IM ORT GEBRAUT, GEMEINSAM GETRUNKEN - Ein kurzer Blick in die lange Geschichte der Eberstädter Brauereien - Dotter ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
IM ORT GEBRAUT, GEMEINSAM GETRUNKEN – Ein kurzer Blick in die lange Geschichte der Eberstädter Brauereien Von Sabine und Boris Halva 1 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
Impressum: Sabine und Boris Halva: „Im Ort gebraut, gemeinsam getrunken - ein kurzer Blick in die lange Geschichte der Eberstädter Brauereien Drucklegung: 08/2020 Die vorliegende Arbeit ist im Zuge der ersten Staffel der Eberstädter StadtteilHistoriker entstanden. „StadtteilHistoriker – Bürger, die Geschichte schreiben“ ist ein Projekt der Hans Erich und Marie Elfriede Dotter-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main und dem Darmstädter Echo 2018-2019 2 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Die Quellenlage – Ein Überblick 6 2.1. Gedrucktes 7 2.2. Fassaden, Hinterhöfe und Ackerfunde 9 3. Alles fließt – Wein, Wasser und Bier 10 3.1. Der Wein 10 3.2. Das Wasser 12 3.3. Das Bier 13 4. Ehrenwerte Häuser – Eberstadts Brauereien im 18., 19. und 20. Jahrhundert 16 4.1. Ein Haus steht an der Ecke – Zum Deutschen Hof 16 4.2. Hilß bleibt Hilsz – Das Brauhaus mit Gaststube „Zur Güldenen Cron“ 17 4.3. Letzte Rast vorm Tal – Die Brauerei zum Mühltal 19 4.4. Brauerei mit Wirtsgarten – das Gasthaus „Zum Schützenhof“ 20 4.5. Der Saal der Wahl – das Gasthaus „Zum Schwanen“ 22 4.6. Jacob, Jakob, Diefenbach? – das Haus in der Oberstraße 16 23 4.5.1. Ein Schiff wird kühlen – das Kühlhaus im Hinterhof 25 4.6.2. Und noch ein Name? – die Dörner-Diefenbach’sche Brauerei 27 5. Hopfen und Malz verloren? – Das Ende der Brauereien in Eberstadt 28 6. Literatur und Quellenangaben 30 3 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
1. Einleitung Seit einigen Jahren wird vielerorts über neu gegründete Mikrobrauereien berichtet, die sich auf alte Werte und Herstellungsverfahren berufen. Dabei es ist gerade einmal 100 Jahre her, da gehörten kleine Brauereien in Eberstadt zum Stadtbild wie heute Restaurants, Bäckereien und Metzgereien. Und Hinweise, dass es in Eberstadt einst mehrere kleine Brauereien gegeben haben muss, finden sich beim Gang durchs Städtchen gewissermaßen im Vorbeigehen: Etwa im Hof hinter dem Haus der Vereine in der Oberstraße, wo bis heute ein Brauhaus mitsamt Kühlhaus steht, unter dem man in ein Gewölbe hinabsteigen kann, in dem einst Bier gelagert worden sein soll. Und gäbe es die Gaststube der Brauerei Hilsz (oder auch: Hilß) am einstigen „Hilße-Eck“ noch, so wäre diese sicher auch heutzutage ein gern besuchter Ort – und das nicht nur, weil sie an der Ecke Pfungstädter Straße und Heidelberger Landstraße so zentral gelegen wäre. All diese Geschichten und Gebäude hatten unsere Neugier schon geweckt, als die Stipendien für die erste Staffel der „Eberstädter StadtteilHistoriker“ ausgeschrieben wurden. Also bewarben wir uns mit der Idee, die Geschichte der Eberstädter Brauereien unter kundiger Begleitung aufzuarbeiten, um eines der Stipendien. Ziel der vorliegenden Arbeit war es zunächst, die Informationen zur Geschichte der Eberstädter Brauereien, die über die verschiedenen vorliegenden Publikationen verstreut vorlagen, zu bündeln. Es sollte aber nicht nur das Niedergeschriebene zu einzelnen Brauereien hinsichtlich der Dauer ihres Bestehens und ihrer Größe zusammengetragen, sondern auch der Versuch unternommen werden, etwas über den Charakter des jeweiligen Betriebes – heute würde man wohl Markencharakter sagen – herauszufinden. Es bestand darüber hinaus die Hoffnung, in den Archiven nicht nur Verweise auf die damaligen Gaststätten und deren Betreiber (deren persönliche Geschichten ja wiederum auch ein Stück Stadtgeschichte wären) zu entdecken, sondern möglicherweise auch Rezepte. Doch zu letztgenanntem Punkt war weder in den Archiven der Gemeinde oder den historischen Gewerbeamtsverzeichnissen noch den anderen, im Hessischen Staatsarchiv hinterlegten Dokumenten etwas zu finden. Es gibt zwar noch vereinzelt alte Krüge, Bügelflaschen oder Bierdeckel, aber eben keine Eberstädterinnen oder Eberstädter mehr, die sich aus eigenem Erleben an die Brauereien erinnern können. Zwei Geschichten, erzählt von den Nachfahren der alteingesessenen Familien Dächert und Pfeiffer, konnten wir im Zuge der Recherchen für diese Arbeit aufschnappen: So soll es an der Wartehalle eine kleine Brauerei mit Wirtshaus gegeben haben. Und im Hirtengrund, etwa dort, wo heute die Sporthalle steht, soll nahe der Modau ein Biergarten gewesen sein, der von der Brauerei „Zum Mühltal“ bewirtet wurde. Abgesehen von diesen mündlichen Überlieferungen bleibt als einzig realer Verweis auf lokale Bier-Besonderheiten ein Zitat aus einer Publikation von Georg Wilhelm Justin Wagner, der im Jahr 1829 schrieb, in Eberstadt werde „vieles und vorzügliches Bier, 5 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
darunter eine Art Porterbier gebraut“ 1. Ein Porter ist meist ein eher dunkles Bier und zeichnet sich dadurch aus, dass es stark gehopft wird und dementsprechend herb ist. Porterbiere wurden in Großbritannien bereits im 18. Jahrhundert gebraut und waren vor allem bei Lastträgern beliebt. Da diese im Englischen Porter heißen, geht Martin Cornell in seinem Buch „Beer. The Story of the Pint“ 2 davon aus, dass sich der Name daher ableitet. Im 19. Jahrhundert breitete sich das Porter von London aufs europäische Festland aus, vor allem in den Ländern rund um die Ostsee werden bis heute traditionell Porterbiere gebraut. Dass es Wagner zufolge auch in Eberstadt ein Porter gegeben haben soll, könnte damit zusammenhängen, dass der Ort bis zur Anbindung an die Eisenbahn Mitte des 19. Jahrhunderts ein ideal gelegener Rastpunkt auf der Handelsroute Frankfurt-Heidelberg war und hier entsprechend viele Fuhrleute Station machten. Aber die vorliegende Arbeit sollte nicht nur eine theoretische Abhandlung über Namen, Jahreszahlen und Schwarzweiß-Fotografien werden, sondern im besten Falle auch Geschichten aus früheren Tagen erzählen. Und möglicherweise einen Impuls geben (vielleicht sogar eine Grundlage bilden), eine verlorengegangene Tradition aufleben zu lassen und in Eberstadt wieder Bier zu brauen. So könnte Stadtteilgeschichte in Form eines lokal gebrauten Bieres auch sinnlich erfahrbar gemacht werden. Ähnlich den Weingärtnern, die in Kooperation mit einem professionellen Winzer aus am Ortsrand gewachsenen Trauben ihren eigenen Tafelwein herstellen, wäre es doch vorstellbar, auf geeignetem Boden in und um Eberstadt herum Hopfen und Gerste anzubauen, um damit unter Anleitung eines Braumeisters oder einer Braumeisterin ein Bier herzustellen, das auf Stadtfesten ausgeschenkt werden könnte. Eine denkbare Form wäre eine Art Genossenschaft. Als solche ließe sich bestimmt eine Kooperation mit einer etablierten Brauerei ins Leben rufen. Und die kleine Eberstädter Brauerei könnte mit der Zeit zu einer Art belebtem Museum werden – ist es doch ziemlich wahrscheinlich, dass in so manchem Keller oder auf so manchem Dachboden in Eberstadt noch alte Flaschen, Untersetzer oder auch Postkarten und Werbebroschüren gefunden und dann vorbeigebracht werden 3. Soweit der Traum vom Schaum. Doch zunächst betrachten wir, was Schwarz auf Weiß über die Brauereien geschrieben steht in den Publikationen zur Eberstädter Geschichte. 