INSIGHT - Einblicke in sub jektive Sicherheit - Forum ...

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INSIGHT - Einblicke in sub jektive Sicherheit - Forum ...
KOMMUNALE PRÄVENTION

INSIGHT – Einblicke in
sub­jektive Sicherheit
Möglichkeiten der bürgerschaftlichen Partizipation

  Anke Schröder, Melanie Schlüter & Maurice Illi                                    Zur Relevanz bürgerschaftlicher
                                                                                    Partizipation in der Kriminal­
  Bürgerschaftliche Partizipation gewinnt in Prozessen der städtebaulichen          prävention
  Prävention immer mehr an Bedeutung. Bürgerbefragungen zu Kriminalitäts-
  furcht und Sicherheitsempfinden der Bürger/-innen sind häufig quantitativ          Bürgerschaftliche Partizipation in
  auf Stadt-, Kommunen- oder gar Bundeslandebene ausgelegt. Das Unsicher-         der Stadtentwicklung kann auf eine
  heitsempfinden der Bewohner/-innen in kleineren Bereichen wie Quartieren        lange Tradition zurückblicken. Viele
  oder kleinräumigen Nachbarschaften einer Stadt kann wegen der großen Maß-       Formen der Partizipation und das Feh-
  stäblichkeit auf diese Weise nicht erfasst werden. Erforderliche kleinräumige   len einer eindeutigen Definition kann
  Analysen sind auf diese Weise nicht möglich (vgl. Weisburd 2012). Wie kann es   zu Fehlinterpretationen hinsicht-
  aber gelingen, das Sicherheitsempfinden der Bewohnenden und Nutzenden           lich Funktionalität und Erwartungen
  eines kleinräumigen Betrachtungsgebietes einzubeziehen? Der Beitrag zeigt       der Akteure führen. Bezeichnungen
  Möglichkeiten durch das CCI-Projektmodul „INSIGHT“ auf.                         wie Partizipation, Beteiligung, Enga-
                                                                                  gement, Teilhabe oder Mitwirkung –

forum kriminalprävention     2/2021                                                                                      29
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KOMMUNALE PRÄVENTION
     zumeist werden diese Begriffe syn-
     onym verwendet – bilden ein breites
     Spektrum von Bedeutungen ab (vgl.
     Selle 2017: S. 15). „Bürgerinnen und
     Bürger werden in verschiedenen Rol-
     len gesehen: als Beteiligte an staatli-
     chen Verfahren, als in vielfältiger Wei-
     se Selbstaktive und als Kooperanden
     staatlichen Handelns. In all diesen Rol-
     len wirken sie an der Entwicklung der
     Städte mit“ (ebd.).
        Ein Problem vieler Partizipations-
     angebote ist die ungleich ausge-            Abb. 1: Prozessablauf von INSIGHT                                                (Quelle: LKA Niedersachsen)
     prägte Teilnahme einzelner Bevölke-
     rungsgruppen. Überwiegend werden            Spanien verfolgt das Ziel, Behörden                      der Entwicklung der Tools der offene
     diese Verfahren durch besser gestell-       und Organisationen mit Sicherheits-                      Forschungsansatz des Design-Thin-
     te Angehörige der Mittelschicht domi-       aufgaben (BOS) dabei zu unterstützen,                    king-Ansatzes gewählt. Dieser Ansatz
     niert. „Gesellschaftsgruppen, die unter     einen präventiven und nachhaltigen                       fokussiert nach Brown und Katz (2009)
     schwierigen, ja prekären Verhältnissen      Ansatz zur Bekämpfung folgenreicher                      die praxis- und nutzerorientierte Ge-
     leben, nehmen jedoch immer weni-            Alltagskriminalität zu entwickeln so-                    nerierung von Innovationen und Pro-
     ger daran teil“ (Kuder 2018: S. 3). Laut    wie Unsicherheitsgefühle der Bevöl-                      blemlösungen und bezieht bereits zu
     Selle (2017: S. 13 ff.) sind Art und Um-    kerung zu messen und – wenn möglich                      Beginn des Entwicklungsprozesses die
     fang von Beteiligungen in Stadtent-         – zu mindern. Dazu wurden insgesamt                      konkreten Bedarfe der Nutzenden ein
     wicklungsprozessen in der Vergan-           sechs Toolkits in vier Schwerpunktbe-                    bzw. erfasst Lücken oder Schwachstel-
     genheit oft in die Kritik geraten und       reichen entwickelt:                                      len bei bestehenden Anwendungen.
