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Bildungsgerechtigkeit in Deutschland Eine Analyse der Entwicklung seit dem Jahr 2000 Christina Anger | Anja Katrin Orth
Inhalt 4 | Editorial 6 | Z u s a m m e n fa s s u n g 9 | 1. Einleitung 11 | 2 . B i l d u n g s s y s t e m , E i n k o m m e n s v e r t e i l u n g u n d E i n k o m m e n s m ob i l i t ä t Bildung und Verteilung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Perspektiven von Mittelqualifizierten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Politische Handlungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 24 | 3 . D u r c h l ä s s i g k e i t d e s d e u t s c h e n B i l d u n g s s y s t e m s Bildungsmobilität in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Sozio-ökonomischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Kurative Funktion des beruflichen Bildungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Soziale Struktur der Hochschulabsolventen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Politische Handlungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 44 | 4 . P e r s p e k t i v e n v o n Ho c h s c h u l a b s o l v e n t e n Arbeitsmarktzugang von Hochschulabsolventen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Arbeitsmarktzugang von Bachelor- und Masterabsolventen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Politische Handlungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 54 | L i t e r at u r 62 | Ta b e l l e n u n d A b b i l d u n g e n
Editorial Bildung ist Voraussetzung für gesellschaftliche, politische, kulturelle und wirtschaftliche Teilhabe. Ohne ausreichende Bildung gelingt es Menschen nicht, sich in befriedigendem Maße in die Ge- meinschaft einzubringen. Sie werden abgehängt und verpassen den Anschluss, sie sind benach- teiligt und bilden das Schlusslicht. Deshalb ist die Frage der Bildungsgerechtigkeit für den Zusammenhalt einer Gesellschaft von grundsätzlicher Bedeutung. Dies gilt für alle Gesellschaften, macht sich jedoch in hochentwickel- ten, industrialisierten Gesellschaften, in denen in Bildungseinrichtungen vermittelte Fertigkeiten und Kenntnisse im Vergleich zu lebensweltlichem Erfahrungswissen wichtiger werden, besonders stark bemerkbar. Gerade weil Bildung eine grundlegende Bedeutung für die Entwicklung eines Menschen und seine Persönlichkeitsentfaltung hat, muss das Bildungssystem so gestaltet werden, dass es gelingt, Begabungen zu fördern, Defizite zu beheben und Bildungsunterschiede möglichst gut auszugleichen. Bildungsschwache müssen besonders unterstützt werden, ohne Bildungsstarke zu benachteiligen. Ungleiche Bildungschancen werden als ungerecht empfunden. Der Begriff „Bildungsgerechtigkeit” wird daher meistens als Chancengleichheit im Bildungssystem verstanden. Hinter diesen Begriffen und ihrer vermeintlichen Eindeutigkeit verbirgt sich eine Reihe von Problemen, mit denen sich Bildungsforscher, Sozialwissenschaftler und Politiker – und erst recht „Bildungspraktiker” – seit langem auseinandersetzen. Bildungsgerechtigkeit ist eine andauernde Herausforderung. Sie bleibt auch künftig mit hoher Priorität auf der bildungspolitischen Agenda. Ein wichtiger und häufig verwendeter Indikator für Bildungsgerechtigkeit ist der Zusammenhang von Bildungserfolg und sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen. Wenn es Menschen aus sozial schwachen Schichten weniger gut gelingt, einen höheren Bildungsabschluss zu erreichen als dies bei Menschen aus gehobenen Schichten der Fall ist, dann ist dies ein deutlicher Hinweis darauf, dass Bildungsgerechtigkeit nicht in ausreichendem Maße verwirklicht ist. Gelingt dagegen der Bildungsaufstieg gut, dann ist es ein Zeichen für ein eher gerechtes Bildungssystem. Die nachfolgende Studie „Bildungsgerechtigkeit in Deutschland” von Christina Anger und Anja Katrin Orth vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln untersucht die Fragen der Bildungs gerechtigkeit unter drei Aspekten: 1. „Bildungssystem, Einkommensverteilung und Einkommensmobilität”, 2. „Durchlässigkeit des deutschen Bildungssystems” und 3. „Perspektiven von Hochschulabsolventen”. 4 | Bildungsgerechtigkeit
Aus der Studie lassen sich folgende Kernaussagen extrahieren: 1. In Deutschland ist die Einkommensmittelschicht seit Jahren auf einem stabilen hohen Niveau, ca. zwei Drittel der Bevölkerung gehören ihr an. Ein mindestens mittlerer Bildungsabschluss schützt vor sozialem Abstieg und bietet Gewähr für den Aufstieg in die Mittelschicht. Ein geringes Bildungsniveau dagegen geht mit einem hohen Armutsrisiko einher. Bildung trägt zu mehr Wohl- stand bei und, wenn es gelingt, die Zahl der Geringqualifizierten zu reduzieren, auch zu einer homogeneren Wohlstandsverteilung. 2. Die Perspektiven auf dem deutschen Arbeitsmarkt für Mittel- und Hochqualifizierte bleiben in den nächsten Jahren gut. Die Verbesserung des Bildungsniveaus ist daher eine wichtige Aufgabe zur Sicherung des sozialen Status. 3. In Deutschland gibt es mehr Bildungsaufsteiger als -absteiger. Im Vergleich zu anderen Ländern ist die Anzahl der Bildungsaufsteiger aber geringer. Dafür sind formale Gründe aus- schlaggebend: (a.) Viele Menschen in Deutschland haben bereits ein hohes Niveau erreicht, so dass es keinen weiteren formalen Aufstieg geben kann. (b.) Die Akademikerquote ist aufgrund des Ausbildungssystems traditionell geringer. (c.) Eine berufliche Ausbildung führt nach OECD- Sicht zu einem geringeren Niveau als eine akademische Ausbildung. Dies erlaubt jedoch in Wirklichkeit keine Rückschlüsse auf den sozialen Status. 4. Das deutsche Bildungssystem ist durchlässiger geworden. Die Kopplung zwischen dem sozialen Status der Eltern und dem Bildungsniveau nimmt ab. Der Anteil Geringqualifizierter wird kleiner. Mit Blick auf die steigenden Bildungsanforderungen auf dem Arbeitsmarkt dürfen die Bildungs anstrengungen jedoch nicht nachlassen. Auch für die Einbindung von Migranten sind bereits wich- tige Schritte getan. Im Hinblick auf die verstärkte Zuwanderung müssen die Bildungsangebote weiter ausgebaut werden, um die Integration zu verbessern. 5. Weitere Verbesserungen sind im gesamten Bildungssystem notwendig: Die frühkindliche Bil- dung muss stärker von bildungsfernen Schichten genutzt werden. Ganztagsangebote in Schulen kommen besonders Bildungsschwachen zugute. Schulen und Lehrer brauchen Anreize für mehr Qualität. Der Ausbau der Hochschulen hat größere Kapazitäten für die akademische Ausbildung geschaffen. Der Zugang zum Studium auch für jene, die kein Abitur haben, verbessert die Bildungschancen. Die Angebote berufsbegleitender Studienmöglichkeiten dienen ebenfalls dazu, das Qualifizierungsniveau zu heben. Beides sollte deshalb weiterentwickelt werden. Insgesamt ist Deutschland bezüglich Bildungsgerechtigkeit auf einem guten Weg. Die nachfolgende Studie zeigt sowohl das Erreichte als auch die anstehenden Aufgaben auf. Aus den Ergebnissen werden zudem konkrete Handlungsempfehlungen gezogen (vgl. Handlungsempfehlungen: Seite 22, 42 und 52). Norbert Arnold Felise Maennig-Fortmann . . . i n De u t s c h l a n d | 5
