichgeblieben, der Anteil abhän-                         und befristete Beschäftigungen nehmen mit ansteigendem
gig atypisch Beschäftigter hat sich von sechs auf zwölf Pro-                      Alter ab (Statistisches Bundesamt, 2018).
zent verdoppelt. Bei Frauen zeigt sich keine Verdopplung,
aber ebenfalls ein Anstieg einer abhängigen atypischen Be-
schäftigung von 23 Prozent auf 31 Prozent. Der Anteil von
Frauen in Selbstständigkeit ist nur marginal von fünf auf sie-
ben Prozent angestiegen.

12 | iga.Report 39
Flexible Beschäftigungsformen und aufsuchende Gesundheitsförderung im Betrieb

   Zusammenfassung: Hintergrund flexibler                           und so Arbeitskosten zu senken. Denn die Veränderungen
   Beschäftigungsformen                                             in der Arbeitswelt, die durch Deregulierungen, Digitalisie-
                                                                    rung, neue Technologien, Globalisierung und kürzere Pro-
   Aus Unternehmenssicht ermöglichen flexible Beschäfti-            duktlebenszyklen geprägt sind, führen zu einem intensive-
   gungsformen eine Anpassung der Arbeitskraftkapazität an          ren Wettbewerb und zu dem Bedarf, den Kostenfaktor der
   die Nachfrage und an das schwankende Auftragsvolumen             Arbeit zu senken (Warter, 2018). Durch atypische Beschäfti-
   (Bäcker et al., 2010; Glaser & Palm, 2016). Durch den sek-       gungsverhältnisse werden Kosten vermieden, die im Zu-
   toralen Strukturwandel mit wachsendem Dienstleistungs-           sammenhang mit einem geregelten Schutz in Normalar-
   sektor steigt auch die Nachfrage „nach möglichst flexiblen       beitsverhältnissen entstehen. Somit werden zu Gunsten
   Beschäftigungsformen mit nicht-standardisierten Beschäf-         einer flexiblen Unternehmenspolitik die Unsicherheiten des
   tigungszeiten, um den Erfordernissen der unterschiedlichen       Arbeitsmarktes an die Beschäftigten übertragen, die mit
   Inanspruchnahme von Dienstleistungszeiten nachkommen             einer niedrigeren Arbeitsplatzsicherheit und sozialen Absi-
   zu können“ (Bäcker et al., 2010, S. 433). Atypische Beschäf-     cherung konfrontiert sind. Auf der anderen Seite ergeben
   tigungsformen ermöglichen es, in unproduktiveren Zeiten          sich aus Beschäftigtensicht auch Vorteile, beispielsweise
   die in Anspruch genommene Arbeitsleistung zu reduzieren          eine bessere Vereinbarkeit mit dem Privatleben.

2.2     Definition flexibler                                        Die Definition des Europäischen Parlaments betont bei flexi-
        Beschäftigungsformen                                        blen Beschäftigungen, dass sie „nicht dem herkömmlichen
                                                                    oder typischen Modell der regelmäßigen, unbefristeten Voll-
                                                                    zeitbeschäftigung bei einem einzigen Arbeitgeber über einen
2.2.1 Atypische Beschäftigungsformen                                langen Zeitraum entsprechen“ (Europäisches Parlament,
		    und Normalbeschäftigung                                       2017). Brehmer und Seifert (2008) fassen unter atypische Be-
                                                                    schäftigung im Detail Teilzeitarbeit, Leiharbeit, befristete und
Bei flexiblen Beschäftigungsformen handelt es sich nicht um         geringfügige Beschäftigungsverhältnisse. Schmeißer et al.
einen feststehenden Begriff, sondern vielmehr um ein viel-          (2012) zählen auch die (Solo-)Selbstständigkeit dazu.
