Arbeitspapier 9 Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück - Gesundheitsförderung Schweiz

 
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Arbeitspapier 9 Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück - Gesundheitsförderung Schweiz
Gesundheitsförderung Schweiz          Arbeitspapier 9

Das gescheiterte Präventionsgesetz:
ein Lehrstück

                                             Oktober 2013
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück           2

  Gesundheitsförderung Schweiz ist eine Stiftung, die von Kantonen und Versicherern getragen wird. Mit gesetzlichem Auftrag
  initiiert, koordiniert und evaluiert sie Massnahmen zur Förderung der Gesundheit (Krankenversicherungsgesetz, Art. 19).
  Die Stiftung unterliegt der Kontrolle des Bundes. Oberstes Entscheidungsorgan ist der Stiftungsrat. Die Geschäftsstelle besteht
  aus Büros in Bern und Lausanne. Jede Person in der Schweiz leistet einen jährlichen Beitrag von CHF 2.40 zugunsten von
  Gesundheitsförderung Schweiz, der von den Krankenversicherern eingezogen wird.
  Weitere Informationen: www.gesundheitsfoerderung.ch

  In der Reihe «Gesundheitsförderung Schweiz Arbeitspapier» erscheinen von Gesundheitsförderung Schweiz erstellte oder
  in Auftrag gegebene Grundlagen, welche Fachleuten in der Umsetzung in Gesundheitsförderung und Prävention dienen.
  Der Inhalt der Arbeitspapiere unterliegt der redaktionellen Verantwortung der Autorinnen und Autoren. Gesundheitsförderung
  Schweiz Arbeitspapiere liegen in der Regel in elektronischer Form (PDF) vor.

Impressum

Herausgeber
Gesundheitsförderung Schweiz

Autor
Dr. Thomas Mattig

Zitierweise
Mattig, T. (2013): Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück. Arbeitspapier 9, Bern und Lausanne:
Gesundheitsförderung Schweiz.

Fotonachweis Titelbild
Shutterstock

Reihe und Nummer
Gesundheitsförderung Schweiz, Arbeitspapier 9

Auskünfte/Informationen
Gesundheitsförderung Schweiz
Dufourstrasse 30, Postfach 311, CH-3000 Bern 6
Tel. +41 31 350 04 04, Fax +41 31 368 17 00
office.bern@promotionsante.ch
www.gesundheitsfoerderung.ch

Originaltext
Deutsch

Bestellnummer
01.0024.DE 10.2013
Dieses Arbeitspapier ist auch in französischer Sprache verfügbar (Bestellnummer 01.0024.FR 10.2013).

ISSN
2296-5661

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www.gesundheitsfoerderung.ch/publikationen

© Gesundheitsförderung Schweiz, Oktober 2013
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück    3

Inhaltsverzeichnis

Editorial4

Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück                                                            5
1. Etappe: Bundesrat Pascal Couchepin bringt den Stein ins Rollen                                            8
2. Etappe: Die Ausarbeitung des Gesetzes­entwurfs                                                           10
3. Etappe: Die Gesetzesvorlage auf der Kippe                                                                15
Lehren aus der Geschichte des Präventionsgesetzes                                                           18
Ein Blick in die Zukunft                                                                                    21
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück   4

Editorial

«Niederlagen muss man verdauen.» In dieser Wen-
dung steckt viel Weisheit. In der Tat kann eine
Niederlage durchaus im positiven Sinne nahrhaft
sein.
Das Präventionsgesetz ist im Herbst 2012 nach sie-
benjähriger Vorarbeit im Ständerat knapp geschei-
tert. Damit teilt es dasselbe Schicksal wie schon
zahlreiche andere Vorstösse im Gesundheitswesen
zuvor.
Manche mögen darin einen Rückschlag für Gesund-
heitsförderung und Prävention sehen. In der Saluto-
genese richten wir jedoch den Blick in erster Linie
auf die Ressourcen, nicht auf die Einschrän­   kun-
gen. Zudem gehört zu unserer täglichen Arbeit auch
die Evaluation. Projekte werden kritisch überprüft
mit dem Ziel, die verfügbaren Mittel optimal einzu­
setzen.
So überprüfen wir mit diesem Papier auch das Pro-
jekt «Präventionsgesetz» mit kritischem und selbst-
kritischem Blick. In den fünf Jahren Arbeit am Prä-
ventionsgesetz haben wir Einsichten gewonnen über
das Wirken und die Dynamik der politischen Kräfte.
In dieser Zeit konnten wir auch die Ideen der Ge­
sundheitsförderung und Prävention vermehrt in die
Öffentlichkeit tragen. Dass diese kontrovers disku-
tiert werden, ist nur zu begrüssen.
Im Hinblick auf die Zukunft gilt es, den Mehrwert
unserer Arbeit deutlicher aufzuzeigen und Vorurteile
abzubauen. Das Lehrstück «Präventionsgesetz» hilft
uns, die Haltung der Kritiker besser zu verstehen
und unser Selbstverständnis genauer zu formulie-
ren. Moderne Gesundheitsförderung und Prävention
basieren nicht auf Bevormundung, sondern wollen
die Handlungskompetenz des Einzelnen erweitern.
Dies ist ein urdemokratisches Anliegen.

Dr. Thomas Mattig
Direktor Gesundheitsförderung Schweiz
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück   5

Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück

Ende 2012 scheiterte die Vorlage für ein Bundesgesetz über Prävention und
­Gesundheitsförderung (Präventionsgesetz, PrävG) im Ständerat. Damit wurde
 die Chance ­verpasst, Gesundheitsförderung und Prävention national zu
 koordinieren und gesetzlich zu verankern. In diesem Papier werden mögliche
 Gründe für die A
                ­ blehnung des Gesetzes aufgezeigt.

In der Schweiz begehen jedes Jahr mehr als tausend                               Gesundheitssystem der Schweiz weist somit eine
Menschen Suizid und rund ein Sechstel der gesam-                                 gravierende Strukturschwäche auf: Im Gegensatz
ten Bevölkerung leidet vermutlich an einer psychi-                               zu den drei Säulen der medizinischen Krankheits-
schen Störung.1 Dennoch fehlt bis heute eine                                     versorgung (Behandlung, Rehabilitation und Pflege)
nationale gesetzliche Grundlage zur Prävention psy-                              sind Prävention und Gesundheitsförderung derzeit
chischer Krankheiten. Dasselbe gilt für andere nicht                             konzeptionell, organisatorisch und rechtlich nicht
übertragbare Krankheiten wie Krebs, Diabetes,                                    ausreichend verankert.
Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen. Das                                    In den letzten dreissig Jahren wurden mehrere An-
                                                                                 läufe unternommen, um dieses Problem zu lösen: In
                                                                                 den 1980er-Jahren erarbeitete eine vom Bundesrat
DIE VIER SÄULEN                                                                  eingesetzte Arbeitsgruppe Grundlagen zur Schaf-
DES GESUNDHEITSSYSTEMS DER SCHWEIZ
                                                                                 fung eines nationalen «Bundesgesetzes zur Krank-
                                                                                 heitsvorbeugung». Der Bericht dieser Arbeitsgruppe
                                                                                 stiess jedoch bei den Kantonen vorwiegend auf Ab-
                                                                                 lehnung. Der Bund stellte daraufhin die Vorarbeiten
                           GESUNDHEITSSYSTEM                                     für ein Präventionsgesetz ein und betraute statt­
                              DER SCHWEIZ                                        dessen das Eidgenössische Departement des Innern
                                                                                 (EDI) mit der Aufgabe, Möglichkeiten zur Schaffung
                                                                                 eines schweizerischen Präventivfonds abzuklären.
    Gesundheitsförderung

                                                                                 Im Jahr 1989 wurde die Schweizerische Stiftung für
                                                                                 Gesundheitsförderung gegründet. Die mittlerweile
    Prävention und

                                                                Rehabilitation

                                                                                 in Gesundheitsförderung Schweiz umbenannte Stif-
                            Behandlung

                                                                                 tung ist mit einem gesetzlichen Auftrag (Art. 19 KVG)
                                                                                 ausgestattet und initiiert, koordiniert und evaluiert
                                                 Pflege

                                                                                 Massnahmen zur Förderung der Gesundheit. Sie un-
                                                                                 terliegt der Aufsicht des Bundes und wird von Kan­
                                                                                 tonen und Versicherern getragen.2 Mit der Gründung
     Prävention                          Krankheitsversorgung
                                                                                 der Stiftung wurde allerdings die Strukturschwäche
                                                                                 im Bereich der Gesundheitsförderung und Präven­