Zusammenfassung Bildungspolitische Maßnahmen sollten die Wachs Vermehrt zur Gruppe der Haushalte mit geringeren tumschancen erhöhen, zu mehr Wohlstand führen Einkommen gehören Migranten und Alleinerziehende. und zu einer größeren Gerechtigkeit beitragen. Ge- Migranten haben dann geringere Bildungsrenditen, rechtigkeitsaspekte können dabei sowohl im Sinne wenn sie ihre Bildungsabschlüsse im Ausland erwor- von Chancen als auch von der Verteilung der Ergeb- ben haben. Die Einkommensperspektiven von Allein- nisse analysiert werden. Eine Maßnahme ist als effi erziehenden leiden darunter, dass sie Probleme zient und gerecht einzuschätzen, wenn Kinder aus beim Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Verantwortlich bildungsfernen Schichten einen verbesserten Zugang dafür sind fehlende Betreuungsangebote. Da sich der zur Bildung erhalten, ohne dass die Bildungschancen Anteil von Alleinerziehenden und Migranten in den der anderen Kinder sinken (Do-not-harm-Prinzip). letzten Jahren erhöht hat, ist es zur Festigung der Durch ein Anheben der Bildungschancen von Kindern Mittelschicht besonders wichtig, zu Verbesserungen aus bildungsfernen Schichten steigt das gesellschaft- beim Arbeitsmarktzugang für diese Personengruppen liche Bildungsniveau, ohne dass es zur Verletzung an- zu kommen. derer Gerechtigkeitsprinzipien kommen muss. In der vorliegenden Untersuchung steht somit die Chancen- Darüber hinaus schützen in Deutschland höhere gerechtigkeit im Vordergrund. Als eine Verbesserung Bildungsabschlüsse vor dem sozialen Abstieg und der Bildungsgerechtigkeit wird angesehen, wenn die sind mit einer höheren Aufstiegsmobilität verbunden. Leistungen am unteren Ende der Verteilung steigen, Die Aufstiegsmobilität (Aufstieg in eine höhere Ein- ohne dass es am oberen Ende zu einer Verringerung kommensgruppe) ist für Geringqualifizierte deutlich der Leistung kommt. Untersucht wird nicht, ob das niedriger als für Personen mit einer Berufs- oder Bildungssystem in der Weise gerecht ist, dass es Hochschulausbildung. Die Aufstiegsquote nimmt dabei jeden Einzelnen zu maximaler Leistung führt. mit steigendem Bildungsniveau zu. Gleichzeitig fällt die Abstiegsquote bei Personen ohne Berufsausbil- Bildung und Verteilung dung am höchsten aus. Ein mindestens mittlerer Bildungsabschluss kann somit dazu beitragen, das Ein internationaler Vergleich von Einkommensstreu- Risiko eines Abstiegs zu verringern und die Chancen ung und Bildungsniveau zeigt, dass geringe Unter- auf einen Einkommensaufstieg zu vergrößern. schiede beim Bildungsniveau in einer Gesellschaft mit einer geringen Einkommensstreuung korrelieren. Die guten Einkommensperspektiven der Mittel- und Zur Vermeidung von Armutsgefährdung ist es daher Hochqualifizierten dürften in den kommenden Jahren von hoher Bedeutung, den Anteil geringqualifizierter bestehen bleiben, selbst wenn es in Deutschland zu Personen möglichst klein zu halten. Gelingt es folg- einer deutlichen Höherqualifizierung kommen sollte. lich, die Bildungsarmut zu verringern ohne im mitt Ein wesentlicher Grund hierfür liegt in dem deutlich leren oder oberen Bereich der Bildungsverteilung steigenden demografiebedingten Ersatzbedarf an Einbußen zu erzeugen, so kann ein Weg zu mehr Fach- und Führungskräften. Eine Bildungsexpansion Wachstum und Verteilungseffizienz erreicht werden. in Deutschland kann somit beiden Zielen dienen: mehr Wachstum und Verteilungseffizienz. Die Vermeidung von Bildungsarmut führt auch bei Betrachtung der Einkommensverteilung innerhalb Durchlässigkeit des deutschen Bildungssystems Deutschlands zu positiven Ergebnissen. Ein mittlerer Bildungsabschluss in Deutschland ist mit mittleren Im Gegensatz zu Berechnungen der OECD zeigen Einkommensperspektiven verbunden. Die Personen eigene Analysen mit dem PIAAC-Datensatz, dass es mit mittlerem Bildungsabschluss gehörten im Jahr in Deutschland gegenwärtig mehr Bildungsaufsteiger 2000 mit 63,4 Prozent zur Gruppe mit mittleren Ein als Bildungsabsteiger gibt. Zu berücksichtigen ist im kommen, im Jahr 2013 waren es 64,3 Prozent. Ein Vergleich zu anderen Ländern, dass in Deutschland mittlerer Bildungsabschluss ist damit eine gute Voraus die Eltern zunehmend ein relativ hohes Bildungs setzung, um zur Einkommensmittelschicht zu gehören. niveau aufweisen, welches einen weiteren formalen 6 | Bildungsgerechtigkeit
Bildungsaufstieg der Kinder schwieriger macht. Ein Kindern aus bildungsfernen Schichten. Damit kann geringerer Anteil an Bildungsaufsteigern als andere die frühkindliche Bildung besser als noch vor wenigen Länder bedeutet daher nicht, dass Deutschland ein Jahren zu mehr Bildungsgerechtigkeit beitragen. undurchlässiges Bildungssystem aufweist. Darüber hinaus weist Deutschland traditionell eine geringere Die berufliche Bildung hat in den letzten Jahren ihre Akademikerquote und damit womöglich auch weniger kompensatorische Funktion ausbauen können. So Bildungsaufsteiger auf als andere Länder. Dies ist auf konnte das berufliche Bildungssystem dazu beitragen, das in Deutschland gut ausgebaute System der beruf- dass mehr junge Menschen eine Studienberechtigung lichen Bildung zurückzuführen. Kinder, deren Eltern erreichen. Ferner gelingt es der dualen Ausbildung, einen Hochschulabschluss aufweisen, die aber selber dass in Deutschland trotz einer vergleichsweise hohen eine berufliche Bildung abschließen, gehören zwar PISA-Risikogruppe nur wenige junge Erwachsene formell zur Gruppe der Bildungsabsteiger, stellen aber ohne abgeschlossene Berufsausbildung verbleiben keine Problemgruppe dar, da in Deutschland auch ein und die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland sehr mittlerer Bildungsabschluss mit guten Beschäftigungs- niedrig ist. Letztere stellt sich in vielen Ländern als und Einkommenschancen verbunden ist. eine zentrale Einstiegsbarriere dar. Seit dem PISA-Schock der ersten PISA-2000-Erhe- Auch beim Zugang zu akademischen Abschlüssen hat bung haben sich wichtige gerechtigkeitsrelevante es in Deutschland in den letzten Jahren deutliche Ver- Aspekte beim Zugang zu Bildung verbessert. Seit besserungen gegeben. Seit den Jahren 2000 – 