AGRAR-ATLAS - FÜR STÄLLE, ÄCKER UND ÖSTERREICHISCHE AUSGABE
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AGRAR-ATLAS Daten und Fakten zur EU-Landwirtschaft 2019 2. Auflage REFORMEN LE, FÜR STÄL D ÄCKER UN NATUR ÖSTERREICHISCHE AUSGABE
IMPRESSUM Die österreichische Ausgabe des AGRAR-ATLAS 2019 ist ein Kooperationsprojekt von der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin, und der Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000, Wien. Inhaltliche Leitung Basisausgabe: Christine Chemnitz, Heinrich-Böll-Stiftung österreichische Beiträge: Ruth Pammer, GLOBAL 2000 Projektmanagement: Dietmar Bartz Art-Direktion und Herstellung: Ellen Stockmar Bildbearbeitung: Roland Koletzki Dokumentation und Schlussredaktion: Infotext Berlin Mit Originalbeiträgen von Dietmar Bartz, Stanka Becheva, Brîndușa Bîrhală, Harriet Bradley, Christine Chemnitz, Franziskus Forster, Rebekka Frick, Harald Grethe, Christof Kuhn, Dominik Linhard, Hans Martin Lorenzen, Alan Matthews, Oliver Moore, Lars Neumeister, Ruth Pammer, Nikolai Pushkarev, Christian Rehmer, Tobias Reichert, Véronique Rioufol, Cornelia Rumpel, Markus Schermer, Helene Schulze, Matthias Stolze, Berit Thomsen, Aurélie Trouve, Katrin Wenz, Helga Willer Die Beiträge geben nicht notwendig die Ansicht aller beteiligten Partnerorganisationen wieder. 2. Auflage, April 2019 Österreichische Ausgabe: UWZ_Vermerk_GmbH_4C_Umweltzeichen_Vermerk.qxd 31.05.13 08:02 Seite 1 Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 Geschäftsführung Leonore Gewessler und René Fischer Druck: Druckerei Janetschek GmbH, 3860 Heidenreichstein. Ausgezeichnet gedruckt mit„Druckerzeugnisse“ nach der Richtlinie dem Österreichischen Umweltzeichen „Schadstoffarme Druckerzeugnisse“, des ÖsterreichischenUW-Nr. 637. Umweltzeichens Druckerei Janetschek GmbH · UW-Nr. 637 Gedruckt auf 100 % Recyclingpapier. gedruckt nach der Richtlinie „Druckerzeugnisse“ des Österreichischen Umweltzeichens Druckerei Janetschek GmbH · UW-Nr. 637 Dieses Werk mit Ausnahme des Coverfotos steht unter der Creative-Commons-Lizenz gedruckt nach der Richtlinie „Druckerzeugnisse“ des Österreichischen Umweltzeichens · Druckerei Janetschek GmbH · UW-Nr. 637 „Namensnennung – 4.0 international“ (CC BY 4.0). Der Text der Lizenz ist unter https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/legalcode abrufbar. Eine Zusammenfassung (kein Ersatz) ist unter https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de gedruckt nach der Richtlinie nachzulesen.Sie können die einzelnen Infografiken dieses Atlas für eigene „Druckerzeugnisse“ desZwecke nutzen, Österreichischen Umweltzeichens wenn der Urhebernachweis Bartz/Stockmar, CC BY 4.0Druckerei in der Nähe der Grafi k steht Janetschek GmbH · UW-Nr. 637 (bei Bearbeitungen: Bartz/Stockmar (M), CC BY 4.0. gedruckt nach der Richtlinie „Druckerzeugnisse“ des Österreichischen Umweltzeichens Cover-Copyright: Collage © Ellen Stockmar unter Verwendung Druckerei Janetschek GmbH · UW-Nr. 637 eines Fotos von Alexandr Andreyko/istockphoto.com Download: www.global2000.at
AGRAR-ATLAS Daten und Fakten zur EU-Landwirtschaft 2. AUFLAGE 2019
INHALT 02 IMPRESSUM 18 DIREKTZAHLUNGEN VIEL GELD FÜR WENIG LEISTUNG 06 VORWORT Die EU-Kommission will, dass Direktzahlungen an Agrarbetriebe auch künftig die wichtigste Ausgabe der Agrarpolitik bleiben. Das meiste Geld kommt aber nur wenigen und großen Betrieben zugute. 20 LÄNDLICHE RÄUME 08 ZWÖLF KURZE LEKTIONEN SPAREN AM FALSCHEN ENDE ÜBER DIE EU-LANDWIRTSCHAFT Ein Teil der EU-Agrarzahlungen hat durchaus das Potenzial, die Landwirtschaft 10 GESCHICHTE ökologischer und nachhaltiger zu NEUE ZIELE, ALTES DENKEN gestalten. Doch ausgerechnet diese Mittel Ihre älteste Aufgabe hat die EU-Agrarpolitik sollen kräftig gekürzt werden. gelöst: in der Nachkriegszeit die Ernährung zu sichern. Doch trotz vieler Reformen und 22 HÖFESTERBEN neuer Strukturen – die bisherige Förderung WACHSEN ODER WEICHEN taugt nicht für das 21. Jahrhundert. Die Agrarpolitik unterstützt die Kleinbetriebe zu wenig gegenüber den Großen. Zugleich 12 EU-AGRARPOLITIK IN ÖSTERREICH ist die Hofnachfolge oft schwierig zu sichern. GEMISCHTE BILANZ Auf vielen Wegen fließen EU-Gelder in 24 ARBEIT Österreichs Landwirtschaft. Manche Maßnahme EINKOMMEN UND AUSKOMMEN setzt das Land erfolgreicher um als seine In den landwirtschaftlichen Kleinbetrieben der europäischen Nachbarn. Doch andere Ziele EU sind viele Millionen Arbeitsplätze nur wenig werden deutlich verfehlt. profitabel. Wären die Maßstäbe dafür nicht nur rein wirtschaftlich, könnte sich das ändern. 14 KOMPETENZEN DRINGEND: DER BLICK ÜBER 26 LANDPREISE DEN TELLERRAND KAPITALE FEHLENTWICKLUNG Die Landwirtschaft muss in anderen Politikfeldern Der Beginn der EU-Agrarzahlungen in den neuen eine größere Rolle spielen. Umgekehrt müssen Mitgliedsländern löste dort eine Welle von Gesundheits- und Umweltschutzziele mehr Landkäufen aus. Seither steigen die Preise fast in die Agrarpolitik einfließen. Dieser Austausch ständig. Gegen Agrarunternehmen und läuft noch zu zaghaft. Finanzinvestoren haben die kapitalschwachen Kleinbetriebe keine Chance. 16 NETTOZAHLER EINE EXTRAWURST 28 BIODIVERSITÄT IN DER EU FÜR 130 MILLIARDEN EURO BEDROHTE VIELFALT – MIT DEM Kleiner Brexit: Bis heute ist der „Britenrabatt“ ARTENSCHWUND WIRD ES ERNST ein Verstoß gegen das Solidarprinzip bei Die intensive Landwirtschaft gilt als größte Bedrohung der europäischen Integration. Die Zahlungen für die Tier- und Pflanzenwelt der EU. Umweltschäd- der EU-Agrarpolitik bremsen indes liche Trends bei Ackerbau und Tierhaltung werden wohl Austrittsdrohungen weiterer Länder. im Rahmen der Agrarpolitik sogar noch gefördert. 4 AGRAR-ATLAS 2019
