Industriewende: Wettbewerbseffekte und Carbon Leakage - Ariadne-Kurzdossier Neue Politikmaßnahmen im Zuge des Europäischen Green Deal
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Ariadne-Kurzdossier Industriewende: Wettbewerbseffekte und Carbon Leakage Neue Politikmaßnahmen im Zuge des Europäischen Green Deal
Das vorliegende Ariadne-Kurzdossier wurde von den unten genannten Autorinnen und Autoren des Ariadne-Konsortiums ausgearbeitet. Sie spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung des gesamten Ariadne-Konsortiums oder des Fördermittelgebers wider. Die Inhalte der Ariadne-Publikationen werden im Projekt unabhängig vom Bundesmi- nisterium für Bildung und Forschung erstellt. Wir danken Dr. Susanne Dröge (Stiftung Wissenschaft und Politik) und Dr. Michael Jakob (Öko-Institut) für wertvolle Hinweise zu Politikmaßnahmen gegen Carbon Leaka- ge sowie Sarah Messina für redaktionelle Hinweise. Herausgeben von Bildnachweis Kopernikus-Projekt Ariadne Titel: Robin Sommer / Unsplash Potsdam-Institut für Klimafolgen- forschung (PIK) Telegrafenberg A 31 14473 Potsdam Juli 2021 2
Autorinnen und Autoren » Dr. Ulrich Fahl » Prof. Dr. Kai Hufendiek » Lena Kittel Universität Stuttgart - Institut für Universität Stuttgart - Institut für Universität Stuttgart - Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energiewirtschaft und Rationelle Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung Energieanwendung Energieanwendung » Dr. Nils aus dem Moore » Jonathan Siegle » Dr. Michael Pahle RWI - Leibniz-Institut für Universität Stuttgart - Institut für Potsdam-Institut für Klima- Wirtschaftsforschung Energiewirtschaft und Rationelle folgenforschung Energieanwendung » Henri Gruhl » Jana Nysten » Hartmut Kahl RWI - Leibniz-Institut für Stiftung Umweltenergierecht Stiftung Umweltenergierecht Wirtschaftsforschung » Benjamin Görlach » Thobias Sach » Matthias Schimmel Ecologic Institute Guidehouse Germany Guidehouse Germany » Ann-Kathrin Kühner Hertie School
INHALT Das Wichtigste vorweg 1 Einleitung: Was ist das Problem? 6 Carbon Leakage: Bisherige Politikmaßnahmen und neue 8 Herausforderungen Welche Formen des Carbon Leakage gibt es? 8 Was ist dran? Empirische Befunde zu Carbon Leakage 8 Welche Politikmaßnahmen zu Carbon Leakage sind derzeit 9 implementiert? Was kommt auf uns zu? Neue Herausforderungen für die bisherigen 10 Maßnahmen CO2-Grenzausgleichsmodelle als alternative Optionen zum Carbon 11 Leakage-Schutz Ein Überblick zu CO2-Grenzausgleichsmodellen 11 Exkurs: Rechtliche Rahmenbedingungen der Grenzausgleichsmodelle 12 EU Recht – Rechtsgrundlage und Verfahrensvorschriften 12 WTO Recht – Diskriminierungsverbot und mögliche 13 Rechtfertigungsmöglichkeiten Kriterien für den Vergleich von CO2-Grenzausgleichsmodellen 15 CO2-Grenzausgleichsmodelle im Vergleich 16 Anreize für Internationale Kooperation: Was ist zu beachten? 17 Exkurs: Rechtliche Rahmenbedingungen eines Klimaclubs 18 Wettbewerbsfähigkeit durch Klimaschutz 19 Eine strategische Perspektive auf Carbon Leakage und Wettbewerbs- 19 fähigkeit Neue Instrumente für ein neues Problemverständnis 20 Fazit 21 Literatur 24
DAS WICHTIGSTE VORWEG Mit dem Green Deal will die Europäische lisierung führen darf. Gleichzeitig wird Union ihre Treibhausgas-(THG-)Emissio- die deutsche und europäische Industrie nen bis 2030 um mindestens 55 Prozent ihre Stärke nur behalten können, wenn gegenüber dem Jahr 1990 senken. Die- sie sich der Herausforderung der Trans- ses Ziel soll unter anderem durch eine formation zur Klimaneutralität stellt. stärkere Rolle für die CO2-Bepreisung er- Welche Optionen und Maßnahmen bie- reicht werden. Für die Industrie birgt die- ten sich also an, um Risiken für die In- ser Plan allerdings das Risiko des „Car- dustrie zu reduzieren und gleichzeitig bon Leakage“: Energieintensive Indus- Chancen bestmöglich nutzen zu können? trien wie die Stahl- oder Chemieindustrie Mit einem Grenzausgleich im engeren könnten abwandern – und so die Emissi- Sinne (also eine Grenzsteuer oder eine onen andernorts zunehmen. Indirekt Erweiterung des EU-ETS auf Importe) so- könnten auch weitere Branchen betrof- wie einer Verbrauchsabgabe für hei- fen sein. misch produzierte und importierte Güter stehen zwei Arten von Instrumenten im Diesen bereits kurzfristig wirkenden Risi- Zentrum der aktuellen politischen Dis- ken im Zuge des internationalen Wettbe- kussion zum Schutz vor Carbon Leakage. werbs stehen jedoch auch langfristige Das vorliegende Kurzdossier analysiert Chancen gegenüber: Eine stringente und diese Maßnahmenarten und bettet sie glaubwürdige Klimapolitik reizt Innovati- ein in zwei grundsätzliche Strategien, die onen an und fördert Investitionen in CO2- im Hinblick auf Carbon Leakage verfolgt effiziente Technologien. In einer Weltwirt- werden können. Dabei setzt das vorlie- schaft, die sich zunehmend auf das gende Ariadne-Kurzdossier folgende Langfristziel Klimaneutralität ausrichtet, Schwerpunkte: bedeutet dies einen Vorsprung im Wett- lauf um zukunftsfähige Technologien, 1. Es gibt einen Überblick über die und schafft gleichzeitig Inspiration für bestehende empirische Literatur zu Nachzügler im internationalen Klima- Carbon Leakage. schutz. Dies kann jedoch nur erreicht werden, wenn die Industriebranchen sich 2. Es stellt im Detail dar, welche Her- auch kurzfristig im Wettbewerb behaup- ausforderungen für die Fortführung ten können. der bestehenden Mechanismen exis- tieren und wie diese auf der Zeitach- Auf europäischer wie auch deutscher se zu verorten sind. Ebene besteht Konsens, dass eine sehr ambitionierte Klimapolitik nicht zur 3. Es thematisiert die Spannung zwi- Schwächung der heimischen Industrie schen kurzfristigen Interessen in der oder zu einer schleichenden Deindustria- Carbon-Leakage-Diskussion (weitge 1
hende Abwesenheit von Belastun- In Bezug auf die Schwerpunkte (2) und lich ist hier allerdings die Ver- gen und damit Veränderungsdruck) (3) kommen die Autorinnen und Autoren brauchsabgabe weniger riskant, da gegenüber den mittel- bis langfristi- zu dem Ergebnis, dass das Potenzial für die Gleichbehandlung in- und aus- gen Interessen (Förderung von die Weiterführung der bestehenden Re- ländischer Produkte einfacher si- transformativen Investitionen, damit gelungen des Carbon-Leakage-Schutzes, cherzustellen ist. Bei finanziellen An- die Industrieproduktion mit Klima insbesondere der kostenlosen Zuteilung reizen auf Angebots- und Nach- neutralität kompatibel ist). von Emissionsberechtigungen, in der Zu- frageseite sind im Einzelfall subven- kunft sehr begrenzt sein wird. Für den tionsrechtliche Vorgaben (s. WTO) 4. Es bietet eine rechtliche Einordnung Zeitraum 2021 bis 2025 sind zwar noch bzw. das Beihilferecht zu prüfen. sowohl der grundsätzlichen Alterna- keine Einschränkungen zu erwarten. tiven, aber vor allem auch des brei- Doch die Anzahl der dafür verfügbaren ▶ Außenpolitische Auswirkungen: teren rechtlichen Rahmens, und Emissionsberechtigungen nimmt konti- Die außenpolitischen Risiken eines weist dabei auf bisher noch wenig nuierlich ab und wird mittelfristig nicht Grenzausgleichs im engeren Sinne beachtete Fallstricke hin. mehr ausreichen, um die kostenlose Zu- können verringert werden, wenn der teilung im aktuellen Ausmaß zu gewähr- Mechanismus unzweifelhaft als Kli- 5. Es vergleicht die verschiedenen Opti- leisten. Zudem ist ein weiterer Aspekt maschutzmaßnahme kommuniziert onen entlang wesentlicher Kriterien von