Systemkopf Deutschland Plus Die Zukunft der Wertschöpfung am Standort Deutschland - Management Summary
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Systemkopf Deutschland Plus Die Zukunft der Wertschöpfung am Standort Deutschland Management Summary
BDI, IW Köln, Roland Berger, vbw Management Summary 1 Systemkopf Deutschland Plus Vorwort Vorwort Zu Beginn des Jahres 2008 blickt die deutsche Wirtschaft auf zwei wachstumsstarke Jahre zurück – eine Dynamik, die das Land lange Zeit vermisst hat. Gleichwohl haben die Wachstumsrisiken zugenommen, das Geschäftsklima und das Verbrauchervertrauen haben sich ermäßigt, der Aufschwung verliert an Fahrt. Während die Unternehmen sich ganz über- wiegend gut auf den internationalen Märkten positioniert, ihre Strukturen konsolidiert und sich auch für wirtschaftlich schwächere Zeiten vorbereitet haben, ist der Standort Deutschland im Zuge des Aufschwungs nicht allzu weit vorange- kommen. So hat sich die Wachstumsrate des Produktionspotenzials nach Berechnungen des Sachverständigenrates seit 2004 nur von 1,1 auf 1,6 Prozent erhöht. Somit besteht die Gefahr, dass die Strukturprobleme, die die deutsche Standort- debatte vor einigen Jahren prägten, schon bald wieder in unverminderter Schärfe auf der Agenda stehen. Hier setzt die Studie »Systemkopf Deutschland Plus« an. Sie soll der wirtschaftspolitischen Diskussion zur Zukunft des Standorts Deutschland neue Impulse geben und gleichzeitig Lösungsansätze für Politik und Unternehmen im internatio- nalen Standortwettbewerb aufzeigen. Die vom Bundesverband der Deutschen Industrie, Roland Berger Strategy Consul- tants, dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln und der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft gemeinsam konzipier- te und erarbeitete Studie geht der Frage nach, welche Glieder der Wertschöpfungskette am Standort Deutschland in besonderer Weise Zukunftspotenzial haben und was dies für unternehmerische Strategien und für die staatliche Wirt- schaftspolitik bedeutet. Ausgangspunkt der Studie ist die These, dass deutsche Unternehmen auf den Weltmärkten vor allem durch eine Strategie der Differenzierung Wettbewerbsvorsprünge erlangen können. Unternehmerische Wertschöpfungsketten werden daraufhin untersucht, welche Funktionen über die höchsten Differenzierungs- und damit Wertschöpfungspotenziale verfügen. Solche wettbewerbsentscheidenden Schlüsselfunktionen, die in der Regel sehr Know-how-intensiv sind, werden in der Studie Sys- temkopffunktionen genannt – hierzu zählen zum Beispiel Forschung und Entwicklung, Design, Marketing und auch hoch- wertige Produktion. In unserer Untersuchung konnten wir zeigen, dass Unternehmen, die in Systemkopffunktionen stark sind, sehr davon profitieren: Sie sind innovativer, wettbewerbsfähiger und insgesamt erfolgreicher als vergleichbare Unter- nehmen, die keine besonderen Stärken in Systemkopffunktionen aufweisen. Sie organisieren mit großer Effizienz globale Wertschöpfungsnetzwerke und sind dennoch zu einem guten Teil standorttreu – speziell ihre Systemkopffunktionen betrei- ben sie bewusst in Deutschland. Dadurch können sie auch für andere Unternehmen zum Leitbild werden. Auch für die Politik ist das Phänomen der Systemkopfunternehmen eine Herausforderung und Gestaltungsaufgabe. Zwar sind Systemköpfe zu einem großen Teil aus eigener Kraft erfolgreich und fühlen sich durch ihre globale Orientierung von der nationalen Politik teilweise unabhängig. Dennoch muss die Standortpolitik unbedingt dafür Sorge tragen, dass für diese Unternehmen die Rahmenbedingungen günstig sind und die Unternehmen sich entfalten können. Nur so können breitere Teile der Wirtschaft vom Erfolg der Systemköpfe profitieren, was durch das »Plus« im Titel der Studie ausgedrückt werden soll. Es muss gelingen, die Strahlkraft wettbewerbsfähiger Unternehmen so zu mobilisieren, dass auch nachgelagerte Stufen der Wertschöpfungskette erfasst werden. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, um auch Beschäftigungsmöglichkeiten in der Breite entlang der verschiedenen Qualifikationsstrukturen in der Bevölkerung zu sichern und zu schaffen. Inwieweit es gelingt, hochproduktive Teile der weltwirtschaftlichen Wertschöpfungskette am Standort Deutschland zu halten, ist für die Zukunft unseres Landes von herausragender Bedeutung. Die Diskussion hierüber gehört ganz oben auf die unternehmerische und auch auf die wirtschaftspolitische Agenda. Mit der vorliegenden Studie wollen wir hierzu Denk- und Handlungsanstöße geben. Prof. Dr. Michael Hüther, Randolf Rodenstock, Institut der deutschen Wirtschaft Köln Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft Dr. Burkhard Schwenker, Jürgen R. Thumann, Roland Berger Strategy Consultants Bundesverband der Deutschen Industrie
BDI, IW Köln, Roland Berger, vbw Management Summary 3 Systemkopf Deutschland Plus Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1 Kapitel 1: Die Idee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .4 1.1 Der Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .4 1.2 Das Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .8 Kapitel 2: Der Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .10 2.1 Die Makroebene: Der globale Strukturwandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .10 2.2 Die Mesoebene: Die Veränderung von Wertschöpfungsketten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .15 2.3 Die Mikroebene: Unternehmerische Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .20 Kapitel 3: Der Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .29 3.1 Handlungsansätze auf der Unternehmensebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .29 3.2 Handlungsansätze für die Wirtschaftspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .35
4 BDI, IW Köln, Roland Berger, vbw Management Summary Systemkopf Deutschland Plus Kapitel 1: Die Idee Kapitel 1: Die Idee 1.1 Der Ausgangspunkt Die Globalisierung, d. h. die zunehmende Verflechtung der Weltwirtschaft, bedeutet nicht alleine eine Verschärfung des Wettbewerbsdrucks. Sie bedeu- tet gleichzeitig auch eine Erweiterung der strategischen Spielräume für Unternehmen. Neben der internen und externen Leistungserstellung im Inland stehen den Unternehmen zunehmend Offshoring-Möglichkeiten offen, sei es über ausländische Tochtergesellschaften (Captive Offshoring), sei es über externe Lieferanten und Kooperationspartner im Ausland (Off- shore Outsourcing). Jedes Unternehmen, das direkt oder indirekt in einer glo- wirtschaft einen Status als Systemkopf innerhalb der Welt- balen Branche tätig ist, muss sich daher die Frage stellen, wirtschaft einnimmt, wenn die Unternehmen dem Spezia- mit welchen Wertschöpfungsstrategien es unter den Bedin- lisierungsmuster der Konzentration auf Systemkopffunk- gungen einer globalisierten Ökonomie konkurrieren will tionen im Inland folgen. (Abbildung 1). Das »Plus« steht dabei ergänzend für mögliche positive Abbildung 1: Die Erweiterung des strategischen Spektrums Rückwirkungen auf den Standort Deutschland insgesamt. von Unternehmen Mit anderen Worten: Wenn Unternehmen aufgrund der Konzentration auf Systemkopffunktionen erfolgreich sind, können die hochwertigen Funktionen eventuell auch Fremd- Onshore Offshore vergabe Outsourcing Outsourcing weniger qualifizierte Tätigkeiten an den Standort binden. Alle diese Fragen stellen sich vor dem Hintergrund des Eigen- Interne inländische Captive weltweiten Strukturwandels, der an Intensität erheblich erstellung Leistungserstellung