Arbeitspapier 9 Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück - Gesundheitsförderung Schweiz
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Gesundheitsförderung Schweiz Arbeitspapier 9 Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück Oktober 2013
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück 2 Gesundheitsförderung Schweiz ist eine Stiftung, die von Kantonen und Versicherern getragen wird. Mit gesetzlichem Auftrag initiiert, koordiniert und evaluiert sie Massnahmen zur Förderung der Gesundheit (Krankenversicherungsgesetz, Art. 19). Die Stiftung unterliegt der Kontrolle des Bundes. Oberstes Entscheidungsorgan ist der Stiftungsrat. Die Geschäftsstelle besteht aus Büros in Bern und Lausanne. Jede Person in der Schweiz leistet einen jährlichen Beitrag von CHF 2.40 zugunsten von Gesundheitsförderung Schweiz, der von den Krankenversicherern eingezogen wird. Weitere Informationen: www.gesundheitsfoerderung.ch In der Reihe «Gesundheitsförderung Schweiz Arbeitspapier» erscheinen von Gesundheitsförderung Schweiz erstellte oder in Auftrag gegebene Grundlagen, welche Fachleuten in der Umsetzung in Gesundheitsförderung und Prävention dienen. Der Inhalt der Arbeitspapiere unterliegt der redaktionellen Verantwortung der Autorinnen und Autoren. Gesundheitsförderung Schweiz Arbeitspapiere liegen in der Regel in elektronischer Form (PDF) vor. Impressum Herausgeber Gesundheitsförderung Schweiz Autor Dr. Thomas Mattig Zitierweise Mattig, T. (2013): Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück. Arbeitspapier 9, Bern und Lausanne: Gesundheitsförderung Schweiz. Fotonachweis Titelbild Shutterstock Reihe und Nummer Gesundheitsförderung Schweiz, Arbeitspapier 9 Auskünfte/Informationen Gesundheitsförderung Schweiz Dufourstrasse 30, Postfach 311, CH-3000 Bern 6 Tel. +41 31 350 04 04, Fax +41 31 368 17 00 office.bern@promotionsante.ch www.gesundheitsfoerderung.ch Originaltext Deutsch Bestellnummer 01.0024.DE 10.2013 Dieses Arbeitspapier ist auch in französischer Sprache verfügbar (Bestellnummer 01.0024.FR 10.2013). ISSN 2296-5661 Download PDF www.gesundheitsfoerderung.ch/publikationen © Gesundheitsförderung Schweiz, Oktober 2013
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück 3 Inhaltsverzeichnis Editorial4 Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück 5 1. Etappe: Bundesrat Pascal Couchepin bringt den Stein ins Rollen 8 2. Etappe: Die Ausarbeitung des Gesetzesentwurfs 10 3. Etappe: Die Gesetzesvorlage auf der Kippe 15 Lehren aus der Geschichte des Präventionsgesetzes 18 Ein Blick in die Zukunft 21
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück 4 Editorial «Niederlagen muss man verdauen.» In dieser Wen- dung steckt viel Weisheit. In der Tat kann eine Niederlage durchaus im positiven Sinne nahrhaft sein. Das Präventionsgesetz ist im Herbst 2012 nach sie- benjähriger Vorarbeit im Ständerat knapp geschei- tert. Damit teilt es dasselbe Schicksal wie schon zahlreiche andere Vorstösse im Gesundheitswesen zuvor. Manche mögen darin einen Rückschlag für Gesund- heitsförderung und Prävention sehen. In der Saluto- genese richten wir jedoch den Blick in erster Linie auf die Ressourcen, nicht auf die Einschrän kun- gen. Zudem gehört zu unserer täglichen Arbeit auch die Evaluation. Projekte werden kritisch überprüft mit dem Ziel, die verfügbaren Mittel optimal einzu setzen. So überprüfen wir mit diesem Papier auch das Pro- jekt «Präventionsgesetz» mit kritischem und selbst- kritischem Blick. In den fünf Jahren Arbeit am Prä- ventionsgesetz haben wir Einsichten gewonnen über das Wirken und die Dynamik der politischen Kräfte. In dieser Zeit konnten wir auch die Ideen der Ge sundheitsförderung und Prävention vermehrt in die Öffentlichkeit tragen. Dass diese kontrovers disku- tiert werden, ist nur zu begrüssen. Im Hinblick auf die Zukunft gilt es, den Mehrwert unserer Arbeit deutlicher aufzuzeigen und Vorurteile abzubauen. Das Lehrstück «Präventionsgesetz» hilft uns, die Haltung der Kritiker besser zu verstehen und unser Selbstverständnis genauer zu formulie- ren. Moderne Gesundheitsförderung und Prävention basieren nicht auf Bevormundung, sondern wollen die Handlungskompetenz des Einzelnen erweitern. Dies ist ein urdemokratisches Anliegen. Dr. Thomas Mattig Direktor Gesundheitsförderung Schweiz
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück 5 Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück Ende 2012 scheiterte die Vorlage für ein Bundesgesetz über Prävention und Gesundheitsförderung (Präventionsgesetz, PrävG) im Ständerat. Damit wurde die Chance verpasst, Gesundheitsförderung und Prävention national zu koordinieren und gesetzlich zu verankern. In diesem Papier werden mögliche Gründe für die A blehnung des Gesetzes aufgezeigt. In der Schweiz begehen jedes Jahr mehr als tausend Gesundheitssystem der Schweiz weist somit eine Menschen Suizid und rund ein Sechstel der gesam- gravierende Strukturschwäche auf: Im Gegensatz ten Bevölkerung leidet vermutlich an einer psychi- zu den drei Säulen der medizinischen Krankheits- schen Störung.1 Dennoch fehlt bis heute eine versorgung (Behandlung, Rehabilitation und Pflege) nationale gesetzliche Grundlage zur Prävention psy- sind Prävention und Gesundheitsförderung derzeit chischer Krankheiten. Dasselbe gilt für andere nicht konzeptionell, organisatorisch und rechtlich nicht übertragbare Krankheiten wie Krebs, Diabetes, ausreichend verankert. Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen. Das In den letzten dreissig Jahren wurden mehrere An- läufe unternommen, um dieses Problem zu lösen: In den 1980er-Jahren erarbeitete eine vom Bundesrat DIE VIER SÄULEN eingesetzte Arbeitsgruppe Grundlagen zur Schaf- DES GESUNDHEITSSYSTEMS DER SCHWEIZ fung eines nationalen «Bundesgesetzes zur Krank- heitsvorbeugung». Der Bericht dieser Arbeitsgruppe stiess jedoch bei den Kantonen vorwiegend auf Ab- lehnung. Der Bund stellte daraufhin die Vorarbeiten GESUNDHEITSSYSTEM für ein Präventionsgesetz ein und betraute statt DER SCHWEIZ dessen das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) mit der Aufgabe, Möglichkeiten zur Schaffung eines schweizerischen Präventivfonds abzuklären. Gesundheitsförderung Im Jahr 1989 wurde die Schweizerische Stiftung für Gesundheitsförderung gegründet. Die mittlerweile Prävention und Rehabilitation in Gesundheitsförderung Schweiz umbenannte Stif- Behandlung tung ist mit einem gesetzlichen Auftrag (Art. 19 KVG) ausgestattet und initiiert, koordiniert und evaluiert Pflege Massnahmen zur Förderung der Gesundheit. Sie un- terliegt der Aufsicht des Bundes und wird von Kan tonen und Versicherern getragen.2 Mit der Gründung Prävention Krankheitsversorgung der Stiftung wurde allerdings die Strukturschwäche im Bereich der Gesundheitsförderung und Präven 1 undesamt für Gesundheit: Psychische Gesundheit – Daten und Fakten, online: www.bag.admin.ch/themen/ B medizin/00683/01916. 