2002 dem Jahr 2000 ist es gelungen, den Effekt des sozio- ist der Anteil der Nichtakademikerkinder, der einen ökonomischen Hintergrundes der Familien auf die Studienabschluss erreicht hat, an allen Nichtakade Bildungserfolge der Kinder und die Bildungsarmut zu mikerkindern von 18,6 auf 22,7 Prozent in den Jahren verringern. Gleichzeitig ist das durchschnittliche Kom- 2012/2013 angestiegen. Besonders erfolgreich waren petenzniveau der Jugendlichen gestiegen. Die Schüler dabei Bildungsaufstiege in den MINT-Fächern. am unteren Ende der Kompetenzverteilung konnten folglich zulegen und ihren Abstand zum oberen Ende Perspektiven von Hochschulabsolventen verringern, ohne dass dort die Leistungen gesunken sind. Ähnliches ist auch für die Migranten zu beobach- Der Arbeitsmarktübergang von Hochschulabsolventen ten: Die Risikogruppe ist gesunken, der Abstand zu verläuft insgesamt weiterhin relativ gut und dürfte den Nichtmigranten hat abgenommen und gleichzeitig sich auch zukünftig trotz steigender Studierenden- konnten die Nichtmigranten sogar leicht zulegen. zahlen nicht verschlechtern, auch wenn es diesbezüg- Aufgrund des Höherqualifizierungstrends am Arbeits- lich Unterschiede zwischen verschiedenen Studien- markt und des steigenden Anteils an Migrantenkin gängen gibt. Die Strukturreform im Hochschulbereich dern sind weitere Fortschritte bei der Reduzierung dürfte die Durchlässigkeit und den Zugang zu akade- von Bildungsarmut dringend nötig. mischen Abschlüssen weiter verbessern, da die ge- stuften Studiengänge das Risiko einer Investition in Die frühkindliche Bildung hat stark positive Wirkungen die akademische Bildung senken. Die häufig beklag- auf die Entwicklung besonders bei Kindern aus bil- ten Bedenken gegen die neuen Studienstrukturen lau- dungsfernen Schichten. Damit hat die frühkindliche fen ins Leere: Bei der Analyse der Berufs- und Karrie- Bildung das Potenzial, Schwächere zu fördern und den reperspektiven zeigt sich, dass die gestuften Studien- Abstand zu Stärkeren zu verringern und gleichzeitig gänge keinen Nachteil beim Zugang zum Arbeitsmarkt auch die Stärkeren zu fördern. Der Bildungsgerechtig- aufweisen. Auch bei den Karrierepositionen und der keit kann damit auf effiziente Weise gedient werden. Gehaltsentwicklung haben Bachelorabsolventen gute Leider sinkt jedoch im Querschnitt die Beteiligung Entwicklungschancen. mit sinkendem sozio-ökonomischem Status. Seit dem PISA-Schock zeigt sich aber auch empirisch eine Verbesserung bei der Teilnahme von Migranten und . . . i n De u t s c h l a n d | 7
Maßnahmen zur Verbesserung der Bildungs Schüler so zu fördern, dass er sein bestmögliches gerechtigkeit Lernergebnis erzielt. Die Politik hat in den letzten Jahren eine Reihe an Um die Verwertung erworbener Abschlüsse zu verbes- Maßnahmen umgesetzt, die zu einer höheren Bil- sern, hat die Bundesregierung ein Anerkennungsge- dungsgerechtigkeit führen können. Aufgrund des setz erlassen, nach dem die Abschlüsse aus dem Aus- Höherqualifizierungstrends am Arbeitsmarkt ist die land mit einem deutschen Referenzberuf verglichen Vermeidung von Bildungsarmut jedoch ein politisches werden. Zudem sollen bei festgestellten wesentlichen Ziel mit steigender Bedeutung. Trotz der Fortschritte Unterschieden zwischen dem deutschen Referenzberuf der Bildungspolitik bleiben Handlungsbedarfe beste- und einer ausländischen Qualifikation Weiterbildungs- hen, um die Bildungsgerechtigkeit zu erhöhen. angebote zur Verfügung gestellt werden können. Insgesamt verbessern sich damit die Einkommens Die Betreuungsinfrastruktur für Kinder im Alter perspektiven für Migranten. Der Arbeitsmarktzugang zwischen drei und sechs Jahren ist in Deutschland von Migranten gewinnt durch den gegenwärtigen sehr gut ausgebaut. Hier sollte die qualitative Ver Zustrom an Flüchtlingen nach Deutschland zukünftig besserung des Angebots im Vordergrund stehen. Bei eine noch stärkere Bedeutung. Um Flüchtlinge mög- vielen – vor allem bildungsbenachteiligten – Kindern lichst schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ist besteht ein erhöhter Förderbedarf im sprachlichen ein schneller Zugang zu Sprachkursen wichtig. Um Bereich. Durch den weiteren Ausbau der Sprachför diese Sprachförderung zu realisieren, sind nicht nur derung würden insbesondere Migrantenkinder profi entsprechend ausgebildete Lehrer sondern auch zu- tieren. Der stärkere Bildungsauftrag der Betreuungs sätzliche Lehrerstellen notwendig. Hier sollte auch einrichtungen und die individuellere Förderung der darüber nachgedacht werden, ob für eine Zeit lang Kinder führen zu höheren Anforderungen an die schon pensionierte Lehrer wieder in ihren alten Beruf Beschäftigten in Kindertageseinrichtungen, die ent- zurückkehren sollten. sprechend weiterzuqualifizieren sind. Um den Zugang zu akademischen Abschlüssen zu In den vergangenen Jahren wurden schon erhebliche verbessern, wurde das Angebot an Studienplätzen Fortschritte beim Ausbau der Betreuungsinfrastruktur ausgebaut. Um den Übergang vom beruflichen Bil- für unter dreijährige Kinder erzielt. Hierdurch wird der dungssystem an die Hochschulen zu erleichtern, sollte Arbeitsmarktzugang für Alleinerziehende verbessert. noch stärker über die Möglichkeiten der Studienauf- Ferner können Kinder aus bildungsfernen Haushalten nahme ohne Abitur/Fachhochschulreife informiert besser gefördert werden. Dennoch übersteigt in die- werden. Mit mindestens dreijähriger Berufserfahrung sem Bereich noch immer die Nachfrage das Angebot, können inzwischen auch ohne Abitur oder Fachhoch- so dass ein weiterer Ausbau der U3-Betreuung erfor- schulreife Studiengänge aufgenommen werden, die derlich ist. zum erlernten Beruf passen. Für die beruflich Qualifi- zierten ist es jedoch von besonderer Bedeutung, dass An den öffentlichen Schulen sind Maßnahmen wie die Weiterqualifizierung nicht mit zu hohen Opportu die Einführung von Standards und Vergleichsmaß- nitätskosten verbunden ist. Daher sollte die enge Ver- nahmen sowie erste Ansätze zu mehr Autonomie zahnung zwischen Berufs- und Hochschulbildung über umgesetzt worden, die einen Ideenwettbewerb um eine Anerkennung bereits erworbener Kompetenzen bessere Qualität entfachen können. Für eine bessere und Qualifikationen weiter gefördert werden. Auch Förderung der Kinder und Jugendlichen sollten noch sollten staatliche Hochschulen verstärkt berufsbeglei- mehr Ganztagsplätze an Schulen geschaffen werden, tende Angebote erstellen. Aus ökonomischer Sicht denn gerade die Unterschiede in der Qualität des könnte sich in diesem Fall eine nachfrageorientierte außerschulischen Lernumfelds tragen zu systematisch Hochschulfinanzierung positiv auswirken. Es bestün- schlechteren Lernergebnissen von Schülern aus bil- den finanzielle Anreize, zusätzliche Studienplätze dungsfernen Schichten bei. Auch eine zielorientierte samt Brückenkurse für beruflich qualifizierte Personen Vergütung der Lehrer könnte dazu beitragen, jeden mit hohen Kompetenzen anzubieten. 8 | Bildungsgerechtigkeit