1
   undesamt für Gesundheit: Psychische Gesundheit – Daten und Fakten, online: www.bag.admin.ch/themen/­
  B
   medizin/00683/01916.
2
  Jede Person in der Schweiz leistet aufgrund der obligatorischen Krankenversicherung einen jährlichen Beitrag
   von CHF 2.40 zugunsten von GFCH.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück     6

    CHRONOLOGIE DES GESETZGEBUNGSPROZESSES

                  2005
                  Annahme der Postulate
                                             2007
                                             Gesetzgebungsauftrag
                                                                        2009
                                                                         Überweisung der Botschaft
                                                                                                               2012
                                                                                                         Differenzbereinigungs-
                  Humbel Näf (05.3161)       des Bundesrates und         und des Gesetzesentwurfs       verfahren und Schluss-
                  und SGK-SR (05.3230) –     Bericht «Prävention und     an das Parlament                       abstimmung im
                  Einsetzung der Fach-       Gesundheitsförderung                                       National- und Ständerat
                  kommission «Prävention     in der Schweiz » in
                  + Gesundheitsförderung »   Erfüllung der Postulate
                  durch das EDI              Humbel Näf / SGK-SR

      2004        2005         2006          2007        2008           2009         2010        2011          2012

      2004
      Auftrag des EDI:
                               2006
                               Bericht «Zukunft von
                                                         2008
                                                         Vernehmlassung
                                                                                     2010–2012
                                                                                     Parlamentarische Beratungen
      inhaltliche Voraus-      Prävention und            zum Vorentwurf
      setzungen und            Gesundheitsförderung      Präventionsgesetz
      politische Machbarkeit   in der Schweiz»
      eines «Präventions-      der Fachkommission
      gesetzes» abzuklären

tion nicht behoben, denn die Stiftung ist kein Organ            wurde namentlich auf den Einbezug der Unfallprä-
des Bundes und ihre Kompetenzen sind beschränkt.                vention. Diese Stossrichtung wurde mit Ausnahme
Im Jahr 2005 startete der Bund deshalb den zweiten              der Wirtschaftsverbände von einer Mehrzahl der
Versuch für ein nationales Präventionsgesetz. Die-              Parteien und Interessengruppen gutgeheissen. Die
ser soll im vorliegenden Papier diskutiert werden.              Hoffnung des Bundesrates war es, mit einem eher
Sieben Jahre lang feilten die Bundesverwaltung und              defensiven Entwurf die notwendige politische Mehr-
das Parlament an einem nationalen Präventionsge-                heit zu finden. Schrittweise sollte eine Lösung für die
setz, das die Anliegen der Kantone ernst nimmt und              bisherigen Schwachstellen der schweizerischen
dennoch gemeinsame Ziele vereinbart. Das Gesetz                 Prävention und Gesundheitsförderung erarbeitet
sollte Prävention und Gesundheitsförderung nicht                werden.
nur gesetzlich verankern, sondern auch Massnah-                 Die Vorlage wurde im Laufe der parlamentarischen
men im Bereich der nicht übertragbaren Krankhei-                Verhandlungen weiter abgeschwächt. Dennoch
ten besser legitimieren. Zu Beginn des Verfahrens               scheiterte sie am 27. September 2012 in der kleinen
schlug eine eigens dafür eingesetzte Fachkommis­                Kammer – trotz des Einsatzes einer parlamentari-
sion eine umfassende Präventionsstrategie auf                   schen Einigungskonferenz, weil das zur Lösung der
nationaler Ebene vor, die das Gesundheitswesen
­                                                               Ausgabenbremse nötige qualifizierte Mehr um zwei
gesamthaft beeinflusst hätte. Die an das Parlament              Stimmen verfehlt wurde.3 Gründe für dieses Nein zu
überwiesene Vorlage war eine leicht ab­geschwächte              einer wichtigen und inhaltlich schwach umstritte-
Version des ursprünglichen Entwurfs. Verzichtet                 nen Vorlage lassen sich im Verlauf der politischen

3
     as ist ein seltenes Ereignis in der schweizerischen Politik und lässt erahnen, wie emotional behaftet die Vorlage
    D
    behandelt wurde. Rund 90 Mal sind in den letzten zwanzig Jahren Einigungskonferenzen eingesetzt worden. Lediglich in
    acht Fällen wurden bisher die Anträge der Einigungskonferenz nicht angenommen; vgl. Parlamentsdienste (2012):
    Factsheet Einigungskonferenz, Mai 2012, online: www.parlament.ch/d/dokumentation/berichte/faktenblaetter/Documents/
    faktenblatt-einigungskonferenz-d.pdf.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück   7

                                                Diskus­sion erkennen: Über die tatsächlichen Inhalte
Die Vorgeschichte 1960er–1980er                 der Vorlage wurde kaum gesprochen. Im Mittelpunkt
                                                stand vielmehr eine ideologisch gefärbte Grundsatz-
1960er: Erste parlamentarische Vorstösse        diskussion zum Gegensatz von staatlicher und indivi-
zur verbesserten Koordination von Prävention    dueller Verantwortung.
und Gesundheitsförderung in der Schweiz         Das Scheitern des Präventionsgesetzes kann in drei
werden eingereicht.                             Etappen beschrieben werden:
1978: Mit einer Motion fordern der National-    1. Etappe: Abklärung der Machbarkeit
und Ständerat den Bund dazu auf, die Vor­       2. Etappe: Ausarbeitung des Gesetzesentwurfs
arbeiten für ein Präventivgesetz gegen Sucht-   3. Etappe: Parlamentarische Verhandlungen
krankheiten zu intensivieren.
1979: Der Bundesrat setzt eine Arbeits-
gruppe zur Erarbeitung von Grundlagen für
ein Gesetz über Krankheitsvorbeugung ein.
1982: Die Arbeitsgruppe überreicht dem Bun-
desrat den «Bericht über die Vorarbeiten zur
Schaffung eines Bundesgesetzes über Krank-
heitsvorbeugung». Die Arbeitsgruppe folgert
aufgrund der Situationsanalyse, dass eine
nationale Koordinationsfunktion des Bundes
notwendig ist, um Doppelspurigkeiten ab­
zubauen und die bestehenden Angebote bes-
ser zu koordinieren. Konkret schlägt sie
ein Bundesgesetz vor, das dem Bund in der
Prävention und Gesundheitsförderung eine
unterstützende Rolle zuweist.
1982/1983: Der Bericht wird an Kantone und
weitere relevante nationale und kantonale
Akteure zur Vernehmlassung geschickt. Die
Reaktionen sind unterschiedlich: Eine knappe
Mehrheit befürwortet die Schaffung eines
Bundesgesetzes, 70 der 144 eingegangenen
Antworten lehnen dieses ab. Insbesondere
die Kantone und die Wirtschaftsverbände
stehen dem Vorhaben aus staatspolitischen
Gründen kritisch gegenüber.
1984: Der Bundesrat beschliesst daraufhin,
die Vorarbeiten zu einem Präventivgesetz
einzustellen, und beauftragt stattdessen das
EDI, die Möglichkeiten zur Schaffung eines
schweizerischen Präventivfonds abzuklären.
1989: Die «Schweizerische Stiftung für Ge-
sundheitsförderung» (heute: «Gesundheits-
förderung Schweiz») wird gegründet.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück       8