2 Jede Person in der Schweiz leistet aufgrund der obligatorischen Krankenversicherung einen jährlichen Beitrag von CHF 2.40 zugunsten von GFCH.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück 6 CHRONOLOGIE DES GESETZGEBUNGSPROZESSES 2005 Annahme der Postulate 2007 Gesetzgebungsauftrag 2009 Überweisung der Botschaft 2012 Differenzbereinigungs- Humbel Näf (05.3161) des Bundesrates und und des Gesetzesentwurfs verfahren und Schluss- und SGK-SR (05.3230) – Bericht «Prävention und an das Parlament abstimmung im Einsetzung der Fach- Gesundheitsförderung National- und Ständerat kommission «Prävention in der Schweiz » in + Gesundheitsförderung » Erfüllung der Postulate durch das EDI Humbel Näf / SGK-SR 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2004 Auftrag des EDI: 2006 Bericht «Zukunft von 2008 Vernehmlassung 2010–2012 Parlamentarische Beratungen inhaltliche Voraus- Prävention und zum Vorentwurf setzungen und Gesundheitsförderung Präventionsgesetz politische Machbarkeit in der Schweiz» eines «Präventions- der Fachkommission gesetzes» abzuklären tion nicht behoben, denn die Stiftung ist kein Organ wurde namentlich auf den Einbezug der Unfallprä- des Bundes und ihre Kompetenzen sind beschränkt. vention. Diese Stossrichtung wurde mit Ausnahme Im Jahr 2005 startete der Bund deshalb den zweiten der Wirtschaftsverbände von einer Mehrzahl der Versuch für ein nationales Präventionsgesetz. Die- Parteien und Interessengruppen gutgeheissen. Die ser soll im vorliegenden Papier diskutiert werden. Hoffnung des Bundesrates war es, mit einem eher Sieben Jahre lang feilten die Bundesverwaltung und defensiven Entwurf die notwendige politische Mehr- das Parlament an einem nationalen Präventionsge- heit zu finden. Schrittweise sollte eine Lösung für die setz, das die Anliegen der Kantone ernst nimmt und bisherigen Schwachstellen der schweizerischen dennoch gemeinsame Ziele vereinbart. Das Gesetz Prävention und Gesundheitsförderung erarbeitet sollte Prävention und Gesundheitsförderung nicht werden. nur gesetzlich verankern, sondern auch Massnah- Die Vorlage wurde im Laufe der parlamentarischen men im Bereich der nicht übertragbaren Krankhei- Verhandlungen weiter abgeschwächt. Dennoch ten besser legitimieren. Zu Beginn des Verfahrens scheiterte sie am 27. September 2012 in der kleinen schlug eine eigens dafür eingesetzte Fachkommis Kammer – trotz des Einsatzes einer parlamentari- sion eine umfassende Präventionsstrategie auf schen Einigungskonferenz, weil das zur Lösung der nationaler Ebene vor, die das Gesundheitswesen Ausgabenbremse nötige qualifizierte Mehr um zwei gesamthaft beeinflusst hätte. Die an das Parlament Stimmen verfehlt wurde.3 Gründe für dieses Nein zu überwiesene Vorlage war eine leicht abgeschwächte einer wichtigen und inhaltlich schwach umstritte- Version des ursprünglichen Entwurfs. Verzichtet nen Vorlage lassen sich im Verlauf der politischen 3 as ist ein seltenes Ereignis in der schweizerischen Politik und lässt erahnen, wie emotional behaftet die Vorlage D behandelt wurde. Rund 90 Mal sind in den letzten zwanzig Jahren Einigungskonferenzen eingesetzt worden. Lediglich in acht Fällen wurden bisher die Anträge der Einigungskonferenz nicht angenommen; vgl. Parlamentsdienste (2012): Factsheet Einigungskonferenz, Mai 2012, online: www.parlament.ch/d/dokumentation/berichte/faktenblaetter/Documents/ faktenblatt-einigungskonferenz-d.pdf.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück 7 Diskussion erkennen: Über die tatsächlichen Inhalte Die Vorgeschichte 1960er–1980er der Vorlage wurde kaum gesprochen. Im Mittelpunkt stand vielmehr eine ideologisch gefärbte Grundsatz- 1960er: Erste parlamentarische Vorstösse diskussion zum Gegensatz von staatlicher und indivi- zur verbesserten Koordination von Prävention dueller Verantwortung. und Gesundheitsförderung in der Schweiz Das Scheitern des Präventionsgesetzes kann in drei werden eingereicht. Etappen beschrieben werden: 1978: Mit einer Motion fordern der National- 1. Etappe: Abklärung der Machbarkeit und Ständerat den Bund dazu auf, die Vor 2. Etappe: Ausarbeitung des Gesetzesentwurfs arbeiten für ein Präventivgesetz gegen Sucht- 3. Etappe: Parlamentarische Verhandlungen krankheiten zu intensivieren. 1979: Der Bundesrat setzt eine Arbeits- gruppe zur Erarbeitung von Grundlagen für ein Gesetz über Krankheitsvorbeugung ein. 1982: Die Arbeitsgruppe überreicht dem Bun- desrat den «Bericht über die Vorarbeiten zur Schaffung eines Bundesgesetzes über Krank- heitsvorbeugung». Die Arbeitsgruppe folgert aufgrund der Situationsanalyse, dass eine nationale Koordinationsfunktion des Bundes notwendig ist, um Doppelspurigkeiten ab zubauen und die bestehenden Angebote bes- ser zu koordinieren. Konkret schlägt sie ein Bundesgesetz vor, das dem Bund in der Prävention und Gesundheitsförderung eine unterstützende Rolle zuweist. 1982/1983: Der Bericht wird an Kantone und weitere relevante nationale und kantonale Akteure zur Vernehmlassung geschickt. Die Reaktionen sind unterschiedlich: Eine knappe Mehrheit befürwortet die Schaffung eines Bundesgesetzes, 70 der 144 eingegangenen Antworten lehnen dieses ab. Insbesondere die Kantone und die Wirtschaftsverbände stehen dem Vorhaben aus staatspolitischen Gründen kritisch gegenüber. 1984: Der Bundesrat beschliesst daraufhin, die Vorarbeiten zu einem Präventivgesetz einzustellen, und beauftragt stattdessen das EDI, die Möglichkeiten zur Schaffung eines schweizerischen Präventivfonds abzuklären. 1989: Die «Schweizerische Stiftung für Ge- sundheitsförderung» (heute: «Gesundheits- förderung Schweiz») wird gegründet.