IM SCHAT TEN DER SEUCHE - Seit 2016 gilt Westafrika als frei von Ebola. Doch die Überlebenden kämpfen noch immer mit den Folgen des Virus. Wie ...
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I M S C H AT T E N DER SEUCHE Seit 2016 gilt Westafrika als frei von Ebola. Doch die Überlebenden kämpfen noch immer mit den Folgen des Virus. Wie Mary und Jessica in Liberia TEXT & FOTOS MARIUS MÜNSTERMANN 58 B R I G I T TE 5/2 0 1 8
/ Ebola R E P O R TA G E Allein neu beginnen Mary Harris verlor durch die Krank- heit Eltern und Bruder Enges Terrain West Point ist der größte Slum in Libe- rias Hauptstadt Monrovia
R E P O R TA G E Den Virus im Blick Jessica Sonpon trägt den Ebola- Erreger in ihren Augen, sie wird regelmäßig medizinisch überwacht Anlaufstelle Joyous Momoh (links) vom Liberianischen Roten Kreuz kümmert sich um Überlebende I hr Vater brachte das Virus mit nach Hause. Vermutlich infizierte er sich in der kleinen Klinik, in der er als Arzt arbeitete, im Zentrum von West Point, dem größten Slum in Liberias Hauptstadt Monrovia. Ihr Vater war der oder in überfüllten Slums wie West Point, wo bis zu 70 000 Menschen gedrängt auf einer sandigen Halbinsel zwischen Atlan- tik und dem übelriechenden Mesurado- Fluss leben. Hier ist Mary Harris zu Hause. Der Rauch aus vielen Holzkohle Tränen von der Wange, atmet tief durch. „Die Ebola-Krise ist vorbei. Aber wir Überlebenden kämpfen bis heute“, sagt sie. „Wir kämpfen uns zurück ins Leben.“ Dass die Weltgesundheitsorganisation die betroffenen westafrikanischen Staa- Erste in der Familie von Mary Harris, der öfen hängt in den labyrinthartigen Gas- ten 2016 für Ebola-frei erklärte, war vie- erkrankte. Marys Mutter ließ bald danach sen unter den niedrigen Wellblechdä- len Medien keine Schlagzeile mehr wert. ihren Stand auf dem Markt ruhen. Ihre chern. Kinderkeuchen dringt aus dem Doch viele der mehr als 17 000 Men- Mangos und Orangen wollte jetzt sowieso schen, die das Virus überlebt haben, lei- niemand mehr kaufen, die Leute horteten den bis heute unter den Folgen. Auch ihre Wasser, Mehl, Bohnen, Öl, keine Früchte. IHR MANN VERLIESS Schicksale blieben nach dem Ende der Die Mutter kümmerte sich um ihren Epidemie weitgehend unbeachtet. Dabei Mann, tupfte ihm den Schweiß vom Leib, SIE, WEIL SIE NACH könnten die Überlebenden eine entschei- wischte das Erbrochene vom Boden. dende Rolle im Kampf gegen künftige Wenige Tage später wurde auch sie fiebrig. IHREN ELTERN SAH Ebola-Ausbrüche spielen. Forscher wol- Dann erwischte es Marys Bruder. len mit ihrer Hilfe Impfstoffe entwickeln Nie zuvor hat Ebola derart verheerend Nachbarhaus, übertönt von Hip-Hop, der und neue Erkenntnisse über das Virus gewütet wie zwischen 2013 und 2016 in aus blechernen Boxen wummert. erlangen, bevor sich womöglich ein noch Westafrika. Das Virus tötete mindestens Während sie erzählt, rutscht Mary aggressiverer Erregerstamm verbreitet. 11 300 Menschen, die meisten in Liberia, Harris unruhig in ihrem Plastikstuhl hin Auf dem Höhepunkt der Epidemie im Sierra Leone und Guinea. Vermutlich gab und her. Die 22-Jährige zupft das blau- Spätsommer 2014 ließ die Regierung ganz es noch deutlich mehr Todesfälle, die nie weiß gestreifte Tuch zurecht, das sie West Point von der Armee abriegeln. dokumentiert wurden. Menschen, die kunstvoll um ihren Kopf geschlungen Niemand kam mehr hinein und schon gar starben, ohne dass sich je ein Arzt um sie trägt. Sie hat das Virus überlebt, als Ein- nicht hinaus. Wer es dennoch versuchte, gekümmert hätte, in entlegenen Dörfern zige in ihrer Familie. Sie wischt sich die den trieben die Soldaten mit Knüppeln 60 B R I G I T TE 5 /2 0 1 8