1. Etappe: Bundesrat Pascal Couchepin bringt                   heitskosten einzudämmen, brauche es nationale Ziel-
den Stein ins Rollen                                           setzungen für die Gesundheitsvorsorge und eine
                                                               bessere Koordination der bestehenden A ­ ngebote.
 Die Vorarbeiten für das Präventionsgesetz fallen in           Im Frühjahr 2005 legt der Schweizerische Versiche-
 die Amtsperiode von Bundesrat Pascal Couchepin                rungsverband gemeinsam mit santésuisse in einem
 (FDP). Er hat sich zum Ziel gesetzt, das Gesundheits-         Positionspapier seine Sicht der Dinge dar.6 Die Ver­
 und Krankenversicherungssystem zu konsolidieren               sicherer nehmen verschiedene Resultate der späte-
 und zu optimieren. Unter dem Motto «Prävention                ren Analysen bereits vorweg, möchten den Bogen
 wirkt!» will Bundesrat Couchepin einen Paradig-               aber weiter spannen und in einer Neuorientierung
 menwechsel in der schweizerischen Gesundheits­                der Prävention sowohl den Kranken- wie auch den
 politik einleiten:4 Um den Versorgungsbereich zu              Unfallbereich koordinieren. Vorgeschlagen wird eine
entlasten, soll künftig vermehrt in die Gesundheits-           Entflechtung der Aufgaben der involvierten staatli-
förderung und Prävention investiert werden. 2004               chen und privaten Akteure. Deren Kompetenzen
erteilt das EDI dem BAG den Auftrag, die inhaltlichen          sollen neu auf drei Ebenen verteilt werden: Auf
                                                               ­
Voraussetzungen und die politische Machbarkeit                 Ebene I würde der Bund seine Aufsichtspflichten
­eines Präventionsgesetzes zu prüfen.5                         wahrnehmen und im Zusammenspiel mit den Kan­
 An der Veranstaltung «Trendtage Gesundheit» im                tonen Zielvorgaben formulieren. Auf Ebene II würden
 Februar 2005 lanciert Bundesrat Couchepin die Idee            zwei private Präventionsagenturen die Mittelverwen­
 eines Präventionsgesetzes: Um die hohen Gesund-               dung bewirtschaften. Agentur A wäre für Mittel zu-

    VORSCHLAG DER AUFGABENENTFLECHTUNG

Ebene I                                                                            Bund

Aufsichtspflicht Zielvorgaben für Kantone

Ebene II                                                     Agentur A
                                                        Gesundheitsförderung
                                                                                                 Agentur B
                                                                                             Nichtberufsunfall-
                                                                                               prävention und
                                                                                             Verkehrssicherheit
Verwaltung der Finanzmittel

Ebene III                                                       Kantone                          Versicherer

Durchführung

4
  v gl. Abschlussrede von Pascal Couchepin, Medienkonferenz des Bundesrates vom 28.10.2009, online: www.tv.admin.ch/de/
   archiv?video_id=189.
5
   Eine Überprüfung der Transparenz und Koordination der Prävention und Gesundheitsförderung forderten u.a. die Inter­
     pellation Gysin (04.3705 vom 16. Dezember 2004), das Postulat Humbel Näf (05.3161 vom 17. März 2005), das Postulat der
     Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit SR (05.3230 vom 3. Mai 2005).
6
    Der Autor war 2005 als Leiter Kranken- und Unfallversicherung beim Schweizerischen Versicherungsverband direkt
     involviert.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück          9

 gunsten der Gesundheitsförderung und der Krank-
 heitsprävention, Agentur B für Mittel zugunsten                     Die sieben Thesen zur Neuregelung von
 der Nichtberufsunfall­prävention und der Verkehrs­                  ­Prävention und Gesundheitsförderung
sicherheit zuständig. Die Durchführung der Mass-                      der Fachkommission PGF 2010
nahmen würde auf Ebene III angesiedelt, wo den
Versicherern und den Kantonen eine massgebende                       1. Rechtliche Verankerung von Prävention und
Rolle zukäme.                                                           Gesundheitsförderung im schweizerischen
Auffallend ist die Ähnlichkeit der von den Versiche-                    Gesundheitssystem
rern skizzierten Aufgabenverteilung auf drei Ebenen                  2. Umfassende Stärkung des Stellen­wertes
mit der im späteren Gesetzesentwurf vorgeschlage-                       von Prävention und Gesundheits­förderung
nen Lösung. Hingegen findet der vorgeschlagene                          im Alltag
Miteinbezug des Unfallbereichs bei den weiteren                      3. Anpassung der bestehenden rechtlichen
Vorbereitungsarbeiten für ein nationales Präven­                        Grundlagen und Schaffung neuer rechtli-
tionsgesetz keine Resonanz. Die Akteure im Bereich                      cher Grundlagen mit einheitlichen und um-
der Unfallprävention und der Verkehrssicherheit                         fassend geltenden Grundsätzen
können glaubhaft machen, dass in ihrem Bereich                       4. Koordination der Zusammenarbeit und
­offenbar kein Reformbedarf besteht.                                    Klärung von Auftrag, Kompetenzen und
 Noch im selben Jahr setzt Bundesrat Couchepin die                      Verantwortlichkeiten der einzelnen
 Fachkommission «Prävention + Gesundheitsförde-                         Akteure
 rung» (Fachkommission PGF 2010) ein. Sie erhält den                 5. Formulierung nationaler Ziele
 Auftrag, die politische Machbarkeit einer rechtlichen               6. Absicherung der Finanzierung durch
 Neuregelung von Prävention und Gesundheitsförde-                       adäquate, gegebenenfalls gesetzlich
 rung in der Schweiz zu prüfen. Die Kommission setzt                    geregelte Finanzflüsse
 sich aus Vertretern der Bundesverwaltung, der Kan-                  7. Berücksichtigung von Best Practices,
 tone, der Kranken- und Unfallversicherer, der Leis-                    systematische Evaluation von Gesundheits-
 tungserbringer sowie weiteren Experten zusammen.                       förderungsmassnahmen und Einsatz
 Vorsitzender ist Thomas Zeltner, damals Direktor                       von geeigneten Qualitätsmanagement­
 des Bundesamtes für Gesundheit. In wenigen Mona-                       instrumenten
 ten erarbeitet die Fachkommission den Bericht «Zu-
 kunft von Prävention und Gesundheitsförderung in
 der Schweiz». Darin wird eine umfassende Vision für
 die Gesundheitspolitik der Schweiz skizziert. Sieben            ­ ooperation von Bund, Kantonen, Gemeinden, Kran-
                                                                 K
 Thesen zur Neuregelung von Prävention und Gesund­               kenversicherern und weiteren Gesundheitsakteuren
 heitsförderung beschreiben die dazu notwendigen                 bei der Umsetzung der erforderlichen Massnahmen
 Massnahmen (siehe Kasten).                                      vorgeschlagen. Zu guter Letzt empfiehlt die Kom-
 Abschliessend formuliert die Fachkommission die                 mission die rechtliche Verankerung dieser Neu­
 Ziele, welche «sich bei entsprechendem politischen              orientierung.8
 Willen»7 in den kommenden Jahren umsetzen las-                  Es folgt eine Vernehmlassung zu diesen Vorschlä-
 sen. Primäres Ziel ist die «Neuorientierung der                 gen, welche zu rund 170 vorwiegend positiven Rück-
 schweizerischen Gesundheitspolitik» zur Stärkung                meldungen von Akteuren aus dem Gesundheits-, Bil-
 der beiden Bereiche Prävention und Gesundheits­                 dungs- und Sozialbereich führt. Die vorgeschlagene
 förderung. Weiter werden eine regelmässige Eva­                 Stärkung der Prävention und Gesundheitsförderung
 luation von nationalen Gesundheitszielen sowie die              wird mehrheitlich begrüsst und die erstmalige um-

7
  v gl. Bundesamt für Gesundheit (Hrsg.) (2006): Zukunft von Prävention und Gesundheitsförderung in der Schweiz. Bericht der
   Fachkommission «Prävention + Gesundheitsförderung» zuhanden des Eidgenössischen Departements des Innern, S. 28.
8
   ebd.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück       10