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück 8 1. Etappe: Bundesrat Pascal Couchepin bringt heitskosten einzudämmen, brauche es nationale Ziel- den Stein ins Rollen setzungen für die Gesundheitsvorsorge und eine bessere Koordination der bestehenden A ngebote. Die Vorarbeiten für das Präventionsgesetz fallen in Im Frühjahr 2005 legt der Schweizerische Versiche- die Amtsperiode von Bundesrat Pascal Couchepin rungsverband gemeinsam mit santésuisse in einem (FDP). Er hat sich zum Ziel gesetzt, das Gesundheits- Positionspapier seine Sicht der Dinge dar.6 Die Ver und Krankenversicherungssystem zu konsolidieren sicherer nehmen verschiedene Resultate der späte- und zu optimieren. Unter dem Motto «Prävention ren Analysen bereits vorweg, möchten den Bogen wirkt!» will Bundesrat Couchepin einen Paradig- aber weiter spannen und in einer Neuorientierung menwechsel in der schweizerischen Gesundheits der Prävention sowohl den Kranken- wie auch den politik einleiten:4 Um den Versorgungsbereich zu Unfallbereich koordinieren. Vorgeschlagen wird eine entlasten, soll künftig vermehrt in die Gesundheits- Entflechtung der Aufgaben der involvierten staatli- förderung und Prävention investiert werden. 2004 chen und privaten Akteure. Deren Kompetenzen erteilt das EDI dem BAG den Auftrag, die inhaltlichen sollen neu auf drei Ebenen verteilt werden: Auf Voraussetzungen und die politische Machbarkeit Ebene I würde der Bund seine Aufsichtspflichten eines Präventionsgesetzes zu prüfen.5 wahrnehmen und im Zusammenspiel mit den Kan An der Veranstaltung «Trendtage Gesundheit» im tonen Zielvorgaben formulieren. Auf Ebene II würden Februar 2005 lanciert Bundesrat Couchepin die Idee zwei private Präventionsagenturen die Mittelverwen eines Präventionsgesetzes: Um die hohen Gesund- dung bewirtschaften. Agentur A wäre für Mittel zu- VORSCHLAG DER AUFGABENENTFLECHTUNG Ebene I Bund Aufsichtspflicht Zielvorgaben für Kantone Ebene II Agentur A Gesundheitsförderung Agentur B Nichtberufsunfall- prävention und Verkehrssicherheit Verwaltung der Finanzmittel Ebene III Kantone Versicherer Durchführung 4 v gl. Abschlussrede von Pascal Couchepin, Medienkonferenz des Bundesrates vom 28.10.2009, online: www.tv.admin.ch/de/ archiv?video_id=189. 5 Eine Überprüfung der Transparenz und Koordination der Prävention und Gesundheitsförderung forderten u.a. die Inter pellation Gysin (04.3705 vom 16. Dezember 2004), das Postulat Humbel Näf (05.3161 vom 17. März 2005), das Postulat der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit SR (05.3230 vom 3. Mai 2005). 6 Der Autor war 2005 als Leiter Kranken- und Unfallversicherung beim Schweizerischen Versicherungsverband direkt involviert.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück 9 gunsten der Gesundheitsförderung und der Krank- heitsprävention, Agentur B für Mittel zugunsten Die sieben Thesen zur Neuregelung von der Nichtberufsunfallprävention und der Verkehrs Prävention und Gesundheitsförderung sicherheit zuständig. Die Durchführung der Mass- der Fachkommission PGF 2010 nahmen würde auf Ebene III angesiedelt, wo den Versicherern und den Kantonen eine massgebende 1. Rechtliche Verankerung von Prävention und Rolle zukäme. Gesundheitsförderung im schweizerischen Auffallend ist die Ähnlichkeit der von den Versiche- Gesundheitssystem rern skizzierten Aufgabenverteilung auf drei Ebenen 2. Umfassende Stärkung des Stellenwertes mit der im späteren Gesetzesentwurf vorgeschlage- von Prävention und Gesundheitsförderung nen Lösung. Hingegen findet der vorgeschlagene im Alltag Miteinbezug des Unfallbereichs bei den weiteren 3. Anpassung der bestehenden rechtlichen Vorbereitungsarbeiten für ein nationales Präven Grundlagen und Schaffung neuer rechtli- tionsgesetz keine Resonanz. Die Akteure im Bereich cher Grundlagen mit einheitlichen und um- der Unfallprävention und der Verkehrssicherheit fassend geltenden Grundsätzen können glaubhaft machen, dass in ihrem Bereich 4. Koordination der Zusammenarbeit und offenbar kein Reformbedarf besteht. Klärung von Auftrag, Kompetenzen und Noch im selben Jahr setzt Bundesrat Couchepin die Verantwortlichkeiten der einzelnen Fachkommission «Prävention + Gesundheitsförde- Akteure rung» (Fachkommission PGF 2010) ein. Sie erhält den 5. Formulierung nationaler Ziele Auftrag, die politische Machbarkeit einer rechtlichen 6. Absicherung der Finanzierung durch Neuregelung von Prävention und Gesundheitsförde- adäquate, gegebenenfalls gesetzlich rung in der Schweiz zu prüfen. Die Kommission setzt geregelte Finanzflüsse sich aus Vertretern der Bundesverwaltung, der Kan- 7. Berücksichtigung von Best Practices, tone, der Kranken- und Unfallversicherer, der Leis- systematische Evaluation von Gesundheits- tungserbringer sowie weiteren Experten zusammen. förderungsmassnahmen und Einsatz Vorsitzender ist Thomas Zeltner, damals Direktor von geeigneten Qualitätsmanagement des Bundesamtes für Gesundheit. In wenigen Mona- instrumenten ten erarbeitet die Fachkommission den Bericht «Zu- kunft von Prävention und Gesundheitsförderung in der Schweiz». Darin wird eine umfassende Vision für die Gesundheitspolitik der Schweiz skizziert. Sieben ooperation von Bund, Kantonen, Gemeinden, Kran- K Thesen zur Neuregelung von Prävention und Gesund kenversicherern und weiteren Gesundheitsakteuren heitsförderung beschreiben die dazu notwendigen bei der Umsetzung der erforderlichen Massnahmen Massnahmen (siehe Kasten). vorgeschlagen. Zu guter Letzt empfiehlt die Kom- Abschliessend formuliert die Fachkommission die mission die rechtliche Verankerung dieser Neu Ziele, welche «sich bei entsprechendem politischen orientierung.8 Willen»7 in den kommenden Jahren umsetzen las- Es folgt eine Vernehmlassung zu diesen Vorschlä- sen. Primäres Ziel ist die «Neuorientierung der gen, welche zu rund 170 vorwiegend positiven Rück- schweizerischen Gesundheitspolitik» zur Stärkung meldungen von Akteuren aus dem Gesundheits-, Bil- der beiden Bereiche Prävention und Gesundheits dungs- und Sozialbereich führt. Die vorgeschlagene förderung. Weiter werden eine regelmässige Eva Stärkung der Prävention und Gesundheitsförderung luation von nationalen Gesundheitszielen sowie die wird mehrheitlich begrüsst und die erstmalige um- 7 v gl. Bundesamt für Gesundheit (Hrsg.) (2006): Zukunft von Prävention und Gesundheitsförderung in der Schweiz. Bericht der Fachkommission «Prävention + Gesundheitsförderung» zuhanden des Eidgenössischen Departements des Innern, S. 28. 8 ebd.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück 10 fassende rechtliche Regelung als dringlich erachtet. 