Offshoring zugenommen und einen regelrechten Beschleunigungs- schub erfahren hat. Diese hohe Intensität des Wandels in National International Deutschland ist bedingt durch das zeitgleiche Zusammen- wirken von drei strukturprägenden Megatrends: Globali- Quelle: Roland Berger Strategy Consultants sierung, Tertiarisierung und Upskilling. Wie verhalten sich also die Unternehmen? Wie füllen sie Globalisierung ihr strategisches Spektrum aus? Welche Teile der Wert- Globalisierung steht für die Intensivierung der internatio- schöpfungskette bleiben weiterhin am Standort Deutsch- nalen volkswirtschaftlichen Verflechtungen, die unter land und welche Prozesse werden ins Ausland verlagert – anderem auf den technischen Fortschritt in den Bereichen und mit welchen Konsequenzen? Information und Kommunikation, Transport und Verkehr sowie auf die Liberalisierung der Kapitalmärkte und des Ausgehend von diesen Fragen untersucht die Studie fol- Welthandels zurückzuführen ist. Wie eingangs erwähnt, gende Hypothese: erweitert die Globalisierung das strategische Spektrum von Unternehmen. Die wachsende internationale Arbeits- Die deutsche Wirtschaft konzentriert sich im Inland auf teilung, die hinter diesem Schlagwort steht, impliziert ein wesentliche dispositive und hochwertige – und damit umfassendes Offshoring. Unternehmen konzentrieren sich humankapital- und wertschöpfungsintensive – Unterneh- zunehmend auf ihre Kernqualifikationen und lagern ande- mensfunktionen – zum Beispiel Forschung und Entwick- re Tätigkeiten ins Ausland aus. lung, Design, Marketing, Fertigungsplanung und Vertriebs- steuerung. Diese Unternehmensfunktionen nennen wir Der primäre volkswirtschaftliche Grund für die steigende »Systemkopffunktionen«, was auf den Charakter als steu- Bedeutung solcher »Make-or-buy«-Entscheidungen ist die ernde Funktionen bzw. Kernfunktionen hinweisen soll. stete Wirkung des Wettbewerbs zwischen den Unterneh- Der Titel der Studie »Systemkopf Deutschland Plus« soll men und zwischen den Unternehmensstandorten. Neue darauf aufmerksam machen, dass Deutschland als Volks- Anbieter aus den Schwellenländern haben technologisch
BDI, IW Köln, Roland Berger, vbw Management Summary 5 Systemkopf Deutschland Plus Kapitel 1: Die Idee aufgeholt und bieten heute arbeitsintensive Industriepro- einem Postulat für Unternehmen geworden ist: Das welt- dukte kostengünstiger an. In der Regel sind die Produkte weite BIP ist seit 1990 jährlich um 3 Prozent gewachsen. hoch standardisiert und weisen ein geringes Differenzie- Zeitgleich sind ausländische Direktinvestitionen pro Jahr rungspotenzial auf. Handelt es sich hierbei um Endpro- um 11 Prozent gestiegen. Daraus folgt: Wer überdurch- dukte, setzt das die entsprechenden Branchen in den etab- schnittlich wachsen will, muss internationalisieren. lierten Industrieländern unter existenziellen Druck, da sie einem Preiswettbewerb kaum standhalten können. Han- Tertiarisierung delt es sich um Zulieferteile, die in höherwertige, differen- Unter dem Megatrend Tertiarisierung versteht man die zierte Produkte eingebaut werden, führt es zur »Buy«-Ent- zunehmende Bedeutung von Dienstleistungen, die neben scheidung der Hersteller in den etablierten Industrielän- einer generell stärkeren Kundenorientierung vor allem auf dern: Wertschöpfungsketten werden zerlegt und arbeitsin- die wachsende Nachfrage nach Komplettlösungen und tensive Bereiche im Rahmen des Offshoring in Niedrig- maßgeschneiderten Produkten zurückgeht: Derartige lohnländer verlegt. Lösungen und Produkte beinhalten heutzutage – ganz besonders im Investitionsgüterbereich, aber auch bei Kon- Offshoring wird häufig als latente Gefahr für die deutsche sumgütern – immer häufiger einen umfangreichen Dienst- Industrieproduktion gesehen. Zugleich stärkt dieser Pro- leistungsanteil. Diese Dienstleistungen stehen also nicht zess aber die Wettbewerbsfähigkeit der verbleibenden Pro- alleine und ersetzen keine Industrieprodukte, sondern duktion in Deutschland. Verbunden mit dem Offshoring werden im Gegenteil um Industrieprodukte herum entwi- findet eine Konzentration der Industrieländer auf ckelt, wirken also komplementär statt substituierend. Da Hightech- und Highskill-Bereiche statt, deren Produkte sie einen gewichtigen Teil aller neuen Dienstleistungen mit steigendem Wohlstand zunehmend in den Schwellen- ausmachen, führt die Tertiarisierung – entgegen einem und Entwicklungsländern Abnehmer finden. weit verbreiteten Verständnis – nicht zwangsläufig zur Bedeutungsabnahme des industriellen Sektors, sondern Neben der »Make-or-buy«-Entscheidung sind zwei weite- kann im Gegenteil zu seiner Stärkung beitragen. re Facetten der Globalisierung wichtig. Erstens internatio- nalisieren Unternehmen nicht nur aus Kostengründen: Upskilling Absatzmotive spielen meist eine noch größere Rolle, denn Der Begriff »Upskilling« bezeichnet den Megatrend einer zahlreiche ausländische Märkte wachsen schneller als der zunehmenden Wissensintensivierung. Bei der Erstellung deutsche Markt und versprechen dementsprechend große von industriellen Produkten und Dienstleistungen nimmt Absatzchancen. Darüber hinaus folgen Unternehmen häu- die Bedeutung des eingesetzten Humankapitals aufgrund fig ihren großen Kunden ins Ausland oder die einheimi- der zunehmenden Komplexität von Bedürfnissen und sche Politik verlangt den Einsatz von »Local Content«, so Gütern zu. Die Industrieländer haben in den vergangenen dass Unternehmen neben dem Vertrieb oftmals auch Pro- Jahrzehnten im Hochtechnologiebereich deutlich zugelegt, duktion im Ausland aufbauen. Überdies wird häufig über- nicht zuletzt deswegen, weil sie in den Schwellen- und sehen, dass die entwickelten Industrienationen bei der Entwicklungsländern neue Märkte für ihre wertschöp- Globalisierung untereinander nach wie vor die wichtigsten fungs- und technologieintensiven Güter erschlossen Partner sind. So investieren Unternehmen aus Industrie- haben. Durch diesen Bedeutungsgewinn des Hochtechno- ländern immer noch bei weitem mehr in anderen etablier- logiebereichs werden in den Industrieländern mehr hoch ten Industrieländern als in asiatischen Schwellenländern qualifizierte Fachkräfte benötigt, während Kräfte mit ein- oder auch in Osteuropa. Die deutschen Direktinvestitions- facher Qualifikation es zunehmend schwerer haben, eine bestände in den Euro-Ländern bzw. in den USA betrugen Beschäftigung zu finden. im Jahr 2005 nahezu das 22-Fache bzw. mehr als das 21- Fache der deutschen Direktinvestitionen in China. Allein Vor dem Hintergrund der beschriebenen Megatrends Glo- in Frankreich hatten deutsche Unternehmen 2005 3,5-mal balisierung, Tertiarisierung und Upskilling ergeben sich so viel wie in China investiert und 2,6-mal so viel wie in bezüglich der Konfiguration von Wertschöpfungsketten Tschechien, das größte deutsche Investitionsziel in Osteu- verschiedene Strategieoptionen für die deutsche Wirtschaft ropa. Allerdings muss dies insoweit relativiert werden, als (Abbildung 2): Wertschöpfungsketten können zerlegt wer- Kapitalsammelstellen oftmals das wahre Zielland einer den, bestimmte Teile der Wertschöpfungskette können ver- Direktinvestition verdecken. tieft werden und es können auch Wertschöpfungsketten neu geschaffen werden. Dabei sind auch Kombinationen Zugleich zeigt ein Blick auf das Wachstum der ausländi- der Strategieoptionen denkbar. schen Direktinvestitionen, dass Internationalisierung zu