30 BIODIVERSITÄT IN ÖSTERREICH 40 ÖKOLANDWIRTSCHAFT WIE LEBENSRÄUME VERLOREN GEHEN ORGANISCH UND DYNAMISCH In Österreich nimmt die Artenvielfalt Das anhaltende Wachstum der weiter ab. Der Druck der intensiven biologischen Landwirtschaft geht auf die Landwirtschaft lässt nicht nach und ist Nachfrage der Kundinnen und Kunden größer als die Erfolge der Agrarumwelt- zurück. Staatliche Fördermaßnahmen maßnahmen. helfen dabei. Aber die EU honoriert die Umweltleistungen dieser Wirtschaftsmethode 32 PESTIZIDE noch zu wenig. NEUE IDEEN MIT WENIGER CHEMIE Der Gemeinsamen Agrarpolitik fehlen 42 GESUNDHEIT Instrumente, um den Einsatz von IN DER VERANTWORTUNG Pestiziden in der Landwirtschaft deutlich Was hat die Landwirtschaft der EU mit zu verringern. Außerdem gibt es zu sicheren Nahrungsmitteln zu tun? viele Ausnahmen. Die verkauften Mengen Was mit gesunder Ernährung? Was mit in der EU sind seit Jahren konstant. sozialer Gerechtigkeit? Nicht alle solche Fragen lassen sich einfach beantworten. 34 TIERHALTUNG IN DER EU GELDER FÜR DEN UMBAU 44 KLIMA Die EU zahlt hohe Summen als pauschale TÄTER UND OPFER ZUGLEICH Flächenprämien. Dieses Geld fehlt für Die EU möchte die Emissionen der den teuren, aber dringend benötigten Landwirtschaft senken. Dafür hat sie Umbau der Tierhaltung. Dessen Förderung große Ziele formuliert. Konkrete könnte aus der Einsparung der Maßnahmen und Förderprogramme Pro-Hektar–Zahlungen finanziert werden. fehlen aber genauso wie die Resonanz aus den Mitgliedsländern. 36 ERNÄHRUNGSSICHERHEIT IN ÖSTERREICH 46 WELTHANDEL ZUM BEISPIEL MILCH UND FLEISCH WACHSTUM BEI DEN ANDEREN Manche Konzepte der Ernährungs- Die EU-Landwirtschaft ist Teil internationaler sicherheit blenden Herstellungsmethoden Wertschöpfungsketten. Sie beeinflusst und internationale Auswirkungen die weltweiten Agrarmärkte und damit aus. Ernährungssouveränität achtet auch Preise, Produktionen, Einkommen und hingegen darauf, wie Ernährungssicherheit Ernährung in Ländern des Südens. erreicht wird. 38 DÜNGER WENN ÄCKER WASSER SCHÜTZEN Zu viel Nitrat im Wasser führt zu ökologischen, ökonomischen und gesundheitlichen Schäden. Gewässerschutz 48 AUTORINNEN UND AUTOREN, und Agrarpolitik können dies bisher QUELLEN VON DATEN, KARTEN nicht verhindern, weil sie nicht UND GRAFIKEN richtig miteinander verzahnt sind. Und es mangelt an Kontrollen. 50 ÜBER UNS AGRAR-ATLAS 2019 5
VORWORT E uropa hat kulinarisch viel zu bieten: Mozzarella aus Italien, Bier aus Tschechien, Oliven „ Die EU-Agrarpolitik ist für Laien kaum zu verstehen. Viele wissen aus Griechenland, Kürbiskernöl aus nicht einmal, dass es sie gibt. Österreich. Verschiedenste Spezialitäten aus unterschiedlichen Landschaften – so schmeckt Europa. der Natur und den lebendigen ländlichen Räumen verbunden sind. Die Landschaften wiederum sind häufig ein Spiegelbild landwirtschaftlicher Der Wandel in der Landwirtschaft kann und Nutzung. In Österreich verdanken wir ihr sollte daher aktiv gestaltet werden. Einer schöne Almen, Obst- und Weingärten im der wichtigen Hebel, um das zu tun, ist die steirischen Hügelland und weit reichendes Gemeinsame Agrarpolitik (kurz GAP) der Grünland neben Salzburger Seen. Keine EU. Sie ist einer der ältesten europäischen Frage: Wir alle wären ärmer ohne die Politikbereiche und mit knapp 40 Prozent Landwirtinnen und Landwirte, denn kein des EU-Haushalts, knapp 60 Milliarden Euro Sektor ist so stark mit der Kultivierung jährlich, noch immer der finanziell am besten unserer Lebensräume verbunden wie ausgestattete. die Landwirtschaft. Ändert sich die D Landwirtschaft, ändern sich auch die ie EU-Agrarpolitik ist für Laien kaum ökologischen und sozialen Systeme im zu verstehen. Viele wissen nicht ländlichen Raum. einmal, dass es sie gibt. Geschweige denn, dass genau diese Politik Einfluss auf U nd die Landwirtschaft verändert sich. die Dinge hat, die vielen von uns so wichtig Immer schneller und fast überall in sind: gesunde Lebensmittel, der Schutz Europa. In vielen EU-Ländern geben von Umwelt, Klima, Vögeln und Insekten Betriebe auf. Die verbleibenden Höfe und und der Erhalt von kleinen und mittleren Felder werden größer, jeder Fleck wird Betrieben. Darum gibt es diesen Atlas. Er möglichst intensiv genutzt. Auch wenn die zeigt, wie eng die EU-Landwirtschaft mit österreichische Landwirtschaft mit ihrem unserem Leben verbunden ist. Er zeigt hohen Bioanteil und der vergleichsweise auch, dass kaum etwas von dem Geld der kleinstrukturierten Bewirtschaftungsweise GAP den Zielen zugute kommt, die sich eine Sonderstellung in Europa hat – auch Europäerinnen und Europäer von der sie bleibt von europäischen Entwicklungen Landwirtschaft wünschen. nicht verschont. Die Veränderungen in der Landwirtschaft betreffen ganz direkt Der Austausch zwischen Bäuerinnen und landwirtschaftliche Betriebe, aber sie Bauern und „der Gesellschaft“ ist vielfältig: betreffen uns auch alle – eben weil sie so Erwartungen an regionalen Konsum und eng mit unserer Ernährung, dem Klima, Anerkennung, beidseitiger Wunsch nach 6 AGRAR-ATLAS 2019
Fairness, und im besten Fall Respekt. Der Austausch ist aber nicht friktionsfrei: Was ist, sorgen sich Landwirtinnen und Landwirte, „ Vielen Landwirtinnen und Landwirten geht es in diesem System selbst wenn das, was „die Gesellschaft“ fordert, sich nicht gut. für die Familie und den Betrieb nicht mehr ausgeht? Was ist, sorgen sich viele Menschen, wenn unser Wasser mit Pestiziden belastet und global gerechte Agrar- und wird, wir die letzten Flecken Natur im immer Ernährungssysteme. Weil viele Menschen größeren Effizienzdruck zerstören? „Die spüren, dass es höchste Zeit ist, die Debatte zur Landwirtschaft“ besteht aus vielfältigsten Zukunft der Landwirtschaft zu führen. Reden Familien und Betrieben, deren Arbeit wir also über die Rahmenbedingungen, Wertschätzung gebührt. Aber sie alle sind innerhalb derer Landwirtinnen und eingebettet in ein Agrarsystem, das Jahr Landwirte arbeiten und arbeiten müssen. für Jahr mit Milliarden Euro falsche Anreize Wie müssten wir diese ändern, damit sich setzt und am Ende weder ökologische noch Ökologie, Soziales und Wirtschaftlichkeit für soziale oder wirtschaftliche Nachhaltigkeit die landwirtschaftlichen Betriebe und den gewährleisten kann. Auch das zeigt der Atlas: Rest der Gesellschaft ausgehen? Reden wir dass es vielen Landwirtinnen und Landwirten darüber, was wir wollen und was möglich ist. in diesem System selbst nicht gut geht. Solange jährlich etliche Milliarden in das falsche System investiert werden, bleibt E s lohnt sich daher für alle Beteiligten, die notwendige ökologische und soziale für eine bessere, grundlegend andere Wende in der Agrar- und Ernährungspolitik Agrarpolitik einzutreten. Wichtig in weiter Ferne. ist, dass wir uns als Gesellschaft darauf T einigen, welche Leistungen wir erwarten reten wir für eine starke soziale und welche wir gesellschaftlich bezahlen und ökologische Agrarpolitik ein. wollen. Landwirtschaft betrifft uns alle. Landwirtinnen und Landwirte Daher muss es allen Teilen der Gesellschaft brauchen das Geld, um ihre Betriebe fit für möglich sein, darüber zu diskutieren. die Zukunft zu machen. Wir alle brauchen Dieser Atlas liefert dazu eine Grundlage. Er eine zukunftsgerichtete Agrarpolitik für erscheint im Laufe des Frühjahres 2019 auch den Erhalt unserer Lebensgrundlagen. Die in weiteren fünf europäischen Sprachen nötige Agrarwende ist nicht umsonst – in und Länderversionen. Er ist das Ergebnis vielerlei Hinsicht. europäischer Vernetzung und soll die Debatte in möglichst vielen EU-Ländern Leonore Gewessler stärken. GLOBAL 2000 In vielen europäischen Ländern wachsen die Barbara Unmüßig Bewegungen für nachhaltige, soziale Heinrich-Böll-Stiftung AGRAR-ATLAS 2019 7