1 | Einleitung Dem Thema Bildungsgerechtigkeit wird in der öffent Individuum um X Prozent besser werden (Chancen lichen Wahrnehmung eine große Bedeutung einge- orientieren sich am Output und am ursprünglichem räumt. Bildungspolitische Maßnahmen sollen sowohl Niveau) oder sollten alle Individuen so viel Input wie Effizienz und Wachstumschancen erhöhen, als auch nötig erhalten, damit ein definierter Output erreicht zu einer größeren Gerechtigkeit beitragen. Eine völ- wird (beispielsweise die mittlere Reife oder Abitur)? lige Gleichheit im Bildungserfolg kann es nicht geben, genauso wenig wie in anderen Bereichen des Lebens. Diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten. Für Einflussgrößen wie Intelligenz, individuelle Förderung verschiedene Positionen gibt es sowohl gute Gründe durch die Eltern und Investitionsbereitschaft in Bil- als auch valide Gegenargumente. Eine gute Bildungs- dung sind derart vielschichtig, dass eine Ergebnis- politik könnte sich daher an einer Methodik des gleichheit kaum möglich erscheint. Bildungsexperten „second best” orientieren. Statt zu prüfen, ob das sind daher der Meinung, dass gute und gerechte Bildungssystem absolut gerecht ist, sollte demnach Bildungspolitik sich in erster Linie an den Chancen untersucht werden, inwiefern einzelne Maßnahmen orientiert (Liebig, 2010). Der Begriff „Chancengerech- elementare Gerechtigkeitsprinzipien einhalten oder tigkeit” wird in diesem Zusammenhang häufig als verletzen. Für diese relative Sichtweise und damit zentrales Gerechtigkeitskriterium genannt. Chancen gegen die Betrachtung absoluter Gerechtigkeit spricht lassen sich dabei aufgrund divergierender Prinzipien – auch die Tatsache, dass der Input – gemessen in zum Beispiel Bedürfnis, Leistung, Gleichheit oder Steuermitteln – nicht unendlich sein kann. Ein Bei- Anspruch – verteilen. spiel für eine relative Abwägung: Sollte die Bildungs- politik ihre begrenzten Mittel eher dazu verwenden, Grundsätzlich kann man einen erhöhten politischen kostenlose Studienplätze zur Verfügung zu stellen und gesellschaftlichen Konsens erwarten, was die oder sollte stattdessen der Zugang zu frühkindlicher Prinzipien „Bedürftigkeit” und „Anspruch” betrifft. Bildung kostenlos sein? Wie wirken sich diese Alterna- Die Tatsache, dass Bildung dem Anspruch genügen tiven auf Chancengerechtigkeit, Verteilungsgerechtig- sollte, grundlegende Bedürfnisse zu befriedigen, steht keit oder gesamtgesellschaftliche Effizienz aus? außer Debatte und ist auch durch eine gewisse Pflicht zur Bildung (Schulpflicht) gesetzlich verankert. So Bei einer Fokussierung auf derartige Fragen könnte kann darüber hinaus beispielsweise das Ziel der Aus- man, empirisch abgesichert, Kriterien für die Bil- bildungsreife als Bedürfnis deckendes Minimalziel ge- dungspolitik ableiten und deren Leistung evaluieren. setzt und daraufhin evaluiert werden. Als eine konkret Wenn man zum Beispiel empirisch nachweisen kann, messbare Variable für das Ausbildungsniveau könnte dass ein niedriger sozio-ökonomischer Status negativ man beispielsweise ein PISA-Kompetenzniveau von mit einer Beteiligung an frühkindlicher Bildung zu- mindestens der Stufe 2 verwenden. Ebenso herrscht sammenhängt, könnte eine kluge Bildungspolitik ge- ein Konsens darüber, dass sich ein Recht auf Bildung zielt frühkindliche Bildung fördern, um den negativen nicht aus dem Status ableiten darf (Anspruchsprin- Bildungseffekt der exogenen Variablen „sozio-ökono- zip). Die Tatsache, ob beispielsweise ein Vater Medi mischer Status” abzufedern. Durch eine frühkindliche ziner ist, hat keine Rolle zu spielen bei der Zuteilung Bildung werden für Menschen mit niedrigem sozio- eines Medizinstudienplatzes für den Nachwuchs. ökonomischen Status Chancen geschaffen, die später nur noch durch erhöhte Mittel erreicht werden, bei- So bleiben als weitere Prinzipien der Verteilung von spielsweise durch zeit- und kostenintensive zweite Chancen eine schlichte Gleichheit der Chancen oder Bildungswege. Ein Argument gegen Studiengebühren, eine leistungsgerechte Verteilung von Chancen. Die das auf der Bewahrung der Chancengerechtigkeit Anwendung dieser Prinzipien gestaltet sich jedoch beruht, hat daher nur begrenzte Gültigkeit, da eine als ausgesprochen schwierig. Was genau bedeutet Allokation von Steuergeldern zum Ersatz von Studien- es, leistungsgerechte oder gleiche Chancen auf die gebühren bei begrenztem Budget geringere Mittel für Bildungsteilnehmer zu verteilen? Sollte jedes Indivi- die frühkindliche Bildung bedeutet. Durch eine Allo duum die gleiche Stundenanzahl an Bildung erhalten kation der Ressourcen hin zur frühkindlichen Bildung (Chancen orientieren sich am Input), sollte jedes werden Chancen für Menschen erst ermöglicht, die . . . i n De u t s c h l a n d | 9
ohne entsprechende Mittel niemals den Zugang zu n Der Anteil der Schüler ohne grundlegende Kennt- Hochschulen erhalten würden. nisse sinkt und ein allgemeines Niveau an Bildung wird für alle realisiert. Eine gerechte Bildungspolitik berücksichtigt neben elementaren Gerechtigkeitsprinzipien auch die Er- n Die sozio-ökonomisch bedingte Streuung der Schü- gebnisse der empirischen Gerechtigkeitsforschung. lerleistungen nimmt ab. Die im Bildungsniveau Eine Maßnahme ist infolgedessen dann als gut einzu gefundenen Unterschiede hängen dann mehr vom schätzen, wenn Kindern aus bildungsfernen Schichten Potenzial der Kinder ab und weniger von Einflüssen, einen verbesserten Zugang zur Bildung erhalten. für die die Kinder nicht verantwortlich sind (zum Diese Kinder bekommen dadurch bessere Chancen, Beispiel sozio-ökonomischer Status oder Migrations- ohne dass dies bedeutet, dass die Bildungschancen hintergrund der Eltern). der anderen Kinder sinken (Do-not-harm-Prinzip). Eine Kongruenz aus normativen Prinzipien und aus n Das gesamte Leistungsniveau nimmt zu. Sofern empirischer Akzeptanzforschung scheint also möglich. alle Kinder besser gefördert werden, steigt die Je nach institutioneller Gestaltung einer Reform ist Kompetenz insgesamt, was positiv für den Wohl- eine Divergenz zwischen Gerechtigkeitsurteilen von stand der Gesellschaft ist. Experten und der Gesamtbevölkerung also nicht zwangsläufig gegeben, sondern kann durch entspre- Letzteres ist von großer