2. Etappe: Die Ausarbeitung des Gesetzesentwurfs Erste kritische Einwände hingegen kommen von Seiten der Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände. Auch bei den verwaltungsinternen Vorarbeiten zum Diese warnen vor einer Beschränkung der Eigenver- Vorentwurf des Präventionsgesetzes ist man darum antwortung und Wahlfreiheit der Bürger aufgrund bemüht, die wichtigsten Akteure schon früh mit von übermässigen staatlichen Interventionen. Auch einzubeziehen. Es finden informelle Hearings mit neue Aufgaben und Belastungen für die Unterneh- Kantonen, ausgewählten Organisationen und Insti men und die Wirtschaft werden befürchtet.9 tutionen statt und punktuell werden verschiedene Wenige Monate nach der Veröffentlichung des Be- Expertinnen und Experten angehört. Der Schweize- richts der Fachkommission erhalten deren Empfeh- rische Gewerbeverband lehnte «nach Sichtung der lungen Bestärkung aus internationaler Perspektive: detaillierten Unterlagen und der umfangreichen Der Länderbericht des OECD-Sekretariats und der Teilnehmerliste» eine Teilnahme am Hearing ab.11 Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Qualität und Bereits zuvor formierte sich Widerstand von bürger- Effizienz des schweizerischen Gesundheitswesens10 licher und gewerblicher Seite. Noch bevor der erste zeigt die Stärken und Schwächen des schweizeri- Gesetzesentwurf ausgearbeitet ist, gründet der schen Gesundheitssystems auf: Die Schweiz besitze Schweizerische Gewerbeverband (sgv) im November zwar eine qualitativ starke Gesundheitsversorgung, 2007 ein «Ad-hoc-Komitee der Wirtschaft für eine habe aber auch überdurchschnittlich hohe Ausgaben sinnvolle Alkoholpolitik» als Reaktion auf die zur in diesem Bereich, so die Autoren. Als eine der wich- Umsetzung des Nationalen Programms Alkohol tigsten Kostensenkungsmassnahmen wird eine Ver- vorgeschlagenen Massnahmen. Dieser Schritt soll besserung der staatlichen Steuerung des Gesund- zweifellos einem politischen Schiffbruch vorbeugen, heitswesens vorgeschlagen – und zwar insbesondere wie ihn die Tabakindustrie seit 2005 erlitten hat.12 im Bereich der Prävention und Gesundheitsförde- Im März 2008 reicht der Präsident des Schweizer rung. Die WHO und die OECD schlagen der Schweiz Brauerei-Verbands, Markus Zemp (CVP), eine Inter die Erarbeitung eines Rahmengesetzes zur Stärkung pellation ein, in der er vor Eingriffen in die Grund- der Prävention und Gesundheitsförderung vor. rechte sowie «einer riesigen Präventionsmaschinerie Im Anschluss an die erwähnten Vorarbeiten beauf- mit ungeahnten Kostenfolgen» warnt.13 Ende Mai tragt der Bundesrat das EDI, bis zum Herbst 2008 2008 geht aus dem Komitee die «Allianz der Wirt- einen Vorentwurf der rechtlichen Grundlagen sowie schaft für eine massvolle Präventions politik» einen erläuternden Bericht abzufassen. (AWMP) hervor. Die Allianz wird von über 20 Organi- sationen getragen. Die gewichtigsten Gegner des Präventionsgesetzes rekrutieren sich aus gewerbli- chen Kreisen, insbesondere aus der Gastronomie, der Hotellerie sowie dem Tabak- und Alkoholwaren- 9 vgl. Gerhard Enggist (2008): Keine Präventionsmaschinerie, in: info 3/2008, Schweizerischer Gewerbeverband sgv, S. 37. 10 OECD, WHO (2006): OECD reviews of Health Systems: Switzerland 2006, online: www.oecd-ilibrary.org. 11 vgl. Gerhard Enggist (2008): Keine Präventionsmaschinerie, in: info 3/2008, Schweizerischer Gewerbeverband sgv, S. 37. 12 Zwischen Dezember 2005 (SBB-Züge werden rauchfrei) und März 2008 (Ständerat beschliesst Rauchverbot) sind Rauchverbote in der Schweiz flächendeckend zum Thema geworden; vgl. Raucher – Die neuen Schmuddelkinder, Radio SRF / Sendung «Input» vom 23.03.2008, online: www.srf.ch/player/radio/input/audio/raucher-die-neuen- schmuddelkinder?id=a1fbe4b3-dfef-408c-b96a-820f717c54a8. 13 Zemp, Markus (2009): Präventionsmaschinerie des Bundesamtes für Gesundheit, Interpellation 08.3153 vom 19. März 2008, online: www.parlament.ch.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück 11 ALLIANZ DER WIRTSCHAFT FÜR EINE MASSVOLLE PRÄVENTIONSPOLITIK Christlichdemokratische ASCO Verband Schweizerischer Schweizerischer Volkspartei CVP Konzertlokale, Cabarets, Stahl- und Haustechnik- Schweizerischer Dancings und Diskotheken handelsverband VSIG Schweizerischer Gewerbeverband sgv Bauernverband SBV hotelleriesuisse Schweizer Schweizerische GastroSuisse Fleisch- economiesuisse Volkspartei SVP Fachverband SFF Viscom Schweizerischer Verband für IG Freiheit visuelle Kommunikation Schweizer Schweizer Casino Werbung SW Verband Schweizerischer Arbeitgeberverband Erdöl-Vereinigung EV ALLIANZ DER Spiritsuisse WIRTSCHAFT Swiss Retail Schweizer Federation VSG Verband Brauerei-Verband Schweizerischer Getränkegrossisten Fédération suisse PHOTOMED – Solarien des vignerons Swiss Cigarette c/o Centre patronal Verband Schweiz Schweizerischer Spirituosenverband SSV/FSS Vereinigung Schweizer Weinhandel VSW/ASCV Verband Schweizer Zigarrenfabrikanten VSZ Vereinigung des Schweizerischer Schweizerischen Schweizerischer Bäcker-Konditoren- Tabakwarenhandels Obstverband SOV meisterverband SBKV handel. Während anfangs SVP, CVP und FDP als un- Die Rhetorik der Gegner verschärft sich zusehends. terstützende Organisationen auftreten, zieht sich die SVP-Vertreter Toni Bortoluzzi erkennt in der Vorlage FDP später aus der Allianz zurück.14 «totalitäre Züge» und die Gegner werfen dem BAG Die Gründung der AWMP wird von den Initianten als vor, es verfolge einen «Präventionsfundamentalis- «Reaktion auf den ausufernden Aktivismus des Bun- mus». In der Folge tritt eine zweite Lobbygruppe auf desamtes für Gesundheit BAG in den Bereichen den Plan: Nur einen Monat nach Gründung der AWMP Alkohol, Tabak sowie Ernährung und Bewegung»15 wird auf Initiative von Public Health Schweiz und der bezeichnet. Zentrales Anliegen der Allianz ist der Gesundheitsligenkonferenz (GELIKO) die «Allianz Kampf gegen das neue Präventionsgesetz. Die Alli- Gesunde Schweiz» lanciert. Die Allianz vereint an- anz erkennt in den Bestrebungen für ein Präven fangs 36, später über 50 Organisationen aus dem tionsgesetz einen Versuch zur Institutionalisierung Gesundheitsbereich mit dem Ziel, Prävention und staatlicher Eingriffe durch das BAG und befürchtet Gesundheitsförderung zu stärken.17 Damit stehen neue Regulierungsmassnahmen.16 sich zwei bedeutende Allianzen gegenüber, welche 14 ean-Martin Büttner (2010): Didier Burkhalter will schon präventiv keinen Streit bekommen, in: Tages-Anzeiger J vom 10. April 2010. 15 vgl. Schweizerischer Gewerbeverband sgv (12.8.2009): Präventionsgesetz: Überflüssig! Medienmitteilung, online: www.awmp.ch/fileadmin/user_upload/deutsch/Medienkonferenzen/00_Medienmitteilung_sgv-AWMP.pdf. 16 vgl. online: www.awmp.ch. 17 vgl. online: www.allianzgesundeschweiz.ch.