Dürftiger Schutz Die Anzüge der Helfer dienen mittlerweile als Regenbekleidung zurück hinter den Stacheldrahtzaun. sie Marys Mutter und ihren Bruder auf Haus verlassen hatte. Ebola-Kranke Haushalte wie der von Familie Harris, in Schubkarren davon, sie waren zu schwach, waren Aussätzige. Selbst Ärzte, die in denen Ebola-Kranke lebten, wurden um noch selbst zu gehen, und brachten Kontakt mit Patienten standen, wurden gesondert isoliert. Mary wohnte damals sie in eine zum Sammelpunkt für Ebola- mancherorts mit Steinen beworfen. einige Straßen von ihren Eltern entfernt. Kranke umfunktionierte Grundschule in Tage später kehrte Mary in ihr Eltern- Ihr Mann drohte sie zu verlassen, wenn West Point. Medizinische Hilfe gab es haus zurück, in der Hoffnung, etwas zu sie nach ihrer Familie sähe. Mary, damals anfangs nicht, nur die Aussicht, bald in finden, was sie verkaufen konnte, um schwanger mit Zwillingen und Mutter ein gerade entstehendes Behandlungs- Essen zu kaufen. Doch es war leer gefegt. einer heute Sechsjährigen, ging trotzdem; zentrum gefahren zu werden. Die Ebola-Spürtrupps hatten die Räume ihren Mann sah sie danach nie wieder. mit Chlor eingesprüht und ihre Habe ver- Drei Wochen mussten Marys Angehö- brannt. Für Mary war das ein zweiter rige im Haus ausharren – so lange kann DREI VIERTEL DER Schock: „Ich stand vor dem Nichts.“ es dauern, bis sich nach einer Infektion Ihr half das Liberianische Rote Kreuz, die ersten Symptome zeigen. „Ich weiß, EBOLA-TOTEN verschaffte ihr eine Ausbildung; inzwi- dass das eine Schutzmaßnahme war. Aber schen hat sie einen kleinen Verkaufsstand für uns fühlte es sich an wie ein Gefäng- WAREN FRAUEN aufgemacht und kann damit sich und ihre nis“, sagt Mary. Die spärlichen Vorräte drei Kinder versorgen. In einer der Gas- waren nach vier Tagen aufgebraucht. „Wir Mary Harris weiß nicht, wann und wo sen von West Point backt sie salzige Teil- haben gehungert und um Wasser gebet- ihre Familie starb. Sie sah sie nie wieder, chen, Kokos- und Erdnusskekse. Ihr telt.“ Nur einmal am Tag kam ein Hilfs später erfuhr sie, dass ihre Leichname Stand ist eigentlich nur ein Ofen und ein trupp vorbei. Sie stellten Wasser und verbrannt wurden. Auch Mary bekam Blech, auf dem die Kekse ausliegen. Für Mehl vor die Tür, dann verschwanden sie. Durchfall und Fieber und versteckte sich, Mary Harris aber bedeutet er Zukunft. Ärzte kamen nicht. Erst als ihr Vater um dem Hausarrest zu entgehen, in einer Die Epidemie hat viele Traumata hin- starb, betraten Helfer in Schutzanzügen verwaisten Ecke des Marktes unter einer terlassen. Drei Viertel der Ebola-Toten ihr Haus und hievten den Toten an allen Plane. Sie hörte, wie eine Nachbarin sie waren Frauen – weil mehr Frauen als vieren hinaus. Am nächsten Tag fuhren lauthals verfluchte, weil sie unerlaubt das Männer in Pflegeberufen arbeiten und B R I G I T T E 5 / 2018 61
Neues Zuhause Jessica (rechts) lebt jetzt in der Familie ihrer Nachbarin Luis (Mitte) und deren Tochter Rose (links) weil vor allem Frauen zu Hause Angehö- zuerst infizierten, das Virus in ihre Fami- rige pflegten und so einem besonderen lien trugen und nun denken, dass sie R ÄT S E L H A F T E Ansteckungsrisiko ausgesetzt wurden. Schuld am Tod ihrer Liebsten tragen.“ EPIDEMIE Wer überlebte, war stigmatisiert. In Joyous Momoh kennt sich gut aus in den ersten Monaten nach der Epidemie West Point, sie arbeitet seit vielen Jahren Die Ebola-Forschung beschränkte wurden Ebola-Überlebende in manchen dort. Das zahlte sich während der Ebola- sich bislang fast ausschließlich auf Krankenhäusern als „Spezialpatienten“ Krise aus. „Wir waren vorbereitet“, sagt Tests an Makaken-Affen. Seit 1976 behandelt – für 50 Dollar, für die meis- Momoh. Schon bevor das Viertel unter ist das Virus zwar nachweislich ten eine unbezahlbare Summe. Manchmal Quarantäne gestellt wurde, lagerte das 36-mal vom Tier auf den Menschen wurde eine Behandlung ganz verweigert. Rote Kreuz Handschuhe, Desinfektions- übergegangen. Doch