12 KURZE LEKTIONEN ÜBER DIE EU-LANDWIRTSCHAFT 1 Durch die EU-AGRARPOLITIK fließen jährlich fast 60 Milliarden Euro in die europäische Landwirtschaft. Die Zustimmung der EU-Bürgerinnen und -Bürger dazu steigt, wenn sich dies positiv auf KLIMA UND UMWELT auswirkt. 2 Die Landwirtschaft ist eng verwoben mit dem SCHUTZ von Insekten und Vögeln, sauberem Wasser und gesunden Lebensmitteln. Das GELD der EU fließt KAUM in diese Bereiche. 3 Die nächste siebenjährige Förderperiode der EU beginnt IM JAHR 2021. Die Verhandlungen über Reformen sind in vollem Gange. 4 Die EU-Agrarpolitik besteht aus ZWEI SÄULEN. Mit der ersten werden vor allem pauschale Flächenprämien gezahlt, mit der zweiten die ländliche Entwicklung, Ökolandbau und Umweltmaßnahmen unterstützt. 5 70 Prozent der EU-Gelder werden pro Hektar ohne weitreichende Auflagen ausgegeben. Wer VIEL LAND bewirtschaftet, bekommt VIEL GELD. 6 Auch der Erhalt des LÄNDLICHEN RAUMS wird aus dem Agrarbudget gefördert. Österreich stellt dafür EU-weit den HÖCHSTEN ANTEIL an den Gesamtmitteln zur Verfügung. 8 AGRAR-ATLAS 2019
AGRAR-ATLAS 2019 / STOCKMAR 7 Die EU hat sich zu internationalen Zielen für den KLIMASCHUTZ und die BIODIVERSITÄT sowie zur GLOBALEN GERECHTIGKEIT verpflichtet. Ihre Agrarpolitik hat sie darauf noch nicht ausgerichtet. Ohne weitreichende Reformen wird die EU die internationalen ZIELE VERFEHLEN. 8 TIERWOHL ist den EU-Bürgerinnen und -Bürgern sehr wichtig. Dennoch werden die Gelder der EU-Agrarpolitik kaum genutzt, um die TIERHALTUNG in diesem Sinne zu VERBESSERN. 9 In der EU haben zwischen 2003 und 2013 über ein Viertel aller BAUERNHÖFE aufgegeben. Ihre Flächen übernahmen andere. Heute bewirtschaften 3,1 Prozent aller Betriebe mehr als die HÄLFTE DES AGRARLANDES. 10 Auch in Österreich geht die Anzahl der Betriebe immer noch ZURÜCK. Das vielmals empfohlene „Wachsen statt Weichen“ ist kein Garant für ein WIRTSCHAFTLICHES AUSKOMMEN. 11 Die EU-Agrarpolitik HILFT beim Kampf gegen die POLITISCHE EROSION der Europäischen Union. Sie ist besonders in ländlichen Regionen wichtig, in denen die UNZUFRIEDENHEIT MIT DER EU groß ist. 12 Damit die GEMEINSAME AGRARPOLITIK (GAP) der EU gesellschaftlich akzeptiert wird, muss sie Umwelt und Klima SCHÜTZEN, die Artenvielfalt ERHALTEN, das Tierwohl VERBESSERN und kleine und mittlere Betriebe FÖRDERN. AGRAR-ATLAS 2019 9
GESCHICHTE NEUE ZIELE, ALTES DENKEN Ihre älteste Aufgabe hat die EU-Agrarpolitik dern am EU-Sitz in Brüssel. Kein anderer Wirtschaftsbereich gelöst: in der Nachkriegszeit die Ernährung ist in der Europäischen Union so stark durch gemeinschaft- zu sichern. Doch trotz vieler Reformen und liche Regeln geprägt wie die Landwirtschaft – sie unterliegt der Gemeinsamen Agrarpolitik, kurz „GAP“. Ihre Ziele und neuer Strukturen – die bisherige Förderung Aufgaben wurden erstmals 1957 festgelegt, vor über sech- taugt nicht für das 21. Jahrhundert. zig Jahren. Die anfangs aus nur sechs Ländern bestehende Staa- L andwirtschaftlich genutzte Böden bestimmen das tengemeinschaft wollte die Menschen im zerstörten Nach- Landschaftsbild der EU – es sind 174 Millionen Hektar, kriegseuropa mit genügend Nahrungsmitteln zu angemes- 40 Prozent der gesamten Fläche. Weidende Schafe in senen Preisen versorgen. Daher sollten die Produktivität in Irland, Weinberge in Frankreich, riesige Getreidefelder in der Landwirtschaft gefördert, die Märkte stabilisiert – also Ostdeutschland und kleinste Betriebe in Rumänien. Europas starke Preisschwankungen verhindert – und der landwirt- Landwirtschaft ist vielfältig in jeder Hinsicht. Sie ist von öko- schaftlichen Bevölkerung eine angemessene Lebenshal- logischen Gegebenheiten, Kultur und Geschichte, Politik tung gesichert werden. Das Ziel der Selbstversorgung hat und ökonomischen Entwicklungen geprägt und prägt eben die GAP innerhalb kürzester Zeit erreicht. Schon in den diese im Wechselspiel. 1970er-Jahren produzierten die Bäuerinnen und Bauern in Bewirtschaftet wird die Fläche von etwas über zehn Mil- der EU mehr Nahrungsmittel, als gebraucht wurden. Die lionen Betrieben. Ein Drittel davon liegt in Rumänien, etwas Verlockungen sicherer Preise und Einkommen zeigten ihr über 13 Prozent in Polen, gefolgt von Italien und Spanien. Die negatives Gesicht: Die Zeit der Butterberge, Milchseen und durchschnittlichen Betriebsgrößen sind sehr unterschied- spektakulären Obstvernichtungen in den südlichen Mit- lich. Während sie in Rumänien bei etwas über drei Hektar gliedsländern begann. Zugleich sorgten Exportsubventio- liegen, kommen sie in Tschechien auf 133 Hektar. Auch der nen für eine künstliche Verbilligung, um die Waren auf dem Beitrag der Landwirtschaft zur gesamten Wirtschaftsleis- Weltmarkt loszuschlagen – ohne Rücksicht darauf, ob dies tung variiert von Land zu Land. Lag er im EU-Durchschnitt die bäuerlichen Betriebe in den Zielländern ruinierte. im Jahr 2017 bei etwa 1,4 Prozent, liegt er in vielen neuen östlichen Mitgliedsstaaten bei über drei Prozent, in den al- ten westlichen hingegen zwischen 0,5 und 1 Prozent. Die Landwirtschaft ist nicht mehr das dominante Trotz dieser Vielfalt wird Agrarpolitik nicht in den Thema der europäischen Integration, Hauptstädten wie Dublin, Paris oder Bukarest gestaltet, son- doch sie bleibt der dominante Haushaltsposten FI AGRAR-ATLAS 2019 / EC, WIKIPEDIA MULTIMILLIARDEN FÜR ÄCKER UND STÄLLE Erweiterungsprozess der EU und Agrarausgaben in Milliarden Euro und Prozent des Haushalts SE EE DK LV Ausgaben in Milliarden Euro IE LT Ausgaben in Prozent des Haushalts UK NL 70 BE PL DE LU CZ SK 60 PT FR AT HU SI RO HR 50 ES IT BG 40 GR MT 30 CY 20 EU-12 EU-15 EU-25 EU-27 EU-28 EU-12 (1986) EU-15 (1995) EU-25 (2004) 10 EU-27 (2007) EU-28 (2013) 0 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 AT: Österreich, BE: Belgien, BG: Bulgarien, CY: Zypern, CZ: Tschechien, DE: Deutschland, DK: Dänemark, EE: Estland, ES: Spanien, FI: Finnland, FR: Frankreich, GR: Griechenland, HR: Kroatien, HU: Ungarn, IE: Irland, IT: Italien, LT: Litauen, LU: Luxemburg, LV: Lettland, MT: Malta, NL: Niederlande, PL: Polen, PT: Portugal, RO: Rumänien, SE: Schweden, SI: Slowenien, SK: Slowakei, UK: Großbritannien 10 AGRAR-ATLAS 2019