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück 12 Verschärfte Rhetorik der Gegner des Präventionsgesetzes –– «Seit die Präventionsfanatiker vom Bundes- bis ins Private hinein verfolgt.» in: «Flächen amt für Gesundheit kurz vor dem Endsieg über deckende Umerziehung», Weltwoche vom den Zigarettenrauch stehen und jetzt ihre 29.05.2008 Geschütze zur Kontrolle der Essgewohnheit –– «Versteckt hinter Prävention und Gesundheits der Schweizer in Stellung bringen (…)» – förderung entsteht eine neue autoritäre Kolumnist Max Frenkel in: «Markenzeichen», Regierungsform, die wir mit der Annahme des NZZ am Sonntag vom 11.12.2005 Präventionsgesetzes gutheissen werden.» – –– «Die Präventionsmaschine des Bundesamtes Kurt Weber in: Bürger für Bürger, Nr. 11, Sep- für Gesundheit (BAG) läuft auf Volltouren. tember 2011 Dabei scheuen Thomas Zeltner & Co. in ihrem –– «Die Schaffung einer Zentralbehörde im Sinne Aktivismus auch vor Manipulationen nicht eines ‹Gesundheitskommissariats› oder zurück. Die Offensive der ‹Gesundheits-Taliban› eines ‹Wohlfahrtsausschusses› mit allumfas- begann letztes Jahr (…)» – Patrick Lucca, sender Direktivgewalt wäre ein Rückfall in Kommunikationschef SGV, in: News Schweize- einen zentralistischen Zwangsstaat à la Jako- rischer Gewerbeverband vom 11.04.2008 binerherrschaft unter Robespierre in Frank- –– «Wir werden künftig als geschlossene Kampf- reich, à la DDR, UdSSR oder Nazi-Deutschland, front auftreten.» – Rudolf Horber, Mitglied wo der Staat die intimsten Bereiche seiner Geschäftsleitung SGV und Geschäftsführer der Bürger regulierte und bestimmte.» in: Zeit- AWMP, zum Präventionsgesetz, in: Blick vom Fragen Nr. 37 vom 12.09.2011 10.05.2008 –– «Wir haben zwar eine Schlacht, aber noch nicht –– «In den letzten Jahren ist eine gewaltige Prä- den Krieg gewonnen.» – Ständerat Ivo Bischof- ventionsbewegung entstanden, die mit immer berger nach Ablehnung des Präventionsgeset- grösseren staatlichen Mitteln und immer zes in: Schweizerische Gewerbezeitung vom mehr gesetzlichen Instrumenten die Bürger 12.10.2012 eine eher bescheidene mediale Debatte prägen. Die- Stärkung der Prävention und Gesundheitsförderung se wird in der Folge polarisiert und emotionalisiert. sowie eine damit einhergehende Verbesserung von Die Neue Zürcher Zeitung beispielsweise bezeichnet Steuerung, Koordination und Effizienz der bereits später die politische Auseinandersetzung als «Glau- bestehenden Massnahmen. Neu geschaffen werden benskrieg um die Prävention».18 soll ein national koordinierendes Institut, das die Im Juni 2008 eröffnet der Bundesrat die Vernehm- Qualitätssicherung der kantonalen Massnahmen lassung zu den Vorentwürfen für das Bundesgesetz sicherstellt und zwischen Bund und Kantonen koor- über Prävention und Gesundheitsförderung (Prä diniert. Die Aufgaben der Stiftung Gesundheitsförde- ventionsgesetz, PrävG) und für das Bundesgesetz rung Schweiz sollen dabei an das neue Präventions- über das Schweizerische Institut für Prävention und institut übergehen. Gesundheitsförderung. Vorgeschlagen werden eine 18 Neue Zürcher Zeitung vom 13. April 2011.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück 13 ALLIANZ GESUNDE SCHWEIZ Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen – FSP Schweiz. Akademie der Medizinischen Schweizerischer Verband Wissenschaften – SAMW der Berufsorganisationen im Gesundheitswesen – SVBG H+ Die Spitäler der Schweiz Assoziation Schweizer Swiss Olympic Psychotherapeutinnen und GELIKO – Schweizerische Association Psychotherapeuten – ASP Gesundheitsligen-Konferenz Schweiz. Schweiz. Gesellschaft für Alzheimervereinigung Physioswiss – Schweizer Cystische Fibrose – CFCH Physiotherapie Verband Schweiz. Gesellschaft Rheumaliga Schweiz PharmaSuisse, für Ernährung SGE Schweizerischer CardioVasc Apothekerverband Lungenliga Schweiz Suisse pro juventute Schweizerische Krebsliga Public Health Zahnärzte- Schweiz Schweiz Gesellschaft Fachverband Schweiz. Spitex Sucht Herzstiftung Verband Travail Schweiz Schweiz. Suisse Diabetesgesellschaft Swiss Dental Aids-Hilfe Hygienists Schweiz. Gesellschaft Schweiz für Suchtmedizin SSAM Schweiz. ALLIANZ Kollegium für Blaues Kreuz GESUNDE Hausarztmedizin SCHWEIZ (KHM) Oncosuisse Schweizerischer Sucht Schweiz Schweiz. Gewerkschaftsbund Sexuelle Gesundheit Schweiz Drogistenverband Verband Zöliakie Schweiz CURAVIVA FMH Verbindung der Schweizer ABA Association Verband Heime und Ärztinnen und Ärzte Boulimie Anorexie Institutionen Schweiz Selbsthilfe Schweiz Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Schweiz aha! Allergiezentrum Schweiz Schweiz. Ärztinnen und Ärzte Hebammenverband für Umweltschutz Schweiz. Adipositas- Schweiz. Fachverband Adipositas Stiftung SAPS im Kindes- und Jugendalter – AKJ Schweizer Berufsverband Schweiz. Stiftung zur der Pflegefachfrauen und Förderung des Stillens Pflegefachmänner SBK Schweiz. Berufsverband für RADIX Schweizer Kompetenzzentrum Angewandte Psychologie – SBAP für Gesundheitsförderung und Prävention Aktionsbündnis «Psychische Gesundheit» Schweiz. Arbeitsgemeinschaft der Schweiz. Stiftung pro mente sana Jugendverbände (SAJV)
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück 14 Statistische Auswertung der Stellungnahmen zum Präventionsgesetz Kategorie Zustimmung Vorbehalte/ Ablehnung Total grundsätzliche Überarbeitung Kantone 19 5 2 26 Interkantonale Organisationen 5 1 – 6 Städte und Gemeinden 4 1 – 5 Eidgenössische Kommissionen 12 – – 12 Parteien 5 1 2 8 Gewerkschaften 3 – – 3 Wirtschafts- und Branchenverbände 5 7 23 35 Präventions- und Gesundheitsorganisationen 48 2 1 51 Versicherer und Institutionen des Gesundheits wesens 13 1 – 14 Berufs- und Standesorganisationen 28 2 – 30 Universitäten, Fachhochschulen und Forschungs institutionen 12 – – 12 Weitere Organisationen 16 – – 16 Private 3 – – 3 Total 173 20 28 221 Sämtliche Kantone, acht politische Parteien und zeigt, dass der Mehrheit der Befürworter von Anfang über hundert Organisationen nehmen am Vernehm- an eine Gruppe einflussreicher Gegner gegenüber- lassungsverfahren teil (vgl. Tabelle19). Die Reaktio- steht: zwei Parteien (SVP, EDU) und 23 Wirtschafts- nen sind statistisch gesehen erneut überwiegend verbände (u.a. der Schweizerische Arbeitgeber positiv: Annähernd drei Viertel der Vernehmlas- verband und der Schweizerische Gewerbeverband) sungsteilnehmenden begrüssen den Vorschlag des lehnen die Vorlage für ein Präventionsgesetz ab. Die