Bedeutung, da Bildung ein chende Politik verhindert werden. So steigt durch ein Positionsgut ist. Die besondere Förderung zusätzlicher Anheben der Bildungschancen von Kindern aus bil- Potenziale senkt zwar die Bedeutung des Positions- dungsfernen Schichten das gesellschaftliche Bildungs- gutes, führt aber dann zu einem Wohlstandsgewinn niveau, ohne dass es zur Verletzung eines der Ge- für alle, wenn ein gesamtwirtschaftlicher Bedarf an rechtigkeitsprinzipien kommt. Diese Argumentation höheren Qualifikationen besteht. gilt analog für sehr viele Bereiche der Bildungspolitik, beispielsweise für den Zugang beruflich Qualifizierter Ziel der vorliegenden Analyse ist es, zu überprüfen, zur Hochschulbildung. Diese Maßnahmen führen nicht ob in den letzten Jahren eine Verbesserung beim Ziel nur zu mehr Gerechtigkeit, sondern auch zu größerer der Bildungsgerechtigkeit erreicht werden konnte. Verteilungseffizienz (Anger et al., 2010a). Die wichtigsten Fragestellungen dabei lauten: Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich auf n Welche Bedeutung hat das Bildungssystem für die die Chancengerechtigkeit und definiert als eine Ver- Einkommensverteilung sowie für die Aufstiegs- und besserung der Bildungsgerechtigkeit, wenn die Leis- Abstiegsmobilität? tungen am unteren Ende der Verteilung steigen, ohne dass es am oberen Ende zu einer Verringerung der n Wie durchlässig ist das deutsche Bildungssystem Leistung kommt. Untersucht wird nicht, ob das Bil- und wie hat sich die Durchlässigkeit entwickelt? dungssystem in der Weise gerecht ist, dass es jeden Einzelnen zu maximaler Leistung führt. n Wie ist die Lage von Hochschulabsolventen beim Übergang zum Arbeitsmarkt? Tragen die gestuften Daher wird in dieser Analyse Bildungsgerechtigkeit in Studiengänge zu einer höheren Bildungsgerechtig- dem Sinne definiert, dass durch eine gute Bildungs keit bei? politik drei Dinge erreicht werden sollen: 10 | Bildungsgerechtigkeit
2 | Bildungssystem, Einkommensverteilung und Einkommensmobilität Zunächst wird der Zusammenhang zwischen Bildung Ausgewählte Studien zum Thema: und Einkommensverteilung untersucht. Häufig wird Bildung beeinflusst Einkommen mit Bezug zu dieser Fragestellung behauptet, dass (Eigene Zusammenstellung) die Mittelschicht mangelnde Perspektiven hat und Allmendinger, 1989 Nach der Humankapitaltheorie sich steigenden Abstiegsgefahren ausgesetzt sieht. (Becker, 1964, 1967; Schultz, Allmendinger/ 1961) wirken sich Investitionen von den Driesch, in die eigenen Fähigkeiten posi- 2014 tiv auf die persönliche Arbeits- Bildung und Verteilung in Deutschland leistung (Produktivität) aus. Die Anger et al., Arbeitsproduktivität bestimmt Im Folgenden wird der Bezug zwischen Verteilungs 2010a die Wertschöpfung des jeweili- gen Arbeitnehmers und ent- gerechtigkeit und Bildung untersucht. Hierbei stellt Becker, 1964, spricht damit auch seinem Lohn. sich zunächst die Frage, ob Unterschiede bei der 1967 Da das Einkommen am stärks- Einkommensstreuung in einer Volkswirtschaft mit Autorengruppe ten durch den eigenen Bildungs- Unterschieden beim Bildungsstand verknüpft sind, Bildungsbericht- stand beeinflusst wird (OECD, erstattung, 2014 2015a), wirken sich besonders so dass politische Maßnahmen zur Vermeidung von schulische und berufliche Bil- Bildungsarmut sich gleichzeitig positiv auf den un- Bittorf/Klein, 2012 dungsinvestitionen auf eine teren Bereich der Einkommensverteilung auswirken qualifizierte Tätigkeit im Goebel et al., 2015 Erwerbsleben aus (Autorengrup- könnten. Im zweiten Schritt wird die Bedeutung des pe Bildungsberichterstattung, Bildungsstandes für die Einkommensverteilung in Mendolicchio/Rhein, 2014; Möller/Walwei, 2009; 2012 Deutschland untersucht und dabei analysiert, ob ein Müller/Shavit, 1988; Allmen mittlerer Bildungsabschluss den Zugang zur Einkom- Möller/Walwei, dinger, 1989). Auf gesamtwirt- 2009 schaftlicher Ebene betrachtet mensmittelschicht weiterhin ermöglicht. Anschließend besteht in Deutschland ein werden diese Zugangschancen auch für Alleinerzie- Müller/Shavit, 1988 schwacher positiver Zusammen- hende und Migranten überprüft. In einem vierten hang zwischen der Einkommens- Nickell, 2004 Schritt wird dann untersucht, ob höhere Bildungs und der Bildungsverteilung OECD, 2015a, (Allmendinger/von den Driesch, abschlüsse die Aufstiegsmobilität bezüglich des Ein- 2015c 2014; Ruß, 2012). Da sich indi- kommens fördern und vor Abstieg schützen. viduelle Bildungsinvestitionen Ruß, 2012 positiv auf die relative Einkom- mensposition von Erwerbsper Der Effekt von Bildung auf die Einkommens Schultz, 1961 sonen auswirken (Anger et al., verteilung im internationalen Vergleich 2010a; Mendolicchio/Rhein, 2012, Nickell 2004), können Die Einkommensstreuung in Volkswirtschaften hat diese der gesamtwirtschaftlichen Einkommensungleichheit ent einen starken Einfluss auf das relativ definierte Aus- gegenwirken. maß an Armutsgefährdung. Für die Einkommensun- terschiede können verschiedene Gründe ausschlag gebend sein. So wird in der Literatur auf Mindestlohn- Anhand der Daten kann festgestellt werden, dass regelungen oder auf Umverteilungsmaßnahmen des die Korrelationskoeffizienten zwischen Einkommens- Staates hingewiesen. Ferner können Unterschiede streuung und der Kompetenzstreuung innerhalb der bei den Kompetenzen der erwachsenen Bevölkerung erwachsenen Bevölkerung positiv sind und ein relativ eine hohe Bedeutung haben (Nickell, 2004). Aus die- hohes Niveau aufweisen. Es kann somit davon aus sem Grund sollen im Folgenden für eine Auswahl an gegangen werden, dass ein positiver Zusammenhang Ländern, die an der PIAAC-Befragung teilgenommen zwischen beiden Variablen besteht. Geringere Unter- haben, auf Makroebene die Streuung der Einkommen schiede beim Bildungsniveau innerhalb eines Landes dem Ausmaß an Streuung der Bildungsleistungen gehen somit mit einer ausgeglicheneren Einkommens- gegenübergestellt werden (s. Tabelle 2-1). verteilung einher und umgekehrt. Zur Vermeidung von Armutsgefährdungen ist es damit von hoher Bedeutung, den Anteil geringqualifizierter Personen . . . i n De u t s c h l a n d | 1 1