schichtiges Phänomen mit verschiedenen Facetten: um „eine
Sammelkategorie heterogener Formen der Arbeitsorganisati-           Im Gegenzug ist Normalarbeit in der Arbeits- und Sozialpolitik
on, die unterschiedliche Flexibilisierungsfunktionen im be-         durch folgende Kriterien gekennzeichnet:
trieblichen Personaleinsatz – und partiell auch für Beschäf-        – „Vollzeittätigkeit mit entsprechendem subsistenz-
tigte – erfüllen“ (Galais, Sende, Hecker & Wolff, 2012; Seifert,       sicherndem Einkommen;
2017, S. 14). Gemeinsamkeit ist, dass sie alle außerhalb des        – unbefristetes Beschäftigungsverhältnis;
sogenannten Normalarbeitsverhältnisses angesiedelt sind.            – vollständige Integration in die sozialen Sicherungs-
                                                                       systeme (vor allem Arbeitslosen-, Kranken- und Renten-
Ein Blick in den wissenschaftlichen, politischen und öffentli-         versicherung);
chen Diskurs zeigt, dass sowohl von flexiblen Beschäfti-            – Identität von Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis;
gungsformen als auch von Normalarbeit keine einheitliche            – Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers vom Arbeit-
Definition existiert. Das beginnt bereits bei dem Begriff „fle-        geber.“ (Keller & Seifert, 2011, S. 8)
xibel“: Meist wird an seiner Stelle der Begriff „atypisch“ ver-     Bedeutend bei Normalarbeitsverhältnissen ist laut Keller und
wendet, als Gegenteil zu „typisch“ bzw. „normal“. (Bäcker           Seifert (2011) eine Kopplung der Erwerbstätigkeit und der
et al., 2010; Europäisches Parlament, 2017; Schmeißer et al.,       sozialen Sicherung, insbesondere der Rentenversicherung.
2012; Seifert, 2017; Stephan & Ludwig-Mayerhofer, 2014).            Beschäftigte in einem Normalarbeitsverhältnis sind in die so-
Denn „flexibel“ und konkret „flexible Arbeit“ sind Oberbe-          zialen Versicherungssysteme eingebunden, sodass sie über
griffe, unter die „verschiedene Flexibilisierungsformen wie         ihre abgeführten Beiträge den Anspruch erwerben, bei
flexible Arbeitsformen oder atypische Beschäftigungsformen          Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Eintritt in das Rentenalter
fallen“ (Hünefeld, 2016, S. 11–12).                                 entsprechende Leistungen aus den Versicherungen zu bezie-

                                                                                                                    iga.Report 39 | 13
Flexible Beschäftigungsformen und aufsuchende Gesundheitsförderung im Betrieb

hen (Hünefeld, 2016). Weiterhin ist laut Hünefeld (2016)
Normalarbeit dadurch gekennzeichnet, dass direkt in dem                   Definition: Atypische bzw. flexible
Unternehmen gearbeitet wird, mit dem der Arbeitsvertrag                   Beschäftigungsformen
abgeschlossen wurde, und nur ein Arbeitsvertrag besteht.
Wird mehr als eine Beschäftigung ausgeführt, liegt eine                   Unter atypische bzw. flexible Beschäftigungsformen
Mehrfachbeschäftigung vor, was als eine Form atypischer Be-               werden in diesem iga.Report gefasst: Teilzeit-, sozialver-
schäftigung anzusehen ist.                                                sicherungspflichtige sowie nicht sozialversicherungs-
                                                                          pflichtige geringfügige Beschäftigung, befristete Be-
Das Normalarbeitsverhältnis bildet insgesamt Grundlage                    schäftigungsverhältnisse, Leih- und Zeitarbeit und
und Anhaltspunkt für rechtliche Rahmenbedingungen, die                    (Solo-)Selbstständigkeit. Darüber hinaus können die Be-
dabei dem Schutz der Beschäftigten dienen, sodass die Aus-                schäftigungsformen in Kombination auftreten, wie etwa
gestaltung von Arbeitsverträgen nicht ausschließlich den                  eine befristete Teilzeitstelle. „Atypisch“ kann sich also
Vertragsparteien obliegt. Glaser und Palm (2016) heben hin-               auf verschiedene Facetten der Arbeitsorganisation be-
sichtlich der Arbeitszeiten hervor, dass diese bei einem Nor-             ziehen.