fassende rechtliche Regelung als dringlich erachtet.            2. Etappe: Die Ausarbeitung des Gesetzes­entwurfs
Erste kritische Einwände hingegen kommen von
Seiten der Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände.                Auch bei den verwaltungsinternen Vorarbeiten zum
Diese warnen vor einer Beschränkung der Eigenver-               Vorentwurf des Präventionsgesetzes ist man darum
antwortung und Wahlfreiheit der Bürger aufgrund                 bemüht, die wichtigsten Akteure schon früh mit
von übermässigen staatlichen Interventionen. Auch               einzubeziehen. Es finden informelle Hearings mit
                                                                ­
neue Aufgaben und Belastungen für die Unterneh-                 Kantonen, ausgewählten Organisationen und Insti­
men und die Wirtschaft werden befürchtet.9                      tutionen statt und punktuell werden verschiedene
Wenige Monate nach der Veröffentlichung des Be-                 Expertinnen und Experten angehört. Der Schweize-
richts der Fachkommission erhalten deren Empfeh-                rische Gewerbeverband lehnte «nach Sichtung der
lungen Bestärkung aus internationaler Perspektive:              detaillierten Unterlagen und der umfangreichen
                                                                ­
Der Länderbericht des OECD-Sekretariats und der                 Teilnehmerliste» eine Teilnahme am Hearing ab.11
Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Qualität und              Bereits zuvor formierte sich Widerstand von bürger-
Effizienz des schweizerischen Gesundheitswesens10               licher und gewerblicher Seite. Noch bevor der erste
zeigt die Stärken und Schwächen des schweizeri-                 Gesetzesentwurf ausgearbeitet ist, gründet der
schen Gesundheitssystems auf: Die Schweiz besitze               Schweizerische Gewerbeverband (sgv) im November
zwar eine qualitativ starke Gesundheitsversorgung,              2007 ein «Ad-hoc-Komitee der Wirtschaft für eine
habe aber auch überdurchschnittlich hohe Aus­­gaben             sinnvolle Alkoholpolitik» als Reaktion auf die zur
in diesem Bereich, so die Autoren. Als eine der wich-           Umsetzung des Nationalen Programms Alkohol
tigsten Kostensenkungsmassnahmen wird eine Ver-                 vorgeschlagenen Massnahmen. Dieser Schritt soll
besserung der staatlichen Steuerung des Gesund-                 zweifellos einem politischen Schiffbruch vorbeugen,
heitswesens vorgeschlagen – und zwar insbesondere               wie ihn die Tabakindustrie seit 2005 erlitten hat.12
im Bereich der Prävention und Gesundheitsförde-                 Im März 2008 reicht der Präsident des Schweizer
rung. Die WHO und die OECD schlagen der Schweiz                 Brauerei-Verbands, Markus Zemp (CVP), eine Inter­
die Erarbeitung eines Rahmengesetzes zur Stärkung               pellation ein, in der er vor Eingriffen in die Grund-
der Prävention und Gesundheitsförderung vor.                    rechte sowie «einer riesigen Präventions­maschinerie
Im Anschluss an die erwähnten Vorarbeiten beauf-                mit ungeahnten Kostenfolgen» warnt.13 Ende Mai
tragt der Bundesrat das EDI, bis zum Herbst 2008                2008 geht aus dem Komitee die «Allianz der Wirt-
einen Vorentwurf der rechtlichen Grundlagen sowie               schaft für eine massvolle Präventions­         politik»
einen erläuternden Bericht abzufassen.                          (AWMP) hervor. Die Allianz wird von über 20 Organi-
                                                                sationen getragen. Die gewichtigsten Gegner des
                                                                Präventionsgesetzes rekrutieren sich aus gewerbli-
                                                                chen Kreisen, insbesondere aus der Gastronomie,
                                                                der Hotellerie sowie dem Tabak- und Alkoholwaren-

 9
      vgl. Gerhard Enggist (2008): Keine Präventionsmaschinerie, in: info 3/2008, Schweizerischer Gewerbeverband sgv, S. 37.
10
     OECD, WHO (2006): OECD reviews of Health Systems: Switzerland 2006, online: www.oecd-ilibrary.org.
11
   vgl. Gerhard Enggist (2008): Keine Präventionsmaschinerie, in: info 3/2008, Schweizerischer Gewerbeverband sgv, S. 37.
12
   Zwischen Dezember 2005 (SBB-Züge werden rauchfrei) und März 2008 (Ständerat beschliesst Rauchverbot) sind
    ­Rauchverbote in der Schweiz flächendeckend zum Thema geworden; vgl. Raucher – Die neuen Schmuddelkinder, Radio
     SRF / Sendung «Input» vom 23.03.2008, online: www.srf.ch/player/radio/input/audio/raucher-die-neuen-
     schmuddelkinder?id=a1fbe4b3-dfef-408c-b96a-820f717c54a8.
13
     Zemp, Markus (2009): Präventionsmaschinerie des Bundesamtes für Gesundheit, Interpellation 08.3153 vom 19. März 2008,
      online: www.parlament.ch.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück      11

 ALLIANZ DER WIRTSCHAFT FÜR EINE MASSVOLLE PRÄVENTIONSPOLITIK

                                 Christlichdemokratische        ASCO Verband Schweizerischer                  Schweizerischer
                                 Volkspartei CVP                      Konzertlokale, Cabarets,                Stahl- und Haustechnik-
   Schweizerischer                                                 Dancings und Diskotheken                   handelsverband VSIG
                                        Schweizerischer
Gewerbeverband sgv
                                        Bauernverband SBV
                                                                            hotelleriesuisse                        Schweizer
                                             Schweizerische         GastroSuisse                                    Fleisch-
 economiesuisse                              Volkspartei SVP                                                        Fachverband SFF
                                                               Viscom
                                           Schweizerischer Verband für
     IG Freiheit                               visuelle Kommunikation                                                      Schweizer
                                                                              Schweizer                                    Casino
                                                                            Werbung SW                                     Verband
   Schweizerischer
Arbeitgeberverband
                            Erdöl-Vereinigung EV
                                                                   ALLIANZ DER
                                             Spiritsuisse
                                                                   WIRTSCHAFT             Swiss Retail
                          Schweizer                                                        Federation                VSG Verband
                   Brauerei-Verband                                                                                Schweizerischer
                                                                                                                  Getränkegrossisten
       Fédération suisse                                                           PHOTOMED – Solarien
          des vignerons                                     Swiss Cigarette
                                                            c/o Centre patronal        Verband Schweiz
           Schweizerischer
Spirituosenverband SSV/FSS                                               Vereinigung Schweizer
                                                                         Weinhandel VSW/ASCV
            Verband Schweizer
       Zigarrenfabrikanten VSZ       Vereinigung des                                                       Schweizerischer
                                    Schweizerischen                   Schweizerischer                    Bäcker-Konditoren-
                                   Tabakwarenhandels                  Obstverband SOV                    meisterverband SBKV

 handel. Während anfangs SVP, CVP und FDP als un-                       Die Rhetorik der Gegner verschärft sich zu­sehends.
 terstützende Organisationen auftreten, zieht sich die                  SVP-Vertreter Toni Bortoluzzi erkennt in der Vorlage
 FDP später aus der Allianz zurück.14                                   «totalitäre Züge» und die Gegner werfen dem BAG
Die Gründung der AWMP wird von den Initianten als                       vor, es verfolge einen «Präventionsfundamentalis-
«Reaktion auf den ausufernden Aktivismus des Bun-                       mus». In der Folge tritt eine zweite Lobbygruppe auf
desamtes für Gesundheit BAG in den Bereichen                            den Plan: Nur einen Monat nach Gründung der AWMP
­Alkohol, Tabak sowie Ernährung und Bewegung»15                         wird auf Initiative von Public Health Schweiz und der
bezeichnet. Zentrales Anliegen der Allianz ist der                      Gesundheitsligenkonferenz (GELIKO) die «Allianz
Kampf gegen das neue Präventionsgesetz. Die Alli-                       Gesunde Schweiz» lanciert. Die Allianz vereint an-
anz erkennt in den Bestrebungen für ein Präven­                         fangs 36, später über 50 Organisationen aus dem
tionsgesetz einen Versuch zur Institutionalisierung                     Gesundheitsbereich mit dem Ziel, Prävention und
staatlicher Eingriffe durch das BAG und befürchtet                      Gesundheitsförderung zu stärken.17 Damit stehen
neue Regulierungsmassnahmen.16                                          sich zwei bedeutende Allianzen gegenüber, welche

14
     ean-Martin Büttner (2010): Didier Burkhalter will schon präventiv keinen Streit bekommen, in: Tages-Anzeiger
    J
    vom 10. April 2010.
15
   vgl. Schweizerischer Gewerbeverband sgv (12.8.2009): Präventionsgesetz: Überflüssig! Medienmitteilung, online:
    www.awmp.ch/fileadmin/user_upload/deutsch/Medienkonferenzen/00_Medienmitteilung_sgv-AWMP.pdf.
16
   vgl. online: www.awmp.ch.
17
   vgl. online: www.allianzgesundeschweiz.ch.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück   12