Bedeu-tung: Dadurch, dass die kos- wird. Die Risiken können zudem ver- und bringt dabei Ergebnisse unter- tenlose Zuteilung unabhängig von Vor- ringert werden, indem etwa die Ein- schiedlicher Studien auf den Punkt. aussetzungen gewährt wird, setzt sie kei- nahmen des Grenzausgleichs auch nen spürbaren Anreiz für für internationale Klimaschutzzwe- 6. Es widmet sich der Frage, welche klimafreundliche Inves-titionen während cke verwendet werden, Ausnahmen grundsätzlichen politischen Strate- das CO2-Preissignal abgeschwächt wird. auf Länderebene nur für Entwick- gien verfolgt werden können und lungsländer gemacht werden und bezieht dabei insbesondere (a) An- In der Praxis sind einer Anwendung der die administrativen Kosten für aus- reize für internationale Kooperation Instrumente zum Carbon Leakage- ländische Unternehmen gering ge- sowie (b) die unterstützende Rolle Schutz in einer wirksamen Ausgestal- halten werden (vgl. Zachmann & von Innovations- und Technologie- tung Grenzen gesetzt. Bei der Analyse al- McWilliams 2020; Delbeke & Vis förderung mit ein. ternativer Maßnahmen sind neben juris- 2020; Marcu, Mehling & Cosbey tischen Rahmenbedingungen auch die 2020). Die Verbrauchsabgabe als außenpolitischen und administrativen solche wird im Ausland schon auf- Die Ergebnisse zusammen- Auswirkungen sowie die Anreize bzgl. in- grund ihrer Natur als interne Steuer gefasst ternationaler Klimaschutzkooperation (die nur innerhalb der EU und für und die Auswirkungen für die bestehen- alle Produkte gleich gilt) voraus- Die empirische Forschung findet zu de EU-Klimaschutzgesetzgebung zu sichtlich generell als weniger „über- Schwerpunkt (1) derzeit noch keine Hin- beachten. Der folgende Abschnitt fasst griffig” wahrgenommen, allerdings weise auf direkt durch das EU-Emissions- den Vergleich von Grenzausgleich im en- sind auch hier die administrativen handelssystem (EU-ETS) ausgelöste Ab- geren Sinne und Verbrauchsabgabe im Kosten für ausländische Unterneh- wanderungen von Emissionen in Rahmen der Schwerpunkte (4) und (5) men von Bedeutung. Bei sehr spezi- Regionen mit geringerer oder gar nicht zusammen. Zusätzlich wird auch der mit- fischen Förderinstrumenten be- vorhandener CO2-Bepreisung (Dechezle- tel- bis langfristig orientierte Prozess der steht die Gefahr, dass diese als prêtre et al. 2021; Naegele & Zaklan unterstützten technologischen Transfor- Subvention aufgefasst werden. 2019). Auch für Investitionen konnten mation, zum Beispiel über finanzielle An- nur geringe Verlagerungen bei sehr spe- reize auf Angebots- und Nachfrageseite, ▶ Anreize bzgl. internationaler Klima- zifischen Unternehmen ursächlich auf mithilfe der genannten Kriterien charak- schutzkooperation: das EU-ETS zurückgeführt werden (aus terisiert: Über die Möglichkeit der Anrech- dem Moore et al. 2019; Borghesi et al. nung von Klimaschutzpolitiken an- 2020; Koch & Basse Mama 2019). Aller- ▶ Juristische Rahmenbedingungen: derer Länder auf den eigenen CO2- dings beziehen sich diese Ergebnisse auf Aus EU-rechtlicher Sicht ist ein Preis ist beim Grenzausgleich im Phasen des EU-ETS, die von geringen Grenzausgleich im engeren Sinne engeren Sinne internationale An- Preisen und einer großzügigen kostenlo- zumindest in der Variante als ETS- schlussfähigkeit gegeben. Damit sen Zuteilung von Emissionsberechtigun- Erweiterung voraussichtlich leichter können international Anreize zur Im- gen als Anti-Leakage-Instrument ge- einzuführen als eine Verbrauchsab- plementierung von Klimaschutz- prägt waren. Theoretisch motivierte gabe, da hierfür keine Einstimmig- maßnahmen erzeugt werden (vgl. Szenarien einer schleichenden Deindus- keit im europäischen Rat erforder- Felbermayr et al. 2021). Die Ver- trialisierung haben sich also mithin em- lich ist. Hinsichtlich des Rechts der brauchsabgabe bietet dagegen kei- pirisch bisher nicht bewahrheitet – für Welthandelsorganisation (WTO) ist ne Möglichkeit zur Anrechnung von eine Entwarnung bezüglich der Zukunft die konkrete Ausgestaltung der In- Klimaschutzpolitiken anderer Län- besteht jedoch ebenso kein Anlass. strumente entscheidend. Grundsätz- der. Ein Prozess der unterstützten 2
technologischen Transformation kostenloser Zuteilung im EU-ETS als den Kopf zu stoßen, wenn die EU deren kann bei Gelingen zur Nachahmung Bemessungsgrundlage bestimmte Klimaschutzanstrengungen nicht als anregen, und die beschleunigte Materialanteile genutzt werden (vgl. gleichwertig anerkennt. Zudem sind so- Technologieentwicklung kommt Ismer, Neuhoff & Pirlot 2020). Die wohl beim Grenzausgleich im engeren auch dem Klimaschutz im Rest der administrativen Auswirkungen neu- Sinne als auch bei der Verbrauchsabga- Welt entgegen (vgl. Bradke et al. er Anreize auf Angebots- und Nach- be flankierende Instrumente nötig, die 2016). frageseite unterscheiden sich stark, die technologische Transformation un- je nach Instrument. Möglich wäre terstützen und Zukunftsinvestitionen an- ▶ Auswirkungen für die bestehende eine Reduzierung bestehender ad- reizen. Auch diese müssen so ausgestal- EU-Klimaschutzgesetzgebung: ministrativer Belastungen durch tet sein, dass sie dem Subventionsrecht Der Grenzausgleich im engeren eine Neustrukturierung der Förder- der WTO und dem Beilhilferecht der EU Sinne ist mit dem bestehenden EU- landschaft. entsprechen. ETS kompatibel und kann die kos- tenlose Zuteilung von Emissionsbe- Durch die Möglichkeit, am bestehenden Mit Blick auf Schwerpunkt (6) stehen vor rechtigungen künftig zumindest teil- EU-ETS als Leitinstrument festzuhalten diesem Hintergrund im Kern zwei grund- weise ersetzen (vgl. Felbermayr et al. und Klimaschutzpolitiken aus anderen sätzliche Strategien zur Einbindung der 2021). Bei der Verbrauchsabgabe ist Ländern anzurechnen, eignet sich der europäischen bzw. deutschen Klima- eine Fortführung der kostenlosen Grenzausgleich im engeren Sinne eher schutzpolitik in den internationalen Rah- Zuteilung (vgl. Ismer, Neuhoff & Pir- für eine Strategie mit internationalem men zur Auswahl: lot 2020) oder eine Abkehr vom EU- Fokus. Sie birgt allerdings auch das Risi- ETS als Leitinstrument erforderlich, ko, potentielle Kooperationsländer vor um eine Doppelbelastung der heimi- schen Industrie zu vermeiden. Bei der Anwendung von Förderinstru- Kategorie / Aspekt Primär nach innen gerichtete Primär nach außen gerichtete menten sind mögliche Wechselwir- Strategie Strategie kungen mit dem EU-ETS zu prüfen, CO2-Grenzausgleichsmodell Verbrauchsabgabe/Klimaabgabe (für Grenzausgleich im engeren Sinne: um Kohärenz der Maßnahmen si- inländisch hergestellte wie auch Importsteuer oder kalkulatorisches cherzustellen. importierte Produkte) („notional“) ETS ▶ Administrative Auswirkungen: Für beide Instrumente, den Bemessungsgrundlage CO2-Gehalt der Endprodukte Auf Basis der EU-Benchmarks Grenzausgleich im engeren Sinne und die Verbrauchsabgabe, gilt: Soll als Bemessungsgrundlage der tat- Innovations- und Begleitende Forschungs- und Frühzeitige und umfangreiche sächliche CO2-Gehalt von Produkten Technologieförderung Entwicklungs- sowie Investitionsanreize Investitionsanreize für klimafreundliche herangezogen werden, so ist ein ho- für klimafreundliche Technologien in Technologien her administrativer Aufwand zu er- der Industrie warten. Für beide Instrumente wer- den allerdings auch Alternativen Begleitaktivitäten Handhabung des Umstiegs auf eine Erstellung eines „Common rule book“ zur diskutiert, um den Aufwand zu redu- vollständig konsumbasierte Bepreisung Anrechnung preisbasierter und nicht zieren. Dazu gehört beim Grenzaus- von Emissionen in Wechselwirkung mit preisbasierter Klimaschutzinstrumente gleich im engeren Sinne beispiels- dem EU-ETS; Etablierung eines neuen weltweit weise die Nutzung von Benchmarks Monitoring-Systems zur Erfassung der aus dem EU-ETS (vgl. Marcu, Meh- Emissionsintensität der Produkte ling & Cosbey 2020). Es wird zudem die Möglichkeit diskutiert, die sekto- rale Abdeckung des Grenzausgleichs im engeren Sinne für eine einfache- re administrative Handhabbarkeit zu begrenzen - allerdings mit einer gewissen Gefahr, dass dann ver- stärkt Produkte nachgelagerter Wertschöpfungsstufen importiert werden (vgl. zum Beispiel Zachmann & McWilliams 2020). Bei der Ver- brauchsabgabe lässt sich ein relativ geringer administrativer Aufwand erreichen, indem in Kombination mit 3