malarbeitsverhältnis meist tagsüber von Montag bis Freitag
stattfinden. Sperber und Walwei (2017) benennen konkret,
dass es sich bei mehr als 31 Stunden Wochenarbeitszeit um
ein Normalarbeitsverhältnis handelt und nicht um eine Teil-           Beschäftigungsformen können weiterhin segmentiert und
zeitbeschäftigung. Laut § 2 des Gesetzes über Teilzeitarbeit          hinsichtlich ihres Flexibilitätsgrades unterschieden werden.
und befristete Arbeitsverträge (Teilzeit- und Befristungsge-          Süß, Ruhle und Schmoll (2018) differenzieren in Stammbe-
setz – TzBfG, 2000) ist eine Person bereits dann in Teilzeit          legschaft, Randbelegschaft (wie Teilzeitarbeit oder befristete
beschäftigt, wenn die regelmäßige Wochenarbeitszeit kürzer            Verträge) und periphere Arbeitskräfte (wie Zeit- und Leihar-
ist als die Wochenarbeitszeit einer vergleichbaren vollzeitbe-        beit und Freelancing). Die Stammbelegschaft ist gekenn-
schäftigten Person. Bäcker et al. (2010) sprechen wiederum            zeichnet durch funktionale Flexibilität in Form eines breiten
lediglich von einem geregelten und stetigen Arbeitszeitmus-           Qualifikationsspektrums. Die Randbelegschaft weist hinge-
ter und betonen ferner Aspekte wie Weisungsgebundenheit               gen eine numerische Flexibilität auf und ermöglicht dadurch
und Interessenvertretung. Sie nennen insgesamt als Merk-              eine Reaktion auf Nachfrageschwankungen. Periphere Ar-
male des Normalarbeitsverhältnisses (ebd., S. 434):                   beitskräfte schließlich schaffen funktionale, numerische und
– „Vollzeittätigkeit (Umfang der Arbeitszeit),                        finanzielle Flexibilität und somit zusätzliche ökonomische
– geregelte und stetige Arbeitszeitmuster                             Vorteile (Süß et al., 2018).
    (Lage und Verteilung der Arbeitszeit),
– Dauerhaftigkeit (Stabilität der Beschäftigung),                     In der Auseinandersetzung mit atypischen bzw. flexiblen Be-
– Unbefristung (Kontinuität der Beschäftigung),                       schäftigungsformen wird weiterhin hervorgehoben, dass die-
– tarifvertraglich normierte Vergütung                                se hinsichtlich ihrer Bedingungen bewertet werden müssen
    (Normierung der Entlohnung),                                      und in diesem Zusammenhang prekäre von nicht-prekären
– volle Sozialversicherungspflicht (Soziale Sicherung),               Beschäftigungsverhältnissen abgegrenzt werden müssen
– Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit vom                           (Hünefeld, 2016). Prekäre Arbeitsverhältnisse liegen dann
    Arbeitgeber (Autonomie der Beschäftigung),                        vor, wenn eine Beschäftigungsform kritische Bedingungen
– kollektive Interessenvertretung                                     aufweist und Beschäftigte in eine schwierige und problema-
    (Mitbestimmung in der Beschäftigung).“                            tische soziale Situation versetzen (Prekaritäts- und Unsicher-
Es zeigt sich, dass unterschiedlich strenge und präzise Definitio-    heitsrisiko). Im Kontext atypischer Beschäftigungsverhältnis-
nen und Auslegungen eines Normalarbeitsverhältnisses existie-         se findet nicht selten eine Diskussion statt, inwiefern sie als
ren und dementsprechend auch flexible bzw. atypische Beschäf-         prekär zu betrachten sind. Da Normalarbeitsverhältnisse je-
tigungsformen kein einheitliches Konstrukt sind. Insgesamt            doch ebenso prekär sein können, sind atypische bzw. flexible
kann jedoch festgehalten werden, dass alle Beschäftigungsfor-         Beschäftigungsformen nicht mit prekären Beschäftigungs-
men, die von der jeweils gültigen Definition des Normalarbeits-       verhältnissen gleich zu setzen oder die Begriffe atypisch und
verhältnisses in irgendeiner Art abweichen, als flexible bzw.         prekär synonym zu verwenden (Brinkmann, Dörre, Kraemer
atypische Beschäftigung definiert werden können.                      & Speidel, 2006).