     auch neue Formate versprechen kei-          ■■ Bürgernahe Polizeiarbeit – Commu-                     Der Design-Thinking-Ansatz nimmt das
     ne zufriedenstellende Abbildung der            nity Policing,                                        menschliche (gender) Maß in den Fokus
     gesellschaftlichen Diversität oder er-      ■■ Vorhersagende Polizeiarbeit – Pre-                    und verbindet Anziehungskraft („Desi-
     forderlicher Aushandlungsprozesse.             dictive Policing,                                     rability“), Umsetzbarkeit („Feasibility“)
     Er bezeichnet Beteiligungsverfahren         ■■ Kriminalprävention im Städtebau                       mit „Technical Factors“ und Wirtschaft-
     in der Stadtentwicklung als […] „rea-          (CP-UDP) und                                          lichkeit („Viability“) (vgl. Grots und
     litätsbefreit. Nur in ganz wenigen Ver-     ■■ Stärkung des Sicherheitsempfin-                       Pratschke 2009: S. 18). Die Schlüssel-
     fahren wird den Beteiligten die Ausei-         dens der Bevölkerung.                                 rolle nimmt das tatsächliche Erfahren
     nandersetzung mit der Realität, mit            Die KFS war als Partner für die Tool­                 und nicht die Vermutung über die Be-
     der tatsächlichen Komplexität der Auf-      entwicklung in den Bereichen Predic-                     darfe der Nutzenden ein. Das Beobach-
     gabe zugemutet. Selbst Widersprüche         tive Policing und Stärkung des Sicher-                   ten und Verstehen der Perspektive und
     zwischen den Bürgermeinungen wer-           heitsempfindens verantwortlich.                          Ansprüche der Nutzenden wird in den
     den nicht thematisiert.“                       Um praxistaugliche und maßge-                         Mittelpunkt gestellt.
        Aber kommunale Präventionsarbeit         schneiderte Instrumente für die jewei-                      Für das Kompetenzzentrum Urba-
     braucht bürgerschaftliches Engage-          ligen BOS herauszuarbeiten, wurde bei                    ne Sicherheit (KURBAS) als Teil der Kri-
     ment: „[…] andernfalls läuft sie Gefahr
     aufzugeben, was eigentlich ihr Aus-
     löser war: Die Idee in einer Gemeinde
     ‚gemeinschaftlich’ für ein lebenswert-
     eres Umfeld zu sorgen […] Als Leitbild
     erscheint die Einbindung der Bevölke-
     rung in den Zielfindungs- und Prob-
     lemlösungsprozess auch weitgehend
     unstrittig“ (Frevel et al. 2009: S. 145).

       Das Forschungsprojekt Cutting
       Crime Impact (CCI)

        Die Kriminologische Forschung und
     Statistik (KFS) des Landeskriminalam-
     tes Niedersachsen hat im Rahmen
     des EU-finanzierten Projekts Cutting
     Crime Impact (CCI) versucht, die Lücke
     bei der Bürgerbeteiligung im kommu-
     nalen Präventionsprozess zu schlie-
     ßen. Das Projekt CCI mit insgesamt
     zwölf Projektpartnern aus Deutsch-
     land, Estland, Frankreich Großbritan-
                                                 Abb. 2: Funktionsanalyse aus sicherheitsrelevanter Sicht – Beispiel Ausstattungsgegenstände
     nien, den Niederlanden, Portugal und                                                                           (Quelle: LKA/Planerstellung Hannah Gruber)

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KOMMUNALE PRÄVENTION
minologischen Forschung im Landes-          SIGHT – Einblicke in subjektive Sicher-   tive und ruhige Aktivitäten, Aufent-
kriminalamt Niedersachsen ist dieser        heit“ umfasst Methoden und Her-           haltsmöglichkeiten, Ausstattungen,
Ansatz von großem Nutzen. Zu einer          angehensweisen zur Erfassung der          Lautstärke, Helligkeit und Sauberkeit.