Folgende Elemente kennzeichnen die pri- Das zentrale Risiko dieser Strategie be- Machen sich zentrale Akteure der Welt- mär nach innen gerichtete Strategie: steht darin, dass im Prinzip ein System- gemeinschaft nicht zunehmend überein- wechsel gegenüber den auf internationa- stimmend auf den Weg hin zu Klimaneu- • Vorhandene weltweite Unterschiede ler Ebene etablierten Ansätzen erfolgt. tralität, so wäre die Wettbewerbs- im klimapolitischen Ambitionsni- Außerdem ist es schwierig, sicherzustel- fähigkeit der Unternehmen in der EU we- veau werden als unabänderlich ak- len, dass die Abgabe in ihrer Höhe derart nig betroffen. Allerdings würden sich zeptiert, stattdessen liegt der Fokus gewählt wird, dass eine Erreichung der möglicherweise erheblich unterschiedli- darauf, durch geeignete Abwehr- Klimaschutzziele gewährleistet werden che Lebensumstände für die Verbrau- bzw. Schutzmaßnahmen ein „Level- kann. Zudem lässt die primär nach innen cher innerhalb und außerhalb der EU playing field” für heimische Unter- gerichtete Strategie Chancen im interna- einstellen. nehmen sicher zu stellen – unab- tionalen Kontext weitgehend außen vor. hängig davon, ob die wesentlichen Primär nach innen gerichtete Strategie Handelspartner sich in die gleiche Richtung bewegen. • Langfristig erfolgt der Schutz gegen direktes Carbon Leakage durch eine Verbrauchsabgabe auf Basis des CO2-Gehalts, um den Inlandsmarkt zu sichern und klimafreundliche Im- porte zu fördern. Das Instrument ist jedoch kein singuläres Schutzinstru- ment gegen Carbon Leakage, son- dern bedeutet den Umstieg auf ein grundlegend anderes System, das im Gegensatz zum EU-ETS und den internationalen Vereinbarungen nicht auf der Produktionsseite an- setzt (vgl. Felbermayr et al. 2021). • Da über kurz oder lang die kostenlo- se Zuteilung wegfallen muss, ist die Konsequenz langfristig der Ausstieg Folgende Elemente kennzeichnen die pri- • Kurzfristig erfolgt die Absicherung aus dem EU-ETS, um eine Doppelbe- mär nach außen gerichtete Strategie: gegen direktes Leakage durch ein lastung zu vermeiden. Damit unter- Grenzausgleichsinstrument, das gut liegen die Exporte aus den bisheri- • Die Strategie wirkt aktiv auf interna- kompatibel mit Klimaschutzmaß- gen ETS-Sektoren keinem direkten tional abgestimmten Klimaschutz nahmen in anderen Ländern ist und Wettbewerbsnachteil aus Klima- hin, um langfristig ausgeglichene leicht in die internationale Koopera- schutzinstrumenten innerhalb der Wettbewerbsbedingungen zu errei- tion eingebunden werden kann. Da- EU. chen. für eignet sich ein administrativ möglichst schlank ausgestalteter • Teil des Paketes wären neben einer • Auch in dieser Strategie wären In- Grenzausgleich im engeren Sinne. Verbrauchsabgabe auch Instrumen- strumente zur Förderung von Klima- te zur Technologieförderung, etwa schutztechnologien (und entspre- • Sollte im Hinblick auf die internatio- als ein Teil der Einnahmenverwen chenden Investitionen) zentraler Be- nale Anschlussfähigkeit und eine ak- dung. Die gezielte Förderung von standteil. Diese müssten noch frü- tivere Gestaltung des Wettbewerbs- THG-neutralen (oder deutlich THG- her und stärker greifen: neben dem umfeldes ein Grenzausgleich im en- reduzierten) Verfahren kann dazu Argument, der heimischen Wirt- geren Sinne angestrebt werden, so beitragen, die Belastung der Unter- schaft einen Ausstiegspfad aus kohl- sind gerade die außenpolitischen nehmen aus der Verbrauchsabgabe enstoffintensiver Wertschöpfung zu Risiken in angemessener Weise zu langfristig in Grenzen zu halten: In bieten, kommt hier auch der inter- berücksichtigen. Dabei kann zum dem Maße, in dem die Industriepro- nationale Wettbewerbsaspekt hinzu. Beispiel ein „Common rule book” duktion dekarbonisiert wird, ist sie Da dann auch Wettbewerber in an- mit internationalen Vereinbarungen weniger von der Verbrauchsabgabe deren Staaten in den Wettlauf um zur Anrechnung von preisbasierten betroffen. klimafreundliche Industrieprodukte und nicht preisbasierten Klima- einsteigen, wächst der Weltmarkt schutzmaßnahmen helfen. für solche Technologien entspre- chend schneller. 4
Das zentrale Risiko dieser Strategie be- die mit der Strategie verbundenen steht darin, dass sie eine „Wette“ auf in- Schutzinstrumente zu kurz greifen. Las- ternationale Klimaschutzbemühungen sen die wichtigen Akteure der Weltwirt- und entsprechende gemeinsame An- schaft ihren Ankündigungen Taten fol- strengungen zur Zielerreichung darstellt gen und schlagen den Weg zur Klima- – im Guten wie im Schlechten. Machen neutralität ein, sorgt die Strategie dafür, sich wichtige Akteure der Weltgemein- dass die EU-Industrie in diesem Rennen schaft nicht übereinstimmend auf den gut aufgestellt ist. Weg hin zur Klimaneutralität, so können Primär nach außen gerichtete Strategie Betrachtet man die auf lange Sicht wirk- 2021). etwa durch Leitmärkte für klimafreund- samen Mechanismen gegen Carbon Lea- Für die künftige Wettbewerbsfähigkeit lich hergestellte Produkte, auch in der kage in beiden Strategien, so wird deut- sind auf lange Sicht in beiden Strategien öffentlichen Beschaffung, wie auch auf lich: Die primär nach innen gerichtete Innovationskraft und Investitionen in der Angebotsseite – etwa durch Diffe- Strategie impliziert einen dauerhaften neue Technologien mitentscheidend. Mit renzverträge (sogenannte „Carbon Con- Wechsel hin zu einer vollständig kon- dem globalen Umbau zu einer klimaf- tracts for Difference“, CCfD)1 oder ande- sumbasierten Bepreisung von Emissio- reundlichen Wirtschaft sind große indus- re Instrumente, die den Business Case nen. Man schafft damit ein neues Sys- triepolitische Chancen verbunden, die für Klimaschutzinvestitionen unterstüt- tem, das eigentlich nur groß gedacht Europa nicht verspielen darf. Hier vorne zen. Sinn macht und dann perspektivisch mit zu liegen entspricht sowohl dem An- dem EU-ETS in Konkurrenz steht (Dop- spruch Deutschlands und der EU auf Egal ob Grenzausgleich im engeren Sin- pelbesteuerung), inklusive einer Abkehr Technologieführerschaft als auch der ne, Verbrauchsabgabe, Differenzverträ- von dem bislang bei den Emissionsinven- schlichten ökonomischen Notwendigkeit gen oder andere Technologieförderung: taren geltenden Territorialprinzip. Die für eine wissensintensive und rohstoffar- Neben der Frage der internationalen An- primär nach außen gerichtete Strategie me Volkswirtschaft. Angesichts der Kürze bindung ist es wichtig, ein Augenmerk ist hingegen bezüglich des CO2-Grenz- der verbleibenden Zeit und der Gefahr auf die notwendige und sinnvolle Diffe- ausgleichsmodells von Anfang an eine von Pfadabhängigkeiten erscheint es je- renzierung bei der Ausgestaltung zu le- Zwischenlösung, die darauf abzielt, die doch fraglich, ob technologieoffene gen, zum Beispiel bezüglich Sektorab- internationalen Aspekte „im Zaum“ zu Schutzmechanismen und CO2-Beprei- grenzung, Benchmark und halten und möglichst Kooperation anzu- sung alleine schnell genug tiefgreifende Technologiefokus. reizen. Am Ende können weder ein rein Innovationseffekte auslösen können. Um produktionsbasierter Ansatz noch ein disruptiven Technologien schnell zum rein konsumbasierter Ansatz abbilden, Durchbruch zu verhelfen, dürften kurz- dass letztlich sowohl Produzenten als fristig konkrete Anreize für Klimaschut- auch Konsumenten von emissionsbehaf- zinvestitionen nötig sein. Diese können teten Aktivitäten profitieren (vgl. Jakob sowohl auf der Nachfrageseite ansetzen, 1 Zu den Carbon Contracts for Difference wird in Kürze ein gesondertes Ariadne-Kurzdossier veröffentlicht. 5