1 Franz, Eckhart G.: „Eberstädter Wasser“ und „Eberstädter Wägelchen“, erschienen am 21. August 1982 im Darmstädter Echo, S. 6-7. Für seinen Artikel hat Franz unter anderem die 1982 neu aufgelegten Eberstädter Geschichten von Wolfgang Weißgerber durchforstet, das Porter-Zitat stammt Franz zufolge aus der Publikation „Statistisch-topografisch historische Beschreibung des Großherzogtums Hessen“ des Geometers Georg Wilhelm Justin Wagner von 1829. 2 Cornell, Martin: Beer. The Story of the Pint. Headline Publishing, London 2004. 3 Den auf der Titelseite abgebildeten Porzellanverschluss der Brauerei Hilsz hat der gebürtige Eberstädter Thomas Listmann Anfang der 1980er Jahre auf einem Acker nahe dem heutigen Kao-Gelände gefunden. Als er davon hörte, dass sich diese Arbeit mit der Brauerei-Geschichte Eberstadts befasst, nahm Herr Listmann Kontakt auf und brachte seinen Fund vorbei. 6 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
2. Die Quellenlage – Ein Überblick Eberstadts 1200-jährige Geschichte ist erstaunlich gut dokumentiert, und gerade in den vergangenen 100 Jahren haben einige Eberstädter die alten Kirchenbücher und das Archiv der Frankensteins akribisch durchgearbeitet. Manche dieser Recherchen wurden zu Büchern, andere erschienen als Zeitungsartikel, von denen aus der Zeit zwischen 1950 bis heute etliche im Hessischen Staatsarchiv am Karolinenplatz in Darmstadt dokumentiert sind. Sucht man mit dem Stichwort „Brauereien“ nach historischen Dokumenten, bekommt man im Staatsarchiv einen backsteindicken Sammelordner im DIN A4-Format gereicht, der etwa zwei Dutzend Zeitungsausschnitte, ältere Stadtmagazine und Kopien aus Kirchenarchiven enthält. Doch nur wenige davon befassen sich explizit mit Eberstadts Braugeschichte. Schnell zeigt sich, dass es zur Geschichte der Darmstädter Brauer deutlich mehr Material gibt als zu den Brautätigkeiten in Eberstadt. Zudem sind viele der Zeitungsartikel entweder leicht bearbeitete Auszüge aus der Eberstädter Dorfordnung oder Berichte von Wanderungen durch die Eberstädter Gemarkung, in deren Verlauf kundige Mitglieder des Eberstädter Bürgervereins oder des Geschichtsvereins Eberstadt/Frankenstein an einzelnen Stationen über das Dorfleben früherer Zeiten samt Ackerbau und Wasserwirtschaft erzählten. Wenngleich mit Blick auf die Brauereien hier und da einige Zahlen voneinander abweichen, so ergeben die Beiträge aus Büchern, Zeitungen und Vereinsschriften, auf die nun näher eingegangen werden soll, insgesamt doch ein schlüssiges Bild der Eberstädter Brau-Geschichte. 2.1. Gedrucktes Für die vorliegende Arbeit erwiesen sich von dem knappen Dutzend Büchern über Eberstadts Geschichte vor allem diese fünf Titel als ergiebig: Wolfgang Weißgerbers „Eberstädter Geschichten aus zwölf Jahrhunderten“, die 1975 erschienen und 1982 in einer gründlich überarbeiteten Ausgabe zum 1200. Geburtstag Eberstadts herausgegeben wurden; dann die „Ökonomischen Anmerkungen“ des Pfarrers Johannes May von 1791 sowie Friedrich Kirschners Schrift über „Alte Gasthöfe, Wirtschaften und Kneipen von 1630 bis 1995“, und schließlich der Bildband „Eberstadt – Wie es früher war“ von Friedrich Wilhelm Kniess sowie die aktuellste Publikation, das „Lesebuch zur Eberstädter Geschichte“, das von Dr. Erich Kraft ediert und 2017 vom Geschichtsverein Eberstadt/Frankenstein herausgegeben wurde. Was die Zeitungsartikel betrifft, die für diese Arbeit infrage kamen, ist eines bemerkenswert: So stammen einige aus der Feder Wolfgang Weißgerbers, der von 1929 bis 1968 Pfarrer in Eberstadt war und einen großen Teil der Kirchenbücher ortsgeschichtlich auswertete und damit allen Eberstädterinnen und Eberstädtern 7 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
zugänglich machte. Weißgerber veröffentlichte bereits 1970 erste Artikel im Darmstädter Echo, in denen er sich etwa mit der Dorfordnung von 1557 befasste 4. Diese Artikel könnten eine Art Vorbereitung für seine 1975 erschienenen „Eberstädter Geschichten“ gewesen sein. Als dann 1982, zwei Jahre vor Weißgerbers Tod, die Jubiläumsausgabe der „Eberstädter Geschichten“ herausgegeben wurde, druckte das Darmstädter Echo eine Folge von Artikeln, deren Verfasser wiederum Geschichten aus Weißgerbers Geschichten- Buch erzählten 5. Ebenso aufschlussreich war es, sich mit Friedrich Kirschners Heimatheften über Eberstadt zu befassen. Sowohl sein Büchlein, in dem er Eberstadts Geschichte von 782 bis 1998 „kurz“ zusammenfasst 6, als auch das Heimatheft über die alten Gasthöfe und Wirtshäuser in Eberstadt enthalten den ein oder anderen Absatz über Eberstadts Brauereien. Und obgleich es zu manchen Häusern nicht viel zu erzählen gibt, so verfasste Kirschner doch zu sämtlichen Bildern und Fotos der Häuser wenigstens ein paar Zeilen über deren Erbauer sowie folgende Besitzer oder Pächter, sodass sich hieraus nicht nur so mancher Besitzerwechsel nachvollziehen lässt 7, sondern auch ein wenig über Vereine oder Lieder- Kränze zu erfahren ist, deren Mitglieder sich in dem ein oder anderen Gasthaus bei Wein, Bier und Gesang versammelten. Denn was das Gast- und Brauerei-Gewerbe früherer Jahrhunderte angeht, so finden sich zwar hier und da ein paar Zeilen oder auch Zahlen, aber wirklich atmosphärisch berichtet tatsächlich nur Pfarrer Johannes May in seinem Büchlein, das 1791 erschien, und 1979 von Wolfgang Weißgerber erneut herausgegeben wurde. Auf Mays Aufzeichnungen beziehen wir uns ebenfalls im Kapitel 4, in dem es um die Geschichte der einzelnen Brauereien geht 8. Zunächst aber noch ein paar Zeilen zu den baulichen Belegen des Eberstädter Brauwesens. 