Aufgabe des KURBAS gehört es, die           subjektiven Sicherheit der Bevölke-          Zusätzlich werden Foto- und Video-
Städte und Gemeinden in Niedersach-         rung im öffentlichen Raum. INSIGHT        aufnahmen der aktuellen Situation am
sen zu Fragen der urbanen Sicherheit        besteht aus einem Prozessablauf (sie-     Tag und bei Dunkelheit erstellt. So las-
zu beraten. Ein Bestandteil dieser Be-      he Abb. 1) mit fünf Komponenten bzw.      sen sich Orte identifizieren, die poten-
ratung umfasst die Frage, wann sich         Schritten, die zum einen die externe      ziell tages- und nachtspezifische Unsi-
Menschen im öffentlichen Raum un-           Perspektive von Experten/-innen als       cherheiten darstellen können. Solche
sicher fühlen und mit welchen Maß-          auch die Innenperspektive der Be-         sogenannten Angsträume ergeben
nahmen das Sicherheitsempfinden             wohnenden erheben. Diese Kompo-           sich aus furchtauslösenden Situatio-
gestärkt werden kann. Mit unter-            nenten geben in ihrer Gesamtheit ein      nen, die im öffentlichen und halböf-
schiedlichen Methoden werden in der         übersichtliches Bild der Sicherheits-     fentlichen Raum feststellbar sind. Die-
Regel lokale Experten/-innen beraten.       situation vor Ort, können aber auch       se können ausgelöst werden durch
Grundlage für die Beratungen sind si-       miteinander kombiniert und ergän-         die bauliche Situation wie durch feh-
cherheitsrelevante Kriterien, die sich      zend eingesetzt werden. Zu Beginn         lende Orientierung und Einsehbarkeit,
aus der Arbeitshilfe für die Planung        des Toolprozesses steht in der Regel      irreführende Wegeführung, zu gerin-
und Bewertung öffentlicher Räume            eine Beratungsanfrage zur Sicherheit      ge Beleuchtung und soziale Kontrolle
unter Sicherheitsaspekten der Sicher-       im öffentlichen Raum ausgehend von        sowie fehlende Sauberkeit. An diesen
heitspartnerschaft im Städtebau in          Verantwortungstragenden wie bei-          Störungen werden Reinigungs- und
Niedersachsen (SIPA o. J.) generieren.      spielsweise einer Gemeinde, Kom-          Instandhaltungsmerkmale, Koopera-
   Diese umfassen drei Schutzdimen-         mune, der örtlichen Polizei, eines        tionen und Verantwortungsübernah-
sionen                                      Wohnungsbauunternehmens, eines            me erkennbar. Nicht zuletzt wird die
■■ Schutz durch städtebauliche, archi-      Quartiersmanagements. Anlass für          Verantwortungsübernahme der Nut-
   tektonische Gestaltung und techni-       eine solche Anfrage kann eine Prob-       zenden eingeschätzt und Partizipati-
   sche Ausstattung,                        lematik mit dominierenden sozialen        onsmöglichkeiten erfragt.