Tabelle 2-1: Streuung der Einkommen und der Kompetenzen Einkommen Relation Lesekompetenzen Alltagsmathematische P9/P1, 2010 PIAAC, Kompetenzen PIAAC, Relation P9/P1, 2012 Relation P9/P1, 2012 USA 15,9 1,61 1,81 Spanien 13,1 1,56 1,59 Italien 10,2 1,58 1,66 Großbritannien 10,0 1,59 1,72 Kanada 8,9 1,60 1,71 Polen 7,7 1,59 1,66 Irland 7,5 1,56 1,68 Frankreich 7,2 1,53 1,70 Niederlande 6,9 1,55 1,58 Deutschland 6,7 1,59 1,66 Schweden 6,1 1,57 1,63 Österreich 5,9 1,52 1,57 Slowakische Republik 5,9 1,45 1,55 Belgien 5,6 1,56 1,60 Finnland 5,4 1,55 1,59 Tschechische Republik 5,4 1,46 1,51 Dänemark 5,3 1,49 1,56 Korrelationskoeffizient zwischen 0,569 0,677 Relation der Kompetenzen und Relation der Einkommen P9/P1: 90. Perzentil im Vergleich zum 10. Perzentil; Lesehilfe: Der Kompetenzwert, ab dem jemand zu den 10 Prozent mit den besten Lesekompetenzen in Deutschland gehört, ist 1,59 mal so hoch wie der Kompetenzwert, bis zu dem eine Person zu den 10 Prozent mit den geringsten Lesekompetenzen gehört. Quellen: OECD, 2014b, 111; Eigene Berechnungen auf Basis der PIAAC-Daten möglichst klein zu halten. Gemäß dem Bedürfnisprin- verteilung erhöht, ohne am oberen Rand die Kom zip kann daher gefordert werden, dass jedes Indivi petenzen zu reduzieren, eine wichtige Maßnahme duum ein Mindestniveau an Kompetenzen erreichen für mehr Wachstum und Verteilungseffizienz dar. sollte, um beispielsweise die Ausbildungsreife zu erreichen und dadurch entsprechende Einkommens- Im Folgenden wird die Bedeutung der Ausbildungs- perspektiven und Teilhabemöglichkeiten zu erzielen. reife in Deutschland genauer untersucht, indem die Relevanz mittlerer Abschlüsse für den Zugang zur Da ein höheres Bildungsniveau zu mehr Wirtschafts- Mittelschicht und für die Auf- und Abstiegsmobilität wachstum und zur Vermeidung von Wertschöpfungs- analysiert werden. verlusten führt (Hanushek/Wößmann, 2008; Koppel/ Plünnecke, 2009), stellt eine Bildungspolitik, die pri- mär die Kompetenzen am unteren Rand der Bildungs- 12 | Bildungsgerechtigkeit
Bildung und Einkommensverteilung in Deutschland führen zu dem Ergebnis, dass der Anteil der Per- sonen, der zu den niedrigsten Einkommensschichten Auch innerhalb Deutschlands wirkt sich der Bildungs- gehört, über- und der Anteil, der zur Einkommens stand einer Person auf die Position innerhalb der mittelschicht gehört, unterschätzt wird (Niehues, Einkommensverteilung aus. Um den Zusammenhang 2014). zwischen Bildungs- und Einkommensverteilung zu untersuchen, wird die Bevölkerung in vier Bildungs- Die Mittelschicht in Deutschland wird sehr gut durch und drei Einkommensklassen unterteilt. Bei den Personen mit einem mittleren Bildungsabschluss Bildungsabschlüssen wird zwischen Personen ohne charakterisiert (s. Tabelle 2-2), das heißt, die Ein- einen Abschluss der Sekundarstufe II (Abitur oder kommensmittelschicht besteht zu einem hohen Anteil beruflicher Bildungsabschluss), Personen mit Ab- aus Personen mit einem mittleren Bildungsabschluss. schluss der Sekundarstufe II, Personen mit Meister- Dabei hat sich zwischen den Jahren 2000 und 2013 oder Technikerabschluss und Personen mit einem die Zuordnung zwischen geringem Bildungsniveau Hochschulabschluss unterschieden. Die drei Einkom- und geringem Einkommensniveau sowie zwischen mensgruppen stellen niedrige, mittlere und hohe Ein- hohem Bildungsniveau und hohem Einkommens kommen dar. Die Einordnung der Haushalte erfolgt niveau verstärkt. Bildung scheint somit ein wichtiger aufgrund des äquivalenzgewichteten Monatseinkom- und zunehmend bedeutender Einflussfaktor für die mens 1. Die mittlere Einkommensgruppe – auch als Einkommenspositionierung zu sein. Gehörten im Jahr Mittelschicht bezeichnet – wird in dieser Studie durch 2000 noch gut 38 Prozent der Geringqualifizierten zur die Haushalte gebildet, deren Einkommen zwischen Gruppe mit niedrigen Einkommen, so hat sich dieser 70 und 150 Prozent des Medianeinkommens (mittle- Anteil im Jahr 2013 auf 47 Prozent erhöht. Die Per- res Einkommen aller Haushalte) betragen. Die nied- sonen mit Hochschulabschluss sind zu einem gestie- rige und die hohe Einkommensgruppe ergeben sich genen Anteil der Gruppe mit hohen Einkommen zuzu- dann durch ein Unter- bzw. Überschreiten dieser ordnen. Der Anteil in dieser Einkommensgruppe stieg Grenzwerte. von 34,5 Prozent im Jahr 2000 auf knapp 39 Prozent im Jahr 2013. Die Personen mit mittlerem Bildungs- Der Anteil der Einkommensmittelschicht ist zwischen abschluss wiederum gehörten im Jahr 2000 mit 63,4 2000 und 2013 in etwa konstant geblieben. Gleich Prozent zur Gruppe mit mittleren Einkommen, im zeitig hat der Anteil der unteren Einkommensgruppe Jahr 2013 waren es 64,3 Prozent. Hier gab es also etwas abgenommen und der Anteil der oberen Ein- nur sehr geringe Veränderungen und es kann festge- kommensschicht hat zugenommen. Knapp sechzig halten werden, dass ein großer Teil der Personen mit Prozent der Personen in Deutschland können nach einem mittleren Bildungsabschluss zu den Personen der hier verwendeten Abgrenzung zur Einkommens- mit einem mittleren Einkommen zählt. Dies bedeutet, mittelschicht gezählt werden. 2 Damit gehören weit dass ein mittlerer Bildungsabschluss eine gute Voraus- mehr Personen zur Einkommensmittelschicht als von setzung ist, um zur Einkommensmittelschicht zu ge- der deutschen Bevölkerung vermutet. Befragungen hören. Tabelle 2-2: Einkommensgruppen und Bildungsstand in Prozent Ohne Sek II- Meister/ Hochschul Insgesamt Sek II- Abschluss Techniker abschluss Abschluss 2000 Niedrig 38,6 24,5 21,0 16,0 25,7 Mittel 56,5 63,4 64,3 49,5 59,8 Hoch 5,0 12,1 14,8 34,5 14,4 2013 Niedrig 47,0 23,6 16,6 11,1 24,3 Mittel 49,4 64,3 64,0 50,1 58,6 Hoch 3,7 12,2 19,4 38,7 17,1 Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis des SOEP v30 . . . i n De u t s c h l a n d | 1 3
Neben dem Bildungsabschluss kann die Einkommens- werden, welcher Anteil der Migranten in Haushalten position einer Person jedoch noch von weiteren mit geringen, mittleren oder höheren Einkommen Merkmalen beeinflusst werden, so zum Beispiel vom lebt. Im Anschluss ist dann zu u ntersuchen, ob es Migrationshintergrund oder vom Familienstand. Es Gründe geben könnte, die den Zugang zu höheren ist also zu untersuchen, ob Migranten und Alleiner Einkommen erschweren. ziehende aus ihren Qualifikationen ähnliche Einkom- mensperspektiven erzielen oder ob sie am Arbeits- Aus Tabelle 2-3 wird deutlich, dass Personen mit markt keine entsprechenden Vergütungen erzielen Migrationshintergrund geringere Einkommenspers können. Mit der gleichen Definition der verschiedenen pektiven haben. Zwischen den Jahren 2000 und Einkommensgruppen kann daher auch untersucht 2013 gab es dabei nur geringfügige Veränderungen. Während bei den Nichtmigranten der Anteil der Per- sonen in der Einkommensmittelschicht im Jahr 2013 Tabelle 2-3: Einkommensgruppen und Migrationshintergrund knapp 60 Prozent beträgt, beträgt die Mittelschichts- in Prozent zugehörigkeit bei den Migranten knapp 50 Prozent. Kein Da insgesamt in Deutschland der Anteil der Migranten Migrations- Migrations- zunimmt und diese nicht so häufig zur Mittelschicht hintergrund