4 Weißgerber, Wolfgang: „Pferdehirten, Weinläder und fremde Wandererleute“, Darmstädter Echo vom 21. Oktober 1970, Seite 10; sowie „Leben im sechzehnten Jahrhundert“, Darmstädter Echo vom 14. Dezember 1970, Seite N.N. Es ist durchaus möglich, dass Weißgerber schon früher Artikel für Darmstadts Zeitungen geschrieben hat, aber die zitierten Artikel sind jene, die unter dem Stichwort Ortsgeschichte respektive Brauereien geführt werden. 5 Franz, Eckhart G.: „Eberstädter Wasser“ und „Eberstädter Wägelchen“, Darmstädter Echo vom 21. August 1982, Seite 6. 6 Kirschner, Friedrich: Eberstadts Geschichte kurz gefasst von 782 bis 1998. Eberstädter Heimathefte Nr. 21, 1998. 7 Kirschner, Friedrich: Alte Gasthöfe, Wirtschaften und Kneipen von 1630 bis 1995. Eberstädter Heimathefte 1995 (Hinweis: die laufende Nr. war zunächst nicht zu ermitteln, weil jeweils nur PDFs ohne Titelseite vorlage). Im 4. Kapitel über die einzelnen Brauereien in Eberstadt stammen daher die meisten Namen und Jahreszahlen aus Kirschners Heimatheften. 8 Unter den Dokumenten im Hessischen Staatsarchiv findet sich zudem ein recht kurioses: Auf drei kopierten Seiten berichtet ein unbekannter Verfasser von seinem Streifzug durchs Darmstädter und Eberstädter Kneipen auf der Suche nach Hinweisen zur lokalen Biergeschichte. Auf den losen Seiten ist leider kein Verweis vermerkt, aus welcher Publikation der Text entnommen wurde, aber von Ton und Aufmachung her dürfte es ein Mitte der 1990er Jahre entstandener Beitrag aus einem Stadtmagazin im Stile von „Wo die Nacht den Doppelkorn umarmt“ sein. 8 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
2.2. Fassaden, Hinterhöfe und Ackerfunde In Eberstadt gibt es bis heute einige Häuser, auf deren Fassade noch zu erkennen ist, dass hier einst ein Wirtshaus, eine Lederfabrik oder eine Apotheke war. Auf dem Gebäude in der Odenwaldstraße 23, in dem bis Mitte der 1990er Jahre die Wirtschaft „Zum Bismarck“ betrieben worden war, ist bis heute der Schriftzug zu erkennen. Nicht weit davon, in der Eberstädter Kirchgasse, war einmal die „Zentralapotheke“ direkt an der Modau. Und im Haus in der Ringstraße 94 war bis 1990 der „Eberstädter Hof“ untergebracht, dessen Biergarten vor allem im Sommer gut besucht gewesen sein soll 9. Die anschaulichsten Belege für Brautätigkeiten in Eberstadt sind aber das alte Brauhaus und das Kühlhaus im Hof hinter dem Haus der Vereine in der Oberstraße. Das Gebäude vorn an der Straße stammt aus dem Jahr 1783 und wird als barockes Breithaus bezeichnet. An der Rückseite des Fachwerkhauses ist das ehemalige Brauhaus angebaut. Um die Brandgefahr zu minimieren, wurde es aus Naturstein gemauert. Heute ist im ehemaligen Brauraum, dessen Decke von einem kunstvollen und doch schlichten Kreuzgewölbe gestützt wird, ein kleiner Veranstaltungsraum. Ob das Kühlhaus, das etwas weiter hinten im Hof steht, auch im Jahr 1783 errichtet wurde, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Es könnte auch sein, dass das Bier zunächst im Hauptgebäude gebraut und gelagert wurde und das Kühlhaus erst später errichtet wurde. Unter der Fachwerkkonstruktion, deren Grundfläche etwa fünf Mal zehn Meter beträgt, befindet sich ein etwa fünf mal sechs Meter großes Kellergewölbe, das zum Kühlen des hier gebrauten Bieres gedient haben soll. In etwa 2,20 Meter Höhe ist direkt unter dem Dach eine etwa vier mal sechs Meter große Eisenwanne montiert, ein sogenanntes Kühlschiff, in das die Würze zum Abkühlen gepumpt wurde, bevor im nächsten Schritt die Gärung eingeleitet werden konnte. Vermutlich floss die Würze über ein Rohr in das Kühlschiff. Porzellanverschlüsse der Brauerei J. Hilsz. Ackerfund von Thomas Listmann aus den 1980er Jahren, Fundort nahe dem heutigen Kao-Areal. Foto: Halva 9 Kirschner, Friedrich: Alte Gasthöfe, Wirtschaften und Kneipen von 1630 bis 1995, S. 15/S. 24. Neben der Eingangstür hing noch bis vor wenigen Jahren der kleine Glaskasten, in dem einst die Schankkarte ausgehängt wurde. 9 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
Neben Bauwerken finden sich aber auch kleinere Belege der Eberstädter Braugeschichte. So haben Sammler Postkarten, alte Krüge und Untersetzer aufbewahrt 10, und auch im Boden rings um Eberstadt finden sich hin und wieder Porzellanverschlüsse oder sogar ganze Bügelflaschen. Ein paar Objekte können hoffentlich präsentiert werden, wenn diese Arbeit zum Auftakt der nächsten Staffel der „StadtteilHistoriker“ vorgelegt wird. 3. Alles fließt – Wein, Wasser und Bier 3.1. Der Wein Obwohl es in der vorliegenden Arbeit um Brauereien und Bier geht, kann doch der Wein nicht unerwähnt bleiben. Denn der Weinbau rund um Eberstadt lässt sich gesichert bis ins Mittelalter zurückverfolgen, in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts sind Weingärten am östlichen Ortsrand und ein Anbaugebiet im Norden Richtung Darmstadt dokumentiert. Angesichts der Ausdehnung verwundert es nicht, wenn Friedel Kirschner in seinem Eberstädter Heimatheft über „Alte Gasthöfe, Wirtschaften und Kneipen von 1630 bis 1995“ schreibt, dass „in früheren Jahrhunderten aber nicht das Bier, sondern vielmehr der Wein die dominierende Rolle“ 11 in Eberstadt gespielt hat. Nicht nur die Grafen von Katzenelnbogen, deren Stammsitz in St. Goar am Rhein war, auch die Frankensteiner waren darauf bedacht, dass ihre Weinlagen rund um Eberstadt gut gepflegt wurden, auf dass sie stets Ertrag brachten. Das ging so bis etwa Mitte des 17. Jahrhunderts, dann kam der Dreißigjährige Krieg, in dessen Verlauf viele Weinberge zerstört wurden 12. Und weil darüber hinaus Pflege und Bewachung der Rebstöcke sehr aufwändig waren, blieb von der Weinanbaufläche, die im Jahr 1655 noch rund 560 Morgen (also rund 140 Hektar 13) betragen hatte, knappe zweihundert Jahre später nur etwas mehr als ein Zehntel übrig: Im Grundbuch von 1841 sind Kirschner zufolge nur noch 10 Hier sind bereits Kontakte geknüpft, allerdings ergab sich bisher kein Termin für eine Sichtung der Postkarten- oder auch Flaschensammlungen. 11 Kirschner, 1995: S. 5 12 Während des zweiten der sogenannten Schlesischen Kriege im Jahr 1745, also gut ein Jahrhundert später, wurden bei der Sichtung der Flurschäden auf Eberstädter Gemarkung rund 50.000 zerbrochene oder verbrannte Weinreben gezählt. Diese Zahl bezeuge den Umfang des damaligen Weibaus in Eberstadt, wie Eckhart G. Franz am 21. August 1982 im Darmstädter Echo schreibt. 13 Davon ausgehend, dass ein Hektar (also 10.000 Quadratmeter) knapp vier preußischen Morgen entspricht, der laut Wikipedia im 19. Jahrhundert als Standardmaß festgelegt wurde. Zuvor war ein Morgen von Region zu Region unterschiedlich groß, zwischen 2000 und 5000 Quadratmetern. 10 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