EINLEITUNG: WAS IST DAS PROBLEM? Was passiert, wenn Emissionen für Un- was das Unterfangen zwar schwierig, ternehmen in Deutschland und Europa aber nicht unmöglich macht. zum Beispiel durch einen CO2-Preis oder andere Regulierungsoptionen mit ent- Die Carbon-Leakage-Diskussion konzen- sprechenden Folgekosten dauerhaft teu- triert sich auf den kurzfristigen Preis- rer werden als an anderen Standorten? wettbewerb, in dem Konkurrenten aus Theoretisch könnten wirtschaftliche Akti- Drittstaaten – ohne Klimaschutzauflagen vitäten von Unternehmen dann in Län- – günstiger produzieren können. Dieser der verlagert werden, in denen Emissio- Wettbewerb besteht und Forderungen nen günstiger oder gar nicht bezahlt nach einem fairen Preiswettbewerb in werden müssen. Durch dieses als „Car- Bezug auf Klimaschutzanstrengungen bon Leakage“ bezeichnete Phänomen und -notwendigkeiten sind nicht von der würde eine einseitige Klimapolitik hin- Hand zu weisen, aber er beschreibt nur sichtlich der Klimaziele ineffektiv: Emissi- einen Teil der Realität. Gleichzeitig befin- onen würden auf globaler Ebene nicht den sich europäische Standorte auch in abnehmen, sondern sich lediglich in an- einem internationalen Wettbewerb um dere Regionen verlagern. Für den Fall, Zukunftstechnologien. Denn Industriean- dass an den nicht oder weniger stark re- lagen, die heute geplant werden, müs- gulierten Standorten mit einer höheren sen auch in einer (zunehmend) dekarbo- Emissionsintensität produziert wird, nisierten Wirtschaft weiter betrieben wäre der globale Klimaeffekt sogar ne- werden können. Anlagen, die fossile gativ. Gleichzeitig würden die Wirt- Energie durch Strom ersetzen und ihren schaftsleistung und damit verbundene Stromverbrauch systemdienlich und fle- Arbeitsplätze und Steuerzahlungen in xibel anpassen können, werden zuneh- der (stärker) bepreisten Region zurück- mend im Vorteil sein. Und auch die her- gehen. gestellten Produkte selbst müssen den Anforderungen einer digitalisierten, de- Es ist das alte und viel diskutierte Dilem- karbonisierten, ressourceneffizienten ma der Klimapolitik: Betreibt sie ein und teils auch biobasierten Wirtschaft Staat alleine, bringt sie nichts, außer entsprechen. „Deutschland kann sich dass sie die Wirtschaft des Landes im mithin aus ökologischer und ökonomi- globalen Wettbewerb schlechter stellt. scher Vernunft nicht in einen Wettbe- Selbst wenn ein ganzer Kontinent an ei- werb um die günstigsten Energiepreise nem Strang zieht, wie es in Europa im begeben, sondern muss seine Wettbe- Grunde der Fall ist, reicht das allein noch werbsfähigkeit durch innovative, hoch- nicht, um den Klimawandel zu stoppen: wertige Produkte sichern“ (Bradke et al. Die EU ist für lediglich ein Zehntel der 2016: 673). weltweiten CO2-Emissionen verantwort- lich. Die ganze Welt muss mitmachen, 6
Zum Ende des Jahres 2020 hatten 14 Obwohl unter der Voraussetzung welt- Staaten rechtsverbindlich beschlossen, weiten Klimaschutzes auf mittlere und bis Mitte des Jahrhunderts THG-Neutrali- lange Sicht die Innovation und Anwen- tät zu erreichen oder eine entsprechende dung neuer Technologien entscheidend Gesetzgebung auf den Weg gebracht, sein werden, muss kurzfristig dem Risiko darunter Deutschland, Frankreich, Süd- der industriellen Abwanderung infolge korea, das Vereinigte Königreich und die des Preiswettbewerbs wirkungsvoll be- EU. 19 Staaten haben entsprechende po- gegnet werden. Dabei ist auch Robust- litische Ziele beschlossen, ohne diese heit der eigenen Strategie gegenüber (bisher) rechtlich zu verankern - darunter weltweit weiterhin geringen oder langsa- Brasilien, China, Japan, Südafrika und men Klimaschutzanstrengungen zu be- die USA. Weitere 98 Staaten befinden rücksichtigen. Nur bei Erhalt und Stär- sich in der politischen Beschlussfindung, kung der industriellen Basis kann eine konkrete Beschlüsse sind hier bis zur 26. Transformation in Deutschland und der UN Climate Change Conference of the EU so gelingen, dass sie auch klimapoli- Parties (COP26) in Glasgow im Novem- tische Nachzügler überzeugt. Carbon ber 2021 zu erwarten. Insgesamt haben Leakage würde so nicht nur verhindert, damit mehr als 100 Staaten ein Klima- über den Technologiepfad würde statt- neutralitätsziel beschlossen oder befas- dessen eine Dekarbonisierung der indus- sen sich damit (van Soest et al 2021). triellen Produktion auch im globalen Maßstab angestoßen (vgl. Bradke et Auch immer mehr Unternehmen stecken al. 2016: 673). sich anspruchsvolle Klimaziele: von Sie- mens und der Telekom über alle deut- Entsprechend stellt sich für das vorlie- schen Automobilhersteller bis hin zu Hei- gende Kurzdossier die Frage, wie die delbergCement, Bayer, BASF und Übergangsphase zu einem gemeinsa- ThyssenKrupp haben sie sich selbst kon- men globalen Klimaschutzregime gestal- krete Ziele zur Emissionsminderung ge- tet werden kann, so dass Klimaschutz setzt. Insbesondere bei den Grundstoffin- und Carbon-Leakage-Schutz als ineinan- dustrien erfordern diese Ziele, dass der greifender Prozess zu sehen sind. Es Produktionsprozesse auf Verfahren mit soll aufgezeigt werden, wie unterschiedli- deutlich weniger Emissionen umgestellt che Politikansätze – angefangen von werden. heutigen Regelungen über Grenzaus- gleichsmechanismen bis hin zur Ver- Der internationale Wettlauf um Investiti- brauchsabgabe – genutzt werden kön- onen in zukunftsfähige Technologien ist nen, um Robustheit gegenüber unter- bereits im Gange. Vielversprechende An- schiedlichen Ambitionsniveaus herzustel- sätze, wie die Wasserstoffdirektreduktion len und eine globale Klimawende anzu- in der Stahlherstellung, sind an einer schieben. Dabei soll die notwendige tech- Reihe von Standorten in Planung – von nologische Transformation besonders Chile über die USA bis nach China. Im berücksichtigt werden. großen Stil sind auch neue Technologien notwendig, um der Atmosphäre nicht vermeidbare Rest-Emissionen wieder entziehen zu können. Das sind große in- dustriepolitische Chancen, die Europa nicht verspielen darf. Hier vorne zu lie- gen, entspricht sowohl dem Anspruch Deutschlands und der EU als Technolo- gieführer als auch der schlichten ökono- mischen Notwendigkeit für eine wis- sensintensive und rohstoffarme Volkswirtschaft. 7