6 BDI, IW Köln, Roland Berger, vbw Management Summary Systemkopf Deutschland Plus Kapitel 1: Die Idee Abbildung 2: Strategieoptionen für die deutsche Wirtschaft und die Fähigkeit, Kundenbedürfnisse zu erkennen und schnell und flexibel auf deren Änderungen zu reagieren. Zerlegung von Wertschöpfungsketten Grundidee dabei ist, dass Produktdifferenzierungen den Unternehmen Preissetzungsspielräume eröffnen. So lässt Vertiefung von sich erklären, warum beispielsweise deutsche Autobauer Globalisierung Wertschöpfungsketten in Frankreich und französische Autobauer in Deutschland Tertiarisierung Autos verkaufen, was allein mit der klassischen Außen- Zerlegung und Vertiefung Upskilling von Wertschöpfungsketten handelstheorie nicht erklärt werden kann. Schon verhält- nismäßig kleine Modifikationen im Vergleich zum Wettbe- Schaffung von werbsprodukt oder zum Marktauftritt der Wettbewerber Wertschöpfungsketten reichen aus, um sich von der Konkurrenz abzusetzen. Um Trends Strategieoptionen diese Modifikationen hervorzubringen und zu verkaufen, muss die Wertschöpfungskette vertieft werden, hochwerti- Quellen: Roland Berger Strategy Consultants, IW Köln ge Funktionen, wie zum Beispiel FuE, Design, Marketing und Vertrieb, müssen ausgebaut werden. Im Folgenden sollen die vier wichtigsten Strategieoptio- nen und die dahinter stehenden theoretischen Ansätze Die Modifikationen schaffen temporär »neue Märkte«, in vorgestellt werden. denen die differenzierenden Unternehmen »allein am Markt« sind, allerdings können die Konkurrenten diese Zerlegung von Wertschöpfungsketten Vorsprünge schnell aufholen. Deshalb wird auch von Aus Sicht der klassischen Außenhandelstheorie mit ihrer dynamischen Vorteilen bzw. temporärer Divergenz gespro- Annahme der vollkommenen Konkurrenz bestimmen Fak- chen, die sich die Unternehmen ständig neu erarbeiten torausstattung und komparative Kostenvorteile die Gestalt müssen. »Permanentes Engineering« und die Hervorbrin- der internationalen Arbeitsteilung. Die Regionen speziali- gung von Innovationen sind Voraussetzung für die Erzie- sieren sich auf diejenigen Bereiche, in denen sie kompara- lung temporärer Vorsprünge gegenüber der Konkurrenz. tive Vorteile aufweisen. Hochlohnländer konzentrieren sich daher verstärkt auf kapital- und wissensintensive Dazu ist es nicht zwingend erforderlich, mit Innovationen Tätigkeiten, während in Niedriglohnländern eher arbeits- stets als Erster am Markt zu sein. Auch sogenannte intensive und geringqualifizierte Tätigkeiten ausgeführt Second Mover, die vorhandene Innovationen so in ihre werden. Die Produkte sind in der Praxis oft weitgehend Produkte einbinden, dass sie für die Kunden Zusatznutzen standardisiert, so dass der Preis der entscheidende Wettbe- schaffen, haben gute Chancen im Wettbewerb. Neben der werbsparameter ist. Global agierende Unternehmen Fähigkeit zur Differenzierung durch Innovationen muss suchen für jede Unternehmenstätigkeit weltweit denjeni- gleichzeitig die preisliche Wettbewerbsfähigkeit gesichert gen Standort, der das günstigste Verhältnis von Produkti- sein. Hier spielt die Erzielung von Skalenerträgen eine vität und Kosten bietet. Entsprechend werden Wertschöp- entscheidende Rolle. Eine Schlüsselkompetenz dabei ist fungsketten zerlegt. die Herstellung maßgeschneiderter Produkte mit Metho- den der Massenproduktion. Dies erfordert von den Unter- Vertiefung von Wertschöpfungsketten nehmen insbesondere die Fähigkeit zur Beherrschung von Die zweite Dimension der Globalisierung, der intensive Komplexität. Wettbewerb zwischen den Industrieländern in der Herstel- lung ähnlich wertschöpfungs- und technologieintensiver Zerlegung und Vertiefung von Wertschöpfungsketten Güter, wird nicht mit der klassischen, sondern mit der Zwei Theorien legen nahe, dass die oben angeführten neueren Außenhandelstheorie erklärt. In diesem intrain- Strategieoptionen der Zerlegung und Vertiefung von Wert- dustriellen Wettbewerb geht es vor allem um die Fähigkeit schöpfungsketten gleichzeitig durchgeführt werden. zur Differenzierung und die Erzielung dynamischer Vortei- le. Um eine solche Differenzierungsstrategie zu verfolgen, Zum einen wird eine derartige Kombination durch die müssen Unternehmen besonders auf humankapitalintensi- Theorie multinationaler Unternehmen unterstützt. Multi- ve und wertschöpfungsintensive Funktionen setzen. nationale Unternehmen sparen Handelskosten durch hori- Begünstigt wird sie daher durch eine große Innovations- zontale Direktinvestitionen, also die Gründung ausländi- kraft, gut ausgebildete Mitarbeiter mit hoher Kreativität, scher Töchter, und erzeugen in der inländischen Zentrale das Know-how zur Beherrschung hochkomplexer Systeme »Headquarter Services«, wie Unternehmenssteuerung,
BDI, IW Köln, Roland Berger, vbw Management Summary 7 Systemkopf Deutschland Plus Kapitel 1: Die Idee FuE und Marketing, die von allen Tochtergesellschaften Schaffung von Wertschöpfungsketten im In- und Ausland ohne zusätzliche Kosten genutzt wer- Basisinnovationen sind grundlegende Neuerungen, die im den können. Es handelt sich also um unternehmensspezi- Sinne von Joseph Schumpeter eine »kreative Zerstörung« fische öffentliche Güter, mit denen Skaleneffekte generiert auslösen: Alte Technologien verlieren an Bedeutung, neue werden können, wenn neue Standorte aufgemacht wer- Technologiebereiche werden erschlossen. Beispiele für den. In der Theorie führt die Erstellung der Headquarter Basisinnovationen sind etwa die Petrochemie oder die Services zu mehr Beschäftigung im Inland in hochqualifi- Informationstechnik. Basisinnovationen können neue zierten Tätigkeiten. Die Vertiefung dieser Tätigkeiten im Wertschöpfungsketten schaffen, wie zum Beispiel das Inland unterstützt gleichzeitig den Aufbau von geringer Internet die Voraussetzung für E-Business schuf. qualifizierten Tätigkeiten, wie einfacher Produktion, im Ausland – und gegebenenfalls die Verlagerung dorthin. Aus Sicht der neuen Wachstumstheorie haben Basisinno- vationen eine höhere Bedeutung als permanente Verbesse- Zum anderen legt der Ansatz der Konzentration auf Kern- rungen: Durch Basisinnovationen, etwa im Bereich der kompetenzen nahe, dass Unternehmen bestimmte Wert- Spitzentechnologie, können dauerhafte Wettbewerbsvor- schöpfungsstufen vertiefen und gleichzeitig andere Wert- teile begründet werden. Das durch Basisinnovationen schöpfungsstufen auslagern. Durch die Vertiefung ihrer erzielte Know-how diffundiert nicht oder nur begrenzt. hochwertigen Unternehmensfunktionen konzentrieren Da nicht abnehmende Grenzproduktivitäten unterstellt sich Unternehmen aus funktionaler Sicht auf ihre Kern- werden, können die Regionen mit Basisinnovationen, kompetenzen und verschaffen sich durch diese Spezialisie- theoretisch, unbegrenzt Produktionsfaktoren akkumulie- rung Differenzierungsvorteile gegenüber ihren Wettbewer- ren. Daher kommt es auch nicht zu einer Konvergenz, bern. Gleichzeitig erlangen sie Kostenvorteile durch die sondern zu »inselartigem Wachstum«, wobei nur der First Auslagerung von Wertschöpfungsstufen, die nicht zu ihren Mover die Hightechmärkte beherrscht und Monopolren- Kernkompetenzen gehören. ten realisieren kann. Basisinnovationen haben jedoch einen entscheidenden Nachteil: Sie sind kaum planbar. Weiterhin ist ein dauerhafter Vorsprung im Innovations- wettbewerb nötig, der aber nur in Regionen mit außeror- dentlich guten Rahmenbedingungen (Spitzenuniversitäten, ausgewählte Fachkräfte in großer Zahl, sehr viel For- schung und Entwicklung in Unternehmen) erzielt werden kann – ein Beispiel ist das Silicon Valley in Kalifornien.