AGRAR-ATLAS 2019 / EC 174 MILLIONEN HEKTAR FELDER, WIESEN UND WEIDEN Landwirtschaftliche Nutzfläche in der EU nach Mitgliedsländern und Betriebsgrößen, Agrarstrukturanalyse 2013 Schweden 17,1 3,0 2,3 Finnland durchschnittliche Betriebsgrößen 5,0 in Hektar Großbritannien 2,6 Dänemark bis 10 Litauen Estland Irland bis 25 Niederlande 1,8 1,0 2,9 1,9 bis 50 bis 75 über 75 Belgien 1,3 Luxemburg 0,1 16,7 14,4 Lettland Polen Deutschland Tschechien 3,6 1,9 Slowakei 3,5 27,7 2,7 23,3 Portugal Österreich Rumänien Italien 4,7 Nutzfläche in Millionen Hektar 12,1 0,5 Ungarn 13,1 Spanien Frankreich 1,6 Kroatien 20 0,01 Bulgarien 10 Malta Slowenien 4,9 4,7 5 Griechenland 0,1 Zypern Kleine Agrarbetriebe dominieren in manchen Obwohl die EU-Agrarpolitik seither viele Male grund- Ländern der EU. Sie werden teils im legend überarbeitet wurde und die Exportsubventionen Haupt-, teils im Nebenerwerb betrieben verschwanden, ist nie ein neuer Zielkatalog vereinbart worden, der den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts entspricht. Das betrifft vor allem den enormen Einfluss der Derzeit stehen für die Finanzierung der GAP etwa 38 Pro- Landwirtschaft auf Umwelt und Natur, auf nachhaltige zent des EU-Budgets zur Verfügung. Das sind EU-weit 58 Mil- Entwicklung und globale Gerechtigkeit. Die Qualität von liarden Euro im Jahr. Umgerechnet zahlt jeder EU-Bürger Böden, des Wassers und der Lebensräume für Insekten und und jede EU-Bürgerin jährlich 114 Euro für die EU-Agrar- seltene Pflanzen – all diese Themen sind untrennbar mit der politik. Auch wenn die GAP der größte EU-Haushaltsposten landwirtschaftlichen Produktion verbunden. Umwelt-, Tier- ist, sinkt ihr prozentualer Anteil seit Jahren. 1988 waren es und Klimaschutz, die Gesundheit der Menschen, die soziale 55 Prozent, 2027 sollen es nur noch 27 Prozent sein. Entwicklung des ländlichen Raums und globale Nachhal- Die GAP besteht aus zwei Teilbereichen, den sogenann- tigkeitsaspekte sind die großen Herausforderungen, die ten Säulen. Die erste Säule verfügt über 75 Prozent des auf europäischer Ebene geregelt werden sollten. Dennoch GAP-Geldes und heißt „Europäischer Garantiefonds für die wurden diese Themen nur von Fall zu Fall in Querschnitts- Landwirtschaft“. Daraus werden die Pauschalen an die land- klauseln festgelegt. wirtschaftlichen Betriebe gezahlt: die Flächenprämien. Im Wie funktioniert eine EU-Agrarreform, mit der neue Durchschnitt gibt es in der ganzen EU für jeden Hektar pro Schwerpunkte, Zahlungen oder auch Einsparungen veran- Jahr 267 Euro. Wegen der unterschiedlich großen Betriebe kert werden sollen? Zunächst entwickelt die EU-Kommissi- führt diese Regelung dazu, dass EU-weit 80 Prozent der Gel- on einen Vorschlag. Sie, das Europäische Parlament und der der an nur 20 Prozent der Begünstigten gehen. Agrarministerrat beraten und ändern ihn später in mühe- Die zweite Säule umfasst nur 25 Prozent und heißt „Eu- vollen Abstimmungsrunden zwischen allen drei beteiligten ropäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des Institutionen im Rahmen eines „Trilogs“. Ist der Gesetzes- ländlichen Raums“. Daraus werden die Programme für text beschlossen, müssen die Mitgliedsstaaten seine Bestim- Ökolandbau, zur Unterstützung der Landwirtschaft in be- mungen mit nationalen Gesetzen und Regelungen umset- nachteiligten Gebieten und für andere Umwelt-, Klima- und zen. Immer wieder kritisieren Umwelt-, Kleinbauern- und Naturschutzmaßnahmen finanziert. Obgleich es die zweite Entwicklungsorganisationen, dass in dem Verhandlungs- Säule ist, die die Umweltleistungen der EU-Landwirtschaft prozess alle Reformvorschläge, die die GAP hinsichtlich der entlohnt, will die Kommission nun genau dieses Budget in Umwelt nachhaltiger und hinsichtlich der Verteilung ge- der kommenden Förderperiode um rund 27 Prozent zusam- rechter machen sollen, verwässert werden. Das wichtigste menstreichen. Die erste Säule hingegen würde nur um etwa Ziel der GAP bleibt seit Jahren die Stabilisierung der land- elf Prozent gekürzt. Dies ist der jüngste Fehler in der an Feh- wirtschaftlichen Einkommen. lern so reichen Geschichte der GAP. AGRAR-ATLAS 2019 11
EU-AGRARPOLITIK IN ÖSTERREICH GEMISCHTE BILANZ Auf vielen Wegen fließen EU-Gelder in nationaler Kofinanzierung ausgezahlt werden. In Summe Österreichs Landwirtschaft. Manche umfasst das Programm 7,7 Milliarden Euro. Maßnahme setzt das Land erfolgreicher Die Ausgleichszulagen von insgesamt 1,8 Milliarden Euro orientieren sich daran, wie benachteiligt Flächen um als seine europäischen Nachbarn. Doch etwa bezüglich Hanglage, Kleinteiligkeit der Flächen, kli- andere Ziele werden deutlich verfehlt. matischer Ausgangslage wie Seehöhe und Wärmesumme, oder auch Erreichbarkeit sind, und sollen etwa Bergbauern- S eit dem EU-Beitritt 1995 ist Österreich auch Teil der höfen dabei helfen, wirtschaftlich zu überleben. Daneben Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und erhält Zahlun- finanzieren 2,8 Milliarden Euro aus diesem Programm so gen aus diesem Budget. Die GAP gibt einen Rahmen unterschiedliche Bereiche wie die Stabilisierung von Rut- vor und ist in jedem EU-Mitgliedsland verschieden ausge- schungen, Klima- und Energiemodellregionen, den Inter- prägt. Ziel der österreichischen Ausformung war von Beginn net-Breitbandausbau, Pläne zur Dorferneuerung, Quali- an die Einkommensstützung der Bauern und Bäuerinnen tätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, einerseits und die Abgeltung ökologischer Leistungen an- Beratungsdienste und Forstwirtschaftstechnik. dererseits. Eine österreichische Besonderheit ist, dass stark Ein noch größerer Anteil des Programms für ländliche auf die Kofinanzierung der GAP-Gelder gesetzt wird, um Entwicklung, 3,1 Milliarden Euro, fließt in das „Österrei- möglichst das gesamte EU-Fördervolumen auszuschöpfen. chische Programm zur Förderung einer umweltgerechten, In der Budgetperiode 2014 bis 2020 erhält Österreich 4,8 extensiven und den natürlichen Lebensraum schützenden Milliarden Euro in Form von GAP-Direktzahlungen, die als Landwirtschaft“ (ÖPUL). Dieses Programm unterstützt Land- Einkommensstütze gelten können. Dazu gehört die Basis- wirtinnen und Landwirte beispielsweise dabei, auf synthe- prämie, die pro Hektar Land gezahlt wird und als Gegenleis- tische Unkrautvernichtungsmittel bei Wein zu verzichten, tung nicht viel mehr als die Einhaltung der Gesetze und Auf- Äcker über den Winter zu begrünen, im geschützten An- zeichnungspflichten vorschreibt. Auch die zweite Prämie, bau Nützlinge einzusetzen oder gefährdete Nutztierras- als „Greening“ bekannt, ist eine Flächenprämie und wird für sen zu erhalten. Die Prämie ersetzt recht genau den damit den Schutz und zur Verbesserung der biologischen Vielfalt verbundenen Aufwand und ist folglich mehr oder weniger gezahlt. Dieses Ziel gilt allerdings wegen der viel zu weichen einkommensneutral. Für den biologischen Landbau, für Bestimmungen als gescheitert. Die dritte Direktzahlung Natura-2000-Gebiete und für Tierschutzleistungen ist eine fördert die Übernahme von