■■ Schutz durch Management und              Gruppen im öffentlichen Raum sein            Diese Angsträume müssen nicht
■■ Schutz durch Nutzungsverantwor-          oder aber die Feststellung, dass ein      mit tatsächlichen, objektiven Gefah-
   tung.                                    Raum nicht angenommen wird oder           renorten übereinstimmen, sondern
   Diese drei Dimensionen haben sich        verwaist. Auch Sanierungspläne und        sind beeinflusst durch das subjektive
bewährt, wurden in der Vergangen-           Umgestaltungswünsche können den           Sicherheitsempfinden der Bewohnen-
heit aber stets nur aus der Perspekti-      Ausschlag geben.                          den und Nutzenden, das sich aus zahl-
ve der Verantwortlichen oder Exper-                                                   reichen Faktoren zusammensetzt, wie
ten/-innen vorgenommen. Im Rahmen           Schritt 1:                                Vulnerabilität, Kriminalitätsfurcht, Al-
der CCI-Toolkitentwicklung wurden                                                     ter, Geschlecht, Erfahrungen oder
daher bisherige Methoden um den                Um Qualitäten des täglichen Le-        aber situative Aspekte wie Begeg-
Design-Thinking-Ansatz erweitert und        bens sowie potenzielle (Sicherheits-)     nungen mit anderen Personen, deren
somit das Toolkit „INSIGHT – Einblicke in   Risiken vor Ort zu identifizieren, wird   Verhalten nicht eingeschätzt werden
subjektive Sicherheit“ erstellt.            zunächst eine stadt- und sozialräumli-    kann (Schröder 2020: S. 389).
                                            che Bestandaufnahme durchgeführt.
                                            Unter Berücksichtigung sicherheits-       Schritt 2:
  Das Toolkit „INSIGHT – Einblicke          relevanter Kriterien wird die aktuelle
  in subjektive Sicherheit“                 Situation vor Ort erfasst und kartiert.      Die Erkenntnisse aus dieser ersten
                                            Festgehalten werden Merkmale, die         Analyse können im nächsten Schritt
  Das von der KFS entwickelte Tool          Nutzungsqualitäten darstellen wie         mit einem kleinräumigen Lagebild zu
im Bereich Sicherheitsempfinden „IN-        beispielsweise Möglichkeiten für ak-      Kriminalität und Ordnungsstörungen
                                                                                      des ausgewählten Gebiets abgegli-
                                                               Abb. 3: Beispielplan
                                                               nach Erfassung der     chen werden (Verbundprojekt transit
                                                               Burano-Methode         2015). Dieses Lagebild kann nur durch
                                                               (Quelle: LKA)
                                                                                      die Polizei erstellt werden, ermöglicht
                                                                                      jedoch eine deliktspezifische Betrach-
                                                                                      tung des ausgewählten Gebiets. So
                                                                                      kann untersucht werden, wo raumbe-
                                                                                      zogene Delikte (z. B. Körperverletzung,
                                                                                      Bedrohung/Nötigung, Diebstahl, Sach-
                                                                                      beschädigung und Ordnungsstörun-
                                                                                      gen) stattfinden. Weiterhin kann ana-
                                                                                      lysiert werden, welche Umstände den
                                                                                      Modus Operandi begünstigen und wie
                                                                                      Tatgelegenheitsstrukturen erkannt
                                                                                      und verbessert werden können (poli-
                                                                                      zeilich, sozial, baulich-räumlich, orga-
                                                                                      nisatorisch).
                                                                                         Mithilfe dieser beiden Schritte ist es
                                                                                      bereits möglich, eine georeferenzier-

forum kriminalprävention        2/2021                                                                                           31
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KOMMUNALE PRÄVENTION
     te Darstellung der (problemorientier-                   gemiedene Orte und Wege zu iden-               hend, Dreieck = gehend, Fahrrad =
     ten) Situation im ausgewählten Gebiet                   tifizieren und mit den zuvor gewon-            radfahrend). Die Symbole werden da-
     zu erhalten. Um dieses Bild mit weite-                  nenen Erkenntnissen abzugleichen.              bei mit Zunahme der Personenanzahl
     ren Informationen zu ergänzen und                       Hierzu wird die Burano-Methode an-             größer, die Pfeile weisen die Gehrich-
     um die Befunde aus der stadt- und                       gewendet (vgl. Burano-Gruppe 2002).            tung aus. Zusätzliche Notizen zu den
     sozialräumlichen Bestandsaufnahme                       Dabei wird an verschiedenen Tagen              Personen(gruppen) (z. B. geschätz-
     sowie dem kleinräumigen Lagebild zu                     zu unterschiedlichen Tageszeiten das           tes Alter, Personenanzahl, Besonder-
     verifizieren, kann anschließend eine                    Nutzungsverhalten wie Aufenthalt               heiten etc.) ergänzen den Beobach-
     nicht teilnehmende Beobachtung des                      oder Transitverkehr, Interaktionen             tungsbogen.