hintergrund zählen, wird auch im Durchschnitt die Mittelschichts- 2000 Niedrig 24,9 41,1 zugehörigkeit durch diesen Effekt gedämpft. Mittel 60,2 51,7 Zu einem guten Teil kann die Einkommensposition Hoch 14,9 7,2 von Migranten durch den durchschnittlich geringeren 2013 Niedrig 22,7 43,1 Bildungsstand erklärt werden. Bei gleicher Erwerbs biografie, Erwerbsform und Qualifikation haben Mittel 59,4 49,1 Migranten keine Einkommensnachteile bei der Ent Hoch 18,0 7,9 lohnung (Anger et al., 2010b). Geringere Einkommen Kein Migrationshintergrund = geboren in Deutschland treten aber auf, wenn die Bildungsabschlüsse im oder Immigration bis 1948; Ausland erworben wurden. Dies zeigt die Regressions- Migrationshintergrund = Immigration nach 1948 Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis des SOEP v30 analyse basierend auf Daten des Sozio-ökonomischen Tabelle 2-4: Lohnprämien nach Migrationshintergrund (2013) Migranten Migranten Nichtmigranten (alle Abschlüsse (nicht alle Abschlüsse in Deutschland) in Deutschland) Sek II-Abschluss 0,310*** 0,248*** 0,293*** (Ref.: keinen Sek II-Abschluss) (5,74) (6,84) Hochschulabschluss 0,648*** 0,382*** 0,784*** (Ref.: keinen Sek II-Abschluss) (8,38) (11,43) (25,24) Berufserfahrung 0,021 -0,011 0,030*** (1,56) (-1,05) (8,37) Berufserfahrung zum Quadrat -0,0002 0,0001 -0,0005*** (-0,93) (0,81) (-7,36) Konstante 1,957*** 2 ,4 5 6 * * * 1 ,9 1 7 * * * (11,30) ( 1 6 ,5 9 ) ( 3 6 ,9 6 ) R2 0,1431 0 ,0 9 7 7 0 ,1 5 2 8 N 49 4 1.587 7.994 Lesehilfe: Der prozentuale Lohnvorsprung eines Migranten mit Hochschulabschluss, der alle Bildungsabschlüsse in Deutschland erworben hat, im Vergleich zu einem Migranten ohne einen Abschluss der Sekundarstufe II, der ebenfalls alle Abschlüsse in Deutschland erworben hat, beträgt 64,8 Prozent. *** = signifikant auf dem 1-Prozent-Niveau Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis des SOEP v30 14 | Bildungsgerechtigkeit
Ausgewählte Studien zur Einkommensperspektive Tabelle 2-5: von Migranten Einkommensgruppen und Alleinerziehende (Eigene Zusammenstellung) in Prozent BAMF, 2011 In Deutschland leben im Jahr Nicht allein Allein 2014 rund 16 Millionen Personen erziehend erziehend Battisti et al., 2015 mit Migrationshintergrund, davon sind 45 Prozent erwerbs- 2000 Niedrig 24,7 42,5 Battisti/Felbermayr, tätig. Bei der gesamtdeutschen 2015 Mittel 57,8 51,1 Bevölkerung beträgt dieser Anteil rund 50 Prozent (Statisti- Hoch 17,5 6,5 Brücker et al., 2014 sches Bundesamt, 2015, eigene Bundeszentrale für Berechnung). In diversen Studi- 2013 Niedrig 23,6 50,6 politische Bildung, en werden Migranten sowohl geringere Gesamteinkommen Mittel 57,3 44,2 2013 (Henkel et al., 2014; Bundes- Hoch 19,2 5,2 Constant et al., zentrale für politische Bildung, 2003 2013) als auch niedrigere Loh- Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis des SOEP v30 einkommen (Battisti et al., 2015; Henkel et al., 2014 Battisti/Felbermayr, 2015; Leh- Lehmer/Ludsteck, mer/Ludsteck, 2013) im Ver- erworben hat, beträgt die Lohnprämie lediglich 38 2013 gleich zu Inländern nachgewie- Prozent (s. Tabelle 2-4, Spalte 3). Werden die Hoch- sen. Im Niedriglohnsektor ist Möller/Walwei, schulabschlüsse in Deutschland erworben, so beträgt dieser Lohnunterschied schwä- 2009 cher: im Gegensatz zu inländi- die Lohnprämie des Migranten hingegen 64,8 Prozent schen Arbeitnehmern verdienen (s. Tabelle 2-4, Spalte 2). Ähnliche Lohnmerkmale Schaeffer et al., geringqualifizierte Migranten 2015 sind auch für mittlere Qualifikationen zu beobachten. mehr als ihre einheimischen Kol- legen (Schaeffer et al., 2015). Hier übersteigt die Lohnprämie von Migranten, die Statistisches Der Sprung in die Selbstständig- ihre Abschlüsse in Deutschland erworben haben, sogar Bundesamt, 2015 keit lohnt sich für Zugezogene; diejenige der Nichtmigranten (s. Tabelle 2-4, Zeile 2). selbstständige Migranten erzie- Insgesamt zeigt sich damit, dass für die Entlohnung len ein höheres Einkommen als Personen gleicher Herkunfts nicht der Migrationsstatus, sondern das Land der Aus- länder im Angestelltenverhältnis bildung entscheidend ist. Gründe für die geringeren (BAMF, 2011; Constant et al., Einkommensperspektiven ausländischer Abschlüsse 2003). Gründe für die geringe- ren Einkommensperspektiven können in Kompetenzunterschieden zu deutschen von Migranten am deutschen Abschlüssen oder in der fehlenden Anerkennung Arbeitsmarkt sind neben man- ausländischer Abschlüsse am deutschen Arbeitsmarkt gelnden Deutschkenntnissen liegen. ein durchschnittlich geringer Bil- dungsstand und unzureichende Qualifikationen. Dabei wirken Geringere Einkommensperspektiven können auch sich besonders im Ausland bei Alleinerziehenden festgestellt werden. Unter den erworbene Abschlüsse negativ Alleinerziehenden zählen im Jahr 2013 gut 50 Prozent auf das Lohneinkommen aus (Brücker et al., 2014; Lehmer/ zur niedrigen Einkommensgruppe. Dieser Anteil ist Ludsteck, 2013). Deshalb arbei- seit dem Jahr 2000 etwas angestiegen. Der Anteil ten Migranten häufig in Berufen unter den Alleinerziehenden, der zur oberen Einkom- unter ihrem Qualifikationsniveau (Lehmer/Ludsteck, 2013; mensgruppe gezählt werden kann, hat sich im Gegen- Möller/Walwei, 2009). zug leicht verringert (s. Tabelle 2-5). Dies kann unter anderem auf die steigende Erwerbs Panels (SOEP) in Tabelle 2-4. Am deutschen Arbeits- intensität der Haushalte insgesamt zurückgeführt markt sind die Lohnprämien von Migranten niedriger werden. So ist die Frauenerwerbstätigkeit nach als bei Nichtmigranten, wenn deren Abschlüsse nicht Angaben von Eurostat seit dem Jahr 2000 von 58,1 in Deutschland erworben wurden. So beträgt die Prozent auf 69,5 Prozent im Jahr 2014 angestiegen. Lohnprämie eines Akademikers ohne Migrationshinter- Auch die Erwerbstätigkeit von Männern hat im selben grund gegenüber einem geringqualifizierten Erwerbs- Zeitraum zugenommen. Familien stehen somit häu- tätigen (ohne abgeschlossene Berufsausbildung) mehr figer zwei Einkommen zur Verfügung. Die Erwerbs als 78 Prozent (s. Tabelle 2-4, Spalte 4). Bei einem intensität eines Haushalts hat wiederum eine zentrale Migranten, der seine Bildungsabschlüsse im Ausland Bedeutung für die Einkommensposition. Es wird für . . . i n De u t s c h l a n d | 1 5