Betrieben durch Junglandwir- Milliarde der 3,1 Milliarden Euro reserviert. Unter anderem tinnen und Junglandwirte, die vierte den Almauftrieb von durch diese Stützung ist Österreich im biologischen Land- Rindern, Schafen und Ziegen. Der andere große Teil der GAP wird in Österreich unter dem „Programm für ländliche Entwicklung 2014 – 2020“ Österreich stockt stark auf, um EU-Mittel für den ausgezahlt. Dieses Programm ist mit 3,9 Milliarden Euro ländlichen Raum zu erhalten. Kofinanzierung – mit EU-Geldern dotiert, die allerdings nur unter der Bedingung diesem Angebot mobilisiert Brüssel nationales Kapital AGRAR-ATLAS 2019 / GB WOHIN DAS GELD FLIESST Zahlungen an die österreichische Landwirtschaft Verteilung der Mittel für die Ländliche Entwicklung, im Budgetzeitraum 2014 bis 2020, in Prozent in Milliarden Euro Tierschutz Maßnahmen für die ländliche Entwicklung Basisdienstleistungen 3,0 % Bio und Dorferneuerung 7,7 10,2 % 9,9 % Direktzahlungen 3,7* Österreich Agrarumwelt- und an Agrarbetriebe Klimamaßnahme** 22,9 % 4,8 26,9 % Ausgleichszulage für Berg- und andere EU 3,9 EU benachteiligte Gebiete 40,1 %: ÖPUL, 27,1 % Österreichische sonstiges Programm für umweltgerechte * Kofinanzierung: meist im Verhältnis von 60 Prozent Bund, 40 Prozent Länder, Differenzen durch Rundung. ** mit Ausgaben für Natura 2000 und Wasserrahmenrichtlinie Landwirtschaft 12 AGRAR-ATLAS 2019
AGRAR-ATLAS 2019 / AMA, STATISTIK AUSTRIA SCHLÜSSELLAND NIEDERÖSTERREICH Ackerbauflächen in Österreich in Hektar und Bioanteil in Prozent, nach Bundesländern, 2017 18 % 11 % Niederösterreich 675.700 konventionell biologisch 20 % Wien 4.300 Oberösterreich 290.000 31 % 7% 37 % 8% Burgenland 157.500 11 % Salzburg 4.900 Steiermark 127.300 Vorarlberg 2.600 Tirol 7.100 17 % 17 % Kärnten 59.600 Österreich gesamt 1.328.900 2017 wurden in Österreich 24 Prozent der landwirt- bau mittlerweile europäischer Vorreiter. 24 Prozent der schaftlichen Nutzfläche biologisch bewirtschaftet. Beim landwirtschaftlichen Nutzfläche werden nach EU-Biorichtli- besonders wichtigen Ackerland waren es 17 Prozent nien oder höheren Standards bewirtschaftet. Der Anteil bei Wiesen ist höher als im Ackerbau. Agrarpolitik besteht aber aus mehr als der GAP. Zu den Mithilfe der GAP geschah besonders im Vergleich zu wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gehörten ebenso anderen EU-Ländern in Österreich manches Richtige im Besteuerung, Sozialabgaben und Sofortbeihilfen bei Tro- Bereich der Ländlichen Entwicklung. Viele Ziele wurden ckenheit oder Hagel. Die Ergebnisse in Österreich sind ins- dennoch verfehlt – und vom Optimum sind wir ohnehin gesamt gemischt. Das sogenannte Höfesterben hat sich in weit entfernt. Ein Zustand, von dem wir uns noch weiter den letzten Jahren verlangsamt. Aber noch in den vergange- entfernen, wenn in Zukunft wirklich ausgerechnet die nen sieben Jahren haben 19.000 Betriebe aufgegeben, sie- Budgetmittel für die Programme der „Ländlichen Entwick- ben pro Tag. Die Einkommenssituation bleibt durchwach- lung“ stark gekürzt werden. sen. Für den Zustand der Biodiversität zeigt der weitgehend lineare Rückgang des Bestands an Kulturlandschaftsvögeln seit 1998 als Zeiger-Index an, dass auch bei unserer relativen DIE HÖFE WERDEN IMMER GRÖSSER Kleinräumigkeit die veränderte Landwirtschaft negative Landwirtschaftliche Betriebe in Österreich nach Betriebsgröße Folgen für Lebensräume nach sich gezogen hat. Seit Kurzem Zu- und Abnahme in Prozent der Betriebe geht der Bestand – auf niedrigem Niveau – nicht mehr wei- ter zurück, er erholt sich aber auch nicht. Veränderungen 2010 zu 2013 2013 zu 2016 Auch bei den Gewässern ist nicht alles im Reinen. Belas- tungen durch Pestizide treten vermehrt in den intensiv be- - 6,36 % bis unter 20 Hektar wirtschafteten Agrargebieten auf. Problematisch ist auch, - 1,76 % dass eine Untersuchung im Jahr 2014 zeigte, dass von den 60 in österreichischen Gewässern gefundenen Pestiziden - 1,41 % 20 bis unter 50 Hektar nur vier Wirkstoffe über die gängigen Beprobungen im - 7,17 % Rahmen der EU-Wasserrahmenrichtlinie erfasst werden. Erosion durch Wasser führt vor allem in Ackerbaugebieten + 0,83 % 50 bis unter 100 Hektar mancherorts zu enormen Bodenverlusten und ist ein we- + 2,36 % AGRAR-ATLAS 2019 / STATISTIK AUSTRIA sentlicher Einflussfaktor auf unsere Böden neben der Ver- siegelung für Gebäude und Verkehrswege im nicht land- - 0,46 % 100 bis unter 200 Hektar wirtschaftlichen Bereich. + 4,07 % + 1,69 % 200 Hektar und mehr Deutlich haben die Agrarbetriebe unter - 0,98 % 50 Hektaren abgenommen. Auch Österreich bleibt von „Wachsen statt Weichen“ nicht verschont AGRAR-ATLAS 2019 13
KOMPETENZEN DRINGEND: DER BLICK ÜBER DEN TELLERRAND Die Landwirtschaft muss in anderen GAP, wird über die Erträge der gesamten Hektare Land- Politikfeldern eine größere Rolle wirtschaft erreicht. Sie hängt damit grundlegend von der spielen. Umgekehrt müssen Gesundheits- Fläche an fruchtbarem Boden ab, über das jedes EU-Mit- gliedsland verfügt. Statt bei der Flächenverfügbarkeit und Umweltschutzziele mehr in die regulierend und weitsichtig einzugreifen, bedeutet eine Agrarpolitik einfließen. Dieser Austausch sichere Versorgung traditionell, die letzten Prozent Er- läuft noch zu zaghaft. tragssteigerung aus einem Hektar zu pressen. Das in der Wirtschaftswissenschaft verwendete Er- D ie Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU erstreckt tragsgesetz kommt nicht zufällig als Bodenertragsgesetz sich auf drei Bereiche: die Stabilisierung der Agrar- aus der Landwirtschaft. Es unterscheidet zwischen In- märkte, die Stützung und Lenkung der agrarischen put – etwa Saatgut, Dünger oder Maschineneinsatz – und Produktion und der Produktionsmethoden sowie Investi- Output – zum Beispiel die Ernte, Schlachtgewichte oder tionen in den ländlichen Raum. Was genau dabei der GAP Milchmengen – und besagt: Anfänglich nimmt der Output unterliegt, ist Politikum und Macht- wie auch Organisa- bei bestimmtem Input schnell zu, aber später ist ein immer tionsfrage. Wenn von einer Reform der EU-Agrarpolitik die höherer Input nötig, um den Output noch weiter zu stei- Rede ist, muss auch geprüft werden, wie kohärente Agrar- gern. Immer mehr sinkt die Effizienz des Inputs. Die GAP politik gelingen kann. fördert jedoch weiter die Hochleistungssysteme in der kon- So liegt die Raumordnung nicht in der Verantwortung ventionellen Landwirtschaft mit dem Ziel des höchstmög- der GAP. Die Festlegung von Verkehrsflächen, Bau-, Acker- lichen Ertrags pro Hektar. und Grünland und die fortschreitende Umwidmung von Mit etwas höherem Hektarertrag bei zunehmend hö- fruchtbarem Boden für nicht landwirtschaftliche