59,9 Morgen, also etwa 15 Hektar verzeichnet 14. Zum Vergleich: Entlang der hessischen Bergstraße werden heute auf rund 420 Hektar Wein angebaut 15. Rund um Eberstadt wurde also auf einer Fläche Wein angebaut, die ziemlich genau einem Drittel der heutigen Weinanbaufläche der Bergstraße entspricht. Quelle: Kirschner 1995, S. 9 Pfarrer Johannes May schreibt in seinen Anmerkungen von 1791, dass „im starken Felde“ rund um Eberstadt nicht nur die Kartoffel ausgezeichnet gedieh, sondern auch Weizen und Gerste angebaut wurden. Anders als beim Weinstock, dessen frische Triebe in früheren Zeiten das Wild aus dem Wald gelockt hatten, wurden die Gerstenähren vom „Hirsche“ eher verschmäht, „weil die Kronen so rauh“ 16 waren. So begann mit dem „allmählichen Niedergang der Weingärten (…) der unaufhaltsame Vormarsch des Bieres, es war ja auch billiger als Wein und Schnaps“. Friedel Kirschner bezeichnet es daher „als 14 Kirschner, 1995: S. 7/8 15 Den Angaben der Bergsträßer Winzer zufolge (www.bergstraesser-wein.de) wird entlang der Bergstraße auf 441 Hektar Wein angebaut, im Ertrag davon sollen rund 422 Hektar sein. Die Bergstraße ist damit das kleinste der 13 deutschen Weinbaugebiete. 16 May, 1791: S. 8 11 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
logische Folge“, dass in Eberstadt „mehrere Bierbrauer- und Schnapsbrennereien“ 17 eröffneten. Waren es Anfang 1777 noch drei Brauereien 18, so wurden Ende des 19. Jahrhunderts in Eberstadt sechs größere Brauereien gezählt. Diese werden im Kapitel 4 im Einzelnen beschrieben 19. Wo allerdings die insgesamt „9 Brauereien“ gewesen sein sollen, die Kirschner für das Jahr 1914 in Eberstadt verortet, ist eine Frage, die später noch einmal aufgegriffen wird, aber nicht abschließend beantwortet werden kann 20. 3.2. Das Wasser In Eberstadt sind heute eigentlich nur noch zwei Quellen bekannt: Der Melitta-Brunnen unterhalb des Prinzenberges und die Quelle am Parkplatz im Steigertsweg. Beide sprudeln, wenngleich wohl nicht so „munther“ wie in vorigen Jahrhunderten; an beiden füllen Menschen ihre Kanister und Flaschen; zu beiden gehen die Meinungen über Qualität und Trinkbarkeit des Wassers auseinander – die einen preisen es, die anderen gießen lieber nur die Pflanzen damit. Sicher ist: In früheren Zeiten waren die Quellen ringsum so wichtig für die Stadtentwicklung wie die Modau für die Mühlen im Tal zwischen dem Kühlen Grund und der Eschollmühle am einstmals westlichen Rand von Eberstadt. Welche Bedeutung das Quellwasser in früheren Jahrhunderten für die Menschen im Ort hatte, darüber informierte der Bürgerverein Eberstadt in den 1980er und 1990er Jahren auf seinen Wanderungen zu den Quellen rund um Eberstadt. Bei diesen jährlich angebotenen Veranstaltungen erzählten ortskundige Vereinsmitglieder von früheren Zeiten. Und es war auch immer ein Reporter des Darmstädter Echos oder des Tagblatts dabei. So erschien im Darmstädter Tagblatt am 20. Juni 1983 21 ein Artikel, in dem vom „Hetterbachwasser“ als erstklassigem Trinkwasser die Rede ist, „einst begehrt von den Eberstädter Brauereien“. Das Wasser wurde mit Holzröhren in den Ort geleitet, zunächst 17 Kirschner, 1995: S. 8. 18 Kirschner, 1998: S. 17. 19 An dieser Stelle soll kurz erwähnt werden, dass es doch ein wenig verwundert, dass Kirschner in seinem Text nicht nach Gründen fragt, warum es im 18. Jahrhundert offenbar mehr Brauereien gegeben hat als Ende des 19. Jahrhunderts. Auch auf die Gründe des Brauerei-Sterbens in den 1920er Jahren geht er nicht näher ein. Während seiner umfangreichen Recherchen hätte ihm doch auffallen können, dass nicht erst der Erste Weltkrieg, sondern schon die Anbindung Eberstadt an die Eisenbahn Frankfurt-Heidelberg den Niedergang der Brauereien einläutete. Mehr dazu in Kapitel 5. 20 Kirschner, 1998: S. 30. 21 Darmstädter Tagblatt, 20. Juni 1983, „Wo einst Darmstadts Brauer ihr Wasser zapften“, Verfasser: gwü; archiviert im Staatsarchiv Darmstadt unter DT i-6112. Anmerkung: Die Überschrift ist – nüchtern betrachtet – falsch. Es mag sein, dass so mancher Brocken Eis, der im Winter auf Eberstädter Wiesen gebrochen wurde, in einen Darmstädter Kühlkeller kam, das Wasser der Eberstädter Quellen jedoch nutzten ziemlich sicher nur die hiesigen Brauer. 12 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
nur zu einigen Brunnen sowie den Brauereien 22, bis im Jahr 1893 schließlich damit begonnen wurde, von einem „Woog“ genannten Flurstück am Steckenbornweg in der Nähe des Melittabrunnens eine Wasserleitung zu installieren, an die auch erste Privathäuser angeschlossen wurden. Links der Steckenbornweg, rechts geht es ins einstige Hetterbachtal, auch „Woog“ genannt. Foto: Halva Da der Hetterbach immer wieder erwähnt wird, dürfte er für die Eberstädter Trink- und Brauwasserversorgung über viele Jahrzehnte (wenn nicht Jahrhunderte) die wichtigste Quelle gewesen sein. 3.3. Das Bier Im Jahr 1857 gab es Pfarrer J. Carl Friedrich Kißner zufolge sechs Brauereien in Eberstadt, die offenbar auch für „Essig- und Liqueurfabrication“ ausgestattet waren 23. Diese Zahl bleibt konstant bis ins Jahr 1880. Zu den größeren Betrieben gehören zu dieser Zeit die Brauerei Hilsz 24 an der Heidelberger Straße 1 und die von den Brüdern Bauer geführte „Brauerei zum Mühltal“ in der Mühltalstraße 1. Im damaligen Gewerbeverzeichnis der Stadt Darmstadt sind zudem die Brauereien Harnischfeger, Neidert, Herpel und Weyland eingetragen. Doch es ist zu vermuten, dass auch noch einige Wirtsleute im Städtchen ihr 22 Weißgerber, Wolfgang: Eberstädter Geschichten aus zwölf Jahrhunderten, 1982, Eduard-Roether-Verlag Darmstadt; S. 282 23 Kraft, Dr. Erich: Lesebuch zur Eberstädter Geschichte, 2017; S. 101. 24 Zur Brauerei Hilsz kursieren zwei Schreibweisen: Hilsz und Hilß. Letztere ist zwar noch im heute als solchen bezeichneten Hilße-Eck enthalten, weil die Brauerei aber auf ihre Porzellanverschlüsse den Namen Hilsz druckte, verwenden wir in dieser Arbeit diese Schreibweise. 13 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