8 BDI, IW Köln, Roland Berger, vbw Management Summary Systemkopf Deutschland Plus Kapitel 1: Die Idee 1.2 Das Konzept Die unserer Studie zugrundeliegende Hypothese lautet: Deutsche Unterneh- men verfolgen zunehmend »Systemkopf«-Strategien: Sie konzentrieren sich in der Heimat auf hochwertige und dispositive Tätigkeiten, organisieren von dort komplexe Wertschöpfungsketten und lagern Einfacharbeit aus. Vor dem Hintergrund der genannten vier Strategieoptio- on, Unternehmensplanung, Strategie, Personalwirtschaft, nen erscheint es am wahrscheinlichsten, dass viele deut- Finanzen, Marketing, Design, Fertigungsplanung, hoch- sche Unternehmen auf den Strukturwandel mit einer wertige Produktion und Vertriebssteuerung verstanden – Kombination aus Vertiefung und Zerlegung ihrer Wert- je nach Branche und Unternehmensstrategie können die schöpfungsketten reagieren. D. h. die Unternehmen sind Schwerpunkte unterschiedlich sein. weniger als First Mover mit Basisinnovationen internatio- nal erfolgreich, sondern durch permanentes Engineering Definierendes Charakteristikum der Systemkopffunktio- mit kontinuierlich verbesserten Produkten und der nen ist, dass sie Wettbewerbsvorteile schaffen und auf ein- Beherrschung von Komplexität. Sie konzentrieren sich in zigartigen Ressourcen beruhen, die Konkurrenten, zumin- der Zentrale auf Kernfunktionen – die wir Systemkopf- dest kurzfristig, weder imitieren noch substituieren kön- funktionen nennen – und stellen die dort erzeugten Head- nen. Vor allem nicht-materielle Ressourcen, wie Fähigkei- quarter Services ihren Tochtergesellschaften zur Verfü- ten und Kompetenzen, eingespielte Prozesse und Wissen gung. Gleichzeitig nutzen die Unternehmen die Chancen sind bedeutsam, weil sie weniger schnell kopiert werden der Globalisierung für die weltweite Zerlegung von Wert- können als materielle. schöpfungsketten und zur Optimierung von Prozessen. Das »Plus« im Titel der Studie steht für die Frage, ob der In unserer Studie fokussieren wir die Betrachtung auf Systemkopfansatz weiter reichende positive Abstrahleffek- Unternehmen mit einem Mindestumsatz in Höhe von te auf die Beschäftigungssituation besitzt: Profitiert auch jährlich 50 Mio. Euro – ab dieser Größe sind Unterneh- durchschnittlich qualifizierte Arbeit am Standort von men in der Regel in der Lage, ihre Funktionen ausrei- erfolgreichen Systemkopfunternehmen und entwickelt sich chend auszudifferenzieren. Unter Systemkopffunktionen der »Systemkopf Deutschland« zum »Systemkopf werden insbesondere Forschung, Entwicklung, Konstrukti- Deutschland Plus«? Abbildung 3: Deutschland als Systemkopf VERTRIEB UND AFTER- FERTIGUNGSPLANUNG SALES SERVICE UND -STEUERUNG DEUTSCHLAND ALS SYSTEMKOPF > Produktion qualitativ hochwertiger Teile MARKETING > Erbringung hochwertiger Dienstleistungen UND FORSCHUNG UND D ENTWICKLUNG > Innovationsleistung durch Forschung u. Entwicklung BRANDING > Management-Skills > Hochqualifizierte Arbeitsplätze statt Konkurrenz mit Niedriglohnländern DESIGN QUALITÄTSMANAGEMENT Quelle: Roland Berger Strategy Consultants
BDI, IW Köln, Roland Berger, vbw Management Summary 9 Systemkopf Deutschland Plus Kapitel 1: Die Idee Auf makroökonomischer Ebene bedeutet ein solches Sze- nario eine extreme Spezialisierung, bei der sich Hochlohn- länder auf humankapitalintensive Teile der Wertschöp- fungskette einschließlich der hochproduktiven Dienstleis- tungen konzentrieren und vor allem einfachere Produkti- onstätigkeiten aufgeben. In der vorliegenden Studie spiegeln wir die »Systemkopf- hypothese« an der wirtschaftlichen Realität. Hierzu schau- en wir uns in Abschnitt 2.1 zunächst an, welche Anpas- sungslasten der globale Strukturwandel für die deutsche Wirtschaft mit sich brachte. Damit sind die Umfeldbedin- gungen für unsere weiteren Untersuchungen abgesteckt, um diese volkswirtschaftlich einzuordnen. In Abschnitt 2.2 begeben wir uns dann quasi aus der Vogelperspektive auf die unternehmerische Ebene: Wir untersuchen empi- risch mithilfe des IW-Zukunftspanels, wie deutsche Unter- nehmen vor dem Hintergrund des globalen Strukturwan- dels ihre Wertschöpfungsketten international konfigurie- ren, wie weit sie sich im Inland bereits als Systemköpfe aufgestellt haben, ob sie damit erfolgreich sind und ob das Systemkopfkonzept generell ein Modell für deutsche Unternehmen sein kann, sich im Wettbewerb durchzuset- zen. In Abschnitt 2.3 gehen wir dann in die konkrete Unter- nehmenspraxis. Anhand der Ergebnisse aus unseren umfangreichen Fallstudien untersuchen wir, wie einzelne Unternehmen das Systemkopfkonzept zu welchem Grad unternehmensstrategisch umgesetzt haben und welche übergreifenden Schlussfolgerungen hieraus gezogen wer- den können. Alle Untersuchungen und die daraus ermittelten Ergebnis- se dienen schließlich dem Ziel, Handlungsempfehlungen für Unternehmen und Politik zu geben: Wie müssen Unternehmen ihre Wertschöpfungsketten konfigurieren, um in Zukunft erfolgreich zu sein? Und wie kann die Politik die Unternehmen dabei bestmöglich unterstützen, um Beschäftigung am Standort Deutschland zu sichern und auszubauen? Diese Handlungsempfehlungen finden sich in den abschließenden Abschnitten 3.1 und 3.2.