Alleinerziehende schwieriger, die höheren Einkom- Ausgewählte Studien zur Einkommensperspektive von Alleinerziehenden mensgruppen zu erreichen, deren Schwellenwerte (Eigene Zusammenstellung) sich bei steigenden durchschnittlichen Haushalts einkommen ebenfalls nach oben verschieben. Anger et al., 2012 In etwa jeder fünften Familie (Stand: 2013; BMFSFJ, 2015) BMFSFJ, 2011, wird mindestens ein minderjäh- Hinzu kommt, dass ein zu geringes Angebot an ganz- 2015 riges Kind nur von einem Eltern- tägigen Betreuungsplätzen für Kinder den Zugang teil großgezogen. Dabei ist der Henkel et al., 2015 Anteil Alleinerziehender in Ost- zum Arbeitsmarkt insbesondere von Alleinerziehenden deutschland nach wie vor höher, erschwert. Weiterhin verringern längere Erwerbsun- Statistisches als in Westdeutschland. Wäh- terbrechungen sowie die Wahl eines Teilzeitarbeits- Bundesamt, 2010 rend im Osten im Jahr 2009 fast platzes die Einkommensperspektiven einer gegebenen 27 Prozent aller Familien allein- erziehend sind, liegt dieser Qualifikation (Schmidt et al., 2009). Entscheidend ist Anteil im Westen bei 17 Prozent es folglich, längere Erwerbsunterbrechungen erst gar (Stand: 2009; Statistisches Bun- nicht entstehen zu lassen. Hierzu wäre wiederum ein desamt, 2010). Etwa zwei Drittel entsprechendes Angebot an Ganztagsbetreuung und der Alleinerziehenden sind erwerbstätig (BMFSFJ, 2015). Ganztagsschulen nötig. Im Gegensatz zu Paaren können Alleinerziehende die Kindererzie- Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass hung und die Erwirtschaftung des Lebensunterhalts nicht auf Migranten und Alleinerziehende ungünstigere Einkom- zwei Personen aufteilen, deshalb mensperspektiven haben. Die Anerkennung auslän- leben sie oft in prekären finanzi- discher Abschlüsse, Anpassungsqualifikationen sowie ellen Verhältnissen und verfügen ein besseres Betreuungsangebot zur Vereinbarkeit häufig über ein geringeres Fami- lieneinkommen (Anger et al., von Familie und Beruf können helfen, entsprechende 2012; Statistisches Bundesamt, Chancen zu nutzen. Wenn Migranten entsprechend 2010). Alleinerziehende Mütter ihrer formalen Bildungsabschlüsse einen Arbeitsmarkt- verdienen im Durchschnitt weni- zugang finden und Alleinerziehende durch Betreuungs ger, als alleinerziehende Väter (Henkel et al., 2015). Nach einer angebote nicht oder nur kurz aus der Erwerbstätigkeit Sinus-Studie weisen Alleinerzie- ausscheiden, verbessern sich die Einkommenspers hende aber auch einen hohen pektiven. Dies ist wichtig, da der wachsende Anteil an beruflichen Aufstiegswillen auf denn viele haben den Wunsch, Alleinerziehenden und Migranten dann einen besseren ihren Kindern gute Entwick- Zugang zur Einkommensmittelschicht hat. lungsmöglichkeiten zu bieten (Anger et al., 2012; BMFSFJ, Die Rolle der Bildung für Aufstiegs- und Abstiegs 2011). mobilität Tabelle 2-6: Mobilitätskennziffern nach Berufsabschlüssen Wie gezeigt, besteht ein enger Zusammenhang zwi- Jahre 2005 bis 2011; in Prozent schen Bildung und Einkommen und die Einkommens- mittelschicht kann auch als Bildungsmittelschicht Aufstiegs Abstiegs Beharrungs quote quote quote charakterisiert werden. Daher ist es wahrscheinlich, dass das Bildungssystem auch Auswirkungen auf die Ohne abge- 17,6 27,3 66,0 schlossene Aufstiegs- und Abstiegsmobilität von Personen bzw. Berufs Haushalten hat. Im Folgenden soll untersucht werden, ausbildung welcher Zusammenhang zwischen Bildungsniveau Berufsausbil- 21,7 23,8 62,3 und Aufstiegschancen bzw. einer Abstiegsmobilität dung etc. besteht. Dazu wird die Einkommensmobilität unter- Fachschule, 21,9 20,6 64,9 sucht. Sie bezeichnet die Veränderung der relativen Meister Einkommensposition eines Individuums im Zeitverlauf Fach- 26,8 15,5 69,5 und ist eine wesentliche Determinante für die Chan- hochschul- cengerechtigkeit in einem Wirtschaftssystem. Einkom- abschluss mensunterschiede werden grundsätzlich eher akzep- Universitäts- 33,3 1 4 ,0 7 1 ,9 tiert, wenn für alle eine Chance besteht, in der abschluss Einkommenshierarchie aufzusteigen. Quellen: Schäfer/Schmidt, 2013; Berechnungen auf der Basis des SOEP v28 16 | Bildungsgerechtigkeit
Basierend auf den Angaben des Sozio-oekonomischen Personen mit Fachschule-/Meisterabschluss, Personen Panels werden bei der Untersuchung der Einkommens- mit Fachhochschulabschluss und Personen mit Univer- mobilität die Haushalte in fünf Einkommensgruppen sitätsabschluss dargestellt (s. Tabelle 2-6). basierend auf dem äquivalenzgewichteten Haushalts- nettoeinkommen aufgeteilt. Die Quintile 2 bis 4 wer- Die Berechnungen führen zu dem Ergebnis, dass die den als Mittelschicht definiert. Im Folgenden werden Aufstiegsmobilität für Geringqualifizierte deutlich einkommensbezogene Mobilitätsprozesse skizziert, niedriger ist als für Personen mit einer Berufs- oder indem die Quintilszugehörigkeiten der Personen in Hochschulausbildung. Die Aufstiegsquote nimmt dabei einem Ausgangs- und einem Endzeitpunkt kreuz mit steigendem Bildungsniveau zu. So betrug bei- tabelliert werden. Daraus lassen sich verschiedene spielsweise die Aufstiegsquote von Personen ohne Kennzahlen bilden: Die Aufstiegsquote gibt an, wie eine abgeschlossene Berufsausbildung zwischen den viel Prozent der Personen, die im Ausgangsjahr in Jahren 2005 und 2011 17,6 Prozent, bei Personen mit einem bestimmten Quintil waren, den Aufstieg in ein einer abgeschlossenen Berufsausbildung 21,7 Prozent höheres Quintil geschafft haben. Die Abstiegsquote und bei Personen mit einem Universitätsabschluss bezeichnet den Anteil der Personen, der im Beobach- 33,3 Prozent. Gleichzeitig fällt die Abstiegsquote bei tungszeitrum aus einem bestimmten Quintil in ein Personen ohne Berufsausbildung am höchsten aus. In niedrigeres Quintil abgestiegen ist. Die Beharrungs- dieser Gruppe beträgt sie 27,3 Prozent, bei Personen quote gibt den Anteil der Personen an, die im Be- mit einer Berufsausbildung 23,8 Prozent und bei Per- trachtungszeitraum ihr Einkommensquintil nicht sonen mit einem Universitätsabschluss 14,0 Prozent. gewechselt haben. Diese Quoten werden im Folgen Personen mit einem hohen Bildungsabschluss steigen den differenziert für Personen ohne abgeschlossene oftmals zu Berufsbeginn schon im höchsten Einkom- Berufsausbildung, Personen mit Berufsausbildung, mensquintil ein und haben damit keine Möglichkeit, Abbildung 2-1: Unversorgte Bewerber und unbesetzte Ausbildungsstellen 140.000 120.000 100.000 80.000 60.000 40.000 20.000 0 8 9 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 1 2 3 4 5 /8 /8 /9 /9 /9 /9 /9 /9 /9 /9 /9 /9 /0 /0 /0 /0 /0 /0 /0 /0 /0 /0 /1 /1 /1 /1 /1 /1 9 87 988 989 990 991 992 993 994 995 996 997 998 999 000 001 002 003 004 005 006 007 008 009 010 011 012 013 014 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 Unversorgte Bewerberinnen und Bewerber ohne Alternative Bestand an unbesetzten Ausbildungsstellen Quellen: BMBF, 2000; BIBB, 2014; BA, 2015 . . . i n De u t s c h l a n d | 1 7
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