eigenes Gebräu ausschenkten, ohne ein Gewerbe angemeldet zu haben. Und ganz bestimmt gab es in Eberstadt auch hin und wieder Querelen, weil die Betreiber der größeren Anlagen es nicht so gerne sahen, wenn privat gebrautes Bier auf den Tisch kam. Quelle: Weißgerber 1982, Seite 286. Dass es solche Konflikte nicht erst im 19. Jahrhundert gab, zeigt auch ein Blick auf das Darmstädter Brauwesen. Dessen Geschichte dürfte weit ins Mittelalter zurückreichen, aber erst im Jahr 1575 wurden Brautätigkeiten auch offiziell dokumentiert. In einer Abhandlung über „Die Geschichte des älteren Darmstädter Brauwesens“, die im Staatsarchiv in Darmstadt eingesehen werden kann und die 1997 aktualisiert wurde, ist zu lesen, dass der damalige Landgraf Georg I. im Jahr 1573 die Einrichtung einer Hofbrauerei in Auftrag gab. Zwei Jahre später setzten die Hofbrauer die erste Würze an. Nicht überliefert ist, ob es Georgs Untertanen sauer aufstieß, dass ihr Regent wohl nicht viel von der lokalen Braukunst hielt und für die Arbeit an den fürstlichen Kesseln lieber einen Gesellen aus Braunschweig herbeikutschieren ließ, statt die besten der hiesigen Brauer einzustellen. In den folgenden sieben Jahrzehnten wurde also emsig nebeneinanderher gebraut, bis sich schließlich vier Darmstädter Bierbrauer im Februar 1647 an den nun regierenden Landgrafen Georg II. wandten und diesen darum baten, eine Zunftordnung zu erlassen. Diese Ordnung sollte helfen, die privaten Brauer zurückzudrängen, „die in großer Zahl Bier brauten und außer Haus verkauften“. Das wurde abgelehnt, fürs Erste jedenfalls. Denn 1715 ist dann doch von einer Bierbrauerzunft die Rede, die zunächst wohl noch ohne Zunftordnung bestand. Und im Jahr 1770 werden dann auch erstmals offiziell die Eberstädter Bierbrauer erwähnt. Wie der Abhandlung über „Die Geschichte des älteren Darmstädter Brauwesens“ zu entnehmen ist, erhielten in eben diesem Jahr die 14 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
Darmstädter Küfer und Bierbrauer eine Zunftordnung – und ebendieser Zunft gehörten auch die Eberstädter Braumeister an. Allerdings, wie viele es waren und wie sie hießen, ist in den für diese Abhandlung herangezogenen Quellen nicht vermerkt. Zu jener Zeit, als die Brauer vom Landgrafen ihre Zunftordnung erhielten, war in Eberstadt der bereits in Kapitel 2 erwähnte Johannes May als Pfarrer angestellt. Der aus Hähnlein stammende May hatte 1751 das Pfarrhaus in Eberstadt bezogen und im Rückblick auf die ersten Jahre inmitten seiner Schäfchen ein eher düsteres Bild des Städtchens gezeichnet. Häuser und Felder, schreibt May, seien in üblem Zustand gewesen, die Weinäcker niedergebrannt. Das Beschriebene waren zum einen die Nachwehen der Schlesischen Kriege, zum anderen trugen die beim Landgrafen und seinem Tross beliebten Parforce- Jagden zu den Schäden bei. Und die Eberstädter? Hatten sich angesichts der Verwüstung „dem Leichtsinn, Müßiggang und Trunk ergeben“, wie May in seinem Büchlein schreibt, das 1791 unter einem etwas sperrigen, aber große Sorgfalt andeutenden Titel erschienen ist: „Ökonomische, auf Erfahrung und Augenschein gegründete, Anmerkungen über die Ab- und Zunahme des Nahrungsstandes der Unterthanen in Eberstadt, bei Darmstadt“ heißt das Büchlein, in dem der Pfarrer seine Eindrücke aus vier Jahrzehnten Lebens in Eberstadt schildert. Mit liebevollem Blick und zunehmend euphorisch begleitet er den Wandel Eberstadts vom einstigen Dorf im Nachkriegs-Notstand zu einer prosperierenden Siedlung. Einem Ort, an dem die Menschen mit Zuversicht und Schaffenskraft den sandigen Hügeln ringsum immer reichere Ernten abtrotzten und mit einigem Geschick dafür sorgten, dass auch etwas von dem Wohlstand, der sich entlang der Handelsroute Frankfurt-Heidelberg beständig vermehrte, im Ort blieb. Im Kapitel über die „Wasserbenutzung“ in Eberstadt und deren „unbeschreiblichen, vortheilhaften Einfluß auf den Wohlstand der Unterthanen“ berichtet Pfarrer May über die drei Quellen „vom besten Bergwasser, welche durch Röhren ins Ort geleitet werden“. Zwei dieser Quellen „springen theils in unsern 3 großen nahrhaften Brauhäusern, so hoch man will, erleichtern das Braugeschäfte und bringen uns das von undenklichen Jahren im ganzen Bezirk um uns bekannte gute Eberstädter Bier“. Wenn wir Pfarrer May glauben dürfen, dann gab es also schon Ende des 18. Jahrhunderts drei große Brauhäuser in Eberstadt, deren Gebrautes nicht nur von den Menschen im Ort, sondern auch von den Handelsreisenden und den Menschen im Umland geschätzt und getrunken wurde. Darüber hinaus sicherte Bier nicht nur Brauern und Wirtsleuten ein Auskommen. Im Winter etwa brachen Maurer und Zimmerer das Eis auf den Wiesen am aufgestauten Hetterbach nahe dem Prinzenberg (der früher Hetterberg hieß 25) und brachten es zu den Brauereien, damit diese ihre Keller kühl halten konnten. 25 So steht es in dem Bericht über eine von Georg Kirschner geführte Wanderung zu den Brunnen und Teichen Eberstadts, der am 20. Juni 1983 im Darmstädter Tagblatt erschien. 15 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
4. Ehrenwerte Häuser – Eberstadts Brauereien im 18., 19. und 20. Jahrhundert 4.1. Ein Haus steht an der Ecke – Zum Deutschen Hof Einer der Brauer, die an der Blütezeit des Eberstädter Geschäfts- und Handelslebens teilhaben sollten, dürfte Jacob Darmstädter gewesen sein. Der Genannte wurde 1763 als Sohn des damaligen Schultheißen Johann Georg Darmstädter geboren – und zwar im Haus an der Heidelberger Landstraße 218, dem heute auch als „grünes Haus“ bezeichneten Anwesen in der Oberstraße 2 - 6. In den darauffolgenden Jahrzehnten lebten und brauten noch einige Herren mit dem Namen Darmstädter in diesem Haus, bevor Georg Harnischfeger im Jahr 1861 die Brauerei samt Grundstück übernahm. Von 1883 an soll Harnischfeger dort auch eine Gastwirtschaft betrieben haben 26, bis das Anwesen schließlich 1888 von Gustav Neidert, einem Brauer aus Bamberg, gekauft wurde. Quelle: Dr. Erich Kraft Laut dem heutigen Besitzer des Hauses, der sich ebenfalls im Zuge der Stadtteilhistoriker 2019 mit der Geschichte des Anwesens befasst hat, wurde dort bis 1894 gebraut. Im Gewerbeverzeichnis der Stadt Darmstadt wird Gustav Neidert indes bis 1898 als Brauereibesitzer geführt. Und Friedrich Kirschner nennt noch einmal andere Zahlen: Neidert soll von 1892 bis 1910 Brauereibesitzer und Wirt des Gasthauses „Zum Deutschen Hof“ gewesen sein 27. Die Geschichte dieses Hauses am westlichen Ende der Oberstraße, 26 Diese Daten hat Elke Riemann zusammengetragen. 27 Kirschner 1995, S. 50. 16 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