10 BDI, IW Köln, Roland Berger, vbw Management Summary Systemkopf Deutschland Plus Kapitel 2: Der Befund Kapitel 2: Der Befund 2.1 Die Makroebene: Der globale Strukturwandel Der strukturelle Wandel hat in den letzten Jahrzehnten massive Anpas- sungslasten für die deutsche Industrie mit sich gebracht. Das Ergebnis war der stetig zurückgehende Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung. Selbst wenn es am aktuellen Rand eine Stabilisierung die- der Konsumebene lässt sich für Deutschland im schon ses Prozesses gibt, d. h. der Industrieanteil an der Brutto- vergleichsweise kurzen Betrachtungszeitraum 1991 bis wertschöpfung wieder leicht gestiegen ist, sind die Kräfte 2006 zeigen. Der Anteil der Dienstleistungen an den Kon- des strukturellen Wandels immer noch wirksam. Dabei sumausgaben der privaten Haushalte ist hier von 42 auf können insgesamt sechs verschiedene Haupttreiber identi- 50 Prozent kräftig angestiegen, spiegelbildlich ist der fiziert werden: Warenanteil auf 50 Prozent zurückgegangen. (1) Nachfragewandel Abbildung 5: Wandel der Konsumstruktur in Deutschland (2) Outsourcing Anteil an den privaten Konsumausgaben in Prozent (3) Preiswettbewerb (4) Importdruck 60 (5) Exportpositionierung 58 (6) Auslandsinvestitionen. 56 54 Abbildung 4: Bedeutung der Industrie in Deutschland 52 Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung in 50 Prozent (1970 bis 1991 Westdeutschland, ab 1991 Deutschland) 48 46 40 44 Waren Dienstleistungen 42 35 40 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 30 19 19 19 19 19 19 19 19 19 20 20 20 20 20 20 20 25 Quellen: Statistisches Bundesamt; IW Köln 20 Das Tempo beim Wandel der Konsumstruktur hat sich 15 allerdings deutlich verlangsamt. Die großen Veränderun- 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 gen beim Konsum in Deutschland erfolgten im Zeitraum 1991 bis 1995, als der Anteil des Warenkonsums inner- Quellen: Statistisches Bundesamt; IW Köln halb von nur vier Jahren von 58 auf 53 Prozent rutschte. Im Zeitraum 1995 bis 2006 zeigte sich lediglich ein Diese sechs Haupttreiber sollen im Folgenden in ihren schwacher Rückgang auf 50 Prozent, seit dem Jahr 2003 Wirkungsweisen auf die Industrie bzw. auf einzelne Bran- sind die Anteile von Dienstleistungen und Waren am pri- chen betrachtet werden. vaten Konsum sogar nahezu konstant. Damit hatten Nachfrageänderungen beim privaten Konsum in Deutsch- (1) Nachfragewandel land seit Mitte der neunziger Jahre keinen nennenswerten Der Nachfragewandel in einer Volkswirtschaft, d. h. in zusätzlichen Anpassungsdruck für das Warenproduzieren- diesem Zusammenhang die mit zunehmendem Einkom- de Gewerbe insgesamt entfaltet. men steigende Nachfrage nach Dienstleistungen, kann als ein echtes Wohlstandsphänomen bezeichnet werden. Sind Trotz der Veränderung der Nachfragestruktur bleibt fest- die Grundbedürfnisse der Menschen weitgehend erfüllt, zuhalten, dass Konsum und Exporte noch in starkem Aus- dann kaufen sie verstärkt hochwertige Dienstleistungen. maß von Waren bestimmt sind. Die Gründe für den Boom Die Konsumenten verlangen heute beispielsweise auch der Dienstleistungen sind damit offensichtlich auch in beim Kauf von Waren eine Reihe von produktbegleiten- einer steigenden Tertiarisierung auf der Produktionsebene den Dienstleistungen. Ein markanter Strukturwandel auf
BDI, IW Köln, Roland Berger, vbw Management Summary 11 Systemkopf Deutschland Plus Kapitel 2: Der Befund zu suchen. Dabei können drei Entwicklungen beobachtet land. Im gesamten Verarbeitenden Gewerbe lag der Anteil werden: der Vorleistungen am Produktionswert im Jahr 2006 mit gut 68 Prozent um gut 8 Prozentpunkte höher als im Jahr 1. Produktbegleitende Dienstleistungen fördern die sym- 1970. Gleichwohl verdeckt dieser Zeitpunktvergleich deut- biotische Beziehung zwischen Industrie- und Service- lich unterschiedliche Entwicklungsphasen. Im Zeitraum sektoren. von 1970 bis 1992 war die Vorleistungsquote weitgehend konstant und lag zwischen 60 und 64 Prozent. In der Zeit 2. Der gesamtwirtschaftliche Produktionsprozess wird vom Krisenjahr 1993 bis zum nächsten Krisenjahr 2001 besonders durch organisatorischen Wandel dienstleis- stieg die Vorleistungsquote von knapp 62 auf knapp 67 tungsintensiver. Prozent an. Dieser Zeitraum kann als eine Hochphase des industriellen Outsourcings in Deutschland bezeichnet wer- 3. Die intersektorale Arbeitsteilung begünstigt tendenziell den. Der markante und stetige Anstieg der Vorleistungs- die Dienstleistungsunternehmen. Industrieunternehmen quote kann als eine konjunkturell unabhängige, strukturel- bieten demnach zwar Komplettgüter aus Waren und le Veränderung im Sinne einer Reorganisation der Indus- produktbegleitenden Diensten an. Die Erstellung der trieunternehmen interpretiert werden. Seit dem Jahr 2000 Dienstleistungen lagern sie aber aus und konzentrieren war insgesamt kein zunehmender Trend zu einer weiteren sich auf ihre Kernaufgabe, also die Produktion. intersektoralen Arbeitsteilung zu beobachten. Beim Blick auf die Daten der VGR zeigt sich keine merklich zuneh- (2) Outsourcing mende Tertiarisierung der Industrieproduktion aufgrund Branchen, die einen zunehmenden Teil ihrer Produktion eines stärkeren Outsourcing. Der Anstieg der Vorleistungs- an Zulieferfirmen auslagern, verlieren an Gewicht im quote am aktuellen Rand ist das Ergebnis steigender Roh- gesamtwirtschaftlichen Branchengefüge, wenn ihre Bedeu- stoff- und Energiepreise, die die Vorleistungsquote auf tung anhand der eigenen Wertschöpfung bestimmt wird. Basis von nominalen Werten nur wegen zunehmender Eine gesamtwirtschaftliche Bestandsaufnahme dieses Phä- Vorleistungspreise steigen lässt. nomens kann über die Berechung von Vorleistungsquoten auf Basis von Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamt- (3) Preiswettbewerb rechnungen (VGR) durchgeführt werden (siehe Abbildung Der Preiswettbewerb bzw. die Steigerung der Produktivität 6). Steigende Vorleistungsquoten bedeuten somit steigende ist eine weitere zentrale Begründung für den strukturellen Outsourcing-Aktivitäten von Produktion oder industriena- Wandel. Der härtere internationale Wettbewerb schlägt hen Dienstleistungen. sich bei Industriegütern viel stärker in den Preisen nieder als bei den international immer noch deutlich weniger Abbildung 6: Vorleistungsquoten im Verarbeitenden Gewerbe gehandelten Dienstleistungen. Außerdem haben die Auf- Anteil der Vorleistungen am Produktionswert in Prozent (1970 bis wertungen der heimischen Währung die deutsche Indus- 1991 Westdeutschland, ab 1991 Deutschland) trie in den letzten Dekaden immer wieder gezwungen, über niedrigere Preissteigerungen die Wettbewerbsfähig- 68 keit zu erhalten. 66 Auch die im internationalen Vergleich über eine längere 64 Zeit in Deutschland höheren Arbeitskostenanstiege wirk- 62 ten wie eine Produktivitätspeitsche. In der Industrie ist es aufgrund der Produktionsprozesse zudem einfacher, über 60 technischen Fortschritt und Rationalisierungen höhere Produktivitätsgewinne zu erwirtschaften. Im Vergleich zu 58 Industriewaren sind die Preisänderungen bei Dienstleis- 56 tungen weniger häufig, höher und meistens nach oben 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 gerichtet. Quellen: Statistisches Bundesamt; IW Köln Da die Veränderung der nominalen Wertschöpfung sich aus der Mengen- und Preisentwicklung berechnet, ist sie Es zeigt sich, dass die Vorleistungsquote des Verarbeiten- demzufolge in der Industrie geringer gestiegen als im den Gewerbes in Deutschland im Jahr 2006 deutlich Dienstleistungssektor. Das hat dazu beigetragen, dass der höher war als Anfang der siebziger Jahre in Westdeutsch- Anteil der Industrie an der Wertschöpfung der Gesamt-