      Verschärfte Rhetorik der Gegner des Präventionsgesetzes

      –– «Seit die Präventionsfanatiker vom Bundes-              bis ins Private hinein verfolgt.» in: «Flächen­
         amt für Gesundheit kurz vor dem Endsieg über            deckende Umerziehung», Weltwoche vom
         den Zigarettenrauch stehen und jetzt ihre               29.05.2008
         ­Geschütze zur Kontrolle der Essgewohnheit           –– «Versteckt hinter Prävention und Gesund­heits­
          der Schweizer in Stellung bringen (…)» –               förderung entsteht eine neue autoritäre
          Kolumnist Max Frenkel in: «Markenzeichen»,             Regierungsform, die wir mit der Annahme des
          NZZ am Sonntag vom 11.12.2005                          Präventionsgesetzes gutheissen werden.» –
      –– «Die Präventionsmaschine des Bundesamtes                Kurt Weber in: Bürger für Bürger, Nr. 11, Sep-
          für Gesundheit (BAG) läuft auf Volltouren.             tember 2011
          ­Dabei scheuen Thomas Zeltner & Co. in ihrem        –– «Die Schaffung einer Zentralbehörde im Sinne
           Aktivismus auch vor Manipulationen nicht              eines ‹Gesundheitskommissariats› oder
           ­zurück. Die Offensive der ‹Gesundheits-Taliban›      ­eines ‹Wohlfahrtsausschusses› mit allumfas-
            begann letztes Jahr (…)» – Patrick Lucca,             sender Direktivgewalt wäre ein Rückfall in
            ­Kommunikationschef SGV, in: News Schweize-           ­einen zentralistischen Zwangsstaat à la Jako-
             rischer Gewerbeverband vom 11.04.2008                 binerherrschaft unter Robespierre in Frank-
      –– «Wir werden künftig als geschlossene Kampf-               reich, à la DDR, UdSSR oder Nazi-Deutschland,
             front auftreten.» – Rudolf Horber, Mitglied           wo der Staat die intimsten Bereiche seiner
             ­Geschäftsleitung SGV und Geschäftsführer der         Bürger regulierte und bestimmte.» in: Zeit-
              AWMP, zum Präventionsgesetz, in: Blick vom           Fragen Nr. 37 vom 12.09.2011
              10.05.2008                                      –– «Wir haben zwar eine Schlacht, aber noch nicht
      –– «In den letzten Jahren ist eine gewaltige Prä-            den Krieg gewonnen.» – Ständerat Ivo Bischof-
              ventionsbewegung entstanden, die mit immer           berger nach Ablehnung des Präventionsgeset-
              grösseren staatlichen Mitteln und immer              zes in: Schweizerische Gewerbezeitung vom
              mehr gesetzlichen Instrumenten die Bürger            12.10.2012

eine eher bescheidene mediale Debatte prägen. Die-            Stärkung der Prävention und Gesundheitsförderung
se wird in der Folge polarisiert und emotionalisiert.         sowie eine damit einhergehende Verbesserung von
Die Neue Zürcher Zeitung beispielsweise bezeichnet            Steuerung, Koordination und Effizienz der bereits
später die politische Auseinandersetzung als «Glau-           bestehenden Massnahmen. Neu geschaffen werden
benskrieg um die Prävention».18                               soll ein national koordinierendes Institut, das die
Im Juni 2008 eröffnet der Bundesrat die Vernehm-              Qualitätssicherung der kantonalen Massnahmen
lassung zu den Vorentwürfen für das Bundesgesetz              sicherstellt und zwischen Bund und Kantonen koor-
über Prävention und Gesundheitsförderung (Prä­                diniert. Die Aufgaben der Stiftung Gesundheitsförde-
ventionsgesetz, PrävG) und für das Bundesgesetz               rung Schweiz sollen dabei an das neue Präventions-
über das Schweizerische Institut für Prävention und           institut übergehen.
Gesundheitsförderung. Vorgeschlagen werden eine

18
     Neue Zürcher Zeitung vom 13. April 2011.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück           13

ALLIANZ GESUNDE SCHWEIZ
                                                                              Föderation der Schweizer
                                                                                  Psychologinnen
                                                                               und Psychologen – FSP
                                             Schweiz. Akademie der Medizinischen                      Schweizerischer Verband
                                                          Wissenschaften – SAMW                       der Berufsorganisationen im
                                                                                                      Gesundheitswesen – SVBG
                                                 H+ Die Spitäler der Schweiz
                                                                                                         Assoziation Schweizer
                                                           Swiss Olympic                                 Psychotherapeutinnen und
                            GELIKO – Schweizerische
                                                              Association                                Psychotherapeuten – ASP
                           Gesundheitsligen-Konferenz
                  Schweiz.                          Schweiz. Gesellschaft für
      Alzheimervereinigung                                                                                   Physioswiss – Schweizer
                                                    Cystische Fibrose – CFCH
                                                                                                             Physiotherapie Verband
Schweiz. Gesellschaft
                                                        Rheumaliga Schweiz                                          PharmaSuisse,
  für Ernährung SGE
                                                                                                                    Schweizerischer
                                                             CardioVasc                                             Apothekerverband
Lungenliga Schweiz                                           Suisse     pro juventute
                                                                                                                      Schweizerische
    Krebsliga                                                Public Health                                            Zahnärzte-
     Schweiz                                                 Schweiz                                                  Gesellschaft

 Fachverband                                               Schweiz.                                                          Spitex
       Sucht                                               Herzstiftung                                                      Verband
                                                                    Travail                                                  Schweiz
           Schweiz.                                                 Suisse
Diabetesgesellschaft                                                                                                  Swiss Dental
                                                Aids-Hilfe                                                            Hygienists
     Schweiz. Gesellschaft
                                                Schweiz
   für Suchtmedizin SSAM
                                 Schweiz.                          ALLIANZ                                           Kollegium für
                               Blaues Kreuz                        GESUNDE                                           Hausarztmedizin
                                                                   SCHWEIZ                                           (KHM)
                                  Oncosuisse                                                                       Schweizerischer
                                                  Sucht
                                                 Schweiz                Schweiz.                                   Gewerkschaftsbund
        Sexuelle Gesundheit Schweiz
                                                                Drogistenverband
       Verband Zöliakie Schweiz                                                                                  CURAVIVA
                                                                    FMH Verbindung der Schweizer
         ABA Association                                                                                         Verband Heime und
                                                                              Ärztinnen und Ärzte
        Boulimie Anorexie                                                                                        Institutionen Schweiz
                                                               Selbsthilfe Schweiz
    Arbeitsgemeinschaft
Tabakprävention Schweiz                                                 aha! Allergiezentrum
                                                                        Schweiz
          Schweiz.                                                                   Ärztinnen und Ärzte
   Hebammenverband                                                                   für Umweltschutz
    Schweiz. Adipositas-                                                                 Schweiz. Fachverband Adipositas
         Stiftung SAPS                                                                   im Kindes- und Jugendalter – AKJ
     Schweizer Berufsverband                                                            Schweiz. Stiftung zur
     der Pflegefachfrauen und                                                           Förderung des Stillens
       Pflegefachmänner SBK
                                                                               Schweiz. Berufsverband für
     RADIX Schweizer Kompetenzzentrum                                          Angewandte Psychologie – SBAP
 für Gesundheitsförderung und Prävention
                                                                          Aktionsbündnis «Psychische Gesundheit»
                     Schweiz. Arbeitsgemeinschaft der
                                                                     Schweiz. Stiftung pro mente sana
                               Jugendverbände (SAJV)
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück       14

Statistische Auswertung der Stellungnahmen zum Präventionsgesetz

 Kategorie                                                 Zustimmung        Vorbehalte/­     Ablehnung             Total
                                                                          grundsätzliche
                                                                          Überarbeitung
 Kantone                                                            19                 5               2                  26
 Interkantonale Organisationen                                       5                 1               –                   6
 Städte und Gemeinden                                                4                 1               –                   5
 Eidgenössische Kommissionen                                        12                 –               –                  12
 Parteien                                                             5                1               2                   8
 Gewerkschaften                                                       3                –               –                   3
 Wirtschafts- und Branchenverbände                                    5                7              23                  35
 Präventions- und Gesundheitsorganisationen                         48                 2               1                  51
 Versicherer und Institutionen des Gesundheits­
 wesens                                                             13                 1               –                  14
 Berufs- und Standesorganisationen                                  28                 2               –                  30
 Universitäten, Fachhochschulen und Forschungs­
 institutionen                                                      12                 –               –                  12
 Weitere Organisationen                                             16                 –               –                  16
 Private                                                              3                –               –                   3
 Total                                                             173                20              28                 221