14 | iga.Report 39
Flexible Beschäftigungsformen und aufsuchende Gesundheitsförderung im Betrieb

Abhängig von der Beschäftigungsform und deren vertragli-              sich auf körperliche und psychosoziale Belastungen durch Ar-
cher Ausgestaltung sind die Prekaritätsrisiken verschieden            beitsbedingungen. Der Indikator Beschäftigungsfähigkeit be-
stark ausgeprägt oder können miteinander kumulieren. Ob               wertet schließlich, ob etwa eine Prekarität verschärft wird
ein prekäres Verhältnis vorliegt, ist laut Europäischem Parla-        durch fehlende Weiterbildungsmöglichkeiten und somit feh-
ment von der Art des Arbeitsvertrages abhängig sowie von              lende Möglichkeiten zur Steigerung des Qualifikationsniveaus.
folgenden Faktoren:
– „geringe bis gar keine Sicherheit des Arbeitsplatzes                2.2.2 Teilzeitbeschäftigung
   aufgrund des nicht dauerhaften Charakters der Arbeit,
   etwa bei ungewollten und oft geringfügigen Teilzeitver-            Wie bereits geschildert, ist im Teilzeit- und Befristungsgesetz
   trägen und – in einigen Mitgliedstaaten – bei undurch-             (TzBfG, 2000) keine Wochenstundenzahl definiert, die eine
   sichtigen Arbeitszeiten und wechselnden Arbeits-                   eindeutige Aussage zulässt, wann eine Teilzeitbeschäftigung
   aufgaben bedingt durch Arbeit auf Abruf;                           vorliegt. Es handelt sich dann um eine Teilzeitbeschäftigung,
– geringer Kündigungsschutz sowie fehlender Sozialschutz              wenn die durchschnittliche Arbeitszeit geringer als die Arbeits-
   im Falle einer Kündigung;                                          zeit in vergleichbarer Vollzeitbeschäftigung ist. Gibt es keine
– ein Entgelt, das nicht für ein würdiges Leben ausreicht;            vergleichbaren Beschäftigten in Vollzeit, so ist ein Vergleich
– keine oder begrenzte Sozialschutzrechte oder -leistungen;           anhand des anwendbaren Tarifvertrages zu ziehen. Unter Teil-
– kein oder begrenzter Schutz vor jeder Form von                      zeitarbeit werden also jene Arbeitsverhältnisse gefasst, „die
   Diskriminierung;                                                   eine Arbeitszeit unterhalb der regelmäßigen betrieblichen und
– begrenzte oder gar keine Aussichten auf Aufstieg im                 tariflichen Arbeitszeit aufweisen“ (Bäcker et al., 2010, S. 437).
   Arbeitsmarkt, Karriereentwicklung und Fortbildung;                 Da in einzelnen Branchen verschiedene Wochenarbeitsstun-
– wenige Kollektivrechte sowie eingeschränkte Rechte                  den für eine Vollzeitstelle gelten, ist es nicht möglich, Voll- und
   auf Kollektivvertretung;                                           Teilzeitarbeit anhand einer Stundenzahl allgemeingültig von-
– ein Arbeitsumfeld, das nicht die Mindestvorschriften                einander abzugrenzen.