12 BDI, IW Köln, Roland Berger, vbw Management Summary Systemkopf Deutschland Plus Kapitel 2: Der Befund wirtschaft gesunken ist. Die Industrie ist also in der Statis- im Zeitraum 1996 bis 2004 rangieren drei der großen tik gewissermaßen Opfer des eigenen Erfolgs geworden. deutschen Branchen ganz oben: Kraftfahrzeuge, Maschi- nen und Elektroerzeugnisse. Vor allem bei den Kraftfahr- (4) Importdruck zeugen hat sich eine gewaltige Anteilsverschiebung erge- Neben den Faktoren auf nationaler Ebene sind es interna- ben. Der Anteil der Niedriglohnländerimporte an der tionale Einflüsse, die die Industrie am Standort Deutsch- Bruttowertschöpfung hat sich in dieser Branche in diesem land weiter unter Druck setzen. In diesem Zusammen- Zeitraum von 7 auf 28 Prozent vervierfacht. hang soll hier zunächst der Einfluss des sogenannten Importdrucks aufgezeigt werden, gemessen an der Import- Dahinter könnte vor allem eine Sonderentwicklung mit quote und dem Ausmaß der Konkurrenz aus Niedriglohn- Blick auf die Staaten des ehemaligen Ostblocks stehen. ländern. Denn im Handel mit diesen Staaten gingen immense und weit überproportionale Wachstumsraten einher. Der Beim Blick auf die Importquoten, also den Anteil der Anteil der neuen EU-Staaten in Mittel- und Osteuropa Importe an der Bruttowertschöpfung, zeigt sich erneut, (einschließlich Bulgarien und Rumänien) an den deut- dass die Industrie sehr viel stärker in den internationalen schen Importen ist so zwischen 1996 und 2004 von 6 auf Handel eingebunden ist als die Dienstleistungswirtschaft: 11 Prozent gestiegen, und hat damit deutlich mehr als die Während die Importquote im Bereich der Industrie 2005 Hälfte zum Anstieg des Niedriglohnländer-Importanteils bei 127 Prozent lag, betrug sie bei Dienstleistungen im von 25 auf 33 Prozent beigetragen. gleichen Jahr lediglich gut 6 Prozent. (5) Exportpositionierung Der Importdruck auf die Industrie ist also ungleich höher Betrachtet man die Exportpositionierung der Industrie, als der auf den Dienstleistungssektor. Innerhalb der Indus- d. h. wie stark die einzelnen Branchen über ihre Anteile triebranchen sticht der Bereich Textilien/Bekleidung/ des Auslandsumsatzes am Gesamtumsatz von der Interna- Leder mit einer enorm hohen Importquote von 456 Pro- tionalisierung und damit auch von einem möglichen höhe- zent hervor. Hier wird deutlich, dass sich im Inland ledig- ren Wachstum der Auslandsmärkte profitieren können, lich noch eine rumpfartige Wertschöpfung halten konnte. lassen sich weitere Aussagen über Ursachen und Antriebs- Auch die Elektroerzeugnisse, die Chemischen Waren und kräfte für Bedeutungsverluste oder Bedeutungszunahmen der Bereich Möbel weisen im Vergleich zu den Industrie- einzelner Industriebranchen treffen. waren insgesamt überdurchschnittlich hohe Importquoten auf: Hier machen Importe immerhin gut das 1,5-Fache der Innerhalb der Industriebranchen ist das Bild recht hetero- heimischen Wertschöpfung aus. Stark unterdurchschnitt- gen. Die höchsten Anteile wiesen im Jahr 2006 die Kraft- lich schneiden dagegen die Bereiche Glas/Keramik/Stei- fahrzeugbranche und die Hersteller von Rundfunk- und ne/Erden, Maschinen und Holz/Papier/Druck ab. Tabelle 1: Anteile des Auslandsumsatzes am Gesamtumsatz – In der allgemeinen Wahrnehmung sind es in erster Linie Top Ten (2006) Niedriglohnländer, die einen enormen Konkurrenzdruck Branche Anteil (%) auf die inländischen deutschen Industriebranchen aus- üben, und zwar vor allem da, wo homogene Güter produ- Herst. v. Kraftwagen und Kraftwagenteilen 59,9 ziert werden, bei denen der Preiskampf besonders intensiv Rundfunk- und Nachrichtentechnik 59,9 ist. Wir messen das Ausmaß der Niedriglohnkonkurrenz, Sonstiger Fahrzeugbau 56,9 indem wir für alle Branchen den Anteil der Niedriglohn- Medizin-, Mess-, Steuer- u. Regelungstechnik, Optik 56,5 länderimporte an der Bruttowertschöpfung der jeweiligen Branche berechnen. Mit einem Wert von 268 Prozent Maschinenbau 55,6 weist hier im Jahr 2004 der Bereich Textilien/Beklei- Chemische Industrie 54,3 dung/Leder die höchsten Anteile auf. Da es sich hier um Textilgewerbe 41,7 Güter handelt, die in der Regel sehr arbeitsintensiv produ- Metallerzeugung und -bearbeitung 40,5 ziert werden, bestätigt dieser Befund die Aussagen der tra- ditionellen Außenhandelstheorie. Herst. v. Geräten der Elektrizitätserzeugung, -verteilung u. ä. 39,7 Papiergewerbe 39,4 Die Werte aller anderen Branchen liegen unter 100 Pro- zent und ganz überwiegend sogar unter 50 Prozent. Bei Quellen: Statistisches Bundesamt; BDI der Betrachtung der prozentualen Veränderung der Quote
BDI, IW Köln, Roland Berger, vbw Management Summary 13 Systemkopf Deutschland Plus Kapitel 2: Der Befund Nachrichtentechnik auf. Es folgen der sonstige Fahrzeug- Das Verarbeitende Gewerbe insgesamt kommt auf einen bau und die Branche Medizin-, Mess-, Steuer- und Rege- Anteil von fast 25 Prozent. Letzteres ist für die Analyse lungstechnik, Optik. Einen Überblick über die Exportquo- besonders interessant, weil es eine Aussage über den ten der exportfreudigsten Branchen gibt die Tabelle 1. Bedeutungswandel innerhalb der Industrie erlaubt. Falls die deutschen Unternehmen zunehmend Tätigkeiten in Erst die Absatzmärkte im Ausland ermöglichen es den das Ausland auslagern, liegt der Schluss nahe, dass vor Unternehmen gerade in diesen Branchen, ihre Stärken allem Investitionen in das ausländische Verarbeitende umfassender auszunutzen und so auch Wertschöpfung am Gewerbe erfolgen. Somit müsste intuitiv gesehen der Wert Standort Deutschland zu halten und zu schaffen. Selbst der Direktinvestitionsbestände über die Jahre sowohl wenn zu bedenken ist, dass sich die Exporte zunehmend absolut als auch relativ – d. h. gemessen als Anteil an den aus Importen speisen und zudem im Zuge der Nutzung gesamten deutschen Direktinvestitionen im Ausland – internationaler Produktionsnetzwerke und des Lohnver- steigen. edelungsverkehrs Waren möglicherweise mehrfach die deutschen Grenzen überschreiten. In absoluter Rechnung stimmt die Intuition: Der Bestand an Direktinvestitionen im ausländischen Verarbeitenden (6) Auslandsinvestitionen Gewerbe ist von 77 Milliarden Euro im Jahr 1995 auf 195 Die Auslandsinvestitionen deutscher Industrieunterneh- Milliarden Euro im Jahr 2005 angewachsen. Damit hat men haben insbesondere das Ziel, internationale Wert- sich das von deutschen Unternehmen im ausländischen schöpfungsnetzwerke zu schaffen. Schon seit mehreren Verarbeitenden Gewerbe investierte Kapital mehr als ver- Jahren wird verstärkt in Wirtschaft, Politik und Presse doppelt. Der Anteil der Investitionstätigkeit im ausländi- darüber spekuliert, ob durch die Auslandsinvestitionen der schen Verarbeitenden Gewerbe an den gesamten deut- Industriestandort Deutschland leidet bzw. ob dadurch schen Direktinvestitionen hat aber über den Zeitraum von Arbeitsplätze verloren gehen. Tatsächlich sind die deut- 1995 bis 2005 deutlich abgenommen. Er sank von 39,2 schen Direktinvestitionsbestände im Ausland zwischen Prozent im Jahr 1995 bis zum Ende des Jahres 2005 auf 1990 und 2005 um fast 580 Prozent angestiegen. Dabei 24,9 Prozent. Dies entspricht einem deutlichen Verlust zeigt eine regionale Verteilung dieser Bestände, dass deut- von gut 14 Prozentpunkten. Aus diesem Betrachtungswin- sche Unternehmen ganz vorrangig in zwei Zielmärkten kel kann zumindest nicht von einer besonderen »Investiti- investieren. Die wichtigsten Zielländer für deutsche onsflucht« des Verarbeitenden Gewerbes die Rede sein. Direktinvestitionen sind die Länder der EU-15. Diese hat- Der offizielle »Gewinner« dieser Jahre war etwa das aus- ten im Jahr 2005 einen Anteil von 46 Prozent am gesam- ländische Kredit- und Versicherungsgewerbe, das zwi- ten Direktinvestitionsbestand. Am zweitwichtigsten sind schen 1995 und 2005 einen Anteilsanstieg von 4 Prozent- die USA mit einem Anteil von 30 Prozent. In der Summe punkten auf fast 34 Prozent zu verzeichnen hatte. Aller- hatten die EU-15 sowie die USA also einen Anteil von dings muss hier die Aussagekraft der Statistik relativiert fast 75 Prozent. Damit scheint das horizontale Investiti- werden. Denn Direktinvestitionen fließen oftmals in Kapi- onsmotiv, also die Erschließung bzw. Durchdringung von talsammelstellen bzw. auch in Beteiligungsgesellschaften, Märkten, eine dominante Rolle zu spielen. Der vermeintli- die eine »richtige« Interpretation der Zielbranchen sowie che Wachstumsmarkt Asien hatte am Ende des Jahres damit zusammenhängend der Anteilsbetrachtung schwie- 2005 nur einen Anteil von 6,2 Prozent an den deutschen rig macht. Direktinvestitionsbeständen im Ausland. Die neuen mittel- und osteuropäischen EU-Mitgliedsländer hatten einen Ein näherer Blick auf die einzelnen Zielbranchen des Ver- Anteil von 6,4 Prozent – im Jahr 1990 lag dieser allerdings arbeitenden Gewerbes zeigt, dass alle Branchen des Verar- erst bei 0,3 Prozent. beitenden Gewerbes ihren Anteil an den gesamten deut- schen Direktinvestitionsbeständen im Ausland verringer- Neben einer allgemeinen Bestandsaufnahme ist vor allem ten. Selbst der Anteil der Kraftfahrzeugbranche sank von interessant, welche Branchen bei Auslandsinvestitionen 1995 bis 2005 von 6,2 auf 5,7 Prozent, obwohl sie insge- eine Rolle spielen. Hier zeigt sich, dass die wichtigste Ziel- samt die Bestände an ausländischen Direktinvestitionen branche für deutsche Investoren zum Ende des Jahres um über 260 Prozent steigern konnte. Den größten 2005 das Kredit- und Versicherungsgewerbe war, auf das Anteilsverlust hatte die Chemische Industrie zu beklagen: fast 34 Prozent aller Direktinvestitionen im Ausland fie- Ihr Anteil sank von 13,4 Prozent im Jahr 1995 auf 7,5 Pro- len. zent im Jahr 2005.
14 BDI, IW Köln, Roland Berger, vbw Management Summary Systemkopf Deutschland Plus Kapitel 2: Der Befund Bis hierhin wurden aus den unterschiedlichsten Betrach- tungswinkeln die Determinanten der industriellen Ent- wicklung in Deutschland analysiert. In folgender Tabelle soll gezeigt werden, wie einzelne Teilbereiche des Verar- beitenden Gewerbes von Veränderungen der Nachfrage, der intersektoralen Arbeitsteilung, der Relativpreise, der Importkonkurrenz, der Exporttätigkeit sowie der Aus- landsinvestitionen beeinflusst wurden. Die Synopse fasst die Teilergebnisse zusammen. Hiermit liegen damit erst- mals auf einer deskriptiven Basis eine Fülle von Informa- tionen über Anpassungslasten für die einzelnen Industrie- branchen in Deutschland vor. Die Tabelle zeigt, wie die einzelnen Bereiche beim Blick auf die hier aufgelisteten sechs Determinantengruppen abgeschnitten haben. Das Pluszeichen (Minuszeichen) soll dabei signalisieren, dass die jeweilige Determinantengruppe einen eher positiven (negativen) Einfluss auf die Wirtschaftstätigkeit der ent- sprechenden Industriebranche im gesamten Zeitraum 1995 bis 2005 gehabt hatte. Eine Null steht für einen ins- gesamt eher neutralen Impuls. Tabelle 2: Synopse der Anpassungslasten für die Industriebranchen in Deutschland im Zeitraum 1995 bis 2005 Determinanten Globalisierung Nachfrage (1) Outsourcing (2) Preis-Bias (3) Importdruck (4) Export- Auslands- positionierung (4) investitionen (5) Ernährungs-/Tabakwaren 0 + + ++ 0 + Textilien/Bekleidung/Leder –– + 0 + 0 –– Holz/Papier/Druck 0 0 + + + – Kokerei/Mineralölverarbeitung/Brutstoffe ++ ++ n.v. ++ 0 0 Chemische Erzeugnisse ++ 0 – – – 0 Gummi-/Kunststoffwaren 0 + – 0 – + Glas/Keramik/Steine/Erden – – –– 0 0 ++ Metallerzeugnisse 0 0 + + 0 – Maschinen – 0 + 0 – 0 Elektroerzeugnisse + + –– 0 + 0 Kraftfahrzeuge ++ –– + 0 0 ++ Sonstige Fahrzeuge – + –– – + –– Möbel/Schmuck/Musikinstrumente/ Sportgeräte –– 0 ++ – 0 – Recycling n.v –– ++ n.v. n.v. + Quelle: IW Köln 1) Bewertung anhand der Veränderung des jeweiligen Branchenanteils am Konsum von Industriewaren. 2) Bewertung anhand der prozentualen Veränderung der jeweiligen Vorleistungsquoten im Vergleich zum Branchendurchschnitt. 3) Bewertung anhand der Abweichung von der Preisentwicklung im Verarbeitenden Gewerbe. 4) Gesamtindikatoren abgeleitet aus der relativen Veränderung im Vergleich zum Branchendurchschnitt; Importdruckindikator berücksichtigt Importquote, Niedriglohnländeranteil und Importqualität; Exportpositionierung berücksichtigt Exportquote, Exportspezialisierung und Export-Qualität. 5) Bewertung anhand der prozentualen Veränderung der Direktinvestitionsbestände im Ausland im Vergleich zum Durchschnitt aller Branchen.