in der es allein im 17. Jahrhundert mindestens sieben Brauereien gegeben haben soll, reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück. Das Eckhaus wurde 1575 erbaut und war einst das Wohnhaus der jüngeren Linie der Familie Frankenstein. Im Eckhaus wohnte von 1585 bis 1622 Anna von Frankenstein als Herrin in Eberstadt 28. Im heute so genannten „Grünen Haus“ an der Ecke Oberstraße/Heidelberger Landstraße betrieb unter anderem Gustav Neidert eine Brauerei. Foto: Halva Der Name Harnischfeger taucht noch in einem anderen Zusammenhang auf: Und zwar berichtet Friedrich Kirschner in seinem Büchlein über die Eberstädter Gasthöfe von einem Heinrich Harnischfeger, der von 1883 bis 1920 das Gasthaus „Zum Grünen Baum“ geführt haben soll, aber es gibt keinen Verweis auf eine mögliche Verwandtschaft des Wirtes und des Brauers Harnischfeger 29. In dem Haus an der Heidelberger Landstraße 235, wo einst der „Grüne Baum“ gewesen war, ist bis heute das Modehaus Herling. 4.2. Hilß bleibt Hilsz – Brauerei und Gasthaus „Zur Güldenen Cron“ Wenn heute manchmal in Eberstadt vom „Hilße Eck“ gesprochen wird, ist damit der Platz an der Kreuzung von Heidelberger Landstraße und Pfungstädter Straße gemeint. Hier stand bis 1959 ein großer Gasthof mit angeschlossener Brauerei, die allerdings schon 1920 28 Ende 2018 hat Dr. Erich Kraft im Ernst-Ludwig-Saal einen Vortrag über Anna von Frankenstein gehalten, dazu ist auch eine Broschüre erschienen. Herrn Kraft zufolge gehörte das gesamte Areal einschließlich Optiker Beutel und der Neubauten zur frankenstein‘schen Wirtschaftsverwaltung, auch „Kellerei“ genannt. 29 Kirschner 1995, S. 69. 17 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
ihren Betrieb einstellen musste. Die „Güldene Cron“ wird erstmals 1604 in Eberstädter Dokumenten erwähnt. Ende des 17. Jahrhunderts war die Cron einer von zwei großen Einstellhöfen in Eberstadt gewesen, bis zu 80 Pferde konnten hier untergestellt werden. Und auch für Personal und Fahrgäste war Platz genug. Das Gasthaus hatte die Familie Hilsz im Jahr 1800 übernommen und zur Brauerei ausgebaut. Markant umrankt: Das „Hilße-Ecke“ um 1910. In den Kellern der einstigen Brauerei sollen noch in den 1950er Jahren Champignons gezüchtet worden sein. Quelle: Kniess, S. 26 Das Eckhaus wurde nach Schließung der Brauerei samt Gaststätte anderweitig genutzt, bis zum Abriss im Jahr 1959 sollen sich darin mehrere Mietwohnungen befunden haben. Der Platz wurde nicht mehr bebaut, stattdessen wurde die Straße verbreitert. Obgleich ältere Eberstädterinnen und Eberstädter noch vom Hilße-Eck sprechen, so wird das Areal an der Ecke Heidelberger Landstraße und Pfungstädter Straße heute eher zur Modaubrücke gezählt. Kein Verkehr, menschenleer: Das einstige Hilße-Eck im Februar 2020. Foto: Halva 18 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
4.3. Letzte Rast vorm Tal – die Brauerei „Zum Mühltal“ Die Brauerei und Malzfabrik „Zum Mühltal“ war von den Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts an bis zu ihrem Ende im Jahr 1920 in Besitz der Familie Bauer und gehört damit zu den eher beständigen Betrieben in Eberstadt. Das Gasthaus „Zum Mühltal“ war Friedel Kirschner zufolge Mitte des 19. Jahrhunderts die einzige Wirtschaft im Mühltal und daher wohl – vor allem an Wochenenden – gut besucht 30. Der Gasthof mit Brauerei „Zum Mühltal“ im Jahr 1891. Quelle: Kirschner 1995, S. 54 Christoph Bauer (*1810) soll das Grundstück im Jahr 1836 von seinem Schwiegervater gekauft oder geerbt und das Haus um 1840 herum zum Gasthaus ausgebaut haben 31. Die Brauerei kam offenbar erst später dazu, so wird Christoph Bauer in offiziellen Büchern von 1865 an 32 als Inhaber geführt. Von 1881 bis 1909 sind dann im Gewerbeverzeichnis die „Gebrüder Bauer“ als Besitzer eingetragen, hier dürfte aber schon die nächste Generation nach Christoph Bauer am Werk gewesen sein. Von 1909 an bis 1920 gilt Philipp Bauer II. als Inhaber der „Brauerei zum Mühltal Gebr. Bauer“ 33. 30 Kirschner 1995, S 54. 31 Diese Ergänzung stammt von Elke Riemann. 32 Zuvor soll hier ebenfalls ein Bauer, Peter Bauer I., eine Wirtschaft geführt haben. Ob dieser Peter Bauer I. schon brauen ließ, ist nicht bekannt. 33 Kirschner 1995, S. 55. 19 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
Die Gebrüder Bauer gehörten zu den wenigen Brauern in Eberstadt, die ihr Geschäft ins 20. Jahrhundert retten konnten. Aber 1920 mussten auch sie ihre Brauerei in der Mühltalstraße 1 aufgeben. Foto: Halva Auf einem Foto des Hauses in der Mühltalstraße 1, das 1891 aufgenommen wurde, ist im Hintergrund noch der Schlot der Brauerei zu sehen. Während also unten im Ort hinter dem Gasthaus gebraut wurde, kam das Bier vermutlich am oberen Ende der Mühltalstraße in den Keller zum Kühlen. Laut Kirschner leitet sich der Name der späteren Gastwirtschaft „Zum Felsenkeller“ daher ab, dass die Brüder Bauer dort schon 1870 „für die Brauereizwecke“ einen Keller in den Felsen hauen ließen 34. 4.4. Brauerei mit Wirtsgarten – das Gasthaus „Zum Schützenhof“ Das ehemalige Gasthaus „Zum Schützenhof“ existiert leider nicht mehr. Im Jahr 1969 fiel der Beschluss der Stadt Darmstadt, das „marode und nicht mehr erhaltenswerte Gebäude“ abzureißen 35. Die weiter unten abgebildete Aufnahme von 1910 zeigt ein stattliches Gebäude, an das sich ein üppig eingewachsener Wirtsgarten anschließt. Zu diesem Haus gehen die Informationen bezüglich der Brautätigkeiten und der Besitzverhältnisse etwas auseinander: Während Friedrich Wilhelm Kniess in seinem Bildband schreibt, dass ein Brauer namens Peter Herpel das Haus im Jahr 1879 erbauen ließ, nennt Elke Riemann ganz andere Eckdaten: Ihren Recherchen nach kaufte Peter Herpel das Haus bereits im Jahr 1854 von einem Branntweinbrenner und richtete dort eine Bierbrauerei und die Gastwirtschaft „Zum Schützenhof“ ein. Nach seinem Tod übernahm sein Sohn Ludwig Herpel im Jahr 1879 die Gaststätte mit Brauerei und 34 Kirschner 1995, S. 62. 35 Kniess 2001, S. 53 20 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
Wirtsgarten. Ludwig Herpels Witwe wiederum heiratete im Jahr 1890 den Brauereigehilfen Jacob Weyland, unter dessen Name Brauerei und Gastwirtschaft bis 1911 weitergeführt wurden 36. Der „Schützenhof“ (Aufnahme um 1910) an der Ecke Oberstraße/Marktstraße. Hinter den Büschen befand sich der Wirtshausgarten. Quelle: Kniess 2001, S. 53 Nach dem Abriss des Schützenhofs wurde an der Straße ein eher funktionales Ensemble errichtet, in dem bis Anfang der 2000er Jahre eine Postfiliale untergebracht war. Heute gibt es dort einen großen Parkplatz, einen Blumenladen und eine Apotheke, die oberen Geschosse sind privat oder an Kanzleien vermietet. Allerdings sind weder die Mauer übers Eck noch der Bewuchs annähernd so prächtig wie vor 100 Jahren. Das Haus an der Ecke Oberstraße/Marktstraße im Frühjahr 2020. Foto: Halva 36 Peter Herpel ist in früheren Gewerbeverzeichnissen lediglich für die Jahre 1870 bis 1872 geführt. In selbigem Verzeichnis wiederum ist von 1908 an Jakob Weyland als Betreiber des Schützenhofs eingetragen. Die Familie Herpel könnte also etwas mehr als vier Jahrzehnte dort gebraut und ausgeschenkt haben. Ludwig Herpel ist jedenfalls unter der Nummer 3373b von 1882 bis 1892 als Inhaber einer Brauerei eingetragen. Siehe Anhang 1 21 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
4.5. Der Saal der Wahl – Das Gasthaus „Zum Schwanen“ Das Gasthaus „Zum Schwanen“ wurde ebenfalls von einer Wirtsfamilie betrieben, die das Bier, das sie ausschenkte, selbst braute. Zum Haus in der damaligen Neuen Darmstädter Straße 15 (heute Heidelberger Landstraße 202), das laut Kirschner um 1810 herum eröffnet haben soll, gehörte später auch der Ernst-Ludwig-Saal, ebenfalls bekannt als Schwanensaal, nach dem vermutlich die Schwanenstraße benannt ist. Jakob Neusel, der von 1784 bis 1839 lebte, ist im Stadtarchiv Darmstadt zu dieser Zeit als Gastwirt und Bierbrauer eingetragen. Von 1875 bis etwa zur Jahrhundertwende soll ein gewisser Ludwig Grimm die Gaststätte mit Brauerei bewirtschaftet haben. Die Brauerei allerdings soll bereits um 1900 herum aufgegeben worden sein, die Keller der Brauerei, so berichtet Kirschner, dienten den Eberstädtern im Zweiten Weltkrieg als Luftschutzkeller 37. Einen großen Saal soll es dort schon um 1870 herum gegeben haben, der allerdings Anfang des 20. Jahrhunderts zugunsten des bis heute bestehenden Saales abgerissen wurde. Der neue Saal wurde 1906 in nur einem halben Jahr errichtet und erhielt den Namen „Ernst-Ludwig-Saal“ 38. Das Gasthaus „Zum Schwanen“ im Jahr 1900. Quelle: Kirschner 1995, S. 71 Das Gasthaus wurde 1985 abgerissen, in dem neu errichteten Eckhaus ist bis heute die Volksbank untergebracht, in den oberen Etagen sind Wohn- und Büroräume. Der Ernst- Ludwig-Saal wurde 1990 renoviert und wird bis heute als Veranstaltungs- und Versammlungssaal genutzt. 37 Kirschner, 1995: S. 72/73; in Kirschners Heimatheft von 1998 wird dies auf S. 72 ausgeführt. 38 Von diesem neuen Saal sind nach Auskunft von Dr. Erich Kraft sowohl die Ausschreibung als auch die Baupläne vollständig erhalten. Nachdem die Familie Grimm ihr Gewerbe aufgegeben hatte, wurden Saal und Gaststätte vermutlich um das Jahr 1910 herum an die Pfungstädter Brauerei Hildebrandt verkauft, die wiederum das Anwesen 1983 an die Stadt Darmstadt verkaufte. 22 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
4.6. Jakob, Jacob, Diefenbach? – Das Haus in der Oberstraße 16: Es fängt schon bei der Schreibweise an: War im heutigen Haus der Vereine in der Oberstraße 16 einstmals die Weinwirtschaft Jacob-Jacob? Oder nicht doch die Brauerei Jakob Jakob? Beide Schreibweisen finden sich in den verschiedenen Publikationen über Eberstadt, und Friedel Kirschner verwendet in seinem Heimatheft von 1995 sogar beide Schreibweisen in einem Text. Doch: Abgesehen von den namentlichen Unschärfen scheint die Geschichte des 1783 erbauten Breithauses an der Straßenfront recht lückenlos dokumentiert zu sein. Quelle: Kniess 2001, S. 52 Als erster Brauer ist in den Eberstädter Geschichtsbüchern ein gewisser Bernhard Dichter vermerkt, und zwar in den Aufzeichnungen des Jahres 1716. Auf Dichter folgte dann der Schultheiß 39 Johann Paul Heß 40. Laut Elke Riemanns Nachforschungen muss es einige Jahrzehnte später im Hause Heß Streit ums Erbe gegeben haben, sodass dann Johannes 39 Als Schultheiß bezeichnete man früher jenen Beamten oder auch Gemeindevorsteher, der sich in einer Ortschaft darum kümmerte, dass die Gesetze des Landesherren befolgt und die entsprechenden Steuern entrichtet werden. Der Schultheiß erfüllte bis ins erste Drittel des 19. Jahrhunderts hinein die Funktion, die später dann die Bürgermeister übernahmen. 40 Riemann, Elke: Die Geschichte des Eberstädter Rathauses, S. 61. 23 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
Dörner mit seiner Familie die Brauerei übernahm. Dörners Frau soll 1818 den Bierbrauer Johannes Diefenbach geheiratet haben. Dieser Diefenbach war der Sohn von Johann Tobias Diefenbach, der im Dezember 1783 mit Elisabeth Magdalene Geibel den Bund der Ehe schloss. Dem Namen Geibel nach zu urteilen könnte es sein, dass die Braut jener Familie entstammte, die im Nachbarhaus, der heute sogenannten Geibel‘schen Schmiede, gelebt hat. Die Geibelsche Schmiede hieß vermutlich erst ab 1737 so, da zu dieser Zeit die Familie Geibel das Anwesen kaufte. Zuvor soll dort auch eine Brauerei existiert haben 41. Johannes Diefenbach war aber nicht nur Brauer und Wirt des Gasthauses, das hinter dem barocken Breithaus errichtet worden war, er war auch Küfer. Diefenbach fuhr zweigleisig: Im Brauhaus samt Kühlhaus, das bis heute im Hinterhof des Hauses der Vereine steht, braute er Bier, und nebenher betrieb er seine Weinwirtschaft. Während Kirschner Anfang der Neunzigerjahre noch notiert, dass auf dem Anwesen laut Adressbuch von 1883 eine Weinwirtschaft mit dem Namen „Jacob Jacob“ eingetragen ist, hat nun Elke Riemann herausgefunden, dass eben jener Jacob Jacob die Brauerei samt Gast- und Weinwirtschaft schon im Jahr 1875 gekauft hat. Die Weinwirtschaft, die Kirschner zufolge „wegen ihres guten Weines jahrzehntelang“ bekannt gewesen sei, wird in Originaldokumenten im Hessischen Staatsarchiv in Darmstadt unter dem Namen „Jacob – Jacob“ geführt 42. Das Gemälde von Franz Best zeigt den Innenhof der ehemaligen Dörner-Diefenbach’schen Brauerei, heute „Haus der Vereine“. Das Kühlhaus steht noch. Quelle: Dr. Erich Kraft 41 Diese Information hat ebenfalls Elke Riemann während ihrer Recherchen zur Geschichte des Eberstädter Rathauses gefunden. Der Aufsatz aus der ersten Staffel der StadtteilHistoriker liegt seit Frühjahr 2020 vor. Elke Riemann trägt derzeit für die zweite Staffel die Informationen zur Geschichte der Oberstraße zusammen und hat mit den bereits gesammelten Daten einen wichtigen Teil zur hier vorliegenden Arbeit beigetragen. 42 Anmerkung von Elke Riemann zu dieser Arbeit. 24 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