     Nutzungsverhaltens der Bewohnen-                        oder Abschottungen beobachtet und
     den durchgeführt werden.                                auf einer Karte eingezeichnet. Dieses          Schritt 4:
                                                             Vorgehen ermöglicht eine detaillier-
     Schritt 3:                                              te Analyse von Nutzungsmustern in                  Anschließend erfolgt die Metho-
                                                             einer spezifischen sozialräumlichen            de „Walk around your Hood“: Eine in-
       Ziel der nicht teilnehmenden Be-                      Situation. Vermerkt werden neben               terdisziplinäre (stadt)räumliche Be-
     obachtung ist es, unterschiedliche                      dem Geschlecht (rot = weiblich, blau           gehung zur Bewertung (un)sicherer
     Nutzungsmuster verschiedener Per-                       = männlich) der Personen(gruppen)              Räume. Eine Vor-Ort-Begehung rich-
     sonengruppen zu beobachten und                          auch deren Tätigkeiten, die sie aus-           tet den professionellen Blick auf all-
     bevorzugte, wenig genutzte oder gar                     üben (Viereck = sitzend, Kreis = ste-          tägliche Nutzungen und beurteilt
                                                                                                            die Qualität eines Raumes unter si-
                                                                                                            cherheitsrelevanten Aspekten. Die
                                                                                                            Vor-Ort-Begehung dient der Sensibi-
                                                                                                            lisierung verantwortlicher Akteurin-
                                                                                                            nen und Akteure für sicherheitsre-
                                                                                                            levante Aspekte und ermöglicht den
                                                                                                            Blick auf differenzierte Nutzungsan-
                                                                                                            forderungen. Ziele der Vor-Ort-Bege-
                                                                                                            hung sind neben der Ermittlung mög-
                                                                                                            licher Risiken, auch die Erfassung von
                                                                                                            Qualitäten und Abstimmung darüber,
                                                                                                            welche bewahrt und/oder ausgebaut
                                                                                                            werden können. Nach den Begehun-
                                                                                                            gen können verbindliche Absprachen
                                                                                                            zur Umorganisation und Verteilung
                                                                                                            von Verantwortlichkeiten getrof-
                                                                                                            fen werden. Die Expertinnen und Ex-
                                                                                                            perten begutachten den Raum nicht
                                                                                                            nur aus der eigenen fachlichen Per-
                                                                                                            spektive, sondern auch aus der Nut-
                                                                                                            zungsperspektive. Dazu werden sie
                                                                                                            gebeten mithilfe von verschiedenen
                                                                                                            alltäglichen Szenarien während der
                                                                                                            Begehung die Interessen bestimmter
                                                                                                            Personengruppen stellvertretend zu
                                                                                                            übernehmen. Das kann sein die älte-
                                                                                                            re Frau, die mit ihrer Gehhilfe im Quar-
                                                                                                            tier unterwegs ist, die junge Frau,
                                                                                                            die abends von der Diskothek heim-
                                                                                                            kommt, oder der kleine Junge, der im
                                                                                                            Quartier Fußball spielen möchte. Die
                                                                                                            Bewohnenden selbst werden bei die-
                                                                                                            ser Methode jedoch nicht mit einge-
                                                                                                            bunden, um zu vermeiden, dass nicht
                                                                                                            erfüllbare Erwartungen geweckt wer-
                                                                                                            den (Schröder/Rebe 2021). Die Erhe-
                                                                                                            bung erfolgt erneut anhand der von
                                                                                                            der Sicherheitspartnerschaft in Nie-
                                                                                                            dersachsen erarbeiteten Leitfragen
                                                                                                            (LPR: o. J.)