BDI, IW Köln, Roland Berger, vbw Management Summary 15 Systemkopf Deutschland Plus Kapitel 2: Der Befund 2.2 Die Mesoebene: Die Veränderung von Wertschöpfungsketten Was zeichnet nun Systemkopfunternehmen aus? Welche Eigenschaften besitzen sie, die sie von anderen Unternehmen unterscheiden? Unsere Untersuchung hat ergeben: Es sind vier charakteristische Merkmale, die Systemkopfunternehmen aus der Masse von Unternehmen herausheben. Nach der Analyse des Strukturwandels der deutschen Wirt- unter dem Label »Systemkopfunternehmen« subsumiert schaft kommen wir nun zur Untersuchung der Frage, inwie- werden können. weit Unternehmen in der Breite dem Systemkopfansatz fol- gen, sich also in der Heimat besonders auf wissens- und Knapp jedes fünfte (19 Prozent) größere Unternehmen ist wertschöpfungsintensive Funktionen konzentrieren und ein Systemkopfunternehmen im Sinne dieser Definition. von dort aus ihre Wertschöpfungskette organisieren und Zwei Drittel davon sind Industrieunternehmen. Rund ein Einfacharbeit auslagern. Hierzu haben wir eine umfangrei- Drittel der Systemköpfe ist im Dienstleistungsbereich tätig. che Befragung auf Unternehmensebene durchgeführt. Systemköpfe sind also ein fester Bestandteil der deutschen Wirtschaft und gehören somit als Phänomen in den stand- Empirische Basis ortpolitischen Fokus. Grundlage für die Befragung auf der Unternehmensebene ist das IW-Zukunftspanel, das regelmäßig zwischen 2.500 Die vier charakteristischen Merkmale, die Systemkopfun- und 6.000 Unternehmen zu Themen des Strukturwandels ternehmen aus der Masse von Unternehmen herausheben, befragt. Aus diesem umfassend angelegten Panel lassen sind: sich strukturelle Veränderungen auf Unternehmensebene antizipieren und volkswirtschaftliche Trends empirisch (1) Systemkopfunternehmen sind erfolgreicher als andere robust fundieren. Der Datensatz enthält für jedes Unter- Unternehmen. nehmen Angaben zu Größe, Branche, Alter, Personal- (2) Systemkopfunternehmen sind stärker internationali- struktur, Geschäftsfeldern, Forschungs- und Entwicklungs- siert. tätigkeiten, Innovationen, Internationalisierung, Beziehun- (3) Aufgrund ihrer Spezialisierungsmuster sind System- gen zu Kunden, Lieferanten sowie wissenschaftlichen Ein- köpfe stärker auf die Zusammenarbeit in Netzwerken richtungen. angewiesen. (4) Systemköpfe sind besonders innovationsintensiv. Im Herbst 2006 wurden fast 6.000 zufallsausgewählte Unternehmen zu ihrem Internationalisierungsprofil Im Folgenden beleuchten wir diese Eigenschaften näher. befragt. Im Frühjahr 2007 haben fast 3.500 Unternehmen an der Befragung zum Thema »Erfolg, Netzwerke und (1) Erfolg von Systemkopfunternehmen Kooperationen« teilgenommen. Ein ganz zentrales Ergebnis der empirischen Analyse ist, dass Systemkopfunternehmen eine unternehmerische Avant- Die Befragungen richten sich nicht an die Gesamtwirt- garde bilden. Sie sind erfolgreicher als andere Unternehmen. schaft, sondern nur an denjenigen Teil, der direkt oder Eine Gruppe von Unternehmen mit der identischen Bran- indirekt im internationalen Wettbewerb steht. Hierzu chen- und Größenstruktur dient hierbei als Referenzgruppe gehören die Industrie und die Dienstleistungsbranchen, (siehe Abbildung 7). Zur Messung des Erfolgs wurde auf die über Vorleistungen eng mit der Industrie verbunden Basis der vorliegenden Daten ein Erfolgsindex konstruiert, sind: Verarbeitendes Gewerbe, Versorgung, Bau, Logistik der Daten über die vergangene und zukünftige Entwicklung und unternehmensnahe Dienstleistungen. Nicht berück- der Beschäftigung, des Umsatzes, der Investitionen sowie sichtigt sind der Einzelhandel, das Gastgewerbe und der Nettoumsatzrenditen enthält. Zusätzlich wird eine mit- gesellschaftsnahe Dienstleistungen. telfristige Einschätzung der Unternehmen bezüglich ihrer zukünftigen Standortbehauptung berücksichtigt. Ausgehend von der Definition, dass Systemkopfunterneh- men über einen überdurchschnittlichen Personaleinsatz Die Ursachen liegen in erster Linie an einer besseren Posi- mit dispositiven Tätigkeiten im Inland und über einen tionierung bei den Haupttrends im Strukturwandel. Die Mindestumsatz von jährlich 50 Mio. Euro verfügen, wurde Befragungen bestätigen deshalb auf der Unternehmensebe- hochgerechnet, wie viele Unternehmen in Deutschland ne die wesentlichen Befunde auf der Makroebene, wie sie
16 BDI, IW Köln, Roland Berger, vbw Management Summary Systemkopf Deutschland Plus Kapitel 2: Der Befund Abbildung 7: Erfolg von Systemköpfen Internationalisierung: Systemkopfunternehmen sind Angaben in Prozent; Durchschnitt aller Unternehmen = 100 absatzseitig stärker internationalisiert. Mehr als zwei Drit- tel dieser Unternehmen haben Auslandsgeschäft. Dieser Befund wird erhärtet, wenn man die Unternehmen mit indirekten Exporten mit berücksichtigt. Das sind Unter- Referenzgruppe 102,8 nehmen ohne eigenen Export, die aber überwiegend an international tätige Kunden liefen. Knapp 80 Prozent der Systemkopfunternehmen sind daher direkt oder indirekt internationalisiert. Systemköpfe 105,7 Technologieführerschaft: Systemkopfunternehmen verfol- gen darüber hinaus stärker als vergleichbare Unternehmen eine Strategie der Flexibilität, kundenspezifischer Pro- 101 102 103 104 105 106 blemlösungen und der Technologieführerschaft. Auf den Auslandsmärkten befinden sich Systemköpfe eher in Erfolgsindex einem Technologie- und Innovations- als in einem Preis- Quelle: IW-Zukunftspanel wettbewerb. Technologieführerschaft lässt sich nicht ohne Forschung und Entwicklung erreichen; deshalb verwun- im vorangegangenen Abschnitt dargestellt sind. Vor allem dert es nicht, dass Systemköpfe häufiger als vergleichbare folgende erfolgsrelevante Faktoren von Systemköpfen sind Unternehmen in diesen Feldern aktiv sind. hervorzuheben. (2) Internationalisierung von Systemkopfunternehmen Differenzierung: Differenzierungsstrategien spielen eine Systemkopfunternehmen sind nicht nur absatzseitig stär- tragende Rolle bei Systemköpfen. Sie sind eine wichtige ker internationalisiert als vergleichbare Unternehmen, Quelle für Innovationen. Jeder vierte Euro wird in System- sondern sie verstehen sich insgesamt stärker als Global kopfunternehmen mit Produkten und/oder Dienstleistun- Player. Sie gehen ins Ausland, weil der Binnenmarkt zu gen verdient, die es in dieser Spezifikation nur in diesen klein ist. Die Befunde im Einzelnen: Unternehmen als Alleinstellungsmerkmal gibt. Bei ver- gleichbaren Unternehmen liegt dieser Anteil nur bei 18 • Die Auslandsanteile bei den Mitarbeitern, dem Produk- Prozent. tionsvolumen und den Umsätzen sind bei Systemkopf- Wettbewerbsstärke: Systemkopfunternehmen sind robus- Abbildung 8: Auslandsanteile ter, denn sie scheinen unter dem internationalen Wettbe- Mittelwerte in Prozent für verschiedene Unternehmenstypen werbsdruck weniger zu leiden als andere Unternehmen, da ein zu hoher Wettbewerbsdruck aus Niedriglohnlän- FuE-Auf- 5,7 dern sowie vor allem zu niedrige Preise auf der Absatzsei- wendungen 9,1 te in der Befragung vergleichsweise seltener als Probleme genannt wurden. Ein zentraler Grund dafür könnte der 8,4 Mitarbeiter hohe Grad an Technologieorientierung und Internationali- 10,4 sierung sein, der einen größeren Fokus auf den Qualitäts- und Konditionenwettbewerb erlaubt. 10,3 Produktion 12,5 Unabhängigkeit: Systemkopfunternehmen sind unabhän- 20,3 giger. Es gibt keine besonders große Abhängigkeit von Einkauf 17,3 einem Kunden. Dies zeigt sich im mäßigen Durchschnitts- umsatzanteil von ca. 30 Prozent mit dem Hauptkunden. 23,3 Umsatz 26,6 Systemkompetenz: Mehr als die Hälfte der Systemköpfe konnte den Lieferanteil an Wertschöpfungsketten seiner 0 5 10 15 20 25 30 Kunden in den letzten Jahren erhöhen. In einer Welt der Systemköpfe Referenzgruppe zunehmenden Tertiarisierung werden Systemköpfe immer Quelle: IW-Zukunftspanel mehr zum Systemlieferanten.
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