4.6.1. Ein Schiff wird kühlen – Das Kühlhaus in der Oberstraße Auf den ersten Blick sieht das Kühlhaus hinter dem Haus der Vereine aus, als wäre es nicht fertiggestellt worden. Es hat keine Seitenwände – und wozu bitte braucht man diese Wanne aus Eisen? Ein Blick in die Brauereigeschichte zeigt: Dieses Gebäude war einmal state of the art, man könnte auch sagen: ein absolutes Profiwerkzeug. In die Eisenwanne, das sogenannte Kühlschiff, wird heiße Würze – also die Bierbasis bestehend aus Malz, das mit Wasser vermaischt wurde – eingeleitet. Aufgrund der großen Oberfläche kühlt die Würze schon innerhalb einer Stunde recht schnell herunter. Dabei setzen sich die Schwebstoffe ab, der sogenannte Heißtrub. Das Kühlhaus mit Kühlschiff im Hof hinterm Haus der Vereine in der Oberstraße. Foto: Halva Detailansicht Kühlschiff. Foto: Halva 25 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
Ob die Würze nach dem Seihen über eine direkte Leitung vom Brauhaus ins Kühlschiff gefüllt oder mit Eimern oder Fässern umgetragen wurde, ist heute nicht mehr zu erkennen. Es liegt aber nahe, dass das Bier nach abgeschlossenem Gärprozess im Gewölbe unter dem Kühlhaus eingelagert wurde. Treppenabgang zum Gewölbe unter dem Kühlhaus. Foto: Halva Auf dem zuvor abgebildeten Gemälde von Franz Best ist zu sehen, dass der Abgang zum Kühlkeller hinter einem mannshohen, zweiflügeligen Holztor lag. Heute ist der gemauerte Abgang abgetragen und durch eine Art „Hügelgrab“ mit Stahltor ersetzt worden. Nördliche Wand des Gewölbes unter dem Brauhaus, der Schacht rechts könnte eine Ladeluke gewesen sein. Foto: Halva 26 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
4.6.2 Und noch ein Name? – Die Dörner-Diefenbach’sche Brauerei Der Name Diefenbach ist inzwischen eingeführt, so bleibt noch die Frage: Was hat es mit dem Namen Dörner auf sich? Wolfgang Weißgerber erwähnt in seinen Eberstädter Geschichten in einem Bildtext die Dörner-Diefenbach’sche Brauerei 43, der Name Dörner allerdings taucht in keinem anderen Text der verfügbaren Quellen auf. Einzig im Gewerbeverzeichnis der Stadt werden die Gebrüder Dörner von 1876 bis 1892 als Inhaber einer Brauerei geführt, die dann zunächst von Jacob Jacob übernommen wurde, bevor dieser 1908 an Jakob Weyland übergab. Weyland wiederum wird zu dieser Zeit als Inhaber der Brauerei „Zum Schützenhof“ ausgewiesen, die er – wie in Kapitel 4.4 beschrieben – übernommen hatte, als er 1890 die Witwe von Ludwig Herpel heiratete. Quelle: Weißgerber 1982, S. 286 Das undatierte Foto zeigt den Innenhof des Hauses in der Oberstraße 16. Das Gebäude direkt an der Straße steht heute noch, rechter Hand grenzt direkt die Geibel‘sche Schmiede an. Die auf dem Foto abgebildete Scheune wurde offenbar schon Ende des 19. Jahrhunderts abgerissen, sie ist zumindest in keiner weiteren Publikation erwähnt oder abgebildet. Ganz verschwunden ist das Ensemble im Hof des heutigen Hauses der Vereine aber nicht: So ist die metallene Pergola in ihren Abmessungen an die einstige Bebauung angelehnt 44. Das heißt auch: Das Vergangene ist nicht ganz verschwunden – und vielleicht auch deshalb nicht ganz verloren. Ein Gedanke, der nun im letzten Kapitel noch einmal aufgegriffen werden soll. 43 Weißgerber 1982, S. 218. 44 Dr. Erich Kraft hat in seinen Anmerkungen zu dieser Arbeit nicht nur auf die Konzeption der Pergola hingewiesen. Er hat auch die Abbildung des Gemäldes von Franz Best beigesteuert, das den Innenhof des Hauses in der Oberstraße 16 gegen Ende des 19. Jahrhunderts zeigen dürfte. Siehe Abbildung S. 24. Wo sich das Gemälde heute befindet, müsste Herrn Dr. Kraft zufolge im Stadtarchiv zu erfragen sein. 27 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
5. Hopfen und Malz verloren? – Das Ende der Brauereien in Eberstadt Ob Eberstädter Brauer wie Gustav Neidert nun vier Jahre früher oder später aufgegeben haben – das erscheint eher unbedeutend angesichts der damals bevorstehenden Jahrhundertwende, die sich für die Eberstädter Brauereien als nicht zu meisternde Hürde erweisen sollte. Hatten bereits 1892 die Brauerei Georg Harnischfeger und die Brauerei Ludwig Herpel den Betrieb eingestellt, so gab schließlich Jakob Weyland im Jahr 1908 seine „Brauerei zum Schützenhof“ auf. Sowohl die Brauerei Hilsz als auch die „Brauerei zum Mühltal“ retteten sich zwar noch über das Ende des Ersten Weltkriegs, aber für beide kam im Jahr 1920 infolge des Rohstoffmangels und der überall herrschenden Armut das endgültige Aus. Aber: Musste es so kommen? Und was war geschehen? – Im Falle der Brauereien Hilsz und Bauer mag der Erste Weltkrieg als Ursache nahe liegen, doch warum mussten in den Jahren zuvor bereits die anderen Eberstädter Brauereien aufgeben? Weshalb gelang es keiner der kleinen Brauereien, sich über die Zeit zu retten? Und warum schreibt Friedrich Kirschner, im Jahre 1914 habe es in Eberstadt noch „9 Brauereien“ gegeben? 45 Wie bereits in Kapitel 4 angedeutet hing das langsame Sterben der hiesigen Brauereien mit zweierlei zusammen: Auf der einen Seite die Konzentration auf dem Markt – so wuchs etwa im nahen Pfungstadt die Brauerei Hildebrandt beständig und begann vermutlich irgendwann, auch in Eberstadt die Brauer abzuwerben –, auf der anderen Seite zeigte sich nun immer deutlicher, dass die Anbindung Eberstadts an die Eisenbahnlinie Frankfurt- Heidelberg im Jahre 1846 eher Fluch als Segen war. Zumindest für die lokale Wirtschaft. Zwar hatte der Pfarrer J. Carl Friedrich Kißner die Freude der Eberstädter an der Gemeinschaft (oder vielmehr: dem gemeinschaftlichen Rausch) mit einiger Skepsis betrachtet und wohl deshalb im Jahre 1857 in der Pfarrchronik vermerkt: „Wirtschaften hat man hier viele (Man möchte sagen: zu viele)“; und noch im Jahr 1875 äußerte der Pfarrer in der Ortschronik seinen Unmut darüber, dass die Eberstädter am Sonntagmorgen offenbar lieber ins Wirtshaus gingen als in die Kirche. Aber in den zehn Jahren seit 1846, nachdem die Eisenbahn zwischen Heidelberg und Frankfurt auch Halt in Eberstadt machte, waren viele Gasthäuser und Schankstuben „eingegangen“, wie Kißner schrieb. Denn die Eisenbahn machte auch in Eberstadt die Arbeit vieler Straßenfuhrleute und anderweitig aufs Transport- und Reisegeschäft Angewiesener überflüssig. Bis zur Inbetriebnahme der Eisenbahn war Eberstadt auf der Handelsroute Frankfurt-Heidelberg ein beliebter und gut frequentierter Rastpunkt gewesen; die Fuhrleute konnten hier 45 Kirschner, 1998: S. 30. 28 StadtteilHistoriker Brauereien Halva
Sie können auch lesen