                                                                                                                Die generierten Daten und Infor-
                                                                                                            mationen zum Sicherheitsempfinden
                                                                                                            beruhen bis dato ausschließlich auf
                                                                                                            externen, „professionellen“ Perspek-
                                                                                                            tiven. Die aktuelle Wahrnehmung des
     Abb. 4: Plangrundlage für partizipative Rundgänge und Kartierung unsicherer Orte   (Quelle: LKA NI)   Sicherheitsgefühls von Bewohnerin-

32
KOMMUNALE PRÄVENTION
nen und Bewohnern eines kleinräumi-         mung gemieden oder genutzt wer-
gen Gebietes wird somit jedoch nicht        den und geben so Aufschluss über
direkt erfasst. Um eben auch diese          den Einfluss von Unsicherheit auf das
Perspektive zu generieren, wurde das        Nutzungsverhalten der Befragten.
Tool um eine weitere, neu entwickelte         Die Beschreibung von guten oder
Methode ergänzt.                            schlechten raumbezogenen Wahr-
                                            nehmungen ist für die teilnehmenden
Schritt 5:                                  Personen in der Regel unüblich und
                                            ungewohnt. Mithilfe der Bilder und
   Die partizipativen Rundgänge und         der Emoji-Mapping-Methode werden
Kartierung unsicherer Orte mithilfe         Werkzeuge eingesetzt, die es erleich-
von Emoji-Mapping-Markern ermög-            tern, Gefühle an Orten wahrzuneh-
lichen es, die gelebte Erfahrung von        men und diese zu beschreiben.             Abb. 5: Die Emojis mit positiver und negativer Gefühls-
                                                                                      darstellung                           (Quelle: LKA NI)
Bewohnerinnen und Bewohnern eines
kleinräumigen Gebiets zu erfassen.
Das angefertigte Foto- und Videoma-           Zusammenfassung und Ausblick               bestimmte Wege oder Orte genutzt
terial aus Schritt 1 wird so aufbereitet,                                                oder gemieden werden. Durch die
dass frequentierte und ungenutzte              Das oben aufgeführte Tool „INSIGHT        aufsuchende Beteiligung können
Wegeverbindungen als Anschauungs-           – Einblicke in subjektive Sicherheit“        die Bewohnenden an der Entwick-
route ausgewählt werden. Das eigens         zeigt fünf Möglichkeiten auf, sicher-        lung des Quartiers mitwirken.
angefertigte Material wird zur besse-       heitsrelevante Aspekte in Wohnum-            Mit der umfassenden Darstellung
ren Orientierung mit Google Street          feld und Nachbarschaft aufzunehmen.       der Methode INSIGHT – Einblicke in
View unterstützt.                           Insgesamt werden mit diesen fünf          subjektive Sicherheit im öffentlichen
   Die Auswahl der zu beteiligenden         Schritten sowohl die Expertenpers-        Raum sollen Verantwortliche in den
Gruppe von maximal sechs Personen           pektive als auch die Innenperspekti-      Quartieren in die Lage versetzt wer-
unterschiedlichen Geschlechts, Alters,      ve der Bewohnenden zur gefühlten Si-      den, passgenau und situativ zur Stär-
ethnischer und sozialer Zugehörigkeit       cherheit eröffnet. Ein ganzheitliches     kung des Sicherheitsempfindens der
erfolgt durch die Akteure vor Ort. Äl-      Bild von der Situation vor Ort wird er-   Bevölkerung beizutragen. Dadurch,
tere Menschen können so über die Se-        möglicht und relevante Stakeholder        dass sich auch einzelne Methoden un-
niorenarbeit, Kinder und Jugendliche        können identifiziert werden. Nicht im-    abhängig voneinander anwenden las-
über die Schulen oder Jugendeinrich-        mer können alle fünf Schritte nachei-     sen, ist es auch anderen Institutionen
tungen sowie Glaubensrichtungen             nander und im vollen Umfang durch-        und Behörden mit Sicherheitsaufgabe,
über die Gotteshäuser erreicht wer-         geführt werden.                           aber auch Kommunen, Wohnungsbau-
den. Ein/e Moderator/-in leitet die         1. Im ersten Schritt erfolgt die Er-      unternehmen, einem Quartiersma-
Gruppe an. Sie/er erörtert das Vorge-          fassung des baulich-räumlichen         nagement oder Kriminalpräventiven
hen anhand einer gut lesbaren und              Ist-Zustands, ausgerichtet auf die     Räten möglich, das Tool anzuwenden.