Bundesrates, Prävention und Gesundheitsförderung Argumentation folgt jener der AWMP: Das Vorhaben in der Schweiz rechtlich zu verankern. Darunter auch wird als unnötig, überflüssig und als zu teuer er die Mehrheit der Kantone (19 von 26) sowie der Par- achtet. teien (CSP, EVP, FDP, GPS, SP). Auch das geplante Neu rückt auch auch die Schaffung eines «Schwei Institut für Prävention und Gesundheits förderung zerischen Instituts für Prävention und Gesundheits- stösst bei einer Mehrheit auf Zustimmung: Die förderung» in den Fokus der Kritiker: Dessen Finan- Schaffung eines nationalen Kompetenzzentrums zierung wird als problematisch erachtet. Auch ist der für Prävention und Gesundheitsförderung in Form Kompetenzbereich des Instituts für viele Gegner einer öffentlich-rechtlichen Anstalt wird in 133 von noch zu unscharf umrissen. Kritisiert wird insbe 197 Stellungnahmen befürwortet. sondere, dass dem Institut nebst seiner Funktion Diese positive statistische Auswertung des Ver- als Kompetenzzentrum auch Zuständigkeiten bei der nehmlassungsverfahrens wird jedoch durch eine Verteilung der Einnahmen aus den Präventionsabga- politische Gewichtung der Antworten relativiert. Sie ben (Tabakpräventionsabgabe und Zuschlag auf der 19 v gl. Bundesamt für Gesundheit (2009): Vorentwurf Bundesgesetz über Prävention und Gesundheitsförderung und Vorentwurf Bundesgesetz über das Schweizerische Institut für Prävention und Gesundheitsförderung, Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens (25. Juni bis 31. Oktober 2008), Februar 2009, S. 11, online: www.bag.admin.ch/themen/ gesundheitspolitik/07492/07494/index.html?lang=de.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück 15 KVG-Prämie) eingeräumt werden sollen und dass 3. Etappe: Die Gesetzesvorlage auf der Kippe die Zusammensetzung des Institutsrates noch offen gelassen wird. Die Gegner befürchten eine zu grosse Ende September 2009 verabschiedet der Bundesrat Beeinflussung des Instituts durch das Bundesamt die Botschaft und den Gesetzesentwurf zuhanden für Gesundheit. der eidgenössischen Räte. An den meisten Bestim- Die Schaffung eines Bundesinstitutes bezweckte die mungen des Vorentwurfs wird trotz Kritik in der Ver- Vereinfachung der Präventionsstrukturen auf Bun- nehmlassung festgehalten: Der Bundesrat strebt die desebene, also eine Zusammenführung der heute gesetzliche Verankerung der Gesundheitsförderung auf BAG, Gesundheitsförderung Schweiz und den und Prävention, entsprechende nationale Ziele und Tabakpräventionsfonds aufgeteilten Aufgaben in ei- eine bundesrätliche Strategie sowie die Schaffung ner Institution. Die Stiftung Gesundheitsförderung eines national koordinierenden Kompetenzzentrums Schweiz sollte ihres gesetzlichen Auftrags und der (das Präventionsinstitut) an. entsprechenden Einnahmen entbunden werden. Der Die Umsetzung der Vorlage soll haushaltneutral er- Bundesrat stützte diesen Entscheid auf seine gelten- folgen. Bei einem Anstieg des Mittelbedarfs für die den Corporate-Governance-Richtlinien, welche für Präventionsanstrengungen ist innerhalb eines be- die Schaffung einer öffentlich-rechtlichen Institution stimmten Rahmens eine durch den Bundesrat fest- sprachen. Daneben war die damalige Unzufrieden zulegende Erhöhung des aktuell bei CHF 2.40 pro heit der Politik mit der Stiftung womöglich ein zusätz Person und Jahr liegenden KVG-Prämienzuschlags liches Argument für die vorgeschlagene Lösung.20 vorgesehen. Befürworter und Gegner melden sich kurz nach der Publikation der Botschaft zu Wort. Ins- besondere die Finanzierungsfrage ist stark umstrit- ten – die Kritiker warnen vor einem ungeregelten Anstieg der Prämienzuschläge. Dabei wird über sehen, dass die geltende Regelung, wonach der Vorsteher des Eidg. Departements des Innern auf Antrag der Stiftung die Höhe des Prämienzuschlags festlegen kann, bedeutend weiter geht. Bereits vor der Verabschiedung der Gesetzesvorlage durch den Bundesrat künden der Schweizerische Gewerbever- band (SGV) und die Allianz AWMP an einer Medien- konferenz an, dass sie bei einer Annahme der Ge setzesvorlage ein Referendum prüfen werden.21 Zunehmend wird auch Kritik am Vernehmlassungs- verfahren laut. Nationalrat Edi Engelberger (FDP) fordert den Bundesrat mit einer Interpellation zu einem «Übungsabbruch» auf und hält fest, dass «die wohl begründeten Bedenken der Wirtschaft gegen dieses neue, überflüssige Gesetz praktisch vollstän- 20 v gl. Motion Rossini (04.3559) unter dem Titel «Gesundheitsförderung Schweiz. Änderung der Praxis»; Postulat (05.3474) Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit NR unter dem Titel «Gesamtstrategie für die Stiftung Gesundheits förderung Schweiz»; Interpellation (06.3776) Menétrey-Savary / Teuscher unter dem Titel «Probleme bei der Stiftung Gesund- heitsförderung Schweiz». 21 Schweizerischer Gewerbeverband sgv (12.08.2009): Nein zu mehr Staat: Warum allen verordnen, was nur Einzelne betrifft, online: www.sgv-usam.ch/fileadmin/user_upload/deutsch/2009/Medienkonferenzen/09-08-12_Präventionsgesetz/ 02_Referat_Bigler.pdf.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück 16 CHRONOLOGIE PARLAMENTARISCHE BERATUNGEN 2010 MÄRZ: SGK-N tritt auf 2011 MÄRZ: SGK-N stimmt 2012 JANUAR: SGK-N hält am Präventions- das Präventionsgesetz ein dem Präventionsgesetz zu gesetz fest (16:9 Stimmen) NATIONALRAT (13:7 Stimmen) (12:10 Stimmen) MÄRZ: Nationalrat bleibt beim Ja zum APRIL: Nationalrat stimmt Präventionsgesetz (106:79 Stimmen) dem Präventionsgesetz zu (97:71 Stimmen) SEPTEMBER: Nationalrat: Beschluss gemäss Antrag der Einigungskonferenz (105:70 Stimmen) 2010 2011 2012 2010 2011 MAI: SGK-S tritt auf Präventions- 2012 APRIL: SGK-S beantragt SEPTEMBER: SGK-S (14:8 Stimmen) verzichtet auf gesetz ein (7:6 Stimmen) Eintreten auf Präventionsgesetz STÄNDERAT «Präventionsinstitut», (7:6 Stimmen) Neupositionierung Stiftung SEPTEMBER: SGK-S (8:0 Stimmen) Gesundheitsförderung Schweiz will Krankheitsbegriff enger JUNI: Ständerat tritt auf als Nationalrat definieren Präventionsgesetz ein (Stichentscheid bei 21:21 Stimmen) NOVEMBER: SGK-S stimmt Präventionsgesetz zu (7:4 Stimmen) SEPTEMBER: Ständerat: Der Antrag der Einigungskonferenz wird abgelehnt DEZEMBER: Ständerat lehnt (22:19 Stimmen) Einteten auf Präventionsgesetz ab (20:19 Stimmen) dig in den Wind geschlagen» wurden.22 Auch in einer Instituts für Prävention und Gesundheitsförderung Medienmitteilung der AWMP heisst es: «Das Eidg. wird verzichtet, stattdessen