Zwecke herem Input steigen auch die negativen Nebenwirkungen gehören aber zu den großen EU-weiten Problemen. Die für öffentliche Güter. Verborgen hinter Kunstdünger, Pes- Ernährungssicherheit, eines der grundlegenden Ziele der tiziden oder importiertem Futter stehen zum Beispiel Was- serverbrauch oder -verschmutzung anderswo, sogenannte Ressourcenrucksäcke. Teils sind die Folgen aber auch offen erkennbar vor Ort mit dem Nitratgehalt in Grund- und BEITRAG ZUM KLIMAWANDEL Oberflächenwasser, einer geringeren Wasserrückhaltefä- Anteil der Landwirtschaft an den Treibhausgasemissionen in Österreich, 2015, in Prozent higkeit der Böden bei starkem Niederschlag mit allen Fol- gekosten, einer abnehmenden Artenvielfalt und damit ins- Landwirtschaft gesamt einer sinkenden Ökosystemstabilität. Zu ihr trägt 10,2 die Landwirtschaft im Grundsatz durch die Erhaltung von Kulturland positiv bei, aber es ist ein Beitrag, der von seinen 10,1 Gebäude negativen Folgen konterkariert wird. Von den Beteiligten und ihren Verbänden wird das oft als unvermeidlich dargestellt. Grund: Die Landwirtschaft müsse ökonomisch funktionieren. Das stimmt, aber für eine 28,0 Verkehr* Gesellschaft als Ganzes ist die Antwort unzureichend. Denn sie führt zu Kosten für die Allgemeinheit. Gäbe es statt ein- dimensionaler Antworten effizientere, multidimensionale- 7,9 Energie und Industrie re Lösungen, wenn auch andere Politikbereiche Verantwor- tung für agrarpolitische Ziele wie Ernährungssicherheit übernehmen müssen? Teils wird bereits über den Tellerrand gedacht, etwa Energie und Industrie beim Wettbewerbsrecht. So ist auf EU-Ebene ein Verbot AGRAR-ATLAS 2019 / UMWELTBUNDESAMT 37,4 unfairer Handelspraktiken in Planung. Um landwirtschaft- Emissionshandel liche Betriebe und faire Preise zu schützen, könnten einige gängige Praktiken, wie Abzüge wegen angeblicher Quali- 6,4 sonstige Österreichs Landwirtschaft liegt beim Ausstoß von Klimagasen * ohne internationalen Flugverkehr auf Rang drei. Mitten im Klimawandel muss jeder Bereich zu einer Reduktion beitragen. Agrar- ist damit Umweltpolitik 14 AGRAR-ATLAS 2019
WENIGER WIESEN, FELDER, WÄLDER Flächenverluste der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe von 1990 bis 2016, nach Bundesländern, in Hektar Niederösterreich Oberösterreich Entwidmung, in Prozent 26.100 41.500 Wien bis 5 8.600 über 5 bis 10 12,1 31,4 39.500 Vorarlberg Salzburg 96.900 Burgenland 30.700 Fläche des 12.200 Bundeslandes Wien, 3.000 Steiermark in Hektar AGRAR-ATLAS 2019 / STATISTIK AUSTRIA Tirol 41.500 Kärnten 33.800 Im Durchschnitt sind in ganz Österreich in 26 Jahren tätsmängel und nachträgliche Werbeabgaben, stärker re- der Land- und Forstwirtschaft fast 1.000 Hektar pro Monat guliert werden. Denn Agrarbetriebe stoßen beim Verkauf verloren gegangen – 292.300 Hektar insgesamt ihrer Produkte auf wenige, große Abnehmer wie Genos- senschaften und Handelsketten, die ihre Marktmacht aus- spielen können. Und je höher die Zuwendungen der GAP, nen und -politiker über die GAP bestimmen, sondern auch desto weniger zahlen die nachgelagerten Player in der Le- die Verantwortlichen von mitbetroffenen Ressorts wie Ge- bensmittelkette, was letztlich eine EU-weite, unkontrollier- sundheit. Auch wo, nicht wie in Österreich, Landwirtschaft te Abschöpfung der GAP-Mittel bedeutet. Österreich zeigt und Umwelt auf zwei Ministerien entfallen, sollte die Mit- sich hier durchaus kritisch gegenüber dem Einzelhandel, sprache der betreffenden „Nachbarressorts“ zu einer we- will aber große Genossenschaften schonen. niger widersprüchlichen Politik und zur Vermeidung von Hier werden Machtverhältnisse verkannt, die auf blin- Folgekosten führen. Zu einer Reform der GAP sollte daher de Flecken in der klassischen Agrarpolitik hinweisen. Eine gehören, dass ihre Strukturen, Mittel, Machtbereiche, Ziele reine Diskussion rund um mehr agrarpolitische Mitsprache und Mitspracherechte wesentlich umfassender diskutiert in Politikfeldern wie Raumordnung oder Wettbewerbs- werden als bisher. recht ist daher nur eine Seite der Medaille. Die zweite Seite besteht darin, wer die Ausgestaltung der GAP mitentschei- det – neue und zusätzliche Player sichern eine gesamtheit- HOCH KONZENTRIERTES EINKAUFEN liche Sicht. Marktanteile der größten Lebensmittel-Einzelhandelsketten Dazu noch ein Beispiel, aus der Gesundheitspolitik. Ei- in Österreich, 2017, in Prozent nigen Studien zufolge hat die GAP den Preisunterschied restliche zwischen Lebensmitteln beeinflusst, indem die Zahlungen ungesunde gegenüber gesunden Lebensmitteln künstlich viert- und fünftgrößte 5,4 verbilligten. Trotz einiger Erfolge, dies abzustellen, beste- 10,7 hen auch in der GAP-Haushaltsperiode 2014 bis 2020 noch viele Verzerrungen, die am Ende zu Ausgaben im Gesund- heitssektor führen. Es läge daher nahe, dass im europäi- AGRAR-ATLAS 2019 / REGIO DATA 83,9 schen Entscheidungsprozess nicht nur Agrarpolitikerin- drei größte Ketten Die Landwirtschaft steht der geballten Einkaufsmacht weniger Abnehmer und deren Bedingungen gegenüber. Das zeigt, dass Agrarpolitik und GAP nicht ein und dasselbe sind AGRAR-ATLAS 2019 15
NETTOZAHLER EINE EXTRAWURST FÜR 130 MILLIARDEN EURO Kleiner Brexit: Bis heute ist der „Britenrabatt“ Zwei Drittel des Nettobetrags fielen für sie künftig weg. ein Verstoß gegen das Solidarprinzip bei Ein Rechenbeispiel mit fiktiven Zahlen: Wenn Großbritan- der europäischen Integration. Die Zahlungen niens jährlicher EU-Mitgliedsbeitrag bei zehn Milliarden Euro lag und sieben davon durch EU-Subventionen oder der EU-Agrarpolitik bremsen indes Beihilfen in das Land zurückflossen, verblieben drei Milliar- wohl Austrittsdrohungen weiterer Länder. den Nettosumme, die Großbritannien an die EU hätte zah- len müssen. Wegen des Rabattes brauchte Großbritannien F ür die Geschichte der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) jetzt nur noch eine Milliarde zu bezahlen. Die anderen zwei ist ein Ausruf der britischen Premierministerin Marga- Milliarden wurden – und werden bis heute – von allen ande- ret Thatcher legendär. „I want my money back!“, „Ich ren Mitgliedsländern übernommen. So wurde die Landwirt- will mein Geld zurück!