verstehbaren Stadtteilkarte, die der           Berücksichtigung sicherheitsrele-      Durch die neu entwickelte Emoji-Map-
Orientierung und als Grundlage für             vanter Aspekte unter einem „Hu-        ping-Marker Methode werden bürger-
das Aufkleben der Emojis dient. Es             man-centred Design“-Ansatz. Damit      schaftliche Partizipation ermöglicht
folgt die Erläuterung der Emojis.              können Chancen ausgebaut und Ri-       und direkte Einblicke in das Sicher-
   Sieben Emojis repräsentieren ver-           siken gemindert werden.                heitsempfinden der Bewohner/-innen
schiedene emotionale Zustände.              2. Der zweite Schritt erfolgt in Zusam-   vor Ort gewährt.
Drei positive (zufrieden/wohl, sicher,         menarbeit mit der lokalen Polizei.
gut), drei negative (unwohl, unsicher,         Anhand eines kleinräumigen Krimi-      Dr. Anke Schröder ist Architektursoziologin und im Landes-
                                                                                      kriminalamt Niedersachsen verantwortlich für das Kompe-
ängstlich) und ein neutraler Emo-              nalitätslagebildes kann sie Delikte    tenzzentrum Urbane Sicherheit. Sie ist eingebunden in deut-
ji-Marker (mir egal/weiß nicht) zeigen         und Ordnungsstörungen aufzei-          sche und europäische Forschungsprojekte und berät Akteure
                                                                                      zu Themen der urbanen Sicherheit. Sie ist Mitglied in un-
die Stimmung im öffentlichen Raum.             gen, die durch andere Maßnahmen        terschiedlichen Gremien. Sie schätzt transdisziplinäre For-
                                                                                      schungsansätze und ihr Anliegen ist es, theoretische Erkennt-
Nach der Erklärung der Emojis folgt            behoben werden können.                 nisse für die Praxis aufzubereiten.
der digitale Rundgang; ein Gespräch         3. Die „Burano-Methode“ ist zwar auf-     Kontakt: anke.schroeder@polizei.niedersachsen.de
über das ausgewählte Gebiet mithilfe           wendig und erfordert Ressourcen,       Melanie Schlüter ist Soziologin und Erziehungswissenschaft-
des bildlichen Materials (Photo-Elici-         ermöglicht aber einen sehr guten       lerin. Aktuell ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin der Kri-
                                                                                      minologischen Forschungsstelle sowie des Kompetenzzent-
tation-Methode) beginnt. Dabei wird            Einblick in das Nutzungsverhalten      rums Urbane Sicherheit des LKA Niedersachsen. Sie arbeitet
                                                                                      in dem EU-Projekt „Cutting Crime Impact“ im Bereich „Fee-
eine einfache, nicht wissenschaftli-           der Menschen im Gebiet.                lings of Insecurity“. Ihre weiteren Forschungsschwerpunkte
che Sprache verwendet. Im Anschluss         4. Mit der „Walk around your Hood“-       liegen in den Bereichen Sozialisation, Jugend, Radikalisierung
                                                                                      und Extremismus.
werden die Beteiligten gebeten, die            Methode können alle Verantwortli-
                                                                                      Kontakt: melanie.schlueter@polizei.niedersachsen.de
genutzten und gemiedenen Wege-                 chen vor Ort sensibilisiert werden,    Maurice Illi ist Soziologe mit dem Spezialgebiet Urbane Si-
verbindungen zu beschreiben und                den Raum als nutzungsfreundli-         cherheit. Bis 2020 war er Sicherheitsmanager der Stadt Lu-
                                                                                      zern mit dem Fokus auf Lösung von Nutzungskonflikten im
ihre Empfindungen an den Orten an-             chen Ort zu entwickeln und im Rah-     öffentlichen Raum. Aktuell ist er Berater für urbane Sicher-
hand der Emoji-Marker zu markieren.            men ihrer Möglichkeiten dazu bei-      heit bei der Basler&Hofmann AG in Zürich und wissenschaft-
                                                                                      licher Mitarbeiter beim Kompetenzzentrum Urbane Sicher-
Die genannten Gründe werden auf                zutragen, dass Orte lebenswert         heit des LKA Niedersachsen.