die Zahl der Infizierten war stets überschaubar, Viele wurden gemieden, manche, wie mittel, Schutzanzüge und -masken bei noch kleiner war die Gruppe der Mary Harris, von ihren Ehepartnern oder Frauen in West Point. So waren sie aus- Überlebenden. Schwierige Voraus- Familien verstoßen. gerüstet, um Kranken zu helfen, während setzungen für umfassende Studien. „Viele der Überlebenden leiden unter niemand das Viertel betreten durfte. Es So gab es vor dem Ausbruch in posttraumatischen Belastungsstörungen ist eine der wichtigsten Erkenntnisse der Westafrika gerade einmal zwei Ver- oder Depressionen“, sagt Joyous Momoh, Epidemie, die auch die WHO rückbli- suchsreihen mit Ebola-Überleben- die beim Liberianischen Roten Kreuz ein ckend betont: Ein Virus lässt sich nur den, die größere – Überlebende Programm leitet, das Frauen ein eigen- dann effektiv bekämpfen, wenn die eines Ausbruchs in Uganda im Jahr 2000 – umfasste lediglich 70 Patien- ständiges Leben ermöglicht. Prostituier- Betroffenen selbst in den Kampf einge- ten. Neue Erkenntnisse verspricht ten, Drogenabhängigen, Vergewaltigungs- bunden werden. Joyous Momoh sagt: „Wir das Forschungsprogramm PREVAIL opfern, Aids-Kranken – und seit dem haben das Virus in Monrovia erwartet.“ in Monrovia. Es erforscht das Post- Ende der Epidemie auch Ebola-Überle- Forscher vermuten, dass die Seuche Ebola-Syndrom – die Regionen im benden. Momoh hilft den Frauen in the- ihren Ursprung in einem Dorf im Drei- Körper, in denen die Viren nach rapeutischen Sitzungen, ihre Erlebnisse ländereck zwischen Guinea, Liberia und Abklingen der Krankheit überleben. zu verarbeiten. „Manche werden von Sierra Leone nahm. „Patient Zero“ soll Schuldgefühlen geplagt, weil sie sich 2013 ein zweijähriger Junge gewesen sein. 62 B R I G I T TE 5 /2 0 1 8
R E P O R TA G E Flughunde gelten als mögliche Überträ- sich Ebola nicht nur im Auge von Über- ger, aber auch Affen und andere Wildtiere HILFE FÜR DIE lebenden monatelang festsetzen kann, – seit die Menschen immer tiefer in die ÜBERLEBENDEN sondern auch im Gehirn, in der Mutter- Wälder vordringen, leben die Wildtiere in milch und in Hoden, vermutlich auch in unmittelbarer Nachbarschaft. Einige Zeit der Plazenta und im Rückenmark. For- Beim Liberianischen Roten Kreuz kursierte das Virus unerkannt in den können etwa 200 Frauen in einer scher fassen die Symptome als Post- umliegenden Dörfern. Die Symptome – dreijährigen Ausbildung Ebola-Syndrom zusammen. Die Erklä- vor allem Fieber, Erbrechen und Durchfall schneidern lernen, eine Ausbildung rung: Die befallenen Regionen sind so- – ähneln denen anderer Tropenkrankhei- im Gastronomiegewerbe machen genannte immunprivilegierte Bereiche ten. Mindestens 30 Menschen starben, oder Friseurin werden. Zuvor lernen des Körpers. Das Immunsystem ist dort bis ein Epidemiologe von Ärzte ohne viele der Frauen erst einmal lesen, heruntergefahren, um das empfindliche Grenzen dem Virus auf die Schliche kam. schreiben und rechnen. Und Gewebe nicht zu sehr zu belasten. Viren gemeinsam mit Joyous Momoh Er hatte Berichte über die vermehrten nutzen diese Schwachstelle. und ihren Kolleginnen verarbeiten Todesfälle aus Guinea studiert und war sie in therapeutischen Sitzungen Die Forscher hoffen, mithilfe der stutzig geworden, weil in einigen der ihre traumatischen Erlebnisse. Daten einen Impfstoff entwickeln zu kön- Krankenakten Schluckauf vermerkt war: Auch das ist eine Besonderheit, nen, denn womöglich verfügen die Über- eines der seltsamen, ungeklärten Symp- denn psychologische Betreuung ist lebenden über spezielle Antikörper, die tome, die Ebola bei einigen Patienten her- in Liberia noch immer selten. im Kampf gegen Ebola eine Schlüsselrolle vorruft. Der Arzt schlug Alarm, doch es Im ganzen Land, das von 1987 bis spielen könnten. Der