Sämtliche Kantone, acht politische Parteien und                 zeigt, dass der Mehrheit der Befürworter von Anfang
über hundert Organisationen nehmen am Vernehm-                  an eine Gruppe einflussreicher Gegner gegenüber-
lassungsverfahren teil (vgl. Tabelle19). Die Reaktio-           steht: zwei Parteien (SVP, EDU) und 23 Wirtschafts-
nen sind statistisch gesehen erneut überwiegend                 verbände (u.a. der Schweizerische Arbeitgeber­
positiv: Annähernd drei Viertel der Vernehmlas-                 verband und der Schweizerische Gewerbeverband)
sungsteilnehmenden begrüssen den Vorschlag des                  lehnen die Vorlage für ein Präventionsgesetz ab. Die
Bundesrates, Prävention und Gesundheitsförderung                Argumentation folgt jener der AWMP: Das Vorhaben
in der Schweiz rechtlich zu verankern. Darunter auch            wird als unnötig, überflüssig und als zu teuer er­
die Mehrheit der Kantone (19 von 26) sowie der Par-             achtet.
teien (CSP, EVP, FDP, GPS, SP). Auch das ­geplante              Neu rückt auch auch die Schaffung eines «Schwei­
Institut für Prävention und Gesundheits­    förderung           zerischen Instituts für Prävention und Gesundheits-
stösst bei einer Mehrheit auf Zustimmung: Die                   förderung» in den Fokus der Kritiker: Dessen Finan-
Schaffung eines nationalen Kompetenzzentrums                    zierung wird als problematisch erachtet. Auch ist der
für Prävention und Gesundheitsförderung in Form                 Kompetenzbereich des Instituts für viele Gegner
einer öffentlich-rechtlichen Anstalt wird in 133 von            noch zu unscharf umrissen. Kritisiert wird insbe­
197 Stellungnahmen befürwortet.                                 sondere, dass dem Institut nebst seiner Funktion
Diese positive statistische Auswertung des Ver-                 als Kompetenzzentrum auch Zuständigkeiten bei der
nehmlassungsverfahrens wird jedoch durch eine                   Verteilung der Einnahmen aus den Präventionsabga-
politische Gewichtung der Antworten relativiert. Sie            ben (Tabakpräventionsabgabe und Zuschlag auf der

19
     v gl. Bundesamt für Gesundheit (2009): Vorentwurf Bundesgesetz über Prävention und Gesundheitsförderung und
      Vorentwurf Bundesgesetz über das Schweizerische Institut für Prävention und Gesundheitsförderung, Ergebnisse des
      Vernehmlassungsverfahrens (25. Juni bis 31. Oktober 2008), Februar 2009, S. 11, online: www.bag.admin.ch/themen/
      gesundheitspolitik/07492/07494/index.html?lang=de.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück        15

KVG-Prämie) eingeräumt werden sollen und dass                    3. Etappe: Die Gesetzesvorlage auf der Kippe
die Zusammensetzung des Institutsrates noch offen
gelassen wird. Die Gegner befürchten eine zu grosse              Ende September 2009 verabschiedet der Bundesrat
Beeinflussung des Instituts durch das Bundesamt                  die Botschaft und den Gesetzesentwurf zuhanden
für Gesundheit.                                                  der eidgenössischen Räte. An den meisten Bestim-
Die Schaffung eines Bundesinstitutes bezweckte die               mungen des Vorentwurfs wird trotz Kritik in der Ver-
Vereinfachung der Präventionsstrukturen auf Bun-                 nehmlassung festgehalten: Der Bundesrat strebt die
desebene, also eine Zusammenführung der heute                    gesetzliche Verankerung der Gesundheitsförderung
auf BAG, Gesundheitsförderung Schweiz und den                    und Prävention, entsprechende nationale Ziele und
Tabakpräventionsfonds aufgeteilten Aufgaben in ei-               eine bundesrätliche Strategie sowie die Schaffung
ner Institu­tion. Die Stiftung Gesundheitsförderung              eines national koordinierenden Kompetenzzentrums
Schweiz sollte ihres gesetzlichen Auftrags und der               (das Präventionsinstitut) an.
entsprechenden Einnahmen entbunden werden. Der                   Die Umsetzung der Vorlage soll haushaltneutral er-
Bundesrat stützte diesen Entscheid auf seine gelten-             folgen. Bei einem Anstieg des Mittelbedarfs für die
den Corporate-Governance-Richtlinien, welche für                 Präventionsanstrengungen ist innerhalb eines be-
die Schaffung einer öffentlich-rechtlichen Institution           stimmten Rahmens eine durch den Bundesrat fest-
sprachen. Daneben war die damalige Unzufrie­den­                 zulegende Erhöhung des aktuell bei CHF 2.40 pro
heit der Politik mit der Stiftung womöglich ein zusätz­          Person und Jahr liegenden KVG-Prämienzuschlags
liches Argument für die vorgeschlagene Lösung.20                 vorgesehen. Befürworter und Gegner melden sich
                                                                 kurz nach der Publikation der Botschaft zu Wort. Ins-
                                                                 besondere die Finanzierungsfrage ist stark umstrit-
                                                                 ten – die Kritiker warnen vor einem ungeregelten
                                                                 Anstieg der Prämienzuschläge. Dabei wird über­
                                                                 sehen, dass die geltende Regelung, wonach der
                                                                 Vor­steher des Eidg. Departements des Innern auf
                                                                 Antrag der Stiftung die Höhe des Prämienzuschlags
                                                                 festlegen kann, bedeutend weiter geht. Bereits vor
                                                                 der Verabschiedung der Gesetzesvorlage durch den
                                                                 Bundesrat künden der Schweizerische Gewerbever-
                                                                 band (SGV) und die Allianz AWMP an einer Medien-
                                                                 konferenz an, dass sie bei einer Annahme der Ge­
                                                                 setzesvorlage ein Referendum prüfen werden.21
                                                                 Zunehmend wird auch Kritik am Vernehmlassungs-
                                                                 verfahren laut. Nationalrat Edi Engelberger (FDP)
                                                                 fordert den Bundesrat mit einer Interpellation zu
                                                                 einem «Übungsabbruch» auf und hält fest, dass «die
                                                                 wohl begründeten Bedenken der Wirtschaft gegen
                                                                 dieses neue, überflüssige Gesetz praktisch vollstän-

20
    v gl. Motion Rossini (04.3559) unter dem Titel «Gesundheitsförderung Schweiz. Änderung der Praxis»; Postulat (05.3474)
     Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit NR unter dem Titel «Gesamtstrategie für die Stiftung Gesundheits­
     förderung Schweiz»; Interpellation (06.3776) Menétrey-Savary / Teuscher unter dem Titel «Probleme bei der Stiftung Gesund-
     heitsförderung Schweiz».
21
   Schweizerischer Gewerbeverband sgv (12.08.2009): Nein zu mehr Staat: Warum allen verordnen, was nur Einzelne betrifft,
    online: www.sgv-usam.ch/fileadmin/user_upload/deutsch/2009/Medienkonferenzen/09-08-12_Präventionsgesetz/
    02_Referat_Bigler.pdf.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück     16

   CHRONOLOGIE PARLAMENTARISCHE BERATUNGEN

              2010
              MÄRZ: SGK-N tritt auf
                                              2011
                                              MÄRZ: SGK-N stimmt
                                                                                   2012
                                                                                   JANUAR: SGK-N hält am Präventions-
              das Präventionsgesetz ein       dem Präventionsgesetz zu             gesetz fest (16:9 Stimmen)
NATIONALRAT

              (13:7 Stimmen)                  (12:10 Stimmen)
                                                                                   MÄRZ: Nationalrat bleibt beim Ja zum
                                              APRIL: Nationalrat stimmt            Präventionsgesetz (106:79 Stimmen)
                                              dem Präventionsgesetz zu
                                              (97:71 Stimmen)                      SEPTEMBER: Nationalrat: Beschluss
                                                                                   gemäss Antrag der Einigungskonferenz
                                                                                   (105:70 Stimmen)

              2010                            2011                                 2012

              2010                            2011
                                              MAI: SGK-S tritt auf Präventions-
                                                                                   2012
                                                                                   APRIL: SGK-S beantragt
              SEPTEMBER: SGK-S
              (14:8 Stimmen) verzichtet auf   gesetz ein (7:6 Stimmen)             Eintreten auf Präventionsgesetz
STÄNDERAT