soll die Stiftung Gesund- Departement des Innern gibt zu, dass das neue Prä- heitsförderung Schweiz neu positioniert werden und ventionsgesetz von einer Mehrheit der Wirtschafts- zusätzliche Kompetenzen erhalten. Sie soll künftig verbände kritisch beurteilt wurde. Diese Einwände mit der Unterstützung des BAG die nationalen Prä- wurden von den Behörden zwar zur Kenntnis genom- ventionsprogramme der stark verbreiteten nicht men, aber kaum oder gar nicht berücksichtigt.»23 übertrag baren Krankheiten koordinieren und ge- Im Laufe der parlamentarischen Beratungen im meinsam mit den Kantonen Massnahmen erarbeiten Nationalrat wird der Gesetzesentwurf immer weiter und umsetzen. Bundesrat Didier Burkhalter, welcher abgeschwächt. Am 12. April 2011 entscheidet sich in der Zwischenzeit das Dossier von seinem Vor der Nationalrat mit einer knappen Mehrheit zur gänger und Parteikollegen Pascal Couchepin über- Annahme einer revidierten Version der Gesetzes nommen hat, favorisiert diese Variante, welche auch vorlage: Auf die Schaffung e ines Schweizerischen vom Gesamtbundesrat unterstützt wird. In den Be- 22 ngelberger, Edi (8.12.2009): Neues Präventionsgesetz. Übungsabbruch. Interpellation. online: www.parlament.ch/d/ E suche/seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=20094083. 23 Schweizerischer Gewerbeverband sgv (30.9.2009): Präventionsgesetz: sgv erwägt Referendum. online: www.sgv-usam.ch/ nc/content/detailansicht/archive/2009/09/30/article/praeventionsgesetz-sgv-erwaegt-referendum-310.html.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück 17 ratungen des Nationalrates wird zudem festgelegt, Nationalrat und gelangt nun in sozialdemokratische dass die Stiftung dem Parlament alle vier Jahre mit Hände: Knapp eine Woche nach dem Entscheid des einem nationalen Gesundheitsbericht über die Wirk- Ständerates wird Alain Berset zum Bundesrat ge- samkeit der Präventionsprogramme Rechenschaft wählt. Er übernimmt das Departement des Innern. ablegt. Die vom Nationalrat beschlossenen Ände- Der Nationalrat hält nach einer Bekräftigung durch rungen dürfen wohl als Vertrauensbeweis zuguns- die SGK-N an seinem Ja zum Präventionsgesetz (106 ten von Gesundheitsförderung Schweiz gewertet zu 79 Stimmen) fest, der Ständerat hingegen ent- werden. Offensichtlich konnte sich die Stiftung in den scheidet nur knapp – mit einem Stichentscheid des wenigen Jahren seit Beginn der Arbeit am Präven Ratspräsidenten – überhaupt auf die Vorlage ein tionsgesetz rehabilitieren. Sicherlich spielten auch zutreten. Die Nationalratskommission zeigt sich in andere Überlegungen eine Rolle, zum Beispiel dass der Folge kompromissbereit und kommt dem Stän- sich neben der Stiftung keine geeignete Alternative derat in allen Punkten entgegen: So verzichtet der anbot. Nationalrat auf die Gesundheitsfolgenabschätzun- Die Kommission des Ständerates folgt weitgehend gen, welche dem Bundesrat erlauben sollten, die dem Nationalrat, erteilt der Verwaltung aber unter Auswirkungen von ausgewählten öffentlichen Pro- anderem den Auftrag, einen Bericht zum Zusam- jekten auf die Gesundheit der Bevölkerung zu er menspiel von Präventionsgesetz und Alkoholgesetz mitteln. bezüglich Alkoholprävention zu erarbeiten und Am 26. September 2012 entscheidet die Einigungs- Massnahmen zur künftigen Handhabung des Tabak- konferenz mit 16 zu 10 Stimmen, am Entscheid des präventionsfonds aufzuzeigen.24 Abweichend vom Nationalrats (Lösen der Ausgabenbremse25) festzu- Nationalrat beschliesst die Kommission eine An halten. Obschon der Ständerat mit 22 zu 19 Stimmen passung zur Stärkung der Koordinationsfunktion der den Antrag der Einigungskonferenz a nnimmt, bleibt bundesrätlichen Strategie. Es sollen auch Finanzhil- das nötige Quorum für die Lösung der Ausgaben- fen für Präventionsaktivitäten, die aufgrund anderer bremse aus, womit die Vorlage definitiv versenkt Gesetze gesprochen werden, besser gesteuert wer- wird. Weil das Geschäft die Schaffung eines neuen den können. Über die Verwendung des Alkoholzehn- Subventionstatbestands beinhaltet, müsste die tels entscheiden allerdings weiterhin die Kantone, Mehrheit der 46 Ratsmitglieder zustimmen – zwei da deren Zuständigkeit auf Verfassungsstufe fest fehlende Stimmen geben den Ausschlag. Das konti- gelegt ist. Mit einer grossen Mehrheit beantragt die nuierliche Lobbying der KMU-Verbände konnte somit Kommis sion, den vorher bereits vom Nationalrat erfolgreich eine deutliche Mehrheit in den bürgerli- gesenkten Maximalbetrag für den KVG-Prämienzu- chen Parteien halten und genügend Gegner rekrutie- schlag noch einmal zu reduzieren und bei 0,075 Pro- ren.26 Ständerat Urs Schwaller (CVP) gibt nach der zent festzu legen. Dies entspricht zu diesem Zeit- Abstimmung zu Protokoll, dass man die Lösung der punkt dem B etrag von CHF 3.36. Ausgabenbremse nicht aus Kostengründen verwei- Am 8. Dezember 2011 beschliesst der Ständerat mit gert habe, sondern aufgrund prinzipieller Vorbehalte 20 zu 19 Stimmen, nicht auf das Präventionsgesetz gegenüber einer ausufernden Regulierung und Be- einzutreten. Damit geht die Vorlage zurück an den vormundung des Bürgers. 24 ommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (2011): SGK unterstützt Prämienbefreiung für Kinder K im KVG, Medienmitteilung vom 7. September 2011, online: www.parlament.ch/d/mm/2011/Seiten/mm-sgk-s-2011-09- 07.aspx. 25 Die Ausgabenbremse kommt immer dann zum Zug, wenn eine Bestimmung zu neuen einmaligen Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken oder zu neuen wiederkehrenden Ausgaben von mehr als 2 Millionen Franken führt. Sie kann nur mit Zustimmung der Mehrheit der 46 Ratsmitglieder gelöst werden. 26 vgl. Ständerat verhindert Präventionsgesetz, in: Geliko News 5/2012, Oktober 2012, online: www.geliko.ch. Für eine Über- sicht der Lobbygruppen in den Gesundheitskommissionen von National- und Ständerat siehe: «Der Befangenenchor. Lobbyisten in Bundesbern», in: Beobachter 21/2012 vom 12. Oktober 2012, online: www.beobachter.ch/justiz-behoerde/ buerger-verwaltung/artikel/lobbyisten-in-bundesbern_der-befangenenchor/.