   in Bezug auf Gesundheitsschutz und Sicherheit erfüllt“
   (Europäisches Parlament, 2010, 2017, S. 1).                        Grundsätzlich muss Teilzeit in zwei Untergruppen differenziert
                                                                      werden: zum einen in sozialversicherungspflichtige Teilzeitar-
Mümken und Kieselbach (2009, S. 315–316) benennen weiter-             beit und zum anderen in geringfügige Beschäftigung. Bei ers-
hin verschiedene Prekaritätsindikatoren, anhand derer der             terer besteht wie bei der äquivalenten Vollzeitstelle die Pflicht
Prekaritätsgehalt einer Beschäftigungsform bestimmt werden            der Sozialversicherung und es gelten diesbezügliche Regelun-
kann. Sie unterscheiden dabei Prekarität bezüglich der Le-            gen, Pflichten und Rechte. Unter einer geringfügigen Beschäf-
benssituation und der Arbeitssituation. Hinsichtlich der Le-          tigung wiederum ist eine Teilzeitbeschäftigung zu verstehen,
benssituation unterteilen sie in subjektive Merkmale und              die eine bestimmte Verdienstgrenze unterschreitet und somit
Haushaltszusammensetzung. Unter subjektiven Merkmalen                 nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegt (Bäcker et al.,
wird verstanden, dass jede Person unsichere Arbeitssituatio-          2010)2. Hierbei gelten zwei Grenzen: Bis maximal 450 Euro
nen anders bewertet und gegebenenfalls als Bedrohung oder             Bruttoeinkommen handelt es sich um einen sogenannten Mi-
Belastung wahrnimmt. Unter Haushaltszusammensetzung                   nijob. Minijobs sind nicht sozialversicherungspflichtig, die Aus-
wird eine konkrete Beurteilung der Lebensumstände verstan-            nahme bildet die Rentenversicherung, die grundsätzlich greift.
den. Mit Blick auf die Arbeitssituation benennen Mümken und           Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen können sich allerdings
Kieselbach (2009) fünf Indikatoren: materielle Situation, recht-      von dieser Versicherungspflicht befreien lassen. Eine geringfü-
lich-institutionelle Situation, Arbeitsunsicherheit, Arbeitsquali-    gige Beschäftigung ist nicht mit einer Versicherung in einer
tät und Beschäftigungsfähigkeit. Der Indikator materielle Situ-       gesetzlichen Krankenkasse verbunden, sodass Beschäftigte
ation bestimmt z. B., ob die Höhe des Einkommens ausreichend          sich selbst krankenversichern und diese Kosten tragen müssen.
ist und finanzielle Planungssicherheit vorliegt. Der Indikator
rechtlich-institutionelle Situation bezieht sich auf die soziale
Absicherung und Integration in soziale Sicherungssysteme
durch die Beschäftigung. Ängste und Sorgen bezüglich eines            2   Bäcker et al. (2010) merken dabei an, dass bei Berechnungen oder Darstellungen zur
                                                                          Verbreitung von Teilzeitbeschäftigung oftmals beide Gruppen zusammengefasst würden.
Arbeitsplatzverlustes werden durch den Indikator Arbeitsunsi-             Dies sei jedoch äußert kritisch zu betrachten, da durch die Sozialversicherungspflicht
                                                                          große Unterschiede entstünden, die beide Gruppen nicht miteinander vergleichbar
cherheit bestimmt, und der Indikator Arbeitsqualität bezieht              machten.

                                                                                                                                        iga.Report 39 | 15
Flexible Beschäftigungsformen und aufsuchende Gesundheitsförderung im Betrieb

Wenn Beschäftigte mehr als 450 Euro und bis maximal 850               Monat nicht überschreitet (Janas & Thiemann, 2012). Eine
Euro verdienen, ist von einem sogenannten Midijob die Rede.           weitere Variante innerhalb der Teilzeitbeschäftigung ist die
Diese Beschäftigten befinden sich in einer Gleitzone, in der          Arbeitsplatzteilung. Hier teilen sich zwei Teilzeitkräfte eine
Versicherungspflicht besteht, allerdings nur reduzierte Beiträ-       Vollzeitstelle.