              «Präventionsinstitut»,                                               (7:6 Stimmen)
              Neupositionierung Stiftung      SEPTEMBER: SGK-S (8:0 Stimmen)
              Gesundheitsförderung Schweiz    will Krankheitsbegriff enger         JUNI: Ständerat tritt auf
                                              als Nationalrat definieren           Präventionsgesetz ein
                                                                                   (Stichentscheid bei 21:21 Stimmen)
                                              NOVEMBER: SGK-S stimmt
                                              Präventionsgesetz zu (7:4 Stimmen)   SEPTEMBER: Ständerat: Der Antrag
                                                                                   der Einigungskonferenz wird abgelehnt
                                              DEZEMBER: Ständerat lehnt            (22:19 Stimmen)
                                              Einteten auf Präventionsgesetz
                                              ab (20:19 Stimmen)

 dig in den Wind geschlagen» wurden.22 Auch in einer           Instituts für Prävention und Gesundheitsförderung
 Medienmitteilung der AWMP heisst es: «Das Eidg.               wird verzichtet, stattdessen soll die Stiftung Gesund-
 Departement des Innern gibt zu, dass das neue Prä-            heitsförderung Schweiz neu positioniert werden und
 ventionsgesetz von einer Mehrheit der Wirtschafts-            zusätzliche Kompetenzen erhalten. Sie soll künftig
 verbände kritisch beurteilt wurde. Diese Einwände             mit der Unterstützung des BAG die nationalen Prä-
 wurden von den Behörden zwar zur Kenntnis genom-              ventionsprogramme der stark verbreiteten nicht
 men, aber kaum oder gar nicht berücksichtigt.»23              übertrag­ baren Krankheiten koordinieren und ge-
 Im Laufe der parlamentarischen Beratungen im                  meinsam mit den Kantonen Massnahmen erarbeiten
 Nationalrat wird der Gesetzesentwurf immer weiter             und umsetzen. Bundesrat Didier Burkhalter, welcher
 abgeschwächt. Am 12. April 2011 entscheidet sich              in der Zwischenzeit das Dossier von seinem Vor­
 der Nationalrat mit einer knappen Mehrheit zur                gänger und Parteikollegen Pascal Couchepin über-
 Annahme einer revidierten Version der Gesetzes­               nommen hat, favorisiert diese Variante, welche auch
 vorlage: Auf die Schaffung e­ ines Schweizerischen            vom Gesamtbundesrat unterstützt wird. In den Be-

 22
     ngelberger, Edi (8.12.2009): Neues Präventionsgesetz. Übungsabbruch. Interpellation. online: www.parlament.ch/d/­
    E
    suche/seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=20094083.
 23
    Schweizerischer Gewerbeverband sgv (30.9.2009): Präventionsgesetz: sgv erwägt Referendum. online: www.sgv-usam.ch/
     nc/content/detailansicht/archive/2009/09/30/article/praeventionsgesetz-sgv-erwaegt-referendum-310.html.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück        17

ratungen des Nationalrates wird zudem festgelegt,               Nationalrat und gelangt nun in sozialdemokratische
dass die Stiftung dem Parlament alle vier Jahre mit             Hände: Knapp eine Woche nach dem Entscheid des
einem nationalen Gesundheitsbericht über die Wirk-              Ständerates wird Alain Berset zum Bundesrat ge-
samkeit der Präventionsprogramme Rechenschaft                   wählt. Er übernimmt das Departement des Innern.
ablegt. Die vom Nationalrat beschlossenen Ände-                 Der Nationalrat hält nach einer Bekräftigung durch
rungen dürfen wohl als Vertrauensbeweis zuguns-                 die SGK-N an seinem Ja zum Präventionsgesetz (106
ten von Gesundheitsförderung Schweiz gewertet                   zu 79 Stimmen) fest, der Ständerat hingegen ent-
werden. Offensichtlich konnte sich die Stiftung in den          scheidet nur knapp – mit einem Stichentscheid des
wenigen Jahren seit Beginn der Arbeit am Präven­                Ratspräsidenten – überhaupt auf die Vor­lage ein­
tionsgesetz rehabilitieren. Sicherlich spielten auch            zutreten. Die Nationalratskommission zeigt sich in
andere Überlegungen eine Rolle, zum Beispiel dass               der Folge kompromissbereit und kommt dem Stän-
sich neben der Stiftung keine geeignete Alternative             derat in allen Punkten entgegen: So verzichtet der
anbot.                                                          Nationalrat auf die Gesundheitsfolgenabschätzun-
Die Kommission des Ständerates folgt weitgehend                 gen, welche dem Bundesrat erlauben sollten, die
dem Nationalrat, erteilt der Verwaltung aber unter              Auswirkungen von ausgewählten öffentlichen Pro-
anderem den Auftrag, einen Bericht zum Zusam-                   jekten auf die Gesundheit der Bevölkerung zu er­
menspiel von Präventionsgesetz und Alkoholgesetz                mitteln.
bezüglich Alkoholprävention zu erarbeiten und                   Am 26. September 2012 entscheidet die Einigungs-
Massnahmen zur künftigen Handhabung des Tabak-                  konferenz mit 16 zu 10 Stimmen, am Entscheid des
präventionsfonds aufzuzeigen.24 Abweichend vom                  Nationalrats (Lösen der Ausgabenbremse25) festzu-
Nationalrat beschliesst die Kommission eine An­                 halten. Obschon der Ständerat mit 22 zu 19 Stimmen
passung zur Stärkung der Koordinationsfunktion der              den Antrag der Einigungskonferenz a ­ nnimmt, bleibt
bundesrätlichen Strategie. Es sollen auch Finanzhil-            das nötige Quorum für die Lösung der Ausgaben-
fen für Präventionsaktivitäten, die aufgrund anderer            bremse aus, womit die Vorlage definitiv versenkt
Gesetze gesprochen werden, besser gesteuert wer-                wird. Weil das Geschäft die Schaffung eines neuen
den können. Über die Verwendung des Alkoholzehn-                Subventionstatbestands beinhaltet, müsste die
tels entscheiden allerdings weiterhin die Kantone,              Mehrheit der 46 Ratsmitglieder zustimmen – zwei
da deren Zuständigkeit auf Verfassungsstufe fest­               fehlende Stimmen geben den ­Ausschlag. Das konti-
gelegt ist. Mit einer grossen Mehrheit beantragt die            nuierliche Lobbying der KMU-Verbände konnte somit
Kommis­  sion, den vorher bereits vom Nationalrat               erfolgreich eine deutliche Mehrheit in den bürgerli-
gesenkten Maximalbetrag für den KVG-Prämienzu-                  chen Parteien halten und genügend Gegner rekrutie-
schlag noch einmal zu reduzieren und bei 0,075 Pro-             ren.26 Ständerat Urs Schwaller (CVP) gibt nach der
zent festzu­ legen. Dies entspricht zu diesem Zeit-             Abstimmung zu Pro­tokoll, dass man die Lösung der
punkt dem B ­ etrag von CHF 3.36.                               Ausgabenbremse nicht aus Kostengründen verwei-
Am 8. Dezember 2011 beschliesst der Ständerat mit               gert habe, sondern aufgrund prinzipieller Vorbehalte
20 zu 19 Stimmen, nicht auf das Präventionsgesetz               gegenüber einer ausufernden Regulierung und Be-
einzutreten. Damit geht die Vorlage zurück an den               vormundung des Bürgers.

24
      ommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (2011): SGK unterstützt Prämienbefreiung für Kinder
     K
     im KVG, Medienmitteilung vom 7. September 2011, online: www.parlament.ch/d/mm/2011/Seiten/mm-sgk-s-2011-09-
     07.aspx.
25
    Die Ausgabenbremse kommt immer dann zum Zug, wenn eine Bestimmung zu neuen einmaligen Ausgaben von mehr als
     20 Millionen Franken oder zu neuen wiederkehrenden Ausgaben von mehr als 2 Millionen Franken führt. Sie kann nur
     mit Zustimmung der Mehrheit der 46 Ratsmitglieder gelöst werden.
26
   vgl. Ständerat verhindert Präventionsgesetz, in: Geliko News 5/2012, Oktober 2012, online: www.geliko.ch. Für eine Über-
    sicht der Lobbygruppen in den Gesundheitskommissionen von National- und Ständerat siehe: «Der Befangenenchor.
    Lobbyisten in Bundesbern», in: Beobachter 21/2012 vom 12. Oktober 2012, online: www.beobachter.ch/justiz-behoerde/
    buerger-verwaltung/artikel/lobbyisten-in-bundesbern_der-befangenenchor/.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück     18