CARBON LEAKAGE: BISHERIGE POLITIKMASS- NAHMEN UND NEUE HERAUSFORDERUNGEN Welche Formen des Carbon Leakage zu einem Anstieg des Verbrauchs und gibt es? der damit verbundenen Emissionen führt. Die Umweltökonomik unterscheidet mehrere Kanäle und Mechanismen, die Was ist dran? Empirische Befunde zu zu Carbon Leakage führen können (vgl. Carbon Leakage Zachmann & McWilliams 2020): „Direct Leakage“ bedeutet, dass Produktions- Seit die EU-Kommission im Jahr 2000 ihr prozesse und damit verbundene Emissio- Grünbuch für die Einführung eines Emis- nen in Gebiete außerhalb der einer (hö- sionshandels vorgelegt hatte, hat die heren) Bepreisung unterworfenen Ökonomik versucht, das Ausmaß der be- Region verlagert werden. Dies kann in- fürchteten Leakage-Effekte abzuschät- nerhalb von multinationalen Konzernen zen. Mangels historischer Daten standen relativ kurzfristig durch eine internatio- dabei Ex-ante-Simulationen im Mittel- nale Verlagerung von Produktionsantei- punkt. Die Literaturstudie von Carbone len erfolgen (Operational Leakage). Län- und Rivers 2017 über Ex-ante-Abschät- gerfristig kann „Direct Leakage“ sich zungen zu den Effekten unilateraler Kli- auch in Investitionen zur Ausweitung der mapolitik kommt zu dem Schluss, dass Produktionskapazität an weniger regu- die Modelle durchweg einen Rückgang lierten Standorten manifestieren (Invest- des Outputs von regulierten energie- und ment Leakage). „Indirect Leakage“ ent- handelsintensiven Sektoren vorhersa- steht unabhängig von „Direct Leakage“ gen. Die Leakage-Raten reichen dabei durch preisinduzierte Verschiebungen von 10 bis 30 Prozent.2 In einer Meta- von Angebot und Nachfrage im internati- Analyse von 25 älteren Ex-ante-Studien onalen Kontext: Die Preiserhöhung für ermitteln Branger und Quiron 2014 eine fossile Brennstoffe und emissionsintensiv Spannbreite der Leakage-Raten von fünf erzeugten Strom führt innerhalb des re- bis 25 Prozent, wobei sich diese Effekte gulierten Bereichs zunächst zu einem zwar hauptsächlich über den indirekten Rückgang der Nachfrage. Dieser indu- Kanal ergeben, aber zugleich mit einer ziert bei einer großen Region wie der EU Verringerung der inländischen Produkti- einen Rückgang des Weltmarktpreises, on in energie- und handelsintensiven der außerhalb des regulierten Gebietes Sektoren einhergehen.3 2 In diesem Umfang würden die in den regulierten Ländern reduzierten Emissionen also außerhalb des regulierten Gebietes wieder auftauchen und dort als Anstieg verbucht werden. 3 Die Aussagekraft dieser Studien im heutigen Kontext ist jedoch dadurch begrenzt, dass seinerzeit oft von einer angestrebten Emissionsredukti- on um lediglich 20 Prozent ausgegangen wurde und Szenarien mit minus 50 Prozent oder mehr (‚net zero‘) gar nicht in den Blick genommen 8 wurden.
Mit der zunehmenden Verbreitung von ADI. Allerdings steigt sowohl die Anzahl Welche Politikmaßnahmen zu Carbon CO2-Preisen haben Ex-post-Analysen an der außereuropäischen Tochterunterneh- Leakage sind derzeit implementiert? Bedeutung gewonnen. Dabei wurde fast men als auch die Streuung der Destinati- ausschließlich der Kanal des „Direct Lea- onen der Direktinvestitionen, was ein An- Im Rahmen des EU-ETS existieren zwei kage“ betrachtet. zeichen für die Vorbereitung einer Maßnahmen zum Schutz gegen Carbon künftigen Produktionsverlagerung sein Leakage:6 (a) die kostenlose Zuteilung Operational Leakage könnte. Darüber hinaus steigt das außer- von Zertifikaten an alle darunter regu- europäische ADI von jenen Firmen an, lierten Firmen/Sektoren mit Ausnahme Naegele und Zaklan 2019 analysieren die weniger kapitalintensiv sind („more des Stromsektors und (b) die indirekte die Auswirkungen des EU-ETS auf inter- footloose“) und zugleich einen Mangel Strompreiskompensation. Maßgeblich nationale Handelsströme zwischen 2004 an Emissionszertifikaten aufweisen. Al- für die kostenlose Zuteilung von Zertifi- und 2011 sowie auf die damit verbunde- lerdings machen diese Firmen nur einen katen ist, ob und in welchem Umfang ein nen CO2-Emissionen. Ein Anstieg der Net- kleinen Anteil aller regulierten Firmen Sektor einem erheblichen Risiko der Ver- toimporte würde Carbon Leakage signa- aus. lagerung von CO2-Emissionen (Carbon lisieren. Die Studie findet jedoch keinen Leakage) ausgesetzt ist. Das Carbon Lea- entsprechenden Hinweis. Dechezleprêtre Borghesi et al. 2020 betrachten italieni- kage-Risiko wird dabei über einen Car- et al. 2021 untersuchen für 2007 bis sche Unternehmen des verarbeitenden bon-Leakage-Indikator festgestellt, der 2014 die Auswirkungen des EU-ETS auf Gewerbes zwischen 2002 und 2010. Sie aus Handelsintensität und Emissionsin- die standortspezifischen CO2-Emissionen finden einen kleinen positiven Effekt des tensität eines Sektors berechnet wird.7 von multinationalen Unternehmen, die EU-ETS auf die Anzahl der ausländischen Sektoren, bei denen ein erhebliches Car- Produktionsstätten sowohl innerhalb Eu- Tochtergesellschaften und insbesondere bon-Leakage-Risiko festgestellt wird, ropas als auch im Ausland besitzen. Sie in handelsintensiven Sektoren zudem ei- werden in der offiziellen Carbon-Leaka- finden keine Hinweise auf kurzfristige nen etwas größeren positiven Effekt auf ge-Liste geführt. Insgesamt bestimmt Verlagerungen der Produktion und dar- den Umfang der Produktion in diesen sich die Menge der kostenlosen Zuteilun- aus resultierendes Carbon Leakage.4 ausländischen Tochterunternehmen.5 gen für eine Anlage durch das Produkt von (1) spezifischem Produkt-Bench- Investment Leakage Insgesamt bestätigt die empirische Ex- mark, (2) dem historischem Aktivitätsni- post-Literatur die in den Ex-ante-Simula- veau, (3) dem sogenannten Carbon lea- Aus dem Moore et al. 2019 nutzen eine tionen vorhergesagten Auswirkungen kage exposure factor und (4) dem Cross große Stichprobe multinationaler Unter- (bisher) nicht: Das EU-ETS hat (noch) sectoral correction factor (CSCF). Der nehmen unter Einbeziehung aller inter- nicht zu Carbon Leakage in einem rele- CSCF ist ein Korrekturfaktor, der sicher- nationalen Standorte und Tochterunter- vanten Umfang geführt (Verde stellt, dass die Gesamtzuteilungen nicht nehmen, um zu analysieren, ob das EU- 2020). Dabei sind zwei Aspekte zu be- größer als das sogenannte „Industrie ETS zwischen 2005 und 2012 an den eu- rücksichtigen: Erstens beziehen sich die Cap“ (43 Prozent der jährlichen Zertifi- ropäischen Standorten zu einer Verringe- meisten Studien auf die ersten beiden katsmenge/Cap) sind. Für die 4. Phase rung des Anlagevermögens (als Indika- Phasen des EU-ETS (2005-2012), in de- des EU-ETS (2021-2030) sind eine Reihe tor für Investment Leakage) geführt hat. nen die CO2-Preise auf einem sehr niedri- von Änderungen an den Zuteilungen be- Sie stellen jedoch fest, dass regulierte gen Niveau lagen. Zweitens wurden die schlossen worden. Insbesondere wurden Unternehmen ihr Anlagevermögen infol- Zertifikate meist kostenlos zugeteilt. In- die Benchmarks aktualisiert und eine dy- ge des EU-ETS sogar erhöht haben, was sofern besteht kein Widerspruch zwi- namische Anpassung der historischen auf Investitionen zur Emissionsvermei- schen theoretisch motivierten Ex-ante- Aktivitätslevel in Abhängigkeit von der dung hinweisen könnte. Für eine kleine Analysen und empirischen Ex-post-Be- tatsächlichen Produktion eingeführt. Gruppe multinationaler Unternehmen funden. Es kann im Gegenteil argumen- fiel dieser Anstieg jedoch deutlich gerin- tiert werden, dass die implementierten Zusätzlich dazu erfolgt eine Strompreis- ger aus, was auf eine regionale Verschie- Schutzvorkehrungen - wie die kostenlose kompensation, um die indirekten CO2- bung im Investitionsverhalten hindeutet. Zuteilung - dazu beigetragen haben, Kosten in Form höherer Strompreise ab- Koch und Basse Mama 2019 untersu- dass die in den Modellen (ohne diese zudecken. Die Berechnung der Höhe er- chen den Effekt des EU-ETS auf ausländi- Maßnahmen) abgeleiteten Leakage-Ef- folgt auf Basis spezifischer Stromver- sche Direktinvestitionen (ADI) deutscher fekte in der Realität nicht eingetreten brauchseffizienzbenchmarks und deckt multinationaler Unternehmen als Maß sind. auch Anlagen/Sektoren ab, die nicht im für Investment Leakage. Sie finden kei- EU-ETS reguliert werden. Im Jahr 2018 nen signifikanten Effekt auf die Höhe der betrug der Anteil von EU-ETS Anlagen an 4 Einige Studien verwenden indirekte Maße der CO2-Bepreisung, wie Unterschiede in Energiepreisen. Auch diese Analysen finden nur geringe Hin- weise auf Carbon Leakage (zum Beispiel Sato & Dechezleprêtre 2015; Aldy & Pizer 2015). 