ge zur Sozialversicherung zu zahlen sind (Janas & Thiemann,
2012).                                                                2.2.3 Befristete Beschäftigung

Arbeitsrechtlich unterscheidet sich eine Teilzeitstelle nicht         Ein befristetes Arbeitsverhältnis unterscheidet sich von ei-
von einer Vollzeitstelle, unabhängig davon, ob die Teilzeit-          nem Normalarbeitsverhältnis insofern, als dass die Beschäf-
stelle sozialversicherungspflichtig oder geringfügig ist. Die-        tigung nicht auf unbestimmte Zeit angelegt ist. Es endet au-
ser Gleichbehandlungsgrundsatz beinhaltet, dass Teilzeit-             tomatisch nach Ablauf einer im Vertrag vereinbarten Zeit,
kräfte aufgrund ihrer geringeren Arbeitsdauer gegenüber               ohne dass eine Kündigung notwendig ist. Meist wird eine
Vollzeitbeschäftigten nicht benachteiligt werden dürfen. Die          Befristung im Rahmen von Projekten, Vertretungsstellen oder
Gleichbehandlung gilt auch für das Arbeitsentgelt, das min-           bei Arbeit auf Probe vorgenommen. Sonderformen sind Be-
destens so hoch sein muss, wie es dem Anteil der geleisteten          fristungen, die auf Abruf geschehen, Gelegenheitsarbeit oder
Arbeitszeit an der Zeit Vollzeitbeschäftigter entspricht. Das         Saisonarbeit. Zudem kann der Umfang der Stelle variieren, es
heißt, der Stundenlohn ist bei vergleichbarer Arbeit gleich,          kann also sowohl in Vollzeit als auch in Teilzeit gearbeitet
die Gesamtleistungen weichen aber durch die geringere Ar-             werden.
beitszeit ab. Eine Ungleichbehandlung ist nur in Ausnahmen
unter der Erklärung eines sachlichen Grundes zulässig. Ist die        Eine Befristung bewirkt, dass durch das vertraglich verein-
Dauer der Arbeitszeit für eine Leistungsbemessung irrele-             barte Ende besondere gesetzliche und tarifliche Schutzbe-
vant, stehen den Teilzeitkräften die Zuwendungen in gleicher          stimmungen nicht greifen. Beispielsweise ist eine ordentliche
Höhe zu (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2016b).           Kündigung grundsätzlich nicht möglich, eine Ausnahme be-
                                                                      steht nur, wenn dies explizit vertraglich geregelt wurde. Wei-
Weiterhin wird unter Teilzeitarbeit auch eine Flexibilisierung        terhin besteht z. B. der Mutterschutz nur für die Laufzeit des
der Arbeitszeitformen gefasst, z. B. wenn die Arbeitszeit in-         Vertrages und nicht darüber hinaus. Befristungen können
nerhalb einer Woche und/oder eines Monats variiert, die               über eine Dauer von bis zu zwei Jahren ohne Grund vorge-
Stunden ungleich verteilt sind oder Arbeit auf Abruf prakti-          nommen werden, ab zwei Jahren muss der Arbeitgeber einen
ziert wird. Arbeit auf Abruf bedeutet, dass Beschäftigte ihre         sachlichen Grund vorweisen, allerdings gibt es hier einige
Arbeitsleistung nach Bedarf und entsprechend des Arbeits-             Ausnahmeregelungen. So ist eine dreimalige Verlängerung
anfalls erbringen (Bäcker et al., 2010; Bundesministerium für         eines auf zwei Jahre befristeten Vertrags möglich oder Be-
Arbeit und Soziales, 2016b; Hünefeld, 2016). Gemäß § 12               schäftigte ab 58 Jahren dürfen grundsätzlich befristet einge-
Abs. 2 des TzBfG (2000) müssen zwischen dem Abruf und                 stellt werden. Im Falle einer Existenzgründung dürfen befris-
dem Tag der Erbringung der Arbeitsleistung mindestens vier            tete Verträge von bis zu vier Jahren abgeschlossen werden
Tage liegen. Bei einem Jahresarbeitszeitvertrag wird für eine         (Bäcker et al., 2010).