US-Pharmakonzern war bereits zu spät. 2003 von zwei Bürgerkriegen Merck & Co. testet bereits einen Impf- zerrissen wurde, gab es zu Beginn Das Virus erreichte Monrovia in den stoff in Guinea. Allerdings: Er wirkt bis- der Ebola-Epidemie im Jahr 2013 Schulferien, im Sommer 2014. Es war genau zwei Psychologen. lang nicht gegen alle Ebola-Varianten. Jessica Sonpons letztes Schuljahr. „Aber Die Zeit drängt. Eine neue Ebola-Epi- Spenden für das WIN-Progamm wegen der Epidemie konnte ich nicht („Women Training and demie ist laut Weltgesundheitsorganisa- mehr zur Schule gehen“, sagt die 22-Jäh- Integrated Program“): tion „unausweichlich“. Im Mai 2017 rige, während sie ihre Halskette durch die Deutsches Rotes Kreuz, tauchte das Virus erneut auf, diesmal in Finger gleiten lässt. An die Wochen, in IBAN: DE63370205000005023307, der Demokratischen Republik Kongo. denen ihre Familie mit dem Virus Stichwort: Gesundheit Afrika. In Liberia starben im April 2017 kämpfte, hat Jessica fast keine Erinnerun- 13 Menschen eines seltsamen Todes. Der gen mehr. Sie hat als Einzige überlebt. Verdacht: Ebola. Die Behörden reagierten Heute lebt sie bei ihrer Nachbarin Luis, schnell. Angehörige der Verstorbenen die sie bei sich aufnahm. fortleben kann, war bis dahin nicht wurden isoliert, Proben der Toten in ein Während Jessica erzählt, trommelt bekannt. Man kannte das Phänomen nur spezialisiertes Labor geschickt. Das Regen auf das Wellblechdach. Sie muss von anderen Viren wie Herpes. Ergebnis: Meningitis. Und die Erkennt- sich anstrengen, um gegen den Lärm Alle sechs Monate fährt Jessica ins nis: Das Alarmsystem funktioniert. anzureden. Das Hören fällt ihr ohnehin John F. Kennedy Krankenhaus, die größte Mary Harris will den Hügel hinauf ins schwer. „Außerdem kann ich manchmal Klinik Monrovias. Der Bau wurde mit Zentrum von Monrovia. Dort bewirbt sie kaum klar sehen“, sagt sie. Und immer internationalen Hilfsgeldern saniert, im sich in Hotels und Restaurants. So hofft wieder durchfährt sie ein Schmerz in allen zweiten Stock ist eine gut ausgestattete sie, Ebola hinter sich zu lassen. Sie will Station untergebracht, mit modernen dann wegziehen aus West Point. Messgeräten und Gefrierschränken, in Jessica Sonpon träumt davon, irgend- EBOLA-VIREN den sich Blutproben bei minus 80 Grad wann zu studieren. Seit das Virus sie in VERSCHWINDEN konservieren lassen. Diese Station ist der den Ferien befiel, ist sie nicht mehr zur Hauptsitz des Forschungsprogramms Schule gegangen. Sie will Ärztin werden. NICHT KOMPLETT PREVAIL („Partnership For Research on Ebola Virus in Liberia“), gefördert von AUS DEM KÖRPER den US-amerikanischen National Insti- Marius Münstermann tutes of Public Health. Im Eingangsbe- wollte eigentlich der Gliedern. Jessica leidet unter den körper- reich klebt ein Sticker mit der Aufschrift Frage nachgehen, ob das lichen Langzeitfolgen von Ebola. Denn „All Liberians Are Survivors“: Alle Libe- arme, kriegsversehrte Überleben bedeutet nicht, dass das Virus rianer sind Überlebende. Liberia auf einen ganz aus dem Körper verschwunden ist. Fünf Jahre lang erhalten Überlebende erneuten Ebola-Ausbruch vorbereitet wäre. Im Es ist ihr nicht anzusehen, aber in Jes- wie Jessica hier kostenlose Untersuchun- Gespräch mit Überlebenden merkte er sicas Augen verstecken sich noch immer gen und Behandlungen. Inzwischen neh- jedoch, dass die Langzeitfolgen des Virus Ebola-Viren. Sie lassen den Augeninnen- men 1141 Überlebende am PREVAIL-Pro- noch gar nicht ausgestanden sind. druck anschwellen, deshalb der Schmerz gramm teil. Entsprechend groß ist der Seine Recherche wurde von der Stiftung und die Sehprobleme. Dass Ebola im Auge Erkenntnisgewinn: Man weiß jetzt, dass Weltbevölkerung gefördert. B R I G I T T E 5 / 2018 63
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