5 Saussay und Sato 2018 nutzen Energiepreisdifferenzen zwischen Ländern als Ersatzvariable (Proxy) für unterschiedlich hohe CO2-Preise und untersuchen ihre Auswirkungen auf die Standortwahl bei M & A-Aktivitäten von multinationalen Produktionsunternehmen. Ihr Befund, dass ein Anstieg der Energiepreisdifferenzen zu verstärkten Akquisitionen in relativ günstigeren Ländern führt, weist auf Leakage hin. Allerdings ist dieser Effekt relativ klein. 6 Siehe dazu: https://ec.europa.eu/clima/policies/ets/allowances/leakage_de 7 Siehe dazu: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:L:2019:120:FULL&from=EN 9 8 Siehe dazu: https://www.dehst.de/SharedDocs/downloads/DE/spk/Auswertungsbericht_2018.pdf?__blob=publicationFile&v=3
der Beihilfesumme (219 Mio. EUR) 69 grundsätzlichen Elementen an der kos- Prozent; der größte Teil davon entfällt tenlosen Zuteilung des EU-ETS. Neu ist auf die Chemiebranche.8 jedoch, dass Beihilfe empfangende Un- ternehmen Gegenleistungen für die Bei- Im Rahmen des nationalen Brennstoffe- hilfegewährung nachweisen müssen (In- missionshandels (BEH) hat das Bundes- vestitionen in Klimaschutz). Der kabinett am 31. März 2021 die Verord- finanzielle Umfang ist im Vergleich zu nung über Maßnahmen zur Vermeidung den Einnahmen darüber hinaus deutlich von Carbon Leakage beim nationalen geringer als beim EU-ETS. Es wird von Brennstoffemissionshandel9 beschlos- 274 Mio. EUR im ersten Jahr ausgegan- sen, der (Stand Juni 2021) noch vom gen. Bundestag zugestimmt werden muss. Die Verordnung orientiert sich in den Maßnahme Kosten Kostenlose Zuteilungen [EU-ETS] ca. 3,5 Milliarden EUR (2019)10 Strompreiskompensation [EU-ETS / Non- 219 Mio. EUR (2018)8 ETS] Carbon-Leakage-Schutz [BEH] 274 Mio. EUR (2021)9 Was kommt auf uns zu? Neue Heraus- bleibt. Die Anhebung der europäischen zeigt deutlich, dass die kostenlosen Zu- forderungen für die bisherigen Maß- Klimaziele für 2030 bzw. 2050 wird un- teilungen schon mittelfristig, zumindest nahmen weigerlich mit einer Senkung der Cap aber längerfristig mengenbedingt ein des EU-ETS bzw. Erhöhung des linearen Auslaufmodell sind. Im Rahmen der Weiterentwicklung der Reduktionsfaktors (LRF), ggf. einem Re- Klimapolitik auf nationaler und insbe- basing12, einhergehen müssen. Das be- Fehlender Investitionsanreiz: sondere europäischer Ebene (Green deutet wiederum, dass auch die „Indus- Der bestehende Leakage-Schutz durch Deal) kommen auf die oben beschrieben trie Cap“ schneller als bisher sinken wird kostenlose Zuteilung wird bei gegebener Mechanismen neue Herausforderungen und entsprechend weniger Zertifikate für Emissions- und internationaler Handels- zu: die kostenlose Zuteilung zur Verfügung intensität des jeweiligen Unternehmens stehen werden. Für die Phase 2021-2025 unabhängig von weiteren Voraussetzun- Mengenproblem: wird es zwar noch nicht zu Einschrän- gen gewährt. Dadurch entsteht aber kein Der bisherige Königsweg, die kostenlose kungen der Zuteilung durch eine Anpas- spürbarer Anreiz für die dringend erfor- Zuteilung, läuft früher oder später in das sung des Cross sectoral correction factor derlichen Klimaschutzinvestitionen, wäh- Problem, dass die künftig deutlich sin- (CSCF) kommen.13 Aber Sultani et al. (in rend das CO2-Preissignal abgeschwächt kende Menge an Emissionsberechtigun- Vorbereitung) schätzen, dass der CSCF wird. Investitionen in klimafreundlichere gen schlicht nicht mehr ausreichen wird, bis zum Jahr 2030 auf rund 50 Prozent Technologien würden nicht nur Emissio- um für alle schutzbedürftigen Unterneh- absinken wird. Ab Mitte der 2020er Jahre nen senken, sondern auch einen wirksa- men eine auskömmliche Zuteilung zu ge- müssten daher Emissionsberechtigun- meren Schutz gegen Produktionsverla- währleisten. Bereits jetzt kommt ein im- gen, die eigentlich für die Auktionierung gerungen bewirken: Neue bzw. moderni- mer schärferer sektorübergreifender vorgesehen waren, stattdessen kosten- sierte Produktionskapazitäten binden ein Korrekturfaktor zur Anwendung, damit los an Industrieunternehmen verteilt Unternehmen stärker an einen Standort die Benchmark-basierte Zuteilung inner- werden. Anfang der 2030er Jahre würde als dies die Aussicht auf eine jährliche halb des zulässigen Industrie-Caps11 selbst dies nicht mehr ausreichen. Dies kostenlose Zuteilung könnte. 8 Siehe dazu: https://www.dehst.de/SharedDocs/downloads/DE/spk/Auswertungsbericht_2018.pdf?__blob=publicationFile&v=3 9 Siehe: https://www.bmu.de/gesetz/verordnung-ueber-massnahmen-zur-vermeidung-von-carbon-leakage-durch-den-nationalen-brennstoffe- missions/ 10 Im Jahr 2019 wurden nach Angaben der Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) insgesamt 141 Millionen EU-Allowances (EUA) kostenlos zugeteilt (https://www.dehst.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/VET-Bericht-2019_Summary.pdf?__blob=publicationFile&v=4). Für die Berechnung wurde eine EUA Preis von 25 €/t angenommen. 11 Aktuell werden 57 Prozent aller Zertifikate versteigert, und entsprechend 43 Prozent für die kostenlose Zuteilung verwendet. Siehe: https://ec .europa.eu/clima/policies/ets/allowances_de 12 Siehe dazu Abschnitt 6.7 im Impact Assessment der EU Kommission: https://ec.europa.eu/clima/sites/clima/files/eu-climate-action/docs/im- pact_en.pdf 10 13 https://ec.europa.eu/clima/news/commission-adopts-uniform-cross-sectoral-correction-factor-be-applied-free-allocation-2021-2025_en
CO2-GRENZAUSGLEICHS- MODELLE ALS ALTERNATIVE OPTIONEN ZUM CARBON- LEAKAGE-SCHUTZ Ein Überblick zu CO2-Grenzausgleichs- zember 2019, welcher ein CO2-Grenzaus- modellen gleichssystem für ausgewählte Sektoren ab dem Jahr 2023 in Erwägung zieht. Aufgrund der genannten Herausforde- rungen ist das Potenzial für die Weiter- Ein Grenzausgleich soll mit Blick auf den führung der bestehenden Regelungen Klimawandel Carbon Leakage verhin- zum Carbon-Leakage-Schutz in der dern (EU-Kommission 2020). Die Europä- (schon relativ nahen) Zukunft begrenzt. ische Kommission hat als Beispiele meh- Eine vieldiskutierte Alternative zur kos- rere Ausgestaltungsformen genannt tenlosen Zuteilung als Carbon-Leakage- (EU-Kommission 2020). Darunter sind Schutz sind Grenzausgleichsinstrumente. sowohl Grenzausgleichs-Instrumente im engeren Sinne (CO2-Grenzsteuer oder - Auf europäischer Ebene wurde seit 2007 Zoll auf Importe, Ausweitung des EU-ETS im Zuge eines Vorschlags zur Reform des auf Importe) als auch eine Verbrauchs- europäischen Emissionshandelssystems abgabe (CO2-Steuer/-Abgabe auf ausge- EU-ETS ein Grenzausgleich diskutiert. wählte importierte und heimische Pro- Momentum erhielt diese Diskussion