Lehren aus der Geschichte des Präventions­                   schliesslich über die Ausgabenbremse gestolpert,
gesetzes                                                     obwohl der Gesetzestext selber eine Mehrheit ge-
                                                             funden hat».27
Dass ein Gesetz, welches den effizienteren Einsatz           Selbst nachdem dem Gesetz sämtliche Zähne ge­
der verfügbaren Mittel in der Gesundheitsförderung           zogen worden waren, ebbte der Widerstand aus
und Prävention ermöglichen sollte und keine zusätz-          ­gewerblichen Kreisen nicht ab. Ein Teil der Kritik
lichen Ausgaben vorsah, an der Ausgabenbremse                 richtete sich auch gegen das BAG: Aus den ­Voten der
scheitert, entbehrt nicht ­einer gewissen Ironie. Der         Gewerbevertreter geht hervor, dass sie die Ableh-
Entscheid erscheint umso paradoxer angesichts der             nung des Präventionsgesetzes als Etappensieg im
Tatsache, dass schon vergleichsweise geringe Inves-           Kampf gegen die «Regulierungswut» der Behörden
titionen in die Prävention und Gesundheitsförderung           verstehen. Dieser Aspekt ist womöglich höher zu
zu den wirksamsten Mitteln gegen den Kosten­                  gewichten als die Vorbehalte gegen die Präventions-
anstieg im Gesundheitswesen gehören. Mit der Ab-              arbeit. Jedenfalls konnten mit dem Argument der
lehnung des Präventionsgesetzes wurde die Chance              Überregulierung offenbar auch Teile der Wirtschaft
verpasst, die Prävention nicht übertragbarer Krank-           gegen das Gesetz mobilisiert werden, die keine
heiten wie Krebs, Diabetes oder psychischer Leiden            unmittelbaren wirtschaftlichen Interessen bedroht
rechtlich abzusichern und Prävention und Gesund-              sahen.
heitsförderung als vierte Säule im schweizerischen            Das Medienecho zum Präventionsgesetz ist insge-
Gesundheitssystem zu verankern.                               samt bescheiden ausgefallen. Dies hängt wahr-
Aus den drei geschilderten Etappen lässt sich her-            scheinlich mit dem blassen Inhalt eines reinen Ko­
auslesen, dass weniger die Idee für ein nationales            ordinationsgesetzes zusammen. Die Polemik der
Präventionsgesetz problematisch war, als vielmehr             Gegnerschaft wurde von den Medien bereitwillig
die politische Diskussion dieser Vorlage. Denn ob-            aufgenommen, denn sie brachte Leben in die Diskus-
schon sowohl National- als auch Ständerat das Vor-            sion. Doch wurde dadurch die Berichterstattung
haben mehrheitlich begrüssten, dominierte schliess-           auch recht einseitig. Die mächtige AWMP wurde
lich die Gegnerschaft die Diskussion: Durch ein               kaum je auf ihre Intentionen hin geprüft. Allein
gezieltes Lobbying gelang es der «Allianz der Wirt-           schon deren Zusammensetzung hätte eine kritische
schaft für eine massvolle Präventionspolitik», die            Würdigung verdient. Geschickt gelang es der Allianz
Diskussion über konkrete Massnahmen auf eine                  zu verschleiern, dass ihre Mitglieder – Akteure aus
ideologische Ebene zu ziehen. Es wurde nicht mehr             der Tabak-, Spirituosen- und Gastroindustrie – nicht
über die Koordination der Präventionsbemühungen               interessiert waren an einer effizienten Präventions-
und einen effizienteren Mitteleinsatz gesprochen,             politik, sondern klar eigennützige Ziele verfolgten.
sondern über den überbordenden Staatsinterven­                Eine Mehrheit des Parlaments, der Kantone und
tionismus und die Beschneidung der individuellen              der Organisationen im Gesundheitsbereich hatte
Freiheit. Die Befürworter haben es verpasst, den
­                                                             das G­ esetz befürwortet. Daneben unterstützte auch
unzulässigen Vereinfachungen mit fachlich fundier-            economiesuisse nach anfänglichem Widerstand die
ten Stellungnahmen den Wind aus den Segeln zu                 Vorlage und sprach sich gegen Ende der parlamen-
nehmen.                                                       tarischen Verhandlungen klar für eine starke Prä-
FDP-Ständerat Felix Gutzwiller bemerkte in ­einem             ventionspolitik aus.28 Diese Haltung entsprach auch
Interview im Anschluss an die Schlussabstimmung              der öffentlichen Meinung: In einer repräsentativen
im Parlament: «Es hat keine faktenbasierte Argu-             Um­  frage von Gesundheitsförderung Schweiz sind
mentation mehr stattgefunden (…) Das Gesetz ist so           77 Prozent der Befragten der Meinung, dass Bund

27
     ünf Fragen an Felix Gutzwiller, in: Bundesamt für Gesundheit (2012): Spectra. Newsletter Gesundheitsförderung und
    F
    ­Prävention, Nr. 95, S. 2.
28
   http://www.economiesuisse.ch/de/themen/wb/gesundheit/seiten/_detail.aspx?artID=WN_praeventionsgesetz_20120928.
Das gescheiterte Präventionsgesetz: ein Lehrstück      19

 KOSTEN UND AUSGABEN PRÄVENTION UND GESUNDHEITSFÖRDERUNG 2011

                                                   1,43 Mrd Fr.

     564,6
        Mio Fr.
                            338,8
                               Mio Fr.
                                                       266,5
                                                          Mio Fr.
                                                                                   143,2
                                                                                      Mio Fr.
                                                                                                            121,1
                                                                                                               Mio Fr.

        Private:                Sozial-                  Kantone                      Bund                   Gemeinden
       Haushalte/           versicherungen
     Organisationen

und Kantone die Gesundheit mit Aufklärungskampa-               werden. Vielmehr müssen sich die Akteure im Prä­
gnen, Programmen, Aktionen und Geld fördern sol-               ventions­bereich die Frage stellen, ob ihre Medien-
len. Die Schweizer Bevölkerung würde im Schnitt                und Politikarbeit den heutigen Ansprüchen genügt.
51 von 100 Franken für Gesundheitsförderung und                Mit der kurz vor der Schlussabstimmung zum Prä-
Prävention und lediglich 49 Franken für Behand­                ventionsgesetz angesetzten Volksabstimmung über
lungen ausgeben29. Diese breite Unterstützung der              die Ini­tiative zum Schutz vor Passivrauchen wurde
Gesundheitsförderung und Prävention konnte zu                  zudem dem über­     geordneten Anliegen ein Bären-
wenig zum Ausdruck gebracht werden. Es entstand                dienst erwiesen.
der Eindruck, dass einzig das Bundesamt für Ge-                Eine Rolle gespielt haben mag auch die Zurückhal-
sundheit und Vertreter aus dem rot-grünen Lager                tung der unterstützenden Kräfte aus den Reihen der
die Einführung eines nationalen Präventionsgeset-              Krankenversicherer und der Leistungserbringer im
zes befürworteten.                                             Gesundheitswesen. Sie haben nicht ihr volles politi-
Die Mängel in der Berichterstattung mögen mit                  sches Gewicht in die Diskussion gelegt. Die Kran­
den hohen Marketingbudgets der Alkohol- und Tabak­             kenversicherer beispielsweise unterstützten das
industrie und deren Einfluss auf die Medienwelt                Präventionsgesetz nur unter dem Vorbehalt, dass
zusammenhängen, wie vermutet wurde.30 Dieser                   die Ausgaben für Prävention nicht steigen oder auf
Aspekt darf jedoch aufgrund der weitgehenden Un-               die Krankenkassen übertragen werden.31 Über die
abhängigkeit der Redaktionen nicht überbewertet                Gründe für diese Zurückhaltung kann nur speku-

29
     esundheitsförderung Schweiz (2013): Breite Akzeptanz der öffentlichen Gesundheitsförderung, Medienmitteilung vom
    G
    30.04.2013, online: www.gesundheitsfoerderung.ch/pages/news/medienmitteilungen/2013/2013_04_30_Polyquest.php.
 Sucht Schweiz (2008): Kühl kalkulierte Beleidigung, Medienmitteilung vom 25. April 2008, online: www.suchtschweiz.ch/
30

    aktuell/medienmitteilungen/archiv/article/kuehl-kalkulierte-beleidigung/.
31
   santésuisse (2012): Sommersession 2012. Empfehlungen von santésuisse, online: www.santesuisse.ch/datasheets/
    files/201205111454590.pdf.
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