längere Periode, üblicherweise ein Jahr, ein festes Arbeits-
zeitbudget festgelegt. Die durchschnittliche Arbeitszeit ist          2.2.4 Leih- und Zeitarbeit
somit über das Jahr gesehen variabel, die Höhe der Vergü-
tung ist jedoch über das Jahr hinweg gleichmäßig (Bundes-             Leih- oder Zeitarbeit3 beschreibt ein Beschäftigungsverhält-
ministerium für Arbeit und Soziales, 2016b). Außerdem exis-           nis, bei dem Personal – sogenannte Leiharbeitskräfte – von
tieren sogenannte kurzfristige Beschäftigungen, die nicht             einem Arbeitgeber an Dritte gegen ein Entgelt für eine be-
über Entgelt, sondern anhand der Arbeitsdauer definiert sind.         stimmte Zeit entliehen werden (Hünefeld, 2016). Merkmal
Dazu gehören Tätigkeiten, die nicht länger als zwei Monate            der Leih- und Zeitarbeit ist somit ein Dreiecksverhältnis aus
ausgeübt werden. Wird die Beschäftigung an weniger als                einer Leiharbeitskraft, einer verleihenden Firma und einem
fünf Tagen pro Woche ausgeübt, definiert sich die Kurzfristig-
keit nicht über die Monate, sondern über einen Zeitraum von
insgesamt maximal 50 Kalendertagen. Versicherungsfreiheit
                                                                      3   Die Begriffe Leiharbeit und Zeitarbeit sowie Personalleasing oder Arbeitnehmerüber-
ist nur dann gegeben, wenn das Arbeitsentgelt 450 Euro im                 lassung werden im Allgemeinen und in diesem iga.Report synonym verwendet.

16 | iga.Report 39
Flexible Beschäftigungsformen und aufsuchende Gesundheitsförderung im Betrieb

Entleihunternehmen. Die Leiharbeitskraft ist meist bei einem       wirtschaftlich tätig sind und ihre Arbeit selbst organisieren
Personaldienstleistungsunternehmen beschäftigt und wird            können. Dies bedeutet, sie haben keine fixen Arbeitszeiten,
von diesem zeitweise an dessen Kundschaft (Entleihunter-           können den Arbeitsort flexibel wählen und sind niemandem
nehmen) überlassen, für die sie dann in einem begrenzten           weisungsgebunden (Bäcker et al., 2010). Eine Sondergruppe
Zeitraum tätig ist. In diesem Zeitraum ist das entleihende         der Selbstständigen bilden die Solo-Selbstständigen. Darun-
Unternehmen der Leiharbeitskraft gegenüber weisungsbefugt.         ter fallen Personen, die ein eigenes Unternehmen haben oder
                                                                   selbstständig ihre Profession ausüben, ohne dabei weitere
Auch wenn der Name Zeitarbeit eine Befristung nahelegt,            Personen zu beschäftigen (Schulze Buschoff, 2018). Freelanc-
sind Zeitarbeit und befristete Tätigkeiten voneinander abzu-       ing oder freie Mitarbeit bedeutet, dass eine selbstständige
grenzen. Das Arbeitsverhältnis zwischen Zeitarbeitskraft und       Person „wissensintensive Dienstleitungen für Unternehmen
Personaldienstleistungsunternehmen kann sowohl befristet           in Projekten von unterschiedlicher Dauer“ (Clasen, 2012, S. 98)
als auch unbefristet sein (Spermann, 2014). Die Zeitkompo-         leistet. Das bedeutet auch, dass der Grad der unternehmeri-
nente betrifft vielmehr den Entleih an Dritte. Gemäß § 1b des      schen Freiheit mit der Dauer und der Anzahl der Auftragge-
Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG, 1995) darf eine             benden variiert und gegebenenfalls eingeschränkt ist. Freie
Leiharbeitskraft maximal 18 aufeinander folgende Monate            Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen (Freelancer) werden daher
an das gleiche Unternehmen entliehen bzw. ihm überlassen           auch teilweise zwischen Selbstständigen und Angestellten
werden. Vorherige Überlassungen müssen dann miteinbe-              eingeordnet. Sie gehen dabei allerdings kein „direktes Ar-
rechnet werden, wenn diese nicht länger als drei Monate            beitnehmerverhältnis ein, sondern erbringen ihre Leistung
auseinanderliegen. Bei einer Personalüberlassung ist im Sin-       auf selbstständiger Basis“ (Süß et al., 2018, S. 247).