mit dukte), siehe Box. der Vorstellung des Green Deal im De- Grenzausgleich im engeren Sinne (i.e.S.) (Grenzsteuer oder Erweiterung EU-ETS) Verbrauchsabgabe Beim Grenzausgleich i.e.S. werden mehrere Bei der Verbrauchsabgabe wird für End- grundsätzliche Ausgestaltungsformen dis- produkte eine Abgabe für den CO2-Gehalt kutiert: erhoben. Die Verbrauchsabgabe selbst stellt zunächst eine Zusatzbelastung zum Grenzsteuer: Importe werden mit einer EU-ETS dar - sowohl für heimische Produk- Steuer belegt, die in ihrer Höhe der euro- te als auch für Importe, nicht aber für Ex- päischen CO2-Bepreisung entsprechender porte. Produkte entspricht und so einen Aus- gleich hinsichtlich der CO2-Kosten schafft Dadurch kann die Verbrauchsabgabe im Verbund mit Entlastungen (zum Beispiel Erweiterung des EU-ETS: Importe werden Ausstieg aus dem EU-ETS) grundsätzlich so in den bestehenden ETS-Zertifikatepool ausgestaltet werden, dass Importe und einbezogen oder müssen Zertifikate zum heimische Produkte vergleichbar belastet ETS-Preis aus einem separaten Pool erwer- und Exporte entlastet werden. ben - kalkulatorisches („notional“) ETS (vgl. Lamy, P., Pons, G. und Leturcq, P. (2020)) 11
Exkurs: Rechtliche Rahmenbedingungen der ze“ ansetzen und damit nur Produkte Recht) abgelehnt und nach dem ordentli- Grenzausgleichsmodelle14 betreffen, die aus dem Ausland in die EU chen Gesetzgebungsverfahren vorgegan- importiert werden. Beispielhaft kann hier gen werden. Für eine als solches dekla- EU Recht – Rechtsgrundlage und Ver- etwa die Antidumpingverordnung ge- rierte Grenzausgleichsteuer auf Importe fahrensvorschriften nannt werden, auf die sich beispielsweise - wie sie mit der Grenzsteuer angedacht die Anti-Dumping-Zölle stützten, welche zu sein scheint - wäre dahingegen wohl Als Rechtsgrundlage für einen CO2- die EU vor einigen Jahren auf chinesische vom besonderen Gesetzgebungsverfah- Grenzausgleich kommen insbesondere Solar-Panels erhob. Hier ist keine Ein- ren mit Einstimmigkeit im Rat auszuge- zwei Bestimmungen des Vertrags über stimmigkeit erforderlich, sondern es hen, was eine signifikante politische Hür- die Arbeitsweise der Union (AEUV) in Fra- kann im ordentlichen Gesetzgebungsver- de für die Einführung eines solchen ge: Die Umweltkompetenz in Art. 192 fahren entschieden werden. Allerdings Mechanismus darstellen mag.18 AEUV und die Außenhandelskompetenz kann diese Rechtsgrundlage eben auch Was die Einführung einer generellen aus Art. 207 AEUV.15 Erstere kann ge- nicht genutzt werden, um Sachverhalte neuen CO2-Steuer auf EU-Produkte wie nutzt werden für Maßnahmen zu „Erhal- zu regeln/harmonisieren, die Produkte auch Importe (Stichwort „Verbrauchsab- tung und Schutz der Umwelt sowie Ver- innerhalb der EU betreffen.16 gabe”) betrifft, so ist ebenso von Art. 192 besserung ihrer Qualität“, zum „Schutz AEUV als Rechtsgrundlage auszugehen. der menschlichen Gesundheit“, für die Für die von der EU-Kommission ange- Eine handelspolitische Motivation ist al- „umsichtige und rationelle Verwendung dachten Ausgestaltungsoptionen eines lein schon durch die Natur der Maßnah- der natürlichen Ressourcen“ sowie für CO2-Grenzausgleiches i.e.S. („Grenzaus- me nicht anzunehmen. Auch ist der Steu- die „Förderung von Maßnahmen auf in- gleichsteuer“ für Importe aus Carbon ercharakter wohl nicht zu verwehren - ternationaler Ebene zur Bewältigung re- Leakage gefährdeten Sektoren; Auswei- zumal die EU-Kommission diesen selbst gionaler oder globaler Umweltprobleme tung des Emissionshandels auf Importe aufgebracht hat. Damit wäre die Maß- und insbesondere zur Bekämpfung des aus Carbon Leakage gefährdeten Sekto- nahme im besonderen Gesetzgebungs- Klimawandels“ (Art. 191 Abs. 1 AEUV). ren, bzw. kalkulatorisches ETS) wären verfahren mit Einstimmigkeit im Rat zu Sie wurde insbesondere auch für den also grundsätzlich beide Rechtsgrundla- treffen, wobei wiederum die Möglichkeit Emissionshandel (EU-ETS) genutzt und gen denkbar; wobei nach Rechtspre- einer Nutzung der „Passerelle“-Klausel erlaubt den EU-Institutionen in der Regel chung des EuGH eine doppelte Rechts- besteht und der Rat einstimmig für die nach dem ordentlichen Gesetzgebungs- grundlage möglichst zu vermeiden und Einführung einer solchen Steuer das Ein- verfahren, das heißt mit qualifizierter entsprechend eine „Haupt“-Rechts- stimmigkeitserfordernis aussetzen könn- Mehrheit in Rat und Parlament, zu ent- grundlage auszuwählen ist. Diesbezüg- te. scheiden. Hier besteht allerdings eine lich hat die EU Kommission in den letz- wichtige Ausnahme für „Maßnahmen ten Wochen mehrfach betont, dass es vorwiegend steuerlicher Art“ (Art. 192 sich beim CO2-Grenzausgleich eben nicht Abs. 2 S. 2 AEUV). Diese erfordern ein be- um eine Außenhandels-, sondern um sonderes Gesetzgebungsverfahren – und eine Umweltschutzmaßnahme handelt damit Einstimmigkeit unter den Mit- und man entsprechend von Art. 192 gliedstaaten im Rat. Zwar besteht die AEUV als Rechtsgrundlage ausgeht. Möglichkeit, dass der Rat beschließt, für ein bestimmtes Vorhaben diese Einstim- Damit stellt sich die Frage nach dem Ge- migkeitserfordernis auszusetzen (die so- setzgebungsverfahren, bzw. nach der er- genannte „Passerelle“-Klausel), aller- forderlichen Mehrheit: Für das EU-ETS dings erfordert dieser Ratsbeschluss hat der EuGH entschieden, dass es sich seinerseits dann Einstimmigkeit (Art. 192 hierbei nicht um eine „Steuer“ im Sinne Abs. 3 AEUV). des EU Rechts handelt, so dass hier kei- ne Einstimmigkeit erforderlich sei.17 Da- Die Außenhandelskompetenz nach Art. mit könnte auch für einen CO2-Grenzaus- 207 AEUV hingegen wird regelmäßig für gleich, der an das EU-ETS anknüpft, der Maßnahmen genutzt, die „an der Gren- Steuercharakter (zumindest nach EU 14 Für eine ausführliche Darstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen eines CO2-Grenzausgleichs siehe Nysten: Eine EU CO2-Bepreisung für internationale Importe, Würzburger Berichte zum Umweltenergierecht Nr. 52 vom 23.06.2021 https://stiftung-umweltenergierecht.de/wp-con- tent/uploads/2021/06/Stiftung_Umweltenergierecht_WueBerichte_52_Hintergrundpapier_CBAM-3.pdf 15 Grundsätzlich muss der EU Gesetzgeber neben der Rechtsgrundlage auch vortragen, dass die geplante Maßnahme dem Subsidiaritätsgrund- satz entspricht, also ein Ziel verfolgt, das nicht durch die Mitgliedstaaten (besser) erreicht werden kann, und das verhältnismäßig ist, das heißt, das nicht über das Mindestmaß des zur Zielerreichung Notwendigen hinausgeht. Für den Grenzausgleich wird - zumindest im Rahmen dieser Aus- arbeitung - beides vorausgesetzt und nicht weiter betrachtet. 16 Damit würde diese Rechtsgrundlage für die Verbrauchsabgabe ausscheiden. 17 Vgl. etwa EuGH, Rs. C-366/10, IATA, Urt. v. 21.12.2011, dazu umfassend auch die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in jener Rechts- sache. 18 Aus diesem Grund sind auch die bisherigen Bestrebungen der EU Kommission, die EU Energiesteuerrichtlinie zu reformieren, bislang geschei- tert: Die EU Kommission hatte 2011 zwar einen Vorschlag vorgelegt, der aber 2015 zurückgezogen wurde, da sich im Rahmen der Trilog-Ver- handlungen abzeichnete, dass es nicht zu Mehrheiten geschweige denn zu einer Einstimmigkeit im Rat kommen würde. Selbst im EU Parlament wurde der Entwurf, der im Wesentlichen auf die Besteuerung von Kraftstoffen nach ihrem CO2-Gehalt abzielte, auseinandergenommen und unter 12 Leitung der Luxemburgischen Berichterstatterin weitestgehend abgelehnt.