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück 18 Lehren aus der Geschichte des Präventions schliesslich über die Ausgabenbremse gestolpert, gesetzes obwohl der Gesetzestext selber eine Mehrheit ge- funden hat».27 Dass ein Gesetz, welches den effizienteren Einsatz Selbst nachdem dem Gesetz sämtliche Zähne ge der verfügbaren Mittel in der Gesundheitsförderung zogen worden waren, ebbte der Widerstand aus und Prävention ermöglichen sollte und keine zusätz- gewerblichen Kreisen nicht ab. Ein Teil der Kritik lichen Ausgaben vorsah, an der Ausgabenbremse richtete sich auch gegen das BAG: Aus den Voten der scheitert, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Der Gewerbevertreter geht hervor, dass sie die Ableh- Entscheid erscheint umso paradoxer angesichts der nung des Präventionsgesetzes als Etappensieg im Tatsache, dass schon vergleichsweise geringe Inves- Kampf gegen die «Regulierungswut» der Behörden titionen in die Prävention und Gesundheitsförderung verstehen. Dieser Aspekt ist womöglich höher zu zu den wirksamsten Mitteln gegen den Kosten gewichten als die Vorbehalte gegen die Präventions- anstieg im Gesundheitswesen gehören. Mit der Ab- arbeit. Jedenfalls konnten mit dem Argument der lehnung des Präventionsgesetzes wurde die Chance Überregulierung offenbar auch Teile der Wirtschaft verpasst, die Prävention nicht übertragbarer Krank- gegen das Gesetz mobilisiert werden, die keine heiten wie Krebs, Diabetes oder psychischer Leiden unmittelbaren wirtschaftlichen Interessen bedroht rechtlich abzusichern und Prävention und Gesund- sahen. heitsförderung als vierte Säule im schweizerischen Das Medienecho zum Präventionsgesetz ist insge- Gesundheitssystem zu verankern. samt bescheiden ausgefallen. Dies hängt wahr- Aus den drei geschilderten Etappen lässt sich her- scheinlich mit dem blassen Inhalt eines reinen Ko auslesen, dass weniger die Idee für ein nationales ordinationsgesetzes zusammen. Die Polemik der Präventionsgesetz problematisch war, als vielmehr Gegnerschaft wurde von den Medien bereitwillig die politische Diskussion dieser Vorlage. Denn ob- aufgenommen, denn sie brachte Leben in die Diskus- schon sowohl National- als auch Ständerat das Vor- sion. Doch wurde dadurch die Berichterstattung haben mehrheitlich begrüssten, dominierte schliess- auch recht einseitig. Die mächtige AWMP wurde lich die Gegnerschaft die Diskussion: Durch ein kaum je auf ihre Intentionen hin geprüft. Allein gezieltes Lobbying gelang es der «Allianz der Wirt- schon deren Zusammensetzung hätte eine kritische schaft für eine massvolle Präventionspolitik», die Würdigung verdient. Geschickt gelang es der Allianz Diskussion über konkrete Massnahmen auf eine zu verschleiern, dass ihre Mitglieder – Akteure aus ideologische Ebene zu ziehen. Es wurde nicht mehr der Tabak-, Spirituosen- und Gastroindustrie – nicht über die Koordination der Präventionsbemühungen interessiert waren an einer effizienten Präventions- und einen effizienteren Mitteleinsatz gesprochen, politik, sondern klar eigennützige Ziele verfolgten. sondern über den überbordenden Staatsinterven Eine Mehrheit des Parlaments, der Kantone und tionismus und die Beschneidung der individuellen der Organisationen im Gesundheitsbereich hatte Freiheit. Die Befürworter haben es verpasst, den das G esetz befürwortet. Daneben unterstützte auch unzulässigen Vereinfachungen mit fachlich fundier- economiesuisse nach anfänglichem Widerstand die ten Stellungnahmen den Wind aus den Segeln zu Vorlage und sprach sich gegen Ende der parlamen- nehmen. tarischen Verhandlungen klar für eine starke Prä- FDP-Ständerat Felix Gutzwiller bemerkte in einem ventionspolitik aus.28 Diese Haltung entsprach auch Interview im Anschluss an die Schlussabstimmung der öffentlichen Meinung: In einer repräsentativen im Parlament: «Es hat keine faktenbasierte Argu- Um frage von Gesundheitsförderung Schweiz sind mentation mehr stattgefunden (…) Das Gesetz ist so 77 Prozent der Befragten der Meinung, dass Bund 27 ünf Fragen an Felix Gutzwiller, in: Bundesamt für Gesundheit (2012): Spectra. Newsletter Gesundheitsförderung und F Prävention, Nr. 95, S. 2. 28 http://www.economiesuisse.ch/de/themen/wb/gesundheit/seiten/_detail.aspx?artID=WN_praeventionsgesetz_20120928.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück 19 KOSTEN UND AUSGABEN PRÄVENTION UND GESUNDHEITSFÖRDERUNG 2011 1,43 Mrd Fr. 564,6 Mio Fr. 338,8 Mio Fr. 266,5 Mio Fr. 143,2 Mio Fr. 121,1 Mio Fr. Private: Sozial- Kantone Bund Gemeinden Haushalte/ versicherungen Organisationen und Kantone die Gesundheit mit Aufklärungskampa- werden. Vielmehr müssen sich die Akteure im Prä gnen, Programmen, Aktionen und Geld fördern sol- ventionsbereich die Frage stellen, ob ihre Medien- len. Die Schweizer Bevölkerung würde im Schnitt und Politikarbeit den heutigen Ansprüchen genügt. 51 von 100 Franken für Gesundheitsförderung und Mit der kurz vor der Schlussabstimmung zum Prä- Prävention und lediglich 49 Franken für Behand ventionsgesetz angesetzten Volksabstimmung über lungen ausgeben29. Diese breite Unterstützung der die Initiative zum Schutz vor Passivrauchen wurde Gesundheitsförderung und Prävention konnte zu zudem dem über geordneten Anliegen ein Bären- wenig zum Ausdruck gebracht werden. Es entstand dienst erwiesen. der Eindruck, dass einzig das Bundesamt für Ge- Eine Rolle gespielt haben mag auch die Zurückhal- sundheit und Vertreter aus dem rot-grünen Lager tung der unterstützenden Kräfte aus den Reihen der die Einführung eines nationalen Präventionsgeset- Krankenversicherer und der Leistungserbringer im zes befürworteten. Gesundheitswesen. Sie haben nicht ihr volles politi- Die Mängel in der Berichterstattung mögen mit sches Gewicht in die Diskussion gelegt. Die Kran den hohen Marketingbudgets der Alkohol- und Tabak kenversicherer beispielsweise unterstützten das industrie und deren Einfluss auf die Medienwelt Präventionsgesetz nur unter dem Vorbehalt, dass zusammenhängen, wie vermutet wurde.30 Dieser die Ausgaben für Prävention nicht steigen oder auf Aspekt darf jedoch aufgrund der weitgehenden Un- die Krankenkassen übertragen werden.31 Über die abhängigkeit der Redaktionen nicht überbewertet Gründe für diese Zurückhaltung kann nur speku- 29 esundheitsförderung Schweiz (2013): Breite Akzeptanz der öffentlichen Gesundheitsförderung, Medienmitteilung vom G 30.04.2013, online: www.gesundheitsfoerderung.ch/pages/news/medienmitteilungen/2013/2013_04_30_Polyquest.php. Sucht Schweiz (2008): Kühl kalkulierte Beleidigung, Medienmitteilung vom 25. April 2008, online: www.suchtschweiz.ch/ 30 aktuell/medienmitteilungen/archiv/article/kuehl-kalkulierte-beleidigung/. 31 santésuisse (2012): Sommersession 2012. Empfehlungen von santésuisse, online: www.santesuisse.ch/datasheets/ files/201205111454590.pdf.
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