“, soll sie 1984 auf einem Gipfeltref- schaft zum Auslöser für den ersten großen Verstoß gegen fen der damaligen Europäischen Gemeinschaft (EG) gefor- das Solidarprinzip bei der europäischen Einigung. dert haben. Denn der britische Agrarsektor war zu klein, um In Brüssel stieß eine solche Rethorik des „juste retour“, von den Subventionen aus Brüssel ebenso zu profitieren wie des „gerechten Rücklaufs“ oder von Leistung und Gegen- der französische oder der deutsche. Weil aber Anfang der leistung, auf grundsätzliche Kritik. Sie verstieß gegen den 1980er-Jahre mehr als 70 Prozent des EG-Budgets auf die Gemeinschaftsgedanken, und worauf liefe das hinaus: ge- GAP entfielen, gab es keine Möglichkeit, diese Benachteili- nau so viel einzuzahlen wie zurückzubekommen? Zudem gung des britischen Mitglieds anderswo zu kompensieren. gab und gibt es keine Methode, um die unterschiedlichen Auch die vergleichsweise hohen Zoll- und Mehrwert- wirtschaftlichen Vor- und Nachteile unter den beteiligten steuereinnahmen, die den EG-Mitgliedsbeitrag beeinfluss- Ländern – von Investitionen über Arbeitsplätze bis zum ten, benachteiligten Großbritannien. Außerdem lag das Handel – zu verrechnen. Dies gilt umso mehr, wenn aus- britische Pro-Kopf-Einkommen wegen der scharfen Kon- gerechnet die Landwirtschaft mit ihren Produktions- und junkturkrise deutlich unter demjenigen Deutschlands und Frankreichs. Schon seit ihrem Amtsantritt 1979 hatte sich Thatcher daher über die Höhe des EG-Beitrags beschwert Die teure Ausnahme für Großbritannien endet mit dem und für eine regelrechte Politikblockade in Brüssel gesorgt. Brexit. Billiger wird es für die anderen Länder trotzdem Und sie bekam ihren „Britenrabatt“, wie er schnell hieß. nicht, denn London scheidet auch als Nettozahler aus AGRAR-ATLAS 2019 / MATTHEWS, ONS DIE LASTEN DER ANDEREN Jährliche und aufgelaufene Kosten des „Britenrabatts“ (66 Prozent des britischen Aufteilung der Kosten des EU-Nettobeitrags, von den anderen Mitgliedsländern übernommen), in Milliarden Euro Rabatts auf die übrigen EU-Länder, in Prozent, 2017 8 160 7,3 128,8 7 6,8 140 17,4 6,3 27,0 6 jährlicher Rabatt 120 9,2 5 100 13,2 20,0 13,3 4 80 3,6 Frankreich 3 60 Italien Spanien 2 aufgelaufener Rabatt 40 13 EU-Länder ab 2004 4 EU-Länder mit Reduktion* 1 20 7 restliche EU-Länder * Deutschland, Österreich, Schweden 0 0 und die Niederlande mit um 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 75 Prozent reduziertem Betrag; dieser „Rabatt vom Rabatt“ wird von 1985 bis 2015 inoffizielle Berechnungen; 2016 und 2017 Schätzung der britischen Statistikbehörde ONS den anderen 23 Ländern bezahlt. 16 AGRAR-ATLAS 2019
AGRAR-ATLAS 2019 / BPB WIE ES EUCH GEFÄLLT Drei Berechnungsmethoden für Nettozahler und -empfänger in der Europäischen Union und Beitragssalden der jeweils ersten fünf Länder, 2016 Nettozahler Nettoempfänger in Euro - 11,0 Mrd. € Deutschland + 7,0 Mrd. € Polen - 9,2 Mrd. € Frankreich + 6,0 Mrd. € Rumänien - 6,3 Mrd. € Großbritannien + 4,3 Mrd. € Griechenland Italien - 3,2 Mrd. € + 3,6 Mrd. € Ungarn Belgien - 1,5 Mrd. € + 3,2 Mrd. € Tschechien in Euro pro Kopf Frankreich - 138 € Griechenland + 398 € Belgien - 136 € Litauen + 396 € Deutschland - 134 € Slowakei + 366 € Dänemark - 112 € Ungarn + 364 € Österreich - 111 € Estland + 364 € in Prozent der Wirtschaftsleistung Frankreich - 0,41 % Bulgarien + 4,15 % Belgien - 0,36 % Rumänien + 3,62 % Deutschland - 0,34 % Ungarn + 3,30 % Österreich - 0,28 % Litauen + 3,09 % Großbritannien - 0,27 % Slowakei + 2,49 % Die wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung Preisschwankungen die Basis für eine solche gesamtwirt- einer EU-Mitgliedschaft lässt sich nicht schaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung abgeben soll. beziffern, der Finanzsaldo hingegen schon Dennoch gelang es niemandem in der EU, den Briten- rabatt wieder abzuschaffen, auch nicht, als Großbritannien wirtschaftlich zu den anderen Industrieländern aufschloss namik. Obwohl die GAP der dominante Posten bei den Aus- und die Regierung zu Labour wechselte. Im Jahr 1985 wur- gaben blieb, rückte die Agrarpolitik in den Hintergrund. de nicht etwa das Verfahren zur Berechnung des Beitrags Gestritten wurde nun über Reformen für die ganze, ständig angepasst, um den Rabatt auszugleichen, sondern er wurde wachsende EU, nicht mehr über den Britenrabatt. und wird Jahr für Jahr auf jedes EU-Mitglied umgelegt, auch Für die 13 „neuen“ Länder der EU-Erweiterungen seit auf die neuesten und ärmsten. 1985 begann er bei einer 2004 hingegen hat die GAP ihre Bedeutung behalten, denn Milliarde Euro und erreichte 2001 – auch durch Nachzah- fast alle gehören zu den Nettoempfängern der EU-Agrar- lungen – einen Höchststand von 7,3 Milliarden Euro. 2017 politik. Selbst die gegenüber Brüssel besonders kritischen lag der summierte Preisnachlass seit 1985 bei 129 Milliar- Regierungen können sich einen Verzicht darauf nicht leis- den Euro. Mit dem Brexit wird sich allerdings auch der Bri- ten; beide Seiten wissen das. Für Polen geht es nach einem tenrabatt erledigen. Entwurf der Kommission für die Haushaltsrunde 2021 bis Auch Deutschland, Frankreich und Italien sind große 2027 um insgesamt 30,6 Milliarden Euro, für das viel kleine- Nettozahler und überweisen mehr an die EU, als sie zurück- re Ungarn sind es immerhin 11,7 Milliarden. bekommen. Wenn sich eines dieser Länder nach dem bri- Ihre Investitionszuschüsse an polnische und ungarische tischen Vorbild verhalten und nur auf den eigenen Vorteil Unternehmen – im Umfang ähnlich wichtig wie die GAP-Gel- gesetzt hätte, wäre es mit dem Projekt der europäischen der – will die Kommission um ein Viertel reduzieren. Künftig Integration schnell vorbei gewesen. Dass der Streit nicht soll auch die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen weiter um sich griff, lag ironischerweise ebenfalls an der ein Kriterium für diese Fördermittel sein. Anders als diese Agrarpolitik. Zu Beginn der 1980er-Jahre galt die EG-Land- Zuschüsse sind die Agrarzahlungen an Polen und Ungarn wirtschaft durch Marktverzerrungen und Überproduktion nicht gefährdet. Die GAP gilt in der in der gesamten Union als Fass ohne Boden. Diese Dauerkrise ging über Thatchers gleichermaßen und bleibt eine stabile Einnahmequelle. So Rabatt weit hinaus. Neue Integrationsprojekte wie der Bin- hilft nun ausgerechnet der traditionellste Sektor der EU, nenmarkt, die Gemeinschaftswährung und die Förderung die Finanzierung der Landwirtschaft, besonders viel beim der Infrastruktur durch die EU sorgten für eine positive Dy- Kampf gegen die politische Erosion der Union. AGRAR-ATLAS 2019 17