ne der Sozialversicherung das Personaldienstleistungsunter-
nehmen der Arbeitgeber und hat daher die Arbeitgeber-              Von einer Selbstständigkeit muss die sogenannte Schein-
pflichten gegenüber den Sozialversicherungsträgern. Neben          selbstständigkeit abgegrenzt werden. Bei einer Scheinselbst-
der Meldepflicht obliegt es ihm, die Sozialversicherungsbei-       ständigkeit besteht formalrechtlich kein Arbeitnehmerstatus,
träge abzuführen. Falls diesen Verpflichtungen nicht nachge-       allerdings sind Scheinselbstständige faktisch nur von einem
kommen wird, trägt allerdings auch das entleihende Unter-          Unternehmen, einer arbeitgebenden Person oder Institution
nehmen bzw. die entleihende Institution Verantwortung und          abhängig. Liegt eine Scheinselbstständigkeit vor, besteht
haftet für die Beitragsschulden, und zwar für die Zeit, in der     volle Sozialversicherungspflicht, die von beiden Parteien des
das Personal überlassen wurde (Kamann, 2018).                      Arbeitsverhältnisses geleistet werden muss (Bäcker et al.,
                                                                   2010).
2.2.5 (Solo-)Selbstständigkeit

Bei Selbstständigkeit oder Freelancing handelt es sich um          2.3      Flexible Beschäftigungsformen
eine heterogene Beschäftigungskategorie, die kein arbeits-                  und Gesundheit
rechtliches Beschäftigungsverhältnis darstellt, da die Ar-
beitsbedingungen und die Entlohnung gesetzlich nicht gere-
gelt sind (Hünefeld, 2016). Für Selbstständige liegen daher        Die Flexibilisierung der Arbeitswelt und atypische Beschäfti-
grundsätzlich keine Mindest- oder Schutzstandards vor, es          gungsformen bieten gesundheitliche Chancen (Ressourcen),
besteht keine Verpflichtung zu sozialer Sicherung und es           bergen aber auch gesundheitliche Risiken (Stressoren). Wäh-
greift kein Schutz vor unverhältnismäßigen Arbeitsanforde-         rend sich z. B. durch eine Reduzierung der Stundenanzahl
rungen oder vor Ausbeutung. Sie müssen dementsprechend             oder eine Selbstständigkeit neue Freiheiten für Freizeit und
selbst die Kosten für die Krankenversicherung tragen, privat       private Verpflichtungen eröffnen, besteht ebenso die Gefahr,
sozial vorsorgen und haben beispielsweise keinen Anspruch          dass dadurch die lebensweltliche Stabilität ins Wanken gerät
auf eine Entgeltfortzahlung bei Krankheit oder auf bezahlten       und sich die gesamte Lebensführung auf die Erwerbstätigkeit
Urlaub. Es wird davon ausgegangen, dass Selbstständige             ausrichtet (Widuckel, 2015). Atypische Beschäftigungsfor-
selbst für ihre Arbeitsbedingungen verantwortlich sind und         men bieten den Unternehmen mehr Flexibilität – für die Be-
deshalb nicht den Schutz durch die Sozialversicherung benö-        schäftigten kann diese Flexibilität aufgrund einer höheren
tigen (Bäcker et al., 2010). Als selbstständig gelten Personen,    Unsicherheit und Instabilität jedoch zu gesundheitlichen Be-
die im eigenen Namen und auf eigene Rechnung erwerbs-              lastungen und Beanspruchungsfolgen führen. Im Folgenden

                                                                                                                   iga.Report 39 | 17
Sie können auch lesen