WTO-Recht – Diskriminierungsverbot sind, dass dem im Rahmen der Maßnah- nach dem ausländische Produkte aus und mögliche Rechtfertigungsmöglich- me Rechnung getragen werden muss.20 Ländern, in denen es keine entsprechen- keiten de CO2-Bepreisung gibt, im Rahmen des Für den CO2-Grenzausgleich bzw. die un- CO2-Grenzausgleichs nach ihrem CO2- Nach Art. I:1 GATT (General Agreement terschiedlichen Ausgestaltungsoptionen Fussabdruck bepreist werden. Dies mag on Tariffs and Trade) haben die Vertrags- ergeben sich damit folgende Fragestel- gegenüber EU-Produkten als aufwändi- staaten grundsätzlich alle Vorteile, die lungen: ger gesehen oder empfunden werden. sie einem anderen Vertragsstaat gewäh- Ferner ist auch die grundsätzliche ren, auch allen anderen einzuräumen Für die Grenzsteuer mag ja noch argu- Gleichbehandlung schwierig: Immerhin (Meistbegünstigungsprinzip). Nach Art. mentiert werden können, dass es sich muss irgendeine Grundlage für die CO2- III:1 GATT gilt zudem das Prinzip der In- hier um eine „Grenzausgleichsteuer“ im Bepreisung gewählt werden, die – ange- länderbehandlung: Demnach darf nicht Sinne des GATT handelt; für die Erweite- sichts der unterschiedlichen Verhältnisse nur keine Ungleichbehandlung unter rung des EU-ETS müsste jedoch erst ein- in den unterschiedlichen Ländern – den (anderen) Vertragsstaaten stattfin- mal geprüft werden, ob das EU-ETS un- schwerlich „komplett fair“ und „gleich“ den, sondern dürfen gleichartige Produk- ter den (weiten) WTO-rechtlichen Begriff inländischen Produkten auszugestalten te aus anderen Vertragsstaaten nicht un- der Steuer fallen würde. Während dies sein wird (man denke alleine schon an gleich bzw. schlechter als inländische zwar nicht ausgeschlossen ist, befreit der die mannigfaltigen unterschiedlichen Produkte behandelt werden. Dies bein- Umstand der „Grenzausgleichsteuer“, CO2-Bepreisungspolitiken in den unter- haltet neben Steuern o.ä. auch Verfah- wie erläutert, nicht von der Einhaltung schiedlichen Ländern). rensvorschriften und Nachteile, die mit der Grundsätze des GATT. administrativem Mehraufwand einherge- Womit man sich zwangsläufig fragen hen. Entsprechend ist die spannendere Frage, muss, ob eine etwaige Ungleichbehand- ob im Rahmen des CO2-Grenzausgleichs lung (bzw. Verstöße gegen die Prinzipien Zwar erlaubt Art. II:2 Buchst. a) soge- „gleichartige“ Produkte gleich oder un- der Meistbegünstigung und Inländerbe- nannte Grenzausgleichsteuern als In- gleich behandelt werden. handlung) gerechtfertigt werden kön- strument. Allerdings müssen auch diese nen. Immerhin soll der CO2-Grenzaus- so ausgestaltet sein, dass es nicht zu ei- Nach der Spruchpraxis des Appellate gleich grundsätzlich dem (internatio- ner Schlechterstellung ausländischer Body sind „gleichartige“ Produkte insbe- nalen) Klima- und damit Umweltschutz Produkte kommt, das heißt, die Grund- sondere solche, die a) die Eigenschaften, dienen. Allerdings darf – um die Recht- sätze der Meistbegünstigung und Inlän- Natur und Qualität der Produkte, b) die fertigung nach Art. XX GATT zu ermögli- derbehandlung gelten weiterhin. Endverwendungsmöglichkeiten, c) Ver- chen – dann eben in der Ausgestaltung brauchervorlieben und -gewohnheiten (ungeachtet der konkreten Ausgestal- Wird doch eine Ungleichbehandlung sowie d) Zollklassifizierungstarife21 mit tungsoptionen) keine willkürliche (das gleichartiger Produkte festgestellt, so den inländischen Produkten teilen. Der heißt vornehmlich im Verfahren) bzw. kann diese ggf. nach Art. XX GATT unter CO2-Grenzausgleich zielt dabei (fast ungerecht-fertigte Diskriminierung vor- anderem auch durch den Umweltschutz schon) per definitionem auf genau sol- liegen. Hier ist insbesondere an das Ver- bzw. sogar den Klimaschutz gerechtfer- che „gleichartige“ Produkte ab. Insbe- fahren zu denken, mit dem ausländische tigt werden. Allerdings müssen die Maß- sondere kann nicht argumentiert wer- Produkte entweder generell besteuert nahmen frei von willkürlicher oder unge- den, dass die inländischen Erzeugnisse werden oder in das kalkulatorische („no- rechtfertigter Diskriminierung sein, was in irgendeiner Weise CO2-ärmer und da- tional“) ETS einbezogen werden. Ferner nach der Spruchpraxis des Appellate mit umweltfreundlicher wären – wenn sind die Verhältnisse in den jeweiligen Body darauf hinausläuft, dass a) auslän- überhaupt, dann unterscheidet sie ledig- Ländern zu berücksichtigen: Nach der dische Produkte keinen schwerwiegen- lich die (Art der) CO2-Bepreisung von aus- Spruchpraxis des Appellate Body scheint den Verfahrenshürden (etwa Anerken- ländischen Produkten, was aber keine es angeraten, dass CO2-Bepreisungsme- nungsverfahren) unterstellt werden und Änderung der Produkteigenschaft aus- chanismen anderer Länder anerkannt b) die Ungleichbehandlung in der Sache macht.22 Damit müsste also auch eine und entsprechend in irgendeiner Weise gerechtfertigt ist, das heißt, dass sie ins- Gleichbehandlung sowohl zu inländi- angerechnet werden müssten. Immerhin besondere nicht über das für das Errei- schen Produkten, als auch für ausländi- sind diese Mechanismen ebenso wie der chen des mit der Maßnahme angestreb- sche Produkte untereinander gewährleis- CO2-Grenzausgleich auf das Ziel des Kli- te Politikziels Notwendige hinausgehen.19 tet werden. maschutzes bedacht und würden – wenn Dieses kann sogar eine gewisse Differen- sie nicht anerkannt würden – zu einer zierung erfordern, wenn nämlich die Ver- Dies ist allerdings schwierig: Zunächst Benachteiligung von Produkten aus Län- hältnisse bezogen auf das Politikziel in wird es in irgendeiner Form wohl ein An- dern führen, die sich diesem Ziel ebenso den anderen Ländern so unterschiedlich erkennungsverfahren geben müssen, verschrieben haben. Fraglich ist aber, 19 Vgl. etwa Appellate Body, US – Shrimp 1998, Rz. 168ff; Appellate Body. US – Gasoline 1996, S. 25f. 20 Vgl. Appellate Body, US – Shrimp 1998, Rz. 164f; in der Literatur (umfassend) etwa: Qin, Defining Non-discrimination under the Law of the World Trade Organisation, Boston University International Law Journal, 2005, S. 265. 21 Vgl. Appellate Body, EC- Asbestos 2001. 13 22 Nach Spruchpraxis des Appellate Body begründen die Verhältnisse bzw. Produktionsmethoden zwar möglicherweise eine Ungleichbehandlung auf der Rechtfertigungsebene – ändern aber nicht bereits die grundsätzliche Gleichartigkeit der Produkte. Vgl. auch im Folgenden.
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