DIREKTZAHLUNGEN VIEL GELD FÜR WENIG LEISTUNG Die EU-Kommission will, dass Direkt- Menge, beispielsweise pro Tonne Weizen oder pro Liter zahlungen an Agrarbetriebe auch künftig Milch, pro Hektar Kulturpflanzen oder pro Stück Vieh. Ent- die wichtigste Ausgabe der Agrarpolitik koppelte Zahlungen sind an die Anbaufläche gebunden und verpflichten die Landwirtinnen und Landwirte nicht bleiben. Das meiste Geld kommt aber dazu, etwas zu produzieren. Rund 90 Prozent der Direkt- nur wenigen und großen Betrieben zugute. zahlungen sind entkoppelt. So kann eine Entscheidung, was produziert werden soll, allein anhand der erwarteten D irektzahlungen sind das wichtigste Instrument, um Erträge erfolgen, denn sie hat keinen Einfluss auf die Höhe das Einkommen der Landwirtinnen und Landwirte der Zahlungen. im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Um Direktzahlungen zu erhalten, müssen die Landwir- EU zu unterstützen. Sie wurden 1992 eingeführt. Im derzei- tinnen und Landwirte einige Grundregeln beachten, die tigen Förderzeitraum 2014 bis 2020 machen die Direktzah- als „Cross-Compliance-Regeln“ bezeichnet werden. Es han- lungen 72 Prozent des gesamten GAP-Budgets aus. delt sich dabei im Wesentlichen um Vorschriften für den Direktzahlungen können grundsätzlich an die Produk- Umweltschutz, die Lebensmittelsicherheit, die Tier- und tion gekoppelt oder von ihr entkoppelt werden. Gekop- Pflanzengesundheit sowie den Tierschutz. Wer gegen sie pelte Direktzahlungen richten sich nach der erzeugten verstößt, dem können die Gelder gekürzt werden. Im Zuge der GAP-Reform 2013 wurden die Direktzah- lungen neu strukturiert. 30 Prozent der Mittel sind seither für sogenannte Umweltzahlungen vorgesehen. Wer sie AGRAR-ATLAS 2019 / EC KONZENTRIERTES KASSIEREN bekommen will, muss Verpflichtungen eingehen, die Um- Anteil der EU-Direktzahlungen, der auf ein Fünftel der Empfänger im Land entfällt, in Prozent, 2015 welt- und Klimaschutz verbessern sollen. Umweltgruppen, aber auch der Europäische Rechnungshof kritisieren, dass EU-Beitritt bis 1995 EU-Beitritt ab 2004 diese Zahlungen ihre Ziele verfehlen. Bauernverbände kla- gen hingegen, die Regeln gingen an den Bedürfnissen der Portugal 87 Betriebe vorbei. Die Kommission will diese Umweltzahlun- Italien 80 gen ab 2021 einstellen. Stattdessen sollen die EU-Mitglieds- Spanien 78 staaten größere Spielräume für eigene Agrar-Umweltpro- Dänemark 75 gramme erhalten, die von der EU mitfinanziert werden. Schweden 73 Sofern diese Programme mit ehrgeizigen Zielsetzungen Deutschland 69 verbunden sind, könnten sie tatsächlich einen größeren Griechenland 68 ökologischen Nutzen bringen. Großbritannien 64 Wie deutlich sich die Direktzahlungen auf das Einkom- Österreich 58 men der Landwirtinnen und Landwirte auswirken, hängt von der Größe und Art des Betriebs ab. Wo die Anbaufläche Belgien 56 kaum eine Rolle spielt, etwa in der Schweine- und Geflügel- Irland 56 produktion, ist die Bedeutung gering, auch bei sehr hoher Finnland 55 Produktivität pro Hektar wie im Wein- und Gartenbau. Im Frankreich 54 Ackerbau und in der Weidewirtschaft hingegen können Niederlande 54 die Direktzahlungen durchaus die Einkünfte aus der ei- Luxemburg 48 gentlichen landwirtschaftlichen Arbeit übersteigen. Slowakei 94 Da die Betriebe in der EU sehr unterschiedlich groß Tschechien 89 sind, hat sich eine Schieflage ergeben. 80 Prozent der Di- Estland 86 rektzahlungen gehen an nur 20 Prozent der Berechtigten. Ungarn 85 Mehr als 30 Prozent der Gesamtsumme entfallen auf nur Bulgarien 84 131.000 der insgesamt 6,7 Millionen Betriebe. Diese um- Rumänien 84 fangreichen Beihilfen für Betriebe, deren Einkommen oh- Lettland 80 nehin deutlich über dem EU-Durchschnitt liegt, sind kaum Kroatien 77 zu rechtfertigen. Zwar hat die Kommission mehrfach eine Zypern 77 Obergrenze für die Zahlungen gefordert, aber die Vor- Litauen 77 schläge wurden jedesmal verwässert. Polen 74 Malta 72 Slowenien 64 In vielen Ländern kassiert ein Fünftel der Betriebe über vier Fünftel der Direktzahlungen. In den neueren EU-Ländern ist das Problem noch größer als in den älteren 18 AGRAR-ATLAS 2019
AGRAR-ATLAS 2019 / EC ZWISCHEN STILLHALTEPRÄMIE UND ÜBERLEBENSMITTEL Verteilung des Budgets der Gemeinsamen Agrarpolitik auf die Mitgliedsländer, Vorschlag der EU-Kommission für 2021 bis 2027, in Milliarden Euro Finnland 5,6 Estland 1,9 Schweden 6,2 Dänemark 6,5 Lettland 3,0 Litauen 5,1 Förderung der Niederlande 5,4 Irland 10,0 ländlichen Entwicklung Belgien 3,9 Polen 30,5 Direktzahlungen für Flächen Marktunterstützung bei Preis- und Wetterkrisen Luxemburg 0,3 Deutschland 41,0 Tschechien 7,7 Slowakei 4,4 Österreich 8,1 Ungarn 11,7 Rumänien 20,5 Slowenien 1,7 Kroatien 4,5 Bulgarien 7,7 Portugal 8,8 Frankreich 62,3 Spanien 43,8 Italien 36,4 Malta 0,1 Griechenland 18,3 Zypern 0,5 Wer hat, dem wird gegeben. Frankreichs Direktzahlungen kommen auch nicht immer in vollem Landwirtschaft soll auch künftig die größten Umfang dem Bauern oder der Bäuerin zugute. Rund die Überweisungen aus Brüssel erhalten Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche in der EU ist gepachtet. Die Landbesitzer und -besitzerinnen können einen Gutteil der Subventionen selbst einstreichen, indem gebnisse und Ziele gebunden sind. Sie sind ineffektiv, weil sie einfach die Pacht erhöhen. sie das grundlegende Problem der niedrigen Einkommen Direktzahlungen werden heute mit drei Argumenten in einigen Betrieben, nämlich die geringe Produktivität, gerechtfertigt: Sie sollen niedrige Einkommen von Land- nicht angehen. Und sie sind ungerecht, weil ein so großer wirtinnen und Landwirten aufstocken (obwohl in Wirk- Teil an Betriebe geht, deren Einkommen weit über dem lichkeit vor allem die besser Situierten davon profitieren), Durchschnitt im Agrarsektor wie auch in der Gesamtwirt- sie sollen das Einkommen in einem risikoreichen Umfeld schaft liegt. stabilisieren (obwohl für die Zahlungen egal ist, ob die Ein- künfte hoch oder gering ausfallen), und sie sollen die höhe- ren Standards ausgleichen, die die EU-Landwirtinnen und FREIWILLIG ABHÄNGIG -Landwirte im Vergleich zur internationalen Konkurrenz „Gekoppelte Prämien“ für ausgewählte Agrarprodukte, einhalten müssen (obwohl die Beihilfen ganz unabhängig gezielte Direktzahlungen in Millionen Euro pro Jahr, 2017 von zusätzlichen Kosten geleistet werden). Im Juni 2018 legte die Kommission dem Europäischen Zuckerrüben sonstige Rat und dem Parlament Vorschläge für die GAP ab 2021 zur Beratung vor. Sie hält an den Direktzahlungen als Haupt- 177 180 Obst und Gemüse 189 element der Unterstützung der Landwirtschaft fest. Es ist 469 1.713 eine verpasste Gelegenheit, weil diese Beihilfen ineffizient, 4.200 Rind- und Kalbfleisch ineffektiv und ungerecht sind. Sie sind ineffizient, weil sie Eiweißpflanzen 583 an alle Agrarbetriebe auf der Grundlage der bewirtschaf- teten Hektar gezahlt werden und nicht an konkrete Er- 889 AGRAR-ATLAS 2019 / EC Eigentlich sollen die „gekoppelten Prämien“ Milch, Milchprodukte Schaf- und Ziegenfleisch Agrarbranchen in Not helfen. Oft werden sie trotz Auflagen ausgenutzt, um einfach so weiterzumachen wie bisher AGRAR-ATLAS 2019 19
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