dem Plan festgehalten und am Ende              werden. Darüber hinaus fördert         Kontakt: maurice.illi@polizei.niedersachsen.de
der Sitzung abschließend besprochen            die Methode die kooperative Zu-
und ggf. ergänzt. Das Ergebnis dieser          sammenarbeit.                          Literatur

Methode zeigt Orte und Wege, die auf-       5. Mit der „Emoji-Mapping-Methode“        Brown, T./Katz, B. (2009): Change by Design. How De-
                                                                                      sign Thinking Transforms Organizations and Inspires
grund einer (un)sicheren Wahrneh-              kann abgebildet werden, warum          Innovation. Harper Collins Publishers.

forum kriminalprävention        2/2021                                                                                                                 33
KOMMUNALE PRÄVENTION
     Burano-Gruppe (2002): Burano – eine Stadtbeobach-     Grots, Alexander/Pratschke, Margarete (2009): Design    Arbeitshilfe für die Planung und Bewertung öffent­
     tungsmethode zur Beurteilung der Lebensqualität.      Thinking – Kreativität als Methode. In: Marketing Re-   licher Räume unter Sicherheitsaspekten – Kurz­f assung
     In: Marlo Riege & Herbert Schubert (Hrsg.): Sozial-   view St. Gallen 2.2009, S.18–23.
                                                                                                                   Verbundprojekt transit (2015): Landeskriminalamt
     raumanalyse. Grundlagen – Methoden – Praxis. Opla-    Kuder, Thomas (2016): Starke Lokale Demokratie: Leit-   Niedersachsen: Sicherheit im Wohnumfeld – Gegen-
     den: Leske + Budrich, S. 85–104.                      linien für eine hochwertige, inklusive Bürgerbeteili-   überstellung von Angsträumen und Gefahrenorten,
     Frevel, Bernhard/Kahl, Wolfgang/Kober, Marcus/        gung. vhw werkSTADT, Nummer 08, Oktober 2016.           Hannover, [online]: https://www.transit-online.info/
     Schreiber, Verena/van den Brink, Henning/Wurtz-       Berlin.                                                 fileadmin/transit/Materialien/Berichte/Gegenueber
     bacher, Jens (2009): Bürgerengagement in der          Schröder, Anke/Rebe, Sabine (2021): Handreichung        stellung_von_Angstraeumen_und_Gefahrenorten.
     kommunalen Kriminalprävention: Beiträge aus           für interdisziplinäre (stadt-)räumliche Begehungen      pdf, 01.04.2021
     der aktuellen Forschung (Teil 1) zu Konzeption        zur Bewertung (un)sicherer Räume „Walk around           Wurtzbacher, Jens (2009): 2. Konzeptioneller Über-
     und Wirklichkeit. In: Erich Marks & Wiebke Steffen    your Hood“, Hannover [online] ] https://www.div-        blick und Formen der Bürgerbeteiligung In: Erich
     (Hrsg.): Engagierte Bürger – sichere Gesellschaft     city.de/wp-content/uploads/2019/09/202102024-Div        Marks & Wiebke Steffen (Hrsg.): Engagierte Bürger
     Ausgewählte Beiträge des 13. Deutschen Präven-        ercity_Handreichung_Web.pdf, 01.04.2021                 – sichere Gesellschaft Ausgewählte Beiträge des
     tionstages Forum Verlag; Auflage: 1 (4. Dezember      LPR – Landespräventionsrat Niedersachsen – Nieder-      13. Deutschen Präventionstages Forum Verlag; Auf-
     2009), Seite 143–160                                  sächsisches Justizministerium (o.J): Sichere Räume.     lage: 1 (4. Dezember 2009), Seite 147–150.

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